Die §§ 211, 212 StGB schützen das Rechtsgut Leben (dazu ausführlich → § 1 Rn. 8 ff.). Wie auch in den meisten anderen Rechtsordnungen wird zwischen Totschlag (§ 212 StGB) als Normalfall der vorsätzlichen Tötung einerseits und Mord (§ 211 StGB) andererseits unterschieden. Das systematische Verhältnis der beiden Normen ist umstritten, was vor allem bei der Strafbarkeit von Teilnehmern eine Rolle spielt (→ Rn. 113 ff.).
Allgemeines zu Mord und Totschlag
Entstehungsgeschichte
Die §§ 211, 212 StGB wurden in ihrer heutigen Fassung (nur Todesstrafe und Zuchthaus hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich durch Gefängnisstrafe ersetzt) mit Gesetz vom 4. September 1941 eingeführt.
Weiterführendes Wissen: Insbesondere die Formulierung des § 211 StGB, „Der Mörder wird […] bestraft“ ist Ausdruck der nationalsozialistischen Tätertypenlehre.
Reformbedarf
Unter anderem wegen der skizzierten historischen Hintergründe gibt es seit Jahren Bestrebungen, die §§ 211 ff. StGB zu reformieren.
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Begriffe „Mörder ist“ und „Totschläger ist“ durch die sonst im StGB üblichen Formulierungen („wer xy tut, wird mit yz bestraft“) ersetzt werden sollen. Auch an der absoluten Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe
Totschlag (§ 212 StGB)
§ 212 Abs. 1 StGB ist ein vorsätzliches Erfolgsdelikt. Da der Tatbestand nur wenige Tatbestandsmerkmale aufweist und übersichtlich ist, wird er in Klausuren oftmals herangezogen, um Probleme des Allgemeinen Teils, zB Fragen der Kausalität oder des Vorsatzes, abzuprüfen.
Objektiver Tatbestand
Den objektiven Tatbestand des Totschlags verwirklicht, wer einen anderen Menschen tötet, „ohne Mörder zu sein“. Die Formulierung „ohne Mörder zu sein“ ist lediglich ein historisches Relikt (→ Rn. 3), aber kein Tatbestandsmerkmal und damit in der Klausur auch nicht zu prüfen.
Als Erfolgsdelikt setzt der Tatbestand voraus, dass der Täter durch seine Tathandlung den Todeserfolg in objektiv zurechenbarer Weise verursacht. Zum Tatobjekt „Mensch“ und dem Tod als Erfolg s. bereits → § 1 Rn. 8 ff.
Subjektiver Tatbestand
§ 212 StGB erfordert Vorsatz bzgl. aller objektiven Tatumstände (§ 15 StGB). Eventualvorsatz ist ausreichend.
Probleme kann die Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz bzgl. der Herbeiführung des Todes bereiten.
Klausurhinweis: Das sollte auch die Richtschnur für die Klausur sein: Die Hemmschwellentheorie sollte kurz genannt werden,
Beispiel: Ein Indikator für Tötungsvorsatz kann die hohe objektive Gefährlichkeit des Täterverhaltens sein (etwa beim Einsatz eines Schlagwerkzeugs gegen den Kopf oder einem Schuss in die Herzgegend), dagegen kann zB ein spontanes, unüberlegtes Handeln sprechen.
Weiterführendes Wissen: Umstritten ist, ob Ärzt:innen bei der Durchführung riskanter Operationen mit bedingtem Tötungsvorsatz handeln. Während eine Ansicht darauf verweist, dass die Operateur:in mit Heilungs- und nicht mit Tötungswillen handelt und folglich den Vorsatz verneint, bejahen andere den Vorsatz und schlagen stattdessen eine Lösung auf Ebene der objektiven Zurechnung bzw. der Rechtswidrigkeit vor.
Nach der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Literatur kann der Tötungsvorsatz in Fällen, in denen eine HIV-infizierte Person ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person hat und folglich eine Ansteckungsgefahr besteht, grundsätzlich nicht allein damit begründet werden, dass der Täter sich der Ansteckungsgefahr bewusst gewesen sei.
Rechtswidrigkeit
Die Einwilligung des Getöteten kann nicht rechtfertigend wirken, da § 216 StGB eine Einwilligungssperre bildet (näher → § 3 Rn. 2).
Strafzumessung
§ 212 Abs. 2 StGB
Klausurhinweis: Da in Klausuren nach der Strafbarkeit der Beteiligten gefragt ist und nicht nach der konkreten Bestrafung, ist idR nicht auf die Strafzumessung einzugehen. Jedenfalls aber bei den explizit in § 213 Alt. 1 StGB benannten Fällen (also nicht bei den unbenannten besonders schweren Fällen iSd § 212 Abs. 2 StGB und unbenannten sonst minder schweren Fällen iSd § 213 Alt. 2 StGB) kann erwartet werden, dass diese angesprochen werden. Die Prüfung des § 213 StGB erfolgt – wie bei allen Strafzumessungsvorschriften – nach der Feststellung der grundsätzlichen Strafbarkeit, also idR unter dem Punkt „IV. Strafzumessung“ hinter der Schuld. Fälle des § 213 Alt. 1 StGB tauchen jedoch in Klausuren selten auf, sodass vertiefte Kenntnisse nicht erwartet werden.
§ 213 Alt. 1 StGB erfasst den Fall, dass der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung vom Opfer zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Das Merkmal „ohne eigene Schuld“ soll die Privilegierung versagen, wenn der Täter durch sein Vorverhalten das provozierende Opferverhalten als verständliche Reaktion herausgefordert hat, zB weil er das Opfer vorher beleidigt hat.
Beispiel (nach BGH NStZ 2023, 604): A und B streiten sich über einen längeren Zeitraum wegen eines zwischen ihnen geschlossenen Vertrages. Während eines persönlichen Gespräches lehnt A die (unberechtigten) Forderungen des B ab und erklärt ihm, er solle sich „verpissen“ und zurück zu seiner „dummen Frau“ gehen. Wutentbrannt reißt B die A nieder und tritt ihr mehrfach mit Tötungsvorsatz heftig gegen den Kopf.
Ein Fall des § 213 Alt. 1 StGB liegt hier nicht vor. Zwar kann auch eine leichtere Beleidigung unter die Norm subsumiert werden, dies erfordert jedoch, dass sie im Zusammenhang mit anderen Beleidigungen steht und damit „der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Da dies hier nicht der Fall ist und die Beleidigungen für sich genommen leichterer Natur waren, liegt keine „schwere Beleidigung“ iSd § 213 Alt. 1 StGB vor.
Dass der Täter auf der Stelle zur Tat hingerissen werden muss, bedeutet nicht etwa, dass die Tötung in zeitlicher Hinsicht unmittelbar auf die Provokation folgen muss. Erforderlich ist vielmehr, dass die provokationsbedingte Tötungsmotivation ununterbrochen noch bei Begehung der Tat fortwirkt, was uU auch noch einige Stunden nach der Provokation der Fall sein kann. Hat sich das Gemüt des Täters zwischenzeitlich „abgekühlt“ und lebt der Zorn lediglich später beim erneuten Erblicken des Opfers wieder auf, so stellt dies jedoch eine beachtliche Zäsur dar.
Mord (§ 211 StGB)
Klausurhinweis: Meistens ist es sinnvoll, die §§ 212, 211 StGB in der Klausur zusammen zu prüfen. Das spart Zeit; außerdem ist es damit möglich, die möglicherweise einschlägigen Mordmerkmale auch dann zu diskutieren, wenn die Tat gerechtfertigt oder entschuldigt ist. In Klausuren, in denen die Prüfung des § 212 StGB wegen größerer AT-Probleme länger oder komplizierter ausfällt, kann es aber hilfreich sein, erst § 212 StGB und dann § 211 StGB zu prüfen, um nicht durcheinanderzukommen.
Ob im Obersatz nur § 211 StGB oder §§ 212, 211 StGB genannt werden, hängt davon ab, in welchem Verhältnis zueinander man die beiden Straftatbestände verortet (→ Rn. 113 ff.). Versteht man § 211 StGB mit der hL als Qualifikation zu § 212 StGB, gehören beide Normen in den Obersatz; sieht man § 211 StGB mit der Rechtsprechung als eigenständigen Tatbestand, muss nur dieser genannt werden.
Kommen mehrere Mordmerkmale in Betracht, sollten alle diese Mordmerkmale geprüft werden – auch, wenn schon das erste bejaht wird.
Objektive Mordmerkmale
Die objektiven (oder auch tatbezogenen) Mordmerkmale der 2. Gruppe – Heimtücke, Grausamkeit und Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln – sind gekennzeichnet durch eine besondere Verwerflichkeit der Begehungsweise der Tat.
Heimtücke
Die Heimtücke ist eines der examens- und praxisrelevantesten Mordmerkmale.
Heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt.
Der Grund für die Strafschärfung gegenüber dem Totschlag wird nach hM bei der Heimtücke in der besonderen Gefährlichkeit für das Opfer gesehen: Dieses wird von einem heimtückischen Angriff überrascht, sodass es ihm erschwert oder unmöglich gemacht wird, sich zu wehren, zu fliehen oder den Angriff anderweitig abzuwehren oder zu erschweren.
Weiterführendes Wissen: Ursprünglich bzw. nach der Begründung des NS-Gesetzgebers war eine Tötung als heimtückisch zu verstehen, „bei der Falschheit und Verschlagenheit, oft empfunden aus persönlicher Feigheit des Täters, der Tat das Gepräge geben“.
Arglosigkeit
Arglos ist, wer zum Zeitpunkt der Tat nicht mit einem tätlichen Angriff auf das eigene Leben oder die körperliche Unversehrtheit rechnet.
Die Arglosigkeit entfällt, wenn das Opfer argwöhnisch ist, weil etwa der Täter ihm offen feindselig gegenübertritt oder weil es aufgrund vorangegangener Auseinandersetzungen mit einem tätlichen Angriff rechnet. Nach der Rechtsprechung lassen weder ein generelles Misstrauen noch eine latente Angst des Opfers vor dem Täter die Arglosigkeit entfallen.
Beispiele für Fälle, in denen die Arglosigkeit bestehen bleibt: Das berufsbedingte Misstrauen von Polizist:innen gegenüber den Adressat:innen ihrer Maßnahmen;
Aufmerksamkeit verlangt der Zeitpunkt, zu dem das Opfer arglos sein muss. Grundsätzlich gilt: Die Arglosigkeit muss nach dem allgemeinen Prinzip der Koinzidenz im Zeitpunkt der Tathandlung bestehen, also dem Zeitpunkt, in dem der Täter iSd § 22 StGB unmittelbar zur Tötung ansetzt. Allerdings sieht der BGH ein Opfer auch dann noch als arglos an, wenn der Täter offen feindselig angreift und das Opfer die Gefahr einen Moment vor Beginn der Tat erkennt. Es kommt darauf an, dass die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Beginn der Tat so kurz ist, dass das Opfer nicht mehr rechtzeitig reagieren kann.
Beispiel (nach BGH NStZ 2024, 167): A und B begegnen sich an einem leeren Bahnsteig. B hat ein Messer dabei und erkennt in A einen früheren Gegner. Er geht auf A zu, beide beleidigen sich in normaler Lautstärke als „Arschloch“. Plötzlich zieht B sein Messer und sticht es dem A ins Herz. A wusste zu diesem Zeitpunkt, dass B ihm feindselig gesinnt war, erkannte aber erst unmittelbar vor dem Zustechen, dass B ihn töten wollte.
Der Zeitpunkt, zu dem das Opfer arglos sein muss, kann außerdem vorverlagert werden, wenn der Täter das Opfer in eine Falle lockt und dann die selbst geschaffene günstige Situation ausnutzt,
Beispiel (nach BGH NStZ 2009, 264): A steigt, während B nicht zu Hause ist, in deren Wohnung ein und versteckt sich dort hinter dem Sofa, um sie später zu töten. Als B nichtsahnend nach Hause kommt, bemerkt sie A zunächst nicht. B kommt hinter dem Sofa hervor und es kommt zu einem kurzen Streitgespräch, während dem B erkennt, dass A sie körperlich angreifen könnte. Dann erst sticht A mit einem Messer auf B ein, die stirbt. Hier kommt es nicht darauf an, ob A arglos war, als B mit der eigentlichen Tötungshandlung begann. Stattdessen ist auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem sie aufgrund ihrer Arglosigkeit in eine Lage gebracht wurde, in der ihre Abwehrmöglichkeiten stark eingeschränkt waren.
Arglos im Sinne der Heimtücke-Definition kann nur sein, wer die Fähigkeit zum Argwohn besitzt. „Konstitutionell arglose“ Personen, die nicht in der Lage sind, ein Gefahrbewusstsein zu entwickeln, können nicht heimtückisch getötet werden. Darunter fallen in der Regel Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren
Bei der Tötung von nicht zum Argwohn fähigen Menschen wie zB Babys kann trotzdem Heimtücke angenommen werden, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit einer schutzbereiten Dritten ausnutzt.
Beispiel: X und Y sind Eltern des Säuglings S. Y fordert X auf, schlafen zu gehen, sie werde so lange auf das Kind aufpassen. Als X dem nachkommt und im Vertrauen darauf, dass Y auf S achten werde, einschläft, nutzt Y die Situation aus und tötet S.
Schutzbereit ist eine Person, die den Schutz des Opfers dauernd oder vorübergehend übernommen hat und tatsächlich ausübt oder dies gerade deswegen nicht tut, weil sie dem Täter vertraut.
Einige Autor:innen verlangen einschränkend, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit der schutzbereiten Person herbeigeführt bzw. deren Schutzbereitschaft arglistig beseitigt haben muss.
Schlafende nehmen nach hM „ihre Arglosigkeit mit in den Schlaf“ – das heißt, wenn das Opfer mit keinem Angriff auf seine Person rechnete, als es sich schlafen legte, bleibt es auch im Schlaf arglos. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wenn eine Person eingeschlafen ist, während sie einen Angriff erwartete, ist sie nicht arglos.
Umstritten ist, ob kurzfristig bewusstlose Personen ebenso als arglos zu behandeln sind wie Schlafende. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist dies nicht der Fall, sodass eine heimtückische Tötung bewusstloser Menschen ausscheidet. Begründet wird das damit, der Zustand der Ohnmacht überraschend eintrete, während man sich in der Regel bewusst schlafen lege. Deswegen könne bei Bewusstlosen nicht an ein bestimmtes Vorverhalten angeknüpft werden.
Examenswissen: Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Arglosigkeit ist die Frage, ob ein Angreifer, insbesondere eine Erpresser:in, in Bezug auf einen Gegenangriff aus einer Notwehrlage heraus arglos sein kann.
Der BGH verneint dies: Wer andere angreife und damit in eine Notwehrlage bringe, sei bei wertender Betrachtung in der Regel nicht arglos, sondern müsse mit einem Gegenangriff rechnen.
Begründet wird dies damit, dass ein „Wertungsgleichklang zum Notwehrrecht“ hergestellt werden solle. Weil das Tötungsopfer sich auf vorwerfbare Weise selbst in die Gefahr eines tätlichen Angriffs gebracht habe, greife der Grund für die Strafschärfung bei Heimtücke – die eingeschränkten Selbstschutzmöglichkeiten des überraschten Opfers – in diesem Fall nicht.
Wehrlosigkeit
Eine Person ist wehrlos im Sinne der Heimtücke-Definition, wenn ihre Verteidigungsfähigkeit aufgrund ihrer Arglosigkeit erheblich eingeschränkt oder sie zur Verteidigung außer Stande ist.
Hier kommt es darauf an, dass das Opfer sich gerade deshalb nicht verteidigen kann, weil es arglos ist, die Wehrlosigkeit also kausal auf der Arglosigkeit beruht. Ist das Opfer aus anderen Gründen wehrlos, liegt keine Heimtücke vor.
Beispiel (nach BGHSt 32, 382): O lässt sich von T einverständlich fesseln. Später geraten sie in einen heftigen Streit. T entscheidet sich im Laufe des Streits, O zu töten, und holt vor den Augen der O ein Seil. O erkennt, dass T plant, sie damit zu erdrosseln, kann sich aber wegen der Fesselung nicht wehren. Hier nutzt T zwar die Wehrlosigkeit von O aus, um sie zu töten. O ist aber zum Beginn des Tötungsversuchs nicht arglos, sondern deshalb wehrlos, weil sie sich hat fesseln lassen.
Der maßgebliche Zeitpunkt ist auch für die Wehrlosigkeit das unmittelbare Ansetzen zur Tat.
Ausnutzungsbewusstsein
Der Täter muss die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzen. Dies setzt voraus, dass er erkennt, dass das Opfer arg- und wehrlos ist, und außerdem die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit für die Tatbegehung erfasst. Der Täter muss sich bewusst sein, dass er einen Menschen überrascht, der durch seine Ahnungslosigkeit gegen Angriffe schutzlos ist.
Klausurtaktik: Weil es sich beim Ausnutzungsbewusstsein um ein überwiegend subjektives Element handelt, wird zum Teil vorgeschlagen, es im Rahmen des subjektiven Tatbestands zu prüfen. Gerade, wenn mehrere Mordmerkmale zu prüfen sind, ist dies allerdings aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht zu empfehlen.
Begehung durch Unterlassen
Ob ein heimtückischer Mord auch durch Unterlassen begangen werden kann, ist umstritten.
Beispiel (nach BGH NStZ 2010, 87): A öffnet in seiner Wohnung in einem Mehrfamilienhaus die Gasleitung. B weiß davon nichts, kommt zu A zu Besuch und zündet sich in der Wohnung eine Zigarette an, wovon A sie nicht abhält. Dies führt zu einer Explosion, durch die das ganze Haus einstürzt; die Nachbarin N stirbt dabei. Mit dem Tod von Nachbar:innen rechnete A und nahm ihn billigend in Kauf.
Der BGH hat in der Entscheidung, die dem Beispiel zugrunde liegt, angedeutet, dass er die Begehung eines Heimtückemordes durch Unterlassen grundsätzlich für möglich hält.
Andere Stimmen in der Literatur gehen zwar grundsätzlich davon aus, dass ein heimtückischer Mord durch Unterlassen begangen werden kann, sind sich aber uneinig darüber, unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. Die zentrale Frage dabei ist, wann bei einem Unterlassen davon gesprochen werden kann, dass der Täter die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, bzw. wann dies einem aktiven Ausnutzen gleichwertig iSv § 13 Abs. 1 StGB ist. Während es für einige Autor:innen genügen soll, dass der Garant das Opfer pflichtwidrig in Unkenntnis über einen Angriff belässt und dadurch dessen Abwehrfähigkeit mindert,
Einschränkende Auslegung
Aus dem Schuldgrundsatz, der sich aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, folgt, dass die angedrohte Strafe in einem angemessenen Verhältnis zu Schwere der Tat und Ausmaß der Schuld des Täters stehen muss. Ein großes Problem der gängigen Heimtücke-Definition liegt darin, dass sie sehr weit ist und so Fälle darunter subsumiert werden können, in denen eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht verhältnismäßig erscheint. Einige Tötungen, die nach der überkommenen Heimtücke-Definition dem § 211 StGB unterfallen, zeichnen sich nicht durch den typischen erhöhten Unrechtsgehalt aus. Dies betrifft insbesondere die Tötung von sog. „Haustyrannen“ im Schlaf sowie weitere Fälle, die § 213 Alt. 1 StGB nahestehen, insbesondere notstandsnahe Situationen, Tötungen durch Erpressungsopfer (s. → Rn. 33) sowie den „missglückten Mitnahmesuizid“.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte den § 211 StGB im Jahr 1977 trotz der genannten Zweifel für verfassungsgemäß, allerdings nur, soweit gewährleistet sei, dass die lebenslange Freiheitsstrafe auf Tötungsfälle von besonders verwerflichen Maß beschränkt bleibe und angesichts der Schwere der Tat angemessen sei.
Weiterführendes Wissen: Das Mordmerkmal der Heimtücke wird auch weiterhin stark kritisiert: Zum einen sei nicht klar, worin der erhöhte Unrechtsgehalt gegenüber anderen Tötungen bestehe. Wer einen anderen Menschen töten will, möchte, dass dies gelingt, und nutzt dafür in aller Regel bestehende Vorteile aus – körperliche Überlegenheit, bessere Bewaffnung oder eben die Arglosigkeit des Opfers.
Tatbestandslösungen
Der BGH schränkt das Merkmal der Heimtücke auf Tatbestandsebene ein, indem er voraussetzt, dass die Tötung „in feindlicher Willensrichtung“ erfolgen muss.
Weiterführendes Wissen: Vorher hatte es der BGH für das Fehlen der feindlichen Willensrichtung ausreichen lassen, dass aus Mitleid oder zum vermeintlich Besten des Opfers gehandelt wurde.
Klausurtaktik: Eine elegante und zeitsparende Lösung für die Klausur kann es sein, die feindliche Willensrichtung schon in die Definition der Heimtücke aufzunehmen und nur in ganz problematischen Fällen zu diskutieren.
Eine verbreitete Literaturansicht verlangt zur Einschränkung des Heimtücke-Tatbestandes, dass der Täter ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Opfer ausgenutzt haben muss.
Eine weitere Literaturansicht setzt ein „tückisch-verschlagenes Vorgehen“ voraus, das sich dadurch auszeichnet, dass der Täter sich bestimmte Tatumstände auf eine listige oder planvoll-berechnende Weise zunutze macht.
Nach den Lehren von der Typenkorrektur muss im Anschluss an die Prüfung der Mordmerkmale eine Gesamtwürdigung der Tat vorgenommen werden.
Rechtsfolgenlösung
Die Rechtsprechung löst das Problem, abgesehen vom weitestgehend bedeutungslos gewordenen Merkmal der feindlichen Willensrichtung, vor allem auf Rechtsfolgenseite. In eng umrissenen Ausnahmefällen erfolgt in Anlehnung an die gesetzlichen Milderungsgründe (§§ 13 Abs. 2, 17 S. 2, 21 StGB) eine Korrektur des Strafrahmens.
Klausurtaktik: Bei der Falllösung empfiehlt es sich, zunächst zu prüfen, ob die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt wurde, und dann unter einem Prüfungspunkt „weitere Voraussetzungen der Heimtücke“ oder „einschränkende Auslegung“ zu diskutieren, ob weitere Voraussetzungen vorliegen müssen oder ob eine Korrektur auf Rechtsfolgenseite erfolgen sollte.
Übersicht über die verschiedenen Ansätze zur einschränkenden Auslegung des Heimtücke-Merkmals
Tatbestandslösungen | ||
Rspr. | Tötung in feindlicher Willensrichtung | Die Tötung muss „in feindlicher Willensrichtung“ erfolgen. |
hL | besonders verwerflicher Vertrauensbruch | Der Täter muss ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Opfer ausnutzen. |
Tückisch-verschlagenes Vorgehen | Die Täter muss sich bestimmte Tatumstände auf eine listige/planvoll-berechnende Weise zunutze machen. | |
Typenkorrektur | Positive Typenkorrektur: Neben dem Vorliegen der Mordmerkmale muss immer zusätzlich die besondere Verwerflichkeit der Tat geprüft werden. | |
Negative Typenkorrektur: Das Vorliegen der Mordmerkmale indiziert die besondere Verwerflichkeit der Tat, die aber ausnahmsweise fehlen kann. | ||
Rechtsfolgenlösung | ||
Rspr. | Milderung der Strafe analog § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB in eng umrissenen Ausnahmefällen. |
Grausamkeit
Grausam tötet nach hM, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt.
Nicht nur die über das zur Tötung notwendige Maß deutlich hinausgehende Zufügung von Schmerzen wird erfasst (zB das dutzendfache Einstechen auf das Opfer, obwohl schon ein Messerstich für die Tötung ausgereicht hätte), sondern auch die Verwendung einer an sich mit erheblichen Schmerzen verbundenen Tötungsform (zB Verbrennen bei lebendigem Leib, Verhungern bzw. Verdursten) kann unter das Merkmal fallen.
Klausurtaktik: Das Mordmerkmal der Grausamkeit kommt in Klausuren nur selten vor und sollte nicht zu vorschnell angesprochen bzw. bejaht werden. Nicht jede Tötung, die über das „normale“ Maß hinaus gewalttätig wirkt, ist auch grausam. Wird zB im Sachverhalt lediglich geschildert, dass das Opfer mit mehreren Hammerschlägen auf den Kopf getötet wird, so mag dies gedanklich ein brutales Tatbild zeichnen, das Mordmerkmal der Grausamkeit muss aber nur angesprochen werden, wenn weitere Hinweise hinzukommen (zB erhebliche Schmerzen des Opfers, gezielte zeitliche Ausdehnung des Tötungsprozesses).
Das subjektive Element der Grausamkeit (gefühllose, unbarmherzige Gesinnung) kann zwar auch im subjektiven Tatbestand geprüft werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und da der Unrechtsschwerpunkt der Grausamkeit in der tatsächlich Zufügung von Qualen liegt, empfiehlt es sich jedoch, beide Komponenten des Mordmerkmals gemeinsam im objektiven Tatbestand zu prüfen.
Gemeingefährliche Mittel
Die Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist dadurch gekennzeichnet, dass vom eingesetzten Tatmittel eine gewisse Streuwirkung für Personen ausgeht, die eigentlich nicht das anvisierte Opfer sind.
Mit gemeingefährlichen Mitteln tötet ein Täter, wenn er seine Tötungsmittel in der konkreten Tatsituation in einer Art und Weise einsetzt, dass er die Ausdehnung der Lebensgefahr von dem von ihm anvisierten Opferkreis auf andere Personen nicht beherrschen und damit eine Vielzahl weiterer Menschen in Lebensgefahr bringen kann.
Eine Vielzahl im Sinne der Definition ist nach hM erreicht, wenn sich die Gefahr auf mindestens drei weitere Personen ausdehnt.
Die Gefahr muss darüber hinaus für eine Mehrzahl nicht anvisierter Menschen kumulativ bestehen. Dass mehrere Menschen jeweils nur alternativ gefährdet sind, reicht hingegen nicht aus.
Beispiel (nach BGHSt 38, 353): X feuert mit seiner Pistole einen einzigen Schuss auf das Opfer O, welches sich in einer Menschenmenge befindet und daraufhin verstirbt. Der Schuss hätte ebenso andere Personen aus der Menge treffen können. Zwar wurde durch die Abgabe des Schusses jeder Mensch in der Menge gefährdet, aber insgesamt bestand nur die Gefahr, eine einzige Person zu treffen. Eine unkontrollierte Gefahrausdehnung auf mehrere Personen liegt nicht vor. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn eine ungeübte Schütz:in mit einer vollautomatischen Maschinenpistole eine Salve in eine Menschenmenge feuert.
Umstritten ist, ob für die nicht anvisierten Personen eine Lebensgefahr bestehen muss oder ob bereits die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit ausreicht. Die Rspr. lässt eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit ausreichen.
Problematisch sind Fälle, in denen der Täter nicht nur vorsätzlich bzgl. der Tötung eines abgrenzbaren Personenkreises handelt (d. h. bzgl. einer einzigen Person oder einzelner Personen in einer Menschenmenge), sondern sein Tötungsvorsatz sich auf alle Personen der Menschenmenge bezieht.
Beispiel 1: X wirft aus terroristischen Motiven eine Granate in einen vollbesetzten Bus, um möglichst viele der mitfahrenden Personen zu töten.
Hier fehlt es auf den ersten Blick an der von der Definition vorausgesetzten Streuwirkung der Gefahr, denn sie dehnt sich nicht unkontrolliert auf weitere, nicht anvisierte Personen aus. Es wäre jedoch unbillig, die Gemeingefährlichkeit in einem solchen Fall abzulehnen. Schließlich würde man X privilegieren, wenn er die Tötung der gesamten Busbesatzung anstatt nur einzelner Personen wollte. Die hM bejaht daher in diesem Fall die Gemeingefährlichkeit.
Beispiel 2: X wirft eine Granate in das Wohnzimmer seiner verfeindeten Nachbarn, um alle vier Bewohner zu töten.
In diesem Beispiel kam es X gerade auf die Identität seiner Opfer an. Er hat jedes der Opfer als Einzelperson individualisiert. Daher liegt keine gemeingefährliche Tötung vor, sondern eine Mehrfachtötung, die – vorbehaltlich anderer Mordmerkmale – lediglich von § 212 StGB erfasst wird.
Weiterhin ist umstritten, ob ein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln auch durch Unterlassen begangen werden kann. Die hM
Subjektive Mordmerkmale
In der ersten und dritten Merkmalsgruppe des § 211 Abs. 2 StGB sind die subjektiven (oder auch täterbezogenen) Mordmerkmale normiert. Diese betreffen besondere Gründe oder Zwecksetzungen des Täters für die Tötung, die der Gesetzgeber für besonders verachtenswert und daher besonders strafwürdig ansieht.
Mordlust
Das Mordmerkmal der Mordlust spielt in Klausuren keine große Rolle.
Aus Mordlust tötet der Täter, wenn die Tötung des Opfers für ihn den einzigen Zweck der Tötung darstellt, sie also zum Selbstzweck wird.
Mordlust liegt damit vor, wenn der Täter aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens, Langeweile, Angeberei, Neugierde oder wegen des Nervenkitzels tötet. Bedingter Tötungsvorsatz reicht nicht aus, da der Täter bereits nach der Definition zielgerichtet bzgl. der Herbeiführung des Todes handeln muss.
Befriedigung des Geschlechtstriebs
Die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebes spielt in der Praxis eine größere Rolle, in Prüfungsarbeiten kommt sie jedoch kaum vor. Die Definition des Merkmals enthält drei Komponenten:
Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs handelt, wer tötet, um in der Tötung selbst sexuelle Befriedigung zu erfahren (1) oder um sich später an der Leiche sexuell zu vergehen (2), oder wer den Tod des Opfers als Folge bzw. zur Erzwingung der Vergewaltigung billigend in Kauf nimmt (3).
Wie bei allen subjektiven Mordmerkmalen kommt es auch hier nur auf die subjektive Sicht des Täters im Zeitpunkt der Tat an.
Auch muss gerade das Tötungsopfer das Bezugsobjekt der sexuellen Befriedigung sein, d. h. es reicht für die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht aus, wenn jemand eine sich in der Nähe befindliche Polizeistreife erschießt, um eine andere Person ungestört vergewaltigen zu können.
Weiterführendes Wissen: Interessant ist der viel diskutierte Fall des „Kannibalen von Rotenburg“.
Habgier
Habgier ist ein klausurrelevantes Mordmerkmal und sollte daher gut beherrscht werden.
Habgier ist das über bloße Gewinnsucht hinausgehende rücksichtslose Streben nach Vermögensvorteilen um den Preis eines Menschenlebens.
Der Täter muss also seiner Vorstellung nach durch die Tötung sein Vermögen vergrößern. Ob die Vermögensmehrung auch tatsächlich eintritt oder ob sie zufälligerweise ausbleibt bzw. ggf. von vornherein unmöglich war, ist irrelevant, da es bei subjektiven Mordmerkmalen rein auf die subjektive Tätersicht zur Zeit der Tat ankommt. Auf den Wert der erstrebten Vermögensvorteile kommt es dabei nicht an.
Umstritten ist, ob auch das Streben nach der Ersparnis von Aufwendungen Habgier darstellen kann, zB wenn jemand das eigene Kind tötet, um sich von Unterhaltspflichten zu befreien.
Strebt der Täter einen ihm rechtlich zustehenden Vermögensvorteil an, d. h. will er einen bestehenden Anspruch durchsetzen, so liegt nach hM keine Habgier vor. Da der angestrebte Zweck mit der Rechtsordnung übereinstimme, fehle die besondere Verwerflichkeit der Zwecksetzung (vgl. auch die Wertung iRd objektiven Rechtswidrigkeit bei §§ 249, 253 StGB).
Häufig wird der Täter bei der Tötung nicht allein im Streben nach Vermögensvorteilen handeln, sondern auch andere Motive (zB Rache, Wut) haben (sog. Motivbündel). Weist der Täter bei der Tatausführung ein Motivbündel auf, so liegt eine Tötung „aus Habgier“ nur dann vor, wenn diese bei der Tat „bewusstseinsdominant“ gewesen ist.
Verdeckungsabsicht
Mit Verdeckungsabsicht handelt, wem es gerade darauf ankommt, durch die Tötungshandlung (nicht unbedingt den Tötungserfolg) entweder die Aufdeckung einer anderen Straftat oder zumindest die Aufdeckung der Täterschaft zu verhindern.
Typische Fälle sind etwa die Tötung von Mitwisser:innen, Tatopfern, Zeug:innen oder Personen, die die Flucht stören oder unterbrechen.
Hintergrund der Strafschärfung bei den Mordmerkmalen der dritten Gruppe, zu der die Verdeckungs- und die Ermöglichungsabsicht zählen, ist die besondere Verwerflichkeit des Zwecks, der mit der Tat verfolgt wird. Diese liegt bei der Verdeckungsabsicht darin, dass der Täter die eigenen, schon für sich strafwürdigen Ziele über das Leben eines anderen Menschen stellt.
Andere Straftat
Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht setzt eine andere Straftat (Vortat) voraus. Das kann eine Tat desselben Täters, aber auch eine Tat einer anderen Person sein.
Beispiel (nach BGHSt 11, 226): X greift den Y an, woraufhin dieser sich wehrt, indem er dem X mit einer Bierflasche auf den Kopf schlägt. X geht bewusstlos zu Boden. Der Schlag mit der Flasche war zwar durch Notwehr gerechtfertigt, Y erkennt dies aber nicht und tötet den X, um die Tat zu verdecken.
Dies gilt für Fehleinschätzungen des Täters sowohl auf Tatsachen- als auch auf Wertungsebene und funktioniert in beide Richtungen:
Wenn Vortat und Tötungshandlung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, kann außerdem die Frage Schwierigkeiten bereiten, ob es sich bei der Vortat wirklich um eine andere Straftat handelt. Davon kann ausgegangen werden, wenn der Tötungsvorsatz erst im Laufe des Geschehens hinzutritt.
Verdecken
Der Täter muss mit der Absicht handeln, die Aufdeckung der Vortat zu verhindern. In Bezug darauf ist also dolus directus 1. Grades erforderlich.
Es muss nicht der Todeserfolg das Mittel zur Verdeckung sein, sondern es reicht aus, dass die zum Tod führende Handlung für ein notwendiges Mittel zur Verdeckung der Tat gehalten wird.
Beispiel: T wird wegen eines Banküberfalls von der Polizei mit dem Auto verfolgt. Während der Verfolgungsjagd sieht sie, dass O die Straße überquert. T bremst nicht und weicht nicht aus, weil sie dadurch ihren Vorsprung verlieren würde. Dass sie O dadurch tödlich verletzen könnte, erkennt sie und nimmt es billigend in Kauf. T fährt O an, dieser wird verletzt und stirbt.
Das bedeutet: Nach ganz hM kann auch wegen Verdeckungsmordes bestraft werden, wer in Bezug auf den Tod des Opfers lediglich mit Eventualvorsatz handelte.
Beispiel: Die T wird bei einem Drogengeschäft von O beobachtet und tötet diesen, damit er sie nicht anzeigt.
Um die Aufdeckung einer Tat zu verhindern, handelt zunächst, wer die Strafverfolgung verhindern will. Wenn Tat und Täter den Strafverfolgungsbehörden bereits bekannt sind, ist dies nicht mehr möglich. Wer also bereits enttarnt ist, dann aber auf der Flucht einen anderen Menschen tötet, begeht keinen Verdeckungsmord. Es kommt aber auch hier auf die subjektive Vorstellung des Täters an.
Ob auch Verdeckungsabsicht angenommen werden kann, wenn es dem Täter lediglich darum geht, außerstrafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, ist umstritten.
Beispiel (nach BGHSt 41, 8): T hat O die Lieferung von 2 kg Kokain versprochen. O hat dafür bereits eine Anzahlung von 50.000 EUR geleistet. T hatte nie vor, das Kokain zu liefern. Als O wiederholt darauf drängt, tötet T ihn. T geht nicht davon aus, dass O ihn anzeigen würde, aber fürchtet, dass O in der Szene herumerzählen könnte, dass T ihn betrogen hat.
Der BGH und Teile der Literatur nehmen auch in diesen Fällen Verdeckungsabsicht an. Begründet wird dies mit dem Sinn und Zweck der Norm: Grund für die Strafschärfung bei Verdeckungsabsicht sei nicht der Schutz der Strafrechtspflege, sondern das spezifische Unrecht, das in der Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht bestehe.
Klausurtaktik: Wenn die Subsumtion der Tötung zur Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen unter das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht abgelehnt wird, ist danach zu prüfen, ob insoweit sonstige niedrige Beweggründe vorliegen (in der Fallgruppe der sog. verdeckungsnahen Beweggründe).
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Verdecken iSv § 211 Abs. 2 Var. 9 StGB ist die Frage, ob ein Verdeckungsmord auch durch ein Unterlassen begangen werden kann.
Beispiel: A fährt betrunken mit dem Auto. Dabei fährt sie den Fußgänger F an, der schwer verletzt wird. Weil sie Angst hat, wegen der Trunkenheitsfahrt strafrechtlich verfolgt zu werden, lässt sie F am Unfallort liegen und fährt weiter. Dabei erkennt sie, dass F lebensgefährlich verletzt ist, aber gerettet werden könnte, wenn sie rechtzeitig einen Krankenwagen riefe. F verstirbt wenig später.
Die ältere Rechtsprechung und ein Teil der Literatur verneinen dies.
Die neuere Rechtsprechung und die hL hingegen nehmen auch in Unterlassungskonstellationen Verdeckungsabsicht an.
Ermöglichungsabsicht
Mit Ermöglichungsabsicht handelt, wem es gerade darauf ankommt, durch die Tötungshandlung die Begehung einer anderen Tat zumindest zu erleichtern oder zu beschleunigen. Grund für die Strafschärfung ist, dass besonders verwerflich handelt, wer bereit ist, zur Erreichung krimineller Ziele auch über Leichen zu gehen.
In Bezug auf die Ermöglichung der anderen Straftat ist Absicht iS eines dolus directus 1. Grades erforderlich, aber auch ausreichend.
Beispiel: F hält G in deren Wohnung im 4. Stock gefangen. Aus dem Fenster sieht sie H, der ebenfalls einen Schlüssel zur Wohnung hat, auf das Haus zulaufen. Um H aufzuhalten und daran zu hindern, G zu befreien, schubst F eine schwere Vase von der Fensterbank. Die Vase fällt H auf den Kopf und tötet ihn, was F vorhergesehen und billigend in Kauf genommen hatte. Die Freiheitsberaubung der F an G war zwar bereits vollendet, aber noch nicht beendet. F tötete H, um diese aufrechtzuerhalten. Ermöglichungsabsicht liegt damit vor.
Die Tötungshandlung und die andere Straftat können dabei nach ganz hM auch in Tateinheit (im rechtlichen Sinne) stehen.
Beispiel: T schlägt O mit einer Eisenstange auf den Kopf, um ihm im Zustand der Bewusstlosigkeit seine teure Armbanduhr zu entwenden. Dabei nimmt sie den Tod des O billigend in Kauf.
T macht sich hier wegen Raubes mit Todesfolge (→ Bd. 2 § 7) und Mord zur Ermöglichung des Raubes in Tateinheit strafbar.
Dabei dürfen sich die Tathandlungen überschneiden, aber nicht vollständig deckungsgleich in einer Handlung im natürlichen Sinne zusammenfallen.
Beispiel: A fährt mit dem Auto auf F zu, um sie zum Ausweichen zu zwingen. Dabei nimmt A den Tod von F billigend in Kauf.
Die (versuchte) Tötung und die Nötigungshandlung fallen hier in einem Akt zusammen, A will nicht mit der Tötung eine darüber hinausgehende Nötigung ermöglichen.
Nach heute hM muss nach der Vorstellung des Täters nur die Tötungshandlung die Begehung der Bezugstat erleichtern, nicht der Tötungserfolg. In Bezug auf den Tötungserfolg genügt daher Eventualvorsatz.
Sonstige niedrige Beweggründe
Neben den speziellen subjektiven Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe enthält § 211 Abs. 2 StGB mit den sonstigen niedrigen Beweggründen eine Motivgeneralklausel. Auch wenn viele Gründe, die Täter zur Tötung bewegen, verwerflich erscheinen, ist mit der Annahme niedriger Beweggründe zurückhaltend umzugehen. Wegen der absoluten Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist auch dieses Mordmerkmal eng auszulegen.
Klausurtaktik: Wenn schon eines der spezielleren subjektiven Mordmerkmale bejaht wurde, ist es nicht mehr nötig, das Vorliegen sonstiger niedriger Beweggründe ausführlich zu prüfen, wenn der niedrige Beweggrund dem speziellen subjektiven Mordmerkmal ähnlich ist und daher keinen weiteren Unrechtsgehalt enthält. Es ist aber sinnvoll, das im Ergebnissatz kurz zu erwähnen. Dies gilt aber nicht, wenn zu einem spezielleren subjektiven Mordmerkmal ein niedriger Beweggrund hinzukommt, zB jemand aus Ausländerhass und Habgier tötet.
Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Dabei muss eine Gesamtwürdigung vorgenommen werden, die die Tatumstände und die Vorgeschichte der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und dessen Persönlichkeit miteinbezieht.
Weiterführendes Wissen: Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen niedrigen Beweggründen und „normalen“ Tötungsmotiven ist allerdings auch damit nicht möglich. Wegen dieser Unbestimmtheit und seiner Offenheit für rein sittlich-moralische Wertungen wird das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auch scharf kritisiert und zum Teil seine ersatzlose Streichung gefordert.
Klausurtaktik: Für die Fallbearbeitung ist es sinnvoll, die Kriterien der Rechtsprechung zu kennen und anhand dieser Kriterien zu argumentieren. Eine detaillierte Kenntnis einzelner, oft verwirrender Fallgruppen ist nicht unbedingt notwendig. In jedem Fall ist es wichtig, auch bei Vorliegen einer bekannten Fallgruppe stets den grundsätzlichen Maßstab, der für die niedrigen Beweggründe angesetzt wird, zum Ausgangspunkt zu nehmen und davon ausgehend zu begründen, warum der konkrete Fall im Rahmen der Gesamtwürdigung auf sittlich tiefster Stufe steht und besonders verachtenswert ist.
Von der Rechtsprechung werden niedrige Beweggründe bei solchen Taten angenommen, die durch eine hemmungslose, krasse Eigensucht bzw. einen rücksichtslosen Egoismus gekennzeichnet sind.
Beispiel (nach BGHSt 65, 42): T und U machen nachts mit ihren Autos ein Wettrennen auf einer innerstädtischen Hauptstraße. Dabei fahren sie mit einer Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h und auch über rote Ampeln. T hält es für möglich, dass es dabei zu einem Unfall kommt, der andere Verkehrsteilnehmer:innen töten könnte, und nimmt dies billigend in Kauf. An einer Kreuzung fährt O – für die die Ampel grün ist – auf die Hauptstraße ein. T fährt über die für ihn rote Ampel. Er kann nicht rechtzeitig bremsen und kollidiert mit dem Auto der O. O stirbt. T handelt für den Adrenalinrausch, aus Geltungsdrang und Ehrgeiz – also aus hemmungslos eigensüchtigen Motiven.
Ein weiteres Kriterium ist das Verhältnis zwischen Tötung und Tatanlass. Niedrige Beweggründe liegen demnach vor, wenn die Tötung in einem krassen Missverhältnis zu dem Anlass, den der Täter dazu sah, steht.
Auch rassistische oder antisemitische Beweggründe und die Tötung des Opfers wegen dessen (vermeintlicher) Zugehörigkeit zu einer bestimmten „ethnischen“, politischen, sozialen oder religiösen Gruppe sind niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 StGB. Außerdem fallen Motive unter die sonstigen niedrigen Beweggründe, die keines der speziellen Mordmerkmale der 1. oder 3. Gruppe erfüllen, aber einem davon bei wertender Betrachtung so ähnlich sind, dass eine Gleichstellung nach normativen Wertungsmaßstäben geboten ist.
Beispiel: Verdeckung einer Ordnungswidrigkeit,
In vielen Fällen gibt es nicht ein einziges, klar festzustellendes, Tötungsmotiv, sondern es treffen mehrere Motivationen für die Tat zusammen (Motivbündel). Nach hM muss dann der dominante Beweggrund, in den Worten des BGH der Beweggrund, „der der Tat ihr wesentliches Gepräge gibt“
Ein solches Motivbündel liegt häufig bei Trennungstötungen vor. Dabei spielen in der Regel einerseits Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Trauer über das Ende der Beziehung eine Rolle, andererseits aber auch ein patriarchales Besitzdenken der meist männlichen Täter gegenüber ihren (Ex-)Partner:innen sowie Wut und Hass.
Weiterführendes Wissen: An der Rechtsprechung des BGH lässt sich etwa kritisieren, dass die hinter der normalpsychologischen Motivation stehenden Gründe für die Tat nicht mitberücksichtigt werden. Mit der Tötung gehe in diesen Fällen eine über die bloße Tötung hinausgehende „Negation des personalen Eigenwerts der getöteten Person einher, der ein selbstbestimmtes Leben ohne den Täter nicht zugestanden wird.“
Lange war außerdem umstritten, inwiefern insbesondere bei Tätern mit Migrationsgeschichte subjektive Wertvorstellungen zu berücksichtigen sind. Relevant wurde dies vor allem in sog. „Blutrache“- bzw. „Ehrenmord“-Fällen. In den 1970er–90er Jahren bezog der BGH dies schon im objektiven Tatbestand auf der Ebene des Bewertungsmaßstabs mit ein.
„den in seiner Heimat gelebten Anschauungen derart intensiv verhaftet ist, dass er deswegen die in Deutschland gültigen abweichenden sozialethischen Bewertungen seines Motivs nicht in sich aufnehmen und daher auch nicht nachvollziehen kann.“
BGH NJW 2004, 1466 (1467).
Der Vorsatz des Täters muss sich auf die Umstände beziehen, die „die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen“
Beteiligung mehrerer an einer Tötung
Einführung
Schwierige und äußerst klausurrelevante Probleme ergeben sich mitunter, wenn an einer Tötung mehrere Personen beteiligt sind.
Vergleichsweise einfach ist die Rechtslage noch, wenn man nur auf die objektiven Mordmerkmale blickt. Denn hier gelten die allgemeinen Regeln nach den §§ 25 ff. StGB. Handelt also beispielsweise einer von mehreren Mittätern einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln, so wird dies den übrigen Mittätern nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet und es werden alle wegen Mordes bestraft, wenn sich ihr Vorsatz hierauf bezieht. Auch bei der mittelbaren Täterschaft kann das äußere Verhalten des Tatmittlers (Vordermann) dem mittelbaren Täter (Hintermann) zugerechnet werden, soweit dies von seinem Vorsatz umfasst war (zu etwaigen subjektiven Komponenten objektiver Mordmerkmale → Rn. 126). Bei Anstiftung und Beihilfe gilt der Grundsatz der Akzessorietät, d. h. dem Teilnehmer werden alle objektiven Tatumstände zugerechnet, die der Haupttäter verwirklicht und auf die sich der Vorsatz des Teilnehmers bezieht.
Schwieriger sind Fälle, in denen subjektive Mordmerkmale eine Rolle spielen. Subjektive Mordmerkmale betreffen die subjektiven Zwecksetzungen des Täters und sind daher nach hM besondere persönliche Merkmale iSv § 28 StGB.
§ 28 Abs. 1 StGB behandelt ausweislich seines Wortlauts nur das Verhältnis zwischen Anstiftern/Gehilfen und den jeweiligen Haupttätern. Die Vorschrift betrifft den Fall, dass die Haupttat nur deshalb überhaupt strafbar ist, weil sie durch einen Menschen begangen wurde, der ein besonderes persönliches Merkmal aufweist. Das besondere persönliche Merkmal wirkt hier also strafbegründend.
Beispiel: Täter einer Untreue gem. § 266 StGB kann nur sein, wer eine besonders vertrauensvolle Stellung bekleidet und daher eine Vermögensbetreuungspflicht hat.
Nach dem schon genannten Grundsatz der Akzessorietät müsste der Teilnehmer an einem solchen Delikt eigentlich genau so bestraft werden wie der Täter. § 28 Abs. 1 StGB durchbricht die Akzessorietät jedoch und ordnet an, dass die Strafe des Teilnehmers gemildert wird, wenn er das besondere persönliche Merkmal des Haupttäters nicht auch selbst aufweist.
Beispiel: Wer jemanden zur Untreue anstiftet, wird also nach §§ 266, 26 StGB bestraft, erhält aber eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB, falls er selbst nicht vermögensbetreuungspflichtig ist.
§ 28 Abs. 2 StGB ist dagegen nicht nur auf das Verhältnis zwischen Teilnehmern und Haupttätern anwendbar, sondern erfasst alle Formen der Beteiligung (also auch Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft). Die Vorschrift behandelt den Fall, dass bei einem Beteiligten besondere persönliche Merkmale vorliegen, die die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen.
Beispiel 1: Wenn Beamte, die zur Mitwirkung am Strafverfahren berufen sind (zB Staatsanwält:innen), die Bestrafung eines Straftäters vereiteln, kann das nach § 258a StGB schärfer bestraft werden als bei Nicht-Beamten.
Beispiel 2: Eine Unterschlagung kann schärfer bestraft werden, wenn dem Täter die Sache, welche er unterschlägt, zuvor anvertraut wurde, § 246 Abs. 2 StGB.
Nach den Zurechnungsregeln in § 25 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 StGB sowie dem Grundsatz der Akzessorietät müssten die strafschärfenden, -mildernden oder -ausschließenden persönlichen Merkmale des Täters eigentlich voll auf andere Beteiligte durchschlagen. Ob diese selbst derartige Merkmale aufweisen, wäre dabei egal. An dieser Stelle durchbricht § 28 Abs. 2 StGB die Akzessorietät jedoch und ordnet an, dass strafbarkeitsschärfende, -mildernde oder -ausschließende Merkmale nur bei derjenigen Person Wirkung entfalten, die sie selbst aufweist.
Beispiel: Wer einen Beamten, der zur Strafverfolgung berufen ist, zur Strafvereitelung anstiftet, und selbst kein Beamter ist, wird daher nur gem. §§ 258 Abs. 1, 26 StGB bestraft. Umgekehrt würde ein Beamter, der einen Nicht-Beamten zur Strafvereitelung anstiftet, nach §§ 258a, 26, 28 Abs. 2 StGB bestraft.
Um § 28 StGB auf Tötungsdelikte anzuwenden, ist also entscheidend, ob man die subjektiven, täterbezogenen Mordmerkmale als strafbegründende Merkmale iSv § 28 Abs. 1 StGB oder als strafmodifizierende Merkmale iSv § 28 Abs. 2 StGB ansieht. Dies hängt davon ab, in welchem systematischen Verhältnis Mord und Totschlag stehen.
Versteht man § 211 StGB als einen eigenen, von § 212 StGB unabhängigen Tatbestand, so wären die Mordmerkmale strafbegründende Merkmale iSv § 28 Abs. 1 StGB und es würden die allgemeinen Zurechnungsregeln gelten. Ein subjektives Mordmerkmal des Haupttäters wäre dem Teilnehmer also zuzurechnen, soweit sich der Vorsatz des Teilnehmers darauf bezieht. § 28 Abs. 1 StGB würde eingreifen, wenn der Teilnehmer das subjektive Merkmal des Haupttäters nicht auch selbst aufweist. Rechtsfolge wäre dann eine Milderung der Strafe des Teilnehmers iSv § 49 Abs. 1 StGB. In diesen Fällen wird daher von einer sog. „Strafrahmenverschiebung“
Versteht man § 211 StGB hingegen als eine Qualifikation zu § 212 StGB, so würden die Mordmerkmale die Strafe gegenüber dem Grundtatbestand schärfen. Damit würden sie § 28 Abs. 2 StGB unterfallen. Dies hätte zur Folge, dass subjektive Mordmerkmale, die bei einem Beteiligten vorliegen, bei anderen Beteiligten keine Rolle spielen, da jeder Beteiligte nur nach seinen eigenen besonderen persönlichen Merkmalen beurteilt würde. Man spricht insoweit von einer sog. „Tatbestandsverschiebung“
Die Frage, ob § 28 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB anzuwenden ist, stellt sich entsprechend auch bei § 216 StGB, der ebenfalls entweder als eigener Tatbestand oder als Privilegierung zu §§ 211, 212 StGB aufgefasst werden könnte und das besondere subjektive Merkmal der „Bestimmung zur Tötung“ enthält.
Verhältnis zwischen Mord und Totschlag
Dreh- und Angelpunkt für die Anwendung von § 28 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ist im Rahmen der Tötungsdelikte also die Frage, ob die §§ 211 und 212 StGB zwei eigenständige Tatbestände darstellen oder ob § 211 StGB eine Qualifikation des § 212 StGB ist.
Die Rspr. vertritt die Ansicht, dass es sich bei § 211 StGB um einen isolierten Tatbestand handelt.
Die Literatur sieht den Mord vielmehr als eine Qualifikation des Totschlags an.
Anwendung des § 28 StGB auf die §§ 211 f. StGB
Teilnahme
Allgemeines
Zur Wiederholung:
Für die Rspr., die Mord und Totschlag jeweils als eigenständige Tatbestände behandelt, kommt es für die Bestrafung eines Teilnehmers an einer vorsätzlichen Tötung bei subjektiven Mordmerkmalen entscheidend darauf an, ob der Teilnehmer Vorsatz bzgl. des subjektiven Mordmerkmals beim Haupttäter hat. Für die Lit. hingegen kommt es darauf an, ob der Teilnehmer in seiner eigenen Person subjektive Mordmerkmale verwirklicht.
Bei objektiven Mordmerkmalen gelten dagegen nach beiden Ansichten die allgemeinen Zurechnungskriterien: Sie sind dem Teilnehmer zurechenbar, wenn sie von seinem Vorsatz umfasst sind. Zur Veranschaulichung und Vertiefung sollen einige Beispiele dienen:
Beispiel 1: T tötet O mit einem gezielten Gewehrschuss aus dem Hinterhalt. G hat ihm in Kenntnis seines Plans die Waffe besorgt.
Bei T liegt das objektive Mordmerkmal der Heimtücke vor.
Da G Vorsatz bzgl. des heimtückischen Vorgehens durch T hat, hat er §§ 211, 212, 27 Abs. 1 StGB verwirklicht.
Weil in dieser Konstellation keine subjektiven Mordmerkmale vorliegen, ist in der Klausur weder auf § 28 StGB noch auf das Verhältnis zwischen Mord und Totschlag einzugehen.
Beispiel 2: Wie Beispiel 1, nur geht G nun davon aus, dass T den O zuvor konfrontieren und ihm bei der Tat offen gegenübertreten wird. T schießt dennoch aus dem Hinterhalt.
Da G einem Tatbestandsirrtum bzgl. der heimtückischen Begehungsweise unterliegt (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB), fehlt ihm insoweit der von § 27 Abs. 1 StGB geforderte Vorsatz hinsichtlich der Haupttat des T. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe an einem Mord scheidet damit aus. G ist nur nach §§ 212, 27 Abs. 1 StGB strafbar.
Beispiel 3: A will O aus Verzweiflung töten lassen. Er bietet T daher 50.000 EUR für die Tötung. T führt die Tat durch, um das Kopfgeld zu kassieren.
T hat einen Mord verwirklicht, da er habgierig handelte. Wendet man mit der Lit. § 28 Abs. 2 StGB an, so fehlt A dasjenige Merkmal, welches bei T die Strafe schärft. Schließlich handelt A nicht aus Habgier. Da A in seiner Person keine subjektiven Mordmerkmale aufweist, hat er sich nur nach §§ 212, 26 StGB strafbar gemacht.
Wendet man hingegen mit der Rspr. § 28 Abs. 1 StGB an, so fehlt A dasjenige Merkmal, welches bei T die Strafbarkeit begründet, weil A nicht aus Habgier handelt. Er weiß jedoch, dass T Habgier verwirklicht. Daher ist er nach §§ 211, 26 StGB strafbar, seine Strafe wird aber über § 28 Abs. 1 StGB gemildert.
Wie gesehen spielt also nur nach der Rspr. der Vorsatz des A bzgl. der Habgier des T eine Rolle, für die Lit. ist er hingegen irrelevant. Daher sollte man in der Klausur beim Vorsatz des A kurz darauf hinweisen, dass dieser sich nur nach der Rspr. auch auf die Habgier von T beziehen muss, nicht jedoch nach der Lit.
Examenswissen: Die Ansicht der Rspr. würde bei strenger Gesetzesanwendung im Beispiel 3 zu dem skurrilen Ergebnis führen, dass A besser stünde, als wenn er lediglich an einem § 212 StGB teilgenommen hätte (etwa weil die Haupttat nur ein § 212 StGB ist oder er keinen Vorsatz bzgl. der Habgier des T hat).
Beispiel 4: T tötet O, ohne ein Mordmerkmal zu verwirklichen. A hat ihn dazu angestiftet, weil er durch Tod des O an dessen Erbe kommen will.
Bei A fehlt kein Merkmal, welches bei T die Strafbarkeit begründet, weil T gar kein subjektives Mordmerkmal verwirklicht. § 28 Abs. 1 StGB ist damit nicht anwendbar, denn die Norm erfasst nur den Fall, dass beim Teilnehmer ein strafbegründendes Merkmal fehlt. Hier handelt es sich aber um den umgekehrten Fall, bei dem der Teilnehmer ein subjektives Mordmerkmal aufweist, welches dem Haupttäter fehlt.
Nach der Rspr. wäre A daher nur nach §§ 212, 26 StGB strafbar. Dies ist nur ein weiteres Argument gegen die Ansicht der Rspr., § 211 StGB sei ein eigener Tatbestand. Denn durch diese „eindimensionale“ Wirkungsweise des § 28 Abs. 1 StGB werden unbillige Ergebnisse erzielt, wenn die Haupttat ein Totschlag ist und der Teilnehmer selbst subjektive Mordmerkmale verwirklicht.
Wendet man mit der Lit. hingegen § 28 Abs. 2 StGB an, erzielt man hier ein billigeres Ergebnis: A wird danach bestraft, ob er in eigener Person subjektive Mordmerkmale aufweist. Die Haupttat ist zwar ein § 212 StGB, die Teilnahme des A verschiebt sich aber hin zu einem §§ 211, 212, 26 StGB, da A habgierig handelt.
Beispiel 5: T tötet O mit gemeingefährlichen Mitteln und aus Mordlust. G hat ihm in Kenntnis aller Umstände die Tatwaffe besorgt.
Da G Vorsatz bzgl. der Begehung mit gemeingefährlichen Mitteln (objektives Mordmerkmal) durch T hat, liegt bereits aus diesem Grund nach beiden Ansichten eine Strafbarkeit nach §§ 211, (212) 27 Abs. 1 StGB vor. Dennoch sollte man in der Klausur die Frage, ob bzgl. der Mordlust § 28 Abs. 1 oder 2 StGB anzuwenden ist, ansprechen. Zuerst muss dann die Funktionsweise sowohl von § 28 Abs. 1 StGB als auch von § 28 Abs. 2 StGB bzgl. der Mordlust erläutert und der Streit um das Verhältnis zwischen Mord und Totschlag kurz (!) skizziert werden. Erst danach kann man den Streit dahinstehen lassen, da der Streitentscheid auf das Ergebnis (Strafbarkeit nach §§ 211 [212] 27 Abs. 1 StGB) keine Auswirkungen hat.
Klausurtaktik: Den Streit, ob § 211 StGB ein eigenständiger Tatbestand oder eine Qualifikation ist und ob folglich § 28 Abs. 1 oder 2 StGB anzuwenden ist, sollte man in der Klausur innerhalb des Tatbestandes nach dem subjektiven Tatbestand unter „3. Tatbestandsverschiebung“ diskutieren.
Sonderproblem: Gekreuzte Mordmerkmale
Ein beliebtes Klausurproblem ist der Fall der sog. „gekreuzten Mordmerkmale“. In dieser Konstellation verwirklichen sowohl Haupttäter als auch Teilnehmer ein subjektives Mordmerkmal, aber jeweils ein anderes.
Beispiel: A bietet T 20.000 EUR für die Tötung der O. A will hierdurch O als Zeugin in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren eliminieren. T führt die Tat durch, um den Tatlohn zu erhalten.
Im Beispiel verwirklicht T das subjektive Mordmerkmal der Habgier, was A auch weiß. A hingegen handelt in Verdeckungsabsicht. Sieht man § 211 StGB mit der Rspr. als eigenständigen Tatbestand an, so stellt sich die Lösung des Falles schwierig dar. Denn rein formal betrachtet fehlt bei A dasjenige Mordmerkmal, welches bei T die Strafbarkeit begründet (nämlich die Habgier). Dass A in seiner Person ein anderes Mordmerkmal erfüllt (nämlich die Verdeckungsabsicht), ist hingegen irrelevant. Denn § 28 Abs. 1 StGB erfasst nur das Fehlen strafbarkeitsbegründender Merkmale beim Teilnehmer. Daher müsste As Strafe streng genommen nach § 28 Abs. 1 StGB gemildert werden. Dieses Ergebnis ist aber offensichtlich unbillig, da letztlich dem Teilnehmer zwar „das“ strafbegründende Mordmerkmal des Haupttäters fehlt, er aber dafür ein anderes, gleichwertiges Mordmerkmal erfüllt. Unter dem Aspekt der schuldangemessenen Bestrafung ist es nicht zu erklären, warum der Teilnehmer besser stehen soll, wenn er aus Verdeckungsabsicht handelt anstatt aus Habgier. § 211 StGB behandelt schließlich alle Mordmerkmale gleich. Die Rspr. behilft sich hier mit der Annahme, dass dem Teilnehmer „unter dem Strich“ kein Mordmerkmal fehle.
Für die Lit. ist die Lösung des Falls unter Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB hingegen unproblematisch: T ist wegen seiner Habgier nach §§ 211, 212 StGB strafbar, A wegen seiner eigenen Verdeckungsabsicht nach §§ 211, 212, 26 StGB.
Klausurtaktik: In der Klausur sollte bei gekreuzten Mordmerkmalen die Funktionsweise des § 28 Abs. 2 StGB kleinschrittig dargelegt werden: Im Ausgangspunkt nimmt A am Habgiermord des T teil. Im ersten Schritt verschiebt sich der Tatbestand für A dann von einem Mord hin zu einem Totschlag, da er – anders als T – keine Habgier aufweist. Im zweiten Schritt verschiebt sich der Totschlag aber wieder zurück zu einem Mord, da A in seiner Person Verdeckungsabsicht erfüllt. Letztlich handelt es sich also um eine doppelte Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB.
Aufbau
Auf Grundlage der Literaturansicht ergibt sich für Teilnahmekonstellationen in Zusammenhang mit subjektiven Mordmerkmalen der folgende Aufbau:
Strafbarkeit des Haupttäters H nach §§ 211, 212 StGB
Strafbarkeit des Teilnehmers T nach §§ 211, 212, 26/27, 28 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat (Verweis auf die Prüfung unter A.)
b) Bestimmen bzw. Hilfeleisten
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat
→ Vorsatz bzgl. der Tötung eines anderen Menschen sowie der objektiven Mordmerkmale ist sowohl nach der Rspr. als auch nach der Lit. notwendig. → Vorsatz bzgl. der subjektiven Mordmerkmale des Haupttäter ist hingegen nur nach der Rspr. erforderlich. b) Vorsatz bzgl. des Bestimmens bzw. der Hilfeleistung
3. Tatbestandsverschiebung
Sofern der Haupttäter ein objektives Mordmerkmal verwirklicht und der Teilnehmer hierauf Vorsatz hat, sollte dieser Punkt nur knapp angerissen werden. → Formulierungsbeispiel in der Fußnote
„Der Tatbestand, an dem T teilnimmt, könnte sich für ihn jedoch von einer Tat nach §§ 211, 212 StGB hin zu einem Delikt nach § 212 StGB verschieben.“ a) Darstellung des § 28 Abs. 1 StGB (Rspr.)
→ § 211 StGB ist nach der Rspr ein eigener Tatbestand, die subjektiven Mordmerkmale stellen also strafbegründende besondere subjektive Merkmale iSd § 28 Abs. 1 StGB dar. → Nach § 28 Abs. 1 StGB kommt es für die Strafbarkeit des T darauf an, ob er Vorsatz bzgl. der subjektiven Mordmerkmale des H hat. → Fehlt T das subjektive Mordmerkmal, das bei H die Strafbarkeit nach § 211 StGB begründet, so wird die Strafe des T gemildert, § 28 Abs. 1 StGB (Ausnahme: Gekreuzte Mordmerkmale). b) Darstellung des § 28 Abs. 2 StGB (Lit.)
→ § 211 StGB ist nach dieser Auffassung eine Qualifikation des § 212 StGB, die subjektiven Mordmerkmale stellen also strafschärfende Mordmerkmale iSd § 28 Abs. 2 StGB dar. → Nach § 28 Abs. 2 StGB kommt es für die Strafbarkeit des Teilnehmers darauf an, welche subjektiven Mordmerkmale er in eigener Person verwirklicht. → Bei gekreuzten Mordmerkmalen: Doppelte Tatbestandsverschiebung c) Bei unterschiedlichen Ergebnissen: Streitentscheid mit ausführlicher Argumentation
d) Zwischenergebnis: Tatbestandsverschiebung (+/-)
Sofern der Rspr. gefolgt wird, muss eine Tatbestandsverschiebung abgelehnt werden und nach der Schuld ggf. eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB angesprochen werden II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Ergebnis
Prüfungsschema zur Anwendung des § 28 StGB auf die § 211 f. StGB
Mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft
Bei der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft kommen die Ansicht der Rspr. und die der Lit. zu denselben Ergebnissen. Zu beachten ist dabei, dass die Strafbarkeit zweier Mittäter nach allgemeinen Grundsätzen nicht übereinstimmen muss. So ist es möglich, dass sich einer von beiden wegen Mordes, der andere jedoch wegen Totschlags strafbar macht.
Bzgl. der objektiven Mordmerkmalen gelten bei mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft die allgemeinen Zurechnungskriterien: Soweit der eine Mittäter Tatherrschaft und Vorsatz hat, kann ihm das Verhalten des anderen Mittäters über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Das Gleiche gilt für die Zurechnung vom Tatmittler zum mittelbaren Täter über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Durch § 25 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 StGB können aber nur objektive Umstände zugerechnet werden, subjektive hingegen nicht. Einige objektive Mordmerkmale setzen aber auch subjektive Komponenten voraus (Heimtücke: feindliche Willensrichtung; Grausamkeit: gefühllose, unbarmherzige Gesinnung). Diese können nicht zugerechnet werden, sondern müssen beim jeweiligen Mittäter bzw. beim mittelbaren Täter selbst vorliegen.
Beispiel: X und Y brechen bei O ein, um ihn im Schlaf zu erschießen. Als sie ihn schlafend vorfinden, drückt X sofort ab und O stirbt.
X verwirklicht §§ 211, 212 StGB (Heimtücke). Y wird das äußere Verhalten von X zugerechnet und er erfüllt in eigener Person auch die feindliche Willensrichtung. Y ist demnach nach §§ 211, 212, 25 Abs. 2 StGB strafbar.
Da über § 25 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 StGB nur äußere Umstände zugerechnet werden können, erlauben sie eine Zurechnung von subjektiven Mordmerkmalen nicht. Deshalb kommt es auch nach der Rspr. nur darauf an, welche subjektiven Mordmerkmale der Mittäter/mittelbare Täter in eigener Person aufweist.
Beispiel (nach BGHSt 36, 231): A und ihr Sohn B schlagen gemeinsam auf O ein, um ihn zu töten. A will dadurch den Schmuck des O erlangen. B hingegen geht es dabei nicht um den Schmuck, sondern er will A lediglich gefällig sein.
A hat sich nach §§ 211 (212), 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht und B nach beiden Ansichten nur nach §§ 212, 25 Abs. 2 StGB, da er selbst keine Habgier aufweist. Auch nach der Rspr. kommt eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB nicht in Betracht, da die Norm für Mittäter nicht gilt. Beide Ansichten kommen folglich zum gleichen Ergebnis.
Konkurrenzen
§ 211 StGB verdrängt (unabhängig davon, ob man das Delikt als eigenen Tatbestand oder als Qualifikation des Totschlags einstuft) § 212 StGB.
Werden durch eine einzige Handlung mehrere Menschen getötet (zB durch den Wurf einer Handgranate, die fünf Menschen tötet), so besteht gleichartige Tateinheit. Die Annahme von natürlicher Handlungseinheit ist bei Tötungsdelikten nach hM regelmäßig ausgeschlossen. Wenn der Täter also zB erst einen anderen mit einem Messer ersticht, um sodann eine andere Person zu erschießen, soll trotz eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs nicht Handlungseinheit, sondern Handlungsmehrheit angenommen werden.
Ein erfolgsqualifiziertes Delikt, dessen schwere Folge der Tod eines Menschen darstellt, steht mit den §§ 212, 211 StGB aus Klarstellungsgründen grds. in Tateinheit. Nur so kommt das besondere Unrecht zum Ausdruck, dass der Täter zum einen die schwere Folge vorsätzlich herbeigeführt hat und dass er zum anderen in strafschärfender Weise die Begehung eines wesensverschiedenen Grunddelikts mit der schweren Folge verknüpft hat (zB §§ 239 Abs. 4, 251 StGB).
In der Tötung eines Menschen ist nach der ganz herrschenden Einheitstheorie als notwendiges Durchgangsstadium immer auch ein Körperverletzungsdelikt enthalten. Vollendete Tötungsdelikte verdrängen vollendete Körperverletzungsdelikte daher im Wege der Subsidiarität.
Klausurtaktik: Wurde ein vollendetes Tötungsdelikt bejaht, so muss das darin ebenfalls liegende Körperverletzungsdelikt grds. nicht mehr geprüft werden, sondern es reicht bspw. folgende kurze Feststellung nach dem Ergebnissatz des Tötungsdelikts aus: „Die gleichzeitig mitverwirklichten §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB treten im Wege der Subsidiarität hinter der Verwirklichung des vollendeten Tötungsdelikts zurück.“ Ergeben sich beim Körperverletzungsdelikt hingegen Probleme (zB die Frage, ob auch unbewegliche Sachen ein gefährliches Werkzeug iSd § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB sein können), so sollte dieses geprüft und darauf näher eingegangen werden.
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Bei einer Tat nach § 211 StGB muss das Gericht grds. zwingend (zur Rechtsfolgenlösung iRd Heimtücke → Rn. 50 f.) eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen (absolute Strafandrohung). Es kann darüber hinaus die (für die spätere Strafvollstreckung relevante) besondere Schwere der Schuld feststellen, vgl. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB.
Eine lebenslange Freiheitsstrafe
Soll aufgrund eines anderen als in der Anklageschrift genannten Mordmerkmals verurteilt werden (zB Habgier statt Verdeckungsabsicht), so muss das Gericht den Angeklagten im Prozess nach § 265 Abs. 1 StPO darauf hinweisen, da dies eine völlig andere Verteidigungsstrategie erfordern kann.
Mord kennt keine Verfolgungsverjährung, § 78 Abs. 2 StGB. Gleiches gilt für die Vollstreckungsverjährung einer verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe, § 79 Abs. 2 StGB.
Im Jahr 2021 wurde anknüpfend an die Unverjährbarkeit des Mordes ein neuer Wiederaufnahmegrund in § 362 Nr. 5 StPO normiert.
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Beer, §§ 28 Abs. 1 und 2 StGB in Zusammenhang mit der Teilnahme am Mord, ZJS 2017, 536 (Open Access)
Engländer, Die Teilnahme an Mord und Totschlag, JA 2004, 410
Gerhold, Grundfragen der Akzessorietät der Teilnahme bei Beteiligung mehrerer an einem vorsätzlichen Tötungsdelikt iSd §§ 211 f., 28 f. StGB, JURA 2019, 721
Kaspar/Broichmann, Grundprobleme der Tötungsdelikte, Teil 1 ZJS 2013, 249 (Open Access), Teil 2 ZJS 2013, 346 (Open Access)
Köhne, Die Mordmerkmale »grausam« und »mit gemeingefährlichen Mitteln«, JURA 2009, 265
Kühl, Die drei speziellen niedrigen Beweggründe des § 211 II StGB, JA 2009, 566
Mitsch, Mord mit gemeingefährlichen Mitteln und „Mehrfachtötung“, JA 2021, 726
Vietze, Gekreuzte Mordmerkmale in der Strafrechtsklausur, JURA 2003, 394
Übungsfälle
Wörner/Wörner, Anfängerklausur – Strafrecht: „Alles Versager“, JuS 2023, 243
Hotz, Anfängerklausur – Strafrecht: Tötungsdelikte und Teilnahme – Wer heute stirbt, der braucht es morgen nicht zu tun, JuS 2018, 674
Steinberg/Blumenthal, Übungsfall: Politisches Lehrstück, ZJS 2011, 81 (Open Access)
Maier/Ebner, Fortgeschrittenenklausur - Strafrecht: Schweigegelderpressung, JuS 2007, 651
Norouzi, Zwischenprüfungsklausur – Strafrecht: Verdeckungsmord durch Unterlassen, JuS 2005, 914