Kilian Wegner Strafrecht AT I: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 3: Objektive Zurechnung (Lösung)

Vorbemerkung:

Unter dem Schlagwort objektive Zurechnung wird eine Vielzahl von – teilweise äußerst heterogenen – Fallgruppen diskutiert (Sie werden gegen Ende des Semesters feststellen, dass im Zusammenhang mit dem Fahrlässigkeitsdelikt noch weitere Konstellationen hinzukommen). Unbeschadet einzelner sprachlicher Nuancen wird dabei die im Kern zweigliedrige Grunddefinition einheitlich gehandhabt, wonach ein Erfolg objektiv zurechenbar ist, wenn

  • der Täter ein rechtlich missbilligtes/unerlaubtes Risiko geschaffen hat und

  • sich dieses Risiko im konkret eingetretenen Erfolg verwirklicht hat.

Es ist wenig erfolgversprechend, die unterschiedlichen Zurechnungsprobleme „auswendig zu lernen“. Machen Sie sich stattdessen die wertungsmäßigen Hintergründe der Zurechnungslehre klar, damit Sie ein Ihnen in einem Klausurfall unterbreitetes Problem argumentativ überzeugend bearbeiten können. Letztlich geht es vor allem um zwei Aspekte:

  • Ist es in einem an den Grundsätzen einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung ausgerichteten sowie dem Prinzip des Rechtsgüterschutzes verpflichteten Strafrecht sinnvoll, eine bestimmte Verhaltensweise abstrakt-generell zu verbieten (Risikoschaffung)?

  • Ist es vor dem soeben angedeuteten normativen Hintergrund unserer (Straf‑)Rechtsordnung angemessen, den Verstoß gegen eine Verbots­norm (= die Schaffung eines unerlaubten Risikos) gerade auch mit Blick auf den konkret eingetretenen Erfolgs zu bestrafen (Risikorealisierung)?

Einen ebenso profunden wie instruktiven Überblick über die Zurechnungslehre und ihr normatives Fundament bietet der dreiteilige Studienaufsatz von Frisch (JuS 2011, 19 ff., 116 ff., 205 ff.).

Fall 1

M könnte sich wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie sich in die Universität begab und dort ihre Kommilliton:innen ansteckte.

Tatbestand

M müsste ihre Kommilliton:innen körperlich misshandelt und/oder in ihrer Gesundheit geschädigt haben. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Unter Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand nachteilig abweichenden, pathologischen Zustandes. Beide Varianten des Taterfolgs von § 223 Abs. 1 StGB dürften durch eine Infektion mit einem Erkältungsvirus erfüllt sein.

M müsste für diesen Erfolgseintritt auch kausal geworden sein. Ursächlich im Sinne des Strafrechts ist jede Bedingung eines Erfolgs, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hier lässt sich der Umstand, dass M trotz ihrer Erkältung in die Universität gegangen ist, nicht hinwegdenken, ohne dass die Ansteckung der Kommilliton:innen entfiele. Wäre M nicht zur Vorlesung gegangen, so hätten sich andere auch nicht mit der Infektionskrankheit angesteckt. Die Handlung der M war also kausal für den Eintritt des Taterfolgs.

Ferner müsste M der Erfolg auch objektiv zuzurechnen sein. Das wäre dann der Fall, wenn sie eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen oder erhöht hat, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat. Fraglich ist insofern bereits, ob M überhaupt eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, indem sie, trotz einer leichten Erkältung, in die Universität ging. Hierbei könnte es sich um sog. sozialadäquates Verhalten handeln, das allgemein toleriert wird und sich im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos bewegt. Dafür spricht, dass die herrschende Verkehrssitte es für gewöhnlich hinnimmt, wenn Personen trotz Erkältungssymptomen am Alltagsleben teilnehmen und sich nicht absondern. Es gibt auch – von besonderen Erkrankungen wie z. B. SARS-CoV-2 abgesehen – keine anderslautenden infektionsschutzrechtlichen Vorschriften. Das Verhalten der M stellt folglich eine Risikoschaffung dar, die strafrechtlich keine Relevanz hat. Der Eintritt des Körperverletzungserfolgs kann M daher nicht zugerechnet werden.

Hinweis: Diese Lösung entsprach bis zum Eintritt der SARS-CoV-2-Pandemie der herrschenden Meinung. Es bleibt abzuwarten, ob die Verkehrssitte sich infolge der Pandemie ändert und der Einhaltung von Quarantäne und der AHA-Regeln im Falle von Erkältungssymptomen zur sozialen Norm wird. Lesenswert ist dazu etwa der Aufsatz von Hotz, NStZ 2020, 230 (dort heißt es u. a.: "Mit Blick auf das momentan allgegenwärtige Gefahrenbewusstsein für SARS-CoV-2 ist ein Verhalten aber ohnehin schon immer dann nicht mehr sozialadäquat, wenn sich jemand, der um seine Infektion weiß, überhaupt im öffentlichen Raum aufhält.").

Ergebnis

M hat sich nicht gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Fall 2

Der Tod könnte der R objektiv zuzurechnen sein. Ein Erfolg ist objektiv zurechenbar, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im konkreten tatbestandlichen Erfolg realisiert hat. Die Teilnahme am Straßenverkehr erzeugt Gefahren für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer:innen. Jedoch handelt es sich bei der Teilnahme am Straßenverkehr um eine Gefahr, die im Rahmen der dafür einschlägigen Regeln (z. B. StVO) allgemein erlaubt ist. Folglich handelt es sich um ein allgemeines Lebensrisiko und nicht um eine unerlaubte Gefahrschaffung im rechtlichen Sinne. Mithin ist der Erfolg der Rechtsanwältin nicht objektiv zuzurechnen.

Fall 3

B könnte sich gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den auf den Kopf des A zielenden Schlag des B auf dessen Schulter abgelenkt hat.

Tatbestand

Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB müsste erfüllt. Dies erfordert eine körperliche Misshandlung und / oder eine Gesundheitsschädigung zum Nachteil des A. Der Treffer auf der Schulter des A ist als üble und unangemessene Beeinträchtigung von dessen körperlichen Wohlbefinden zu bewerten und stellt damit eine körperliche Misshandlung i. S. v. § 223 Abs. 1 StGB dar. Mit dem Hämatom auf der Schulter wurde außerdem ein pathologischer Zustand und mithin eine Gesundheitsschädigung als zweiter Taterfolg des § 223 Abs. 1 StGB herbeigeführt. Denkt man sich hinweg, dass B den Schlag des C abgelenkt hat, wäre der beschriebene Taterfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten, so dass er nach der conditio-sine-qua-non-Formel kausal für den Erfolgseintritt geworden ist.

Fraglich ist jedoch, ob der Taterfolg dem B auch objektiv zugerechnet werden kann. Dagegen spricht, dass B durch das Ablenken des Schlages das Risiko für die körperliche Unversehrtheit des A abgesenkt hat: Ohne das Eingreifen von B wäre A am Kopf und damit deutlich schlimmer getroffen worden. Die überzeugende h. M. verneint in solchen Fällen, die objektive Zurechnung und rechnet die konkrete Wirkung des abgeschwächten Erfolgs dem eigentlichen Täter zu. Zur Begründung wird angeführt, dass das Recht nicht Verhaltensweisen missbilligen könne, welche eine konkret auf das Opfer zulaufende Rechtsgutsverletzung objektiv verbessert. Folglich ist der Erfolg dem A nicht objektiv zurechenbar.

Weiterführender Hinweis: Gegen die hier vertretene Ansicht wird in der Literatur der Einwand erhoben, dass grundsätzlich der Rechtsgutsinhaber zu entscheiden habe, ob er einen schädigenden Kausalverlauf (im Beispiel den Schlag von C) in Kauf nehmen will oder ob er risikovermindernde „Rettung“ durch einen Dritten (im Beispiel das Eingreifen des B) wünscht. Diese Entscheidungsbefugnis werde unterlaufen, wenn bereits auf der Zurechnungsebene die Strafbarkeit verneint wird, da es auf eine Zustimmung des Rechtsgutsinhabers dann gar nicht ankomme. Richtigerweise sei der Fall daher erst auf Ebene der Rechtswidrigkeit zu lösen (z. B. durch einen Rückgriff auf die Rechtsfigur der Einwilligung).

Anhand dieser Problematik können Sie sich sehr gut die unterschiedlichen Wertungsstufen des Straftatsystems verdeutlichen. Die hier vertretene Meinung verneint im Wege des Zurechnungsausschlusses bereits die Tatbestandsmäßigkeit. Sie geht also davon aus, dass ein Verhalten, durch das ein bestehendes Risiko für ein Rechtsgut verringert wird, schon in abstrakt-genereller Hinsicht nicht (strafbewehrt) verboten sein kann. Die zweite Ansicht behandelt das Problem dagegen auf der Ebene der Rechtswidrigkeit. Es handelt sich danach grundsätzlich um ein dem im Tatbestand umschriebenen Deliktstypus unterfallendes (und damit abstrakt-generell verbotenes) Verhalten, das aufgrund einer Erlaubnis (durch Einwilligung, Notstand usw.) im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht verboten ist.

Aus dieser Perspektive erscheint die Annahme eines Zurechnungsausschlusses plausibler. Es ist sinnwidrig, ein Verhalten als rechtlich missbilligte Risikoschaffung mit Blick auf ein Rechtsgut zu bezeichnen, dessen Situation durch das Verhalten ausschließlich verbessert wird. Eine darin eventuell liegende Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers – sofern dieser die Risikoverringerung ablehnt – kann unter Umständen eine tatbestandsmäßige Nötigung (§ 240 StGB) darstellen.

Ergebnis

B hat sich nicht gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Fall 4

A könnte sich wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er B mit einem Messer in den Arm stach.

Tatbestand

Durch den Tod des B ist der tatbestandliche Erfolg des § 212 Abs. 1 StGB eingetreten. Die Handlung des A ist im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel auch kausal für den Tod des B.

Fraglich ist, ob der Erfolg dem A auch objektiv zuzurechnen ist. Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in tatbestandskonformer Weise im Erfolg realisiert hat. Durch den Messerstich hat A ein rechtlich missbilligtes Risiko für Leben und die körperliche Unversehrtheit des B geschaffen. Diese Gefahr müsste sich auch im konkreten Erfolg realisiert haben. Vorliegend verstarb B nicht aufgrund der zugefügten Stichverletzungen, sondern durch den Unfall mit dem Rettungswagen, der durch einen technischen Defekt des Rettungswagens bedingt ist. Es stellt sich daher die Frage, ob eine solche Form des Unfalltodes in dem ursprünglichen durch den Messerstich gesetzten Risiko angelegt ist oder ob es sich um ein Werk des Zufalls handelt, mit dessen Eintritt vernünftigerweise nicht gerechnet werden braucht. Die besseren Gründe sprechen hier für die letztere Auffassung, da Fahrzeuge des Rettungsdienstes üblicherweise frei von schweren technischen Mängeln sind und technisch induzierte Unfälle während Krankentransporten äußerst selten vorkommen. Es handelt sich bei dem Tod des B daher eher um ein Werk des Zufalls denn um eine Manifestation der durch A geschaffenen Gefahr, so dass eine objektive Zurechnung wegen des Vorliegens eines atypischen Kausalverlaufs ausscheidet.

Hinweis: Dies kann man mit guten Gründen auch anders sehen.

Ergebnis

A hat sich nicht wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Das heißt freilich nicht, dass A in diesem Fall straflos bliebe. Er hat sich vielmehr wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht. Dazu später mehr.

Fallabwandlung: Hier hat A ebenfalls ein rechtlich missbilligtes Risiko für Leib und körperliche Unversehrtheit von B geschaffen. Fraglich ist jedoch, ob der Unfall bei einer Fahrt unter Ausnutzung von Sonderrechten („Blaulicht-Fahrt“) – wie im Ausgangsfall – außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit liegt und dem Täter der Erfolg aufgrund eines atypischen Kausalverlaufs nicht zugerechnet werden kann. Dies ist jedoch zu verneinen: Bei derartigen Notfallfahrten liegt es nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass es zu einem Unfall kommt. Gerade dieses Risiko war auch schon in der von A geschaffenen Ausgangsgefahr angelegt, da Messerstiche auf einen Menschen regelmäßig dazu führen, dass der Verletzte unter Ausnutzung von Sonderrechten in ein Krankenhaus gebracht werden muss. Folglich hat sich in dem Tod des B genau das von A geschaffene unerlaubte Risiko verwirklicht. Eine objektive Zurechnung ist in der Fallabwandlung also zu bejahen.

Fall 5

A könnte der Tod des H objektiv zugerechnet werden, wenn er ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen und sich dieses Risiko im tatbestandlichen Erfolg niedergeschlagen hätte.

Durch die Brandlegung hat A ein rechtlich zu missbilligendes Risiko für Leib und Leben, der sich im Haus aufhaltenden Menschen und geschaffen (vgl. §§ 306 ff. StGB, die ein solches Verhalten unter Strafe stellen).

Jedoch ist fraglich, ob sich gerade das von A geschaffene Risiko im Erfolg niedergeschlagen hat oder ob der Zurechnungszusammenhang durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des H entfällt. Eine Selbstgefährdung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Verletzte das schädigende Geschehen selbst steuernd in den Händen hält. H läuft aus eigener Kraft in das brennende Gebäude und hatte damit Herrschaft über den Schädigungsvorgang. Er unterlag auch keinen beachtlichen Willensmängeln oder Irrtümern, so dass seine Selbstgefährdung auch eigenverantwortlich war. Trotz des Vorliegens einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers ist laut BGH eine objektive Zurechnung des Taterfolgs zum Täter aber möglich, wenn dieser

„durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine nicht unerhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder einer ihm nahestehender Person begründet und dadurch ein einsichtiges Motiv für die gefährliche Rettungsmaßnahme schafft“BGHSt 39, 322..

Voraussetzung für die Zurechnung ist dabei jedoch, dass die selbstgefährdende Person sich nicht über das erwartbare Maß unvernünftig riskant verhält.

Im vorliegenden Fall hat A durch die Brandlegung eine erhebliche Gefahr für den sich noch im Obergeschoss des Hauses aufhaltenden Sohn des H geschaffen. Anlässlich dieser Gefahr sah H sich – was nachvollziehbar ist – verpflichtet, eine Rechtsgutsverletzung von seinem Sohn abzuwenden. Der Brand stellte folglich ein einsichtiges Motiv für die gefährliche Rettungsmaßnahme des H dar. Aufgrund der drohenden erheblichen Rechtsgutsverletzung des S war das Verhalten des H auch nicht offenkundig unvernünftig. Es erscheint in dieser Situation sachgerecht, dem Täter, der die Gefahr für die gefährliche Rettungshandlung geschaffen hat, den eingetretenen Erfolg anzulasten. Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugutekommen würde, hat er im Fall des Misserfolges dafür einzustehen. Folglich ist der Tod des H dem A objektiv zuzurechnen.

Fall 6

Hinweis: Ausführungen zur Kausalität finden sie in den Unterlagen aus der letzten AG-Einheit (dort Fall 4).

R müsste eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen haben, die sich anschließend im konkreten Erfolg realisiert hat. Durch die der J zugefügten Stichverletzungen hat R eine rechtswidrige Gefahr für deren Leben geschaffen und damit den ersten Teil dieser Definition erfüllt.

Fraglich ist jedoch, ob sich die Gefahr der durch R verursachten Stichverletzungen oder nicht vielmehr der Schlag mit der Wasserflasche durch S sich im tatbestandlichen Erfolg niedergeschlagen hat. Hier wäre es denkbar, dass der Zurechnungszusammenhang durch das Dazwischentreten eines Dritten in Gestalt von S unterbrochen wurde und sich allein dessen Schlag im konkreten tatbestandlichen Erfolg realisiert hat. Dies richtet sich danach, in wessen Verantwortungsbereich der Taterfolg fällt. Grundsätzlich endet die Verantwortung des Erstverursachers (hier: R), wenn der eingreifende Dritte (hier: S) vollverantwortlich eine neue, selbstständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr begründet, die sich dann allein im Erfolg realisiert. Im vorliegenden Fall hat S, nachdem er die übel durch R zugerichtete J noch lebend am Tatort vorgefunden hat, durch einen gezielten Schlag mit der Wasserflasche gegen den Kopf der J deren Tod hervorgerufen. Das spricht prima facie für eine Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs. Jedoch bleibt zu beachten, dass J auch ohne Eingreifen des S kurze Zeit später, an den durch R zugefügten Verletzungen verblutet wäre. Entscheidend ist hier, dass sich S der durch R gesetzten Gefahr unterordnet und nicht eine völlig neue Gefahr geschaffen hat. Der tödliche Schlag mit der Wasserflasche ist also letztlich nur eine typische Erscheinung der von R geschaffenen Ausgangsgefahr, die sich im konkreten Taterfolg manifestiert hat. Der Erfolg ist R daher objektiv zuzurechnen.

Fall 7

M könnte den objektiven Tatbestand des Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB erfüllt haben, indem er mehrfach mit seiner Faust auf seine Frau einschlug und diese anschließend durch die unentdeckten schweren Verletzungen verstarb.

Der Umstand, dass M auf die F eingeschlagen hat, ist für die Erfolgsverursachung kausal im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel.

Der Erfolg müsste dem M auch objektiv zuzurechnen sein. Durch die Schläge in den Brust- und Rippenbereich hat M eine rechtlich unerlaubte Gefahr für Leib und Leben der F geschaffen. Fraglich ist, ob sich dieses Risiko im konkreten Erfolg niedergeschlagen hat oder ob der Zurechnungszusammenhang unterbrochen sein könnte, weil die Ärzte die Verletzungen – die sonst hätten ohne größere Probleme behandelt werden können – nicht erkannten. Bei dieser Art von ärztlichen Kunstfehlern differenziert die herrschende Meinung zunächst danach, ob das Opfer an den ihn zugefügten Verletzungen stirbt oder ob der Arzt das ursprüngliche Risiko durch einen ärztlichen Fehler verdrängt hat, der ausschließlich im Verantwortungsbereich des Arztes liegt (z. B. Verabreichung eines falschen Medikaments). In der letzteren Konstellation wird regelmäßig ein Zurechnungsausschluss angenommen. So liegt der Fall hier jedoch nicht, denn F ist unmittelbar an den durch M beigebrachten Rippenbrüchen und nicht durch ein neu vom Arzt geschaffenes Risiko gestorben. Trotzdem kann die objektive Zurechnung ausgeschlossen sein, wenn der Arzt die Verletzungen nicht oder in unzureichender Weise behandelt hat. Viele Autor:innen differenzieren hierbei nach dem Grad des ärztlichen Fehlverhaltens. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Arztes soll die Zurechnung zum Erstverursacher ausschließen, während bei lediglich leicht fahrlässigen Behandlungsfehlern der Zurechnungszusammenhang bestehen bleiben soll. Nach dieser Betrachtung wäre eine objektive Zurechnung im vorliegenden Fall gegeben, da der Arzt lediglich in leicht fahrlässiger Weise übersehen hat, dass bei F nicht nur drei Rippen gebrochen waren.

Eine andere Ansicht will zunächst danach differenzieren, ob das Fehlverhalten des „Dazwischentretenden“ in einem aktiven Tun oder in einem Unterlassen besteht. Im letztgenannten Fall sei es geradezu ersichtlich, dass sich genau das vom Täter geschaffene Risiko realisiert habe, während bei einem aktiven Tun i. d. R. ein Zurechnungsausschluss anzunehmen sei. Auch nach dieser Auffassung wäre im vorliegenden Fall eine Zurechnung anzunehmen, da auf Grund des diagnostischen Fehlers lediglich Behandlungsmaßnahmen unterblieben sind.

Da alle Ansichten zu demselben Ergebnis kommen, kann eine Entscheidung des Streits unterbleiben. Der Tod der F ist dem M objektiv zurechenbar. Mithin ist der objektive Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB erfüllt.