Der Tatbestand der Leistungserschleichung ist im Jahr 1935 erstmals in das deutsche Strafgesetzbuch (damals RStGB) aufgenommen worden. Die gesetzgeberische Entscheidung folgte der Einsicht, dass die existierenden Vermögensdelikte lediglich einen für unzureichend befundenen Rechtsgüterschutz boten. Zuvor hatte das RG bei der Personenbeförderung ohne gültigen Fahrschein (RGSt 42, 40) und dem Missbrauch von Münzfernsprechern (RGSt 68, 65) festgestellt, dass v. a. der Tatbestand des Betrugs (§ 263 StGB) bei überwachungslosen Massengeschäften des täglichen Lebens und bei sog. Leistungsautomaten (→ Rn. 4) an den Merkmalen Täuschung und Irrtum scheitern kann. Es handelt sich bei § 265a StGB – wie der Buchstabenzusatz „a“ zeigt – insofern um einen Auffangtatbestand. Entgegen teilweise in der Literatur vorzufindener Brandmarkungen handelt es sich bei § 265a StGB trotz seiner Entstehungszeit nicht um eine Vorschrift, der inhaltlich das Verdikt eines „Nazi-Paragraphen“ angeheftet werden kann. Kriminalpolitisch ist die Regelung umstritten, über Reformen oder die Abschaffung wird regelmäßig diskutiert. Das gilt insbesondere für die Beförderungsvariante (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB) und das sog. „einfache“ (also ohne begleitendes Täuschungsverhalten bewirkte) Fahren ohne Fahrschein. Hier führt die verfehlte und extensive Rspr. des BGH (→ Rn. 16 ff.) dazu, dass der Tatbestand jährlich weit mehr als 100.000 Fälle „produziert“, die überwiegend im Bereich der Bagatellkriminalität angesiedelt sind (ca. 75 % mit Schadenshöhe bis 15 EUR), die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte über die Gebühr belasten und nicht selten wegen der späteren Uneinbringlichkeit von Geldstrafen zur kostspieligen Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen (§ 43 StGB) führen.
Rechtsgut und Deliktsstruktur
§ 265a StGB schützt das Vermögen derjenigen natürlichen oder juristischen Person, deren Leistung erschlichen wird.
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter eine der enumerativ aufgezählten entgeltlichen Leistungen erschleicht.
Tatobjekte: Entgeltliche Leistungen
Leistung eines Automaten
Die erste Variante der Vorschrift betrifft die Leistung eines Automaten. Dabei wird nach ganz hM zwischen tatbestandlich erfassten sog. Leistungsautomaten und den nicht erfassten Warenautomaten unterschieden. Als wesentliche Leitlinie zur Abgrenzung kann der Charakter des am Automaten abzuschließenden Verpflichtungsgeschäfts herangezogen werden: Wird ein Kaufvertrag über eine Ware abgeschlossen und daher deren Übergabe und Übereignung durch den Automatenaufsteller geschuldet, liegt kein Fall des § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB vor.
Beispiele für Warenautomaten: Zigaretten-, Snack- oder Getränkeautomaten.
Um einen Leistungsautomaten handelt es sich dagegen, wenn der Vetragsschluss im Bereich des Dienst- oder Werkvertragsrechts angesiedelt ist.
Beispiele für Leistungsautomaten sind Jukeboxen, Spielautomaten, stationäre Ferngläser, oder Münzgravierautomaten.
Der Gedanke hinter der Differenzierung von Waren- und Leistungsautomaten und die daraus folgende Ausklammerung von Warenautomaten aus dem Anwendungsbereich von § 265a StGB ist in der Struktur des § 265a StGB als Auffangtatbestand begründet: Überwindet der Täter technische Sicherungen eines Warenautomaten (etwa mittels Formäquivalenten zu Geldmünzen) scheitert die Übereignung der Ware nach § 929 S. 1 BGB, da die Einigung zur Eigentumsübertragung unter der Bedingung der ordnungsgemäßen Nutzung steht. Die somit fremde Sache wird sodann auch iSv § 242 Abs. 1 StGB „weggenommen“, da das tatbestandsausschließende Einverständnis des Automatenausstellers unter der (nach hM berücksichtigungsfähigen, s. dazu → § 1 Rn. 58) technisch objektivierten Bedingung der ordnungsgemäßen Automatennutzung steht. Da der Täter sich in dieser Konstellation folglich wegen Diebstahl strafbar macht, ist ein Rückgriff auf § 265a StGB nicht erforderlich. Gleiches gilt nach zutreffender Sichtweise beim Einwurf von täuschend echt aussehendem Falschgeld in einen Automaten. Lehnt man hier § 242 StGB ab, weil das tatbestandsausschließende Einverständnis nicht von einer Bedingung (kein Einsatz von Falschgeld) abhängig gemacht werden kann, die selbst ein Mensch anstelle des Automaten nicht zu prüfen im Stande gewesen wäre, bleibt immer noch der Rückgriff auf § 246 StGB.
Klausurtaktik: Sobald der Täter im Sachverhalt einen Automaten in auffälliger Weise benutzt, sollte nach der Prüfung der §§ 242, 246, 263, 263a StGB immer auch § 265a StGB angesprochen werden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen Warenautomat handelt und die Strafbarkeit im Ergebnis scheitert. Es genügt dann eine kurze Begründung, warum Warenautomaten auf Grund des Auffangcharakters von § 265a StGB nicht erfasst werden.
Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes
Die zweite Variante der Vorschrift nimmt die Leistung eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes in den Blick. Gemeint sind damit Telefonleitung und Datenübertragungssysteme, insbesondere die Internetleitung.
Beförderungserschleichung
Die größte Bedeutung in der Praxis kommt – wie bereits erwähnt – der dritten Variante des Tatbestands in Gestalt der Beförderungserschleichung zu.
Erfasst ist vom Merkmal der Beförderung durch ein Verkehrsmittel sowohl der öffentliche Personennah- und -fernverkehr als auch der Individualverkehr (zB Taxis oder Uber etc.).
Die Problematik der Variante liegt nicht im grundsätzlich legitimen Tatobjekt, sondern in der ausufernden Auslegung der Tathandlung des Erschleichens durch die Rspr. (→ Rn. 16 ff.).
Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen
Die letzte, vierte Variante der Vorschrift erfasst den Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen. Unter Veranstaltungen versteht man einmalige oder zeitlich begrenzte Aufführungen wie zB Konzerte, Filmvorführungen, Festivals, Theatersaufführungen. Demgegenüber sind Einrichtungen auf Dauer angelegt, was zum Beispiel bei Museen oder Schwimmbädern der Fall ist.
Zutritt zu Veranstaltungen oder Einrichtungen meint die körperliche Anwesenheit im Bereich der Veranstaltung bzw. in der Einrichtung, sodass zum Beispiel das Ansehen einer Open-Air-Veranstaltung von außerhalb des Geländes ohne Entrichtung des Entgelts dem Tatbestand nicht unterfällt.
Schließlich müssen alle vorbenannten Leistungen entgeltlich sein. Daher muss das Erlangen der konkret in Rede stehenden Leistung an die Entrichtung eines Entgelts (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB) an den Leistungserbringer geknüpft sein.
Tathandlung: Erschleichen
Im Ausgangspunkt ist ein tatbestandsmäßiges Erschleichen als Erlangen einer der vorbezeichneten Leistungen durch unbefugtes Verhalten unter Einsatz manipulativer Umgehung von Kontroll- oder Zugangssperren bzw. Sicherheitsvorkehrungen definiert.
Eine andere Auslegung verfolgt die Rspr. allerdings bei der Beförderungserschleichung iSv § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB. Hier soll es ausreichen, dass jemand das Transportmittel unbefugt nutzt und sich dabei mit dem „Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt“.
In der Literatur stößt die skizzierte Auslegung auf nahezu einhellige Ablehnung.
Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss vorsätzlich handeln, wofür dolus eventualis genügt. Zusätzlich muss der Täter die Leistung in der Absicht erschleichen, das Entgelt nicht zu entrichten. Erforderlich ist hier zielgerichteter Wille, es muss dem Täter auf den Erfolg (die Nichtentrichtung des Entgelts) ankommen (dolus directus 1. Grades / Absicht).
Rechtswidrigkeit und Schuld
Es gelten die allgemeinen Regeln.
Täterschaft und Teilnahme
Auch hier gibt es keine Besonderheiten.
Versuch, Vollendung, Beendigung
Der Versuch des Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB) ist gem. § 23 Abs. 1 Var. 2 iVm § 265a Abs. 2 StGB strafbar. Die Tat ist vollendet, sobald die tatbestandliche Leistung tatsächlich erbracht wurde, wobei der Beginn der Leistungserbringung (zB Fahrtbeginn) ausreicht. Es handelt sich bei § 265a StGB um ein Dauerdelikt, sodass die Tat erst mit dem Ende der Leistungserbringung beendet ist.
Konkurrenzen
In Abs. 1 wird formelle Subsidiarität gegenüber der Verwirklichung von anderen, schwereren Taten angeordnet („wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“). Dabei ist anders als bei § 265 StGB (→ § 13 Rn. 15) die Tat im materiell-rechtlichen Sinne gemeint. Besondere Bedeutung kommt der Subsidiaritätsklausel im Verhältnis zum Betrug zu, da bei handlungseinheitlich zur Leistungserschleichung verübten ausdrücklichen oder konkludenten Täuschung allein § 263 StGB Anwendung findet.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Tatobjekte: Entgeltliche Leistungen
Tathandlung: Erschleichen
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz und Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten
Rechtswidrigkeit
Schuld
Ggfs. Strafantragserfordernis, § 265a Abs. 3 i. V. m. §§ 247, 248a StGB
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Über Abs. 3 gilt das Strafantragserfordernis aus §§ 247, 248a StGB. Der § 247 StGB dürfte dabei in der Praxis kaum je eine Rolle spielen. Besondere Bedeutung kommt in der Praxis jedoch dem relativen Strafantragserfordernis aus § 248a StGB beim „einfachen“ Fahren ohne Fahrschein zu, wenn die Beförderungsleistung im ÖPNV „erschlichen“ (zur Kritik an dieser Auslegung s. o. → Rn. 17) wird. Die Grenze der Geringwertigkeit wird unterschiedlich bestimmt, als unterster Wert gelten 25 EUR. Dies dürfte mittlerweile aber vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten und Teuerungen in allen Lebensbereichen kaum noch haltbar sein. Insofern sollte die Grenze wohl bei 50 EUR gezogen werden. Wird ein Strafantrag von den betroffenen Verkehrsbetrieben als Verletzte iSd § 77 Abs. 1 StGB nicht gestellt, kann die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung unter Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses gleichwohl betreiben.
Strafprozessual erwähnenswert ist ferner, dass in der Praxis die Fälle einzelnen „einfachen“ Fahrens ohne Fahrschein in aller Regel nach §§ 153, 153a StPO, § 47 JGG eingestellt werden. Bei Wiederholungstätern kann es zur Anklage kommen, aber auch dort gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine gewisse Zurückhaltung beim Strafmaß. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe wird in diesem Bereich der Bagatellkriminalität nur selten angezeigt sein, es ist an § 47 StGB zu denken.
Studienliteratur
Bögelein/Wilde, Der Rechtsstaat und das Fahren ohne Fahrschein (§ 265a StGB) – Was kostet die Verfolgung eines umstrittenen Straftatbestands?, KriPoZ 2023, 360
Bui/Rössig, Reform des § 265a StGB – Eine Bewertung der Änderungsmöglichkeiten, ZJS 2023, 435
Lorenz/Sebastian, Drei Überlegungen zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, KriPoZ 2017, 352
Mosbacher, Sitzen fürs Schwarzfahren – Gerechte Strafe Sitzen fürs Schwarzfahren?, NJW 2018, 1069