Notwendiges Vorwissen: Für die Beschäftigung mit § 241 StGB sollte § 240 StGB (→ § 15) bekannt sein.
Laut polizeilicher Kriminalstatistik machte die Bedrohung im Jahr 2023 einen Anteil von 3,1 % Prozent aller erfassten Delikte in Deutschland aus. Damit ist die Bedrohung in der Praxis zwar mindestens ebenso relevant wie § 240 StGB. In der juristischen Ausbildung spielt das Delikt aber bislang nur eine untergeordnete Rolle. Zu beachten ist die im Jahr 2021 durch das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“
Vertiefung: Vergleich von § 241 StGB aF (bis 2021) und § 241 StGB nF (seit 2021)
Ein tabellarischer Vergleich zwischen § 241 StGB aF und § 241 StGB nF kann hier abgerufen werden.
Rechtsgut und Deliktsstruktur
§ 241 schützt nach hM den individuelle Rechtsfrieden, d. h. das Gefühl der durch das Recht gewährleisteten Sicherheit des Einzelnen.
Da allein die Beeinträchtigung dieses Sicherheitsgefühls den Tatbestand von § 241 StGB verwirklichen kann, ohne dass es tatsächlich zu einem Vertrauensverlust gekommen sein muss, ist § 241 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
Objektiver Tatbestand
Seit der Reform des Bedrohungstatbestandes enthält § 240 StGB zwei Bedrohungstatbestände in § 240 Abs. 1 StGB (Bedrohung mit einer rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert) und § 240 Abs. 1 StGB (Bedrohung mit einem Verbrechen) sowie einen Vortäuschungstatbestand, § 241 Abs. 3 StGB.
Bedrohungstatbestände
§ 241 Abs. 1 StGB
Bedrohung
§ 241 Abs. 1 StGB erfordert zunächst eine Drohung (→ § 15 Rn. 22).
Drohungsgegenstand
Das „empfindliche Übel“ (→ § 15 Rn. 24) der Drohung muss hier eine rechtswidrige Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (s. §§ 174 ff. StGB), die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB), die persönliche Freiheit (§§ 232 ff. StGB) oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert (§§ 303 ff. StGB) sein.
Von bedeutendem Wert ist eine Sache, wenn sie mindestens 750 EUR wert ist (hM → § 28 Rn. 22).
Die rechtswidrige Tat kann sich gegen das Opfer selbst oder gegen eine dem Opfer nahestehende Person richten (vgl. auch § 35 Abs. 1 S. 1 StGB).
Um zu bestimmen, wer eine „nahestehende Person“ iSv § 241 Abs. 1 StGB ist, kann sich wie auch bei § 35 StGB an der Legaldefinition des „Angehörigen“ in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB orientiert werden. Zwar ist nicht jeder Angehörige zugleich eine „nahestehende Person“, deren Bedrohung geeignet ist, auf das Sicherheitsgefühl des Opfers empfindlich einzuwirken.
Aus Art. 103 Abs. 2 GG ergibt sich, dass die angedrohte Tat hinreichend bestimmt sein muss.
Beispiel: Allgemeine Äußerungen wie „Sie werden keine ruhige Stunde haben“ reichen ohne zusätzliche Gesten oÄ nicht aus, um die tatsächlichen Merkmale eines Straftatbestandes zu umschreiben.
Ferner muss im Falle der Drohung mit einer gegen eine „nahestehenden Person“ gerichteten Straftat diese tatsächlich existieren.
Beispiel (nach BVerfG NJW 1995, 2776):
A sagt gegenüber der Angestellten L eines Sozialamtes: „Du schlechte Frau, pass bloß auf, deinen Kindern wird es schlecht gehen, deine Kinder sind tot.“ Allerdings hat L überhaupt keine Kinder, was A nicht weiß.
Strafbarkeit von A nach § 241 StGB?
Lösungshinweise:
A könnte sich hier nach § 241 Abs. 2 StGB wegen Bedrohung mit einem Verbrechen strafbar gemacht haben. Die Kinder von L würden, sofern sie denn existierten, als Verwandte gerader Linie (vgl. § 1589 Abs. 1 S. 1 BGB) unzweifelhaft Angehörige im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB darstellen, zu denen eine besondere Verbundenheit von S als (hypothetischer) Mutter bestünde, und die damit als „nahe Angehörige“ iSv § 241 Abs. 2 StGB angesehen werden könnten. Die Androhung „Deine Kinder sind tot“ kann zudem bei lebensnaher Betrachtung als Drohung dahin gehend ausgelegt werden, die (hypothetischen) Kinder von L zu töten und damit eine Straftat nach §§ 212, 211 StGB zu begehen (= Verbrechen, vgl. § 12 Abs. 1 StGB).
Fraglich ist allerdings, wie sich der Umstand auswirkt, dass S tatsächlich gar keine Kinder hat. Das AG Werl
Diese weite Auslegung (von § 241 StGB aF) verstößt laut BVerfG aber gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Das BVerfG führte dazu aus, dass schon nach allgemeinem Sprachgebrauch der Begriff „nahestehende Person“ auf einen tatsächlichen existierenden Menschen hinweise. Denn von einer „nahestehenden Person“ könne, ebenso wie beim entschuldigenden Notstand nach § 35 Abs. 1 StGB, nur gesprochen werden, wenn zwischen dem Täter und der betreffenden Person zur Tatzeit tatsächlich eine (schutzwürdige) Beziehung mit persönlichem Charakter bestehe. Hierfür würden auch der Telos sowie die Entstehungsgeschichte von § 241 StGB sprechen. Denn das Schutzgut der Strafvorschrift sei nicht nur der Rechtsfrieden des einzelnen, sondern auch seine durch die Bedrohung gefährdete Handlungsfreiheit. Der Gesetzgeber habe bewusst nicht jede Einwirkung auf den Rechtsfrieden unter Strafe gestellt, sondern aus der Fülle zwischenmenschlicher Einwirkungsmöglichkeiten diejenigen als sozialschädlich herausgegriffen, bei denen mit einem Verbrechen zum Nachteil des Bedrohten selbst oder einer ihm nahestehenden Person gedroht werde. Eine gegen nicht-existierende Personen gerichtete Drohung sei daher schon objektiv nicht geeignet, den Rechtsfrieden des Bedrohten zu stören und damit das geschützte Rechtsgut zu beeinträchtigen. Die gegenteilige Auffassung von AG und LG liefe im Endeffekt auf eine Strafbarkeit wegen Versuchs (Vorstellungsbild von A) hinaus, die es bei § 241 StGB (= Vergehen, § 12 Abs. 2 StGB) gerade nicht gebe, vgl. § 23 Abs. 1 StGB.
Auch wenn durch die Gesetzesänderung von 2021 nunmehr der Kreis der als „sozialschädlich“ verstandenen „zwischenmenschlichen Einwirkungsmöglichkeiten“ von Verbrechen auf gegen bestimmte Rechtsgüter gerichtete Vergehen erweitert worden ist, hat der Gesetzgeber am Erfordernis der Bedrohung des Opfers mit einer gegen dieses oder gegen einen „nahen Angehörigen“ gerichteten Tat nichts geändert. Damit ist davon auszugehen, dass die Grundsätze des BVerfG auch auf § 241 Abs. 2 StGB nF zu übertragen sind und der Gesetzgeber den Kreis der potenziellen Opfer der angedrohten Tat nicht erweitern wollte.
Daher ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass A L nicht mit der Bedrohung eines gegen nahe Angehörige gerichteten Verbrechens bedroht hat. § 241 Abs. 2 StGB ist daher nicht erfüllt. Auch § 241 Abs. 1 StGB scheitert aus demselben Grund.
§ 241 Abs. 2 StGB
§ 241 Abs. 2 StGB ist erfüllt, wenn der Täter das Opfer mit der Begehung eines gegen dieses oder gegen eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens (= rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht sind, vgl. § 12 Abs. 1 StGB), bedroht.
Klausurtipp: Beachten Sie in der Klausur auch § 12 Abs. 3 StGB, wonach Strafschärfungen und -milderungen für die Bewertung als „Verbrechen“ außer Acht bleiben.
§ 241 Abs. 2 StGB stellt einen eigenständigen Grundtatbestand dar,
Das erhöhte Strafmaß rechtfertigt sich wohl durch den besonderen Unrechtsgehalts eines Verbrechens und des damit verbundenen besonderen Angriffs auf das Sicherheitsgefühl des Opfers.
Vortäuschungstatbestand
Nach § 241 Abs. 3 StGB wird auch bestraft, wer dem Opfer wider besseres Wissen vortäuscht, dass die Verwirklichung eines gegen dieses oder gegen eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorsteht.
§ 241 Abs. 3 StGB bezieht sich nur auf Verbrechen, nicht auf Vergehen. Wenn die Begehung des Verbrechens tatsächlich bevorsteht, liegt kein „Vortäuschen“ im Sinne der Norm vor,
Qualifikation
§ 241 Abs. 4 StGB sieht eine Qualifikation sowohl für die beiden Bedrohungstatbestände als auch für den Vortäuschungstatbestand vor, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung (vgl. Art. 8 GG) oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3 StGB) begangen wird.
Öffentlich ist die Bedrohung, wenn sie von einer größeren, zahlenmäßig unbestimmten Anzahl individuell nicht bestimmbarer Personen wahrgenommen werden kann.
Hierbei sieht § 241 Abs. 4 StGB unterschiedliche Strafrahmen vor, je nachdem, ob es sich um eine Tat nach Abs. 1 StGB (Bedrohung mit einem Vergehen) oder Abs. 2 und Abs. 3 StGB (Bedrohung oder Vortäuschen eines Verbrechens) handelt.
Subjektiver Tatbestand
Für die Bedrohungstatbestände nach Abs. 1 und Abs. 2 genügt nach den allgemeinen Grundsätzen dolus eventualis.
Für den Vortäuschungstatbestand nach Abs. 3 ist nach dem Wortlaut der Norm in subjektiver Hinsicht erforderlich, dass der Täter „wider besseres Wissen“ handelt.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Keine Besonderheiten.
Versuch
Vollendet ist die Tat, wenn die Drohung zur Kenntnis der Adressatin gelangt und diese auch den Sinngehalt der Drohung wahrnimmt.
Der Versuch der Bedrohung (als Vergehen, vgl. § 12 Abs. 2 StGB) ist mangels ausdrücklicher Normierung in § 241 StGB nach § 23 Abs. 1 StGB nicht strafbar.
Klausurtipp: Achten Sie darauf: § 241 Abs. 2 StGB stellt zwar die Bedrohung „mit“ einem Verbrechen unter Strafe; dadurch wird § 241 Abs. 2 StGB aber nicht selbst zu einem Verbrechen. Vielmehr ist auch die Bedrohung mit einem Verbrechen nach § 241 Abs. 2 StGB ein Vergehen, weil im Mindestmaß Geldstrafe verhängt werden kann.
Strafantragserfordernis
Gemäß § 241 Abs. 5 StGB richtet sich das Strafantragserfordernis der Bedrohung nach dem Strafantragserfordernis der angedrohten Tat.
Klausurtipp: Bei der Androhung oder Vortäuschung eines Verbrechens nach § 241 Abs. 2 und Abs. 3 StGB wird grundsätzlich kein Strafantrag erforderlich sein.
Konkurrenzen
Verhältnis von Abs. 1 und Abs. 2
Das genaue Verhältnis von § 241 Abs. 1 zu § 241 Abs. 2 StGB ist umstritten (teilweise wird § 241 Abs. 2 StGB als Qualifikation zu § 241 Abs. 1 StGB betrachtet, teilweise als eigenständiger Tatbestand).
Verhältnis zur angedrohten Tat
§ 241 StGB tritt hinter die (versuchte) Verwirklichung der angedrohten Straftat zurück, soweit diese in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang begangen wird.
Verhältnis zur Nötigung
Sowohl § 241 Abs. 1 als auch Abs. 2 StGB treten ferner nach (noch) herrschender Meinung hinter die (versuchte) Nötigung
Weitere gegenüber § 241 StGB speziellere Normen
Einen gegenüber § 241 StGB spezielleren Tatbestand enthält § 23 WehrstrafG (Bedrohung eines Vorgesetzten).
Tateinheit
Richtet sich dieselbe Drohung gegen mehrere Opfer, liegt Tateinheit nach § 52 StGB vor.
Ebenso kann Tateinheit zu §§ 126, 145d StGB vorliegen.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Bedrohungstatbestände, Abs. 1 und Abs. 2 oder
Abs. 1 oder
Drohung → § 240 StGB
mit rechtswidriger Tat gegen in Abs. 1 genanntes Schutzgüter
gegen Opfer oder nahen Angehörigen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 11 StGB)
Abs. 2 StGB
Drohung → § 240 StGB
mit Verbrechen (vgl. § 12 Abs. 1, Abs. 3 StGB)
gegen Opfer oder nahen Angehörigen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB)
Vortäuschungstatbestand, Abs. 3
Qualifikation, Abs. 4 öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Inhalten (vgl. § 11 Abs. 3 StGB) → bezieht sich sowohl auf Abs. 1 als auch Abs. 2 und 3
Subjektiver Tatbestand
Abs. 1 und Abs. 2: dolus eventualis
Abs. 3: „wider besseres Wissen“
Rechtswidrigkeit
Schuld
Strafantrag, Abs. 5 → richtet sich nach Strafantragserfordernis der Drohtat → bei Abs. 2 und Abs. 3 grds. nicht erforderlich
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Bosch, Die Reform des Straftatbestands der Bedrohung, JURA 2024, 818
Mitsch, Der neugefasste Bedrohungstatbestand (§ 241 StGB), ZJS 2022, 182
Satzger, Der Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB), JURA 2015, 156 (zu § 241 StGB aF)
Übungsfälle
Hoffmann-Holland, Referendarexamensklausur – Strafrecht: Lebensmittelerpressung, JuS 2008, 430 (zu § 241 StGB aF)