Jens Gerlach Privatisierungs- und Vergaberecht Licensed under CC-BY-4.0

Vergaberecht Übungsfall: Notfallversorgung

Nachprüfungsantrag, Vergabeverfahren, Auswahlentscheidung

Sachverhalt

Die Stadt Bochum möchte eine Notfallversorgung anlegen, um im Fall einer Umweltkatastrophe das Überleben wichtiger Aufgabenträger zu gewährleisten. Es sollen ausreichend Trinkwasser (Wert ohne Mehrwertsteuer circa € 200.000), Trockenmahlzeiten (€ 500.000) und Taschenlampen (€ 250.000) beschafft werden. Am 16.12.2022 übermittelt die zuständige Behörde eine Auftragsbekanntmachung auf dem dafür maßgeblichen Formular dem Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, das die Auftragsbekanntmachung sogleich ordnungsgemäß veröffentlicht.

Der Bekanntmachung lässt sich entnehmen, dass die Stadt Bochum das offene Verfahren wählt und Gegenstand der Leistung die Lieferung von 400.000 Litern Trinkwasser (literweise abgepackt), von 200.000 Trockenmahlzeiten sowie von 10.000 batteriebetriebenen Taschenlampen ist. Die Beschaffung wird nicht in Lose aufgeteilt, weil die Waren zur schnellen, bedarfsgerechten Verteilung in 2.500 Einheiten von jeweils 160 Litern Trinkwasser, 80 Trockenmahlzeiten sowie vier Taschenlampen abgepackt geliefert werden und diese Pakete im Katastrophenfall unbedingt identisch sein sollen. Nebenangebote sind nicht zugelassen. Zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist eine Eigenerklärung zu einem Mindestjahresumsatz des Unternehmens in Höhe von € 1.900.000 in den letzten drei Jahren zu erbringen, die technische und berufliche Leistungsfähigkeit ist durch eine Liste der wesentlichen in den letzten drei Jahren erbrachten, ähnlichen und näher beschriebenen Leistungen mit Angabe des Rechnungswerts, der Leistungszeit und der jeweiligen Auftraggeber und durch Angabe des Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystems nachzuweisen, das dem jeweiligen Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung steht. Das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen ist durch Eigenerklärungen zu belegen. Angebote sind bis zum 12.1.2023 direkt, postalisch oder elektronisch bei der näher benannten zuständigen Behörde der Stadt Bochum einzureichen. Als für die Nachprüfung geltend gemachter Vergabeverstöße zuständig wird zutreffend die Vergabekammer Westfalen benannt. Für weitere Einzelheiten, insbesondere die Zuschlagskriterien, wird auf die Vergabeunterlagen verwiesen, die sich über einen Link in der Bekanntmachung direkt elektronisch abrufen lassen.

Aus den Vergabeunterlagen ergibt sich, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgt. Dabei geht der Preis zu 60 % in die Wertung ein. Die umweltgerechte Herstellung und Abbaubarkeit der Waren und die Energieeffizienz werden zusammen mit 30 % bewertet, die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte zu 10 %. Die Vergabeunterlagen enthalten nähere Informationen zu den Unterkriterien und zum Bewertungsmechanismus.

Bei der zuständigen Behörde gehen die folgenden vier Angebote ein.

  • Die A-Limited mit Hauptsitz in London reicht ihr Angebot i. H. v. € 1.000.000 am 5.1.2023 ein. Es umfasst Trinkwasser aus Dosen, Trockenmahlzeiten, die allerdings weder biologisch hergestellt noch abbaubar sind, und Halogentaschenlampen, die eine schlechte Energieeffizienz aufweisen. Mit der Beschaffung umweltgerechter Materialien hatte die A noch nie etwas zu tun. Die A reicht die Eignungsnachweise ein. Allerdings ist die A erst seit dem Vorjahr auf dem Markt tätig und verfügt daher weder über die geforderten Referenzen noch über ein Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystem. Immerhin kann sie aus dem Rumpfjahr 2022 einen Gesamtumsatz von € 5.000.000 nachweisen.

  • Das Angebot der B-AG i. H. v. € 1.650.000 trifft am 9.1.2023 bei der Behörde ein. Es umfasst sehr energieeffiziente, dafür aber teurere LED-Taschenlampen. Die Trockenmahlzeiten sollen umweltgerecht hergestellt und verpackt werden. Die Trinkwasserflaschen sind zu 100 % recyclebar. Außerdem gibt die B noch ein gesondertes Angebot i. H. v. € 300.000 allein für Trinkwasser in Tetra Packs ab. Die B legt alle geforderten Eignungsnachweise vor. In der Beschaffung umweltschonender Produkte ist sie sehr erfahren.

  • Die C-GmbH legt am 13.1.2023 ein Angebot ebenfalls i. H. v. € 1.650.000 vor, das weitgehend dem Angebot der B entspricht, aber statt der Trockennahrung ein von ihr besonders entwickeltes vakuumiertes Gourmetessen vorsieht. Die C meint, dass es auch in katastrophalen Tagen gesunder und vollwertiger Nahrung bedarf. Die Vakuumtüten sind vollkommen kompostierbar. Auch die C legt alle geforderten Eignungsnachweise vor und ist in der Beschaffung umweltschonender Produkte sehr erfahren.

Am 16.1.2023 öffnen zwei Behördenmitarbeiter die bis dahin verschlossenen Angebote. Sie bewerten die unternehmensbezogenen Angaben und sind der Auffassung, dass alle Unternehmen die Anforderungen erfüllen. Dass die A keine Referenzen und kein Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystem nennen könne, sei klar, da die A Newcomerin sei. Mit dem Umsatz aus dem Rumpfjahr in Höhe von € 5.000.000 sind die Behördenmitarbeiter zufrieden. Sodann stellen sie erfreut fest, dass alle Angebote vollständig sowie fachlich und rechnerisch richtig sind. Das zweite Angebot der B über die reine Wasserlieferung wird allerdings ausgeschlossen, weil es nicht alle Leistungsanforderungen erfülle. Die übrigen Angebote beziehen die Behördenmitarbeiter in die Wertung ein und kommen zu dem Ergebnis, dass auf das Angebot der A der Zuschlag erteilt werden soll. Die Mitarbeiter begründen und dokumentieren diese Bewertung wie folgt: Das Angebot der A sei unschlagbar günstig und daher auf dem ersten Platz. Die Angebote der B und der C seien zwar mit Blick auf die anderen beiden Kriterien, also erstens die umweltgerechte Herstellung und Abbaubarkeit sowie die Energieeffizienz und zweitens die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte deutlich besser, dies wiege aber nach dem Bewertungssystem den deutlich höheren Preis nicht auf (was rechnerisch zutrifft). Das Angebot der C liege auf dem zweiten Platz, weil man vom Vakuum-Essen der C hellauf begeistert sei. Gerade in Zeiten der Not sollten die wichtigsten Köpfe der Stadt mit möglichst vielen Vitaminen und Mineralstoffen vorsorgt sein. Das Angebot der B liege deshalb auf dem letzten Platz. Die Behörde informiert alle Bieter noch am selben Tag ordnungsgemäß im Sinne von § 134 GWB.

B ist empört. Sie ist der Auffassung, das Vergabeverfahren sei durchsetzt von Rechtsfehlern. Sie rügt daher am 17.1.2023 bei der Behörde folgende Aspekte: Die Angebotsfrist sei unzumutbar kurz gewesen und die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte wohl kaum ein zulässiges Zuschlagskriterium. Zwingend hätte auch eine Vergabe in Losen stattfinden müssen – deswegen habe man ihr Angebot über die bloße Wasserlieferung nicht ausschließen dürfen. Das Angebot der A sei verdächtig günstig und hätte deshalb ausgeschlossen werden müssen. Außerdem sei bekannt, dass die A erst seit einem Jahr auf dem Markt tätig sei. Sie könne daher nicht alle geforderten Eignungsnachweise erbracht haben. Wieso das Angebot der C überhaupt gewertet worden sei, erschließe sich der B ebenfalls nicht.

Am 20.1.2023 wird der B mitgeteilt, alles sei ordnungsgemäß verlaufen. Daraufhin stellt die B am 30.1.2023 schriftlich einen Nachprüfungsantrag mit allen notwendigen Angaben bei der Vergabekammer Westfalen und verweist auf ihre Rügen. Auf keinen Fall dürfe nach solch einem Verfahren der Zuschlag auf das Angebot der A erteilt werden. A und C werden zum Verfahren beigeladen.

Hat der Antrag der B Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitungshinweis:

Der Schwellenwert für Lieferleistungen nach Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU beträgt € 215.000.

Lösungsvorschlag

Der Antrag der B hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags

Eröffnung des Rechtswegs zu den Vergabekammern (§ 155 GWB)

Damit der Rechtsweg zu den Vergabekammern eröffnet ist, muss sich die Nachprüfung gemäß § 155 GWB auf die Vergabe öffentlicher Aufträge oder die Vergabe von Konzession beziehen und die Schwellenwerte des § 106 Abs. 1 GWB müssen erreicht sein. Darüber hinaus darf kein (Ausnahme-)Tatbestand erfüllt sein, demzufolge der vierte Teil des GWB – und damit auch die §§ 155 ff. GWB – nicht anwendbar ist. Außerdem darf keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegen.

Öffentliche Aufträge sind nach § 103 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Stadt Bochum ist als Gebietskörperschaft (§ 1 Abs. 2 GO NRW) öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 1 GWB. A, B und C sind wirtschaftlich tätige Einheiten und damit Unternehmen im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB. Beim Einkauf von Trinkwasser, Trockenmahlzeiten und Taschenlampen handelt es sich um einen Vertrag zur Beschaffung von Waren und damit um einen Lieferauftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 S. 1 GWB. Der Vertrag ist zudem entgeltlich. Damit handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag nach § 103 Abs. 1 GWB.

Nach § 106 Abs. 1 S. 1 GWB gilt der vierte Teil des GWB nur für die Vergabe solcher öffentlichen Aufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet. Zwar gehört Trinkwasserversorgung zu den Sektorentätigkeiten i. S. d. § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB, erfasst wird insoweit aber nur Bereitstellen und Betreiben fester Netze. Hier geht es aber um die Versorgung mit Trinkwasser in abgepackten, frei transportierbaren Flaschen. Damit liegt keine Sektorentätigkeit vor. Da keiner der Tatbestände von § 104 Abs. 1 GWB einschlägig ist, handelt es sich bei der hier angestrebten Lieferung auch nicht um einen verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Auftrag. Daher ist der Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB zu bestimmen. Für Lieferaufträge beträgt dieser Schwellenwerte nach Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU € 215.000. Der geschätzte Wert der Lieferleistungen beträgt hier insgesamt € 950.000 und überschreitet damit den Schwellenwert. Damit gilt für die Auftragsvergabe nach § 106 Abs. 1 S. 1 GWB der vierte Teil des GWB. Dessen Anwendung ist auch nicht aufgrund einer Ausnahmebestimmung, etwa des § 108 GWB ausgeschlossen.

Schließlich ist das Antragsbegehren der B auch nicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gerichtet. Damit greift nicht die abdrängende Sonderzuweisung des § 156 Abs. 3 GWB zu den ordentlichen Gerichten.

Der Rechtsweg zu den Vergabekammern ist somit eröffnet.

Statthaftigkeit des Antrags

B möchte mit ihrem Antrag erreichen, dass der Zuschlag nicht wie beabsichtigt auf das Angebot der A erteilt wird. Ein solcher Antrag ist bei verständiger Auslegung aus dem objektiven Empfängerhorizont analog §§ 133, 157 BGB darauf gerichtet, dass die Vergabekammer feststellt, dass die B in ihren Rechten verletzt ist, und die geeigneten Maßnahmen trifft, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern (vgl. § 168 Abs. 1 S. 1 GWB). Der Antrag ist damit statthaft.

Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2 GWB)

Die Antragsbefugnis setzt gem. § 160 Abs. 2 S. 1 GWB voraus, dass B ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Außerdem muss B nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB darlegen, dass ihr durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Interesse am Auftrag

Die Abgabe des Angebots der B bekundet ein ausreichendes Interesse am Auftrag.

Geltendmachung der Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB

Die Geltendmachung der Verletzung in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB setzt voraus, dass eine solche Verletzung möglich erscheint.

§ 97 Abs. 6 GWB gewährt Unternehmen einen Anspruch darauf, dass die „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ eingehalten werden. Aus der Vorschrift wird nicht ohne weiteres deutlich, ob damit alle Bestimmungen über das Vergabeverfahren subjektiviert werden sollen oder sich der subjektive Rechtsschutz – ähnlich der verwaltungsrechtlichen Schutznormlehre – auf solche Vorschriften beschränkt, die darauf gerichtet sind, zumindest auch den Interessen der Unternehmen zu dienen. Für ein weites Verständnis sprechen der Wortlaut, der keine Einschränkung nahelegt, und der Umstand, dass § 97 Abs. 6 GWB wie der gesamte vierte Teil des GWB auf den unionsrechtlichen Vergaberichtlinien beruht, die den Unternehmen einen umfassenden Primärrechtsschutz bereitstellen wollen. Da jedenfalls die Vorgaben über die Verfahrensarten und die Verfahrensgestaltung und die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz in § 97 Abs. 2 und Abs. 1 S. 1 GWB mitsamt ihren Ausprägungen im Vergaberecht gerade darauf gerichtet sich, Unternehmen zu schützen, kann die Frage im Ergebnis offenbleiben.

B ist zunächst der Ansicht, die Angebotsfrist sei unzumutbar kurz gewesen. Damit macht sie einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Bemessung der Angebotsfrist im offenen Verfahren nach § 15 Abs. 2–4 VgV geltend. Weiter rügt die B, man habe eine Losvergabe vorsehen müssen. Grundsätzlich erfordert § 97 Abs. 4 S. 2 GWB, den Auftrag in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Eine Ausnahme ist nur nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB möglich. Ein Verstoß gegen § 97 Abs. 4 S. 2 GWB erscheint nicht ausgeschlossen. Weiter meint die B, die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte sei kein zulässiges Zuschlagskriterium. Die Wahl der Zuschlagskriterien bestimmt sich insbesondere nach § 127 Abs. 1 S. 4 GWB, wonach der öffentliche Auftraggeber zur Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigen kann. Da sich diese Aspekte – anders als die die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte – auf das Angebot und nicht auf das Unternehmen beziehen, erscheint auch ein Verstoß gegen § 127 Abs. 1 S. 4 GWB möglich. Der gerügte Ausschluss des Angebots über die reine Trinkwasserlieferung könnte § 57 Abs. 1 VgV entgegenstehen, wonach Angebote nur unter den dort benannten Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Dass das Angebot der A verdächtig günstig sei und deshalb hätte ausgeschlossen werden müssen, verweist auf einen möglichen Verstoß gegen § 60 Abs. 3 VgV. Und die aus Sicht der B gebotenen Ausschlüsse der A und des Angebots der C ließen sich möglicherweise auf § 42 Abs. 1 VgV und § 57 Abs. 1 VgV stützen.

Jeder dieser in Rede stehenden Rechtsverstöße betrifft Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB, erscheint nicht offenkundig ausgeschlossen und ist daher möglich.

Klausurhinweis zur Antragsbefugnis

Für die Antragsbefugnis genügt streng genommen ein einziger möglicher Verstoß gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Da aber mit Blick auf eine etwaige Präklusion ohnehin alle Verstöße einzeln angesprochen werden müssen, schadet es nicht, schon hier die gerügten Verstöße gesetzlich anzuknüpfen.

Entstandener oder drohender Schaden

Ein Schaden im Sinne von § 160 Abs. 2 S. 2 GWB droht insbesondere, wenn die mögliche Verletzung der Vergabevorschriften die Chance auf den Zuschlag beeinträchtigt. Die Behörde sieht das Angebot der B auf dem dritten Platz. Sollte der beabsichtigte Zuschlag auf das Angebot der A vergaberechtswidrig und das Angebot der C nicht in die Wertung einfließen dürfen, hätte das Angebot der B trotz des hohen Preises Chancen auf die Erteilung des Zuschlags. Die möglicherweise vergaberechtswidrige Erteilung des Zuschlags an die A beeinträchtigt diese Chance. Damit droht der B ein Schaden.

Zwischenergebnis

B ist antragsbefugt.

Keine Präklusion (§ 160 Abs. 3 S. 1 GWB)

Der Antrag der B ist nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB unzulässig, soweit sie mit ihrem Vorbringen nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert ist, das heißt die geltend gemachten Verstöße nicht rechtzeitig gerügt hat. B hat alle im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstöße am 17.1.2023 bei der Behörde gerügt. Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Rüge unterscheidet § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3 GWB verschiedene Situationen: Verstöße gegen Vergabevorschriften, die schon aufgrund der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, müssen nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB spätestens bis zum Ablauf der Bewerbungs- bzw. Angebotsfrist gerügt werden. Im Übrigen müssen Verstöße, die der Antragsteller positiv erkennt, innerhalb von zehn Kalendertagen ab Kenntnisnahme gerügt werden.

Aus der Bekanntmachung waren die Dauer der Angebotsfrist und die beabsichtigte Gesamtvergabe, das heißt mögliche Verstöße gegen § 15 Abs. 2–4 VgV und gegen § 97 Abs. 4 S. 2 GWB erkennbar, aus den Vergabeunterlagen die Wahl des Kriteriums „Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte“ als Zuschlagskriterium und damit als möglicher Verstoß gegen § 127 Abs. 1 GWB, § 58 Abs. 2 VgV. Diese Verstöße hat die B nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 12.1.2023 gerügt. Mit diesem Vorbringen ist die B daher präkludiert.

Die Umstände, dass das Angebot der B über die reine Trinkwasserlieferung möglicherweise entgegen § 57 Abs. 1 VgV ausgeschlossen wurde, dass das Angebot der A verdächtig günstig sei und deshalb möglicherweise nach § 60 Abs. 3 VgV hätte ausgeschlossen werden müssen, dass die A möglicherweise auch aus unternehmensbezogenen Gründen nach § 42 Abs. 1 VgV hätte ausgeschlossen werden müssen und das Angebot der C möglicherweise nach § 57 Abs. 1 VgV, hat die B erst am 16.1.2023 aufgrund der Information durch die Behörde nach § 134 Abs. 1 GWB erkannt. Ihre Rüge am 17.1.2023 erfolgte gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB innerhalb von zehn Kalendertagen und war damit rechtzeitig. Damit ist die B mit diesem Vorbringen nicht präkludiert.

Form- und fristgerechter Antrag (§§ 160 Abs. 1, 161 GWB

B hat gem. §§ 160 Abs. 1, 161 Abs. 1 S. 1 GWB einen schriftlichen und begründeten Nachprüfungsantrag gestellt. Das Verlangen, dass der Zuschlag nicht auf das Angebot der A ergehen solle, ist ein „bestimmtes Begehren“ i. S. v. § 160 Abs. 1 S 2 GWB. Der Nachprüfungsantrag der B ist somit formgerecht.

Die Frist für den Nachprüfungsantrag beträgt nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen. Die Behörde hat der B am 20.1.2023 mitgeteilt, den Rügen nicht abhelfen zu wollen. Die B hat ihren Nachprüfungsantrag am 30.1.2023 und damit innerhalb von 15 Kalendertagen gestellt. Der Nachprüfungsantrag ist damit nicht verfristet.

Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit (§ 162 S. 1 GWB, §§ 11, 12 VwVfG NRW)

Gem. § 162 S. 1 GWB sind die Antragstellerin (B), der Auftraggeber (Stadt Bochum) und die Beigeladenen (A und C) am Verfahren beteiligt. Da die Vergabekammer gem. § 168 Abs. 3 S. 1 GWB durch Verwaltungsakt und damit in einem Verwaltungsverfahren i. S. d. § 9 VwVfG NRW entscheidet, richtet sich die Beteiligungs- und Handlungsfähigkeit der Beteiligten nach §§ 11, 12 VwVfG NRW. Als juristische Personen sind alle Beteiligten nach § 11 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG NRW beteiligungsfähig und handeln gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW durch ihre gesetzlichen Vertreter. Für die B handelt demnach ihr Vorstand (§ 78 Abs. 1 S. 1 AktG), für die Stadt Bochum der Bürgermeister (§ 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW) und für die C ihr Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG).

Sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer (§§ 156 Abs. 2, § 159 Abs. 3 S. 1 GWB)

Die B hat den Nachprüfungsantrag bei der sachlich und örtlich zuständigen Vergabekammer Westfalen gestellt.

Zwischenergebnis

Der Nachprüfungsantrag der B ist teilweise zulässig.

Begründetheit des Nachprüfungsantrags

Der Nachprüfungsantrag ist gem. § 168 Abs. 1 S. 1 GWB begründet, soweit die B in ihren Rechten verletzt ist. Rechte in diesem Sinne sind wie bei § 160 Abs. 2 S. 1 GWB die Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB, also die „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“. Inwieweit die Vergabekammer präkludiertes Vorbringen im Rahmen der Begründetheit prüfen darf, ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem Gesetz. Zwar ist die Vergabekammer nach § 168 Abs. 1 S. 2 GWB nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Das könnte dafür sprechen, dass sie von Amts wegen auch präkludiertes Vorbringen aufgreifen und prüfen darf, solange nur der Antragsteller mit irgendeinem Vorbringen nicht präkludiert ist und damit überhaupt die Hürde der Zulässigkeit nimmt. Indessen sollen § 97 Abs. 6 GWB und die Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren in erster Linie subjektiven Rechtsschutz gewährleisten. Dieser Rechtsschutz ist nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB von einer rechtzeitigen Rüge abhängig, was dem Beschleunigungsbedürfnis (§ 167 GWB) und damit mittelbar auch der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung (§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB) Rechnung trägt. Daher muss sich der Prüfungsumfang der Vergabekammer im Ergebnis auf Rechtsverstöße beschränken, mit deren Geltendmachung der Antragsteller nicht präkludiert ist. Da nach dem Sachverhalt notfalls hilfsweise auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen ist, erfolgt die Prüfung der Verstöße unter I.-III. hilfsweise.

Vertiefungshinweis zum Prüfungsmaßstab

Die Auffassung, dass die Vergabekammer auch ungeachtet der Präklusion die Rechtmäßigkeit des Handelns des öffentlichen Auftraggebers überprüfen kann und sogar nicht gerügte Vergabeverstöße einbeziehen kann, um anlässlich eines Nachprüfungsantrags für rechtmäßige Zustände zu sorgen, ist genauso gut vertretbar. Dann müssten die Verstöße unter I.–III. nicht hilfsweise, sondern ganz „normal“ geprüft werden.

Verstoß gegen § 15 Abs. 2–4 VgV wegen zu kurzer Angebotsfrist

Möglicherweise verstieß die Bemessung der Angebotsfrist gegen § 15 Abs. 2–4 VgV. Die Angebotsfrist beträgt nach § 15 Abs. 2 VgV grundsätzlich mindestens 35 Tage, bei Akzeptanz einer elektronischen Übermittlung der Angebote ist aber eine Verkürzung auf 30 Tage möglich (§ 15 Abs. 4 VgV). Nur im Fall hinreichend begründeter Dringlichkeit, die hier nicht ersichtlich ist, ist nach § 15 Abs. 3 VgV eine noch kürzere Frist möglich. Da die Angebotsfrist hier am 16.12.2022 in Gang gesetzt wurde und bis zum 12.1.2023 lief, betrug sie weniger als 30 Tage. Damit hat die Behörde eine zu kurze Frist bemessen und gegen § 15 Abs. 2–4 VgV verstoßen.

Verstoß gegen § 97 Abs. 4 S. 2 GWB wegen unzulässiger Gesamtvergabe

Die beabsichtigte Gesamtvergabe widerspricht möglicherweise § 97 Abs. 4 S. 2 GWB. Hiernach sind Leistungen grundsätzlich in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Nur wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies ausnahmsweise erfordern, dürfen mehrere Teil- oder Fachlose nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB zusammen vergeben werden. Der Auftraggeber hat diesbezüglich einen Beurteilungsspielraum.

Die Behörde begründet die Gesamtvergabe damit, dass die Waren zur schnellen, bedarfsgerechten Verteilung in 2.500 Einheiten von jeweils 160 Litern Trinkwasser, 80 Trockenmahlzeiten sowie vier Taschenlampen abgepackt geliefert werden und diese Pakete im Katastrophenfall unbedingt identisch sein sollen. Dieser Gesichtspunkt begründet technische Gründe, der sowohl gegen eine Aufteilung in Fachlose als auch gegen eine Aufteilung in Teillose sprach: Fachlose hätten nicht ermöglicht, dass die Waren schon bedarfsgerecht zur schnellen Verteilung verpackt gewesen wären. Vielmehr hätte die Stadt Bochum selbst noch aufwändig die jeweiligen Pakete zusammenstellen müssen. Teillose hätten bedingt, dass von unterschiedlichen Unternehmen unterschiedliche Waren geliefert worden wären. Damit wären die Pakete im Katastrophenfall nicht identisch gewesen. Der Standpunkt der Stadt Bochum ist nicht sachfremd, sondern gut nachvollziehbar. Technische Gründe erforderten gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB eine Gesamtvergabe. Die Behörde hat mit der Gesamtvergabe also nicht gegen § 97 Abs. 4 S. 2 GWB verstoßen.

Verstoß gegen § 127 Abs. 1 S. 4 GWB wegen unzulässigen Zuschlagskriteriums

Mit der Wahl des Kriteriums „Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte“ hat die Behörde möglicherweise gegen § 127 Abs. 1 S. 4 GWB verstoßen. Hiernach kann der öffentliche Auftraggeber zur Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigen. Diese Aspekte beziehen sich auf das Angebot. Auch § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV macht deutlich, dass unternehmensbezogene Aspekte nur in ganz engen Grenzen zulässiges Zuschlagskriterium sein können. Grundsätzlich sind sie im Rahmen der Eignungsprüfung (§ 122 GWB) zu berücksichtigen, ein „Mehr an Eignung“ ist kein zulässiges Zuschlagskriterium. Da die Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte an den Unternehmen und nicht an den Angeboten anknüpft und auch die Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV ersichtlich nicht vorliegen, hat die Behörde mit der Wahl des unternehmensbezogenen Kriteriums als Zuschlagskriterium gegen § 127 Abs. 1 GWB verstoßen.

Verstoß gegen § 57 Abs. 1 VgV wegen Ausschlusses des Angebots über die reine Trinkwasserlieferung

Möglicherweise hat die Behörde das Angebot der B über die reine Trinkwasserlieferung zu Unrecht ausgeschlossen. Auszuschließen sind nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. Zu den Vergabeunterlagen zählen nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VgV die Vertragsunterlagen, die aus der Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen bestehen. Daraus folgt, dass die Vergabeunterlagen ändert oder ergänzt, wer eine Leistung anbietet, die nicht der Leistungsbeschreibung entspricht.

Gegenstand der Leistung waren die Lieferung von 400.000 Litern Trinkwasser (literweise abgepackt), von 200.000 Trockenmahlzeiten sowie von 10.000 batteriebetriebenen Taschenlampen. Die Waren sollten zur schnellen, bedarfsgerechten Verteilung in 2.500 Einheiten von jeweils 160 Litern Trinkwasser, 80 Trockenmahlzeiten sowie vier Taschenlampen abgepackt geliefert werden. Das Angebot von Trinkwasser in Tetra Packs betrifft eine andere als die ausgeschriebene Leistung, ändert damit die Vergabeunterlagen ab und ist damit prinzipiell nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen.

Allerdings betrifft die Regelung in § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nur Hauptangebote, also solche, die darauf gerichtet sind, gerade die ausgeschriebene Leistung anzubieten. Das Vergaberecht kennt daneben in § 35 VgV Nebenangebote, die sich gerade dadurch auszeichnen, in einem bestimmten Umfang von der Leistungsbeschreibung abzuweichen. Der öffentliche Auftraggeber kann Nebenangebote zulassen, um Knowhow und Kreativität der Unternehmen fruchtbar zu machen. Allerdings muss er dazu Nebenangebote in der Auftragsbekanntmachung ausdrücklich zulassen (§ 35 Abs. 1 S. 1 VgV). Tut er dies nicht, sind eingereichte Nebenangebote nach § 57 Abs. 1 Nr. 6 VgV zwingend vom Verfahren auszuschließen. Die Behörde hat in der Auftragsbekanntmachung Nebenangebote ausdrücklich nicht zugelassen. Sieht man das Angebot der B über die reine Trinkwasserlieferung als Nebenangebot an – wofür bei Auslegung aus dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB spricht, dass sie ein offensichtlich als Hauptangebot gemeintes Angebot mit diesem zweiten Angebot ergänzte –, war das Angebot also nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4, wohl aber nach § 57 Abs. 1 Nr. 6 VgV auszuschließen.

Damit hat die Behörde das Angebot der B über die reine Trinkwasserlieferung nicht zu Unrecht ausgeschlossen.

Verstoß gegen § 42 Abs. 1 VgV wegen unterlassenen Ausschlusses der A aus unternehmensbezogenen Gründen

Denkbar ist weiter, dass die Behörde die A zu Unrecht nicht nach § 42 Abs. 1 VgV aus unternehmensbezogenen Gründen vom Verfahren ausgeschlossen hat. Nach § 42 Abs. 1 VgV überprüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter anhand der nach § 122 GWB festgelegten Eignungskriterien und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach den §§ 123, 124 GWB sowie gegebenenfalls Maßnahmen des Bieters zur Selbstreinigung nach § 125 GWB und schließt gegebenenfalls Bieter vom Vergabeverfahren aus. Daraus folgt unter anderem: Nach § 42 Abs. 1 VgV ist zwingend vom Verfahren auszuschließen, wer die festgelegten Eignungskriterien nicht erfüllt.

Fehlende wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit

Aus der Auftragsbekanntmachung ergab sich unter anderem, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit eine Eigenerklärung zu einem Mindestjahresumsatz des Unternehmens in Höhe von € 1.900.000 in den letzten drei Jahren zu erbringen war. Diesen Nachweis hat die A nicht erbracht. Stattdessen hat sie aus dem Rumpfjahr 2022 einen Gesamtumsatz von € 5.000.000 nachgewiesen. An sich hat die A damit das festgelegte Eignungskriterium nicht erfüllt. Allerdings bestimmt § 45 Abs. 5 VgV, dass ein Bieter, der aus einem berechtigten Grund die geforderten Unterlagen nicht beibringen kann, seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit durch Vorlage anderer, vom öffentlichen Auftraggeber als geeignet angesehener Unterlagen belegen kann. Der Umstand, dass die A erst seit dem Vorjahr auf dem Markt tätig ist, ist ein berechtigter Grund dafür, dass sie nicht den geforderten Mindestjahresumsatz für die letzten drei Jahre nachweisen konnte. Dafür betrugt der Jahresumsatz aus dem Rumpfjahr 2021 € 5.000.000 und damit fast das Dreifache des geforderten Mindestjahresumsatzes. Dass die Behörde diese Unterlagen als geeignet angesehen hat, um die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu belegen, ist daher vertretbar. Damit war die A nicht wegen fehlender wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nach § 42 Abs. 1 VgV vom Verfahren auszuschließen.

Fehlende technische und berufliche Leistungsfähigkeit

Allerdings ergab sich aus der Auftragsbekanntmachung auch, dass die technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch eine Liste der wesentlichen in den letzten drei Jahren erbrachten, ähnlichen und näher beschriebenen Leistungen mit Angabe des Rechnungswerts, der Leistungszeit und der jeweiligen Auftraggeber und durch die Angabe des Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystems nachzuweisen war, das dem jeweiligen Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung steht. Auch diese Nachweise hat die A nicht erbracht, weil sie erst seit dem Vorjahr auf dem Markt tätig ist. In § 46 VgV fehlt eine dem § 45 Abs. 5 VgV vergleichbare Vorschrift. Der öffentliche Auftraggeber konnte damit nicht darüber hinwegsehen, dass die A das Eignungskriterium der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit nicht erfüllte. Damit musste die A wegen fehlender technische und berufliche Leistungsfähigkeit nach § 42 Abs. 1 VgV vom Verfahren ausgeschlossen werden.

Zwischenergebnis

Dass die Behörde die A nicht aus unternehmensbezogenen Gründen vom Verfahren ausgeschlossen hat, verstößt gegen § 42 Abs. 1 VgV.

Verstoß gegen § 60 Abs. 3 VgV wegen unterlassenen Ausschlusses des Angebots der A

In Betracht kommt auch, dass die Behörde entgegen § 60 Abs. 3 VgV nicht den Zuschlag auf das Angebot der A abgelehnt hat. § 60 Abs. 3 S. 1 VgV darf der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, wenn er nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 VgV die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Nach § 60 Abs. 3 S. 2 VgV lehnt der öffentliche Auftraggeber zwingend ab, wenn er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind, weil Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB nicht eingehalten werden.

Die Vorschrift macht deutlich, dass in jedem Fall vorauszusetzen ist, dass der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig sind (§ 60 Abs. 1 VgV). In einem solchen Fall muss der öffentliche Auftraggeber allerdings auch zunächst Aufklärung verlangen und die vom Bieter sodann übermittelten Unterlagen nach § 60 Abs. 2 VgV prüfen. Es kommt also nicht in Betracht, ein Angebot unmittelbar wegen des geringen Preises auszuschließen.

Hier fehlt es an einem entsprechenden Aufklärungsverlangen, weswegen ein Ausschluss nach § 60 Abs. 3 VgV von Vornherein nicht in Betracht kommt. Zweifelhaft ist aber darüber hinaus, ob das Angebot überhaupt ungewöhnlich niedrig war. Setzt man es nur ins Verhältnis zu den konkurrierenden Angeboten, liegt eine solche Annahme nahe, da das Angebot der A in Höhe von € 1.000.000 deutlich unter den Angeboten der B und der C in Höhe von jeweils € 1.650.000 lag. Allerdings können die Preise der konkurrierenden Angebote insbesondere dann kein verlässlicher Vergleichsmaßstab sein, wenn der Kreis der Bieter – wie hier – sehr klein ist. Näher liegt es daher, einen Vergleich zu dem geschätzten Auftragswert zu ziehen, der hier bei € 950.000 und damit unterhalb des Angebotspreises der A lag. Damit erscheint das Angebot der A nicht ungewöhnlich niedrig, sodass sich die Behörde nicht einmal dazu veranlasst sehen musste, von der A Aufklärung zu verlangen.

Verstoß gegen § 57 Abs. 1 VgV wegen unterlassenen Ausschlusses des Angebots der C

Möglicherweise hat die Behörde das Angebot der C zu Unrecht nicht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV sind Angebote auszuschließen, die nicht form- oder fristgerecht eingegangen sind, es sei denn, der Bieter hat dies nicht zu vertreten. Das Angebot der C erreichte die Behörde erst am 13.1.2023 und damit nach Ablauf der Angebotsfrist am 12.1.2023. Es ist nicht ersichtlich, dass die C dies nicht zu vertreten hatte. Daher war das Angebot schon nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV zwingend vom Verfahren auszuschließen.

Zudem kommt auch beim Angebot der C ein Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen in Betracht. Die C bot entgegen der Leistungsbeschreibung keine Trockenmahlzeiten, sondern ein von ihr besonders entwickeltes vakuumiertes Gourmetessen an. Ob dieses Essen die Anforderungen der Stadt Bochum besser erfüllte als die ausgeschriebenen Trockenmahlzeiten, kann dahinstehen. Jedenfalls änderte die C die Leistungsbeschreibung damit ab und bot eine andere als die ausgeschriebene Leistung an. Aus Gründen der Chancengleichheit der Unternehmen im Vergabewettbewerb musste das Angebot der C auch aus diesem Grund zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden.

Zwischenergebnis

Die Behörde hat gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren und damit nach § 97 Abs. 6, § 168 Abs. 1 S. 1 GWB Rechte der B verletzt, indem sie

Insoweit ist der Nachprüfungsantrag der B begründet. Auch mit Blick auf die Bemessung der Angebotsfristen (§ 15 Abs. 2–4 VgV) und der Wahl des Kriteriums „Erfahrung mit der Beschaffung umweltschonender Produkte“ als Zuschlagskriterium entgegen § 127 Abs. 1 S. 4 GWB hat die Behörde Bestimmungen über das Vergabeverfahren verletzt. Da die B bezüglich dieser Rechtsverstöße aber präkludiert und ihr Nachprüfungsantrag insoweit schon unzulässig ist (§ 160 Abs. 3 S. 1 GWB), wurden diese Verstöße nur hilfsweise geprüft und begründen den Nachprüfungsantrag nicht.

Ergebnis

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig und mit Blick auf den unterlassenen Ausschluss der A aus unternehmensbezogenen Gründen und den unterlassenen Ausschluss des Angebots der C aus angebotsbezogenen Gründen auch begründet. In diesem Umfang hat er Aussicht auf Erfolg.