Übersicht
Der 16. Abschnitt des StGB enthält in den §§ 211-222 StGB die Straftaten gegen das Leben.
Vorsätzliche Tötungen werden von den §§ 211, 212 und 216 StGB erfasst. Der Totschlag (§ 212 StGB) bildet insoweit den Normalfall der vorsätzlichen Tötung (→ § 2 Rn. 6 ff.). § 213 StGB ist eine Strafzumessungsvorschrift zu § 212 StGB, die in Betracht kommt, wenn die Tat aufgrund besonderer Umstände weniger schwer wiegt. Der Mord (§ 211 StGB) enthält abschließend aufgezählte Merkmale, die die Art und Weise der Begehung oder die Intention der Tötung betreffen und die den Unrechtsgehalt der Tat damit erhöhen. Aus diesem Grund droht § 211 StGB eine gegenüber § 212 StGB erhöhte Strafe an, nämlich zwingend lebenslange Freiheitsstrafe, obgleich diese in der Praxis in aller Regel nicht ein Leben lang andauert (→ § 2 Rn. 134). Tötet jemand das Opfer hingegen auf dessen ausdrückliches und ernstliches Verlangen hin, so wird er durch die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) privilegiert (→ § 3). In welchem Verhältnis die §§ 212, 211 StGB einerseits zu § 216 StGB andererseits stehen, ist umstritten (→ § 2 Rn. 113 ff.).
Während alle vorstehend genannten Delikte Erfolgsdelikte sind und voraussetzen, dass tatsächlich ein Mensch zu Tode gekommen ist, erfasst die Aussetzung (§ 221 StGB) auch bloße (konkrete) Gefährdungen des Lebens (→ § 6).
Da das Leben ein sehr gewichtiges Rechtsgut ist (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), ist nicht nur die vorsätzliche (§ 15 StGB), sondern mit § 222 StGB auch die fahrlässige Tötung unter Strafe gestellt (→ § 5). Bei einigen Delikten stellt die fahrlässige bzw. leichtfertige Herbeiführung des Todes darüber hinaus eine schwere Folge iSd erfolgsqualifizierten Delikte dar (zB §§ 227, 251, 306c StGB).
Im Jahr 2015 wurde der von vornherein sehr umstrittene
Praktische Relevanz
Die Tötungsdelikte sind zwar in der juristischen Ausbildung und auch in öffentlichen kriminalpolitischen Debatten sehr präsent, kommen aber praktisch nur selten vor: Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) verzeichnet für das Jahr 2023 2.282 eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte – das entspricht einem Anteil von weniger als 0,1 % an der Gesamtkriminalität.
Weiterführendes Wissen: Die Aussagekraft der PKS ist sehr begrenzt: Die Statistik erfasst nicht alle tatsächlich begangenen Straftaten, sondern nur von der Polizei als Straftat bearbeitete Vorgänge.
Beginn und Ende des Lebens aus strafrechtlicher Sicht
Tatobjekt der §§ 211–216 sowie 221 f. StGB kann nur ein Mensch sein. Dieses scheinbar triviale Tatbestandsmerkmal kann im Einzelfall erhebliche Probleme aufwerfen.
Beginn des Lebens
Zu Beginn des Lebens stellt sich die Herausforderung, den Anwendungsbereich der hier erörterten Vorschriften vom Anwendungsbereich der das ungeborene Leben schützenden Vorschriften nach §§ 218-219b StGB abzugrenzen.
Naheliegend wäre es, für den Zeitpunkt der Geburt mit einer Mindermeinung an § 1 BGB anzuknüpfen und den Anwendungsbereich der Tötungsdelikte mit Vollendung der Geburt beginnen zu lassen.
Wann die Geburt genau beginnt, hängt von der Art der Geburt ab: Die vaginale Geburt beginnt mit Einsetzen der Eröffnungswehen.
Weiterführendes Wissen: In der Praxis können durch die Grenzziehung bei den Eröffnungswehen nicht unerhebliche Beweisschwierigkeiten auftreten, da es neben den Eröffnungswehen noch weitere Wehenarten gibt (insb. sog. Vorwehen) und diese selbst für medizinisches Fachpersonal nicht immer klar von Eröffnungswehen unterscheidbar sind. Dies bedingt nicht nur Beweisschwierigkeiten auf objektiver Ebene, sondern insb. auch beim Vorsatz.
Bei der Frage, ob eine Tat in den Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB oder §§ 218 ff. StGB fällt, ist nach hM auf den Zeitpunkt der schädigenden Einwirkung auf das Tatopfer abzustellen, nicht auf den der Tathandlung oder des Erfolgseintritts.
Beispiel nach (BGH NStZ 2008, 393): S ist im sechsten Monat von T schwanger und hat sich von ihm getrennt. Da T sie ganz für sich allein will, sticht er S mit einem Küchenmesser in die Brust, wodurch diese einen Kreislaufstillstand erleidet. S kann durch eine Notoperation gerettet werden, jedoch musste ein Notfallkaiserschnitt vorgenommen werden. Das Kind kam lebendig zur Welt, verstarb aber 16 Tage später auf der Kinderintensivstation an den Folgen des Kreislaufstillstandes seiner Mutter. In Bezug auf die versuchte Tötung der S verwirklicht T §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB, da er aus niedrigen Beweggründen handelte (Eifersucht, Anmaßung eines absoluten Besitzanspruchs über S) sowie §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 5 StGB. Auch hat T kausal den Tod des Kindes herbeigeführt. Da zur Zeit der Einwirkung (das Herbeiführen des Kreislaufstillstandes der Mutter) das Tatobjekt jedoch noch kein Mensch war, sondern eine Leibesfrucht, ist der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB nicht eröffnet. Das Gleiche gilt für die §§ 223 ff. StGB am Kind, da diese ebenfalls voraussetzen, dass das Tatobjekt zum Zeitpunkt der Einwirkung ein Mensch ist. Die Tötung des Kindes stellt vielmehr nur eine Tat nach § 218 Abs. 1 S. 1 StGB dar.
Ende des Lebens
Die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal „Mensch“ ist bei Fallkonstellation am Ende des Lebens in Klausuren zumeist unproblematisch. Während der Tod nach früherem Verständnis im endgültigen Stillstand des Kreislaufes zu sehen war (sog. Herz- oder Kreislauftod), tritt der Tod nach heute hM mit dem irreversiblen Erliegen der gesamten Hirnströme ein (sog. Hirntod, vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG).
Absolutheit des Lebensschutzes
Bei den Tötungsdelikten gilt der Grundsatz der Absolutheit des Lebensschutzes.
Beispiel: Erschießt jemand ein schwer verletztes Unfallopfer, das in den nächsten Minuten seinen Verletzungen erliegen wird, so liegt eine Tat nach § 212 StGB, ggf. auch iVm § 216 StGB, vor.
Besondere Schwierigkeiten bereiten die in jüngerer Zeit verstärkt in den Fokus geratenen sog. Triage-Fälle. Dabei handelt es sich um Situationen, in denen die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht ausreichen, um alle lebensgefährlich Erkrankten oder Verletzten kumulativ medizinisch zu versorgen (zB aufgrund eines Mangels an Beatmungsgeräten). Der absolute Lebensschutz einer Person konkurriert hier mit dem absoluten Lebensschutz einer anderen Person bzw. mehrerer anderer Personen.
Müssen mehrere Personen medizinisch versorgt werden, die sich aktuell noch nicht in Behandlung befinden, und reichen die Ressourcen nicht für die kumulative Rettung aller aus, so spricht man von der sog. „Ex-ante-Triage“.
Beispiel: X und Y werden gleichzeitig mit einer SARS-CoV-2-Infektion im Krankenhaus eingeliefert und müssen an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Aufgrund des um sich greifenden Pandemiegeschehens ist jedoch nur noch ein einziges Beatmungsgerät frei. Die zuständige Ärztin C schließt X an das Gerät an, sodass dieser überlebt. Y hingegen stirbt mangels Beatmung.
In Frage kommt eine Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen, die aber durch eine rechtfertigendende Pflichtenkollision gerechtfertigt werden kann. Voraussetzung ist, dass beide Handlungspflichten („Rette X!“ und „Rette Y!“) gleichwertig sind. Dies ist der Fall, wenn beide Patienten mit gleicher Dringlichkeit auf medizinische Behandlung angewiesen sind. Darüber hinaus gibt die rechtfertigende Pflichtenkollision aber keine weiteren, zwingenden Auswahlkriterien vor.
Weiterführendes Wissen: Für Situationen, in denen aufgrund einer übertragbaren Krankheit keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung stehen, gibt § 5c Abs. 2 S. 1 IfSG nunmehr vor, dass die Entscheidung, welcher Person die Behandlung zugeteilt werden soll, „nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ getroffen werden darf. Außerdem verbietet § 5c Abs. 1 S. 1 IfSG explizit eine Auswahl nach diversen diskriminierenden Kriterien, § 5c Abs. 3 und 4 IfSG regeln zudem detailliert das einzuhaltende Verfahren. Zwar geben die Gesetzesmaterialien vor, dass § 5c IfSG an der strafrechtlichen Bewertung nichts ändern solle,
Davon zu unterscheiden ist die sog. „Ex-post-Triage“. Hier befindet sich eine Person bereits in Behandlung und es stellt sich die Frage, ob ihre bereits laufende Behandlung abgebrochen werden darf, um mit den freiwerdenden Ressourcen eine andere Person zu retten.
Beispiel: B befindet sich mit einer SARS-CoV-2-Infektion im Krankenhaus und ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Bei fortdauernder Beatmung hat er eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 40 %. Nun wird auch A eingeliefert und ist beatmungsbedürftig, jedoch verfügt das Krankenhaus über keine freien Beatmungsgeräte mehr. Die zuständige Ärztin C stellt das Beatmungsgerät von B ab und schließt A daran an, welcher daher eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 80 % hat. B stirbt mangels Beatmung.
§ 34 StGB ist nicht einschlägig, da Leben nicht gegen Leben abgewogen werden kann. Ein entschuldigender Notstand, § 35 Abs. 1 StGB, scheidet ebenfalls aus, da die behandelten Patienten (wie im Beispiel) typischerweise weder Angehörige noch eine nahestehende Personen der Ärzte sind. Auch der übergesetzliche entschuldigende Notstand greift hier nicht, da die Zahl der geretteten Menschenleben regelmäßig (und auch im Beispiel) nicht deutlich überwiegt.
Selbsttötung und Hilfe zur Selbsttötung
Die §§ 211 ff. StGB erfassen tatbestandlich lediglich die Tötung eines anderen Menschen, weshalb die (versuchte) Selbsttötung straflos ist. Das kommt zwar nicht eindeutig im Wortlaut der Normen zum Ausdruck, ergibt sich aber letztlich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Einen Menschen kann aus verfassungsrechtlicher Perspektive keine (zumal strafbewehrte) Pflicht treffen, sein Leben nicht zu beenden.