Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit Licensed under CC-BY-4.0

§ 26: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

Autor: Jens Adam

Die Unfall- bzw. Fahrerflucht (korrekt: das Unerlaubte Entfernen vom Unfallort) stellt ein typisches Massen- und Alltagsdelikt dar (auszugehen ist von ca. 400.000 Taten pro JahrZopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 15.) und ist daher von erheblicher Bedeutung für die Praxis. Konträr zur praktischen Relevanz des § 142 StGB steht dessen Stellenwert in der juristischen Ausbildung, wo er nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies mag seinen (verständlichen) Grund darin finden, dass es sich bei § 142 StGB um einen handwerklich missglückten und überkomplizierten Tatbestand handelt. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen sind im Einzelnen teilweise derart umstritten, dass ein umfassendes Detailwissen diesbezüglich von Studierenden nicht erwartet werden kann. Sei es die Komplexität der in § 142 Abs. 1, Abs. 2 StGB normierten Verhaltenspflichten, die unklare Bestimmung des sog. „Unfallbeteiligten“ durch § 142 Abs. 5 StGB als Normadressat:in der Vorschrift oder die weitgehend kasuistische – und teils offen widersprüchliche – Ausfüllung des Begriffes „Unfall im Straßenverkehr“: Ein derartiges „Minenfeld“ an Tatbestandsproblemen stellt die Normanwender:innen vor erhebliche Herausforderungen. Für die strafrechtliche (Examens-)Klausur genügt es im Regelfall daher, die Deliktsstruktur des § 142 StGB – hier vor allem das Verhältnis der einzelnen Tatbestände des § 142 StGB untereinander – sowie die im Rahmen der einzelnen Tatbestandsmerkmale auftretenden gängigen Standardprobleme zu beherrschen.

Weiterführendes Wissen: Die überwiegenden Stimmen in der strafrechtlichen Literatur plädieren vor dem Hintergrund der „technischen“ Defizite des § 142 StGB für eine umfassende Reform des Tatbestandes.S. etwa die Nachweise bei Steinert, StV 2023, 14. Das Bundesjustizministerium plant derzeit, Unfallflucht bei Verursachung von Sachschäden zu entkriminalisieren, sodass § 142 StGB nur noch Unfälle mit Personenschäden erfassen soll. Gleichzeitig soll der „abgeschnittene Teil“ in Bezug auf Sachschäden in einen eigenen OWiG-Tatbestand überführt werden. Dies wird überwiegend kritisiert, da hiermit die handwerklichen Probleme des § 142 StGB und dessen kasuistischer Charakter als eigentliche „Baustellen“ der Norm nicht angegangen werden.S. nur Poseck, ZRP 2023, 127; Steinert, StV 2023, 14 ff.; aA Janeczek, ZRP 2023, 127.

Rechtsgut und Deliktsnatur

Nach ganz hM ist geschütztes Rechtsgut des § 142 StGB das zivilrechtliche Beweisinteresse der Unfallbeteiligten und Geschädigten an einer möglichst umfassenden Aufklärung des Unfallherganges mit dem Zweck, sowohl die Durchsetzung als auch die Abwehr von Schadensersatzansprüchen (zB aus § 823 BGB oder § 7 StVG) zu sichern und so der Gefahr eines Beweisverlustes entgegenzuwirken.S. nur BT-Drs. 7/2434, S. 5. Dagegen nicht von § 142 StGB geschützt ist das öffentliche Interesse an der Ermittlung und Ahndung von Verkehrsstraftaten oder der generellen Erfassung von Verkehrsunfällen.Für die ganz hM s. nur Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 1 mwN. Die Einordnung des § 142 StGB im 7. Abschnitt des StGB (Straftaten gegen die öffentliche Ordnung) ist damit strenggenommen systematisch falsch und geht maßgeblich auf den nationalsozialistischen UrsprungDer heutige § 142 StGB beruht auf dem 1940 in das RStGB eingeführten § 139a. Hiernach wurde bestraft, wer „sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder der Art seiner Beteiligung an dem Unfall vorsätzlich durch Flucht entzieht“. Die wesentliche Stoßrichtung des § 139a bestand darin, dass der „in der Verkehrsunfallflucht zum Ausdruck kommenden Feigheit und Gemeinheit gebührend begegnet werden müsse“. Die Vorschrift wurde nach 1945 wortlautidentisch (!) in das StGB übernommen und firmiert seit dem 3. StrÄG v. 1953 unter § 142 StGB, zum historischen Hintergrund s. etwa Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 3 mwN. der Vorschrift zurück.Renzikowski, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 142 Rn. 1.

Hinweis: Die Kenntnis des geschützten Rechtsguts des § 142 StGB ist für dessen Verständnis essenziell, da nur auf dieser Grundlage die Auslegung des Großteils der einzelnen Tatbestandsmerkmale begreiflich wird. Auch lassen sich durch einen Rückgriff auf den Normzweck auch unbekannte Probleme im Zusammenhang mit § 142 StGB bewältigen.

§ 142 StGB dient folglich allein dem Vermögensschutz der Unfallbeteiligten und normiert daher ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt.BT-Drs. 7/2434, S. 4 f.

Objektiver Tatbestand

§ 142 StGB hat zwei Absätze, die unterschiedliche Situationen nach einem Unfall im Straßenverkehr in den Blick nehmen: § 142 Abs. 1 StGB regelt, dass Unfallbeteiligte grundsätzlich entweder dem Geschädigten bestimmte Informationen zur Schadensabwicklung mitteilen (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder – wenn kein Geschädigter anwesend ist – eine angemessene Zeit auf den Geschädigten warten müssen (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Nun kann es aber auch Fälle geben, in denen der Unfallbeteiligte sich rechtmäßig vom Unfallort entfernt, ohne dass der Geschädigte die zur Schadensabwicklung nötigen Informationen erhält (entweder weil der Unfallbeteiligte lange genug erfolglos auf den Geschädigten gewartet hat oder weil ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund es ihm gestattet). Für diesen Fall ordnet § 142 Abs. 2 StGB an, dass der Unfallbeteiligte sich nachträglich darum bemühen muss, dem Geschädigten die zur Schadensabwicklung nötigen Informationen mitzuteilen.

Von dem dargelegten Unterschied abgesehen, teilen sich § 142 Abs. 1 StGB und § 142 Abs. 2 StGB dieselben objektiven Tatbestandsmerkmale: Es muss zu einem Unfall im Straßenverkehr (I.) gekommen sein, bei dem die Person, deren Strafbarkeit geprüft wird, 2. Unfallbeteiligter ist (II.), der sich vom Unfallort entfernt (III.) und dabei eine Pflicht aus § 142 Abs. 1 StGB oder § 142 Abs. 2 StGB verletzt hat (IV.).

Unfall im Straßenverkehr

Grundvoraussetzung der Strafbarkeit gem. § 142 StGB ist das Vorliegen eines Unfalles im Straßenverkehr. Nur in einer Unfallsituation werden die in § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB normierten Pflichten zulasten der sog. „Unfallbeteiligten“ ausgelöst.

Unfall im Straßenverkehr

Ein Unfall im Straßenverkehr ist ein – zumindest für einen der Beteiligten – plötzliches Ereignis im Straßenverkehr, das mit dessen typischen Gefahren in einem ursächlichen Zusammenhang steht und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat, der nicht ganz unerheblich ist.S. nur BGHSt 8, 263 (264 f.); BGHSt 24, 382 (383 f.).

Schadensereignis hat Ursprung im öffentlichen Verkehrsgrund

In räumlicher Hinsicht muss der Schadenseintritt auf öffentlichem Verkehrsgrund stattfinden oder – dies reicht nach der hM aus – dort zumindest seinen Ursprung haben. Der Begriff des öffentlichen Straßenverkehrs entspricht dem des § 316 StGB (→ § 30 Rn. 14 ff.).

Weiterführendes Wissen: Problematisch im Zusammenhang mit § 142 StGB können Fälle sein, in denen das Schadensereignis auf privatem Gelände stattfindet (zB Supermarktparkplatz). Hier wird der sog. faktische Öffentlichkeitsbegriff relevant. Hiernach zählen zum öffentlichen Straßenverkehr auch solche Flächen, die ungeachtet der Eigentumsverhältnisse allein durch ausdrückliche oder stillschweigende Duldung seitens der verfügungsberechtigten Person für einen unbestimmten oder zumindest zahlenmäßig nicht eng begrenzten Personenkreis zugelassen sind und auch so benutzt werden.Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 32. Ob eine solche Duldung vorliegt, bemisst sich nicht nach dem inneren Willen der verfügungsberechtigten Person, sondern ausschließlich nach den äußeren Umständen des Einzelfalles. Hierbei können v. a. folgende Umstände entscheidungserheblich sein: Bestehen von Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder, namentliche Beschilderung von Abstellplätzen usw).

Plötzlichkeit des Schadenseintritts

Der Schadenseintritt im öffentlichen Straßenverkehr muss plötzlich, d. h. unerwartet und somit ungewollt, erfolgen. Problemkonstellationen können sich dahingehend ergeben, ob ein plötzliches Ereignis auch dann vorliegt, wenn der Schadenseintritt gewollt, d. h. vorsätzlich, erfolgt. Dies ist unstr. nicht der Fall, wenn das Schadensereignis von allen Beteiligten vorsätzlich verursacht wurde, etwa um dadurch einen Versicherungsbetrug vorzubereiten.Etwa Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 35 mwN. Die Erfassung derartiger Fälle ginge schon am Schutzzweck des § 142 StGB vorbei, da in solchen Fällen keine Beweissicherungsinteressen der Unfallbeteiligten bestehen.

In Fällen, in denen das Schadensereignis nur durch die Schädiger:in vorsätzlich herbeigeführt wurde, d. h. nur für die geschädigte unfallbeteiligte Person „plötzlich“ ist, nimmt die hM einen „Unfall im Straßenverkehr“ an.BGH NJW 1959, 394 f.; Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 6. Dem ist zuzustimmen: Nur weil die schädigende unfallbeteiligte Person das Schadenspotenzial ihres Verhaltens erkannt hat und auch den Eintritt einer Schädigung wenigstens billigt, beseitigt dies nicht die Beweisinteressen der geschädigten unfallbeteiligten Person.

Beispiel: A befindet sich in einer Verfolgungsjagd mit der Polizei. Dass hierbei andere Verkehrsteilnehmer:innen geschädigt werden können, hält er für möglich und nimmt es billigend in Kauf. Bei einem waghalsigen Überholmanöver auf der Landstraße drängt er den B in seinem Pkw von der Straße, sodass dieser mit einem Baum kollidiert.

Lösung: A handelte zwar mit Eventualvorsatz hinsichtlich der Schäden, die durch die Verfolgungsjagd bei anderen entstehen können. Gleichwohl handelt es sich bei der Kollision des B mit dem Baum um einen Unfall im Straßenverkehr iSv § 142 StGB, sodass A sich durch das Weiterfahren nach dem Unfall des B gem. § 142 StGB strafbar gemacht hat.

Manifestation eines verkehrstypischen Risikos

Notwendig ist zudem, dass das Schadensereignis auch in sachlicher Hinsicht „im Straßenverkehr“ stattfindet. Dies ist der Fall, wenn sich in dem Schadenseintritt die spezifischen Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs realisiert haben. Erforderlich ist, dass das Schadensereignis das Ergebnis eines verkehrstypischen Risikos ist.BGH NJW 1972, 1960; Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 39. Die Notwendigkeit für eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereiches ergibt sich daraus, dass ansonsten der Anwendungsbereich des § 142 StGB ins Endlose ausufern und dieser auch solche Schadensereignisse erfassen würde, die in keinem Zusammenhang mit dem Normzweck des § 142 StGB stehen.

Beispiel: Bauarbeiterin B restauriert auf einem Baugerüst stehend eine Hausfassade. Dabei fällt ihr ein schwerer Hammer vom Baugerüst, der die Windschutzscheibe eines am Straßenrand geparkten PKW durchschlägt. Aus Angst vor Konsequenzen flüchtet sie von der Baustelle.

§ 142 StGB soll nur solche Schadensereignisse erfassen, in denen sich die typischen Unfallrisiken des Straßenverkehrs konkretisieren. Hiervon ausgeschlossen sind Fälle, in denen (wie im o. g. Bsp. mit der Bauarbeiterin) lediglich ein zufälliger räumlich-örtlicher Zusammenhang mit dem Straßenverkehr besteht, das Schadensereignis jedoch keine unmittelbare Folge eines Verkehrsvorganges ist oder sogar gänzlich verkehrsfremde Zwecke verfolgt werden.Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 23. Unproblematisch wird ein solches verkehrstypisches Risiko vorliegen, wenn sich das Schadensereignis aus der Fortbewegung der Verkehrsteilnehmer:innen ergibt, da das besondere Schadensrisiko des Straßenverkehrs gerade aus dessen Schnelligkeit und Komplexität resultiert, wobei hier solche Fälle ausgenommen sind, in denen das Fahrzeug bewusst zweckentfremdet wird.

Stark umstritten ist die Erfassung von Fällen, in denen das Schadensereignis im ruhenden Verkehr stattfindet. Hier geht es vor allem um die Anwendbarkeit des § 142 StGB im Zusammenhang mit Park-, Be- und Entladefällen.

Beispiel: Nach Erledigung ihrer Einkäufe in einem Baumarkt schiebt A ihren Einkaufswagen über den Parkplatz des Baumarktes, wobei ihr die folgenden Missgeschicke passieren:

– Beim Einräumen sperriger Dachlatten zerkratzt sie die Beifahrertür des neben ihr geparkten Mercedes, wobei ein Schaden iHv 450 EUR entsteht.

– Zudem rollt der Einkaufswagen auf dem abschüssigen Parkplatz von A unbemerkt davon und stößt mit einem geparkten VW zusammen, wobei ein Schaden iHv 150 EUR entsteht.

– Beim Einsteigen in ihren PKW öffnet A die Fahrertür zu weit und beschädigt hierdurch die Beifahrertür des neben ihr geparkten Porsche (Schaden iHv 700 EUR).

Erfolgt der Schadenseintritt im Zusammenhang mit der Be- bzw. Entladung des Fahrzeuges (so im Beispielsfall 1), wird man nach umstrittener Meinung das Vorliegen eines verkehrstypischen Risikos richtigerweise verneinen müssenAG Berlin-Tiergarten NJW 2008, 3728; Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 39 mwN.: Derartige Fälle stehen in keinem Zusammenhang mit der Fortbewegung des Fahrzeugs. Es realisiert sich hier nur die alltägliche, von jedem Menschen selbst zu tragende Gefahr, Opfer des unsorgfältigen Hantierens mit Ware zu werden, nicht jedoch eine spezifische Gefahr des Straßenverkehrs.

Nach wohl hM wird in Schadensfällen, die sich aus dem Wegrollen eines Einkaufswagens ergeben (so im Beispielsfall 2), das Vorliegen eines verkehrsspezifischen Risikos angenommen. Dies ergebe sich daraus, dass derartige Schäden aus der verkehrsüblichen Nutzung des öffentlichen Verkehrsraumes resultieren. Bei Beschädigungen durch wegrollende Einkaufswagen handle es sich um eine geradezu typische Gefahrensituation des Straßenverkehrs, die damit auch dem Anwendungsbereich des § 142 StGB unterfallen müsse.OLG Düsseldorf NStZ 2012, 326 mwN.; Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 25.

Relativ unstreitig sind Schadensfälle im Zusammenhang mit dem unachtsamen Öffnen von Fahrzeugtüren (so in Beispielsfall 3). Hier entsteht der Schaden zwar im Zeitpunkt des Stillstands des Fahrzeugs und damit gerade nicht während dessen Fortbewegung. Jedoch dient das Einsteigen in den PKW gerade dem Zweck, sich mit diesem fortzubewegen, sodass es sich hierbei um einen notwendigen Teilakt der Fortbewegung handelt, der mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang steht.Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 25.

Deliktisches Handeln als Unfall?

Wie gezeigt liegt ein plötzliches Schadensereignis auch dann vor, wenn der Schadenseintritt durch wenigstens einen der Unfallbeteiligten vorsätzlich erfolgte. Hier ist jedoch besonders streng zu prüfen, ob sich ein sachlicher Zusammenhang mit den Gefahren des Straßenverkehrs ausmachen lässt. Hieran fehlt es nach herrschender Ansicht, wenn das Fahrzeug allein als Tatwerkzeug zu deliktischen Zwecken, d. h. „waffenersatzartig“, und damit gänzlich verkehrsfremd eingesetzt wird und sein Einsatz nicht (zumindest auch) als Fortbewegungsmittel erfolgt.BGH NJW 1971, 1960.

Beispiel: B beschließt seinen Rivalen A zu töten. A ist, was B weiß, begeisterter Rennradfahrer, weshalb B ihm auf seiner üblichen Route über eine Landstraße auflauert und ihn mit seinem Pkw anfährt. A stürzt schwer verletzt in den Straßengraben und stirbt wenige Minuten später. B flieht.

Lösung: Da B das Fahrzeug allein zum Zweck der Tötung des A einsetzt, besteht kein verkehrsspezifischer Zusammenhang. Für ihn ergibt sich eine Strafbarkeit „nur“ gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2; § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 iVm § 315 Abs. 3 Nr. 1, 2 StGB (sog. verkehrsfeindlicher Inneneingriff).

Gänzlich an einem Zusammenhang mit den typischen (Fortbewegungs-)Risiken des Straßenverkehrs fehlt es in Fällen, in denen die Schadensherbeiführung ausschließlich Folge des deliktischen Handelns des Täters ist und Auswirkungen des allgemeinen Verkehrsrisikos gänzlich nicht erkennbar sind (bspw. Werfen von Gegenständen auf andere Fahrzeuge aus einem fahrenden Pkw, gezielte Sachbeschädigung durch Rammen von Gegenständen, Abtreten des Außenspiegels durch eine verärgerte Fahrradfahrer:in).Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 13.

Schadensereignisse unter Beteiligung von Fußgängern

Nach hM ist es für das Vorliegen eines Unfalles im Straßenverkehr nicht erforderlich, dass an der Entstehung des Schadensereignisses ein oder mehrere Fahrzeuge beteiligt sind. Vielmehr reicht es aus, wenn sich das Schadensereignis zwischen Fußgänger:innen abspielt.Etwa Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 142 Rn. 17.

Beispiel: A rennt zum Bus und kollidiert an einer Straßenecke mit dem ihm entgegenkommenden B, wobei dessen Smartphone zu Boden fällt und beschädigt wird. A rennt unbekümmert weiter, um seinen Bus zu bekommen.

Lösung: Nach hA hat sich A – trotz des Umstandes, dass hier kein Fahrzeug involviert war – gem. § 142 StGB strafbar gemacht, indem sie nach dem Zusammenstoß mit B weitergerannt ist.

Die herrschende Ansicht begründet dies damit, dass sich die typischen Umstände des Straßenverkehrs (Anonymität, Schnelligkeit) auch auf Fußgängerverkehr, insbesondere in Großstädten, übertragen lasse.Zu diesem Argument Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 39. Nach der Gegenansicht verlange § 142 StGB stets die Beteiligung eines Fahrzeugs am Schadenseintritt, was sich allein schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ergebe, da in § 142 Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 3 StGB explizit von „Fahrzeug“ die Rede ist.LG Düsseldorf NStZ-RR 2011, 355 (346); Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 25. Der Begriff des Fahrzeugs sei dabei straßenverkehrsrechtlich zu verstehen.

Weiterführendes Wissen: Es besteht in dogmatischer Hinsicht durchaus Anlass, der hM hier nicht zu folgen. Wie gezeigt, speist § 142 StGB seine Existenzberechtigung maßgeblich aus dem erhöhten Fluchtrisiko vor allem der schädigenden unfallbeteiligten Person und dem besonderen Aufklärungsinteresse aufgrund der regelmäßig hohen Schadenssummen. Hieran wird es im Falle nicht-fahrzeugbezogener Schadensereignisse gerade fehlen. Diese sind vielmehr Ausprägung des alltäglichen Schadensrisikos, für welche jede Person das Beweissicherungsrisiko selbst zu tragen hat. Es überzeugt daher nicht, wenn die hM für diese die Anwendbarkeit des § 142 StGB eröffnet.Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 39.

Erheblichkeit des entstandenen Personen- bzw. Sachschadens

Zuletzt muss bei dem Unfall nach hM ein mehr als unerheblicher Personen- bzw. Sachschaden entstanden sein. Diese Einschränkung begründet sich mit dem Schutzzweck des § 142 StGB.BayObLG NJW 1960, 831 (832). Bei Personenschäden ist von einem unerheblichen Bagatellschaden auszugehen, wenn die Erheblichkeitsgrenze des § 223 StGB nicht überschritten ist (harmlose Kratzer, leichte Schürfwunden, Beschmutzen von Körperteilen mit Pfützenwasser usw). Bei Sachschäden zieht die hM die Wertgrenze bei ca. 40-50 EUR.S. hierzu Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 7.

Hinweis: Das Vorliegen eines erheblichen Personen- oder Sachschadens wird sich regelmäßig unproblematisch aus dem Sachverhalt ergeben und sollte in der Klausurbearbeitung daher auch nur knapp festgestellt werden. Auf die tatbestandsausschließende Kraft des Unerheblichkeitskriteriums ist folglich nur dann ausführlicher einzugehen, wenn dies im Sachverhalt entsprechend angelegt ist.

Unfallbeteiligter

§ 142 StGB stellt ein Sonderdelikt dar, das täterschaftlich nur durch den sog. „Unfallbeteiligten“ begangen werden kann. Der Begriff des „Unfallbeteiligten“ ist in § 142 Abs. 5 StGB legaldefiniert.

Unfallbeteiligter

Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

Bei dem Begriff „Unfallbeteiligter“ handelt es sich nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 5 StGB um einen reinen Verdachtsbegriff: Unfallbeteiligt iSd Vorschrift ist nicht erst, bei wem aus einer ex-post-Betrachtung festgestellt werden kann, dass tatsächlich ein Kausalbeitrag zum Unfall geleistet wurde (wirklicher UnfallbeteiligterKretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 142 Rn. 47 ff.), sondern dem vorgelagert schon, wer den Unfall bloß mitverursacht haben könnte (möglicher Unfallbeteiligter). § 142 Abs. 5 StGB verlangt insoweit eine ex-ante-Betrachtung im Unfallzeitpunkt.

Hinweis: Wann ein Verhalten „nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann“ ist freilich umstritten. Die hM bedient sich diesbzgl. größtenteils konturloser Formeln, welche auch hier zu einer unüberschaubaren Kasuistik geführt haben. Auf diese wird es in der Klausurbearbeitung regelmäßig nicht ankommen, da dieser Sachverhalte zugrunde liegen werden, in denen feststeht, dass die fragliche Handlung den Unfall mitverursacht hat oder nicht. Insoweit wird es hier primär auf den „wirklichen Unfallbeteiligten“ ankommen. Die Erstreckung auf den „möglichen Unfallbeteiligten“ ist dagegen vor allem bei solchen Personen relevant, die bei dem aktuellen Unfallgeschehen anwesend sind, bei denen allerdings unklar ist, ob und in welchem Zusammenhang sie zur Unfallentstehung beigetragen haben (bspw. Beifahrer:innen).

Die Bestimmung der wirklich unfallbeteiligten Person richtet sich nach der Äquivalenztheorie, d. h. ein Beitrag zum Unfall iSd § 142 Abs. 5 StGB leistet zunächst einmal jede Person, deren Verhalten nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Unfall entfällt.Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 142 Rn. 48 mwN. Unproblematisch ist dies in solchen – klausurtypischen – Fällen, in denen das Verhalten des (potenziellen) Täters unmittelbar kausal für das Schadensereignis ist, d. h. direkt zu dem Unfall führt.

Beispiel: Führen des kollidierenden Fahrzeuges, das zum Angefahren werden führende Betreten der Fahrbahn durch die Fußgänger:in usw.

Derartige Konstellationen bilden die typischen Anwendungsfälle der Norm –, sodass hier einschränkende Momente nicht notwendig sind (bspw. regelwidrige oder gar schuldhafte Unfallverursachung).

Anders gelagert ist dies jedoch in Fällen der bloß mittelbaren Beteiligung, in denen der (potenzielle) Täter im Vorfeld des Unfalls lediglich eine Ursache für dessen späteren Eintritt gesetzt hat, ohne an diesem jedoch unmittelbar selbst beteiligt zu sein. Hier macht die Weite der reinen Kausalitätsprüfung eine Restriktion zwingend notwendig, da ansonsten der Anwendungsbereich des § 142 StGB ins Uferlose ausgedehnt würde. In derartigen Fällen wird daher als einschränkendes Kriterium gefordert, dass unfallbeteiligte Person iSd § 142 Abs. 5 StGB nur sein könne, wer sich regel- bzw. verkehrswidrig verhalten habe.OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 278; Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), § 142 Rn. 16.

Beispiel: A befährt unter Einhaltung der geltenden Höchstgeschwindigkeit und aller sonstigen Verkehrsregeln eine regennasse Landstraße. Sie wird mit überhöhter Geschwindigkeit von B überholt. Beim Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahnseite verliert B die Kontrolle über ihr Fahrzeug und fährt in den Straßengraben. Das Fahrzeug überschlägt sich. A denkt, dies geschehe B aufgrund seines gefährlichen Überhohlmanövers ganz recht und fährt unbekümmert weiter.

Lösung: A ist hier mittelbar an dem Unfall beteiligt, da sie durch das Befahren der Landstraße eine Ursache für den späteren Unfalleintritt gesetzt hat, ohne hieran beteiligt gewesen zu sein. Da sich A jedoch vollständig verkehrsgemäß verhalten hat, ist A nicht unfallbeteiligt iSd § 142 StGB und kann sich durch die Weiterfahrt daher auch nicht gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen.

Umstritten ist zudem, ob nur die Person unfallbeteiligt iSd § 142 Abs. 5 StGB sein kann, die im Zeitpunkt des Unfalls am Unfallort anwesend war (hMVgl. die Nachw. bei Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), § 142 Rn. 15.) oder ob dies auch für die Person gilt, die erst nach Unfalleintritt am Unfallort erscheint, um sich von diesem dann wieder zu entfernen.

Beispiel: A ist Paketzusteller und stellt sein Fahrzeug auf einem Fahrradweg ab, um Pakete auszutragen. Da das Fahrzeug nicht beleuchtet ist, wird es von Fahrradfahrerin F übersehen, die mit diesem kollidiert und schwer verletzt wird. Als A zurückkommt, bemerkt er die verletzte F, fährt mit seinem Fahrzeug aber dennoch davon, da er befürchtet, gekündigt zu werden, wenn „die Sache rauskommt“.

Der Wortlaut der Vorschrift lässt sich als Argument durchaus für beide Ansichten nutzbar machen, da dieser nur voraussetzt, dass sich die unfallbeteiligte Person nach dem Unfall vom Unfallort entfernt. Dies kann auch dann erfolgen, wenn diese erst nach dem Unfall an den Unfallort gelangt. Entscheidend für die hM spricht aber der Schutzzweck des § 142 StGB: Hiernach soll durch § 142 StGB gerade die zum Zeitpunkt des Unfalls bestehende Beweislage am Unfallort durch das Verbleiben der Unfallbeteiligten an diesem perpetuiert werden, sodass die notwendigen Feststellungen getroffen werden können.Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 19. Folglich kann unfallbeteiligt iSd § 142 Abs. 5 StGB nur sein, wer schon im Zeitpunkt der Unfallverursachung am Unfallort anwesend ist. Eine Erstreckung auf solche Personen, die erst danach am Unfallort eintreffen, würde gegen den Sinn und Zweck des § 142 StGB verstoßen: Die bestehende Beweislage würde nicht perpetuiert, sondern erweitert und für die Geschädigte:n verbessert, da nun Feststellungen möglich sind, die im Unfallzeitpunkt gar nicht getroffen werden konnten. Für das oben genannte Beispiel mit dem Paketzusteller ergibt sich daher, dass sich A unter Zugrundelegung der hM nicht gem. § 142 StGB strafbar gemacht hat.

Sich-Entfernen vom Unfallort

Sowohl die Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 StGB als auch nach § 142 Abs. 2 StGB setzt nach ihrem jeweiligen Wortlaut voraus, dass sich die unfallbeteiligte Person vom Unfallort entfernt hat. Die Frage, ob dies auch in pflichtverletzender und damit strafbarkeitsbegründender Weise erfolgte, ist dem nachgelagert. Es bietet sich daher an, das Sich-Entfernen vom Unfallort vor die Prüfung der Verletzung der Pflichten aus § 142 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB zu ziehen.

Sich-Entfernen vom Unfallort

Sich-Entfernen ist das willensgetragene Überschreiten der räumlichen Grenzen des Unfallortes nach außen hin.Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 12.

Begriff des Unfallorts

Klärungsbedürftig ist dabei zunächst, was unter Unfallort zu verstehen ist, da nur dann geprüft werden kann, ob sich der Täter auch von diesem entfernt hat. Hier bietet sich die folgende Differenzierung an:

  • Unfallort ist unproblematisch zunächst die eigentliche Unfallstelle, d. h. der Bereich, an dem sich der Unfall ereignet hat und der Schaden eingetreten ist (wo genau deren Grenze verläuft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab).

    Nach der hM erstreckt sich der Unfallort darüber hinaus noch auf den räumlichen Nahbereich zur Unfallstelle, innerhalb dessen feststellungsbereite Personen den Täter nach den Umständen des Einzelfalles als unfallbeteiligt unschwer erkennen oder jedenfalls vermuten können.Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 82.

Eine genaue metermäßige Bestimmung dieses Nahbereiches verbietet sich. Stattdessen ist auf die Umstände des jeweiligen Sachverhaltes abzustellen (bspw. Bestehen von Sicht-/Rufkontakt zu anderen unfallbeteiligten Personen, eingeschaltete Warnblinkanlage am Fahrzeug des unfallbeteiligten Täters usw). Die „Testfrage“ muss lauten: Lässt sich nach den Umständen des Falles trotz der räumlichen Entfernung des Täters zur Unfallstelle noch ein Beteiligungszusammenhang zum Unfall herstellen? (bspw. nicht mehr bei einer Distanz von mehreren Kilometern zur eigentlichen Unfallstelle).Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 54. Dagegen erweitert die Verfolgung des flüchtigen Täters durch die unfallgeschädigte Person den Unfallort nach einhelliger Meinung nicht.

Sich-Entfernen vom Unfallort

Wurde der Unfallort in räumlicher Hinsicht bestimmt, ist zu prüfen, ob sich der unfallbeteiligte Täter auch von diesem entfernt hat.

Unmaßgeblich ist, ob das Sich-Entfernen nur vorübergehend – sei es auch für einen noch so kurzen Moment – oder dauerhaft erfolgt; jedes Überschreiten der räumlichen Grenzen des Unfallortes begründet ein Sich-Entfernen.Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 49. An einem willentlichen Verhalten fehlt es bspw., wenn der Täter etwa im bewusstlosen Zustand vom Krankenwagen abtransportiert oder aufgrund staatlicher Zwangsmaßnahmen abgeführt wird (bspw. Festnahme nach § 127 StPO). Es handelt sich dann um ein „Entfernt-Werden“ und nicht um ein „Sich-Entfernen“.

Ebenfalls kein Sich-Entfernen vom Unfallort liegt vor, wenn sich der Täter noch am Unfallort befindet und sich dort bspw. versteckt oder sich unter die Menge der anwesenden Schaulustigen mischt.S. nur Renzikowski, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 142 Rn. 22 mwN. Bei solchem Verhalten ein Sich-Entfernen anzunehmen, würde die Grenze des Wortlauts des § 142 StGB sprengen. Dies bedeutet freilich nicht, dass der Täter in derartigen Fällen durch sein Täuschungsverhalten einer Strafbarkeit nach § 142 StGB entgehen könnte, denn er verletzt nach hM seine Vorstellungspflicht iSd § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sobald er sich aus seinem „Versteck“ herausbegibt und sodann in tatbestandsmäßiger Weise den Unfallort verlässt.

Hinweis: Für den Prüfungsaufbau ergibt sich daher, dass die zuerst zu prüfende Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das „Sich-Verstecken“ am Unfallort mangels tauglicher Tathandlung mit Hinweis auf die ansonsten drohende Wortlautüberschreitung abzulehnen ist. Im Anschluss sollte dann eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das anschließende Verlassen des Unfallortes geprüft werden.

Pflichtverletzung der unfallbeteiligten Person iSd § 142 Abs. 1, 2 StGB

§ 142 StGB begründet für die Unfallbeteiligten bestimmte Pflichten, zu deren Erfüllung diese im Falle des Eintrittes eines Unfalls im Straßenverkehr verpflichtet sind. Durch diese Pflichten sollen die Unfallbeteiligten in die Lage versetzt werden, die Feststellungen treffen zu können, die notwendig sind, um Schadensersatzansprüche, die aus dem Unfall resultieren, durchsetzen bzw. abwehren zu können. Kommen sie ihren Pflichten nicht nach, machen sie sich strafbar.

Hinweis: Im Hinblick auf das Verhältnis der verschiedenen tatbestandlichen Pflichtverletzungen und die sich hieraus ergebende Prüfungsreihenfolge gilt Folgendes: Zunächst ist § 142 Abs. 1 Nr. 1 vor Nr. 2 StGB zu prüfen und erst im Anschluss hieran – sofern sich eine Strafbarkeit aus § 142 Abs. 1 StGB nicht ergibt – ist auf § 142 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB einzugehen.

Tatbestandliche Pflichtverletzung iSd § 142 Abs. 1 StGB

Für eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 StGB ergeben sich zwei Anknüpfungspunkte:

  • § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB: Bei Anwesenheit sog. „feststellungsbereiter Personen“ (zB der Eigentümer:in eines beschädigten Fahrzeugs) entfernt sich der Täter vom Unfallort unter Verletzung der sog. „Vorstellungs“- oder „Feststellungsduldungspflicht“ (zB indem Angaben über Identität der Unfallverursacher:in und Unfallhergang verweigert werden)

  • § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Bei Abwesenheit feststellungsbereiter Personen (zB da sich der Unfall auf einem einsamen Parkplatz mitten in der Nacht ereignet) entfernt sich der Täter vom Unfallort unter Verletzung der sog. „Wartepflicht“ (d. h. entfernt sich zu früh vom Unfallort, ohne dort ausreichende Zeit zu warten, zB schon nach fünf Minuten, obwohl eine Wartezeit von 30 Minuten zumutbar gewesen wäre)

Ergibt die Prüfung, dass der unfallbeteiligte Täter sich gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB in unerlaubter und damit strafbarer Weise vom Unfallort entfernt hat, muss auf § 142 Abs. 2 StGB nicht mehr eingegangen werden, da es hierfür an der tatbestandlich vorausgesetzten Situation fehlt: Liegt eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor, hat sich der Täter gerade nicht erst nach Ablauf der Wartefrist vom Unfallort entfernt (wie es § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB verlangt), sondern schon vorher. Liegt eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor, hat sich der Täter nicht in berechtigter oder entschuldigter (was Voraussetzung für § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB wäre), sondern in rechtswidriger und schuldhafter Weise vom Unfallort entfernt.

Tathandlung iSd § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Wie sich im Umkehrschluss aus § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergibt, betrifft § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB den Fall, dass am Unfallort feststellungsbereite Personen anwesend sind (zB der Halter eines Pkw auf einem Parkplatz, der gesehen hat, wie sein Auto durch eine Kollision beschädigt wird). Den Täter treffen in diesem Fall die folgenden zwei Pflichten, bevor er sich vom Unfallort entfernen darf:

  • Aktive Vorstellungspflicht (Mitwirkungspflicht: Vorstellen als Unfallbeteiligter und Aufklären über möglichen Beitrag zum Unfallgeschehen)

  • Passive Feststellungsduldungspflicht (Anwesenheitspflicht: Verbleiben am Unfallort, damit die in § 142 Abs. 1 Nr. 1 genannten Feststellungen getroffen werden können)

Kommt die unfallbeteiligte Person diesen Pflichten vollständig nach, ist § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht verwirklicht. Auch eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie § 142 Abs. 2 StGB scheidet dann wie gezeigt aus, da der Täter alle ihm obliegenden Pflichten schon erfüllt hat.Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 1201.

Anwesenheit einer sog. feststellungsbereiten Person

Voraussetzung für die Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist die Anwesenheit einer sog. feststellungsbereiten Person. Hierunter ist jede Person zu verstehen, die den erkennbaren Willen hat und auch geeignet ist, die notwendigen Feststellungen zugunsten der durch den Unfall geschädigten Personen zu treffen und diesen auch zur Kenntnis zu bringen.Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 22. Dies sind vor allem die anderen Unfallbeteiligten sowie die Polizei.Renzikowski, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 142 Rn. 26. Die Eignung zum Treffen der Feststellungen wird bei Personen fehlen, bei denen erwartet werden kann, dass sie diese nur unzuverlässig bzw. unvollständig treffen und den berechtigten Personen zur Kenntnis bringen werden (bspw. Kinder, Betrunkene, unter Schock stehende Personen usw).Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 52. Bei gänzlich unbeteiligten Dritten (zB Unfallzeugen) wird man an die Feststellungsbereitschaft strenge Anforderungen anlegen müssen (zB persönliche Beziehung zwischen feststellungsbereiter und feststellungsberechtigter Person).

Aktive Vorstellungspflicht

Den unfallbeteiligten Täter trifft nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Pflicht zur Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist (aktive Vorstellungspflicht). Nach hM umfasst dies die Angabe gegenüber feststellungsbereiten Personen, dass ein Unfall geschehen ist und der Täter durch sein Verhalten diesen Unfall möglicherweise (mit-)verursacht hat.

Darüber hinausgehende Auskunftspflichten bestehen nicht, insbesondere müssen keine Angaben zu Personalien, dem Unfallhergang etc gemacht werden. Merke: Der unfallbeteiligte Täter muss zur Erfüllung seiner aktiven Vorstellungspflicht weder seinen Namen nennenZwar stellt die Verweigerung der Personalienangabe gem. § 111 OWiG eine Ordnungswidrigkeit dar, jedoch ergibt sich hieraus keine Auskunftspflicht etwa gegenüber der Polizei, s. etwa OLG Dresden NZV 2005, 563., noch muss er sich ausweisen.S. etwa OLG Frankfurt/Main NJW 1990, 1190; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 142 Rn. 30. Die Vorstellungspflicht entfällt immer dann, wenn sich das Vorliegen eines Unfalls und die mögliche Unfallbeteiligung des Täters schon aus den Umständen ergibt.BayObLG NJW 1993, 410. Umstritten sind dagegen Fälle, in denen der unfallbeteiligte Täter seine Eigenschaft als Unfallbeteiligter verschleiert und den Unfallort erst verlässt, wenn sich alle feststellungsbereiten Personen von diesem entfernt haben.

Beispiel: A verursacht einen Unfall und stellt sein Kfz nur wenige Meter vom Unfallort entfernt ab, kehrt zu diesem zurück und gibt gegenüber den erscheinenden Polizist:innen an, er habe den Unfall nur als Zeuge beobachtet. Er wartet, bis alle feststellungsbereiten Personen den Unfallort verlassen haben und die angemessene Wartefrist verstrichen ist, und entfernt sich dann selbst vom Unfallort.

Die herrschende Ansicht, die auch in solchen Fällen eine Verletzung der Vorstellungspflicht und damit eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB annimmt,Etwa Eisele, JuS 2018, 1011 (1012); Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 61.begründet dies folgendermaßen: Der Wortlaut des § 142 StGB setze nicht voraus, dass die feststellungsberechtigte Person noch am Unfallort anwesend sein muss, wenn sich der Täter von diesem entfernt. Denn das Merkmal „bevor“ sei so zu verstehen, dass der Täter den Unfallort verlassen haben muss, ohne zuvor seine Vorstellungspflicht erfüllt zu haben.BGH NJW 2018, 2341 (2342). Dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB lasse sich eine Reihenfolge, in der die Unfallbeteiligten den Unfallort verlassen, daher gerade nicht entnehmen, sodass es für die Verletzung der Vorstellungspflicht unmaßgeblich sei, ob erst die feststellungsbereite Person den Unfallort verlässt und dann der Täter oder andersherum. Eine solche Ansicht ist auch vom Schutzzweck des § 142 StGB gedeckt: Die privaten Beweisinteressen der Unfallbeteiligten sind auch dann betroffen, wenn sich erst die feststellungsbereite Person und dann der Täter vom Unfallort entfernt, da in beiden Fällen die Durchsetzung bzw. Abwehr von Schadensersatzansprüchen mangels Kenntnis der unfallverursachenden Person beeinträchtigt ist.

Passive Feststellungsduldungspflicht

Zusätzlich zu der Vorstellungspflicht besteht nach dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Verpflichtung, durch Anwesenheit zu ermöglichen, dass Feststellungen zu Person, Fahrzeug und Art der Beteiligung getroffen werden können (sog. passive Feststellungsduldungspflicht). Der Pflichtenumfang beschränkt sich hier auf das reine „Dableiben“ am Unfallort, bis die Feststellungen vollumfänglich getroffen sind.Da den Täter damit die Pflicht zur reinen Anwesenheit am Unfallort trifft, ist diesbzgl. teilweise auch von Anwesenheitspflicht die Rede, vgl. Kindhäuser, BT I, 8. Aufl. (2017), § 68 Rn. 15, 19. Der Täter muss die Feststellungen lediglich dulden, d. h. eine aktive Mitwirkung dergestalt, dass die Aufklärung des Unfalls durch eigenes Tätigwerden zu fördern ist, wird nicht vorausgesetzt.BT-Drs. 7/2434, S. 7; st. Rspr. s. nur BGHSt 7, 117. Die Weigerung, Angaben zur eigenen Person zu machen oder derartige Angaben zugänglich zu machen (bspw. Vorlegen von Führerschein oder Personalausweis), begründet somit keine Pflichtverletzung iSd § 142 Abs. 1 StGB.S. nur Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 18; In solchen Fällen besteht nach hM jedoch die Verpflichtung, das Eintreffen der Polizei abzuwarten, sodass diese die notwendigen Feststellungen machen kann.Renzikowski, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 142 Rn. 29.

Umstritten sind solche Fälle, in denen durch aktives Tun das Treffen der genannten Feststellungen erschwert oder unmöglich gemacht wird.

Beispiel: Beseitigung von Bremsspuren, sog. „Nachtrunk“, um den Alkoholgehalt zum Unfallzeitpunkt zu verschleiern, Vorzeigen eines gefälschten Führerscheines oÄ, Beseitigen von Spuren am Unfallfahrzeug, Vertreiben von Unfallzeugen usw.

Als Grundlage für die Ansicht, die in derartigen Fällen eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung iSd § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB annimmtEtwa Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 142 Rn. 29; Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 1199., ließe sich mit Blick auf den Wortlaut des § 142 Abs. 1 StGB (Ermöglichung der Feststellungen zugunsten der genannten Personen) vorbringen, dass ein solcher Täter die in Nr. 1 genannten Feststellungen gerade nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil vereitelt. Dem widerspricht jedoch der Wortlaut des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, soweit dort unmissverständlich von „Ermöglichung durch Anwesenheit“ die Rede ist. In gesetzessystematischer Hinsicht muss zudem § 142 Abs. 3 S. 2 StGB beachtet werden: Das Verbot von Vereitelungsmaßnahmen beschränkt sich hier auf den Fall des nachträglichen Vereitelns und erstreckt sich nicht auch auf § 142 Abs. 1 StGB.

Keine Vorstellungs- oder Feststellungsduldungspflicht bei Feststellungsverzicht

Den unfallbeteiligten Täter trifft dann keine Vorstellungs- bzw. Feststellungsduldungspflicht mehr, wenn seitens der feststellungsberechtigten Person ein sog. Feststellungsverzicht erklärt wurde, d. h. sie bekundet hat, dass an den in § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Feststellungen kein Interesse besteht.Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 1. Der Täter darf sich dann auch vor dem Treffen der entsprechenden Feststellungen vom Unfallort entfernen. Zwar ist die dogmatische Einordnung eines solchen Feststellungsverzichts (sei es als rechtfertigende Einwilligung oder als tatbestandsausschließendes Einverständnis) umstrittenS. etwa Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 34., jedoch besteht Einigkeit, dass der Verzicht – wie bei der rechtfertigenden Einwilligen – bei Vorliegen von Willensmängeln (Täuschung, Drohung, mangelnde Einwilligungsfähigkeit zB bei Minderjährigen, Trunkenheit, Unfallschock etc.) unwirksam ist.Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 30.

Weiterführendes Wissen: Relevant wird die Frage nach der dogmatischen Einordnung, wenn es um die Behandlung von Irrtümern geht. Je nachdem, ob man hier eine Einordnung auf Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsebene vornimmt, liegt ein Tatbestandsirrtum oder ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor. Gegen die Einordnung des Feststellungsverzichts als tatbestandsausschließendes Einverständnis spricht, dass § 142 StGB kein Delikt ist, das einen Willensbruch des Opfers voraussetzt, da ein Handeln „gegen oder ohne den Willen des Berechtigten“ gerade nicht verlangt wird. Zudem eröffnet die Einstufung als Rechtfertigungstatbestand die Möglichkeit der Prüfung einer Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB, da der dann im Erlaubnistatbestandsirrtum handelnde Täter zumindest nach der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie schuldlos und damit nach hM „entschuldigt“ iSd § 142 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB handelt.

Tathandlung iSd § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Sind keine feststellungsbereiten Personen am Unfallort (mehr) anwesend, trifft den unfallbeteiligten Täter gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Pflicht, eine „nach den Umständen angemessene Zeit“ am Unfallort zuzuwarten, d. h. am Unfallort anwesend zu sein (Wartepflicht). Wird diese verletzt, begründet dies eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB.Kindhäuser, BT I, 8. Aufl. (2017), § 68 Rn. 28. Sofern innerhalb der Wartefrist des Nr. 2 eine feststellungsbereite Person am Unfallort eintrifft, endet die Wartefrist und die Pflichten nach Nr. 1 leben wieder auf.OLG Stuttgart NJW 1982, 1769 f. Dies gilt nach hM auch dann, wenn die Wartefrist abgelaufen ist, der unfallbeteiligte Täter jedoch noch am Unfallort zugegen ist und erst in diesem Moment feststellungsbereite Personen eintreffen, da die Pflichten nach Nr. 1 und Nr. 2 unabhängig nebeneinanderstehen. Festzuhalten ist daher: Das Verstreichen der Wartefrist sperrt für denselben Unfallsachverhalt nicht die Pflichten aus Nr. 1. Diese können wieder entstehen, wenn die Wartefrist „eigentlich“ abgelaufen ist.Bock, BT I, S. 621; Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 77.

Der Prüfungsschwerpunkt wird iRd § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB oft in der Bestimmung liegen, welche Wartefrist als „angemessen“ zu beurteilen ist. Dies bemisst sich nicht abstrakt, sondern stets nach den Umständen des Einzelfalls.BT-Drs. 7/2434, S. 7; BGHSt 20, 260. Maßgeblich werden hier insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen seinS. hierzu Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 19.:

  • Art und Schwere des Unfalls, Höhe des eingetretenen Schadens, Eindeutigkeit der Haftungslage (Beweissituation)

  • Äußere Umstände (zB Tageszeit, Witterungsverhältnisse, Verkehrsdichte, Lage des Unfallortes)

  • Wahrscheinlichkeit des Eintreffens feststellungsbereiter Personen (von den genannten äußeren Umständen abhängig)

  • Zumutbarkeit des Wartens für den unfallbeteiligten Täter (zB gesundheitliche Risiken bei längerem Zuwarten, Schwere der selbst durch den Unfall erlittenen Verletzungen, Wetterbedingungen usw)

Anhand dieser Parameter bedarf es einer Gesamtabwägung zwischen dem Interesse der geschädigten Personen an der Unfallaufklärung und dem Interesse des unfallbeteiligten Täters am Verlassen des Unfallortes. So soll bei geringem Sachschaden und eindeutiger Beweislage eine Wartezeit von ca. 10 bis 15 Minuten genügen, wenn das alsbaldige Erscheinen feststellungsbereiter Personen nicht erkennbar ist. Hingegen soll bei größeren Sachschäden eine Wartezeit von ca. 20 bis 30 Minuten auch dann angemessen sein, wenn sich der Unfall nachts an einem abgelegenen Ort ereignet. Kommt es zu erheblichen Sach- oder Personenschäden, beträgt die Wartezeit grds. ca. eine Stunde. Ein „Klausurklassiker“ ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Auswirkung von Ersatzmaßnahmen (etwa das Anbringen eines Adresszettels, einer Visitenkarte oÄ unter der Windschutzscheibe) auf eine mögliche Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Beispiel: A beschädigt beim Ausparken den Pkw von B. Da A zu einem dringenden Geschäftstermin aufbrechen muss, klemmt er unter den Scheibenwischer des Pkw des B eine Visitenkarte mit seinen Kontaktdaten und ergänzt handschriftlich, als Schädiger für den Unfall einstehen zu wollen. Hiernach verlässt er augenblicklich den Unfallort.

Nach ganz hM führen derartige Ersatzmaßnahmen nicht dazu, dass die Wartepflicht vollständig aufgehoben bzw. „auf null reduziert“ wird.Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 79; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 17. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB, in dem ausdrücklich von einem Ablauf der Wartefrist die Rede ist. Würde man bei der Vornahme von Ersatzmaßnahmen die Wartepflicht gänzlich entfallen lassen, würde dies Friktionen im Hinblick auf die Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB erzeugen, da die nachträgliche Verpflichtung des Unfallbeteiligten hier explizit vom Bestehen einer abgelaufenen Wartefrist abhängig gemacht wird.Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 79. Die hM hält es aber für möglich, die Wartezeit im Falle von Ersatzmaßnahmen zu verkürzen.Etwa Geppert, in: LK-StGB, Bd. 5, 12. Aufl. (2009), § 142 Rn. 116. In Anbetracht des Normzwecks des § 142 StGB ist dies zustimmungswürdig, da hierdurch dem Beweisinteresse des geschädigten Unfallbeteiligten grds. Rechnung getragen wird. Hinsichtlich der Anforderungen, die an eine solche Ersatzhandlung anzustellen sind, wird man aber strenge Anforderungen anlegen müssen: Inhaltlich ist zu verlangen, dass das Beweisinteresse der geschädigten Unfallbeteiligten tatsächlich gefördert wird (vollständige und richtige Angaben zur Person, Angaben zur Unfallverursachung etc). Gleichzeitig muss ein „sicherer Zugang“ der Ersatzmaßnahme dergestalt gewährleistet werden, dass das Risiko des Verlustes weitgehend sicher ausgeschlossen wird (zB private Garage oder Briefkasten, nicht dagegen unter dem Scheibenwischer).

Mit Ablauf der (uU verkürzten) Wartefrist darf sich der unfallbeteiligte Täter dann vom Unfallort entfernen. Eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt dann nicht vor. Möglich bleibt jedoch eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Tatbestandliche Pflichtverletzung iSd § 142 Abs. 2 StGB

§ 142 Abs. 2 StGB erfasst die Situationen, in denen der unfallbeteiligte Täter einer Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 StGB zwar entgangen ist, die in § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Feststellungen jedoch nicht getroffen werden konnten. Die Beweisinteressen der Unfallbeteiligten sollen auch in solchen Fällen geschützt werden. Im Einzelnen betrifft dies:

In diesen Fällen trifft den unfallbeteiligten Täter die Pflicht, die in § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Feststellungen unverzüglich nachträglich zu ermöglichen (Nachholpflicht). Es handelt sich hierbei folglich um ein echtes Unterlassungsdelikt: Bestraft wird die Nichtvornahme der von der Norm geforderten Handlung.

Tatmodalität iSd § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB

Gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB trifft den unfallbeteiligten Täter die Nachholpflicht immer dann, wenn er sich nach Ablauf der Wartefrist – und damit in erlaubter Weise – vom Unfallort entfernt hat (Abs. 1 Nr. 2). Denn in derartigen Fällen wurden die notwendigen Feststellungen gerade noch nicht getroffen. Da eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 StGB stets vor einer Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu prüfen ist, kann für den Fall der Prüfung einer Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf die bereits gemachten Ausführungen bzgl. des Entfernens vom Unfallort nach Ablauf der Wartefrist verwiesen werden. Besonderheiten ergeben sich an dieser Stelle insoweit nicht.

Tatmodalität iSd § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB

§ 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB betrifft den Fall, dass sich der unfallbeteiligte Täter „berechtigt oder entschuldigt“ vom Unfallort entfernt hat.

Ein berechtigtes Sich-Entfernen vom Unfallort iSd § 142 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB liegt immer dann vor, wenn der Täter zwar tatbestandsmäßig iSd § 142 Abs. 1 StGB gehandelt hat, d. h. sich in pflichtwidriger Weise vom Unfallort entfernt hat, hierfür jedoch ein Rechtfertigungsgrund eingreift, sodass eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 StGB entfällt. In Betracht kommt hier insbesondere das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes gem. § 34 StGB (zB Verlassen des Unfallortes, um sich oder andere bei nicht gänzlich unerheblichen Verletzungen in ärztliche Behandlung zu begeben) oder einer mutmaßlichen Einwilligung.Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 46. Sofern man den Fall des (partiellen) Feststellungsverzichts als Fall einer rechtfertigenden Einwilligung einordnet, handelt es sich dann ebenfalls um ein berechtigtes Sich-Entfernen vom Unfallort.

Ein entschuldigtes Sich-Entfernen vom Unfallort iSd § 142 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB liegt nach hM immer dann vor, wenn der Täter ohne Schuld gehandelt hat, d. h. Entschuldigungsgründe oder Schuldausschließungsgründe vorgelegen haben. Relevant ist hier insbesondere das Vorliegen eines entschuldigenden Notstandes (§ 35 StGB), einer vorübergehenden Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB (zB Unfallschock, Alkoholkonsum), zumindest nach hM auch eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB) sowie eines Erlaubnistatbestandsirrtums.

Weiterführendes Wissen: Beruht die vorübergehende Schuldunfähigkeit des unfallbeteiligten Täters auf einem Vollrausch iSd § 323a StGB, sodass das Sich-Entfernen vom Unfallort schon gem. § 142 Abs. 1 iVm § 323a Abs. 1 StGB strafbar ist, ist umstritten, ob sich dennoch eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB ergeben kann (wenn er im nüchternen Zustand seiner Nachholpflicht nicht nachkommt). Dem widerspricht die hM: § 142 Abs. 2 StGB komme lediglich eine Auffangfunktion für diejenige Täter zu, die sich in strafloser Weise vom Unfallort entfernt haben. Dies ergebe sich für den Vollrauschtäter jedoch gerade nicht, da für ihn eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 iVm § 323a StGB greift.Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 24. Der Auffangfunktion des § 142 Abs. 2 StGB bedürfe es in solchen Fällen folglich nicht.

Geht es um Fälle des unvorsätzlichen Entfernens vom Unfallort (d. h. der Täter hat keine Kenntnis vom Unfall, da sie ihn zB nicht bemerkt oÄ und erlangt erst später Kenntnis vom Unfall, bspw. durch zufälliges Entdecken des Unfallschadens), entspricht es der hMHierzu Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 50 mwN. sowie der Ansicht des BVerfGBVerfG NJW 2007, 1666 (1667 ff.)., dass derartige Fälle nicht als ein berechtigtes bzw. entschuldigtes Sich-Entfernen vom Unfallort angesehen werden können. Dem ist mit Blick auf das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) zuzustimmen: Die Begriffe „berechtigt“ und „entschuldigt“ iSd § 142 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB meinen nicht ein generelles „Nichts-Dafürkönnen“ im Sinne eines alltagssprachlichen Begriffsverständnisses, sondern sind im Sinne der juristischen Kategorien Unrecht und Schuld zu verstehen. Diese Kategorien werden durch einen Mangel des Vorsatzes nicht berührt, da dieser bereits den Tatbestand ausschließt (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).

Art und Umfang der Nachholungpflicht

Unabhängig davon, ob eine Tatsituation iSd § 142 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB vorliegt, besteht die Pflichtverletzung des § 142 Abs. 2 StGB darin, dass die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht werden (sog. Nachholungspflicht). Hiermit gemeint sind die Feststellungen iSd § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, d. h. die Feststellungen bzgl. der Person des unfallbeteiligten Täters, des Fahrzeugs und der Art der Beteiligung.Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 51.

In welcher Weise der unfallbeteiligte Täter der Nachholungspflicht nachkommt und die notwendigen Feststellungen ermöglicht, steht ihm grds. frei, d. h. ihm wird vom Gesetz kein bestimmtes Ermöglichungsverhalten aufgezwungen (zB Rückkehr an den Unfallort).Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 60. Inhaltlich geht die Nachholungspflicht über die Anforderungen des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB hinaus: Erforderlich ist die Mitteilung der Unfallbeteiligung sowie die Angabe von Anschrift, Aufenthaltsort, Kennzeichen und Standort des Unfallfahrzeugs. Diese Informationen können der feststellungsberechtigten Person oder einer nahegelegenen Polizeidienststelle mitgeteilt werden. Daneben hat der Täter das Fahrzeug für eine ihm zumutbare Zeit zur unverzüglichen Feststellung zur Verfügung zu halten (insbesondere zur Sicherung von Unfallspuren).

Der Pflicht zur Nachholung muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, genügt werden. Ein schuldhaftes Zögern wird jedenfalls dann bejaht werden können, wenn der unfallbeteiligte Täter in vorwerfbarer Weise passiv geblieben ist, obwohl die konkrete Gefahr des Beweismittelverlustes bestand.Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 142 Rn. 26.

Subjektiver Tatbestand

In allen Varianten des § 142 StGB muss der Täter vorsätzlich handeln, wobei dolus eventualis ausreicht. Er muss daher wenigstens damit rechnen, dass ein Unfall im Straßenverkehr vorliegt, der zu einem nicht nur belanglosen Schaden geführt hat, und dass sein Verhalten möglicherweise ursächlich für diesen Unfall war.Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 88. Darüber hinausgehende besondere subjektive Merkmale enthält § 142 StGB nicht.

Kennt der Täter ein Merkmal, das zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht, so liegt ein Tatbestandsirrtum vor, der gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB den Vorsatz und damit die Tatbestandsmäßigkeit entfallen lässt. In einem derartigen vorsatzausschließenden Irrtum befindet sich bspw. wer den Unfall nicht bemerkt, irrig glaubt, es handle sich um einen bloß belanglosen Schaden oder fälschlicherweise annimmt, die notwendigen Feststellungen seien bereits vollständig getroffen. Sofern man der Ansicht folgt, wonach es sich bei dem Feststellungsverzicht um ein tatbestandsausschließendes Einverständnis handelt (→ Rn. 53), führt auch die irrtümliche Feststellung über das Vorliegen eines solchen zum Vorsatzausschluss gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.

Abzugrenzen ist hier vom Verbotsirrtum iSd § 17 StGB. Ein solcher liegt vor, wenn bei voller Tatsachenkenntnis über gesetzliche Wertungen geirrt wird. So unterliegt einem Verbotsirrtum bspw. wer über den Inhalt der ihr obliegenden Pflichten oder über die zeitlichen Grenzen des Unverzüglichkeitserfordernisses irrt.Rengier, BT II, 23. Aufl. (2022), § 46 Rn. 66 f.; ausführlich zu Irrtumskonstellationen bei § 142 Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 59 ff.

Rechtswidrigkeit

Für eine mögliche Rechtfertigung der Tat gelten die allgemeinen Rechtfertigungsgründe. Hier muss jedoch Folgendes beachtet werden: Zu prüfen ist stets, ob der einschlägige Rechtfertigungsgrund nur die Tat nach § 142 Abs. 1 StGB abdeckt (d. h. das Sich-Entfernen vom Unfallort), so wie dies regelmäßig in den Fällen des § 34 StGB der Fall sein wird. Dann kommt gleichwohl noch eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Nur wenn der Rechtfertigungsgrund sich auch auf die Verletzung der Nachholungspflicht iSd § 142 Abs. 2 StGB erstreckt (bspw. bei einem umfassenden, endgültigen Feststellungsverzicht, sofern man ihn denn als rechtfertigende Einwilligung versteht), scheidet eine Strafbarkeit gänzlich aus.

Geht es um eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB, wird der Prüfungsschwerpunkt auf der Interessenabwägung liegen: Das Interesse, welches durch die Tatbegehung geschützt wird (etwa die Gesundheit des Unfallverursachers), muss gegenüber dem Beweissicherungsinteresse der Unfallbeteiligten überwiegen. Dies wird bspw. der Fall sein, wenn der Täter sich zur Behandlung von Unfallverletzungen in ein Krankenhaus begibt, (Unfall-)Verletze ins Krankenhaus bringt oder vom Unfallort flüchtet, um der Gefahr körperlicher Misshandlung durch andere Unfallbeteiligte zu entgehen.Zu diesen und weiteren Bsp. Stein, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2019), § 142 Rn. 61. Bei geschäftlichen Angelegenheiten (bspw. Bewerbungsgespräch, Geschäftsabschlüsse, Prüfungsleistungen oÄ) werden die Interessen des Täters dagegen regelmäßig nicht überwiegen.OLG Koblenz VRS 45 (1973), 33.

Da § 142 StGB allein die privaten Feststellungsinteressen der Unfallbeteiligten und damit ein Individualrechtsgut schützt, ist eine mutmaßliche Einwilligung denkbar. An deren Vorliegen wird man aber strenge Anforderungen stellen müssen. Diese kommt wohl nur bei engen persönlichen Beziehungen zwischen den Unfallbeteiligten in Betracht (bspw. wenn die anderen Unfallbeteiligten nahe Angehörige, Bekannte, Nachbar:innen usw des Täters sind).

Schuld

Hinsichtlich der Schuld gelten die allgemeinen Regeln, d. h. ohne Schuld handelt, wer schuldunfähig ist oder wessen Handeln entschuldigt ist. Wie schon im Rahmen der Rechtswidrigkeit muss auch hier überprüft werden, ob die Schuld „im Ganzen“ entfällt – d. h. auch im Hinblick auf § 142 Abs. 2 StGB – oder nur im Hinblick auf eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 1 StGB.

Entschuldigungsgründe sind iRd § 142 Abs. 1 StGB nur von geringer Bedeutung. § 35 StGB ist regelmäßig irrelevant, da bei einer Gefahr für die dort genannten Interessen regelmäßig bereits § 34 StGB einschlägig sein wird.Paeffgen, NStZ 1990, 365 (369). Eine Schuldlosigkeit (§ 20 StGB) des Handelns des Täters ist vor allem im Hinblick auf eine mögliche Alkoholisierung im Zeitpunkt des Entfernens vom Unfallort zu prüfen, sofern sich aus dem Sachverhalt entsprechende Hinweise ergeben. Hier gelten dann die bekannten Promillegrenzwerte (→ § 39 Rn. 18). Sofern hieraus die fehlende Strafbarkeit der Unfallbeteiligten gem. § 142 Abs. 1 StGB folgt, ist jedoch stets noch an eine Strafbarkeit gem. § 142 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB zu denken, da ein entschuldigtes Sich-Entfernen im Sinne dieser Vorschrift nach hM immer dann anzunehmen ist, wenn der Täter „ohne Schuld“ gehandelt hat.

Tätige Reue (§ 142 Abs. 4 StGB)

§ 142 Abs. 4 StGB sieht im Falle der Tatvollendung für das Gericht die Möglichkeit einer obligatorischen Strafmilderung (§ 49 Abs. 1 StGB) bzw. eines fakultativen Absehens von Strafe vor. Die Relevanz des § 142 Abs. 4 StGB darf jedoch nicht überschätzt werden: Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auf sog. Parkunfälle beschränkt, bei denen ein unbedeutender Sachschaden entstanden ist.Vertiefend Renzikowski, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 142 Rn. 69 ff.

Hinweis: § 142 Abs. 4 StGB kommt in der Klausurbearbeitung keine nennenswerte Relevanz zu. Die Vorschrift normiert einen persönlichen Strafausschließungsgrund, d. h. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 StGB ändert nichts am Vorliegen der Strafbarkeit, sondern der Staat sieht dann lediglich von der Durchsetzung seines Strafanspruchs gegen den Täter ab. In der Klausur wären Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld einer Tat iSv § 142 StGB also selbst in Fällen des § 142 Abs. 4 StGB zu prüfen.

Konkurrenzen

Tateinheit (§ 52 StGB) besteht regelmäßig zwischen § 142 StGB und solchen Tathandlungen, die zur Durchführung der Unfallflucht begangen werden, sei es durch Zwang (§§ 113, 240 StGB), durch Gewalt (§§ 211 ff., 223 ff. StGB) oder durch Täuschung (§ 263 StGB im Falle des erschlichenen Einverständnisses).Ausführl. Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 137. Hier liegt aufgrund des einheitlichen Willensentschlusses (Flucht vom Unfallort) eine Handlung im natürlichen Sinne vor.

Tatmehrheit (§ 53 StGB) mit § 142 StGB besteht jedenfalls grds. zu solchen Taten (bspw. §§ 222, 229, 315b, 315c, 316), die zuvor durch die Unfallverursachung begangen wurden. Das hierauf folgende Verlassen des Unfallortes beruht dann idR auf einem neuen Tatentschluss und damit einer rechtlich selbstständig neuen Handlung.BGHSt 21, 203 (204 f.). Der Unfall hat nach hM insoweit – vorbehaltlich der umstrittenen Möglichkeit einer Verklammerung – Zäsurwirkung.

Wissen für die Zweite Juristische Prüfung

Die Strafbarkeit gem. § 142 StGB stellt unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB (Täter hat erkannt oder konnte es zumindest erkennen, dass bei dem Unfall Menschen getötet, nicht unerheblich verletzt oder an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist) ein Regelbeispiel für die Entziehung der Fahrerlaubnis dar. Wenn das Gericht die Fahrerlaubnis entzieht, bestimmt es gem. § 69a StGB zugleich eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Wird die Fahrerlaubnis dem Täter nicht entzogen, kommt stattdessen als Nebenstrafe ein Fahrverbot gem. § 44 StGB in Betracht, ohne dass hierfür ein bedeutender Sachschaden etc entstanden sein muss. Grundsätzlich kommt gem. § 74 StGB auch die Einziehung des Fahrzeugs, was beim Sich-Entfernen vom Unfallort eingesetzt wurde, in Betracht. Der BGH hat dies für solche Fälle angenommen, in denen das Fahrzeug als Mittel des Sicht-Entfernens vom Unfallort eingesetzt wurde.BGH NJW 1957, 1446; zust. Zopfs, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 142 Rn. 135. Hierfür dürfte es angesichts der im Regelfall geringen Deliktsschwere (zB einfache Sachschäden) jedoch regelmäßig an der Verhältnismäßigkeit iSv § 74f Abs. 1 StGB fehlen.Kretschmer, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 142 Rn. 165. Wird der unfallbeteiligte Kfz-Führer nicht ermittelt, kommt schon bei einem erstmaligen Verstoß gem. § 31a StVZO eine Fahrtenbuchauflage in Betracht.VGH Mannheim NJW 2014, 1608.

Übungsfälle

Binner, „Vereinsleben mit Folgen?“, JA 2022, 1027

Hinrichs, (Original-)Assessorexamensklausur – Strafrecht: Tödliche Raserei, JuS 2014, 156

Mitsch, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Rückkehr an den Ort des Unfalls, JuS 2009, 341

Bischoff/Braam, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Urteilsklausur – Das Ende einer Partynacht, JuS 2017, 1203

Bischoff/Buchholz, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Revision – Tankstopp im Grünen, JuS 2014, 441

Bischoff/Schneider, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Revision – Die Polizeiflucht, JuS 2013, 447