Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 3: Lösungshinweise

Vorbemerkung

Der Versuch eines Delikts ist nur strafbar, soweit das Gesetz eine Regelung hierzu enthält. Der Versuch eines Verbrechens (mind. ein Jahr Freiheitsstrafe, § 12 Abs. 1 StGB) ist stets strafbar, wie sich aus § 23 Abs. 1 Var. 1 StGB ergibt. Bei Vergehen (im Mindestmaß unter einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, § 12 Abs. 2 StGB) muss die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich im Besonderen Teil des StGB normiert sein. So ergibt sich z.B. für § 212 Abs. 1 StGB die Versuchsstrafbarkeit bereits aus dem Verbrechenscharakter, da der Totschlag mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bestraft wird. Die Körperverletzung hingegen ist mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (d.h. es ist auch die Verhängung von weniger als einem Jahr möglich) oder Geldstrafe ein Vergehen. Dass auch die versuchte Körperverletzung strafbar ist, ergibt sich aus § 223 Abs. 2 StGB.

Bei der Prüfung des Versuchs ergeben sich einige Besonderheiten im Vergleich zur Prüfung eines vollendeten Delikts. Unbedingt zu beachten ist dabei, dass im Tatbestand zunächst die subjektive (Tatentschluss) und erst daran anschließend die objektive Komponente (unmittelbares Ansetzen) geprüft wird. Zu den bereits bekannten Voraussetzungen der Strafbarkeit (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld) tritt beim Versuch eine weitere hinzu: Der Versuch ist nur dann strafbar, wenn kein Rücktritt (§ 24 StGB) vorliegt. Näheres zum Rücktritt erfahren Sie in den Einheiten 6 bis 8.

Zu Beginn der Versuchsprüfung muss überdies bedacht werden, ob der Versuch des in Rede stehenden Delikts überhaupt strafbar ist (siehe oben); außerdem darf das Delikt nicht durch den möglichen Versuchstäter bereits vollendet worden sein, da ein etwaig darin mitverwirklichter Versuch dann strafrechtlich nicht mehr relevant ist. Diese beiden Punkte werden üblicherweise im Rahmen der sog. „Vorprüfung“ behandelt. Hier genügt indes meist eine jeweils kurze Feststellung, während eine Prüfung im Gutachtenstil eher nicht angezeigt ist. Sollte die Frage der Deliktsvollendung einmal problematisch sein, empfiehlt es sich, vorher das vollendete Delikt zu prüfen und dann bei der späteren Versuchsprüfung hierauf zu verweisen. Zur Strafbarkeit des Versuchs genügt regelmäßig die Angabe der entsprechenden Paragraphenkette.

Für die Versuchsprüfung ergibt sich daher insgesamt folgender Aufbau:

Vorprüfung

  • Keine Vollendung

  • Strafbarkeit des Versuchs

     I. Tatbestand

          1. Tatentschluss (subjektiver Tatbestand)

          2. Unmittelbares Ansetzen (objektiver Tatbestand)

     II. Rechtswidrigkeit

     III. Schuld

     IV. Kein Rücktritt

Lösungshinweise zu Fall 1

Strafbarkeit des A wegen versuchter Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 StGB)

A könnte sich wegen einer versuchten Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er der B eine Ohrfeige zu verpassen versuchte.

Vorprüfung

Da B ausgewichen ist und von dem Schlag nicht getroffen wurde, ist die Tat nicht vollendet. Der Versuch der Körperverletzung ist strafbar gem. §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 23 Abs. 1 Var. 2, 12 Abs. 2 StGB.

Tatbestand

Der Tatbestand müsste erfüllt sein.

Tatentschluss

Hinweis: Unter dem Prüfungspunkt „Tatentschluss“ werden all jene Aspekte geprüft, die Ihnen aus der Prüfung des subjektiven Tatbestandes beim vollendeten Vorsatzdelikt bereits bekannt sind. Der Täter muss vorsätzlich in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale des betreffenden Delikts gehandelt haben, d.h., es wird aus subjektiver Sicht geprüft, ob der Täter sich die Erfüllung des Deliktstatbestandes vorstellte. Gewisse Delikte fordern neben dem Vorsatz weitere subjektive Voraussetzungen (z.B. Absicht rechtswidriger Zueignung beim Diebstahl). Auch diese werden innerhalb des Tatentschlusses geprüft.

A müsste Tatentschluss gehabt haben, als er zur Ohrfeige ausholte. Dazu müsste er vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Umstände.

A wollte der B einen Schlag ins Gesicht versetzen. Dies wäre eine üble und unangemessene Behandlung gewesen, die bei B nach lebensnaher Auslegung Schmerzen verursacht und damit eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung ihres körperlichen Wohlbefindens hervorgerufen hätte (körperliche Misshandlung). Durch den Schlag wäre bei B zudem bei lebensnaher Betrachtung ein pathologischer Zustand (z.B. durch das Auftreten von blauen Flecken) hervorgerufen worden (Gesundheitsschädigung). A wusste um diese Folgen und nahm sie jedenfalls in Kauf, um seine „Revanche“ zu erhalten. A handelte vorsätzlich und folglich mit Tatentschluss.

Unmittelbares Ansetzen

A müsste zur Körperverletzung unmittelbar angesetzt haben. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter aus seiner Perspektive die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ derart überschritten hat, dass keine wesentlichen Zwischenschritte mehr nötig sind, damit die Tathandlung bei ungestörtem Fortgang in den Erfolg mündet.

Hinweis: Die Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem der Täter unmittelbar zur Tat angesetzt hat, ist häufig schwierig. Hierbei ist der Versuch von straflosen Vorbereitungshandlungen abzugrenzen, wofür unterschiedliche Kriterien herangezogen werden. Diese Fragen werden in den nächsten Einheiten vertieft. Unproblematisch – und daher im Gutachten kurz zu fassen – ist das unmittelbare Ansetzen in der Regel dann, wenn die tatbestandliche Handlung (wie hier) bereits vorgenommen wurde.

A hatte bereits zur Ohrfeige ausgeholt und in Richtung der B geschlagen. Darin liegt die Körperverletzungshandlung. Da A die Tathandlung bereits ausgeführt hat, setzte er unmittelbar zur Körperverletzung an.

Zwischenergebnis

A hat mit Tatentschluss gehandelt und unmittelbar angesetzt. Der Tatbestand ist erfüllt.

Rechtswidrigkeit / Schuld

Es sind weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe ersichtlich. A handelte folglich rechtswidrig und schuldhaft.

Kein Rücktritt

Ein Rücktrittsverhalten des A ist nicht ersichtlich, weshalb ein Rücktritt nicht in Betracht kommt.

Ergebnis

Indem er zur Ohrfeige ausholte, machte sich A nach §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen einer versuchten Körperverletzung strafbar.

Lösungshinweise zu Fall 2

Strafbarkeit des D wegen versuchten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB)

D könnte sich dadurch, dass er mit der Axt in der Hand den E am Betreten des Hauses hindern wollte, wegen eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Vorprüfung

Es kam nicht zum Tod des E, sodass die Vollendung des § 212 Abs. 1 StGB am fehlenden Taterfolg scheitert. Als Verbrechen (vgl. § 12 Abs. 1 StGB) ist der Totschlag auch im Versuchsstadium strafbar, vgl. § 23 Abs. 1 Var. 1 StGB.

Tatbestand

Tatentschluss

D müsste mit Tatentschluss, also vorsätzlich in Bezug auf die kausale und zurechenbare Herbeiführung des Todes von E gehandelt haben. D ist sich im Klaren darüber, dass ein Schlag mit der Axt zum Tod des E führen kann. Tötungsvorsatz liegt bei D also vor. Er müsste jedoch auch den unbedingten Willen zur Tatbegehung gehabt haben – nötig ist ein endgültiger Tatentschluss. Der Täter muss sich bereits sicher sein, dass er die Tathandlung vornehmen will. Hat er innerlich noch Vorbehalte bzgl. der Tatbegehung, so ist er lediglich tatgeneigt.

D will die Axt nur einsetzten, falls es ihm nicht auf anderem Wege gelingt, dem E den Zutritt zum Haus zu versperren. Er machte seinen Willen zum Zuschlagen innerlich davon abhängig, dass ihm keine anderen Möglichkeiten mehr zur Verfügung stünden. D hätte sich in der konkreten Situation zunächst Gedanken um weitere Möglichkeiten machen müssen, ehe er sich endgültig für den Einsatz der Axt entschieden hätte. Da dieser Willensimpuls noch nötig war, war D noch nicht fest zur Tat entschlossen. Er war lediglich tatgeneigt, was für eine Versuchsstrafbarkeit nicht genügt.

Hinweis: Die Tatgeneigtheit ist zu unterscheiden von einem unbedingten Tatentschluss, der lediglich auf unsicherer Tatsachenbasis gefasst wurde. Hätte D sich im vorliegenden Fall beispielsweise fest dazu entschlossen, dass er die Axt einsetzen will, falls der E den Hausflur betritt, läge ein unbedingter Tatentschluss vor. D wäre dann endgültig zur Tatbegehung entschlossen, sein Wille nicht mehr von inneren Vorbehalten erfasst. Ob D dann tatsächlich mit der Axt ausholt, hinge lediglich von äußeren Umständen ab, die D selbst nicht beeinflussen könnte – nämlich davon, ob E den Flur betritt oder vor der Haustür stehen bleibt. Ist das „Ob“ der Tat nur noch von äußeren Bedingungen abhängig, hat sich der Täter aber bereits sicher entschieden, die Tat zu begehen, falls diese äußeren Bedingungen eintreten, genügt dies für einen hinreichenden Tatentschluss. Entscheidend für den Tatentschluss ist demnach, ob der Täter den Erfolg subjektiv sicher will, nicht hingegen, ob der Wille von äußeren Umständen abhängig gemacht wird, die er nicht beeinflussen kann. Ist der (unbedingte) Tatentschluss von einer äußeren Bedingung abhängig, kann indes das unmittelbare Ansetzen vor dem Eintritt der Bedingung problematisch sein.Vgl. hierzu Rengier, Strafrecht AT, 12. Aufl., § 34 Rn. 39 ff.

Zwischenergebnis

Ein Tatentschluss liegt nicht vor.

Zwischenergebnis

D hat nicht den Tatbestand des versuchten Totschlags verwirklicht.

Ergebnis

D ist nicht wegen versuchten Totschlags strafbar.

Lösungshinweise zu Fall 3 – Ausgangsfall

A könnte sich durch das Besprühen des Vesperbrotes wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.

Vorprüfung

E überlebte, sodass es für die Vollendung des Totschlags am Taterfolg fehlt. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB.

Tatbestand

Tatentschluss

A müsste mit Tatentschluss, d.h. mit Vorsatz in Bezug auf den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB gehandelt haben.

A wollte ihren Mann durch die Verwendung des Giftes töten und stellte sich vor, dass die Menge an Gift, welche sie auf sein Brot sprühte, den Tod des E in kausaler Weise herbeiführen würde. Sie verwendete dazu zwar eine viel zu geringe Menge an Gift, sodass es sich hierbei – bei Vorliegen der weiteren Strafbarkeitsvoraussetzungen – wegen der Ungeeignetheit des eingesetzten Tatmittels nur um einen untauglichen Versuch handelt. Dies schließt eine Strafbarkeit indes nicht aus. Schon aus § 22 StGB geht hervor, dass es bei der Versuchsstrafbarkeit allein auf die Vorstellung des Täters von der Tat ankommt. Aus subjektiver Sicht war A davon überzeugt, dass die verwendete Menge Gift geeignet ist, den E zu töten. Zudem lässt sich aus § 23 III StGB darauf schließen, dass auch der untaugliche Versuch strafbar ist. Nach § 23 III StGB ist ein Versuch selbst bei grobem Unverstand bzgl. der Tauglichkeit strafbar und nur eine Milderung der Strafe möglich. Dann muss erst recht der zwar untaugliche, aber nicht aus grobem Unverstand begangene Versuch zur Strafbarkeit führen.

Hinweis: Die Abgrenzung zwischen einem tauglichen und untauglichen Versuch kann im Einzelnen schwierig sein, ist in der Fallbearbeitung aber nicht entscheidend, da – wie soeben gezeigt – auch der untaugliche Versuch strafbar ist. Ein kurzer Hinweis auf die Untauglichkeit des Versuchs und dessen Strafbarkeit vervollständigt die Prüfung zwar, ist aber nicht – und erst recht nicht in dieser Ausführlichkeit – notwendig, um zum zutreffenden Ergebnis zu kommen. Lediglich der abergläubische Versuch muss als solcher festgestellt und benannt werden, weil er nach h.M. nicht unter § 23 Abs. 3 StGB fällt und straflos ist (dazu siehe unten). Die vorstehenden Erläuterungen sollen den untauglichen Versuch lediglich zum besseren Verständnis erklären, wären in einer Klausurlösung aber nicht nötig.

A irrte über die für eine Tötung notwendige Menge an Gift. Da Insektengift nach allgemeiner Erfahrung giftig ist und es darüber hinaus auch Gifte gibt, die in sehr geringen Mengen tödlich wirken, lagen dem Verhalten der A keine völlig abwegigen Vorstellungen über die Wirkweise des Giftes zugrunde. Mithin ist der Versuch, den E zu töten, trotz der Untauglichkeit des Tatmittels, strafbar.

Hinweis: Neben dem untauglichen Tatmittel erwähnt § 23 Abs. 3 StGB auch den Versuch am untauglichen Tatobjekt (z.B. der mit Tötungsvorsatz abgefeuerte Schuss auf eine Leiche). Darüber hinaus ist die Fallgruppe des Versuchs durch ein untaugliches Subjekt, also einen Täter, der die Tat tatsächlich gar nicht verwirklichen kann, anerkannt. Nimmt z.B. ein Polizist von einem Dieb Geld dafür an, vor einer Wegnahme, die er beobachtet hat, „die Augen zu verschließen“, erfüllt dies den Tatbestand der Bestechlichkeit (§ 332 Abs. 1 StGB). Stellt sich hinterher heraus, dass der Polizist nicht wirksam zum Beamten ernannt wurde, liegt eine versuchte Bestechung durch ein untaugliches Subjekt vor. Denn der Polizist stellt sich tatsächliche Umstände vor (seine Beamtenstellung), die, wenn sie vorlägen, den Tatbestand des § 332 I StGB erfüllen würden.

Da A den Tod des E wollte, handelte sie absichtlich (dolus directus 1. Grades) und folglich mit Tatentschluss.

Unmittelbares Ansetzen

A müsste zur Tötung des E unmittelbar angesetzt haben. Zur Definition s.o. (Fall 1, I. 2.). Mit dem Besprühen des Vesperbrotes hatte A die tatbestandliche Tötungshandlung bereits ausgeführt und somit unmittelbar zum Totschlag angesetzt.

Zwischenergebnis zu I.

A handelte mit Tatentschluss und setzte unmittelbar zur Tat an, sodass der Tatbestand erfüllt ist.

Rechtswidrigkeit/Schuld

Mangels Eingreifens von Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründen handelte A rechtswidrig und schuldhaft.

Kein Rücktritt

A zeigte kein Rücktrittsverhalten, sodass ein Rücktritt nach § 24 StGB ausscheidet.

Ergebnis

A hat sich im Ausgangsfall wegen eines (untauglichen) Versuchs des Totschlags strafbar gemacht.

Lösungshinweise zu Fall 3 – Abwandlung 1

In der Abwandlung könnte sich A durch das Besprühen des Brotes mit Lebensmittelfarbe nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.

Vorprüfung

Für die Vorprüfung: s.o. im Ausgangsfall.

Tatbestand

Tatentschluss

A müsste mit Tatentschluss, also vorsätzlich bzgl. des Todes des E gehandelt haben. A wollte den Tod des E herbeiführen und ging davon aus, dass dies mithilfe der Lebensmittelfarbe auch möglich sei. Da A ein untaugliches Tatmittel (die Lebensmittelfarbe) einsetzte, handelt es sich vorliegend um einen untauglichen Versuch. Konkreter könnte ein grob unverständiger Versuch nach § 23 Abs. 3 StGB als Unterfall des untauglichen Versuchs vorliegen. Dies setzt voraus, dass der Versuch überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte und der Täter dies aus grobem Unverstand verkannte. Da Lebensmittelfarbe vollkommen ungeeignet ist, den Tod eines Menschen hervorzurufen, ist die erste Voraussetzung erfüllt. „Aus grobem Unverstand handelt der Täter, wenn […] er bei der Tatausführung von völlig abwegigen Vorstellungen über gemeinhin bekannte Ursachenzusammenhänge ausgeht. Dabei muss der Irrtum nicht nur für fachkundige Personen, sondern für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen offenkundig, ja geradezu handgreiflich sein“ (BGHSt 41, 94, 95). Dass der Verzehr von Lebensmittelfarbe nicht zum Tod eines Menschen führen kann, ist gemeinhin bekannt und offenkundig. Als A glaubte, allein wegen der „giftgrünen“ Farbe wäre der Verzehr tödlich, legte sie eine gänzlich abwegige Vorstellung über die Wirkung von Lebensmittelfarbe zugrunde. A handelte im grob unverständigen Versuch. Aus § 23 Abs. 3 StGB, der eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe ermöglicht, ergibt sich, dass auch der grob unverständige Versuch grundsätzlich strafbar ist. Trotz ihrer abwegigen Vorstellung handelte A auch in der Abwandlung 1 mit Tatentschluss.

„Aus grobem Unverstand handelt der Täter, wenn […] er bei der Tatausführung von völlig abwegigen Vorstellungen über gemeinhin bekannte Ursachenzusammenhänge ausgeht. Dabei muss der Irrtum nicht nur für fachkundige Personen, sondern für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen offenkundig, ja geradezu handgreiflich sein“ (BGHSt 41, 94, 95).

Dass der Verzehr von Lebensmittelfarbe nicht zum Tod eines Menschen führen kann, ist gemeinhin bekannt und offenkundig. Als A glaubte, allein wegen der „giftgrünen“ Farbe wäre der Verzehr tödlich, legte sie eine gänzlich abwegige Vorstellung über die Wirkung von Lebensmittelfarbe zugrunde. A handelte im grob unverständigen Versuch. Aus § 23 Abs. 3 StGB, der eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe ermöglicht, ergibt sich, dass auch der grob unverständige Versuch grundsätzlich strafbar ist. Trotz ihrer abwegigen Vorstellung handelte A auch in der Abwandlung 1 mit Tatentschluss.

Unmittelbares Ansetzen

Für das unmittelbare Ansetzen kann nach oben verwiesen werden (s. I. 2. im Ausgangsfall).

Rechtswidrigkeit/Schuld/kein Rücktritt

Für die weiteren Voraussetzungen gilt ebenfalls das im Ausgangsfall Gesagte.

Ergebnis

Auch in der Abwandlung 1 machte sich A wegen eines versuchten Totschlags strafbar. Da es sich um einen grob unverständigen Versuch handelt, kann die Strafe nach § 23 III StGB gemildert werden.

Lösungshinweise zu Fall 3 – Abwandlung 2

Durch die Anwendung des Voodoo-Zaubers könnte sich A wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Vorprüfung

S.o. im Ausgangsfall.

Tatbestand

Tatentschluss

A müsste erneut einen Tatentschluss aufgewiesen haben. Auch in der Abwandlung 2 wollte A den Tod des E herbeiführen und stellte sich vor, dass dies durch die Anwendung des Zaubers gelingen würde. A nutze mit dem Voodoo-Zauber erneut ein untaugliches Tatmittel. Diesmal verkannte sie jedoch nicht etwa naturwissenschaftliche Zusammenhänge (wie z.B. die giftige Wirkung grüner Farbe in Abwandlung 1), sondern vertraute auf magische Kräfte eines Zaubers. Dieser sog. abergläubische Versuch fällt nach h.M. nicht unter § 23 Abs. 3 StGB und ist straflos. Dies wird damit begründet, dass der Täter lediglich auf den Eintritt des Erfolgs hoffe, ihn aber in keiner Weise beherrschen könne oder wolle, sodass es an der rechtserschütternden Wirkung fehle.

A handelte folglich ohne Tatentschluss.

Zwischenergebnis

Da A keinen Tatentschluss aufweist, ist der Tatbestand nicht erfüllt.

Ergebnis

Durch die Anwendung des Voodoo-Zaubers hat A lediglich einen abergläubischen Versuch des Totschlags vorgenommen. Sie ist nicht nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar.

Lösungshinweise zu Fall 4

A. Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 13 I StGB

A könnte sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht haben, indem er seine ertrinkende Frau nicht rettete.

Tatbestand

Der Erfolg ist mit dem Tod der K eingetreten. Zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes hätte A jedoch eine geeignete, ihm mögliche und zumutbare Rettungshandlung unterlassen müssen. A sprang seiner Frau nicht nach, um sie vor dem Ertrinken zu bewahren, und unterließ damit die Rettungshandlung. Fraglich ist allerdings schon, ob das Hinterherspringen überhaupt zur Rettung geeignet war. Wegen der starken Strömung, durch die die K bereits abgetrieben worden war, der Dunkelheit und der niedrigen Wassertemperatur hätte der A seine Frau nicht mehr retten können. Folglich war das Nachspringen nicht geeignet, um den Tod der K abzuwenden. Darüber hinaus war es dem A nicht zumutbar, sein eigenes Leben durch einen Sprung in das kalte Wasser zu gefährden, um K zu retten. Der objektive Tatbestand ist nicht erfüllt, damit liegt auch der Tatbestand insgesamt nicht vor.

Ergebnis

A hat sich nicht wegen eines vollendeten Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 113 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Strafbarkeit nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB

A könnte sich jedoch wegen eines versuchten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht haben, da er nicht handelte und dabei annahm, er sei zu einem Rettungsversuch verpflichtet.

Vorprüfung

Da der objektive Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist, ist keine Vollendung eingetreten.

Hinweis: Meist wird die Vollendung nicht eingetreten sein, weil es am dafür nötigen Erfolg fehlt. Dies muss indes nicht immer der Fall sein. Auch wenn der objektive Tatbestand des vollendeten Delikts an z.B. fehlender Kausalität, objektiver Zurechenbarkeit oder – wie im vorliegenden Fall – an der fehlenden Möglichkeit zur Rettung oder der Zumutbarkeit scheitert, ist die Tat nicht vollendet. Damit kommt eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht, obwohl der Erfolg (Tod der K) eingetreten ist.

Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich für den Totschlag, der ein Verbrechen darstellt (vgl. § 12 Abs. 1 StGB), aus § 23 Abs. 1 Var. 1 StGB.

Tatbestand

Tatentschluss

A müsste Tatentschluss aufgewiesen haben. A wusste, dass K ertrinken würde, wenn er sie nicht retten würde und entschied sich bewusst dazu, ihr nicht nachzuspringen. Er handelte also vorsätzlich in Bezug auf den Todeserfolg und sein Unterlassen. Er müsste ferner Vorsatz auf alle weiteren objektiven Merkmale des Totschlags durch Unterlassen gehabt haben, insbes. auf das Unterlassen einer geeigneten und zumutbaren Rettungshandlung. A glaubte, er sei verpflichtet, der K nachzuspringen, um sie zu retten.

Jedoch begründet dies „nicht ohne weiteres seine Strafbarkeit wegen Versuchs. Eine solche wäre in Betracht zu ziehen, wenn er sich irrtümlich Umstände vorstellte, die bei zutreffender rechtlicher Bewertung ein Unterlassungsverbrechen mit all seinen objektiven und subjektiven Merkmalen ergeben. Erkannte er dagegen alle tatsächlichen Gegebenheiten zutreffend, zog er aus der Sachlage aber den irrigen Schluss auf ein rechtliches Gebot, läge lediglich ein sog. Wahnverbrechen vor, welches straflos ist.“ (BGH, NJW 1994, 1357).

A wusste, dass er kaum mehr eine Chance hatte, die K zu retten. Er erkannte zutreffend die tatsächliche Sachlage. Er ging lediglich davon aus, dass für ihn trotz der von ihm erkannten Situation eine Pflicht bestünde, die (aussichtslose) Rettungshandlung zu versuchen. A irrte sich folglich über die rechtliche Bewertung seines Verhaltens, nicht aber über die tatsächlichen Umstände. A handelte somit ohne Vorsatz auf das Unterlassen einer geeigneten und zumutbaren Rettungshandlung. Er hatte keinen Tatentschluss gefasst.

Hinweis: Das Wahndelikt ist vom untauglichen Versuch zu unterscheiden, da nur das Wahndelikt zur Straflosigkeit führt. Beim untauglichen Versuch irrt der Täter über die tatsächlichen Umstände. Läge der Sachverhalt vor, den der Täter irrig annimmt, wäre der Tatbestand erfüllt (umgekehrter Tatbestandsirrtum). Beim Wahndelikt kennt der Täter alle tatsächlichen Umstände, irrt aber über die rechtliche Bewertung der Situation. Er glaubt, sein Verhalten sei verboten, obwohl es das tatsächlich nicht ist (umgekehrter Verbotsirrtum).

Zwischenergebnis

Mangels eines Tatentschlusses ist der Tatbestand nicht erfüllt.

Ergebnis

Es liegt lediglich ein Wahndelikt vor. A machte sich nicht wegen eines versuchten Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar.

Gesamtergebnis

A hat sich, indem er K nicht zu retten versuchte, nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar gemacht.