Die Tatbestände der Strafvereitelung und der Strafvereitelung im Amt zählen gemeinsam mit der Begünstigung (→ BT II § 19), der Hehlerei (→ BT II § 20) und der Geldwäsche (→ BT II § 21) zu den sog. Anschlussdelikten, die sich an die Begehung einer strafrechtswidrigen Vortat anschließen (zu § 258 Abs. 2 StGB → Rn. 16 ff.). Nach § 258 StGB macht sich sowohl strafbar, wer vereitelt, dass eine Strafe oder Maßnahme (zB eine Einziehung, § 73 Abs. 1 StGB) verhängt wird (Verfolgungsvereitelung, § 258 Abs. 1 StGB), als auch, wer die Vollstreckung einer bereits verhängten Strafe oder Maßnahme vereitelt (Vollstreckungsvereitelung, § 258 Abs. 2 StGB). § 258a StGB enthält eine Qualifikation für Amtsträger, die sich auf Tatbestandsebene ansonsten nicht vom Grundtatbestand der Strafvereitelung unterscheidet.
Typische Beispiele: A hat einen Totschlag begangen. Als B davon erfährt, entsorgt sie die Leiche, um die Straftat des A zu verdecken und ihn vor Strafe zu bewahren (§ 258 Abs. 1 StGB). X wurde wegen Raubes verurteilt und befindet sich in Haft. Als ihr Hafturlaub gewährt wird, hilft Y ihr, sich zu verstecken und lässt sie in seiner abgelegenen Hütte im Wald wohnen (§ 258 Abs. 2 StGB).
Klausurtaktik: Typischerweise gehen mit den §§ 258 f. StGB die §§ 153 ff., 164, 145d StGB einher. An diese Tatbestände sollte in der Klausursituation daher immer gedacht werden.
Rechtsgut und Deliktsnatur
Nach hM besteht der Schutzzweck der §§ 258 f. StGB im Schutz der Rechtspflege, soweit diese auf die Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs bzw. eines Maßnahmenanspruchs iSv § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB abzielt.
§ 258 StGB
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Verfolgungsvereitelung
Erfasste Sanktionen
§ 258 Abs. 1 StGB erfasst die Vereitelung von Strafen oder Maßnahmen. Strafen in diesem Sinne sind insb. die Freiheitsstrafe, §§ 38 f. StGB, und die Geldstrafe, §§ 40 ff. StGB. Die Vereitelung von Maßnahmen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) wird in Klausuren kaum vorkommen, sodass der Fokus im Folgenden auf den Strafen liegt.
Nicht vom Tatbestand erfasst sind zB Bußgelder des Ordnungswidrigkeitenrechts oder Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO, da sie kein rechtsethisches Unwerturteil enthalten und folglich keine Strafen darstellen.
Vortat
Für die Verfolgungsvereitelung muss eine taugliche Vortat vorliegen. § 258 Abs. 1 StGB erfordert nach seinem Wortlaut zuerst einmal eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB), d. h. es müssen Tatbestand und Rechtswidrigkeit vorliegen. Darüber hinaus müssen aber auch alle anderen Bestrafungsvoraussetzungen für die Vortat erfüllt sein, also etwa die Schuld, das Nichtvorliegen von endgültigen Verfolgungshindernissen, persönlichen Strafaufhebungs- bzw. Strafausschließungsgründen usw. Denn nur wenn all diese Voraussetzungen vorliegen, besteht ein durchsetzbarer staatlicher Strafanspruch und nur dann kann ebendieser Strafanspruch auch vereitelt werden.
Klausurtaktik: In Klausuren darf nicht übersehen werden, dass § 258 Abs. 1 StGB auch als Türöffner für prozessuale Probleme fungieren kann. Es kann zB im materiell-rechtlichen Teil inzident zu klären sein, ob mit Blick auf den Vortäter ein dauerhaftes Prozesshindernis besteht, da dies eine Verfolgungsvereitelung ausschließt.
Der Wortlaut von § 258 Abs. 1 StGB setzt weiter voraus, dass die Tathandlung darauf gerichtet sein muss, zu verhindern, dass „ein anderer“ sanktioniert wird. Vereitelt jemand also ausschließlich die eigene Bestrafung, so scheidet § 258 Abs. 1 StGB tatbestandlich aus. Wenn jemand hingegen die eigene Bestrafung und gleichzeitig auch die einer anderen Person (zB eines Mittäters) vereitelt, ist § 258 Abs. 1 StGB tatbestandlich erfüllt, weil zumindest auch „ein anderer“ der Bestrafung entzogen wird (wobei dann der Strafausschließungsgrund des Abs. 5 naheliegt, dazu noch näher unter → Rn. 29 f.).
Klausurtaktik: Bevor eine Strafbarkeit nach § 258 Abs. 1 StGB geprüft werden kann, sollte die Strafbarkeit des Vortäters wegen der Vortat geprüft werden, um unnötige und unübersichtliche Inzidentprüfungen zu vermeiden. Ist der Vortäter bereits verstorben oder nach dessen Strafbarkeit im Bearbeitungsvermerk nicht gefragt, so ist eine Inzidentprüfung allerdings unumgänglich.
Vereitelung
Bei der Verfolgungsvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) muss die Verhängung der Strafe oder Maßnahme ganz (Alt. 1) oder teilweise (Alt. 2) vereitelt werden. Vereiteln ist jede Besserstellung des Täters in Bezug auf die strafrechtliche Urteilsfällung. Die bloße Vereitelung von Ermittlungsmaßnahmen im Vorverfahren ohne Auswirkung auf den Zeitpunkt oder Inhalt des Urteils ist daher von § 258 Abs. 1 StGB nicht erfasst.
Beispiel: A sagt im Strafprozess gegen B als Zeuge falsch aus oder vernichtet belastende Beweismittel, was zu einem Freispruch der B führt. Das Urteil erwächst in Rechtskraft.
Klausurtaktik: Eine Besserstellung bei der strafprozessualen Urteilsfällung liegt nicht vor, wenn zB ein Beweismittel entwendet oder zerstört wird, das einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Auch hier können im materiellen Recht also inzident strafprozessuale Fragen zu klären sein.
Ein klassisches Klausurproblem stellt die Frage dar, ob auch die bloße Verzögerung der Bestrafung als Vereitelungserfolg ausreicht.
Beispiel: A verbirgt seinen flüchtigen Freund F, der einen Mord begangen hat, zwei Monate fernab der Zivilisation in seiner Jagdhütte. Durch Zufall wird F entdeckt und festgenommen. Hätte A ihn nicht verborgen, hätte der Prozess gegen F früher stattfinden und F zwei Monate früher verurteilt werden können.
Die zutreffende hM lässt für den Vereitelungserfolg bereits eine Verzögerung der Sanktionierung für geraume Zeit ausreichen. Die Sanktionierung muss demnach nicht endgültig unmöglich werden.
Weiterführendes Wissen: Die Anlehnung an die Frist des § 229 Abs. 1 StPO (der eine Unterbrechung des Strafprozesses für bis zu drei Wochen zulässt) wird damit begründet, dass in der Norm die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck kommt, dass eine beachtliche Gefahr für die Wahrheitsfindung im Strafprozess erst ab einer Verzögerung von drei Wochen besteht.
Eine Minderheitenauffassung lehnt diese Auslegung hingegen ab, da sie nicht vom Wortlaut gedeckt sei. „Vereiteln“ bedeute im allgemeinen Sprachgebrauch „verhindern“ oder „abwenden“, nicht aber „verzögern“.
Vollstreckungsvereitelung
Wird die Vollstreckung einer bereits rechtskräftig verhängten Strafe oder Maßnahme vereitelt, so kommt eine Vollstreckungsvereitelung nach § 258 Abs. 2 StGB in Betracht. Nach seinem eindeutigen Wortlaut ist auch § 258 Abs. 2 StGB nur einschlägig, wenn die Vereitelung einen anderen betrifft, nämlich die Vollstreckung „gegen einen anderen“ gerichteter Sanktionen vereitelt wird. Flüchtet der rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Täter ausschließlich, um der Vollstreckung seiner eigenen Strafe zu entgehen, ist der Tatbestand damit nicht erfüllt.
Ob die Verurteilung zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, ist nach hM für § 258 Abs. 2 StGB irrelevant; es reicht aus, dass diese rechtskräftig verhängt wurde.
Klausurtaktik: Die tatsächliche Strafbarkeit der von der Vereitelung begünstigten Person ist damit – anders als bei § 258 Abs. 1 StGB – im Tatbestand des § 258 Abs. 2 StGB nicht zu prüfen.
Typische Fälle der Vollstreckungsvereitelung sind zB das Absitzen der Freiheitsstrafe für eine andere Person oder die Fluchthilfe zugunsten einer zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Person vor oder nach Haftantritt (s. zu letzterem Fall auch § 120 StGB). Probleme bereitet hingegen das Bezahlen fremder Geldstrafen durch Dritte.
Beispiel: E wird wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Großmutter G hat Mitleid mit ihrem Enkel und schenkt ihm daher den für die Bezahlung notwendigen Geldbetrag. E überweist den Betrag an die Staatskasse.
Die hM verneint hier eine Strafbarkeit und argumentiert damit, dass die „Vollstreckung“ in dieser Konstellation letztlich nicht verhindert wird. G mag zwar den Sanktionszweck der Geldstrafe gegen E unterlaufen, „Vollstreckung“ meine aber den äußeren Vollstreckungsvorgang (hier also die Überweisung an die Staatskasse durch E) und dieser geschehe mit und ohne die Schenkung durch G gleich.
Die Gegenansicht bejaht bei der Übernahme von Geldstrafen für andere eine Vollstreckungsvereitelung mit der Erwägung, bei der Geldstrafe handele es sich um eine höchstpersönliche Leistungspflicht. Der staatliche Strafanspruch erschöpfe sich nicht in einem irgendwie gearteten Zahlungsanspruch, sondern die Zahlung müsse gerade aus dem Vermögen der Verurteilten stammen. Nur so würden die mit der Geldstrafe verfolgten Strafzwecke erreicht.
Objektive Zurechnung
Allgemeines
Die Strafverhängung oder -vollstreckung kann auf mannigfaltige Weise vereitelt werden. Um eine uferlose Strafbarkeit zu vermeiden, müssen über die objektive Zurechnung sozialadäquate Verhaltensweisen – zumeist berufstypisches Verhalten – vom Tatbestand ausgeschieden werden. Ist das Verhalten sozialadäquat, wird bereits keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen. Wie auch in der StPO die Wahrheitsfindung und Sanktionierung nicht um jeden Preis stattfinden darf, kann auch mit Blick auf § 258 StGB der Vortäter nicht zum „Geächteten“ werden, mit dem keinerlei Umgang gepflegt werden darf.
Beispiel: Bäcker B verkauft X, in dem Wissen, dass dieser sich aktuell vor der Strafverfolgung verbirgt, einige Brötchen. Tankwartin T verkauft dem flüchtigen Y Benzin. Anknüpfend an das obige Jagdhütten-Beispiel muss bei der Unterkunftsgewährung zugunsten Flüchtiger zwischen der bloßen Beherbergung (sozialadäquat) und der Unterschlupfgewährung mit Versteckcharakter (nicht mehr sozialadäquat) differenziert werden.
Strafvereitelung und Strafverteidigung
Besondere Probleme wirft die Behandlung von Strafverteidiger:innen auf.
Es bietet sich daher folgende Faustregel an: Prozessual zulässiges Verhalten ist auch materiell-strafrechtlich zulässig. Die Verteidiger:in darf zwar Belastendes verschweigen, jedoch weder lügen noch Beweise verfälschen oder beiseiteschaffen.
Beispiel (nach BGHSt 10, 393): Die Verteidigerin V des A sucht dessen Ehefrau E auf und erläutert ihr, dass sie im gegen A gerichteten Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht hat und im Interesse ihres Ehemannes im Prozess möglichst keine Aussage treffen soll. E kommt tatsächlich ein Zeugnisverweigerungsrecht zu (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Die StPO regelt zwar nicht ausdrücklich, ob Verteidiger:innen Zeugen auf bestehende Rechte hinweisen und ihnen zu deren Gebrauch raten dürfen. Solange sie nicht unzulässig (insb. durch Täuschung oder Drohung) auf die Entscheidungsfreiheit der Verfahrensbeteiligten einwirken, stellt dies jedoch eine gewöhnliche und zulässige Verteidigungshandlung im Rahmen ihrer Beistandspflicht zugunsten des Beschuldigten dar.
Weiterführendes Wissen: Die Frage, ob das Verhalten einer Verteidiger:in unter § 258 StGB fällt, kann sich auch auf das konkrete Strafverfahren gegen den Beschuldigten auswirken: Wenn die Verteidiger:in hinreichend oder dringend tatverdächtig ist, eine Strafvereitelung in Bezug auf die angeklagte Tat begangen zu haben, muss sie vom Verfahren ausgeschlossen werden, § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO.
Subjektiver Tatbestand
Grundsätzlich reicht dolus eventualis aus, um den subjektiven Tatbestand der Strafvereitelung zu erfüllen. Bezüglich der Tathandlung und des Taterfolges setzt der Wortlaut des § 258 StGB hingegen mindestens dolus directus 2. Grades voraus. Lässt man mit der hM eine Sanktionsverzögerung für den Taterfolg ausreichen (→ Rn. 12 ff.), so ist auch bzgl. der Verzögerungsdauer von über drei Wochen nach allgemeinen Grundsätzen Absicht bzw. Wissentlichkeit erforderlich.
Rechtswidrigkeit
Da § 258 StGB ein überindividuelles Rechtsgut schützt (→ Rn. 3), ist eine rechtfertigende Einwilligung nicht möglich.
Persönliche Strafausschließungsgründe
§ 258 StGB enthält in den Absätzen 5 und 6 zwei persönliche Strafausschließungsgründe, in denen der Gesetzgeber die besondere Zwangslage des Täters anerkennt. Da es sich um persönliche Strafausschließungsgründe handelt, bleibt eine Teilnahme an der tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat weiterhin möglich.
§ 258 Abs. 5 StGB
Eine Strafvereitelung ausschließlich zu eigenen Gunsten ist tatbestandslos (→ Rn. 8). § 258 Abs. 5 StGB schließt eine Bestrafung darüber hinaus auch dann aus, wenn der Vereitelungstäter zwar die Sanktionierung oder Vollstreckung zugunsten einer anderen Person vereitelt, hierdurch aber „zugleich ganz oder zum Teil vereiteln will“, selbst sanktioniert oder von einer Vollstreckung betroffen zu werden.
Beispiel: A ist wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Bislang ist unbekannt, dass B bei der Tat ihr Mittäter gewesen ist. B wird im Prozess gegen A als Zeuge gehört und sagt falsch aus, um sowohl A als auch sich selbst vor Strafe zu schützen. B verwirklicht dadurch den Tatbestand des § 258 Abs. 1 StGB, jedoch ist der Strafausschließungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB einschlägig. Dies ändert freilich nichts an der Strafbarkeit wegen § 153 StGB (s. aber § 157 StGB), da der Strafausschluss des § 258 Abs. 5 StGB sich nur auf die Strafvereitelung bezieht.
Aufgrund der subjektiven Formulierung („will“) des Tatbestandes kommt es ausschließlich auf das Vorstellungsbild des Täters an. Ob tatsächlich eine Strafverfolgung stattfindet oder droht, ist dagegen ohne Belang.
§ 258 Abs. 6 StGB
Begeht jemand eine Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB), so kommt ihm der persönliche Strafausschließungsgrund des Abs. 6 zugute. Dasselbe gilt für Teilnehmer an der Strafvereitelung, die zugunsten eines Angehörigen handeln.
Wie bei § 157 StGB (→ § 45 Rn. 73) wird auch hier diskutiert, ob die Norm auf andere nahestehende Personen analog angewendet werden kann. Eine Änderung bleibt hier jedoch richtigerweise ebenso dem Gesetzgeber vorbehalten wie bei § 157 StGB.
Auch im Rahmen des Abs. 6 besteht die Diskussion, ob der Strafausschließungsgrund ebenfalls für eine Begünstigung, § 257 StGB, gilt, wenn diese für die Strafvereitelung notwendig ist.
Täterschaft und Teilnahme
Oftmals bestehen Vereitelungshandlungen in der Unterstützung des Vortäters bei dessen eigenen Verdunkelungshandlungen.
Beispiel: A verschafft dem flüchtigen Straftäter B einen gefälschten Reisepass, damit dieser sich nach Südamerika absetzen kann.
Würde man mit einer stark vertretenen Ansicht
Dieses Ergebnis widerspräche dem Sinn und Zweck des § 258 StGB, der den Beistand eines Dritten zugunsten des Vortäters nach der Vortat erfassen soll. Eine andere Ansicht sieht in § 258 StGB daher zu Recht eine täterschaftliche Vertatbestandlichung von Konstellationen, die nach den allgemeinen Grundsätzen konstruktiv einer straflosen Teilnahme entsprechen. § 258 StGB liegt also eine eigene Beteiligungsdogmatik zugrunde, die sich von den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme unterscheidet. Diese Ansicht gibt die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme allerdings nicht gänzlich auf: Wer lediglich den Vereitelungsentschluss beim Vortäter hervorruft oder bestärkt, leistet nur einen untergeordneten Beitrag zur Vereitelung und verwirklicht daher lediglich eine straflose Teilnahme an der Selbstbegünstigung. Geht der Vereitelungsbeitrag darüber jedoch hinaus, liegt eine täterschaftliche Strafvereitelung vor.
Unterlassen
§ 258 StGB kann zwar auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Grundsätzlich trifft Privatpersonen jedoch keine Pflicht zum Schutz der Strafverfolgung (zu Amtsträgern → Rn. 40 ff.).
Examenswissen: Schweigt ein Zeuge im Strafprozess, ohne dass er sich auf ein Zeugnis- bzw. Aussageverweigerungsrecht berufen kann, so bejaht die hM eine Strafbarkeit aus §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. Die hierfür notwendige Garantenstellung zugunsten der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wird mit der prozessualen Aussagepflicht des Zeugen begründet.
§ 258a StGB
Allgemeines
Bei § 258a StGB handelt es sich um eine Qualifikation des § 258 StGB für zur Strafverfolgung oder ‑vollstreckung berufene Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Diese Täter stehen dem geschützten Rechtsgut besonders nahe, sodass durch die erhöhte Strafandrohung des § 258a StGB die Einhaltung ihrer besonderen Amtspflichten gewährleistet werden soll. Da die Amtsträgereigenschaft strafschärfend wirkt, handelt es sich um ein unechtes Amtsdelikt. Beteiligte, welche die Amtsträgereigenschaft in eigener Person nicht verwirklichen, haften über § 28 Abs. 2 StGB nur nach § 258 StGB.
Nicht alle Amtsträger sind taugliche Täter, sondern nur solche, die zur Mitwirkung am Straf- bzw. Vollstreckungsverfahren berufen sind. Dazu zählen beispielsweise Richter:innen, Staatsanwält:innen, Polizist:innen, aber auch Geschäftsstellenbeamt:innen der Strafverfolgungsbehörden.
Aus der Mitwirkungspflicht trifft diese Amtsträger iÜ eine Garantenpflicht iSd § 13 Abs. 1 StGB zugunsten der Strafverfolgung. Bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei ergibt sich dies ausdrücklich aus dem in §§ 152 Abs. 2, 160, 163 StPO niedergelegten Legalitätsprinzip. Die Garantenpflicht kann zB dadurch verletzt werden, dass eine Staatsanwält:in es über erhebliche Zeit unterlässt, Akten zu bearbeiten und Ermittlungen zu führen.
Begeht ein Amtsträger eine Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen, so bleibt er nicht straffrei. § 258a Abs. 3 StGB schließt nämlich unter anderem § 258 Abs. 6 StGB aus.
Außerdienstliche Kenntniserlangung
Ein klassisches Problem des § 258a StGB stellt die Frage dar, ob Amtsträger bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Straftaten die §§ 258 Abs. 1, 258a, 13 Abs. 1 StGB erfüllen, wenn sie keine Ermittlungen aufnehmen.
Beispiel: Staatsanwalt A erfährt auf einer Geburtstagsfeier, dass sein Freund F einen Diebstahl begangen hat. Um in seinem Freundeskreis nicht als „Verräter“ dazustehen und aus Verbundenheit zu F, ermittelt A nicht gegen ihn.
Bei außerdienstlicher Kenntniserlangung eine unbeschränkte Ermittlungspflicht anzunehmen, würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben der Amtsträger und damit in deren Allgemeines Persönlichkeitsrecht bedeuten. Sozialkontakte und Kommunikation mit Freunden und Familie würden erheblich belastet, wenn diese befürchten müssten, dass die Amtsträger bei jedem Anfangsverdacht Ermittlungen gegen sie anstellen müssten. Eine Ermittlungspflicht in diesen Fällen daher generell abzulehnen, würde auf der anderen Seite die Interessen des Staates nicht genügend berücksichtigen und ist zu pauschal.
Konkurrenzen
Wird durch eine Handlung gleichzeitig die Verfolgung oder Vollstreckung zugunsten mehrerer anderer Personen vereitelt, so ist aus Klarstellungsgründen von Tateinheit auszugehen. Wird die Sanktionierung eines Vortäters durch mehrere Handlungen vereitelt, so liegt lediglich eine einzige Tat im Rechtssinne vor.
Prüfungsschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Verfolgungsvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB)
Taugliche Vortat
Straftat einer anderen Person
Sanktionierbarkeit der Vortat
Verfolgung ganz oder zum Teil vereitelt
Vollstreckungsvereitelung (§ 258 Abs. 2 StGB)
Taugliche Sanktion
Gegen eine andere Person verhängte Strafe oder Maßnahme
Rechtskräftige Verhängung
Vollstreckung ganz oder zum Teil vereitelt
Bei § 258a StGB: Tauglicher Täter (Amtsträger)
Subjektiver Tatbestand: Mindestens dolus directus 2. Grades bzgl. des Eintritts des Vereitelungserfolgs, ansonsten dolus eventualis
Rechtswidrigkeit
Schuld
Ggf. persönliche Strafausschließungsgründe, § 258 Abs. 5 bzw. 6 StGB (letzteres nicht bei § 258a StGB)
Prozessuales
Ob eine taugliche Vortat vorliegt oder nicht, entscheidet das für die Aburteilung der Strafvereitelung zuständige Gericht bei der Verfolgungsvereitelung selbst und ohne Bindung an eine etwaige Entscheidung eines anderen Gerichtes, das sich bereits separat mit der Vortat befasst hat.
Die Strafandrohung des § 258 StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Verfolgung der Strafvereitelung verjährt damit grds. gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB nach fünf Jahren. Eine Besonderheit besteht aber darin, dass nach § 258 Abs. 3 StGB die Strafe nicht höher sein darf als das Höchstmaß der Vortat. Diese Beschränkung ist auch bei der Fristberechnung der Verfolgungsverjährung zu beachten. So beträgt zB bei einer Strafvereitelung bzgl. einer Vortat nach § 123 Abs. 1 StGB die Verjährungsfrist lediglich drei Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB.
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur:
Jahn/Palm, Die Anschlussdelikte – Strafvereitelung (§§ 258, 258a StGB), JuS 2009, 408
Kretschmer, Ein Blick auf die Anschlussdelikte – Schwerpunkte: die §§ 258 und 259 StGB – Teil II, JA 2023, 469
Satzger, Grundprobleme der Strafvereitelung (§ 258 StGB), Jura 2007, 754
Übungsfälle:
Goeckenjan, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Probleme im Straßenverkehr und vor Gericht – Der misslungene Kinoabend, JuS 2008, 702
Koch/Loy, Übungsfall: Der bestohlene Erpresser, ZJS 2008, 170
Kuhlen, Strafrecht: Der Platztausch, JuS 1990, 396