Notwendiges Vorwissen: Da für eine Prüfung der §§ 242 ff. StGB erörtert werden muss, in wessen Eigentum eine weggenommene Sache steht und wer ggf. einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Sache hat, sollten die Grundlagen des Mobiliarsachenrechts und des Schuldrechts (Allgemeiner Teil) vor der Lektüre dieses Abschnitts studiert werden.
Obwohl die Zahl der polizeilichen erfassten Diebstähle seit Jahren sinkt, handelt es sich bei diesem Delikt immer noch um den statistisch bedeutsamsten Straftatbestand in der Bundesrepublik Deutschland. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sind für das Jahr 2023 insgesamt 1.971.435 erfasst, was knapp einem Drittel aller 5.940.667 in der PKS erfassten Straftaten entspricht. Hoch ist auch die Bedeutung des Diebstahls für Prüfungen im Studium sowie der Ersten und Zweiten Juristischen Prüfung. Die Prüfungsrelevanz des § 242 StGB ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass der ebenfalls häufig abgeprüfte Raub (§ 249 StGB, → § 5) alle Tatbestandsmerkmale des § 242 StGB enthält.
Im Strafgesetzbuch bilden die §§ 242 ff. StGB gemeinsam mit der Unterschlagung (→ § 4) den 19. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs. Grundtatbestand des Diebstahls ist dabei § 242 StGB, der in diesem Abschnitt behandelt wird. Für besondere Begehungsweisen (sog. schwere Fälle) ordnet § 243 StGB einen verschärften Strafrahmen an (→ § 2). Zudem finden sich in den §§ 244, 244a StGB Qualifikationstatbestände (→ § 3).
Deliktsstruktur und Verwirklichungsphasen
Im objektiven Tatbestand setzt der Diebstahl gem. § 242 Abs. 1 StGB voraus, dass eine fremde bewegliche Sache weggenommen wird (→ Rn. 13 ff.).
Der subjektive Tatbestand des Diebstahls (→ Rn. 67 ff.) enthält neben dem üblichen Vorsatzerfordernis (§ 15 StGB) zusätzlich das besondere subjektive Tatbestandsmerkmal der Absicht rechtswidriger Zueignung. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass das Diebesgut mit dem Ziel weggenommen wird, es sich selbst oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Was sich hinter dem Begriff der „Zueignung“ verbirgt, ist im Detail umstritten (→ Rn. 71 ff.). Für den Einstieg genügt es aber, sich darunter das Verkaufen, Verzehren (bei gestohlenen Lebensmitteln), Verschenken oder dauerhafte Behalten der Beute zur eigenen Verwendung (zB Aufhängen eines gestohlenen Gemäldes im eigenen Wohnzimmer) vorzustellen. Da § 242 StGB nur die Absicht der rechtswidrigen Zueignung verlangt, spielt es keine Rolle, ob die Zueignung tatsächlich gelingt oder ob der Täter zB direkt nach der Wegnahme verhaftet wird und die Beute wieder verliert. Schon mit der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache ist der Diebstahl vollendet.
Dass die Zueignung beim Diebstahl nur beabsichtigt sein und nicht wirklich gelingen muss, unterscheidet den Tatbestand von vielen anderen Delikten, bei denen objektiver und subjektiver Tatbestand vollständig kongruent sind. So muss sich zB der Vorsatz beim Totschlag exakt auf die objektiv eingetretenen Tatbestandsmerkmale (Handlung, Erfolg, Kausalität, objektive Zurechnung) beziehen. Wegen dieser dem Diebstahl eigentümlichen Inkongruenz bezeichnet man ihn auch als sog. „kupiertes Erfolgsdelikt“.
Die Phase, in der eine Sache bereits weggenommen, aber noch nicht endgültig zugeeignet wurde, wird als sog. Beendigungsphase des Diebstahls bezeichnet. Als typisches Beispiel hierfür gilt die Flucht mit einer gestohlenen Sache, die erst mit der endgültigen Sicherung der Beute im Diebesversteck abgeschlossen ist. Die Rechtsfigur der Beendigungsphase ist bedeutsam für die Berechnung der Verjährungsfrist, da diese gem. § 78a S. 1 StGB erst mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt. Nach der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ist in der Beendigungsphase außerdem noch eine Beteiligung an einem Diebstahl als Gehilfe oder Mittäter möglich (näher → Rn. 220 ff.). Ferner soll die Verwirklichung eines qualifizierenden Merkmals iSv §§ 244, 244a StGB in der Beendigungsphase noch zu einer Qualifikation des bereits vollendeten Diebstahls führen können (dazu → § 3 Rn. 26). Eine Rolle spielt die Rechtsfigur der Beendigungsphase überdies bei der Notwehr gegen einen Diebstahl (→ Rn. 218 f.) und auf Ebene der Konkurrenzen (→ Rn. 232 ff.).
Rechtsgut
Welches Rechtsgut der § 242 Abs. 1 StGB schützen soll, ist im Detail umstritten. Einigkeit besteht aber darüber, dass der Tatbestand jedenfalls auch dem Schutz des Rechtsguts Eigentum dient. Damit ist allerdings nicht das Eigentum als formale dingliche Position im Sinne des Sachenrechts gemeint, da diese durch einen Diebstahl im Normalfall nicht verloren geht: Auch nach einer Wegnahme bleibt der Eigentümer formal betrachtet Eigentümer, der Dieb erlangt kein Eigentum.
Weiterführendes Wissen: Ausnahmsweise kann ein Dieb nach den §§ 946 BGB durch die Wegnahme (ggf. Mit-)Eigentum erlangen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Dieb Wein aus einem fremden Weinfass abzapft und in einen Tankwagen fließen lässt, in dem sich bereits eigener Wein befindet. Gem. §§ 948 Abs. 1, 947 Abs. 1 werden der Bestohlene und der Dieb in dieser Konstellation Miteigentümer an dem Weingemisch.
Selbst wenn die gestohlene Sache später an einen gutgläubigen Dritten veräußert wird, verhindert es § 935 Abs. 1 BGB im Regelfall, dass der Bestohlene dadurch das Eigentum an der Sache verliert.
Weiterführendes Wissen: Eine abweichende Regel sieht § 935 Abs. 2 BGB für Geld und Inhaberpapiere (zB Briefmarken, Geschenkgutscheine, U-Bahn-Tickets) vor: Hieran kann ein Dritter rechtsgeschäftlich Eigentum erwerben, wenn ihm nicht bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist (vgl. § 932 Abs. 2 BGB), dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Dasselbe gilt laut § 935 Abs. 2 BGB bei öffentlichen Versteigerungen oder der Versteigerung von Fundsachen: Auch hier geht das Eigentum auf den gutgläubigen Höchstbietenden über, selbst wenn die Sache (unerkannterweise) gestohlen ist.
Vom Diebstahltatbestand geschützt ist daher nicht die formale Eigentumsposition selbst, sondern die aus der formalen Eigentumsposition fließende faktische Möglichkeit des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen (vgl. § 903 S. 1 BGB).
Vertiefung: Ist auch der bloße Gewahrsam an der Sache als zusätzliches Rechtsgut von § 242 Abs. 1 StGB geschützt?
Seit jeher ist umstritten, ob über den Schutz des Eigentums hinaus auch der bloße Gewahrsam an der Sache als zusätzliches Rechtsgut von § 242 Abs. 1 StGB geschützt wird. Hier sind zwei verschiedene Konstellationen zu unterscheiden:
Schutz des berechtigten Gewahrsamsinhabers
Zunächst gibt es Fälle, in denen eine Sache einem Nicht-Eigentümer weggenommen wird, der jedoch berechtigten Gewahrsam über die Sache hat.
Beispiel: A ist Eigentümerin eines Motorrads und verleiht dieses an B. T nimmt es der B heimlich weg.
Das Verhalten des T ist im Beispiel ohne Probleme als Diebstahl zu werten. Fraglich ist aber, ob die Wegnahme in einer solchen Konstellation nicht nur als Angriff auf das Eigentum (im Beispiel: Eigentum von A), sondern auch auf den berechtigten Gewahrsam des Nicht-Eigentümers (im Beispiel: von B) angesehen werden kann. Letzteres hätte praktisch zur Folge, dass sowohl A als auch B durch den Diebstahl verletzt und damit zB gem. § 77 Abs. 1 StGB strafantragsbefugt wären. Dies wäre beispielsweise von Bedeutung, wenn die weggenommene Sache geringwertig ist oder die Wegnahme in einem familiären Kontext passiert, weil dann gem. § 247 StGB (geringwertige Sache) bzw. gem. § 248a StGB (Diebstahl im familiären Kontext) jeweils ein Strafantragserfordernis entsteht. Auch für die Ausübung prozessualer Rechte wie dem Akteneinsichtsrecht nach § 406e StPO ist die Verletzteneigenschaft bedeutsam.
Die Rechtsprechung hat in manchen Entscheidungen zumindest vordergründig betont, auch den berechtigten Gewahrsam als Schutzgut des § 242 Abs. 1 StGB anzusehen.
Kernargument des BGH (dem auch Teile der Literatur folgen
In der Literatur wird die Aufnahme des berechtigten Gewahrsams in den Kreis der von § 242 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgüter dagegen überwiegend abgelehnt.
In der Klausur muss der Streit, ob der berechtigte Gewahrsam als Rechtsgut von § 242 Abs. 1 StGB geschützt wird, nur erörtert werden, wenn die Prüfungsaufgabe die Frage aufwirft, wer Verletzter des Diebstahls ist. Bei Prüfungen an der Universität und in der Ersten Juristischen Prüfung sind solche Aufgaben außergewöhnlich und werden sich – wenn überhaupt – nur mit Blick auf die §§ 247, 248a StGB stellen. In der Zweiten Juristischen Prüfung kommen Fragestellungen rund um das Strafantragserfordernis dagegen häufiger vor. Hier kann zudem auch hinsichtlich einer Nebenklage (§§ 395 ff. StPO) oder eines Klageerzwingungsverfahrens (§ 172 StPO) fraglich sein, wer Verletzter (§ 373b StPO) eines Diebstahls ist.
Schutz des unberechtigten Gewahrsams
Eng verwandt mit der vorstehend behandelten Fallkonstellation ist das Szenario, in dem eine Sache einer Person weggenommen wird, die ihrerseits nur unberechtigten Gewahrsam an der Sache hat.
Beispiel: A ist Eigentümerin eines Mobiltelefons, das ihr von B gestohlen wird. T, der von dem Diebstahl der B weiß, nimmt das Gerät der B später heimlich weg.
Soweit ersichtlich, ist es allgemein anerkannt, dass ein Diebstahl auch an einer bereits gestohlenen Sache verübt werden kann, so dass sich im Beispielfall sowohl B als auch T nach § 242 StGB strafbar machen. Dies stellt allerdings jene vor Probleme, die als Rechtsgut des § 242 Abs. 1 StGB ausschließlich das Eigentum und nicht auch den Gewahrsam ansehen. Denn aus Sicht des ursprünglich bestohlenen Eigentümers (im Beispielfall: A) ist es gleichgültig, ob die für ihn bereits verlorene Sache außerhalb seines Einwirkungsbereichs nochmals in neue Hände gerät. Seine Chancen, die Sache zurückzuerhalten, werden dadurch weder verbessert noch verschlechtert.
Da sich über dieses Problem nur wenige Gedanken machen, ist es für die Klausur wohl ratsam, es stillschweigend zu übergehen. Virulent wird es ohnehin lediglich im Prüfungspunkt der Zueignungsabsicht (→ Rn. 72 ff.), wo es unter anderem darauf ankommt, ob der Täter es für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass der Eigentümer dauerhaft von der Einwirkung auf die Sache ausgeschlossen wird. Hier könnte man (bezogen auf den vorstehend genannten Beispielfall) etwa wie folgt „unauffällig“ formulieren:
„B wollte, dass die Möglichkeit der Nutzung des Telefons der Eigentümerin (also A) dauerhaft entzogen bleibt und das Gerät ferner zumindest vorübergehend für sich nutzen, sodass er mit Zueignungsabsicht agierte.“
Objektiver Tatbestand
Tatobjekt: Fremde bewegliche Sache
Tatobjekt des Diebstahls ist eine (für den Täter) fremde bewegliche Sache. Ob die Sache einen materiellen oder zumindest immateriellen Wert hat, spielt nach hM keine Rolle.
Sacheigenschaft
Der Begriff der Sache iSv § 242 Abs. 1 StGB ist strafrechtsautonom und unabhängig von den Vorgaben des BGB (vgl. dort § 90 BGB) auszulegen, wenngleich die Unterschiede zwischen dem strafrechtlichen und dem zivilrechtlichen Sachbegriff sehr gering sind.
Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand.
Unter den Begriff des körperlichen Gegenstands fällt jede Materie unabhängig von ihrem Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig), nicht aber der elektrische Strom als reiner Elektronenfluss. Die unbefugte Entziehung elektrischer Energie ist daher in § 248c StGB gesondert unter Strafe gestellt.
Forderungen (und damit insbesondere auch Buch- und Giralgeld auf Bankkonten) sind mangels Körperlichkeit ebenfalls kein taugliches Tatobjekt des Diebstahls. Auch sonstige Rechte wie zB Urheber-, Patent- oder Markenrechte können nicht gestohlen werden, sodass ihre Verletzung nur nach Spezialtatbeständen wie etwa §§ 143 ff. MarkenG, § 142 PatentG oder §§ 106 ff. UrhG bestraft werden kann. Dasselbe gilt für elektronische Daten, deren Entwendung allenfalls durch Sondertatbestände wie § 202a StGB oder § 27 Abs. 1 Nr. 1 TTDSG bestraft wird. Taugliche Tatobjekte des Diebstahls können aber die physikalischen Datenträger sein (zB Festplatten), auf denen die Daten gespeichert sind.
Nach allgemeiner Auffassung gehören auch Tiere zu den Tatobjekten des § 242 Abs. 1 StGB. Denn der Gesetzgeber wollte durch die Schaffung von § 90a S. 3 BGB bewirken, dass alle auf Sachen anwendbaren Vorschriften – und damit auch § 242 Abs. 1 StGB – auch für Tiere gelten sollen, selbst wenn diese selbst nicht Sachen sind (§ 90a S. 1 BGB).
Vertiefungshinweis: Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot es unter dem Gesichtspunkt nulla poena sine lege stricta verbiete, Tiere „analog“ wie Sachen zu behandeln. Dieser Gedanke führt allerdings in die Irre, da § 90a S. 3 BGB eine gesetzliche Verweisung auf die Vorschriften über Sachen darstellt und damit das strafrechtliche Analogieverbot nicht berührt.
Alternativ kann zur Begründung der Tatobjekteigenschaft von Tieren darauf abgestellt werden, dass der Begriff der „Sache“ in § 242 Abs. 1 StGB strafrechtsautonom zu bestimmen ist und dass darunter – anders als im Zivilrecht – auch Tiere fallen. Für diese Begründung lassen sich in systematischer Hinsicht die §§ 324a Abs. 1 Nr. 1, 325 Abs. 1, Abs. 6 Nr. 1 StGB anführen, wo jeweils von „Tiere[n], Pflanzen oder andere[n] Sachen“ die Rede ist.
Beweglichkeit der Sache
Eine Sache ist beweglich, wenn es im Tatzeitpunkt möglich ist, sie von ihrem jeweiligen Standort zu entfernen. Was „beweglich“ iSv § 242 Abs. 1 StGB ist, bestimmt sich also rein faktisch und nicht nach der normativen zivilrechtlichen Differenzierung gem. §§ 93 ff. BGB. Dass der Täter die Sache möglicherweise erst noch beweglich machen muss (zB durch Fällen eines Baumes, dessen Holz dann weggenommen wird), schließt eine Strafbarkeit wegen Diebstahls nicht aus.
Fremdheit der Sache für den Täter
Für den Täter fremd ist eine Sache dann, wenn sie zumindest auch im Eigentum einer anderen Person als dem Täter steht.
Die Art des Eigentums – ob es sich also etwa um Mit- oder Gesamthandseigentum handelt – ist dabei gleichgültig.
Für niemanden fremd und damit nicht taugliche Tatobjekte des Diebstahls sind demnach Sachen, an denen niemand Eigentum hat. Dazu zählen insbesondere herrenlose Sachen iSd §§ 958 ff. BGB. Soweit herrenloses Wild weggenommen wird, ist an § 292 StGB zu denken. Für herrenlose Fische kann § 293 StGB greifen.
Häufig liest man, eine Sache sei fremd, wenn sie nicht ausschließlich im Eigentum des Täters steht. Diese Definition ist jedoch nicht korrekt, da sie herrenlose Sachen erfasst, obwohl diese nach allgemeiner Auffassung nicht fremd sind.
Heranziehung des Sachenrechts zur Bestimmung der Fremdheit einer Sache
In wessen Eigentum eine Sache ist bzw. ob sie herrenlos ist, bestimmt sich im Ausgangspunkt nach den zivilrechtlichen Regeln. Sind die Eigentumsverhältnisse in einem konkreten Fall nicht klar, müssen sie im strafrechtlichen Gutachten gründlich inzident geprüft werden.
Beispiel (angelehnt an BayObLG BeckRS 2019, 240541): Die Studentin S engagiert sich schon seit Längerem für den Umweltschutz und eine nachhaltige Ressourcenverwendung. Von einem Freund, der im Supermarkt M arbeitet, erfährt sie, dass dort täglich noch genießbare Lebensmittel weggeworfen werden, die das Mindesthaltbarkeitsdatum zwar überschritten haben, aber noch genießbar sind. Diese werden in Containern entsorgt, die auf dem umzäunten und abgeschlossenen Gelände des M stehen. Nur an Tagen, an denen ein Abfallunternehmen die Container abholen soll, werden sie an den Straßenrand gestellt. S begibt sich noch am selben Tag nach Ladenschluss zum Supermarkt M, klettert in den umzäunten Hinterhof des Supermarkts, öffnet mit einem Bolzenschneider die dort stehenden Container und entnimmt von dort weggeworfene Lebensmittel, die sie zu Hause konsumiert.
Wenn die im Beispielsfall beschriebenen Lebensmittel im Zeitpunkt der Wegnahme noch im Eigentum des Supermarkts (genau: des dahinterstehenden Unternehmensträgers) standen, wären sie für S fremd und damit taugliche Tatobjekte eines Diebstahls. Anders wäre es, wenn die Mitarbeiter des Supermarkts die Sachen iSv § 959 BGB derelinquiert hätten und sie damit herrenlos geworden wären. Eine Dereliktion setzt eine Besitzaufgabe (1.) und einen Eigentumsverzichtswillen (2.) voraus.
1. Zunächst müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Supermarkts den Besitz an den Lebensmitteln aufgegeben haben. Dagegen spricht, dass sie sich auf dem abgeschlossenen Gelände des Supermarkts und damit in der Sachherrschaft des Leitungspersonals des Marktes befanden, das auch einen entsprechenden Besitzwillen aufweisen dürfte.
2. Die Besitzverhältnisse könnten allerdings letztlich dahinstehen, wenn jedenfalls beim maßgeblichen Supermarkt-Personal nicht der Wille bestanden hat, das Eigentum an den Lebensmitteln aufzugeben. Einen entsprechenden Willen muss der Eigentümer nicht ausdrücklich äußern, vielmehr ist ausreichend (und bei einer Dereliktion auch eher üblich), wenn aus dem Verhalten des Eigentümers auf einen Willen zur Eigentumsaufgabe geschlossen werden kann. Als Indiz gegen einen Verzichtswillen könnte im Beispielsfall sprechen, dass der Supermarkt für die Unbedenklichkeit der weggeworfenen Waren rechtlich einzustehen und daher kein Interesse daran hat, sie für jedermann zum Verzehr freizugeben. Ob eine solche Verantwortlichkeit von Lebensmittelhändlern für weggeworfene Lebensmittel wirklich besteht, ist allerdings fraglich. Näher liegt es, eine derartige Verantwortlichkeit nur für Waren anzunehmen, die vom Supermarkt auch in den Verkehr gebracht werden – insbesondere die Waren im Verkaufsregal.
Allerdings stellt die Art und Weise, wie der von S aufgebrochene Container gelagert wird, ein Indiz für den fehlenden Verzichtswillen dar. Denn er befindet sich auf dem Firmengelände des M und wird nur an den Straßenrand gestellt, wenn das Abfallunternehmen zur Abholung kommt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Lebensmittel nicht jedem beliebigen Dritten zugänglich gemacht werden sollen.
Die von S mitgenommenen Lebensmittel sind also nicht gem. § 959 BGB herrenlos geworden, sondern verblieben im Eigentum des Unternehmensträgers des Supermarkts und waren damit für S fremd.
Neben der im Beispiel genannten Dereliktion sind in strafrechtlichen Prüfungsaufgaben regelmäßig die folgenden sachenrechtlichen Vorschriften von Bedeutung:
Eigentumserwerb durch Universalsukzession gem. § 1922 Abs. 1 BGB: Beliebt sind Fälle, in denen der Täter eine vermeintlich fremde Sache wegnimmt, die ihm als Alleinerbe des unbemerkt verstorbenen „Opfers“ in Wirklichkeit selbst gehört. In solchen Fällen kann der Täter allenfalls wegen eines (untauglichen) Versuchs des Diebstahls bestraft werden, weil er sich irrig vorstellt, eine fremde Sache wegzunehmen. Anders ist es, wenn neben dem Täter noch weitere Erben existieren: Wegen § 2032 Abs. 1 BGB entsteht dann kein Allein-, sondern Gesamthandseigentum und die vererbte Sache ist für die einzelnen Erben fremd.
Eigentumserwerb durch Rechtsgeschäft gem. §§ 929 ff. BGB: Die Erwerbstatbestände nach §§ 929 ff. BGB müssen bekannt sein und – ganz wie in einer sachenrechtlichen Klausur – durchgeprüft werden, um die Eigentumsverhältnisse zu bestimmen. Es empfiehlt sich dabei ein chronologischer Aufbau (nach dem Muster: „Zunächst hatte A Eigentum. Er könnte das Eigentum an B gem. § 29 S. 1 BGB verloren haben, indem er […]“). Wenn der Umgang mit bestimmten Sachen verboten ist, muss thematisiert werden, ob das Verbotsgesetz über § 134 BGB nur das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft oder auch das sachenrechtliche Verpflichtungsgeschäft unwirksam werden lässt. Bei Geschäften mit Betäubungsmitteln iSv Anhang I-III zu § 1 Abs. 1 BtMG ist letzteres der Fall, d. h. an den dort aufgeführten Stoffen kann wegen des Verbots in § 29 BtMG rechtsgeschäftlich kein Eigentum begründet werden. Dasselbe Problem (ist nur das Verpflichtungs- oder auch das Verfügungsgeschäft nichtig?) stellt sich bei Anfechtungen nach den §§ 119 ff. BGB.
Maßgeblicher Zeitpunkt der sachenrechtlichen Prüfung
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Eigentumsverhältnisse ist der Beginn der Wegnahme, also wenn der Täter iSv § 22 StGB unmittelbar dazu ansetzt, fremden Gewahrsam aufzuheben. Zivilrechtliche Rückwirkungsfiktionen (§§ 142, 184, 1953 BGB) sind im Rahmen von § 242 StGB irrelevant. Manche Stimmen in der Literatur wollen das Merkmal der Fremdheit allerdings verneinen, wenn der Täter bis zum Abschluss des Gewahrsamswechsels noch Eigentum erlangt.
Ähnliches gilt für Fälle, in denen ein Unbefugter am Geldautomaten Bargeld abhebt. Die Scheine stehen beim unmittelbaren Ansetzen der Wegnahme (also wenn der Täter nach dem Geld im Ausgabefach greift) im Eigentum der Bank. Im Zuge des Gewahrsamswechsels ändert sich daran nichts, da für den objektiven Empfänger (§§ 133, 357 BGB) erkennbar ist, dass die Bank nicht Bargeld an einen Unbefugten übereignen will, weil sie für unbefugte Transaktionen potenziell gem. § 657u BGB haftet.
Klausurhinweis: Bei der Bearbeitung einer Klausur ist schwer vorhersehbar, ob die Lösungshinweise und/oder die Korrektor:innen auf die Eigentumsverhältnisse im Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens oder im Zeitpunkt der Vollendung abstellen. Man kann dieses Problem umgehen, indem man beide Aspekte anspricht, etwa so (Beispiel „Bankautomaten“-Fall):
„Die Geldscheine müssten für T fremd gewesen sein, d. h. sie müssten zumindest im Miteigentum einer anderen Person gestanden haben. Fraglich ist, ob es für die Bestimmung der Eigentumsverhältnisse dabei auf den Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Wegnahme oder auf den Zeitpunkt des Gewahrsamswechsel ankommt. Diese Frage könnte jedoch dahinstehen, wenn T in keinem der beiden Zeitpunkt Alleineigentum an den Geldscheinen erlangt hätte. Im ersten Zeitpunkt – als T nach den Scheinen griff und damit unmittelbar zur Wegnahme ansetzte – befanden sich die Scheine im Alleineigentum der Bank und waren für T daher fremd. Er könnte dann jedoch nach § 929 S. 1 BGB Alleineigentum an den Scheinen erworben haben. Die dafür notwendige dingliche Übereignung scheitert jedoch daran, dass ein objektiver Empfänger der durch den Bankautomaten vermittelten Willenserklärungen der Bank diese so interpretieren würde, dass die Bank mit Blick auf ihr Haftungsrisiko nach § 675u BGB kein Eigentum an Nicht-Berechtigte übertragen will. T hat das Eigentum an den Geldscheinen daher auch nicht während des Gewahrsamswechsels nach § 929 S. 1 BGB erlangt. Unabhängig vom Zeitpunkt der Betrachtung der Eigentumsverhältnisse waren die Scheine daher für ihn fremd.
Anwendbarkeit von § 242 StGB auf nicht verkehrsfähige Sachen
Umstritten ist, inwieweit Sachen von § 242 StGB erfasst werden, die auf Grund gesetzlicher Verbote nicht verkehrsfähig sind (ein ähnliches Problem stellt sich auch beim Betrug, → § 11 Rn. 110 ff.). Hierzu zählen insbesondere Betäubungsmittel iSd Anlagen I-III zu § 1 Abs. 1 BtMG, bei denen nicht nur Anbau, Herstellung, Handeltreiben etc., sondern auch schon der bloße Besitz verboten ist (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG).
Beispiel: T nimmt dem Kokain-Dealer K ein Kilo illegal produziertes Kokain weg.
Die Rechtsprechung bejaht in solchen Konstellationen einen Diebstahl,
In der Literatur wird dagegen zu Recht bezweifelt, dass es sinnvoll ist, den Diebstahlstatbestand auf solche Konstellationen anzuwenden, da es bei § 242 StGB um den Schutz der aus dem Eigentum fließenden Möglichkeiten iSv § 903 BGB gehe, die bei nicht-verkehrsfähigen Sachen schlichtweg fehlen.
Tathandlung: Wegnahme
Tathandlung des § 242 Abs. 1 StGB ist die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.
Eine Wegnahme liegt vor, wenn erstens fremder Gewahrsam gebrochen und zweitens neuer (nicht notwendigerweise tätereigener) Gewahrsam begründet wurde. Drittens muss der Gewahrsamswechsel durch „Bruch“, d. h. ohne oder gegen den Willen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers erfolgt sein.
Klausurhinweis: In der Klausur empfiehlt es sich in schwierigen Fällen, diese drei Voraussetzungen einer Wegnahme jeweils unter eigener Überschrift getrennt zu prüfen. Wenn der Fall leicht oder die Zeit knapp ist, sollten die Prüfungsschritte zumindest in eigenständigen Absätzen untergebracht werden.
Aufhebung fremden Gewahrsams
Eine Sache kann nur weggenommen werden, wenn sie sich ursprünglich in fremdem Gewahrsam befunden hat.
Gewahrsam ist nach dem heute herrschenden faktisch-sozialen Gewahrsamsbegriff als tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache zu verstehen, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen wird.
Wichtiger Hinweis: Die Definition macht deutlich, dass Gewahrsam anders als Eigentum eine faktische und keine formaljuristische Größe ist. Der Gewahrsam ähnelt insofern stark der sachenrechtlichen Kategorie des Besitzes (zu den Unterschieden zwischen Gewahrsam und Besitz s. aber → Rn. 38). Genau wie Eigentum und Besitz im Zivilrecht nicht verwechselt werden dürfen, sind auch im Strafrecht Eigentum und Gewahrsam auseinanderzuhalten.
Für die Annahme von Gewahrsam kommt es im Ausgangspunkt darauf an, wer faktisch ohne Hindernisse auf die Sache einwirken kann und will. Darüber hinaus ist aber auch zu berücksichtigen, wem die Verkehrsanschauung die Herrschaft über eine Sache normativ zuordnen würde. Dieses Zusammenspiel von faktischer und wertender Betrachtung sei an einigen wichtigen Fallgruppen näher erläutert:
Schlafende oder bewusstlose Menschen haben nach der Verkehrsanschauung Gewahrsam an ihren Sachen, obwohl sie für die Dauer ihrer Bewusstlosigkeit faktisch keine Herrschaft darüber ausüben können und auch keinen „wachen“ Herrschaftswillen aufweisen. Tote können hingegen keinen Gewahrsam haben.
Wer eine Sache vergisst (zB ein Portemonnaie im Restaurant) oder vorübergehend in der Öffentlichkeit bzw. einer fremden Gewahrsamssphäre platziert (beispielsweise während des Essens das Fahrrad vor dem Imbiss parkt) bleibt gleichwohl Gewahrsamsinhaber, da die Verkehrsanschauung den Gewahrsam in solchen Fällen trotz der fehlenden aktuellen Einwirkungsmöglichkeit der Person zuschreibt, die die Sache liegen gelassen hat. Man spricht hier von einem bloß gelockerten Gewahrsam. Der Gewahrsam endet aber, wenn der Gewahrsamsinhaber sich nicht mehr erinnern kann, wo seine Sache ist (er sie also nicht nur „vergisst“, sondern auch „verliert“), oder er sie nicht mehr ohne Überwindung von Hindernissen zurückerlangen kann. Entsprechend endet im anderen Beispiel (Parken eines Fahrrads) der Gewahrsam, wenn nach sozialer Anschauung der Eindruck entsteht, dass das Fahrrad bewusst aufgegeben wurde. Zu prüfen ist dann, ob die Sache nach dem Verlust gewahrsamslos geworden ist (dann kann nur § 246 StGB greifen und nicht § 242 StGB) oder ob sie in den Gewahrsam einer anderen Person (zB eines Finders) übergangen ist (dann ist ein Diebstahl möglich), bevor der potenzielle Dieb auf sie zugegriffen hat.
Vertiefungshinweis: Die vorstehende Differenzierung zwischen bloß vergessenen Sachen (an denen Gewahrsam bestehen bleibt) und verlorenen Sachen (an denen der ursprüngliche Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam verliert) entspricht der hM und auch der Rechtsprechung des BGH, der sie allerdings nicht konsequent durchhält. So hat beispielsweise der BGH in der Entscheidung BGH NStZ 2020, 483 ein Mobiltelefon als gewahrsamslos eingestuft, das der ursprüngliche Gewahrsamsinhaber auf der Flucht vor einer körperlichen Auseinandersetzung an einem öffentlichen Ort hat liegen lassen, um es sich später zurückzuholen. Der üblichen Linie der hM hätte es entsprochen, hier nur eine Gewahrsamslockerung anzunehmen.
Für die Klausurvorbereitung müssen Sie derartige Inkohärenzen in der Rechtsprechung nicht weiter beunruhigen. Denn folgendes Vorgehen kann nie falsch sein: Erst werfen Sie die Frage auf, ob der Gewahrsamsinhaber den Gewahrsam an seiner Sache verloren hat, als er sie zurückließ, oder ob es sich um eine bloßere Gewahrsamslockerung handelt. Dann werten Sie den Sachverhalt nach Indizien aus, die dafür bzw. dagegen sprechen, dass der Gewahrsam noch besteht. Entscheidende Kriterien können zB sein, wie lange der Gegenstand zurückgelassen wurde, wie konkret der Gewahrsamsinhaber sich an den Standort der Sache erinnern kann und wie hoch der Aufwand für ihn ist, die Sache zurückzuerlangen.
Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass der Gewahrsam verloren gegangen ist, dürfen Sie nicht vergessen, zu prüfen, ob vielleicht ein Dritter den Gewahrsam daran erlangt hat, bevor der potenzielle Täter die Sache einsteckte. Wenn beispielsweise jemand sein Handy in einem Kino „verliert“ (im Sinne eines Gewahrsamsverlusts), geht sie automatisch in den Gewahrsam der diensthabenden Leitungsperson des Kinos über (das Kino ist eine generell-beherrschte Sphäre). Wenn also zB ein anderer Kino-Gast das „verlorene“ Handy an sich bringt, bricht er den Gewahrsam der Leitungsperson des Kinos. Dagegen wird ein Handy, das draußen im Wald verloren geht, durch den Verlust gewahrsamslos und kann nicht gestohlen werden. Wer ein solches Handy mit Zueignungsabsicht an sich nimmt, kann allenfalls § 246 StGB verwirklichen (→ § 4).
Unter dem Begriff der „Gewahrsamssphäre“ versteht man bestimmte Herrschaftsbereiche, bei denen die Verkehrsanschauung der beherrschenden Person einen generellen Gewahrsamswillen an allen darin befindlichen Sachen zuschreibt. So hat eine Wohnungsinhaber:in beispielsweise Gewahrsam an allen in der Wohnung befindlichen Sachen, auch wenn sie auf Reisen geht oder sich aus anderen Gründen gerade nicht in der Wohnung aufhält. Dasselbe gilt für den Inhalt eines außen an der Wohnung befestigten Briefkastens. Die Filialleiter:in (oder deren diensthabende Vertretung) eines Supermarkts hat Gewahrsam an allen im Supermarkt befindlichen Sachen. Unerheblich ist in diesen Fällen grundsätzlich, ob der Gewahrsamsinhaber von der betroffenen Sache weiß oder ihren genauen Standort innerhalb der Gewahrsamssphäre kennt. Wenn also jemand zum Beispiel sein Portemonnaie im Supermarkt verliert, geht dieses automatisch in den Gewahrsam der Filialleiter:in (oder deren diensthabende Vertretung) über. Der Gewahrsam kann allerdings verloren gehen, wenn der Täter die Sache innerhalb der Gewahrsamssphäre so gut versteckt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der Gewahrsamsinhaber sie jemals wieder finden wird. Außerdem können in einer Gewahrsamssphäre Gewahrsamsenklaven bestehen, in denen die Gewahrsamsverhältnisse anders beurteilt werden als in der übrigen Gewahrsamssphäre (näher → Rn. 45). So behält man zB Gewahrsam an den Gegenständen, die sich im eigenen Rucksack befinden, wenn man mit dem Rucksack einen Supermarkt betritt.
Die wertende Abweichung von den faktischen Verhältnissen bei der Prüfung des Gewahrsams hat aber auch Grenzen, die deutlich enger sind als beim zivilrechtlichen Begriff des Besitzes. Das zeigt sich insbesondere bei drei Sonderformen des Besitzes:
Erbenbesitz: Gem. § 857 BGB gelangt ein Erbe mit dem Erbfall ipso iure in den Besitz des Erbes, selbst wenn er keinerlei tatsächliche Sachherrschaft über das Erbe hat und vom Erbfall vielleicht auch gar nichts weiß. Aus strafrechtlicher Sicht besteht in solchen Fällen jedoch kein Gewahrsam, es sei denn, die Erben bringen die von ihnen ererbten Sachen tatsächlich in ihre Sachherrschaft (zB indem sie die Wohnung des Verstorbenen räumen).
Besitzdienerschaft: Bei der Besitzdienerschaft gem. § 855 BGB erlangt der Besitzherr Besitz an einer Sache allein dadurch, dass ein Besitzdiener für ihn die Sachherrschaft über die Sache ausübt. Bei der Prüfung der Gewahrsamsverhältnisse im Rahmen von § 242 StGB würde man abweichend von der zivilrechtlichen Wertung umgekehrt dem Besitzdiener und nicht dem Besitzherrn den Besitz zusprechen.
Mittelbarer Besitz: Nach § 868 BGB zählt auch diejenige Person als Besitzer einer Sache, die zwar keine Sachherrschaft über die Sache ausübt, den Besitz jedoch über ein Besitzmittlungsverhältnis von einem Besitzmittler vermittelt bekommt. Ein typischer Fall ist die Miete eines Autos, bei der der Mieter unmittelbarer Besitzer ist und der Vermieter mittelbarer Besitzer. Aus strafrechtlicher Sicht wäre dagegen allein der Mieter Inhaber des Gewahrsams an dem Auto.
Den für die Inhaberschaft von Gewahrsam notwendigen natürlichen Herrschaftswillen können auch Geschäftsunfähige (zB Kinder) bilden, nicht aber juristische Personen, Behörden usw. Bei ihnen kommt es auf den Herrschaftswillen von Leitungspersonen an (zB bei einer GmbH die Geschäftsführerin).
Denkbar ist, dass mehrere Personen Gewahrsam an derselben Sache haben. Hier sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
Beim gleichberechtigten Mitgewahrsam wird die Sachherrschaft über die Sache von mehreren Personen gemeinsam ausgeübt, weshalb die Verkehrsauffassung ihnen den Gewahrsam an der Sache gleichermaßen zuspricht. Wenn in einer solchen Konstellation einer der beiden Mitgewahrsamsinhaber den Gewahrsam eines anderen Mitgewahrsamsinhabers aufhebt, kann das als Diebstahl zu werten sein.
Beispiel: Die Eheleute A und B halten gemeinsam einen Hund. Nach einem Streit gibt A den Hund ohne das Wissen von B ins Tierheim.
Häufig gibt es zwischen potenziellen Gewahrsamsinhabern kein gleichrangiges Verhältnis, sondern ein Über- und Unterordnungsverhältnis. So ist es beispielsweise bei einem Supermarkt so, dass die diensthabende Leitungsperson übergeordneten Gewahrsam an allen Sachen im Supermarkt als generell beherrschter Sphäre hat, während die einzelnen Supermarkt-Mitarbeiter allenfalls untergeordneten Gewahrsam haben. Nimmt ein solcher Mitarbeiter Waren aus dem Supermarkt unerlaubt zu sich nach Hause, so bricht er den übergeordneten Gewahrsam der diensthabenden Leitungsperson. Umgekehrt könnte die Leistungsperson ohne Weiteres Waren aus dem Supermarkt entfernen, ohne dass sie dafür die „einfachen“ Mitarbeiter um Erlaubnis fragen müsste. Untergeordneter Gewahrsam kann also nicht iSv § 242 StGB gebrochen werden, so dass es verwirrend ist, dass die hM ihn überhaupt mit dem Begriff des Gewahrsams bezeichnet.
Dies beobachtet auch Rengier, BT I, 26. Aufl. (2024), § 2 Rn. 33. Passender scheint (in Anlehnung an § 855 BGB) der Begriff der Gewahrsamsdienerschaft.
Häufig ist es in Arbeits-, Dienst- und Auftragsverhältnissen nicht leicht festzustellen, ob der Beschäftigte bzw. Beauftragte Mit- oder sogar Alleingewahrsam an einer Sache hat oder ob er bloßer Gewahrsamsdiener ist. Als Faustregel lässt sich sagen, dass hochrangige Entscheidungsträger:innen, die mit einem hohen Maß an Eigenverantwortlichkeit handeln, Alleingewahrsam an den ihn anvertrauten Sachen haben. Sie können daher keinen Diebstahl, sondern nur eine veruntreuende Unterschlagung (→ § 4) und ggf. eine Untreue (→ § 15) begehen, wenn sie unerlaubt Sachen des Arbeit- bzw. Auftraggebers in ihre Sphäre verbringen.
Beispiele: Alleingewahrsam nimmt der BGH im Regelfall für Kassierer:innen im Supermarkt (und vergleichbaren Geschäften) mit Blick auf die Kasse an, wenn diese allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen haben.
Begründung neuen Gewahrsams
Um die Wegnahme zu vollenden, genügt es nicht, den Gewahrsam des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers aufzuheben, sondern der Täter muss auch neuen Gewahrsam begründen. Kein Diebstahl liegt daher vor, wenn die Sache durch das Täterverhalten einfach nur gewahrsamslos wird.
Beispiel (nach Vogel/Brodowski
Nach hM muss der neue Gewahrsam allerdings nicht unbedingt eigener Gewahrsam des Täters sein, sondern kann auch einem Dritten zuzuordnen sein (zB einem Freund des Täters).
Zur Beurteilung der Frage, ob neuer Gewahrsam begründet wurde, ist – wie im Prüfungspunkt „Aufhebung fremden Gewahrsams“ – vom herrschenden faktisch-sozialen Gewahrsamsbegriff auszugehen. Nach diesem Maßstab wird regelmäßig spätestens dann neuer Gewahrsam begründet, wenn der Täter die Sache aus dem Herrschaftsbereich des Opfers verbringt und sich damit auf die Flucht begibt. In manchen Fällen stellt sich allerdings die Frage, ob der neue Gewahrsam auch schon vorher begründet wurde. Das ist etwa dann bedeutsam, wenn der Täter noch im Herrschaftsbereich des Opfers oder in dessen unmittelbarer Nähe betroffen wird.
Beispiel: A versteckt im Supermarkt eine teure Flasche Wein in seinem Mantel und wird vor dem Verlassen des Ladens von einer Ladendetektivin zur Rede gestellt.
Die hM nimmt in solchen Fällen an, dass der Täter neuen Gewahrsam begründet, wenn es sich beim Stehlgut um einen handlichen Gegenstand handelt, der vom Täter in ein körpernahes Behältnis gebracht wird, auf das Außenstehende nicht zugreifen könnten, ohne einen sozial auffälligen Tabubruch zu begehen. Unter solche Tabuzonen, die auch als Gewahrsamsenklave
Bei besonders handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen wird diskutiert, ob neuer Gewahrsam schon allein dadurch begründet werden kann, dass der Täter die Sache in die Hand nimmt.
Beispiel (nach BGH NStZ 2011, 36): A bittet B, ihm sein Mobiltelefon zu zeigen. Sodann nimmt A dem B dieses aus der Hand und verlangt für die Rückgabe 20 EUR. Als B sich weigert, steckt A das Telefon ein.
Der BGH hat in diesem Fall entschieden, dass der Täter jedenfalls dann schon durch das bloße In-Die-Hand-Nehmen der Sache Gewahrsam begründet, wenn der eigentliche Berechtigte seine „ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte“.
Beispiel (nach BGH NStZ 2016, 727): T bittet O, ihm kurz sein Mobiltelefon auszuleihen, damit T damit ein kurzes Telefonat führen kann. In Wirklichkeit hat T vor, das Telefon einzustecken und zu verkaufen.
In dieser Konstellation hat der Senat einen Gewahrsamswechsel erst in dem Zeitpunkt angenommen, in dem T das Telefon tatsächlich eingesteckt hat.
Der Rechtsprechung lassen sich zahlreiche weitere Einzelfallentscheidungen entnehmen, die Sie für die Klausurvorbereitung aber nicht auswendig zu lernen brauchen. Stattdessen ist es sinnvoll, auf der Basis des faktisch-sozialen Gewahrsamsbegriffs den Sachverhalt nach Indizien zu durchforsten, die dafür oder dagegen sprechen, dass der Täter in einem bestimmten Zeitpunkt bereits neuen Gewahrsam begründet hat oder nicht. Als Faustregel lässt sich dabei sagen, dass der neue Gewahrsam desto eher besteht, je ungestörter der Täter auf die Sache einwirken kann und je unwahrscheinlicher und schwieriger es ist, dass der eigentliche Berechtigte seinen verlorenen Gewahrsam noch alsbald zurückerlangt.
Beispiel (nach LG Potsdam NStZ 2008, 336): T geht in einen Baumarkt, nimmt dort eine in einem Karton verpackte Kreissäge und verbringt sie kurz vor Ladenschluss in den Außenbereich des Baumarktes. Dieser ist von einem drei Meter hohen Zaun umgeben, der sich aber mit einem Bolzenschneider oder einem vergleichbaren Gerät ohne Probleme zerstören lässt. Dort versteckt A den Karton in einer leeren Regentonne. Er geht davon aus, dass der Karton mit der Kreissäge hier an diesem heißen Sommertag unentdeckt bleibt und hat vor, nach Ladenschluss zurückzukehren, in den Außenbereich einzudringen und seine Beute mitzunehmen. Dazu kommt es aber nicht mehr.
In diesem Fall ist schon sehr zweifelhaft, ob die diensthabende Leitungsperson des Baumarkts den Gewahrsam an der Säge überhaupt verloren hat, weil die Regentonne zur generell beherrschten Gewahrsamssphäre des Baumarkts gehört und kein sicheres bzw. schwer auffindbares Versteck bietet. Jedenfalls hat der Täter durch sein Verhalten aber keinen neuen Gewahrsam begründet. Denn die Säge befindet sich in einem Bereich, den der Täter nur unter Überwindung eines hohen Zauns erreichen kann. Da er die Säge ferner nur nach Ladenschluss abtransportieren könnte, ist ihm ein jederzeitiger Zugriff in sozial-adäquater Weise nicht möglich („Tabubruch“).
Irrelevant ist es für die Beurteilung der Gewahrsamsverhältnisse dagegen, ob der Täter bei der (potenziellen) Wegnahme beobachtet wird (zB von einer Ladendetektivin). Die hM hat insofern den häufig zitierten Satz geprägt, wonach der Diebstahl „kein heimliches Delikt“ sei.
Klausurhinweis: In den meisten Klausurfällen entkommt der Täter am Ende mit der Beute und hat jedenfalls in diesem Zeitpunkt sicher neuen Gewahrsam begründet. Wenn Sie nur § 242 StGB zu prüfen haben, können Sie in solchen Fällen offenlassen, ob möglicherweise auch schon zuvor neuer Gewahrsam begründet wurde, und einfach darauf abstellen, dass der Gewahrsam jedenfalls dann entstanden ist, als der Täter sich erfolgreich mit dem Diebesgut abgesetzt hat. Den exakten Zeitpunkt der Wegnahme müssen Sie nur in den folgenden vier Konstellationen bestimmen:
1. Wenn der Täter frühzeitig „erwischt“ wurde, so dass sich die Frage stellt, ob der Diebstahl nur versucht oder auch vollendet wurde.
2. Wenn der Täter erst später ein Qualifikationsmerkmal erfüllt (zB iSv § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB eine Waffe bei sich führt) und sich die Frage stellt, ob das Qualifikationsmerkmal auch dann noch greift, wenn der Diebstahl schon vollendet ist (dazu eingehend → § 3 Rn. 26).
3. Wenn der Täter ein qualifiziertes Nötigungsmittel zum Einsatz bringt (= Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben) und sich daher die Frage stellt, ob die Wegnahme schon vor dem Einsatz des Nötigungsmittels vollendet war (dann kommt nur § 252 StGB in Betracht) oder erst danach (dann kann ein Raub gem. § 249 StGB vorliegen).
4. Wenn an der Tat noch andere beteiligt sind, da sich dann die Frage stellt, ob noch eine (sukzessive) Mittäterschaft, Beihilfe oder Anstiftung zum Diebstahl vorliegt, wenn der Gewahrsamswechsel bereits vollzogen und der Diebstahl mithin vollendet ist.
Gewahrsamswechsel durch „Bruch“
Eine Wegnahme setzt voraus, dass der Gewahrsamswechsel durch „Bruch“, d. h. ohne oder sogar gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgt. Wenn der Gewahrsamsinhaber dagegen explizit oder konkludent sein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel erklärt, liegt keine Wegnahme vor. Es handelt sich dann um ein tatbestandsausschließendes Einverständnis. Dieses Einverständnis erfordert keine Geschäftsfähigkeit und kann daher – ein Mindestmaß an Einsichtsfähigkeit vorausgesetzt – zB auch von Kindern erteilt werden. Bei Mitgewahrsam müssen nach hM alle Gewahrsamsinhaber einverstanden sein.
Einverständnis bei Drohung
Das Einverständnis ist grundsätzlich auch wirksam, wenn es unter Drohung erlangt wird. Nicht mehr als Einverständnis zählt es nach Ansicht des BGH allerdings, wenn das Opfer den Gewahrsam an einer Sache nur deshalb aufgibt, weil es denkt, den Verlust ohnehin nicht mehr aufhalten zu können.
Beispiel (nach BGH NJW 2011, 1979): Hochstapler T gibt sich gegenüber O als Feldjäger der Bundeswehr aus und fordert von ihm Wertsachen mit der Begründung heraus, diese seien in dienstlicher Funktion „konfisziert“.
Vertiefungshinweis für Fortgeschrittene: Wenn Sie sich schon mit dem Tatbestand des Raubs (§ 249 StGB) und dem dort ebenfalls enthaltenen Merkmal der Wegnahme beschäftigt haben, werden Sie sich vielleicht wundern. Denn bei § 249 StGB stellt der BGH für die Frage, ob das Opfer mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden ist, nicht auf die innere Willensrichtung des Opfers ab („Kann ich den Gewahrsamswechsel überhaupt noch verhindern?“), sondern auf das äußere Erscheinungsbild des Gewahrsamswechsel. Ein „Bruch“ soll demnach nur dann vorliegen, wenn ein objektiver Beobachter das Geschehen als „Nehmen“ deklarieren würde (→ § 5 Rn. 21). Dasselbe Teilmerkmal der „Wegnahme“ wird von der Rechtsprechung also bei § 242 StGB anders ausgelegt als bei § 249 StGB.
Einverständnis bei Täuschung
Schwierigkeiten bereiten Fälle, in denen der Gewahrsamswechsel im Nachgang einer Täuschung erfolgt. Das Tatbestandsmerkmal des „Bruches“ hat nach hM die Funktion, den Diebstahl vom Betrug abzugrenzen und korrespondiert mit der Tatbestandsvoraussetzung der Vermögensverfügung beim Betrug. Beide Delikte stehen nach hM in einem Exklusivitätsverhältnis, d. h. sie schließen sich gegenseitig aus. Eine Vermögensverfügung (und damit ein Betrug) liegt vor, wenn das Opfer infolge der Täuschung bewusst und freiwillig sein Vermögen durch eigenes Verhalten unmittelbar vermindert (ausführlich dazu → § 11 Rn. 123 ff.). Fehlt es an einem dieser Merkmale, ist der Gewahrsamswechsel nicht einverständlich und es liegt eine Wegnahme (und damit ein Diebstahl) vor. Umgekehrt lassen sonstige Irrtümer (zB die Erwartung einer Gegenleistung) die Wirksamkeit des Einverständnisses in die Wegnahme unberührt, so dass nur ein Betrug vorliegen kann. Zu den Details sollte man Folgendes wissen:
In Konstellationen, in denen der Getäuschte den Gewahrsam an einer Sache infolge der Täuschung zunächst nur lockert, ist dies weder ein Diebstahl noch –mangels Vermögensverfügung – ein Betrug. Nutzt der Täter die Lockerung aber aus, um die Sache einzustecken und damit zu fliehen, liegt darin eine Wegnahme und ein Diebstahl. Ein Beispielfall dazu findet sich in → Rn. 46 und in → § 11 Rn. 131.
Wenn der Getäuschte gar nicht merkt, an welchen Sachen er konkret Gewahrsam verliert, kann das für die Vermögensverfügung / Einverständnis notwendige Verfügungsbewusstsein fehlen, so dass eine Wegnahme vorliegt. Dazu eingehend und mit Fallbeispielen → § 11 Rn. 136 f.
Wenn der Getäuschte auf Grund der Täuschung den Eindruck gewinnt, den Gewahrsamswechsel überhaupt nicht mehr verhindern zu können, kann es an der Freiwilligkeit der Vermögensverfügung fehlen (vgl. zu einem solchen Fall schon → Rn. 46 und ergänzend → § 11 Rn. 139 ff.).
Abgrenzungsschwierigkeiten werfen außerdem Fälle auf, in denen der Täter nicht den Eigentümer einer Sache, sondern einen Dritten (zB den WG-Mitbewohner des Eigentümers) durch Täuschung dazu bringt, den Gewahrsam zu übertragen. In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, ob das Einverständnis des Dritten dem Eigentümer zuzurechnen ist (dann liegt ein sog. Dreiecksbetrug vor) oder nicht (dann kann ein Fall des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft gegeben sein). Näher dazu → § 11 Rn. 143 ff.
Probleme in Fällen der automatisierten Waren- und Geldausgabe
Im Alltag gibt es viele Geschäfte, bei denen der Gewahrsam an Sachen nicht zwischen Menschen ausgetauscht wird, sondern bei denen zu diesem Zweck Maschinen zum Einsatz kommen. Typische Beispiele hierfür sind Geldautomaten oder Selbstbedienungs-Zapfsäulen an der Tankstelle. Wenn jemand bei einem Geldautomaten Bargeld abhebt oder von einer Zapfsäule Kraftstoff abzapft und daran jeweils eigenen Gewahrsam begründet, erfolgt dies im Normalfall ohne den aktuellen Willen des Gewahrsamsinhabers, der regelmäßig nicht vor Ort sein wird und von der konkreten Automatenbenutzung nichts weiß. Die herrschende Meinung nimmt jedoch an, dass in der Aufstellung des Automaten ein generelles und antizipiertes Einverständnis in den Gewahrsamswechsel liegt, das das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme entfallen lassen kann.
Um eine Diebstahlstrafbarkeit dennoch nicht gänzlich auszuschließen, soll dieses generelle und antizipierte Einverständnis an Bedingungen geknüpft werden können. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass nur der ordnungsgemäße Gewahrsamswechsel keinen Bruch des Gewahrsams darstellt. Uneinigkeit besteht innerhalb dieser herrschenden Ansicht darüber, welche Bedingungen mit dem generellen Einverständnis verknüpft werden können. Die denkbar weiteste Auslegung würde es erlauben, das antizipierte Einverständnis mit jeder Art von Bedingung zu verknüpfen.
Beispiel: G stellt einen Getränkeautomaten auf, der jedoch – worüber auch ein Schild am Automaten informiert – nur bis 22 Uhr benutzt werden darf, damit die Nachbarn nicht gestört werden.
Ließe man jede beliebige Bedingung an das Einverständnis zu, läge im Beispielsfall eine Wegnahme vor, wenn jemand nach 22 Uhr Geld in den Automaten wirft, um ein Getränk zu erwerben. Das überzeugt nicht. Zwar ist es im Ausgangspunkt richtig, dass bei einem Einverständnis allein der wirkliche Wille des Berechtigten maßgeblich ist. Jedoch ist im Diebstahlskontext die systematische Funktion des Merkmals „durch Bruch“ zu berücksichtigen, das vor allem die Abgrenzung zum Betrug gewährleistet (dazu bereits → Rn. 54). Die Gewahrsamsübertragung durch einen Menschen aufgrund eines täuschungsbedingten Einverständnisses führt nicht zum Diebstahl, sondern zu § 263 StGB. Demgegenüber hätte nach der hier diskutierten Ansicht praktisch jeder Motivirrtum bei der Gewahrsamsübertragung die Annahme eines Diebstahls zur Folge. Für den Sachbetrug bliebe bei diesem Verständnis kein relevanter Anwendungsbereich. Wegen dieser systematisch inakzeptablen Konsequenzen ist diese Ansicht abzulehnen.
Die (noch
Wer eine Selbstbedienungs-Zapfsäule an einer Tankstelle benutzt und dabei plant, das Benzin nicht zu bezahlen, bricht den Gewahrsam an dem Benzin nicht, wenn die Zapfsäule das Benzin technisch auch ohne Zahlung freigibt.
BGH NJW 2012, 1092. Allerdings kann eine Strafbarkeit wegen (versuchten) Betrugs vorliegen, wenn der Täter (zumindest eventualvorsätzlich) damit rechnet, vom Tankstellenpersonal beobachtet zu werden. Ferner wird spätestens durch das Wegfahren eine Unterschlagung an dem Kraftstoff begangen. Wer als Unbefugter mit einer fremden Bankkarte unerlaubt Geld an einem Geldautomaten abhebt, bricht den Gewahrsam an dem vom Automaten ausgegebenen Bargeld nicht, weil der Automat vor Ausgabe des Geldes technisch nicht prüft, ob der Automatenbenutzer eine zur Kartennutzung befugte Person ist.
BGHSt 35, 152 (158 ff.); BGH NJW 2018, 245. In solchen Fällen kommt aber § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB in Betracht, dazu näher → § 12 Rn. 42 ff.
Diebesfalle
Wenn im Rahmen einer sog. „Diebesfalle“ gezielt der Gewahrsam an einem Gegenstand (zB ein speziell markierter Geldschein) „geopfert“ wird, um einen vermutlichen Dieb auf frischer Tat zu ertappen, so ist darin keine Wegnahme zu sehen, da der Gewahrsamsinhaber mit dem (vorübergehenden) Gewahrsamswechsel als Teil seines Plans einverstanden ist.
Vertiefungshinweis: Umstritten ist, ob das Einverständnis auch eine Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB ausschließt. Die hM verneint, dies und bestraft den Dieb wegen (untauglichen) Versuchs des Diebstahls in Tateinheit mit vollendeter Unterschlagung. Dagegen hat sich zu Recht unter anderem Rengier gewandt, der argumentiert, dass die (zumindest kurz andauernde) Zueignung der Sache bei der klassischen Diebesfalle genauso Teil des Plans zur Überführung des Verdächtigten ist wie der Gewahrsamsverlust.
Anders sind Fälle zu beurteilen, in denen der Gewahrsamsinhaber den Dieb durch reine Beobachtung, eine Videoaufnahme o. Ä. überführen will und der Gewahrsamsverlust an einer Sache nicht Teil des Plans zur Überführung des Täters ist: Hier kann kein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel angenommen werden.
Subjektiver Tatbestand
Auf subjektiver Ebene setzt der Diebstahl zunächst – wie üblich – Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatumstände voraus (I.). Darüber hinaus enthält der Tatbestand das besondere subjektive Merkmal der Absicht, sich die Sache selbst oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen (II.).
Klausurhinweis: Die besonderen Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands des Diebstahls spielen in juristischen Prüfungen oft eine große Rolle und sollten daher in einem Gutachten besonders gründlich erörtert werden. Es empfiehlt sich, das Gutachten dabei in mehrere Unterpunkte zu gliedern, um schon durch den Aufbau vertieftes Wissen zu § 242 StGB zu zeigen. Denkbar wäre etwa folgende Gliederung:
2. Subjektive Tatbestandsmäßigkeit
a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände
b) Zueignungsabsicht
c) Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung
d) Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung
Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände
Der Täter muss mit dem (zumindest bedingten) Vorsatz handeln, eine fremde bewegliche Sache wegzunehmen (§ 15 StGB).
Konkretisierung des Tatplans
Maßgeblich ist allein die Vorstellung des Täters bei Vornahme der tatbestandlichen Handlung, d. h. im Zeitpunkt der Wegnahmehandlung. Es ist deshalb unschädlich, wenn der Täter im Vorbereitungs- oder Versuchsstadium (zB beim Eindringen in eine Wohnung) nur den unbestimmten Vorsatz gefasst hat, wertvolle Sachen zu entwenden. Ebenso ist es irrelevant, wenn der Täter zunächst eine konkrete Sache stehlen wollte, dann aber andere, weitere oder weniger Sachen wegnimmt.
Beispiel: T steigt in die dauerhaft genutzte Privatwohnung des verreisten O ein, um den dort vermuteten „Klimt“ der O zu entwenden. Als sie das Gemälde wider Erwarten nicht vorfindet, nimmt T nach längerem Aufenthalt in der Wohnung stattdessen einen Perserteppich mit.
Wenn T ohne wesentliche Zäsur zu ihrem neuen Plan übergeht, handelt es sich um einen Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB). Dass ihr vorher konkretisierter Plan gescheitert ist und sie sich danach länger in der Wohnung aufgehalten hat, spricht allerdings eher dafür, dass T ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben und nach einer Zäsur eine neue Tat begonnen hat. Dann liegt lediglich ein versuchter Wohnungseinbruchdiebstahl hinsichtlich des Gemäldes (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Tatmehrheit mit einem Diebstahl am Perserteppich (§ 242 Abs. 1 StGB) vor.
Irrtumsfragen
Welches Vorstellungsbild für ein vorsätzliches Handeln erforderlich ist, unterscheidet sich je nach Tatbestandsmerkmal:
Die Begriffe „Sache“ und „beweglich“ sind (überwiegend) deskriptive Merkmale, bei denen es genügt, wenn der Täter die faktischen Umstände kennt, an die das Gesetz anknüpft. Wer also weiß, dass er ein fremdes Tier wegnimmt und dabei meint, dieses falle nicht unter den juristischen Begriff der „Sache“, unterliegt einem bloßen Subsumtionsirrtum, der den Vorsatz nicht ausschließt, sondern höchstens – falls er unvermeidbar ist – gem. § 17 S. 1 StGB die Schuld des Täters entfallen lässt.
Dagegen sind die „Fremdheit“ der Sache sowie der für die Wegnahme relevante Gewahrsamsbegriff normative Merkmale, da sie Umstände beschreiben, die (größtenteils) nicht sinnlich wahrnehmbar sind, sondern sich im Wesentlichen erst durch eine juristische Wertung erschließen. Die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum ist bei solchen normativen Tatbestandsmerkmalen häufig schwierig. Auch bei solchen Merkmalen verlangt die hM nicht, dass der Täter gedanklich mit den richtigen juristischen Begriffen operiert. Er muss aber den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Tatumstands in einer sog. Parallelwertung in der Laiensphäre erfasst haben.
Beispiel: A ist Eigentümer einer Vase. B ist sachenrechtlich nicht geschult und denkt, A sei „Besitzer“ der Vase. Zudem meint B, dass die Vase für ihn nicht „fremd“ iSd § 242 Abs. 1 StGB sei, da er und A sich bereits seit Jahren kennen und er die Vase schon oft besichtigt hat. B ist bei alledem aber klar, dass A eine rechtliche Position hat, in der A allein bestimmen kann, was mit der Vase geschieht.
Wenn B in diesem Beispiel A die Vase wegnehmen würde, würde er mit Blick auf das Merkmal „fremd“ vorsätzlich handeln, weil er dessen rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt verstanden hat. Dieser liegt bei § 242 StGB in dem Verbot, bewegliche Sachen, über die zumindest auch ein anderer die rechtliche Verfügungsgewalt hat (vgl. § 903 Satz 1 BGB), mit Zueignungsabsicht wegzunehmen.
Nicht vorsätzlich handelt, wer zwar diese allgemeine strafrechtliche Verbotswertung nachvollzogen hat, sich aber infolge einer anderen (zumeist außerstrafrechtlichen) Fehlvorstellung vorstellt, nach Belieben mit der weggenommenen Sache verfahren zu dürfen. In diesem Fall ist auch irrelevant, ob es sich um einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum handelt. Teleologisch lässt sich diese großzügige Behandlung damit begründen, dass der Normappell des § 242 StGB, keine fremden Sachen wegzunehmen, denjenigen nicht erreicht, der schon über die Vorfrage des Eigentums irrt.
Beispiel: A ist Eigentümer einer Vase. Nach seinem Tod wird er von E beerbt. V wendet er die Vase im Wege eines Vermächtnisses zu. Der juristisch nicht vorgebildete V geht davon aus, dass er bereits aufgrund des Vermächtnisses die Vase „geerbt“ habe und daher Eigentümer sei. V nimmt A deshalb die Vase weg, um sie zu behalten.
V ist nicht nach § 1922 Abs. 1 BGB Eigentümer der Vase geworden, sondern hat als Vermächtnisnehmer nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen E auf Übereignung der Vase erworben (§§ 2174, 2147 BGB). Er hat deshalb die für ihn fremde Vase weggenommen.
Es könnte jedoch ein Tatumstandsirrtum über die Fremdheit (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) vorliegen. Zwar handelt es sich – wie im vorigen Beispiel – hier nicht um einen Sachverhalts-, sondern um einen Rechts- bzw. Subsumtionsirrtum über den Begriff der Fremdheit. Anders als zuvor irrt V jedoch in seiner Parallelwertung als Laie über den Bedeutungsunterschied zwischen der dinglich wirkenden Erbenstellung und dem schuldrechtlichen Vermächtnisanspruch. V geht davon aus, aufgrund des testamentarischen Vermächtnisses mit der Vase wie ein Eigentümer verfahren zu dürfen. Er irrt also über das Vorliegen der institutionellen Tatsache „Eigentum“, nicht jedoch über den Inhalt der strafrechtlichen Regel des § 242 StGB, dass fremde Sachen nicht weggenommen und zugeeignet werden dürfen. Er unterliegt mithin nicht einem Verbotsirrtum (§ 17 S. 1 StGB), sondern einem Tatumstandsirrtum über die Fremdheit und handelt daher ohne Vorsatz.
Jedenfalls fehlt es an der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung, wenn der Vermächtnisanspruch des V gegen E auf Übereignung der Vase fällig und einredefrei ist (vgl. → Rn. 196 ff.).
Absicht rechtswidriger Zueignung
Über den „einfachen“ Vorsatz hinaus erfordert § 242 StGB, dass der Täter die Sache in der Absicht wegnimmt, sie sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Da sich die Zueignungsabsicht nicht auf Elemente des objektiven Tatbestands bezieht, wird sie auch als „überschießende Innentendenz“ bezeichnet. Sie gibt dem Diebstahl zudem sein Gepräge als kupiertes Erfolgsdelikt,
Zueignungsabsicht
Grundlagen und Funktion des Merkmals
Das Merkmal der Zueignungsabsicht kennzeichnet das diebstahlstypische Unrecht und stellt den Bezug zum Rechtsgut Eigentum her. Eine Strafbarkeit nach § 242 StGB setzt daher neben der Gewahrsamsverletzung auch voraus, dass der Täter den Eigentümer in seiner Herrschaftsposition verdrängen und sich oder einen Dritten an diese Stelle setzen will.
Die Zueignungsabsicht ist in eine opfer- und eine täterbezogene Komponente zu trennen:
Mit dieser Unterscheidung sind nach hM auch unterschiedliche Vorsatzanforderungen verbunden (s. zu den Gründen dafür ebenfalls → Rn. 181 ff.): Für den Vorsatz hinsichtlich der dauernden Enteignung genügt danach bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Dagegen ist hinsichtlich der zumindest vorübergehenden Aneignung Absicht im engeren Sinne (dolus directus 1. Grades) erforderlich.
Neben der unrechtskonturierenden Funktion erfüllt das Merkmal der Zueignungsabsicht in zweierlei Hinsicht eine Abgrenzungsfunktion:
Der Enteignungsvorsatz grenzt den Diebstahl zur bloßen Gebrauchsanmaßung (furtum usus) ab, bei der die weggenommene Sache dem Eigentümer nicht dauerhaft entzogen bleiben soll. Eine solche bloße Besitzverletzung ist grundsätzlich straflos und nur in Ausnahmefällen – nämlich beim unbefugten Gebrauch von Kraftfahrzeugen (§ 248b StGB) und für Pfandleiher (§ 290 StGB) – unter Strafe gestellt.
Durch die Aneignungsabsicht unterscheidet sich der Diebstahl von der bloßen Sachbeschädigung oder Sachentziehung (zB durch Wegwerfen oder Zerstören unmittelbar nach der Wegnahme). Diese ist ebenfalls grundsätzlich straflos, eine wichtige Ausnahme bilden aber die Sachbeschädigungsdelikte (§§ 303 ff. StGB).
Auch wenn das Vorliegen der Zueignungsabsicht im Einzelfall nicht über Strafbarkeit oder Straflosigkeit entscheidet, sondern ohnehin die §§ 248b, 290, 303 ff. StGB eingreifen, bleibt die Abgrenzung von Diebstahl, Gebrauchsanmaßung und Sachentziehung wichtig. Denn § 242 StGB eröffnet einen höheren Strafrahmen als die Auffangtatbestände und bildet außerdem den Grundtatbestand für erheblich schwerer bestrafte Strafschärfungen und Qualifikationen (§§ 243, 244, 244a StGB).
Häufig werden die Anforderungen an die Zueignung zusammenfassend durch die Formel beschrieben, der Täter müsse sich eine eigentümerähnliche Herrschaftsmacht anmaßen (se ut dominum gerere), also eine den Befugnissen des § 903 S. 1 BGB entsprechende Stellung einnehmen wollen.
Zum einen zeigen sich auch schwächere Rechtsstellungen als die des Eigentums in der Ausübung von Nutzungs- oder Ausschließungsbefugnissen.
Vgl. Zopfs, ZJS 2009, 649 (649 f., 651). So darf etwa auch ein Mieter oder Entleiher die Sache nutzen und wird sich dabei typischerweise nicht anders verhalten als ein Eigentümer. Selbst der nicht berechtigte Besitzer hat aufgrund des possessorischen Besitzschutzes (§§ 858 ff. BGB) Ausschließungsmöglichkeiten. Fragt man also nur danach, ob der Täter sich eine eigentümerähnliche Herrschaft anmaßt, lässt sich dadurch noch nicht die gebotene Abgrenzung zwischen Enteignung und bloßer Gebrauchsanmaßung leisten.Zum anderen beschreibt das „se ut dominum gerere“ auch die Aneignungskomponente als Abgrenzung zur bloßen Sachbeschädigung oder ‑entziehung nicht hinreichend klar (näher → Rn. 153 ff.).
Gleichwohl kann die Orientierung an § 903 S. 1 BGB in Einzelfällen hilfreich sein, um die Anforderungen an eine Zueignung zu bestimmen. So kommt es etwa in den Rückverkaufs-Fällen nach hM maßgeblich darauf an, ob der Täter die Eigentümerstellung des Opfers leugnen will, indem er beim Rückverkauf vorspiegelt, es handele sich um eine andere, für den Eigentümer fremde Sache (→ Rn. 136 ff.).
Als Element des subjektiven Tatbestandes muss die Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Tathandlung vorliegen, also spätestens bei der letzten Wegnahmehandlung. Eine später gefasste Zueignungsabsicht kann allenfalls eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB) begründen. Umgekehrt lässt ein später gefasster Entschluss, die Sache zurückzugeben, die Verwirklichung des § 242 Abs. 1 StGB unberührt.
Beispiel (nach BGH NStZ-RR 2012, 207): T hegt aufgrund einer Persönlichkeitsstörung den Wunsch, bei einem Diebstahl entdeckt und gestellt zu werden. Er packt deshalb im Supermarkt Waren im Wert von mehreren hundert Euro in seinen Rucksack. Als er auch nach Verlassen des Ladens wider Erwarten nicht gestellt wird, behält er die Waren.
Ein Enteignungsvorsatz würde voraussetzen, dass T zumindest die Möglichkeit gekannt hat, dass die Waren dauerhaft nicht zum Eigentümer zurückkehren würden, und dies billigend in Kauf genommen hat. Da T aber davon ausgeht, noch vor Verlassen des Ladens gestellt zu werden und die Waren sogleich zurückgeben zu müssen, handelt er nicht mit Enteignungsvorsatz.
Dass er nach der Wegnahmehandlung beschließt, die Sachen zu behalten, erfüllt daher allenfalls § 246 Abs. 1 StGB.
Gegenstand der beabsichtigten Zueignung
Was genau Gegenstand der beabsichtigten Zueignung sein kann, ist umstritten:
Substanztheorien
Einigkeit besteht zumindest insoweit, dass im Ausgangspunkt die Substanz der Sache selbst das Objekt der Enteignung und Aneignung ist (Substanztheorie). Auch die Rechtsprechung hat deshalb zunächst darauf abgestellt, ob der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz hat, dass die weggenommene Sachsubstanz (zB ein Automobil) dauerhaft nicht zum Eigentümer bzw. zum bisherigen Gewahrsamsinhaber zurückkehren soll.
Hauptargument für das Abstellen auf die Sachsubstanz ist, dass die §§ 242 ff. StGB das Eigentum an konkreten Sachen und nicht den Wert einer Sache oder das Vermögen als Ganzes schützen. Anders als der Betrug (§ 263 StGB) ist der Diebstahl ein Zueignungsdelikt, kein Vermögensverschiebungsdelikt.
Mit Blick auf einige Grenzfälle wurde die Substanztheorie dahingehend erweitert, dass es auch genügt, wenn der Täter der Sache ihre objektiv innewohnende Funktion dem Eigentümer auf Dauer entziehen will. In dieser Form als modifizierte Substanztheorie wird die Substanztheorie heute noch von einigen in der Literatur vertreten.
Beispiel: Nach der modifizierten Substanztheorie ist ein Diebstahl auch dann zu bejahen, wenn der Täter einen Einweg-Kugelschreiber entwendet, um ihn „leerzuschreiben“ und dann zurückzugeben.
Jedenfalls aber muss sich die Absicht zumindest mittelbar darauf richten, die der Sachsubstanz innewohnende Gebrauchsmöglichkeit zu entziehen und sich oder einem Dritten zu verschaffen. Es genügt deshalb nicht, wenn die Tat lediglich das Vermögen des Opfers mindern will oder etwa dazu dient, das Opfer zu ärgern oder sich an ihm zu rächen (näher → Rn. 154 ff.).
Sachwerttheorien
Andere Auffassungen stellen dagegen nicht auf die Substanz der Sache, sondern auf ihren wirtschaftlichen Wert ab (Sachwerttheorie). Maßgeblich ist danach nicht, ob der Täter die Sache selbst dauerhaft dem Eigentümer entziehen und sich aneignen will. Vielmehr kommt es darauf an, ob er einen in der Sache verkörperten oder zumindest mit ihrer Hilfe erzielbaren wirtschaftlichen Wert dem Vermögen des Eigentümers entziehen und ihn seinem eigenen Vermögen bzw. dem eines Dritten einverleiben will.
Im Einzelnen ist jedoch wiederum unklar, wie weit der Sachwertgedanke reicht. Nach der engen Sachwerttheorie muss der entzogene Sachwert ein wesentlicher und damit eigenständiger wirtschaftlicher (Gebrauchs‑)Wert sein, der spezifisch mit der Sache verbunden ist bzw. ihr innewohnt. Erfasst ist also nur die Entziehung und Aneignung des unmittelbar aus dem Verbrauch oder der Verwertung der Sache hervorgehenden Ertrags (lucrum ex re).
Beispiele:
Die Einziehung einer in einem Wertpapier verbrieften Forderung führt dazu, dass das Wertpapier wirtschaftlich wertlos wird und damit unmittelbar der Ertrag aus der Sache (lucrum ex re) gezogen wird. Daher ist eine Zueignung auch nach der engen Sachwerttheorie zu bejahen (→ Rn. 112 ff.).
Ein Personalausweis dient dagegen lediglich der Identitätsprüfung, sodass bei einer Wegnahme mit geplantem Einsatz nur der Ertrag aus einem Geschäft mit der Sache (lucrum ex negotio cum re) zugeeignet wird, ohne dass die Nutzung den wirtschaftlichen Wert des Ausweises mindert. Hier könnte allenfalls nach der weiten Sachwerttheorie eine Zueignungsabsicht vorliegen (→ Rn. 120 ff.).
Ein alleiniges Abstellen auf den Sachwert führt dazu, dass die Grenze zwischen den Zueignungs- und Vermögensverschiebungsdelikten verwischt wird. Die Zueignungsdelikte der §§ 242 ff. StGB erscheinen damit systematisch als bloße Spezialfälle der Vermögensdelikte ieS, die das Vermögen im Ganzen schützen.
Vertiefung: Ein weiteres klassisches Gegenargument gegen die Sachwerttheorien ist, dass bei konsequenter Anwendung eine Zueignungsabsicht ausscheide, wenn für eine Sache kein Markt existiere und sie daher wirtschaftlich nicht verwertet werden könne.
Wichtiger Hinweis: Der Umgang mit dem Sachwertgedanken wird dadurch erschwert, dass der Begriff des Sachwerts in unterschiedlichen Zusammenhängen mit verschiedenen Bedeutungsgehalten verwendet wird:
Der Sachwertgedanke erscheint erstens (wie hier) als Ausweitung des Zueignungsgegenstandes. Dabei spielt er vor allem für den Enteignungsvorsatz eine Rolle, wobei er meist die genannten Fälle der Sachwertentziehung ohne Substanzveränderung betrifft, insb. bei Wertpapieren und Sparbüchern (→ Rn. 112 ff.). Ferner wird die Unterscheidung von verkörpertem Sachwert (lucrum ex re) und wirtschaftlichem Äquivalent (lucrum ex negotio cum re) in anderen Zusammenhängen bei der Argumentation herangezogen, wenn zu entscheiden ist, ob eine Zueignung vorliegt (vgl. → Rn. 123 f.; → Rn. 125 ff. und → Rn. 135 ff.).
Zweitens spielt die Sachwertminderung bei der Abgrenzung von Gebrauchsanmaßung und Enteignung eine Rolle (→ Rn. 104 ff.).
Drittens ist umstritten, welche Bedeutung der Sachwert auf der Aneignungsseite hat (→ Rn. 154 ff.).
Viertens wird der Sachwertgedanke auch als restriktives Korrektiv für den Zueignungsbegriff eingesetzt (→ Rn. 92).
Vereinigungstheorie
Ausgehend von diesen Grundlagen hat das RG schließlich Substanztheorie und (enge) Sachwerttheorie zu der heute in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Vereinigungstheorie zusammengeführt. Danach ist im Ausgangspunkt die Entziehung und Aneignung der Sachsubstanz und ggf. der ihr innewohnenden Funktion maßgeblich, ergänzend bzw. subsidiär ist jedoch auf den Sachwert im engeren Sinne (lucrum ex re) abzustellen. Die Rechtsprechung gelangt damit zur folgenden Definition der Zueignung:
„Das Wesen der Zueignung besteht darin, daß die Sache selbst, oder doch der in ihr verkörperte Sachwert, vom Täter dem eigenen Vermögen einverleibt wird.“
RGSt 61, 228 (233) (Herv. d. Verf.); später übernommen von BGHSt 4, 236 (238); BGHSt 24, 115 (119); 35, 152 (157); 63, 215 (217); BGH NJW 1977, 1460; NJW 1985, 812; zust. etwa Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 242 Rn. 49; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 242 Rn. 35; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 242 Rn. 22; ähnlich Wessels, NJW 1965, 1153 (1157); Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT II, 46. Aufl. (2023), Rn. 148.
Auch die Vereinigungstheorie wird jedoch von den Vertretern der anderen beiden Standpunkte kritisiert: Zum einen kann man aus Sicht der Substanztheorien die gleichen Argumente wie gegen die Sachwerttheorie vorbringen, soweit die Vereinigungstheorie auf den Sachwert abstellt. Zum anderen wird das Verständnis als weite „Alternativtheorie“ kritisiert, bei der in einer „rechtsstaatlich geradezu anrüchig austauschbaren Argumentation“
In der Rechtsprechung des BGH und der Literatur wird die Vereinigungstheorie daher restriktiv gehandhabt, nämlich als nur punktuelle Korrektur der Substanztheorie durch den subsidiären Sachwertgedanken. Dies geschieht zum einen durch eine strikte Begrenzung auf das lucrum ex re entsprechend der engen Sachwerttheorie (s. zu einzelnen Konstellationen → Rn. 111 ff.). Zum anderen wird die Aneignungsabsicht vermögensbezogen verstanden, sodass es etwa nicht ausreicht, wenn der Täter eine Sache nur wegnimmt, um sie sofort zerstören, das Opfer zu ärgern oder sich an ihm zu rächen (→ Rn. 157 ff.). Teile der Literatur sehen den Sachwertgedanken darüber hinaus sogar als restriktives Korrektiv, nach dem eine Zueignungsabsicht trotz geplanter Substanzzueignung ausscheiden soll, wenn der Täter ausnahmsweise keinen wirtschaftlichen Vorteil erlangen will.
Klausurhinweis: In der Klausur kann in einfachen Fällen die Definition von Enteignungsvorsatz und Aneignungsabsicht auf Grundlage der Vereinigungstheorie zugrunde gelegt werden. In Problemfällen sollten die einzelnen Theorien knapp dargestellt werden. Der Schwerpunkt liegt jedoch häufig weniger auf einer Streitentscheidung als auf einer überzeugenden Subsumtion des Einzelfalls unter die verschiedenen Kriterien von Substanz- und Sachwerttheorie und ihrer Gewichtung im Rahmen der Vereinigungstheorie. Bei der Abwägung dieser Kriterien können dabei auch die für und gegen die Einzeltheorien sprechenden Argumente angeführt werden.
Vertiefung: Die Probleme bei der Bestimmung des Zueignungsgegenstandes und die Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Definition der Zueignung sind letztlich Ausdruck eines strafrechtlichen Vermögensschutzes, den man positiv gewendet als fragmentarisch, negativ gewendet als mangelhaft harmonisiert beschreiben kann. Dies offenbart sich etwa an gewissen Wertungsdifferenzen, weil die Vermögensdelikte ieS auch den Besitz als Vermögenswert schützen. Daher kann es sein, dass der gleiche Vermögensgegenstand nicht nach § 242 StGB gegen eine Wegnahme, aber nach §§ 253 und 263 StGB gegen nötigungs- oder täuschungsbedingte Schäden geschützt ist. Dies ist zugleich eine weitere Ursache für die Probleme bei der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung.
Vorsatz bezüglich dauerhafter Enteignung
Die erste Komponente der Zueignungsabsicht ist der Vorsatz bezüglich einer dauernden Enteignung des Eigentümers.
Nach der Vereinigungstheorie richtet sich der Enteignungsvorsatz auf eine dauerhafte Entziehung der Sachsubstanz oder zumindest des in der Sache verkörperten Sachwerts.
Die zahlreichen Grenzfälle der Enteignungskomponente lassen sich vereinfachend in drei (sich zum Teil überschneidende) Problemkonstellationen unterteilen:
Erstens geht es um die Frage, ab welchem Ausmaß an beabsichtigter Nutzung ein bloßer Gebrauchsanmaßungs- in einen Enteignungsvorsatz umschlägt (→ Rn. 95 ff.).
Zweitens stellt sich die Frage, inwiefern es ausreicht, wenn die Sachsubstanz an den Berechtigten zurückkehren soll, aber in der Sache ein Inhalt verkörpert ist, dessen Sachwert entzogen werden soll (→ Rn. 111 ff.).
Drittens gibt es Fälle, in denen die Sache zwar zum Eigentümer bzw. früheren Gewahrsamsinhaber zurückgelangen soll, der Täter die Wegnahme aber dazu ausnutzen will, den Berechtigten zu einer Zahlung zu veranlassen (→ Rn. 135 ff.).
Ausmaß der Nutzung und Abgrenzung zur bloßen Gebrauchsanmaßung
Das zentrale Problem des Enteignungsbegriffs ist, wie bereits erwähnt, die Abgrenzung zur bloßen Gebrauchsanmaßung (furtum usus). Sie dient der Begrenzung des Diebstahltatbestands auf Eigentumsverletzungen, da der bloße Besitz strafrechtlich nur fragmentarisch (§§ 248b, 290 StGB) geschützt ist. Der Vorsatz zu dauerhafter Enteignung ist demnach regelmäßig zu bejahen, wenn der Täter die Sache verbrauchen, an einen Dritten veräußern, dauerhaft selbst nutzen, beschädigen oder zerstören will (allerdings fehlt es in den letzten beiden Fällen häufig an der Aneignungsabsicht, → Rn. 157 ff.). Daneben stellt sich aber die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Täter auch dann mit Vorsatz bezüglich einer dauernden Enteignung handelt, wenn er die weggenommene Sache (zB ein illegal „ausgeliehenes“ Fahrrad) nach seiner Vorstellung zum Eigentümer bzw. früheren Gewahrsamsinhaber zurückbringen will oder der Besitz jedenfalls nicht langfristig vorenthalten werden soll.
Die Unterscheidung zwischen der für § 242 StGB ausreichenden „Einverleibung“ der Sache einerseits und der nur nach den §§ 248b, 290 StGB strafbaren Gebrauchsanmaßung ist eine quantitative Abgrenzung und nicht mit eindeutigen Abstufungen möglich. Ob der Täterwille auf eine Enteignung oder nur eine Gebrauchsanmaßung gerichtet ist, ist anhand verschiedener Kriterien zu ermitteln. Dazu gehören auf Grundlage der Vereinigungstheorie insbesondere die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zum Berechtigten,
Bei der Abgrenzung von Enteignungs- und Gebrauchsanmaßungsabsicht stellen sich insbesondere die folgenden Einzelfragen:
Unterscheidung von Enteignungsvorsatz und Rückführungswille
Die Unterscheidung zwischen einem mit Zueignungsabsicht begangenen Diebstahl und einer bloßen Gebrauchsanmaßung bestimmt sich zunächst danach, ob der Täter zum Zeitpunkt den Willen hatte, die Sache zum Eigentümer zurückgelangen zu lassen (Rückführungswille). Hier kann die Bestimmung der inneren Tatseite erhebliche Probleme aufwerfen.
Den praktisch wichtigsten Unterfall bildet die vorübergehende Entziehung des Besitzes an Kraftfahrzeugen, bei dem das Vorliegen eines Rückführungswillens über die Abgrenzung von § 242 StGB zu § 248b StGB entscheidet. Vor allem die Rechtsprechung verlangt für einen Rückführungswillen, dass der Täter vorhat, das Fahrzeug so in den Herrschaftsbereich des bisherigen Gewahrsamsinhabers zurückgelangen zu lassen, dass dieser seine ursprüngliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug ohne besondere Mühe wieder ausüben kann. Lässt er dagegen das Kfz schlicht an einer Stelle zurück, an der es dem Zugriff Dritter preisgegeben ist, und überlässt es dem Zufall, ob, wann und in welchem Zustand es zurückkehrt, soll dies ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er schon bei der Wegnahme ohne Rückführungswillen gehandelt hat.
Diese Rechtsprechung ist nicht unproblematisch, weil sie zu einer faktischen Beweislastumkehr führt.
Auch in anderen Fällen bereitet die Bestimmung des Täterwillens Schwierigkeiten:
Beispiel 1 (nach BGH NStZ 1981, 63): Während seiner Haft in einer JVA entschließt sich D, dem aufsichtsführenden Beamten B durch List die Anstaltsschlüssel abzunehmen und mit deren Hilfe zu entfliehen. Was nach geglückter Flucht mit den Schlüsseln geschehen sollte, bleibt bei seinem Plan offen. B bemerkt den Plan jedoch und die Wegnahme misslingt.
Der BGH hat in diesem Fall – anders als beim Abstellen von Kfz – keinen Erfahrungssatz erkannt, wonach entwendete Schlüssel nach einem Gefängnisausbruch typischerweise nicht zurückgelangen sollen, und deshalb eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls verneint. Vielmehr stellte er klar, dass das „bloße Fehlen des Willens, die eigenmächtig in Gebrauch genommene Sache dem Eigentümer wieder zurückzugeben, den Nachweis des auf dauernden [sic] Enteignung gerichteten Vorsatzes nicht zu ersetzen [vermag].“
Beispiel 2: T nimmt die geliebte Violine des O weg, um sie als „Pfand“ für eine Geldforderung einzusetzen, die er gegen O hat. Er erwartet, dass O dann zahlen wird, und will die Geige in diesem Fall sofort zurückgeben.
In diesem Fall hängt der Rückführungswille davon ab, was T unter der „Inpfandnahme“ versteht. Der Sachverhalt ist umfassend darauf auszuwerten, ob er das Eigentum des O an der Violine weiterhin anerkennt. Dies liegt nahe, wenn er für den Fall der Zahlung ohne Weiteres zur Rückgabe bereit ist, nicht dagegen, wenn er von vornherein davon ausgeht, Befriedigung nur aus der Verwertung des Pfandes zu erlangen. Hierfür spielt etwa eine Rolle, wie er Art und Wert des Sicherungsgutes sowie die Zahlungsfähigkeit des Schuldners einschätzt und für welche Dauer er die Sache entziehen will.
Vorübergehende Entziehung mit und ohne Wertminderung
Auch wenn der Täter mit Rückführungswillen handelt, also die Sache dem Berechtigten nur vorübergehend entziehen will, kann ein Vorsatz zu dauerhafter Enteignung zu bejahen sein, wenn die vorgestellte Besitzentziehung aufgrund einer erheblichen Wertminderung in eine Enteignung des Sachwertes umschlagen würde.
Beispiel: T plant, das von O entwendete Kfz in einem Straßenrennen zu Schrott zu fahren und dann an O zurückzugeben.
Dass hier ein Enteignungsvorsatz vorliegt, kann man auch mit der modifizierten Substanztheorie begründen, wenn die Sache nach der vom Täter beabsichtigten Rückgabe die in ihr angelegte Funktion nicht mehr in gleicher Weise erfüllen könnte.
Unbeachtlich sind jedoch unwesentliche Einbußen, die nicht einmal als teilweise Entziehung des Sachwerts angesehen werden können.
Beispiel: Kraftstoffverbrauch oder eine geringfügige Abnutzung von Reifen und Bremsen, wenn ein Fahrzeug vorübergehend unbefugt genutzt werden soll
Hier geht es auch darum, dass § 248b StGB leerliefe, wenn jede Wegnahme eines Fahrzeugs mit der Absicht, es unbefugt zu gebrauchen, zugleich einen Diebstahl am Kraftstoff oder gar an Autoteilen darstellen würde.
Wie hoch die Wesentlichkeitsschwelle anzusetzen ist, wird unterschiedlich beurteilt.
Beispiel (nach OLG Celle NJW 1967, 1921): T geht in die Buchhandlung der O, um dort ein Buch „mitgehen zu lassen“. Als er vom Ladendetektiv gestellt wird, erklärt er, er habe von einem befreundeten Jurastudenten erfahren, dass es keinen Diebstahl darstelle, wenn man eine Sache wegnehme, sie aber alsbald zurückzugeben beabsichtige. Es lässt sich nicht nachweisen, dass T das Buch behalten und nicht zurückbringen wollte.
Das OLG Celle hat den Enteignungsvorsatz bejaht: Eine Buchhandlung, die nur neue Bücher verkaufe, habe regelmäßig nur Interesse an neuen Büchern; auch nach einmaligem Lesen könne ein Buch nicht mehr als neues verkauft werden.
Vertiefung: Vergleichbare Probleme ergeben sich etwa auch beim Entwenden von Batterien in der Absicht, sie entladen zurückzugeben. Nach der Sachwerttheorie, aber auch nach der modifizierten Substanztheorie, ist bei nicht wiederaufladbaren Batterien (Primärbatterien) ein Enteignungsvorsatz zu bejahen, da sowohl der verkörperte wirtschaftliche Wert als auch die der Batterie innewohnende Gebrauchsmöglichkeit vollständig und endgültig entzogen werden.
Langfristige Entziehung
Grundsätzlich muss der Enteignungsvorsatz auf eine dauerhafte Enteignung gerichtet sein. Nach dem Gedanken der modifizierten Substanztheorie oder der Sachwerttheorie kann er aber auch dann zu bejahen sein, wenn der Täter die Sache zwar nach einer bestimmten Zeit zurückgeben will, diese Zeitspanne aber so lang ist, dass die Nutzungsbefugnis faktisch entleert wird und die Sache damit zumindest teilweise ihre spezifische Funktion verliert.
Beispiele:
T entwendet die Tageszeitung der E, um diese drei Tage später zurückzugeben.
Bsp. nach Schmitz, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 242 Rn. 150. T entwendet im März das Boot des E und will es erst nach Ende der Saison im Oktober zurückgeben.
Die Tageszeitung bzw. das Boot erlangen ihre spezifische Funktion und ihren verkörperten Sachwert daraus, dass sie tagesaktuell bzw. während der jeweiligen Saison verwendet werden können. Ein längerer Besitzentzug nötigt den Eigentümer regelmäßig dazu, eine Ersatzsache zu beschaffen. T handelt daher in beiden Fällen mit Enteignungsvorsatz.
Reichweite der Berücksichtigung des Sachwerts bei verkörperten Inhalten
Die zweite Problemfallgruppe betrifft die Frage, wie es sich auswirkt, dass im Rechtsverkehr häufig nicht nur die Sachsubstanz für den wirtschaftlichen Wert maßgeblich ist, sondern der darin verkörperte rechtliche oder wirtschaftliche Inhalt (zB bei Gutscheinkarten, die wertlos werden, sobald die mit der Karte verknüpfte Forderung erloschen ist). In diesem Fall kann nach der Vereinigungstheorie ausnahmsweise auf den Sachwert abzustellen sein.
Wertpapiere, Sparbücher und ähnliche Fälle
Beispiel: D entwendet eine Konzertkarte des K. Er will damit Eintritt zum Konzert erhalten und sie anschließend K zurückgeben.
Die Eintrittskarte ist (sofern kein Name auf ihr eingetragen ist) ein sog. kleines Inhaberpapier, das gem. § 807 BGB weitgehend wie ein Inhaberpapier zu behandeln ist. Sie verbrieft daher gem. §§ 807, 793 Abs. 1 BGB das Recht des K, Eintritt zu dem Konzert zu erhalten.
Vertiefung zum Wertpapierrecht
Nähere Kenntnisse zum Wertpapierrecht werden in Klausuren nicht erwartet. Gleichwohl ist es auch für die strafrechtliche Falllösung hilfreich, einen Überblick über die relevanten Kategorien zu haben.
Die Systematik der Wertpapiere richtet sich nach ihren Wirkmechanismen. Dabei kann zum einen die Innehabung eines Wertpapiers zur Voraussetzung für die Ausübung des Rechts gemacht werden (vgl. § 797 BGB). Zum anderen kann dem Wertpapier eine Legitimationswirkung (auch: Liberationswirkung) zukommen, sodass eine Leistung des Schuldners an den Inhaber des Papiers auch dann befreiende Wirkung hat, wenn dieser nicht materieller Rechtsinhaber ist (vgl. § 793 Abs. 1 S. 2 BGB).
Demnach ist zu unterscheiden zwischen den Wertpapieren im weiteren Sinne, den Wertpapieren im engeren Sinne und den bloßen Legitimationspapieren und Beweisurkunden. Wertpapiere iwS verbriefen ein subjektives, vermögenswertes Recht. Wertpapiere ieS berechtigen darüber hinaus jeden Inhaber, die Leistung zu verlangen. Legitimationspapiere und Beweisurkunden sind auch im weiteren Sinne keine Wertpapiere, weil sie zur Rechtsausübung weder erforderlich noch ausreichend sind, sondern nur zu Beweiszwecken und dem Schuldnerschutz dienen.
Eine praktisch wichtige Sonderrolle nehmen die sog. kleinen Inhaberpapiere (§ 807 BGB) ein. Hierzu gehören etwa nicht individualisierte Eintritts- und Fahrkarten. Es handelt sich dabei nicht um Inhaberschuldverschreibungen i.S. des § 793 BGB, da sie deren besondere Formanforderungen nicht einhalten (weil sie z.B. den Aussteller nicht erkennen lassen oder sich der Inhalt der Schuld nur mittelbar dem Papier entnehmen lässt). Gleichwohl hat der Gesetzgeber sie mit § 807 BGB den Inhaberpapieren gleichgestellt, sodass die Inhaberschaft zur Rechtsausübung erforderlich ist und sie eine befreiende Leistung an den Inhaber erlauben.
Eine Übersicht über die wichtigsten Arten von Wertpapieren und verwandten Urkunden (ohne Orderpapiere) findet sich hier.
Wird ein Wertpapier ieS oder ein (nach § 807 BGB gleichgestelltes) kleines Inhaberpapier (zu diesen Begriffen → Rn. 113) in der Absicht entwendet, die verbriefte Forderung einzuziehen, ist nach der engen Sachwerttheorie und der Vereinigungstheorie ein Enteignungsvorsatz auch dann zu bejahen, wenn die Sachsubstanz zum Eigentümer zurückkehren soll. Denn das Recht ist in der Urkunde in zweierlei Weise verkörpert: Zum einen ist es grundsätzlich erforderlich, das Papier innezuhaben, um das Recht auszuüben (vgl. §§ 807, 797 BGB). Zum anderen wird der Schuldner durch die Leistung an den Inhaber befreit, selbst wenn dieser nicht materiell berechtigt ist (Liberationswirkung, vgl. §§ 807, 793 Abs. 1 S. 2 BGB). Mit der Verwendung der Konzertkarte will D im Beispielsfall also ein lucrum ex re entziehen, indem er sich als materiell zum Eintritt Berechtigter und damit auch als berechtigter Inhaber des Papiers ausgibt.
Von praktischer Bedeutung sind ferner Sparbücher. Ihre Besonderheit besteht darin, dass nicht jeder Inhaber des Sparbuchs, sondern nur der im Sparbuch bezeichnete Berechtigte (§ 808 Abs. 1 S. 2 BGB) die Leistung von der Bank verlangen kann. Doch ist zum einen die Inhaberschaft für die Ausübung des Rechtes erforderlich (§ 808 Abs. 2 S. 1 BGB), und zum anderen erlischt die Forderung des materiell Berechtigten, wenn die Bank an einen beliebigen Inhaber leistet (§§ 808 Abs. 1 S. 1, 362 Abs. 1 BGB). Es handelt sich daher nicht im engeren Sinne um Wertpapiere, sondern um sog. qualifizierte Legitimationspapiere (auch: hinkende Inhaberpapiere).
Gleichwohl werden im Rahmen des § 242 StGB nach überwiegender Auffassung Sparbücher den Wertpapieren ieS gleichgestellt. Eine Zueignungsabsicht ist daher zu bejahen, wenn ein Sparbuch in der Absicht weggenommen wird, die gesamte Sparsumme oder einen Teil davon abzuheben und es danach zurückzugeben. Begründen lässt sich dies damit, dass der Dieb durch Vorlage des Sparbuchs den Auszahlungsanspruch des Berechtigten zum Erlöschen bringen kann und sich daher genauso Eigentümerbefugnisse über den verkörperten Sachwert anmaßt wie bei einem Wertpapier ieS.
Vertiefung: Dies wird verschiedentlich kritisiert: Einige verweisen darauf, dass das Sparbuch keine Forderung verkörpere, sondern lediglich einen Guthabenstand nachweise. Diese Funktion verliere es auch durch unbefugtes Abheben nicht.
Mit den genannten Fällen vergleichbar sind unter anderem Guthabenkarten, Wertgutscheine,
Klausurhinweis: Wird in diesen Fällen der entwendete Gegenstand genutzt, zB mit dem Sparbuch Geld abgehoben, stellt sich ferner die Frage, ob damit § 263 Abs. 1 StGB gegenüber den Angestellten der Bank und zum Nachteil des materiell Berechtigten verwirklicht ist. Nimmt man mit der hM einen Diebstahl an, ist ein solcher Betrug aber jedenfalls mitbestrafte Nachtat.
Codekarten, Girocards und Kreditkarten
Anders als bei Wertpapieren, Sparbüchern und Legitimationspapieren ist der Wert bei Codekarten, Girocards („ec-Karten“) sowie Debit- und Kreditkarten nicht in der Karte verkörpert. Sie erfüllen auch nicht die Voraussetzungen der §§ 807 oder 808 BGB. Vielmehr handelt es sich um bloße „Zugangsschlüssel“. In vielen Fällen kommt hinzu, dass zusätzlich zur Inhaberschaft über die Karte ein Geheimcode erforderlich ist, um sie einzusetzen. Daran zeigt sich, dass der Schuldner (zB das ausstellende Kreditinstitut bei einer Girocard oder Kreditkarte) gerade nicht gegenüber jedem Inhaber zur Leistung verpflichtet sein will. Die unbefugte Verwendung betrifft also nur ein lucrum ex negotio cum re. Wird eine solche Karte in der Absicht entwendet, sie nach einem Einsatz alsbald wieder zurückzubringen, liegt daher insoweit nur eine straflose Gebrauchsanmaßung vor.
Klausurhinweis: Insbesondere das Entwenden von EC- und Kreditkarten ist eine sehr klausurrelevante Konstellation, da die Prüfung des § 242 Abs. 1 StGB mit vielen weiteren Delikten und weiteren Problemkreisen (insbesondere den §§ 263, 263a, 266b, 269, 274 StGB) kombiniert werden kann.
Entsprechendes gilt für andere Sachen, die in ähnlicher Weise dazu dienen, eine Person zu identifizieren oder eine Berechtigung zu prüfen, ohne dass der unberechtigte Einsatz den in der Sache verkörperten Wert mindert. Hierunter fällt insbesondere das vorübergehende Entwenden von Personalausweisen, um eine falsche Identität vorzutäuschen.
Wegnahme zur Ausübung der Sachherrschaft als Fremdbesitzer (Dienstmützen- und Finderlohn-Fall)
Beispiel (nach BGHSt 19, 387): Soldat D entwendet die Dienstmütze seines Kameraden O, weil er seine eigene verloren hat. Die Dienstmützen stehen im Eigentum des Bundeswehrfiskus und müssen zum Ende der Dienstzeit zurückgegeben werden. Dem will D auch nachkommen.
Im Beispiel nimmt D die Mütze des O zwar weg, um sie diesem als berechtigtem Gewahrsamsinhaber dauerhaft vorzuenthalten. Er will aber zugleich die Sachherrschaft nur als Fremdbesitzer ausüben, d. h. die Herrschaftsposition der Bundeswehr als Eigentümer respektieren.
Vertiefung: Bejaht man dagegen eine Enteignung, stellt sich das Folgeproblem, ob D auch in der Absicht handelte, sich die weggenommene Mütze anzueignen. Hinsichtlich der Sachsubstanz ist dies zu verneinen, denn selbst wenn D die Dienstmütze über längere Zeit selbst nutzen will, will er auch dies nicht in Anmaßung einer Eigentümerstellung, sondern als bloßer Gewahrsamsinhaber tun.
Fallbeispiel (nach RGSt 55, 59): F hat den verlorenen Ehering der E gefunden. T entwendet den Ring bei F und bringt ihn zu E, um den Finderlohn (§ 971 BGB) zu erhalten.
Dieser Fall ist mit Blick auf § 242 StGB ebenso zu lösen wie der Dienstmützen-Fall. Auch hier tritt T gegenüber E als Fremdbesitzer und in Anerkennung ihrer Eigentümerstellung auf. Auch nach der engen Sachwerttheorie soll E keine Werteinbuße erleiden, weil der Finderlohn kein in der verlorenen Sache verkörperter Wert ist
Wegnahme zur Übereignung an schuldrechtlich berechtigte Dritte (Pseudoboten-Fälle)
Fallbeispiel: K hat beim Versandhändler V eine Sendung per Nachnahme bestellt. T nimmt dem Paketzusteller P das Paket weg und bringt es der K, um den Nachnahmebetrag zu kassieren.
Die Paketboten-Fälle unterscheiden sich vom Dienstmützen- und Finderlohn-Fall zunächst darin, dass das Paket nach der Vorstellung des Täters T nicht zum Eigentümer V zurückgelangen soll, sondern zur Empfängerin K, die typischerweise erst mit der Übergabe des Pakets durch den Zusteller P Eigentum erlangt hätte. T will die Sache also, anders als die Täter in den obigen Fällen, nicht als Fremdbesitzer für den Eigentümer V besitzen, sodass ein Enteignungsvorsatz nicht schon deshalb ausscheidet.
Allerdings will T nur den Zustand herbeiführen, den V ohnehin herzustellen verpflichtet ist, weil K gegen ihn einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung der gekauften Ware hat (§ 433 Abs. 2 BGB). Manche schließen daraus, dass der Täter die Eigentumsordnung insgesamt respektiere und deshalb nicht mit Enteignungsvorsatz handele.
Damit stellt sich die Folgefrage, ob T auch mit Aneignungsabsicht handelt. Grundsätzlich ist es eine Anmaßung von Eigentümerbefugnissen, die Sache eigenmächtig an einen Dritten zu übertragen; dies indiziert damit eine (Selbst-)Aneignungsabsicht. Genau besehen will T jedoch nicht als Eigentümer, sondern als (Pseudo-)Bote und damit als Fremdbesitzer auftreten. Einige verneinen daher eine Selbstaneignungsabsicht und führen an, dass der Täter aus Sicht eines Dritten das Eigentum weiterhin anerkennen und seinem Vermögen auch nicht den Sachwert der Ware, sondern lediglich den gezahlten Nachnahmebetrag als bloßes lucrum ex negotio cum re einverleiben wolle.
Nach beiden Ansichten wäre jedoch zumindest eine Drittaneignungsabsicht zugunsten der K zu bejahen.
Die beabsichtigte Zueignung ist jeweils auch objektiv rechtswidrig, weil T selbst gar keinen Anspruch gegen V hatte und dem Übereignungsanspruch der K gegen V die Einrede des § 320 Abs. 1 S. 1 BGB entgegenstand (vgl. → Rn. 196 ff.). T hat sich deshalb wegen Diebstahls strafbar gemacht.
Vertiefung zur Frage, ob T sich im Beispielfall auch wegen Betrugs strafbar macht
Daneben stellt sich die Frage, ob sich T wegen Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) gegenüber und zulasten der K strafbar gemacht hat. Er hat K über seine Berechtigung, die Ware zu übereignen, getäuscht und in ihr einen entsprechenden Irrtum hervorgerufen, aufgrund dessen sie eine Vermögensverfügung über den Kaufpreis getroffen hat. Fraglich ist aber, ob es an einem Schaden fehlt, weil die durch die Zahlung entstandene Vermögensminderung kompensiert worden ist. K hat durch die Verfügung des T wegen § 935 Abs. 1 S. 1 BGB kein Eigentum an der Ware erworben. Zwar behält sie ihren kaufvertraglichen Anspruch gegen V auf Übereignung der Ware. Doch muss sie zugleich weiterhin den Kaufpreis an V zahlen, weil T nicht Gläubiger des Kaufpreisanspruchs war und auch nicht mit Zustimmung des V handelte, sodass die Zahlung an T keine Erfüllungswirkung hatte (§ 362 Abs. 1, Abs. 2 iVm § 185 BGB). Allein die Befreiung von der Kaufpreisforderung könnte aber den Verlust des an T gezahlten Geldes vollständig kompensieren. T hat sich deshalb wegen Betrugs gegenüber und zulasten der K strafbar gemacht. Bejaht man oben auch eine Strafbarkeit nach § 242 Abs. 1 StGB, kann man den Betrug wie im Sparbuchfall als mitbestrafte Nachtat ansehen.
Exkurs: Austauschen von Bargeld und von vertretbaren Sachen
In diesen Zusammenhang gehört schließlich die Frage, wie Bargeld und vertretbare Sachen im Rahmen der Zueignungsdelikte zu behandeln sind. Im Hinblick auf den Sachwertgedanken geht es dabei – gewissermaßen als Gegenstück zur Ausweitung des Zueignungsgegenstandes bei Wertpapieren und Legitimationszeichen –
Relevant wird dies insbesondere in den Fällen des eigenmächtigen Geldwechselns.
Beispiel: Ohne den Ladeninhaber zu fragen, geht T an die Bargeldkasse, entnimmt von dort fünf 10-EUR-Scheine und legt dafür einen 50-EUR-Schein aus seinem Portemonnaie in die Kasse.
Eine Auffassung verneint hier bereits die Zueignungsabsicht, weil es bei Geld nicht auf die Sachsubstanz, sondern auf die „Wertsumme“ ankomme, d.h. das wirtschaftliche Wertinteresse des Eigentümers unberührt bleibe. Hinsichtlich der Wertsumme führe das eigenmächtige Geldwechseln nur zu einer kurzfristigen Gebrauchsanmaßung.
Vertiefung: Erforderlich ist zunächst, dass eine tatsächliche Einwilligung nicht eingeholt werden kann (Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung). Zudem müssen hypothetisch die Voraussetzungen einer auf eine Übereignung gerichteten Willenserklärung vorliegen können, so muss der Eigentümer etwa geschäftsfähig sein. Schließlich muss die Zueignung entweder dem hypothetischen Willen des Eigentümers entsprechen oder dieser darf jedenfalls nicht entgegenstehen. Dies liegt zwar beim Geldwechseln wegen der Erhaltung des wirtschaftlichen Werts zumeist nahe. Zum Teil wird aber zusätzlich gefordert, dass der Täter dem Eigentümer des weggenommenen Geldes sofort das Eigentum an dem gewechselten Geld verschaffen müsse, was regelmäßig nur bei Vermengung mit einem Kassenbestand (§§ 948 Abs. 1, 947 Abs. 1 BGB) in Betracht komme.
Leugnung der Eigentümerstellung
Die dritte Fallgruppe eines unberechtigten Umgangs mit der Sache betrifft den Fall, dass der Täter die Sache zwar zum Eigentümer oder einem anderen Berechtigten gelangen lassen, daraus aber mittelbar weitere Vorteile ziehen will. Häufig handelt es sich auch hier um betrugs- und erpressungsnahe Fälle, bei denen der Täter die Sache wegnimmt, um später gegenüber dem Berechtigten eine Täuschung oder Erpressung zu begehen. Zumeist gelangen hier weder Substanz- noch Sachwertbetrachtung zu eindeutigen Ergebnissen, weshalb oftmals auf Wertungsaspekte unter Berücksichtigung der beeinträchtigten Eigentümerbefugnisse zurückzugreifen ist.
Rückverkaufs- und Lösegeld-Fälle
Beispiel (nach RGSt 57, 199): T entwendet aus einem Getreidespeicher Getreide und füllt es in Säcke. Er will die Säcke an E, den Eigentümer des Getreidespeichers, zurückverkaufen, ohne dabei offenzulegen, dass es sich um das weggenommene Getreide handelt.
Dieser Fall ähnelt prima facie den Dienstmützen- und Finderlohn-Fällen, in denen der Täter die Sache einem Dritten entziehen, sie dann aber an den Eigentümer zurückgeben will. Auch hier soll der Eigentümer die Sache voll funktionsfähig und ohne Sachwertminderung zurückerhalten. Der erhoffte Erlös aus dem Rückverkauf ist ein bloßes lucrum ex negotio cum re und könnte allenfalls nach der – nicht mehr vertretenen – weiten Sachwerttheorie einen Enteignungsvorsatz begründen.
Allerdings: Im Dienstmützen- und Finderlohn-Fall erkennt der Täter an, dass die Bundeswehr bzw. der Verlierer Eigentümer der Sache ist, und will deshalb deren Eigentümerstellung nicht beeinträchtigen. Dagegen soll im Rückverkaufs-Fall die Eigentümerstellung des Rückkäufers geleugnet werden. Aus dieser Leugnung schließt die hM, dass der Eigentümer im Rückverkaufs-Fall faktisch seine Herrschaftsgewalt über die Sache dauerhaft verliert, obwohl sie zu ihm oder zum früheren Gewahrsamsinhaber zurückkehren soll. Denn der Eigentümer soll – ohne sein Wissen – gezwungen werden, die eigene Sache als vermeintlich fremde zurückzuerwerben und sie daraufhin vermeintlich in Ausübung von Herrschaftsrechten über eine andere Sache besitzen. Dass er in Wahrheit seine früheren Herrschaftsrechte über die entwendete Sache wieder ausüben kann, soll ihm verborgen bleiben, sodass er jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft enteignet bleibt. Deshalb bejaht die hM in diesem Fall einen Enteignungsvorsatz.
Da T das Getreide veräußern, es also durch diese Verwertung wirtschaftlich sinnvoll nutzen und seinem Vermögen einverleiben will, handelt er auch mit Aneignungsabsicht (→ Rn. 157 ff.). Eine Drittaneignungsabsicht liegt dagegen nicht vor, denn der Eigentümer kann nicht Dritter iSd § 242 Abs. 1 StGB sein.
Der Rückverkauf erfüllt typischerweise den Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB, tritt jedoch als mitbestrafte Nachtat zurück, da es sich um eine Art Sicherungsbetrug handelt.
Von den Rückverkaufs-Fällen sind die Lösegeld-Fälle zu unterscheiden, in denen der Täter ein „Lösegeld“ für die Rückgabe verlangen und damit offenlegen will, die Sache weggenommen zu haben. Hier hat er nicht vor, die Eigentümerstellung des Opfers zu leugnen. Nimmt der Eigentümer ein solches „Rückkaufsangebot“ an, erhält er den Gewahrsam an der Sache als ihm gehörig zurück. Er verliert deshalb seine Herrschaftsgewalt nicht in enteignender (d. h. über den vorübergehenden Gewahrsamsverlust hinausgehender) Weise. Ein Enteignungsvorsatz ist zu verneinen, da die Wegnahme nur als Vorbereitungshandlung zu einer künftigen Erpressung (§ 253 Abs. 1 StGB) durch die Lösegeldforderung dienen soll. Daneben kann man auch von fehlender Aneignungsabsicht ausgehen, da der Täter die Sache nur vorübergehend als Erpressungsmittel nutzen will (vgl. → Rn. 157 ff.).
Vertiefung: Kritische Auseinandersetzung mit der hM
Die Differenzierung zwischen Leugnung und Offenlegung der Eigentümerstellung leuchtet im Prinzip ein, da im Rückverkaufs-Fall gewissermaßen der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ darin liegt, dass der Eigentümer durch die Leugnung faktisch seine Herrschaftsgewalt über die Sache verlieren soll, was überhaupt erst den ertragssichernden Rückverkauf ermöglicht. Der Eigentümer erhält die Sachsubstanz zwar zurück, muss sich seine Befugnisse aber neu erkaufen und übt sie anschließend nur unbewusst als Eigentümer einer vermeintlich anderen Sache aus.
Gegen die hM kann eingewandt werden, dass der Eigentümer – wenn auch unbewusst – die Sache wieder in Ausübung eigener Herrschaftsgewalt besitzt und in seiner Nutzungs- und Ausschließungsbefugnis nicht weiter beeinträchtigt ist.
Vor allem aber lässt sich allein mit der Leugnung der Eigentümerstellung nicht begründen, warum einzig im Rückverkaufs-Fall, aber nicht im Dienstmützen-, Finderlohn- und Lösegeld-Fall die Strafbarkeit gegenüber den §§ 253, 263 StGB vorverlagert werden soll. In allen Fällen bestehen ähnliche Strafbarkeitslücken, wenn die Sache schon weggenommen, aber der beabsichtigte Betrug bzw. die beabsichtigte Erpressung noch nicht versucht ist.
Leergut-Fälle
Eine Parallele zu den vorigen Konstellationen weisen schließlich die Leergut-Fälle auf. Hier entwendet der Täter Leergut, um es anschließend beim bestohlenen Händler gegen Auszahlung des „Pfandes“ zurückzugeben. Dabei ist zwischen standardisiertem und individualisiertem Leergut zu unterscheiden:
Standardisiertes Leergut (Einheitsflaschen), das vor allem bei Wasser- und Bierflaschen vorkommt, kann mangels besonderer Kennzeichnung von allen oder zumindest den meisten Herstellern verwendet werden. Zivilrechtlich zeichnet es sich dadurch aus, dass das Eigentum an der Flasche nicht beim Hersteller verbleibt. Es geht auf jeder Handelsstufe auf den nächsten Händler und schließlich auf den Endabnehmer über.
Der BGH hat in einem obiter dictum eine abweichende Lösung mit gleichem Ergebnis angedeutet: Für die Zueignungsabsicht als überschießende Innentendenz sei die objektive zivilrechtliche Eigentumslage irrelevant. Vielmehr komme es allein auf die Vorstellung des Täters von den Eigentumsverhältnissen an. Da Laien davon ausgehen dürften, dass der Händler Eigentümer bleibt, sollen sie nach ihrer Vorstellung dessen Eigentümerstellung leugnen und daher mit Enteignungsvorsatz handeln.
Individualisiertes Leergut (Individualflaschen) wird dagegen nur von einem bestimmten Hersteller bzw. Abfüller gebraucht, wobei diese Zuordnung auch dauerhaft auf dem Leergut erkennbar gemacht wird. Dabei bleibt der Hersteller Eigentümer; Händlern und Endabnehmern wird das Leergut nur zum Gebrauch überlassen.
Der BGH, der die überschießende Innentendenz unabhängig von der tatsächlichen Eigentumslage beurteilt, müsste diesen Fall jedoch anders entscheiden. Denn wenn Laien davon ausgehen, das Leergut stehe im Eigentum des Händlers, dann leugnen sie nach ihrer Vorstellung das Eigentum des Händlers und handeln daher wie bei Einheitsflaschen und im Rückverkaufs-Fall mit Enteignungsvorsatz. Damit verwirklichen sie den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 242 StGB vollständig. Obwohl sie sich die Eigentumsverletzung nur vorstellen, liegt deshalb nicht etwa nur ein (untauglicher) Versuch oder ein strafloses Wahndelikt vor, sondern ein vollendeter Diebstahl.
Klausurhinweis: Achten Sie darauf, ob im Klausursacherhalt konkrete Angaben dazu gemacht werden, wie der Täter sich die Eigentumslage vorstellt. Dann müssen Sie dazu keine Mutmaßungen anstellen.
Zusammenfassung zum Enteignungsvorsatz und Vorgehen in der Klausur
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Der Vorsatz zu einer dauernden Enteignung ist nach der Vereinigungstheorie zu bejahen, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Wegnahme eine der folgenden Vorstellungen hat:
(1) Die Sache soll überhaupt nicht zurückkehren oder nach zeitweiligem Gebrauch irgendwo aufgegeben werden, sodass es dem Zufall überlassen bleibt, ob, wann und in welchem Zustand der Eigentümer bzw. frühere Gewahrsamsinhaber sie zurückbekommt.
(2) Die Sache soll erst nach erheblicher Zeit oder nach wesentlicher Veränderung ihrer Sachsubstanz, insbesondere auch nach Entziehung der innewohnenden Funktion ([modifizierte] Substanztheorie) zurückkehren.
(3) Die Sache soll erst nach Verbrauch oder Verwertung des darin verkörperten wirtschaftlichen Werts zurückkehren (enge Sachwerttheorie).
(4) Die Sache soll nur unter Leugnung der Eigentümerstellung zurückkehren (Rückverkaufs-Fall).
Dies lässt sich anhand des folgenden, von Samson über Rönnau überlieferten Schaubildes illustrieren:
Absicht zu zumindest vorübergehender Aneignung
Neben dem Vorsatz zu einer dauerhaften Enteignung muss der Täter auch eine zumindest vorübergehende Aneignung der Sache beabsichtigen.
Gegenstand der Aneignung
Im Regelfall entsprechen sich der Gegenstand der Enteignung und der Aneignung. Die hM wendet daher auch auf der Aneignungsseite die oben dargestellten Theorien an, sodass nach der Vereinigungstheorie der Täter die Sachsubstanz oder den verkörperten Sachwert (lucrum ex re) zumindest vorübergehend seinem Vermögen einverleiben wollen muss.
Einige halten jedoch – abweichend von den Anforderungen an die Enteignung – auch die Aneignung des lucrum ex negotio cum re, also des Ertrags aus einem Geschäft mit der Sache für ausreichend.
„der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen ,einverleiben‘ oder zuführen will“
BGH NJW 1985, 812; vgl. BGH NStZ 2011, 699 (701); 2019, 344 (345); ähnlich bereits BGHSt 16, 190 (192). Noch näher an die Erfassung des lucrum ex negotio cum re rückt die Formulierung, der Täter müsse einen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil anstreben (so etwa BGH NJW 1985, 812). Dieser Maßstab ergab sich jedoch aus einer sehr extensiven Auslegung der Selbstaneignungsabsicht, die vor dem 6. StrRG 1998 nur deshalb notwendig war, weil die Drittaneignungsabsicht noch nicht normiert war (näher → Rn. 176 ff.). .
Die Frage, ob auch das lucrum ex negotio cum re Gegenstand der Aneignungsabsicht sein kann, stellt sich insbesondere, wenn eine Sache an einen Hehler verkauft werden soll. In diesem Fall soll dem Eigentümer zwar die Sachsubstanz entzogen werden, der Täter will sich aber letztlich nicht die Sache selbst, sondern nur den Verkaufserlös und damit nur ein lucrum ex negotio cum re aneignen. Ähnliches gilt im oben dargestellten Paketboten-Fall (→ Rn. 125), wo demnach der Nachnahmebetrag Gegenstand der Aneignung wäre. Allerdings kann die Frage in diesem und in vielen anderen Fällen letztlich offenbleiben. Denn auch wer nur das lucrum ex negotio cum re seinem Vermögen einverleibt, nutzt dazu typischerweise (vorübergehend) eigennützig die Sachsubstanz, indem er Erträge aus ihr zieht. Wenn ein solcher Umgang mit der Sachsubstanz vorliegt, bedarf es hinsichtlich der Aneignungskomponente keines Rückgriffs auf die (weite) Sachwerttheorie. Überdies liegen in diesen Fällen häufig die Voraussetzungen einer Drittaneignungsabsicht mit Blick auf die Sachsubstanz vor (→ Rn. 176 ff.).
Anforderungen an das geplante Aneignungsverhalten
Parallel zur Abgrenzung von Enteignung und Gebrauchsanmaßung (→ Rn. 97 ff.) kann sich bei der Prüfung der Aneignungsabsicht die Frage ergeben, welche Anforderungen an das geplante Aneignungsverhalten zu stellen sind. Es geht dabei um die Abgrenzung zur bloßen Sachentziehung oder Sachbeschädigung. Insoweit gilt zusammengefasst: Die Aneignungsabsicht fehlt, wenn sich die Tathandlung nach dem Tatplan in der bloßen Gewahrsamsentziehung erschöpfen soll und kein weiterer Umgang mit der Sache geplant ist.
Nach hM liegt deshalb auch keine Aneignungsabsicht vor, wenn der Täter die Sache sofort zerstören oder schlicht entziehen will (zB indem er einen Vogel wegfliegen lässt). Zwar liegt auch in der Sachzerstörung oder Sachentziehung eine Anmaßung von Eigentümerbefugnissen und damit grundsätzlich eine Zueignungshandlung. Man könnte daher in solchen Fällen die §§ 303 ff. StGB als subsidiär gegenüber den §§ 242, 246 StGB ansehen.
Beispiel 1 (nach BGH NStZ 2011, 699): A und S sind Mitglieder der Rocker-Gruppierung „Hells Angels“, O ist Mitglied der „Outlaws“. A und S entwenden die „Kutte“ (mit Aufnähern versehene Lederweste) des O, um hierdurch „ein Zeichen gegen die ,Outlaws‘ zu setzen“ sowie „Präsenz zu zeigen“. Sie wollen die Kutte danach vernichten und verschwinden lassen.
Der BGH hat in dieser Entscheidung deutlich gemacht, dass ein allgemeiner Schädigungswille, der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruht oder darauf gerichtet ist, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern, für eine Aneignungsabsicht nicht ausreicht.
Beispiel 2: T entwendet Strafbefehlsakten aus einem Amtsgerichtsgebäude, weil er glaubt, so eine Verurteilung verhindern zu können.
Hier gelten die gleichen Maßstäbe. Ob eine Aneignungsabsicht vorliegt, hängt also davon ab, ob T die Akten durch bloßes Vernichten verschwinden lassen will oder ob er sie zumindest vorübergehend in seine Habe bringen will.
Wichtiger Hinweis: Aus dieser hM ergibt sich, dass die zT zur Umschreibung des Aneignungsverhaltens verwendete Formel „se ut dominum gerere“ (= sich wie ein Eigentümer aufspielen) nicht nur die Enteignungskomponente (→ Rn. 95 ff.), sondern auch die Aneignungskomponente nur unzureichend beschreibt. Denn man kann die Sachzerstörung einerseits als eine besonders weitgehende Ausübung der Befugnisse aus § 903 S. 1 BGB, andererseits aber auch als das „Gegenteil der Aneignung“
Von der schlichten Sachentziehung oder -zerstörung ist der Fall abzugrenzen, dass der Täter zwar nur vorübergehend den Gewahrsam an der Sache behalten will, sie aber vor der Zerstörung oder dem Wegwerfen im eigenen Interesse nutzen will:
Beispiel (nach BGH NStZ 1981, 63): T nimmt dem Ladeninhaber O den Schlüssel zu seinem Tresor weg. Nach dem Öffnen des Tresors und dem Entwenden des Inhalts will T den Schlüssel wegwerfen.
Eine Aneignungsabsicht darf deshalb nicht vorschnell mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Täter die Sache bloß zerstören oder sonst dem Eigentümer entziehen wollte. Im Einzelfall kann sehr problematisch sein, welches Ausmaß der geplante Umgang mit der Sache erreichen muss, damit die bloße Sachentziehung in einen Diebstahl umschlägt.
Beispiel: T nimmt O ihr Mobiltelefon weg, um ihre Messenger-Chatverläufe durchzulesen und um kompromittierende Bilder zu löschen bzw. Beweismittel zu erlangen. Es ist ihm dabei gleichgültig, ob es an O zurückgelangen wird.
Mangels Rückführungswillens ist zunächst ein (bedingter) Enteignungsvorsatz zu bejahen (vgl. → Rn. 100 ff.). Fraglich ist also allein, ob T Aneignungsabsicht hatte. Die Rechtsprechung hat in mehreren jüngeren Entscheidungen erklärt, dass der Wille, ein Mobiltelefon vorübergehend zu gebrauchen, um die darauf gespeicherten Daten durchzusehen, kopieren oder zu löschen, dafür nicht ausreiche. Es mache auch keinen Unterschied, dass diese Handlungen bei Mobiltelefonen einen bestimmungsgemäßen Gebrauch darstellen würden, der grundsätzlich nur dem Eigentümer zustehe und den sich der Täter demnach anmaße. Denn die Sache werde hierdurch nicht verbraucht.
Unabhängig davon kommt eine Strafbarkeit nach den §§ 202a Abs. 1, 303 Abs. 1, 303a Abs. 1 StGB und nach § 240 StGB in Betracht.
Vertiefung: Kritische Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zur Wegnahme von Mobiltelefonen in der Absicht, sie kurzzeitig zur Nutzung oder Löschung der darauf gespeicherten Daten zu verwenden
Die Rechtsprechung zur Wegnahme von Mobiltelefonen in der Absicht, sie kurzzeitig zur Nutzung oder Löschung der darauf gespeicherten Daten zu verwenden, ist jedenfalls hinsichtlich der Begründung abzulehnen. Sie beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass eine Aneignung eine Veränderung im Vermögensbestand des Täters bzw. eines Dritten oder gar einen Verbrauch der Sache voraussetzen müsse.
Auch dass die Sache zum Eigentümer zurückgelangen soll, betrifft ausschließlich die Enteignungskomponente und ist irrelevant für die Frage, ob der Täter nur eine Sachentziehung oder eine Aneignung beabsichtigt.
Hinter den Entscheidungen steht möglicherweise auch die Überlegung, dass der Täter für die geplante Erlangung bzw. Beseitigung von Beweismitteln das Mobiltelefon in einer Weise nutzen will, die zwar technisch angelegt ist, nach dem Nutzungszweck aber nicht dem funktionstypischen Gebrauch durch einen Eigentümer entspricht.
Vertiefung zur Prüfung von §§ 249 ff. StGB im „Mobiltelefon“-Fall: Wird in diesen Fällen der Gewahrsam durch Gewalt gebrochen, ist auch § 249 Abs. 1 StGB nicht erfüllt, da dieser ebenfalls eine Zueignungsabsicht voraussetzt. Allerdings ist dann – je nachdem, welche Auffassung man zum Verhältnis der §§ 249, 255 StGB vertritt – eine Auffangstrafbarkeit wegen räuberischer Erpressung denkbar (§§ 253 Abs. 1, 255 StGB). Hierfür ist keine Zueignungsabsicht erforderlich, sondern es genügt, wenn die Wegnahme der Sache (objektiv) einen Vermögensnachteil beim Opfer verursacht und der Täter (subjektiv) mit Bereicherungsabsicht handelt. An der Bereicherungsabsicht fehlt es jedoch, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt. In diesem Fall ist dem bloßen Besitz, den der Täter erwerben will, kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert beizumessen.
Anforderungen an den Zusammenhang von Enteignung und Aneignung
Problematisch kann schließlich auch der Zusammenhang von angestrebter Enteignung und Aneignung werden.
Beispiel: T entwendet ein Buch des O, um auf einer Parkbank ein paar Seiten zu lesen. Anschließend lässt er das Buch wie geplant auf der Parkbank liegen, wo es Opfer des nächsten Regens wird.
Nach hM ist es zunächst unschädlich, dass T die Zerstörung des Buches durch den Regen als Enteignungserfolg nicht beabsichtigt, sondern nur billigend in Kauf genommen hat (→ Rn. 182 f.). Darüber hinaus soll es in solchen Fällen aber auch keinen Unterschied machen, dass die beabsichtigte Aneignung durch das Lesen im Buch schon vor der Enteignung eintritt und dass der Gegenstand der Enteignung – der Substanzwert des Buches – und der Aneignung – der Funktionswert – auseinanderfallen.
Andere verlangen demgegenüber einen funktionalen Zusammenhang, also eine „Enteignung durch Aneignung“.
Entsprechende Probleme stellen sich etwa auch beim Zurücklassen von Kraftfahrzeugen (s. auch → Rn. 101).
Besonderheiten der Drittaneignungsabsicht
Für die Zueignungsabsicht reicht es auch aus, wenn der Täter die Sache nicht sich selbst, sondern einem Dritten zueignen will. Die Drittzueignungsabsicht betrifft dabei ausschließlich die Aneignungskomponente, weshalb man präziser auch von einer Drittaneignungsabsicht sprechen kann.
Vertiefung: Anders als die §§ 253, 259, 263 StGB, bei denen schon seit jeher oder zumindest seit Längerem auch eine Drittbereicherungsabsicht genügt, war die Drittaneignungsabsicht von § 242 StGB lange Zeit nicht ausdrücklich erfasst. Erst mit dem 6. StrRG (1998) wurde diese Variante eingefügt. Zuvor behalf sich die Rspr. oftmals mit einer sehr weiten Auslegung der Selbstzueignungsabsicht. Um auch die Wegnahme mit dem Ziel einer unentgeltlichen Veräußerung zu erfassen, ließ man es insbesondere ausreichen, wenn der Täter durch unentgeltliche Weitergabe der Sache immaterielle Vorteile erlangen wollte (näher → Rn. 176 ff.). Darüber hinaus konnte man über die mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zumindest den „Hintermann“ eines ohne Selbstzueignungsabsicht handelnden Werkzeugs erfassen (weiter vertiefend → Rn. 222 ff.).
Mit der Einfügung der Drittaneignungsvariante haben sich diese Probleme weitgehend erledigt. Die Kenntnis der Historie kann aber dabei helfen, die zum Teil nach wie vor umstrittene Reichweite der Tatvarianten zu klären.
Die Drittaneignungsabsicht wirft im Wesentlichen zwei Probleme auf:
Anforderungen an die geplante Aneignungshandlung
Einerseits setzt eine Drittaneignungsabsicht nicht voraus, dass Täter und Dritter einvernehmlich zusammenwirken wollen. Es spielt also keine Rolle, ob der Dritte (nach der Vorstellung des Täters) weiß, dass die Sache durch Bruch fremden Gewahrsams erlangt wurde.
Andererseits muss der Täter aber mit der Absicht handeln, dass die Sache dem Dritten angeeignet werden soll. So fehlt es an der Drittaneignungsabsicht, wenn der Täter nur eine Gebrauchsanmaßung durch einen Dritten vorsieht
Beispiel: T ist mit ihrer Strafrechtsklausur unzufrieden und will eine Bewertung verhindern. Dazu steigt sie in die Wohnung der Korrektorin K ein, nimmt die Klausur aus dem Stapel und wirft sie draußen in eine Mülltonne.
Eine Strafbarkeit gem. §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB scheitert jedenfalls daran, dass T sich die Klausur nicht selbst aneignen will und eine mögliche (Dritt‑)Aneignung durch das Entsorgungsunternehmen nicht das End- oder Zwischenziel ihres Handelns ist.
Kommt danach eine Drittaneignungsabsicht prinzipiell in Betracht, ist umstritten, ob es erforderlich ist, dass der Täter den Aneignungserfolg bei dem Dritten selbst herbeiführen will,
Für die letztere, weite Auslegung spricht vor allem der gesetzgeberische Wille, mit der Variante der Drittaneignungsabsicht Strafbarkeitslücken zu schließen.
Dagegen lässt sich aber in systematischer Hinsicht anführen, dass für die Drittaneignungsabsicht dann weniger strenge Anforderungen gälten als für die Selbstzueignungsabsicht. Denn für eine Selbstzueignungsabsicht würde es keinesfalls ausreichen, wenn der Täter sich bloß die Möglichkeit zur Aneignung verschaffen wollte (was regelmäßig bereits mit der Wegnahme eintritt).
Reichweite und Verhältnis der Absichtsvarianten
Daneben fragt sich, wie sich Selbst‑ und Drittaneignungsabsicht zueinander verhalten und wie sie voneinander abzugrenzen sind. Das Problem hat historische Wurzeln, die sich auf die Reichweite der Selbstaneignungsabsicht beziehen (→ Rn. 168 ff.). Es wirkt jedoch insbesondere im Fall anonymer Schenkungen und Spenden fort:
Beispiel: T nimmt aus der Geldbörse des O einen 20-EUR-Schein, den er (anonym) in den Opferstock einer Kirche werfen will.
Mit der Begründung, dass sich T durch das Verschenken Eigentümerbefugnisse anmaßen will, könnte man hier bereits eine Selbstaneignungsabsicht bejahen. Aus historischen Gründen wird dies allerdings zum Teil abgelehnt: Als § 242 StGB nur die Selbstaneignungsabsicht erfasste, war nach der Rechtsprechung eine Selbstaneignung zwar bei entgeltlicher Veräußerung immer zu bejahen, bei unentgeltlicher aber nur dann, wenn der Täter zugleich eigene Vorteile erstrebte. Der Vorteilsbegriff wurde dabei wiederum recht weit verstanden und umfasste auch Fälle, in denen sich der Täter durch eine Zuwendung Aufwendungen ersparte oder er sich künftige wirtschaftliche Vorteile versprach.
Dagegen spricht aber, dass sich auch das anonyme Verschenken nicht von sonstigen Arten der Weitergabe an Dritte unterscheidet. Es kann also nicht darauf ankommen, ob der Täter ein Entgelt oder andere Vorteile erlangt. Vielmehr maßt sich jeder Eigentümerbefugnisse an, der die Sachsubstanz an Dritte veräußert.
Für sich genommen unproblematisch ist nach der heutigen Fassung des § 242 StGB dagegen, dass der Täter bei anonymen Schenkungen auch mit Drittaneignungsabsicht handelt. Streitig ist jedoch – soweit man wie oben auch eine Selbstaneignungsabsicht annimmt –, wie sich die beiden Varianten zueinander verhalten. Zum Teil werden Selbst‑ und Drittaneignungsabsicht hinsichtlich einer bestimmten Zueignungshandlung als exklusive Varianten angesehen, sodass Drittaneignungsabsicht nur vorliegen kann, wenn es an einer Selbstaneignungsabsicht fehlt.
Klausurhinweis: Von diesem Problem ist die Frage zu unterscheiden, in welchen Fällen in einem Gutachten oder bei der richterlichen Entscheidungsfindung offenbleiben kann, ob Selbst- oder Drittaneignungsabsicht vorliegt. Unabhängig davon, ob man ein Exklusivitäts- oder Subsidiaritätsverhältnis annimmt, ist eine präzise Subsumtion gefragt, sodass man sich grundsätzlich für eine Variante entscheiden muss.
In der Klausur empfiehlt es sich, zunächst eine Selbstaneignungsabsicht zu prüfen und nur, wenn diese nicht vorliegt, auf eine Drittaneignungsabsicht einzugehen. In problematischen Konstellationen wie der anonymen Spende ist es gleichwohl möglich, zuerst das Abgrenzungsproblem lediglich aufzuwerfen und dann „jedenfalls“ eine Drittaneignungsabsicht zu bejahen.
Absicht
Auch die Bestimmung des notwendigen Vorsatzgrades wirft mitunter Probleme auf.
Enteignungsvorsatz
Die überwiegende Auffassung lässt hinsichtlich der Enteignungskomponente dolus eventualis genügen.
Vertiefung: Für diese niedrigere Anforderung wird angeführt, dass es in der Vorstellung des typischen Diebes und für das diebstahlstypische Unrecht regelmäßig mehr auf die Aneignungs- als auf die Enteignungskomponente ankomme. Es komme zu Strafbarkeitslücken, wenn man für die Enteignung auch Absicht ieS verlangen würde. Ferner gebiete es die systematisch sinnvolle Abgrenzung zur bloßen Beeinträchtigung oder Entziehung der Sache, Eventualvorsatz ausreichen zu lassen. Denn so könne man einen Diebstahl auch dann bejahen, wenn der Täter sich bloß damit abfinde, dass der Gegenstand nicht zum Berechtigten zurückkehre.
Diese hM ist jedoch nicht unbestritten, weil der Wortlaut – und damit Art. 103 Abs. 2 GG – für ein echtes Absichtserfordernis auch auf der Enteignungsseite spricht.
Aneignungsabsicht
Hinsichtlich der Aneignung ist dagegen nach einhelliger Auffassung Absicht im engeren Sinne (dolus directus 1. Grades) erforderlich. Der Täter muss es bewusst als End- oder Zwischenziel seines Handelns anstreben, die Substanz oder jedenfalls den verkörperten Sachwert in die eigene Vermögenssphäre einzuverleiben.
Probleme wirft das Absichtserfordernis insbesondere auf, wenn der Täter mehrere Sachen wegnimmt, aber nur manche davon zu behalten plant. Das kommt vor allem bei Behältnissen mit Inhalt vor.
Fallbeispiel (nach BGH NJW 2019, 2868): T nimmt O eine geschlossene Schmuckschatulle weg, um den wertvollen Schmuck, den er darin erwartet, für sich zu behalten. Als T auf der Flucht feststellt, dass es sich wider Erwarten um nahezu wertlosen Modeschmuck handelt, wirft er die Schatulle nebst dem Schmuck an den Wegesrand.
1. Dass T über die Eigenschaften des tatsächlich weggenommenen Schmucks irrte, lässt den Vorsatz unberührt, weil die Identität des Tatobjekts nicht zum gesetzlichen Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB gehört und daher nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB insoweit keine Sachverhaltskenntnis erforderlich ist (error in obiecto).
Ferner müsste T mit Enteignungsvorsatz gehandelt haben. Gerade kleinere Sachen wie Schmuck oder eine Schatulle können, selbst wenn sie weggeworfen und von Dritten aufgefunden werden, regelmäßig nicht einem Eigentümer zugeordnet werden und daher nicht zu diesem zurückgelangen. T hat diesen dauerhaften Verlust der Verfügungsgewalt zumindest billigend in Kauf genommen und mithin mit bedingtem Enteignungsvorsatz gehandelt (vgl. zum „Rückführungswillen“, insb. beim Zurücklassen von Kraftfahrzeugen → Rn. 100 ff.).
T müsste schließlich mit der Absicht gehandelt haben, sich die Sachen anzueignen, d.h. sie zumindest vorübergehend seiner Vermögenssphäre einzuverleiben. Insoweit ist zwischen dem Schmuck und der Schatulle zu unterscheiden: T kam es nur auf wertvollen Schmuck an, sodass sich seine Aneignungsabsicht auf den vermuteten Schmuck konkretisiert hatte. BGH und hM verneinen daher in solchen Fällen die Absicht einer Zueignung des Behälterinhalts.
Hinsichtlich der Schatulle ist dagegen der Tatplan unklar. Wenn T die Schatulle nach seiner ursprünglichen Vorstellung im Zeitpunkt der Wegnahme behalten wollte und sie nur deshalb weggeworfen hat, weil sich nicht der erwartete Inhalt darin befand, ist eine Aneignungsabsicht zu bejahen. Dafür genügt es auch, wenn er das Behältnis nur vorübergehend, etwa für einen aufwendigen Abtransport der Beute, nutzen will.
2. T hat sich jedoch wegen eines (untauglichen) Diebstahlsversuchs am erwarteten wertvollen Schmuck strafbar gemacht (§§ 242 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB).
Zweifelhaft ist der Umfang der Aneignungsabsicht auch, wenn der Täter zunächst ein vermeintlich leeres Behältnis stiehlt, später darin weitere Sachen findet und sich entschließt, auch diese zu behalten (zB wenn er nach einem Autodiebstahl Bargeld im Handschuhfach findet). Hinsichtlich der enthaltenen Sachen ist dann regelmäßig nur eine Unterschlagung möglich, da sich ab dem Diebstahl des Autos auch die Sachen im Handschuhfach im Gewahrsam des Täters befinden und er sie bei der späteren Aneignung nicht erneut wegnimmt.
Vertiefungsbeispiel: Gefängnisausbruch in Anstaltskleidung
Einen klassischen Problemfall bildet schließlich die Frage, ob es bei einem Gefängnisausbruch in Anstaltskleidung zugleich zu einem Diebstahl an der Kleidung kommt.
Dies wird im Schrifttum nahezu einhellig abgelehnt.
Da der Täter in solchen Fällen regelmäßig keinen Rückführungswillen hat, handelt er jedenfalls mit bedingtem Enteignungsvorsatz. Die hM behilft sich deshalb damit, dass der Ausbrecher typischerweise keine Absicht ieS hinsichtlich der Aneignung aufweise. Bei besonders auffälliger Kleidung sei ihm eine Aneignung sogar unerwünscht.
Die Gegenansicht löst den Fall über die quantitative Abgrenzung von Gebrauchsanmaßungs- und Enteignungsvorsatz. Eine Zueignungsabsicht wird hier mit der Begründung verneint, dass der Täter die Anstaltskleidung nur vorübergehend nutzen wolle und sich außerdem bei auffälliger Kleidung gar nicht als Eigentümer gerieren könne.
Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung
§ 242 Abs. 1 StGB verlangt ferner, dass die beabsichtigte Zueignung rechtswidrig ist.
Grundlagen
Die Natur dieses Merkmals ist umstritten. Die wohl hM stuft die Rechtswidrigkeit der Zueignung als normatives Merkmal des objektiven Tatbestandes ein.
Vertiefung: Für die rein subjektivierende Auffassung scheint der Wortlaut des Gesetzes zu sprechen, nach dem die Rechtswidrigkeit Teil der Absicht ist.
Auf Grundlage der hM genügt es demnach nicht, wenn die Zueignung nur in der Vorstellung des Täters rechtswidrig ist, sondern sie muss es objektiv sein.
Klausurhinweis: In der Klausur ist das Merkmal unabhängig von dieser Kontroverse im subjektiven Tatbestand nach den Prüfungspunkten „Vorsatz“ und „Zueignungsabsicht“ zu prüfen. Die dogmatische Einordnung ist lediglich in Irrtumsfällen zu erörtern.
Die Rechtfertigung der beabsichtigten Zueignung ist von der Rechtfertigung der Wegnahme (→ Rn. 218 f.) zu unterscheiden.
Allgemeine Rechtfertigungsgründe
Die Zueignung kann zum einen nach den allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründen gerechtfertigt sein, also etwa durch einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB, § 228 S. 1 BGB, § 904 S. 1 BGB).
Fallbeispiel: Im Gartenhäuschen des T bricht ein Feuer aus. T nimmt sich den Feuerlöscher seines Nachbars O und löscht den Brand, wobei er den Feuerlöscher ganz entleert. Danach bringt er, wie ursprünglich geplant, den leeren Feuerlöscher zurück.
Hinsichtlich des Feuerlöschers als Behälter dürfte es schon am Enteignungsvorsatz fehlen, weil T die Sachsubstanz wieder zurückgeben wollte.
Hinsichtlich des Löschmittels handelte T mit Zueignungsabsicht. T wollte das Löschmittel nicht sofort zerstören, sondern es bestimmungsgemäß nutzen und es durch diesen Verbrauch seinem Vermögen einverleiben.
Allerdings ist die von T beabsichtigte Zueignung des Löschmittels als Aggressivnotstand gerechtfertigt (§ 904 S. 1 BGB).
Ein weiterer wichtiger Rechtfertigungsgrund ist die mutmaßliche Einwilligung des Eigentümers in die Zueignung. Diese Rechtsfigur ist nach hM der Lösungsweg für das eigenmächtige Geldwechseln sowie den Austausch anderer vertretbarer Sachen (hierzu bereits → Rn. 131 ff.).
Rechtfertigung bei fälligem, einredefreien Speziesanspruch auf Übereignung der weggenommenen Sache
Über die allgemeinen Rechtfertigungsgründe ist für § 242 StGB und die anderen Zueignungsdelikte anerkannt, dass die Zueignung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann nicht rechtswidrig ist, wenn der Täter die Sache wegnimmt, weil er einen ihm zustehenden Anspruch gegen den Eigentümer auf Übereignung der Sache hat.
Vertiefung: Dieser besondere Rechtfertigungsgrund wird daraus hergeleitet, dass der Unwert des Diebstahls kumulativ auf dem Gewahrsamsbruch (Wegnahme) und der Eigentumsverletzung (Zueignungsabsicht) beruht. Hat der Täter einen Anspruch darauf, das Eigentum zu erwerben, fehlt es an der Eigentumsverletzung, denn der Eigentümer ist ohnehin verpflichtet, den durch die Wegnahme geschaffenen Zustand herzustellen und deshalb nicht mehr schutzwürdig. Hierin liegt eine gewisse Parallele zur zivilrechtlichen Lage, in der ein schuldrechtliches Besitzrecht (§ 986 BGB) oder jedenfalls die Einrede dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegen Herausgabeansprüche des Eigentümers geltend gemacht werden kann.
Die Wegnahme kann allerdings einen rechtswidrigen Angriff auf den Besitz und verbotene Eigenmacht darstellen, sodass Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) und Besitzschutz (§ 859 Abs. 1 und 2 BGB) geübt werden können.
Eine entsprechende Rechtfertigung bei Gattungsschulden lehnt die hM grundsätzlich ab. Denn hier hat der Schuldner nach § 243 Abs. 1 BGB lediglich eine Sache mittlerer Art und Güte zu leisten, hat also ein Auswahlrecht, das eine besondere Ausprägung der Eigentümerbefugnisse darstellt. Auch dieses Auswahlrecht schützen die §§ 242 ff. StGB, da sie nicht den Wert des Sacheigentums als Vermögensgegenstand, sondern die Verfügungsgewalt über konkrete Sachen gewährleisten (formaler Eigentumsschutz).
Vertiefung: Die Gegenauffassung, die Gattungsschulden stets rechtfertigende Wirkung beimisst,
Umstritten ist die Behandlung von Geldschulden:
Fallbeispiel (nach BGHSt 17, 87 – „Moos raus“): G schuldet H noch 20 EUR . Eines Tages trifft H den G auf der Straße. Er fordert ihn mit den Worten „Moos raus“ zur Bezahlung seiner Schulden auf. G wendet sich jedoch zum Weitergehen. Daraufhin hält H ihn fest und durchsucht seine Taschen. Als er darin einen 10-EUR- und einen 5-EUR-Schein findet, nimmt er G diese weg.
Wie § 242 Abs. 1 StGB setzt auch der hier in Betracht kommende Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) voraus, dass der H mit der Absicht gehandelt hat, sich die weggenommene Sache rechtswidrig zuzueignen. Nach allgemeinen Grundsätzen ist eine (beabsichtigte) Zueignung durch einen Übereignungsanspruch nur gerechtfertigt, wenn es sich um eine Stückschuld handelt. Zwar hatte H gegen G einen fälligen und einredefreien Anspruch auf Zahlung von 20 EUR. Er hatte jedoch keinen Anspruch auf Übereignung der konkreten Scheine, die er ihm auf der Straße wegnahm. Vielmehr zeichnet sich eine Geldschuld zivilrechtlich dadurch aus, dass sie sich weder auf bestimmte Scheine und Münzen richtet, es sich also nicht um eine Stückschuld handelt, noch eine Gattungsschuld vorliegt. Vielmehr ist die Leistung einer bestimmten Geldsumme (oder eines bestimmten Geldwerts) geschuldet.
Ein erheblicher Teil der Literatur und Teile der Rechtsprechung geht davon aus, dass bei der eigenmächtigen Befriedigung von Zahlungsansprüchen die Zueignung gleichwohl gerechtfertigt sein kann. Anders als bei (Gattungs-)Sachschulden sei das Interesse des Bargeldeigentümers, bestimmte Scheine und Münzen für die Bezahlung auszuwählen, gegenüber der durch das Bargeld repräsentierten „Wertsumme“ völlig unerheblich und deshalb nicht schutzwürdig (Wertsummentheorie). Da dem Schuldner also nichts weggenommen werde, „was er als individuellen Gegenstand behalten dürfe“, sei die Geldschuld einer Stückschuld gleichzustellen und die Zueignung gerechtfertigt.
Für letztere Auffassung spricht zwar, dass die Zueignungsdelikte das Vermögen formal und gegenständlich schützen. In Abgrenzung zu den Vermögensdelikten ieS (zB §§ 253, 263 StGB) ist gerade nicht nur die Summe der Vermögenswerte als Ganzes geschützt, sondern die Nutzungs- und Ausschließungsbefugnis für jeden einzelnen Vermögensgegenstand. Insoweit ist die zivilrechtliche Wertung zu berücksichtigen, dass auch Bargeld als Eigentum der jeweiligen Person vor fremdem Zugriff geschützt ist.
Die Eigentümerstellung ändert aber nichts daran, dass der Schuldner einer Geldschuld ohnehin verpflichtet ist, dem Gläubiger die Geldsumme zu verschaffen. Die Unterscheidung von Stück- und Gattungsschuld ist dabei nach heute überwiegender Auffassung im Zivilrecht auf Geldzahlungsschulden nicht anwendbar. Die verbleibende Auswahlbefugnis beschränkt sich also auf die dingliche Ebene (der Schuldner ist Eigentümer), hat aber für die schuldrechtliche Ebene im Gegensatz zu Sachschulden keine Bedeutung. Für die besondere Rechtfertigung durch einen fälligen, einredefreien Anspruch des Täters kommt es aber allein auf die schuldrechtliche Ebene an, denn auch bei fälligen, einredefreien Speziesansprüchen ist das Opfer ja noch Eigentümer der geschuldeten Sache. Die Wertsummentheorie entspricht daher dem Telos dieses Rechtfertigungsgrundes, die Herstellung zivilrechtlich ohnehin geschuldeter Eigentumsverhältnisse nicht als Zueignungsdelikt zu bestrafen. Vielmehr liegt dann nur zivilrechtlich eine verbotene Eigenmacht und strafrechtlich ggf. eine Nötigung vor. Deshalb ist die Zueignung als gerechtfertigt anzusehen.
Allerdings kommt in solchen Fällen häufig ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum über die Rechtswidrigkeit der Zueignung in Betracht (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB; näher dazu → Rn. 208 ff.).
Vertiefung: Bei einer beabsichtigten Drittaneignung genügt es nach hM auch, wenn nur dem Dritten ein fälliger, einredefreier Eigentumsverschaffungsanspruch zusteht.
Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung
Da die Rechtswidrigkeit der angestrebten Zueignung ein objektives Tatbestands- bzw. Rechtswidrigkeitsmerkmal ist, muss der Täter diesbezüglich vorsätzlich handeln. Insoweit genügt nach allgemeiner Meinung dolus eventualis.
Irrige Annahme einer Rechtfertigung
Umstritten ist zunächst die Behandlung von Fällen, in denen der Täter irrig davon ausgeht, dass die Zueignung gerechtfertigt sei, insbesondere wenn er annimmt, einen fälligen, einredefreien Speziesanspruch auf Übereignung der Sache zu haben. Insofern ist zu unterscheiden:
Geht der Täter irrig von tatsächlichen Voraussetzungen aus, die bei ihrem Vorliegen einen solchen Rechtfertigungsgrund begründen würden, fehlt ihm der Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Zueignung. Die genaue Rechtsfolge hängt davon ab, wie man das Merkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung in den Verbrechensaufbau einordnet (hierzu schon → Rn. 189 ff.). Sieht man die Rechtswidrigkeit der Zueignung mit der hM als (normatives) Tatbestandsmerkmal an, liegt ein Tatumstandsirrtum vor, der nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB den Tatbestandsvorsatz ausschließt.
Nimmt der Täter dagegen ein gar nicht bestehendes Zueignungsrecht in Anspruch, handelt er (nach allen Auffassungen) in einem Verbotsirrtum in Form eines Erlaubnisirrtums, dessen Auswirkungen von seiner Vermeidbarkeit abhängen (§ 17 S. 1 StGB).
Beispiel: T denkt, man dürfe auf Feldern frei herumliegende Früchte zum Eigenbedarf mitnehmen.
In beiden Fallkonstellationen gelangen die Ansichten also über zT unterschiedliche Konstruktionen zum gleichen Ergebnis. Ergebnisrelevant ist daher vor allem die Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtümern. Hierfür kommt es – wie für den Vorsatz hinsichtlich der Fremdheit der Sache und hinsichtlich der Gewahrsamsverhältnisse (→ Rn. 66 ff.) – maßgeblich darauf an, ob der Täter bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Rechtswidrigkeit der Zueignung“ richtig erkannt hat. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie streng die Anforderungen an diese Bedeutungskenntnis sein sollen. Aufgrund der oftmals komplexen, für Laien nur schwer nachvollziehbaren rechtlichen Vorfragen ist hier kein allzu strenger Maßstab anzulegen.
Problematisch ist die Abgrenzung etwa bei der eigenmächtigen Befriedigung von Zahlungsansprüchen. Der BGH folgt insoweit nicht der „Wertsummentheorie“ und hält daran fest, dass ein Gläubiger wegen eines Gattungsanspruchs nicht einfach auf Bargeld des Schuldners zugreifen dürfe (hierzu → Rn. 196 ff.). Allerdings hat er klargestellt, dass die irrige Annahme eines rechtsunkundigen Täters, man dürfe Zahlungsansprüche selbst durch Wegnahme von Bargeld befriedigen, regelmäßig einen Tatumstandsirrtum über die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung begründe.
Klausurhinweis: Ein pragmatischer Umgang in der Klausur besteht bei Fällen der eigenmächtigen Forderungsbefriedigung darin, schlicht zu behaupten, dass es sich bei der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt und ein diesbezüglicher Irrtum des Täters zur Anwendung von § 16 Abs. 1 S. 1 StGB führt. Ihr Ergebnis liegt dann im Fahrwasser des BGH und kann sich zumindest auf den groben Ansatz einer dogmatischen Begründung stützen.
Fehlende Kenntnis vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes
Das umgekehrte Problem tritt auf, wenn die objektiven Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der Zueignung erfüllt sind, der Täter hiervon jedoch nichts weiß und zumindest bedingten Vorsatz dahingehend hat, dass die Zueignung rechtswidrig ist.
Beispiel: A hat beim Sägewerk Holz nach individuellen Maßen bestellt und auch schon bezahlt. Die Produktion verzögert sich aber stark. Verärgert fährt A auf das Werksgelände und nimmt sich eigenmächtig dort liegendes Holz. Dabei ahnt er nicht, dass der Werksinhaber dieses Holz gerade zur Abholung für A bereitgestellt hatte.
Die hM, nach der die Rechtswidrigkeit der Zueignung ein objektives Tatbestandsmerkmal ist, verlangt entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für eine „vollständige“ Rechtfertigung ein subjektives Rechtfertigungselement. Der Täter muss danach zumindest den Erlaubnissachverhalt kennen. Anderenfalls entfällt zwar das Erfolgsunrecht, weil die Zueignung objektiv nicht rechtswidrig ist, das Handlungsunrecht bleibt aber bestehen. Es liegt dann ein (untauglicher) Diebstahlsversuch vor, da das vorhandene Handlungsunrecht bei fehlendem Erfolgsunrecht dogmatisch dem Versuchsunrecht entspricht.
Der TdL, der die Rechtswidrigkeit der Zueignung für einen besonderen Bestandteil der Zueignungsabsicht, also ein rein subjektives Merkmal hält, sieht dies folgerichtig anders und nimmt Strafbarkeit wegen vollendeten Diebstahls an.
Kennt der Täter dagegen die rechtfertigenden Umstände und geht dennoch irrig davon aus, die Zueignung sei rechtswidrig, liegt ein strafloses Wahndelikt vor.
Rechtswidrigkeit
Eine Besonderheit des § 242 Abs. 1 StGB liegt darin, dass der Begriff der Rechtswidrigkeit im Tatbestandsaufbau zweimal auftaucht: Während auf Ebene des subjektiven Tatbestands anhand des Merkmals der „Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung“ (→ Rn. 188 ff.) die Zulässigkeit der (beabsichtigten) Eigentumsverletzung erörtert wird, geht es bei der „allgemeinen“ Rechtfertigungsprüfung auf der zweiten Ebene des dreistufigen Verbrechensaufbaus um die Rechtswidrigkeit der Tathandlung, d. h. der Wegnahme. Für die Rechtswidrigkeit der Wegnahme kommt es – anders als bei der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung – nicht darauf an, ob ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übergabe und/oder Übereignung besteht. Denn solche Ansprüche müssen normalerweise auf dem Gerichtsweg und nicht nach „Wild-West“-Methode durch Wegnahme durchgesetzt werden. Eine Rechtfertigung kommt hier nur in Betracht, wenn ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund speziell die Wegnahme als „Friedensstörung“ erlaubt. In Betracht kommt dafür zB die Selbsthilfe nach § 859 Abs. 2 BGB.
Beispiel: A nimmt B das Telefon weg, das B kurz zuvor unberechtigterweise von A weggenommen hatte.
Scheitert eine Diebstahlstrafbarkeit, weil die Wegnahme rechtmäßig war, kann trotzdem eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung vorliegen.
Täterschaft und Teilnahme
Haben sich mehrere Personen an einem Diebstahl beteiligt, ist besonderes Augenmerk auf das subjektive Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht (→ Rn. 71 ff.) zu legen. Da § 25 Abs. 2 StGB nur die gegenseitige Zurechnung von objektiven, nicht aber von subjektiven Tatbestandsmerkmalen erlaubt, kann Täter, mittelbarer Täter oder Mittäter eines Diebstahls nur sein, wer selbst Zueignungsabsicht aufweist.
Beispiel: A stiehlt mit B Juwelen, weil sie überzeugt ist, B habe einen höheren Lebensstandard verdient.
Wer zum Diebstahl anstiftet oder dazu Beihilfe leistet, muss keine Selbst- oder Drittzueignungsabsicht aufweisen. Nach hM ist die Zueignungsabsicht kein besonderes persönliches Merkmal iSd §§ 14 Abs. 1, 28 StGB, sondern ein tatbezogenes Merkmal. Fehlt einem Teilnehmer die Zueignungsabsicht, kommt er daher nicht in den Genuss einer zwingenden Strafmilderung gem. § 28 Abs. 1 StGB.
Insbesondere als die Drittaneignungsabsicht noch nicht in § 242 StGB enthalten war (vor dem 6. Strafrechtsreformgesetz 1998), hat es das Erfordernis der Aneignungsabsicht erschwert, bestimmte Beteiligungskonstellationen adäquat zu erfassen.
Beispiel (nach RGSt 48, 58 – „Gänsebucht“): Bauer B fordert seinen Stallburschen S auf, die Gänse aus der Gänsebucht seines Nachbarn N in den eigenen Stall zu treiben. S hat zwar selbst kein Interesse an den Gänsen, will aber B dabei unterstützen, seinen Geflügelbestand auf Kosten des N zu mehren.
Nach der alten Rechtslage machte sich S im Beispielfall mangels Selbstaneignungsabsicht nicht nach § 242 Abs. 1 StGB strafbar. Da insofern keine tatbestandsmäßige Haupttat vorlag, war auch B nicht als Anstifter zum Diebstahl strafbar. Für diese Fälle wurde die Rechtsfigur des absichtslos-dolosen Werkzeugs entwickelt. Damit sind Personen gemeint, die (wie S im Fallbeispiel) mit Vorsatz (dolos), aber ohne Zueignungsabsicht (absichtslos) agieren. Sie werden als „Werkzeug“ iSv § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB angesehen, sodass die sie steuernde Person (im Beispiel: B) als mittelbarer Täter bestraft werden kann. Die Täterschaft des B wurde von der Rechtsprechung mit ihrer überkommenen subjektiv-objektiven Gesamtbetrachtung,
Mit Aufnahme der Drittaneignungsabsicht in § 242 Abs. 1 StGB ist der Anwendungsbereich für die Rechtsfigur des absichtslos-dolosen Werkzeugs im Wesentlichen entfallen. Weiterhin relevant kann sie aber etwa werden, wenn der Vordermann S eine Aneignung durch den Hintermann B zwar in Kauf nimmt, aber nicht mit Absicht ieS handelt.
Beispiel: Bauer B fordert seinen Stallburschen S auf, die Gänse aus der Gänsebucht seines Nachbarn N in den eigenen Stall zu treiben. Anders als im letzten Beispiel ist es S jedoch gleichgültig, was mit den Gänsen geschehen wird.
Hier kommt weiterhin nur ein Diebstahl durch B in mittelbarer Täterschaft mit S als absichtslos-dolosem Werkzeug in Frage. Lehnt man diese Konstruktion ab, kommt zum einen eine Strafbarkeit des S wegen Unterschlagung zugunsten des B in Frage, da § 246 Abs. 1 StGB anders als § 242 Abs. 1 StGB nur Aneignungsvorsatz und nicht Aneignungsabsicht verlangt (→ § 4 Rn. 18). Im Übrigen bleibt nur eine Strafbarkeit des B wegen einer (späteren) Unterschlagung der in seinen Stall gebrachten Gänse. S kann dann auch wegen Beihilfe dazu bestraft werden.
Von den vorstehend geschilderten Fällen des absichtslos-dolosen Werkzeugs zu unterscheiden sind Konstellationen, in denen der Hintermann zusätzlich die tatsächliche Steuerungsmacht hat. Hier kommt nach allgemeinen Grundsätzen immer eine mittelbare Täterschaft in Betracht.
Beispiel (nach AG München BeckRS 2022, 21271): T weist Kinder, die das Unrecht dieser Tat nicht einsehen können, dazu an, für ihn Waren aus einem Supermarkt wegzunehmen.
Versuch
Gem. § 242 Abs. 2 StGB ist der Versuch des Diebstahls strafbar. Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang häufig die Frage, ab wann der Täter zur Ausführung des Tatplans iSv § 22 StGB unmittelbar ansetzt. Vgl. dazu insbesondere die in → § 2 Rn. 60 ff. geschilderten Einbruchsfälle.
Unterlassen
Bisher ungeklärt ist die Frage, inwieweit ein Diebstahl auch durch Unterlassen (§ 13 StGB) begangen werden kann. Dieses Problem ist immer dann aufgeworfen, wenn jemand als Garant iSv § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen hat, dass eine fremde bewegliche Sache nicht abhandenkommt, und es gleichwohl vorsätzlich und trotz einer Abwehrmöglichkeit geschehen lässt, dass die Sache von Dritten weggenommen wird.
Beispiele:
– Sicherheitspersonal, das aufgrund eines Dienstvertrags die Aufgabe hat, einen wertvollen Gegenstand zu beschützen, und daher Beschützergarant iSv § 13 Abs.1 StGB ist.
– Eine Vermieter:in hat gegenüber ihren Mieter:innen aufgrund des Mietvertrags Obhuts-, Fürsorge- und Sicherungspflichten inne, was auch die Pflicht zum Schutz der Mietsache vor dem Zugriff potenzieller Diebe umfasst
Kontrovers diskutiert wird in solchen Konstellationen, ob das Nichtverhindern eines Diebstahls der aktiven Wegnahme entspricht und damit das Erfordernis der sog. Modalitätenäquivalenz erfüllt (§ 13 Abs. 1 aE StGB).
Zur Wiederholung: Unproblematisch (und daher in einer Klausur nicht der Erwähnung wert), ist dieses besondere Merkmal des unechten Unterlassungsdelikts, das sich aus dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 StGB ergibt, bei reinen Erfolgsdelikten wie § 212 StGB. Bedeutung erhält die Entsprechungsklausel dagegen insbesondere bei verhaltensgebundenen Delikten, die besondere Handlungsweisen voraussetzen. Dazu zählt auch der Diebstahl, bei dem die Tathandlung spezifisch durch den Begriff der Wegnahme beschrieben wird.
Ob die Modalitätenäquivalenz beim Diebstahl durch Unterlassen hier gegeben ist, wird unterschiedlich beurteilt. Kindhäuser/Hoven bejahen dies beispielsweise für die hier diskutierte Fallkonstellation, in der ein Garant dafür zu sorgen hat, dass der Gewahrsam an einer Sache nicht gebrochen wird.
Konkurrenzen
Mehrere Verletzungen von § 242 StGB
Nimmt ein Dieb bei der Tatausführung mehrere Sachen eines oder verschiedener Eigentümer weg (sog. iterative, d. h. wiederhole Tatbegehung), dann liegt im Regelfall nur ein Diebstahl vor.
Beispiel: T stiehlt im Supermarkt drei Flaschen Wein und einen Joghurt.
Mehrere, in Tatmehrheit stehende Diebstähle sind dagegen anzunehmen, wenn der Täter sich erst nach dem Misslingen eines Diebstahlsversuchs zur Wegnahme einer anderen Sache entschließt.
Beispiel: T versucht im Supermarkt elektrische Zahnbürsten zu stehlen. Ihm gelingt es jedoch nicht die Sicherungshalter aufzuknacken, an denen die Geräte befestigt sind. Spontan entschließt er, stattdessen Spiritousen wegzunehmen.
Wenn ein Dieb eine Sache nur stiehlt, um damit einen anderen Diebstahl vorzubereiten (zB einen Autoschlüssel, um damit später ein Auto wegzunehmen), verdrängt der spätere Diebstahl den zuvor begangenen Diebstahl als mitbestrafte Vortat.
Vertiefung: Wenn der Täter die gestohlene Sache dagegen zur Vorbereitung einer Tat nutzt, die zu Lasten einer anderen Person als dem Diebstahlsopfer begangen wird (zB einen auch die Bank schädigenden Computerbetrug, den der Täter mit einer zuvor gestohlenen Geldkarte begeht), sollen der Diebstahl und das andere Delikt (im Beispiel: der Computerbetrug) in Tatmehrheit stehen.
Konkurrenzverhältnis zu anderen Delikten
Von anderen Eigentumsdelikten, die wie § 244 StGB (schwerer Diebstahl), § 244a StGB (schwerer Bandendiebstahl), § 249 StGB (Raub), § 250 StGB (schwerer Raub), § 251 StGB (Raub mit Todesfolge) und § 252 StGB (räuberischer Diebstahl) ebenfalls voraussetzen, dass der Täter eine fremde bewegliche Sache mit Zueignungsabsicht wegnimmt, wird § 242 StGB im Wege der Spezialität verdrängt.
Probleme bereitet das Konkurrenzverhältnis des Diebstahls zur Unterschlagung. Das wird insbesondere in der Konstellation der sog. Zweitzueignung virulent, wo der Täter nach der Wegnahme eine weitere Zueignungshandlung begeht.
Beispiel: T stiehlt Eier. Später macht er sich damit zu Hause ein Omelett und verzehrt es.
Im Beispielfall begeht T zunächst einen Diebstahl (= Wegnahme der Eier) und dann eine Unterschlagung (= Verspeisen der Eier). Die jüngere Rechtsprechung und ein Teil der Literatur vertreten für solche Konstellationen die Auffassung, dass das Strafrecht die Betätigung desselben Zueignungswillens bezogen auf dieselbe Sache nur einmal erfasst. Erneute Manifestationen des Zueignungswillens seien daher schon tatbestandsmäßig keine Unterschlagung mehr (sog. Tatbestandslösung). Die Gegenauffassung meint, dass auch der Täter, der sich eine Sache durch ein Eigentums- oder Vermögensdelikt bereits zugeeignet hat, weitere Zueignungshandlungen an der Sache und damit Unterschlagung begehen könne. Im Verhältnis zum Eigentümer der Sache handelt es sich dann allerdings um mitbestrafte Nachtaten (sog. Konkurrenzlösung). Bedeutung hat der Streit, wenn sich am Zweitzueignungsakt eine weitere Person beteiligt, da diese nur nach der Konkurrenzlösung wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Unterschlagung bestraft werden kann. Näher zum Streitstand und den ausgetauschten Argumenten → § 4 Rn. 78 ff.
Seinerseits verdrängt § 242 StGB die Verwirklichung von § 248b StGB, da dies in § 248b StGB ausdrücklich angeordnet ist (sog. formelle Subsidiarität). Das gilt allerdings nicht, soweit es nur um den Verbrauch (also die Aneignung) des Treibstoffs geht, der sich im Tank des unbefugt gebrauchten Kraftfahrzeugs befindet, da sonst jeder Fall von § 248b StGB schon unter § 242 StGB fallen würden und die Norm dann keinen eigenständigen Anwendungsbereich hätte.
Ein Exklusivitätsverhältnis besteht nach hM zwischen § 242 StGB und dem Betrug gem. § 263 StGB, so dass durch dieselbe Handlung stets nur eines der beiden Delikte verwirklicht sein kann. Welches Delikt einschlägig ist, entscheidet sich anhand des Merkmals „Gewahrsamsbruch“ (Perspektive § 242 StGB, näher dazu → Rn. 51 ff.) bzw. anhand des Merkmals der Vermögensverfügung (Perspektive § 263 StGB, näher → § 11 Rn. 124 ff.).
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Verjährung
Die Strafverfolgung des Diebstahls verjährt gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB innerhalb von fünf Jahren. Ob ein besonders schwerer Fall des Diebstahls iSv § 243 StGB vorliegt, ist ausweislich von § 78 Abs. 4 StGB unbeachtlich. Anders liegt es in den Fällen von §§ 244, 244a StGB: Hier beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB).
Die Verjährung beginnt gem. § 78a S. 1 StGB mit der Beendigung der Tat, worunter die hM die materielle Beendigung (in Abgrenzung von der formellen Vollendung) versteht. Beim Diebstahl hat das zur Folge, dass die Verjährung nicht schon mit der Wegnahme zu laufen beginnt, sondern erst, wenn der Täter gesicherten Gewahrsam erlangt hat und die Sache „zur Ruhe gekommen“ ist. Unter diesen Maßstab, lässt sich nur schwer subsumieren, was der hM auch den nicht unberechtigten Vorwurf der Unbestimmtheit eingebracht hat.
Klausurhinweis: In einer juristischen Prüfung empfiehlt es sich, auf dem Boden der hM anhand des konkreten Einzelfalles auszuwerten, welche Sachverhaltsaspekte für oder gegen die Annahme von gesichertem Gewahrsam und damit für eine Tatbeendigung sprechen. Je weiter sich der Täter vom Herrschaftsbereich des Opfers entfernt und je unwahrscheinlich es wird, dass der Täter den Gewahrsam an der Beute wieder verliert, desto eher ist die Tat beendet.
Strafantragserfordernis gem. §§ 247, 248a StGB
In den Fällen des § 247 StGB (Haus- und Familiendiebstahl) kann die Tat nur verfolgt werden, wenn ein Strafantrag iSd §§ 77 ff. StGB wirksam und rechtzeitig gestellt wurde. Ähnlich ist es im Fall von § 248a StGB, wobei es sich nur ein relatives Antragserfordernis handelt. Die Tat kann also auch ohne Strafantrag verfolgt werden, wenn die Staatsanwaltschaft ein Einschreiten von Amts wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung für geboten hält.
Wahlfeststellung
In der Praxis kommt es öfter zu Konstellationen, in denen sicher ist, dass der Beschuldigte Sachen entweder selbst gestohlen oder aber von Dieben bösgläubig erworben hat. Wegen in dubio pro reo kann der Beschuldigte dann eigentlich weder wegen Diebstahl noch wegen Hehlerei bestraft werden. Die Rechtsprechung lässt es in solchen Fällen aber zu, ihn im Wege der echten Wahlfeststellung wegen Diebstahls oder Hehlerei zu verurteilen (eingehend dazu und auch zur Abgrenzung zwischen Wahlfeststellung und Postpendenzfeststellung → § 20 Rn. 90 ff.).
Mangels rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit (dazu → § 20 Rn. 91 f.) nicht möglich ist eine Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Erpressung oder Diebstahl und Betrug.
Klausurhinweis: Für die Prüfungsstruktur bei einer echten Wahlfeststellung besteht keine etablierte Praxis. Denkbar ist ein Aufbau, bei dem zunächst beide Delikte einzeln aufgrund des Zweifelssatzes verneint und anschließend gemeinsam unter den Voraussetzungen der Wahlfeststellung geprüft werden.
A. Strafbarkeit wegen Diebstahl
B. Strafbarkeit wegen Hehlerei
C. Strafbarkeit wegen Diebstahl oder Hehlerei
I. Wechselseitige Straffreiheit aufgrund des Zweifelssatzes
II. Hypothetische Strafbarkeit
1. Strafbarkeit im Falle, dass Sachverhaltsvariante 1 zutrifft
2. Strafbarkeit im Falle, dass Sachverhaltsvariante 2 zutrifft
III. Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit von Hehlerei und Diebstahl
Ebenfalls vertretbar (wenn auch wahrscheinlich deutlich unübersichtlicher) ist es, direkt mit den Voraussetzungen einer Wahlfeststellung zu beginnen und die Delikte inzident zu prüfen.
Aufbauschema zu § 242 Abs. 1 StGB
Vollendeter Diebstahl
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Fremde bewegliche Sache
Wegnahme
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz bzgl. der obj. Tatumstände
Zueignungsabsicht
Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
Teilweise werden das Tatbestandsmerkmal der objektiven Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung und der diesbezügliche Vorsatz auch unter einem gesonderten Prüfungspunkt „3.“ nach der Prüfung des subjektiven Tatbestands angesprochen (so etwa Rengier, BT I, 26. Aufl. [2024], § 2 Rn. 3). Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
Rechtswidrigkeit
Schuld
Strafzumessung: Ggf. besonders schwerer Fall des Diebstahls iSv § 243 StGB
Versuchter Diebstahl
Tatbestand
Tatentschluss
Vorsatz (bezogen auf die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache)
Zueignungsabsicht
Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
Unmittelbarer Ansetzen
Rechtswidrigkeit
Schuld
Strafzumessung: Ggf. besonders schwerer Fall des Diebstahls iSv § 243 StGB vor? (vgl. zur Anwendbarkeit von § 243 StGB auf den nur versuchten Diebstahl → § 2 Rn. 53 ff.)
Weiterführende Studienliteratur und Übungsfälle
Weiterführende Studienliteratur
Strauß, Die Abgrenzung von Betrug und Diebstahl, JuS 2024, 308
Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Gewahrsam, JuS 2009, 1088
Schramm, Grundfälle zum Diebstahl, JuS 2008, 678 und 773
Norouzi, Grundfälle zur Wahlfeststellung, Präpendenz und Postpendenz, JuS 2008, 17
Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Die Zueignungsabsicht, JuS 2007, 806
Übungsfälle
Anfänger:innen
Reinhard, Liebesschlösser – Für immer und ewig?, JA 2016, 189
Fahl, Zwischenprüfungsklausur – Strafrecht: Variationen eines Diebstahls, JuS 2004, 885
Fortgeschrittene
Liefke/Stahnke, Referendarexamensklausur – Strafrecht: Eigentums- und Vermögensdelikte – Grand Theft E-Scooter, JuS 2024, 151
Mitsch, Referendarexamensklausur – Strafrecht: Vollendung und Beendigung des Diebstahls und weitere Vermögensdelikte, JuS 2023, 57
Referendar:innen
Bischoff/Teepe, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Urteilsklausur – Von Mietern und Motorrädern, JuS 2019, 1198