Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 1: Unterlassen – Abgrenzung zum aktiven Tun; Quasikausalität

Fall 1

(nach BGH NStZ 2003, 657)

Chefärztin C hat sich unbemerkt mit dem Hepatitis-B-Virus infiziert. Obwohl bekannt ist, dass medizinisches Personal einer besonderen Infektionsgefahr mit Blick auf dieses Virus ausgesetzt ist und außerdem die Gefahr der Ansteckung von Patientinnen und Patienten besteht, unterzieht sich C keinem der von ihrem Krankenhaus angebotenen Tests. Bei der Operation von Patient P wird dieser von C mit dem Virus angesteckt.

Hat sich C wegen fahrlässiger Körperverletzung durch das Unterlassen eines Tests schuldig gemacht?

Fall 2

(angelehnt an BGHSt 56, 277)

Der 49 Jahre alte gesunde A unterzieht sich in der Privatklinik von Chefärztin C einer Bauchdeckenstraffung, verbunden mit einer Fettabsaugung, Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und Versetzung des Bauchnabels. Nach der Operation, in die A vollumfänglich eingewilligt hat, kommt es beim Schließen der Operationswunde zu einem Herzstillstand bei A. C leitet Reanimationsmaßnahmen ein, verabreicht A Sauerstoff über eine Maske und gibt kreislaufstabilisierende Medikamente. Jedoch alarmiert C keinen Notarzt, um eine Reanimation des A mit intensivmedizinischer Versorgung in einem Krankenhaus zu besorgen. Erst mehrere Stunden später, nachdem sich der Zustand des A nicht gebessert hat, ruft C einen Krankenwagen. Jedoch kann A trotz sofortiger Versorgung im Krankenhaus nicht mehr gerettet werden und verstirbt. Bei einer sofortigen Verlegung in ein Krankenhaus hätte A hingegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt.

Hat sich C wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht?

Fall 3

(nach BGHSt 52, 159)

Mechaniker M überprüft im Rahmen einer Inspektion den Sattelschlepper des Unternehmers U. Dabei übersieht M, dass die Bremsbeläge eigentlich hätten ausgetauscht werden müssen. Auch im Übrigen ist der Lkw nicht in fahrtauglichem Zustand, worüber M den U jedoch nicht informiert. Auf der nächsten Fahrt kommt es zu einem Unfall, bei dem sowohl der Fahrer F als auch mehrere Unbeteiligte verletzt werden. Es kann jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass ein Auswechseln der Bremsbeläge den Unfall verhindert hätte. Überdies ist nicht ausgeschlossen, dass U selbst dann die Fahrt angeordnet hätte, wenn er von M über den fahruntauglichen Zustand des Fahrzeugs informiert worden wäre.

Hat M sich wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht?