Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 9 – Lösungshinweise

Lösungshinweise zu Fall 1

Vorbemerkung: Bei der mittelbaren Täterschaft sollten Sie in der Regel mit der Prüfung der Strafbarkeit des Tatnächsten (Tatmittlers, Vordermannes) beginnen. Der Tatnächste ist derjenige, der die tatbestandliche Handlung vornimmt, also die Tat unmittelbar ausführt. Diese Vorgehensweise ist empfehlenswert, da Sie später beim mittelbaren Täter (Hintermann), der die Tathandlung nicht selbst vorgenommen hat, nach oben verweisen können.

Die Strafbarkeit des Tatmittlers (des „Werkzeugs“) ist in Fällen der mittelbaren Täterschaft regelmäßig zu verneinen, da der Tatmittler meist ein sog. „deliktisches Minus“ aufweist, also nicht vollverantwortlich strafbar handelt (beachten Sie aber die strittigen Konstellationen des ,,Täters hinter dem Täter“, wo das Werkzeug volldeliktisch handelt, siehe dazu später). Im Anschluss an die Prüfung der Strafbarkeit des Tatmittlers ist die Strafbarkeit des Hintermannes zu prüfen. Dabei ist im objektiven Tatbestand festzustellen, dass er die Tathandlung nicht in eigener Person vorgenommen hat und zu fragen, ob ihm die Handlungen des ,,Werkzeugs“ gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden können. In Fällen, in denen der Tatmittler eindeutig keinen objektiven Tatbestand erfüllt hat (Selbstverletzung/Selbsttötung), können Sie sofort mit der Prüfung der Strafbarkeit des Hintermannes beginnen.

Daraus ergibt sich folgendes Aufbauschema:

A. Strafbarkeit des Tatnächsten (des Vordermannes)

B. Strafbarkeit des Hintermannes (mittelbaren Täters)

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Keine eigenhändige Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale

b) Zurechnung der Handlungen des Tatmittlers gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB (tatherrschende Steuerung des Tatmittlers durch Ausnutzen eines deliktischen Minus oder ausnahmsweise als ,,Täter hinter dem Täter“)

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestandes

b) Vorsatz bzgl. der Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

Strafbarkeit des A gem. § 223 Abs. 1 StGB durch das Überfahren den G

A könnte sich einer Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben, indem er den G mit dem Auto überfuhr.

Tatbestandsmäßigkeit

Fraglich ist zunächst, ob A angesichts der Tatsache, dass B ihm mit einer vorgehaltenen Pistole gezwungen hat, den G zu überfahren, überhaupt im strafrechtlichen Sinne gehandelt hat. Unter einer Handlung versteht man jedes vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozial erhebliche Verhalten. Vorliegend hat A zwar nicht freiwillig, aber doch willentlich agiert. Sein Wille wurde durch den B lediglich gebeugt (sog. vis compulsiva), demnach ist es von einer strafrechtlich relevanten Handlung des A auszugehen.

Hinweis: Beachten Sie, dass im Regelfall dieser Prüfungspunkt völlig unproblematisch ist. In einer Fallbearbeitung können Sie darauf verzichten, soweit kein problematischer Fall vorliegt. Vorliegend war es vertretbar, dies anzusprechen, denn A handelte unter einer „willensbeugenden” Gewalt.

Die Handlung des A stellt jedenfalls eine üble ungemessene Behandlung dar, die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt, demnach liegt ein Taterfolg i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB zumindest in Form von einer körperlichen Misshandlung vor.

Hinsichtlich der Kausalität und objektiven Zurechnung bestehen keine Zweifel.

Ferner handelte A mit Wissen und Wollen hinsichtlich der Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale und somit vorsätzlich.

Hinweis: Wie bereits erwähnt, wurde der Wille des A vorliegend lediglich gebeugt und er handelte willentlich, sodass hier Vorsatz zu bejahen ist. Problematisch ist nur, inwieweit die Handlung des A gem. § 34 StGB gerechtfertigt oder nach § 35 StGB entschuldigt ist.

Rechtswidrigkeit

A könnte jedoch gerechtfertigt sein.

Notwehr gem. § 32 StGB

Zwar liegt vorliegend ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff auf das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit des A, also die Notwehrlage vor, die Notwehrhandlung des A war aber nicht gegen den Angreifer - den B - gerichtet. Eine Rechtfertigung nach § 32 StGB scheidet somit aus.

Aggressivnotstand gem. § 34 StGB

In Betracht kommt aber eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB.

Vorliegend liegt eine gegenwärtige Gefahr für Leben des A, somit eine Notstandslage vor.

Die Abwehrhandlung des A stellte mangels alternativer Handlungsmöglichkeiten auch das mildeste geeignete Mittel dar, um die von B drohende Gefahr abzuwenden.

Das geschützte Interesse – das Leben des A – müsste zudem das beeinträchtigte Interesse der körperlichen Unversehrtheit des G wesentlich überwiegen. Die abstrakte Wertigkeit des Rechtsguts ,,Leben“ ist im Hinblick auf die bedeutend höheren Strafandrohungen für Verletzungen des Lebens im Vergleich zu Körperverletzungsdelikten deutlich höher einzuschätzen als die der körperlichen Unversehrtheit. Dem Sachverhalt lassen sich ferner keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf dauerhafte Schäden an zentralen Körperfunktionen des G hinweisen würden, demnach war die Gefahrabwendungshandlung des A im engeren Sinne verhältnismäßig.

Zu prüfen ist ferner, ob diese Abwehrhandlung auch angemessen war. Fraglich ist in der vorliegenden Konstellation, wie der Umstand zu bewerten ist, dass A von B durch die vorgehaltene Pistole zum Angriff auf G veranlasst wurde und es sich demnach um ein Fall des sog. ,,Nötigungsnotstandes“ handelt. Die Frage, ob die Abwehrhandlung des Genötigten in einer solchen Situation angemessen und einer Rechtfertigung nach § 34 StGB zugänglich ist, oder ob vielmehr allenfalls eine Entschuldigung nach § 35 StGB in Frage kommt, ist umstritten.

Hinweis: Diese Problematik gehört nicht zum Lernstoff des 2. Semesters. Im Folgenden handelt es sich nur um eine kurze Wiederholung der im 1. Semester behandelnden Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe. Bei der Nachbearbeitung und bei der Vorbereitung für die Klausur sollten Sie sich vor allem auf die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft konzentrieren.

Nach einer Ansicht soll § 34 StGB in solchen Fällen uneingeschränkt angewendet werden (sog. ,,Rechtfertigungslösung“). Es sei für die dem Täter drohende Gefahr gleichgültig, worin diese ihren Ursprung habe. Hierbei muss allerdings das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Dies ist vorliegend gegeben. Nach dieser Ansicht wäre A nach § 34 StGB gerechtfertigt.

Eine andere Ansicht dagegen lehnt eine Rechtfertigung von Abwehrhandlungen in Nötigungsnotstand ab (sog. ,,Entschuldigungslösung“). Danach wäre nur eine Entschuldigung nach § 35 StGB möglich. Nach dieser Ansicht wäre A nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt.

Eine differenzierte Lösung spricht sich nur dann für eine Rechtfertigung nach § 34 StGB aus, wenn es einerseits um die Abwendung von Gefahren für die in § 35 Abs. 1 StGB genannten, besonders hochwertigen Rechtsgüter Leben, Leib und Freiheit geht und andererseits nur zu einer geringfügigen Rechtsverletzung veranlasst wird (sog. ,,eingeschränkte Rechtfertigungslösung“). Vorliegend droht die Gefahr für das Leben des A, demnach ist die erste Voraussetzung erfüllt. Der Angriff des Genötigten – des A – war aber gegen ein höchstpersönliches Rechtsgut, die körperliche Unversehrtheit des G, gerichtet. Nach dieser Ansicht wäre also A auch nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt.

Da die dargestellten Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme erforderlich. Lediglich die Rechtfertigungslösung führt im vorliegenden Fall zur Rechtfertigung des A nach § 34 StGB, sodass sich eine Stellungnahme zum dargestellten Meinungsstand lediglich mit dieser Ansicht auseinanderzusetzen hat. Für die Rechtfertigungslösung wird vor allem der Wortlaut des § 34 S. 1 StGB angeführt, der nicht nach der Art der Gefahrenquelle unterscheide. Dies überzeugt allerdings nicht. Nach § 34 S. 2 StGB ist es durch das normative Kriterium der Angemessenheit möglich, das erzielte Ergebnis zu korrigieren und eine Rechtfertigung trotz Erfüllung der übrigen Voraussetzungen auszuschließen. Gegen die Rechtfertigungslösung ist einzuwenden, dass der Genötigte auf die Seite des Unrechts tritt, was die Rechtsordnung nicht billigen kann. Ferner dürfte sich im Falle einer Rechtfertigung eines Nötigungsnotstandstäters dessen Opfer gegen seinen Angriff nicht einmal wehren (,,Notwehrprobe“). Vor allem der letztgenannte kriminalpolitische Gesichtspunkt spricht gegen die Rechtfertigung des Genötigten in der Konstellation eines Nötigungsnotstands.

A handelte somit rechtswidrig.

Schuld

A könnte allerdings entschuldigt sein.

Entschuldigender Notstand gem. § 35 StGB

In Betracht kommt die Entschuldigung des A nach § 35 StGB.

Es bestand eine gegenwärtige Gefahr für das Leben des A. Eine Notstandslage liegt somit vor.

Die Abwehrhandlung des A war, wie bereits oben festgestellt, erforderlich (s.o.). Ein Ausschluss dieses Entschuldigungsgrundes nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB ist vorliegend nicht einschlägig.

A ist mithin entschuldigt.

Ergebnis

A hat sich nicht gem. § 223 Abs. 1 StGB wegen einer Körperverletzung strafbar gemacht.

Strafbarkeit des B gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft

B könnte sich einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er dem A eine Pistole an den Kopf hielt, um diesen zu zwingen, den G zu überfahren.

Hinweis: Bei der Formulierung des ersten Obersatzes bei der Strafbarkeit des Hintermannes achten Sie darauf, sein ,,tatsächliches“ (eigenes) Verhalten zu nennen und vermeiden Sie Begriffe, die einen normativen Charakter aufweisen (z.B. ,,durch einen anderen“). Es wäre also falsch, den Obersatz vorliegend wie folgt zu formulieren: ,,B könnte sich einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er die Tat durch den A beging“. Den Umstand, ob der Hintermann die Tat durch einen anderen begangen hat, müssen Sie zuerst im nachstehenden Gutachten prüfen.

Tatbestandsmäßigkeit

Dazu müsste B tatbestandsmäßig gehandelt haben.

Objektiver Tatbestand

Fraglich ist, ob B den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB erfüllt hat. Der Taterfolg des § 223 Abs. 1 StGB, die körperliche Misshandlung des G, ist eingetreten (s.o.).

Keine eigenhändige Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale

Jedoch fehlt es an der eigenhändigen Verursachung des Körperverletzungserfolges durch den B. Der Taterfolg wurde einzig und allein durch den schuldlos handelnden A herbeigeführt, der den G eigenständig körperlich misshandelt hat (s.o.).

Zurechnung der Handlungen des A gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB

In Betracht kommt allerdings eine Zurechnung der Handlung des A zur Person des B im Wege der mittelbaren Täterschaft. Dies wäre dann der Fall, wenn B die Tat durch einen anderen, hier den A, begangen hätte (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Indem B auf den A mit der vorgehaltenen Pistole eingewirkt hat, hat er jedenfalls eine erfolgskausale Handlung vorgenommen.

Hinweis: Es geht hier also zunächst um die Frage, ob die Handlung des Hintermannes dafür kausal war, dass der Tatmittler den Tatbestand verwirklicht hat.

Tätereigenschaft des B

Fraglich ist aber, ob dieser erfolgskausale Beitrag (Einwirkungshandlung auf A) die weiteren Voraussetzungen einer mittelbaren Täterschaft begründet. Welche dies sind, ist teilweise streitig.

Nach der im Schrifttum herrschenden Tatherrschaftslehre (materiell-objektive Theorie) ist derjenige mittelbarer Täter, der kraft einer Überlegenheit die Herrschaft über einen anderen hat, der seinerseits wegen eines Verantwortungs- bzw. Strafbarkeitsdefizits als ,,menschliches Werkzeug“ in den Händen des planvoll lenkenden Hintermannes erscheint. Für diese Ansicht ist also die Tatherrschaft entscheidend, die als das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehens verstanden wird. Für den mittelbaren Täter ergibt sich diese Tatherrschaft entweder aus seiner Wissens- oder Willensüberlegenheit gegenüber dem Ausführenden (Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens oder Wollens).

Vorliegend hat B den – nach § 35 StGB entschuldigten - A zur körperlichen Misshandlung des G gezwungen und ihm sein Willen aufgezwungen. Indem er dem A die Pistole an den Kopf gehalten hat, hat er das ganze Geschehen in seinen Händen gehalten, und konnte auf A einwirken und sein Verhalten ,,wunschgemäß“ steuern. Durch die Befürchtungen des A um sein Leben hat B die Herrschaft über dessen Willen erlangt und dies zu Begehung der Tat ausgenutzt. Dem B fiel danach die planvolle und willensmäßige Lenkung des Tatgeschehens zu. Er konnte auf die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen einwirken. Eine Tatherrschaft des B in Form von Nötigungsherrschaft (Tatherrschaft kraft überlegenen Wollens) ist demnach zu bejahen.

Nach der von der Rechtsprechung vertretenen modifizierten subjektiven Theorie soll derjenige der Täter sein, der die Tat als eigene will (animus auctoris), wofür insbesondere der Wille zur Tatherrschaft und das Eigeninteresse des Täters an der Tat sprechen können. Für die Annahme der Tätereigenschaft des B würde also nach dieser Ansicht jeder Verursachungsbeitrag genügen, wenn er mit Täterwillen geleistet wurde. Anzumerken ist, dass in neuer Zeit für die Ermittlung des Tatherrschaftswillens nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH auch objektive Tatumstände, vor allem die (objektiv gegebene) Tatherrschaft selbst, heranzuziehen sind. Nach dem bisher Gesagten ist der Tatherrschaftswille des B vorliegend zu bejahen. Die Tatherrschaft des B liegt objektiv vor (s.o.). Diese hat B bewusst und willentlich ausgeübt. B wollte durch die Körperverletzung des G die grenzpolizeiliche Kontrolle vermeiden, sodass auch das Eigeninteresse des B an der Begehung der Tat zu bejahen ist. Er hat auch willentlich über das das ganze Geschehen geherrscht. Nach dieser Ansicht ist die Tätereigenschaft des B somit auch zu bejahen.

Hinweis: Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH wird also der Tatherrschaftswille anhand einer umfassenden Gesamtbetrachtung ermittelt, wobei vor allem auf die Tatherrschaft Bezug genommen wird. Die vormals vertretene sog. ,,extrem-subjektive Theorie“ hat die Rechtsprechung damit zu Gunsten der sog. ,,modifizierten subjektiven Theorie“(auch ,,gemäßigt-subjektiv Theorie“ ,,subjektive Theorie auf objektiv tatbestandlicher Grundlage“ oder ,,normative Kombinationstheorie“ genannt) aufgegeben. Da die modifizierte subjektive Theorie teilweise auch auf die Tatherrschaft abstellt, empfiehlt es sich, in einer Fallbearbeitung zuerst mit der Tatherrschaftslehre zu beginnen.

Die genannten Theorien kommen zum gleichen Ergebnis, ein Streitentscheid ist somit entbehrlich. Die Täterqualität des B und seine Tatherrschaft sind mithin gegeben.

Hinweis: Diese Ansichten kommen bei der mittelbaren Täterschaft regelmäßig zu demselben Ergebnis.

Werkzeugeigenschaft des A

Des Weiteren müsste A das Werkzeug des B sein. Wie bereits oben festgestellt, ist A nach § 35 StGB entschuldigt. Ein deliktisches Minus (Strafbarkeitsmangel), den B ausgenutzt hat, ist somit zu bejahen. A ist demnach ein schuldlos handelndes Werkzeug.

Zwischenergebnis

Die Handlung des A kann dem B gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden. B hat somit den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB erfüllt und demnach die Tat durch den A begangen.

Subjektiver Tatbestand

B handelte vorsätzlich im Hinblick auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB. Auch der nach der subjektiven Theorie erforderliche Tatherrschaftswille ist vorliegend gegeben.

Rechtswidrigkeit

B handelte rechtswidrig.

Schuld

B handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

B hat sich einer Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht.

Hinweis: Auch nach der Rechtfertigungslösung, die die Rechtswidrigkeit der Handlung des A verneint, kommt man zum gleichen Ergebnis, da der Hintermann, B, diesen Strafbarkeitsmangel ausnutzt.

Lösungshinweise zu Fall 2

Strafbarkeit des A gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft

A könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben, indem er der B veranlasste, einen eingeschalteten Fön in das Badewasser fallen zu lassen.

Hinweis: Beim vorliegenden Fall handelt es sich um eine Zwei-Personen-Konstellation, in der es nur den (möglichen) mittelbaren Täter und das Opfer gibt, das gleichsam als Tatmittler gegen sich selbst agiert. In solchen Konstellationen können Sie – abgesehen von der Fallfrage – schon deshalb sofort mit der Prüfung der Strafbarkeit des Hintermannes beginnen, da eine Selbstverletzung/-tötung ohnehin nicht strafrechtlich relevant ist. Zwar weist der Wortlaut des § 212 Abs. 1 StGB nicht ausdrücklich auf das Erfordernis der Tötung eines Menschen hin, dies kann man aber aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableiten. Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zum Leben. Vollendete wie versuchte Selbsttötung sind nach deutschem Recht demnach tatbestandslos.

Tatbestandsmäßigkeit

Dazu müsste A tatbestandsmäßig gehandelt haben.

B ist tot, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB ist also eingetreten.

Die zum Tod führende Handlung – das Hineinwerfen des eingeschalteten Föns in das Badewasser – hat A jedoch nicht in eigener Person, sondern das Opfer (B) selbst vorgenommen. Es handelt sich hierbei also um eine Zwei- und nicht um eine Drei-Personen-Konstellation (im Unterschied zum Fall 1). Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB schließt eine Personenidentität von Tatmittler und Opfer nicht zwingend aus, so dass die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft vorliegend grundsätzlich einschlägig ist.

Fraglich ist in dieser Konstellation, ob die Handlung der B dem A gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB im Wege der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden kann.

Im Hinblick darauf, dass die Selbsttötung nach deutschem Recht nicht strafbar ist, handelte B tatbestandslos. Ihre Werkzeugqualität ist mithin zu bejahen.

Dadurch, dass A der B eingeredet hat, sie würde in einem neuen Körper aufwachen, wenn sie aus ihrem Leben scheidet, hat er auf B eingewirkt und einen für ihren Tod kausalen Beitrag geleistet. Fraglich ist aber, ob dieser Verursachungsbeitrag die Annahme der mittelbaren Täterschaft begründen kann.

Hinweis: Die folgende Abgrenzung ist aus dem Grund besonders relevant, dass die bloße Teilnahme an einer Selbsttötung mangels einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat (§§ 26, 27 StGB) nicht strafbar ist. Diese Abgrenzung entscheidet also darüber, ob der Täter straflos bleibt oder zu einer (Freiheits-)Strafe wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verurteilt wird. Es geht also um ,,alles oder nichts“.

Grundsätzlich kommt eine Tatherrschaft gegenüber einem sich selbst tötenden Tatmittler (hier der B) in Betracht, wenn die Herrschaft über den todbringenden Vorgang beim mittelbaren Täter liegt. Im Ausgangspunkt richtet sich die Herrschaft zunächst danach, wer die letzte todesursächliche Handlung vornimmt. Das ist im vorliegenden Fall die B, die den Fön selbst in das Badewasser wirft. Fraglich ist daher, ob A dieses Geschehen als mittelbarer Täter kraft überlegenen Wissens oder Willens beherrscht.

Eine Herrschaft kraft überlegenen Wissens kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das tatbestandslos handelnde Opfer keine Kenntnis davon hat, dass es durch sein Verhalten den eigenen Tod herbeiführt. In einem solchen Fall liegt eine Art „Quasi-Tatbestandsirrtum“ vor, dessen planvolle Ausnutzung durch den Hintermann die Tatherrschaft begründen kann. Hat das sich selbst tötende Opfer hingegen Kenntnis davon, dass es durch sein Verhalten den eigenen Tod verursacht, wird kontrovers darüber gestritten, wann ein solcher Suizid freiverantwortlich ist. Die sog. „Exkulpationslösung“ verneint eine Freiverantwortlichkeit, wenn der Täter in entsprechender Anwendung der §§ 3 JGG, 19, 20, 35 StGB unverantwortlich handelt, also insbesondere bei fehlender geistiger Reife oder bei schweren psychischen Beeinträchtigungen. Die sog. „Einwilligungslösung“ hingegen will für die Frage der Freiverantwortlichkeit eines Suizids die Maßstäbe der Einwilligung heranziehen und fragt so neben der Einwilligungsfähigkeit auch nach der Beeinträchtigung der Suizidentscheidung durch Willensmängel.

Im vorliegenden Fall ist allerdings zunächst zu klären, ob nicht ein „Quasi-Tatbestandsirrtums“ (also einer Unkenntnis der Todesverursachung) bei B vorliegt. In diesem Fall wäre unabhängig von dem Streit zwischen Einwilligungs- und Exkulpationslösung eine mittelbare Täterschaft des A zu bejahen. Die Besonderheit des hier zu Grunde liegenden Sachverhalts liegt insofern darin, dass B sich einerseits bewusst ist, dass ihre „irdische“ Existenz enden wird, während sie andererseits annimmt, in einer anderen Lebensform weiterexistieren zu können. Nun ließe sich die Ansicht vertreten, dass die Kenntnis der B vom Ende ihrer „irdischen“ Existenz ausreicht, um einen „Quasi-Tatbestandsirrtum“ auszuschließen. Schließlich wusste B in diesem Sinne ja durchaus, dass sie sterben würde.

Diese Betrachtung überzeugt im Ergebnis jedoch nicht. Selbst wenn B davon ausging, dass das Ende ihrer „irdischen Existenz“ eintreten würde, war dies nach ihrer irrtümlichen Vorstellung doch nur ein Durchgangsstadium hin zu einer anderen Existenzform. Berücksichtigt man den Sinngehalt ihrer Vorstellung, kann keine Rede davon sein, dass B sich im Klaren darüber war, dass sie sterben würde. Sie ging vielmehr davon aus, weiterzuleben, wenn auch in einer „anderen Form“. Einen Selbstmord im eigentlichen Sinne lehnte sie ab. B irrte sich dementsprechend nicht über den Umfang des Begriffes ,,Selbstmord“, sondern über die realen Folgen des Gelingens ihrer Handlung. Es handelte sich also um einen Irrtum im tatsächlichen, nicht aber begrifflichen Bereich, der als „Quasi-Tatumstandsirrtum“ einzustufen ist. Indem A diesen Irrtum zunächst hervorrief und dann planvoll lenkend ausnutzte, hatte er die Tatherrschaft hinsichtlich des Todes der B kraft überlegenen Wissens. Auf den Streit zwischen Einwilligungs- und Exkulpationslösung kommt es insofern nicht an.

Der BGH hat in der Sache ebenso entschieden und im hier zu Grunde liegenden Urteil ausgeführt:

Verschleiert er dem sich selbst ans Leben Gehenden die Tatsache, dass er eine Ursache für den eigenen Tod setzt, ist derjenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll, bewusst und gewollt ausgelöst hat, Täter eines (versuchten oder vollendeten) Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug gegen sich selbst macht.

A hatte folglich Tatherrschaft. Er handelte darüber hinaus auch vorsätzlich und hat somit den Tatbestand eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft erfüllt.

Rechtswidrigkeit

A handelte überdies rechtswidrig.

Schuld

A handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht.

Weiterführender Hinweis: Der vorliegenden (außergewöhnlichen) Konstellation ähnelt der ,,Stromschlag-Fall“, über den vor wenigen Jahren das LG München zu entscheiden hatte (LG München II, Urteil vom 20. Januar 2020 – 1 Ks 21 Js 5718/18 –, juris - ,,Stromschlag-Fall“). Dabei gab sich der Täter als Arzt aus, der eine Studie zur Wirksamkeit von Stromstößen als Schmerztherapie durchführte. Nach genauer Anweisung des Täters setzten sich Opfer Stromdrähte an die Schläfen und lösten dadurch einen Stromschlag mit 230 Volt aus. Opfer gingen davon aus, dass dieses Vorgehen harmlos sei, auch weil sie der Expertise des vermeintlichen Arztes A vertrauten. Sie rechneten mit einem leichten, etwas unangenehmen „Schlägli“, verspürten aber tatsächlich schwere Schmerzen. Zum Tod kam es dabei nicht. Das LG München hat die Tatherrschaft des A als mittelbarer Täter bejaht. Dazu hat das Gericht die oben dargestellten Ausführungen des BGH zum Sirius-Fall übernommen und noch einmal darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung zwischen einer straflosen Teilnahme an einer Selbsttötung und einem Totschlag in mittelbarer Täterschaft (nach Ansicht der Rechtsprechung) im Einzelfall von Art und Tragweite des Irrtums abhängt.

Lösungshinweise zu Fall 3

Strafbarkeit der A gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft

A könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht haben, indem sie dem B vortäuschte, gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen.

Tatbestandsmäßigkeit

Fraglich ist, ob A tatbestandsmäßig gehandelt hat. B ist tot, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB ist also eingetreten. Die zum Taterfolg führende Handlung hat aber A nicht in eigener Person vorgenommen, sondern das Opfer (B).

Hinweis: Der vorliegende Fall betrifft auch die Abgrenzung zwischen einer straflosen Teilnahme an einer Selbsttötung und einem Totschlag in mittelbarer Täterschaft, weshalb im Folgenden auf Ausführungen im Fall 2 verwiesen wird.

Möglicherweise könnte ihr jedoch die Tathandlung des B gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden. Angesichts dessen, dass die Selbsttötung nach deutschem Recht nicht strafbar ist, handelte B tatbestandslos. Seine Werkzeugqualität ist mithin zu bejahen.

Indem A dem B vortäuschte, gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen und zu diesem Zweck die Giftmischung bereitstellte, hat sie einen kausalen Beitrag geleistet. Fraglich ist aber, ob dieser kausale Beitrag die mittelbare Täterschaft der A begründet.

Legt man für die Frage der Zurechnung die Tatherrschaftslehre zugrunde, so muss der A die planvolle und willensmäßige Lenkung des Tatgeschehens zufallen. Sie wäre dann mittelbarere Täterin, wenn sie sich eines menschlichen Werkzeugs bedient hat, das ihr hinsichtlich des Wissens um die oder des Wollens der Tatbestandsverwirklichung unterlegen war. Die Ansicht des BGH auf Grundlage der modifizierten subjektiven Theorie unterscheidet sich hiervon wenig. Der mittelbare Täter muss hiernach zumindest den Willen zur Tatherrschaft haben oder es wird eine vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft gefordert.

Vorliegend war dem B der tödliche Charakter seines Tuns völlig bekannt. Er wusste, er begeht ein Suizid und dass er sein Leben endgültig beenden würde. Diesbezüglich handelte er vorsätzlich. Verborgen blieb ihm nur der Umstand, dass A die tödliche Giftmischung nicht trinken und vielmehr weiter am Leben bleiben wollte.

Hinweis: Hier sehen sie einen Unterschied zum Fall 2: Das Opfer im ,,Sirius-Fall“ lehnte die Selbsttötung ab und wollte in einem neuen Körper weiterleben.

Fraglich ist, ob ein solcher Irrtum die Tatherrschaft der A begründen und sie zur mittelbaren Täterin machen kann. Legt man die oben dargestellten Grundsätze zur Abgrenzung zwischen einer straflosen Teilnahme an einer (freiverantwortlichen) Selbsttötung und einem Totschlag in mittelbarer Täterschaft zu Grunde, ist Folgendes festzustellen:

Im Hinblick auf das Bewusstsein und die Kenntnis des B von dem tödlichen Charakter seines Tuns liegt jedenfalls kein „Quasi-Tatbestandsirrtum“ vor. Fraglich ist daher, ob die als solche erkannte Selbsttötung des B freiverantwortlich war.

Nach der Schuldlösung, die für die Feststellung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers die § 3 JGG, §§ 19, 20, 35 StGB analog heranzieht (s.o.), wäre ein eigenverantwortliches Tun des B zu bejahen (und folglich eine Tatherrschaft der A zu verneinen), da entsprechende Defizite in der Verantwortlichkeit des B (fehlende geistige Reife oder psychische Erkrankungen) nicht ersichtlich sind.

Im Lichte der Einwilligungslösung müsste man sich an die subjektiven Voraussetzungen der rechtfertigenden Einwilligung i.V.m. der Dogmatik zur „Ernstlichkeit des Verlangens“ i.S. von § 216 StGB orientieren. Dem Sachverhalt lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die eine Einsichtsfähigkeit des B ausschließen würden. Demnach ist nun zu fragen, ob der Willensentschluss des B, den Selbstmord zu begehen, frei von Irrtum, Täuschung oder Drohung war. Der Gegenstand des Irrtums des B war vorliegend – wie bereits erwähnt – nicht seine vorsätzliche Selbsttötung, sondern die Suizidabsicht der A. B unterlag also einem bloßen Motivirrtum. Die Frage, ob ein Motivirrtum zum Ausschluss einer Einwilligung führt und folglich im Sinne der Einwilligungslösung die Tatherrschaft des Hintermannes begründen kann, ist heftig umstritten.

Hinweis: Im Folgenden geht es also um den Meinungsstreit, ob jeder Willensmangel zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt, den Sie im ersten Semester kennengelernt haben.

Der herrschenden Meinung nach soll jeder Willensmangel zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen. Der Motivirrtum des B würde demgemäß die Freiverantwortlichkeit ausschließen und die Tatherrschaft der A begründen.

Nach einer anderen Ansicht führen nur rechtsgutbezogene Fehlvorstellungen zur Unwirksamkeit der Einwilligung. Vorliegend wusste B, er verfügt über sein Leben. Er irrte sich lediglich über die Suizidabsicht der A und demnach unterlag er, wie bereits festgestellt, nur einem Motivirrtum. Nach dieser Ansicht hätte er sich also eigenverantwortlich selbst gefährdet und die Tatherrschaft der A wäre zu verneinen.

Die dritte Auffassung stellt auf die Zuständigkeit für den Motivirrtum ab. Resultiert der Motivirrtum aus einer durch den Beteiligten veranlassten Täuschung, stellt er einen wesentlichen Willensmangel dar. Der Irrtum bei B wurde vorliegend durch A hervorgerufen. Nach dieser Ansicht wäre also die Tatherrschaft der A auch zu bejahen.

Lediglich die zweite Ansicht im Rahmen der Einwilligungslösung, die für die Unwirksamkeit der Einwilligung nur rechtsgutbezogene Irrtümer genügen lässt, verneint die Tatherrschaft der A. Dafür spricht Folgendes. Jegliche Motivirrtümer können zu einer einseitigen Abwälzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf den Mitwirkenden führen. Außerdem orientiert sich das Kriterium, ob nur der Hintermann weiß, was wirklich geschieht, nicht an rechtlichen Regeln oder Wertungen, sondern an gesellschaftlichen Deutungsregeln, was den Zweifel aufkommen lassen könnte, ob eine solche Abgrenzung in rechtsstaatlich befriedigender Weise geleistet werden kann. Auf der anderen Seite handelt es sich hierbei um eine irrtumsbedingte Selbsttötung im Zwei-Personen-Verhältnis, für die im Rahmen der Einwilligungslösung das Kriterium der ,,Ernstlichkeit“ i.S.d. § 216 StGB herangezogen werden soll. Bei der Verfügung über das eigene Leben dürfen an die Mangelfreiheit der Willensbildung keine geringeren Anforderungen gestellt werden, als bei der ,,Ernstlichkeit“ des Tötungsverlangens i.S.d. § 216 StGB. Die setzt nicht nur eine freie und fehlerfreie Willensbildung voraus. Ein solches Verlangen i.S. v. § 216 StGB sollte vielmehr ein Ausdruck eines überlegten Entschlusses des Opfers sein. Einige Autoren vertreten die Ansicht, es ist in dieser Hinsicht für eine Unterscheidung zwischen rechtsgutsbezogenen und nicht rechtsgutsbezogenen Irrtümer kein Raum und demgemäß schließt jeder ursächliche Motivirrtum des Opfers ,,die Ernstlichkeit des Verlangens“ aus. Für den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, B hätte sich nicht eigenverantwortlich selbst gefährdet und die Tatherrschaft der A wäre zu bejahen.

Teilweise wird aber auch eine Differenzierung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Motivirrtümer gefordert. Nach dieser Ansicht sollen nur relevante Motivirrtümer die mittelbare Täterschaft im Falle einer Selbsttötung begründen. Um einen wesentlichen von einem unwesentlichen Motivirrtum zu unterscheiden, bietet es sich an, auf das Gewicht des Motivirrtums abzustellen und zu fragen, in welchem Umfang es einleuchtend ist, dass sich jemand durch einen entsprechenden Irrtum zur Selbsttötung bestimmen lässt. Bei der Feststellung der Relevanz eines Motivirrtums sollte aber auch Verantwortlichkeit des Hintermannes für diesen Irrtum berücksichtigt werden. Vorliegend irrte sich B über das durch die Realisierung seines Suizidentschlusses ausgelöste Geschehen. Diesen Irrtum hat A hervorgerufen. Es kann also von einem wesentlichen Motivirrtum ausgegangen werden. Eine Unterscheidung zwischen rechtsgutbezogenen Täuschungen und Motivirrtümern bleibt also aus den oben genannten Gründen und Hinblick auf das Erfordernis der ,,Ernstlichkeit des Verlangens“ i.S. von § 216 StGB in diesem Fall im Lichte der Einwilligungslösung ohne Relevanz. Im Interesse des Lebensschutzes soll die Entscheidung, in den Tod zu gehen, immer mangelfrei sein. Über den Maßstab des § 216 StGB kann also vorliegend eine mittelbare Täterschaft der A begründet werden. (a.A. sehr gut vertretbar)

Nach der Einwilligungslösung hätte sich also B nicht eigenverantwortlich selbst gefährdet und die Tatherrschaft der A wäre zu bejahen.

Nach Ansicht der Rechtsprechung sollte das Vorliegen der Tatherrschaft im Rahmen der mittelbaren Täterschaft nach den Gesamtumständen des Einzelfalles beurteilt werden. Die Rechtsprechung hat bislang offengelassen, ob in einem solchen Fall ein Motivirrtum für sich allein zur Begründung mittelbarer Täterschaft ausreicht. Der BGH hat im vorliegenden Fall nicht auf die Irrtumsherrschaft, sondern auf den von A ausgeübten Druck abgestellt und darauf hingewiesen, dass A den ganzen Geschehensablauf in allen wesentlichen Einzelheiten bestimmte. Zur Begründung führte der BGH Folgendes aus:

Ihren Tatentschluss setzte sie (A) in wenigen Stunden zügig durch. Sie mischte das Gift mit Likör, stellte die Flasche bereit, holte ihren Ehemann von der Arbeit ab und schlug ihm sogleich einen Doppelselbstmord vor, weil sie den Zeitpunkt wegen der niedergeschlagenen Stimmung ihres Ehemannes für besonders geeignet hielt. Sie sorgte dafür, dass der Ehemann (B) nicht mehr zum ruhigen Überdenken ihres Vorschlages kam, indem sie auf sofortige Ausführung hinwirkte. (…) Sie lenkte das Fahrzeug an einem einsamen Ort, wo Störungen und spätere Hilfeleistungen ihren Plan nicht kreuzen konnten. Um sicherzugehen hat sie (B) einen letzten Geschlechtsverkehr versprochen und mit dem bereits vergifteten Mann Liebkosungen ausgetauscht. (…) Hier ergeben die Feststellungen, dass die Angeklagte ihren Ehemann nicht nur durch die Täuschung in den Tod treiben, sondern zugleich auch die Herrschaft über den von ihr geplanten Geschehensablauf fest in der Hand behalten wollte und behalten hat.

Die dargestellten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein Streitentscheid ist also unentbehrlich. Nach der Exkulpationslösung wäre die mittelbare Täterschaft der A wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des B ausgeschlossen. Gegen diese Ansicht spricht jedoch Folgendes. Es wäre wertungswidersprüchlich, ein Todesbegehren unter sonst gleichen Umständen als eigenverantwortlich zu werten und damit den Hintermann von jeder Schuld freizusprechen, nur weil dieser den Tötungsvollzug dem Opfer überließ. In dieser Hinsicht sollte es also keine Rolle spielen, ob das Opfer bei hypothetischer Tötung eines Dritten schuldhaft gehandelt hätte, wenn dem Todesentschluss eine falsche Vorstellung zu Grunde liegt. Außerdem kann die Tatherrschaft des Hintermannes nur nach faktischen, nicht aber nach normativen Gesichtspunkten bestimmt werden. Das wahre Ausmaß des Schadens kannte vorliegend nur die A. Dieses Mehrwissen rechtfertigt es, sie als die Tatherrin über die Verwirklichung eines sehr viel größeren tatbestandlichen Unrecht anzusehen. Die Tatherrschaft der A kraft überlegenen Wissens ist mithin zu bejahen. (a.A. sehr gut vertretbar!)

Die Handlung des B kann der A gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden.

A handelte ferner vorsätzlich im Hinblick auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB.

A handelte somit tatbestandsmäßig.

Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

Schuld

A handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht.

Hinweis: Der vorliegende Fall ist kontrovers und die Verneinung der mittelbaren Täterschaft der A wäre hier auch sehr gut vertretbar! In der Klausur kommt es auf das Erkennen des Problems und dann auf eine plausible Argumentation an.