Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 7: Rücktritt – Abgrenzung beendeter/unbeendeter Versuch, Rücktrittsverhalten, außertatbestandliche Zielerreichung

Fall 1

(nach BGHSt 40, 304)

T und sein Bruder B gerieten in der Wohnung des B in Streit miteinander, woraufhin B den T aufforderte zu gehen. T verließ die Wohnung. Wenig später bemerkte der B, dass T seine Tasche vergessen hatte und ging hinaus, um die Tasche auf dem Hof abzustellen. T, der sich noch in der Nähe befand, sah seinen Bruder und ging auf ihn zu. Mit einem Springmesser, dass T in seiner Hosentasche bei sich trug, stach er dem B zweimal in den Bauch und nahm dabei den Tod des B billigend in Kauf. B erlitt lebensbedrohliche Verletzungen und brach blutend zusammen. T verließ den Hof, ohne sich Gedanken darum zu machen, wie schwer sein Bruder verletzt war. B konnte gerettet werden.

Hat sich T strafbar gemacht?

Fall 2

(nach BGHSt 36, 224)

A wollte den N töten. Dazu stach er mit einem Messer auf den Oberkörper des N ein. Nachdem er mehrmals zugestochen hatte, ließ A von N ab mit den Worten: „Jetzt bist du erledigt“. A ging davon aus, dass N an den beigebrachten Verletzungen sterben würde. N aber erwiderte: „Ich lebe noch. Ich rufe die Polizei.“ und lief anschließend davon. A folgte ihm nicht, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte.

Ist A strafbefreiend vom Totschlagsversuch zurückgetreten?

Fall 3

(nach BeckRS 2018, 27079 – „Blutprobe-Fall“)

A führte eine bereits länger andauernde Beziehung zu S. S war wegen der ständigen Eifersucht und der Besitzansprüche des A immer unzufriedener geworden und hatte eine heimliche Affäre mit einem Bekannten begonnen. Am 18.03.2017 richteten A und S in ihrer gemeinsamen Wohnung eine Geburtstagsfeier aus. Im Laufe des Abends bemerkte A, dass S mit einem anderen Mann chattete. Es kam zu einem Streit. Die Gäste der Geburtstagsfeier versuchten, den A zu beruhigen, woraufhin dieser vorschlug, mit S in das Schlafzimmer zu gehen, um dort ein klärendes Gespräch zu führen. Auf dem Weg dorthin nahm A unbemerkt ein Küchenmesser an sich. A gab sich zunächst ruhig und verständnisvoll, woraufhin S ihm ihre Affäre gestand. A fühlte sich von S hintergangen und gekränkt. Er beschloss, auf die S einzustechen und nahm dabei auch ihren Tod billigend in Kauf. A versetzte der S mehrere Stiche in den Oberkörper. Als sie zusammenbrach, nahm der A an, sie lebensgefährlich verletzt zu haben. Er floh nun aus der Wohnung und fuhr zu seinen Eltern. Als er dort ankam, überkam ihn Reue. Er erzählte seinen Eltern, was er getan hatte und forderte sie auf, zur Wohnung zu fahren und nach S zu sehen.

Noch bevor die Eltern des A dessen Wohnung erreichten, hatte zwei Gäste der Geburtstagsfeier die Hilferufe der S aus dem Nebenzimmer gehört und einen Notarzt verständigt. Als die Eltern des A eintrafen, forderte der Rettungssanitäter den Vater V des A auf, eine Blutprobe der S ins Krankenhaus zu bringen, damit man dort passende Blutkonserven bereitlegen konnte. S konnte wenig später durch eine Notoperation gerettet werden.

Hätte das Krankenhaus nicht schon vorab eine Blutprobe zur Analyse erhalten, wäre die Rettung der S nicht mehr möglich gewesen.

Hat sich A wegen eines versuchten Totschlags strafbar gemacht?

Fall 4

(nach BGH NStZ 2008, 329)

A befand sich mit seiner Tochter T auf dem Balkon ihrer Wohnung im 4. Stock, als die beiden in einen Streit gerieten. In Tötungsabsicht packte er die T an Nacken und Beinen, hob sie über die Brüstung des Balkons und ließ sie fallen. T stürzte ca. 9m in die Tiefe und blieb regungslos auf dem Dach einer Garage liegen. A befürchtete, dass T lebensgefährlich verletzt sei und wollte ihr nun zur Hilfe kommen. Als er aus der Wohnung lief, kam er an seiner Frau F vorbei, der er zurief, sie solle einen Notarzt verständigen, weil T sich vom Balkon gestürzt habe. Daraufhin lief er weiter. Noch bevor F den Notruf wählen konnte, hatten bereits Passanten, die das Geschehen beobachtet hatten, einen Krankenwagen herbeigerufen. T überlebte trotz diverser Verletzungen.

Hat sich A wegen eines versuchten Totschlags strafbar gemacht?

Fall 5

O hat Schulden beim T, die er auch nach mehrfacher Aufforderung nicht beglichen hat. Um O zur Zahlung zu bewegen, will T ihm nun einen ordentlichen Schrecken versetzen. Dazu wartet er vor der Tür des O. Als dieser hinauskommt, tritt T ihm mit der entsicherten Waffe gegenüber und will ihm ins Bein schießen. Vor lauter Angst fällt der O jedoch sofort vor T auf die Knie, fleht ihn an, ihm nichts zu tun und verspricht das Geld am nächsten Tag zu zahlen. Daher verzichtet T darauf, die Waffe zu betätigen.

Hat sich T wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht?