Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit Licensed under CC-BY-4.0

§ 42: Beleidigung (§ 185 StGB)

Autor: Mani Jaleesi

Als Massen- und Alltagsdelikte sind Ehrdelikte von großer Bedeutung für die Praxis.Die PKS 2023 zählt 237.784 Fälle (Polizeiliche Kriminalstatistik 2023, Grundtabelle – Fälle V1.0, Schlüssel 673000). Aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen und öffentlichkeitswirksamer Ereignisse, etwa im Hinblick auf Hatespeech und Shitstorm in sozialen Medien (zB im Fall KünastEs ging dabei um schwere (weitgehend) sexualbezogene Beleidigungen gegenüber der Politikerin. Nachdem das LG Berlin zunächst alle 22 Kommentare als von der Meinungsfreiheit gedeckt und straffrei ansah, im Laufe des Instanzenzuges sodann weitere Kommentare für strafbar erklärt wurden, hatte die Verfassungsbeschwerde (indes aus formalen Gründen) Erfolg und führte zu einer Rückverweisung an das KG, das letztlich alle Kommentare für strafbar erklärte, vgl. KG NJW 2023, 161 m. Anm. Gerdemann.), dem CatcallingDabei handelt es sich um verbale sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum, etwa durch anzügliche Bemerkungen, Hinterherpfeifen oder Kussgeräusche. Näher Oğlakcıoğlu, ZStW 135 (2023), 165; Pörner, NStZ 2021, 336; Windsberger, NK 2022, 342. oder dem DeadnamingAnsprache/Bezeichnung von Trans-Menschen mit ihrem früheren Vornamen (vor einer Namensänderung) und entgegen der geschlechtlichen Identität; s. https://taz.de/Deadnaming-von-Transpersonen/!5705723/; näher Hallweger/Thümmler, NStZ 2023, 76. sind sie von fortwährender Aktualität. Durch das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, in Kraft seit dem 3. April 2021,G. v. 30. März 2021 (BGBl. I S. 441), in Kraft seit dem 3. April 2021. Zudem wurde mit G. v. 14. September 2021, in Kraft seit dem 22. September 2021, der Straftatbestand der „Verhetzenden Beleidigung“ (§ 192a StGB) eingeführt (durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen). wurden die Ehrdelikte in der jüngeren Vergangenheit reformiert. Ausbildungsrelevante Neuerungen sind dabei insbesondere die neu eingefügten Qualifikationen des § 185 StGB, namentlich „öffentlich, in einer Versammlung“ oder „durch Verbreiten eines Inhalts“ (§ 185 Var. 2-4 StGB nF) kundgegebene Beleidigungen, die insb. Beleidigungen in sozialen Netzwerken adressieren.

In strafrechtlichen Prüfungen spielen die Ehrdelikte zwar oft eine untergeordnete Rolle, mitunter bilden sie aber auch einen eigenen Prüfungsschwerpunkt. Im Übrigen sind sie bisweilen Gegenstand von Prüfungen im Öffentlichen Recht (insbesondere im Zusammenhang mit Verfassungsbeschwerden), aber auch im Zivilrecht (insbesondere iVm § 823 Abs. 2 BGB).

Rechtsgut und Systematik der Ehrdelikte

Rechtsgut

Die Straftatbestände der §§ 185, 186, 187 Alt. 1 StGB schützen nach der Rechtsprechung und ganz hL das Rechtsgut der Ehre.Ausführlich Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 7 ff. mwN. Die Ehre stellt bei MenschenDas Rechtsgut wird bei Kollektiven – die nicht durch APR und Menschenwürde geschützt werden – nach hM modifiziert, dazu → Rn. 28 ff. einen Teilbereich der Personenwürde dar, die ihrerseits ein Ausschnitt aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) ist.Nach hM allein oder jedenfalls primär, vgl. Momsen, in: Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, BT 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 5 mwN. Bei § 185 StGB handelt es sich nach der zutreffenden (wohl) hM um ein abstraktes Gefährdungsdelikt,Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), Vor § 185 Rn. 8 und Rn. 16; Geppert, JURA 1983, 530 (533); Rahmlow, Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht, 2016, S. 81 ff.; für die Einstufung als konkretes Gefährdungsdelikt Amelung, in: Rogall u.a. (Hrsg.), FS Rudolphi, 2004, S. 376; dem folgend Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 1; als Verletzungsdelikt stufen den § 185 StG ein: Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 185 Rn 3; Sinn, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 185 Rn. 3. sodass es keiner Verletzung des Rechtsguts der Ehre bedarf. Dies folgt bereits daraus, dass weder ein „Sich-beleidigt-Fühlen“Geppert, JURA 1983, 530 (533). noch ein tatsächlicher Achtungs- oder Ansehensverlust als Tatbestandsvoraussetzung verlangt wird (und praktisch auch gar nicht feststellbar wäre).Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), Vor § 185 Rn. 8.

Weiterführendes Wissen: Die (unstreitigen) Ehrdelikte sind von den weiteren Straftatbeständen des 14. Abschnitts des StGB zu unterscheiden: § 187 Alt. 2 StGB (Kreditgefährdung) stellt nach Rspr. und hL ein spezielles Vermögensdelikt dar.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 187 Rn. 1 mwN. § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener) schützt nach hM primär das Pietätsgefühl.Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 189 Rn. 1 mwN.

Vertiefung zum Ehrbegriff

Die Rspr. vertritt traditionell einen dualen Ehrbegriff, der die innere Ehre (personaler Geltungswert) und äußere Ehre (sozialer Geltungswert) umfasst. So formuliert etwa der BGH, dass die dem „Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte zukommende innere Ehre und eine darauf beruhende Geltung, sein guter Ruf innerhalb der mitmenschlichen Gesellschaft [äußere Ehre]“BGHSt 11, 67 (70 f.). geschützt werde.

Die zahllosen Ehrbegriffe in der LiteraturRegge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 7. lassen sich weitgehend danach unterscheiden, ob sie (schwerpunktmäßig) faktischer oder normativer Natur sind, wobei ein rein faktisches Verständnis heutzutage nicht mehr vertreten wird.Gegen den rein faktischen Ehrbegriff spricht, dass die Strafbarkeit damit vom Zufall des (womöglich unberechtigt guten) Rufs und dem subjektiven Selbstgefühl des Beleidigten abhinge. Bei faktischen Ehrbegriffen stehen die tatsächlichen Auswirkungen von Äußerungen im Vordergrund: der soziologisch beeinflusste tatsächliche „gute Ruf“ (bei Äußerungen gegenüber Dritten) bzw. das subjektive „Ehrgefühl“ (bei Äußerungen gegenüber dem Ehrträger). Bei den (in der Literatur herrschend vertretenen und zunehmend auch in der Rspr. rezipierten) normativen Ehrbegriffen steht der einem Menschen als Ausfluss seiner Personenwürde zukommende sozial zu achtende Geltungswert im Mittelpunkt.Grundlegend Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967, S. 29 ff., 45 ff., 72 ff.; vgl ferner BGHSt 35, 76 ff.; 36, 145 ff.; OLG Düsseldorf NJW 1989, 3030; 1992, 1335; OLG Frankfurt NJW 1989, 1367. Bisweilen ist – mE mindestens missverständlich – vom „verdienten“ Achtungsanspruch die Rede.

Verfassungsrechtlich besteht in aller RegelAusnahme: Tatsachenbehauptungen, die keinerlei Wertungselement aufweisen. ein Spannungsverhältnis zwischen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Hs. 1 GG) der sich äußernden Person und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Ehrträgers. Bisweilen laufen der Meinungsfreiheit auch weitere Grundrechte zuwider: Etwa im Rahmen von Presseberichterstattung die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) und bei künstlerischen Darbietungen, insbesondere im Rahmen von Satire (zB beim „Schmähgedicht“) und (Rap-)MusikZu Beleidigungen im Rahmen von Rapmusik ausführlich Oğlakcıoğlu/Rückert, ZUM 2015, 876; s. auch https://t1p.de/ur692., die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Var. 1 GG). Die Grundrechte sind daher im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigung (§ 193 StGB) gegeneinander abzuwägen.

Verstärkt wird die Meinungsfreiheit der sich äußernden Person durch ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht hingegen bei der Kommunikation im engsten Lebenskreis („beleidigungsfreie Sphäre“ → Rn. 79 ff.).

Systematik

Zwei Aspekte sind für die Bestimmung des einschlägigen Ehrdelikts (§§ 185, 186 oder § 187 Alt. 1 StGB) maßgeblich:

  • Zum einen, ob sich der Täter gegenüber dem Ehrträger selbst oder einer dritten Person äußert.

  • Zum anderen, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil handelt (näher zu dieser Abgrenzung → Rn. 25 ff.).

Bei Äußerungen gegenüber dem Ehrträger kommt ausschließlich eine Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht; dies gilt für Tatsachenbehauptungen und Werturteile gleichermaßen.

Bei Äußerungen gegenüber Dritten ist hingegen zu differenzieren: Für Werturteile ist ebenfalls § 185 StGB einschlägig, für Tatsachenbehauptungen § 186 StGB (Üble Nachrede) bzw. der enger gefasste § 187 StGB (Verleumdung).

Insofern hat die Beleidigung (§ 185 StGB) Auffangcharakter, da sie für alle außerhalb von §§ 186, 187 StGB liegenden Fälle anwendbar ist.

Die somit umrissene Systematik sei noch mal durch eine Übersichtstabelle veranschaulicht:

Werturteil

Tatsachenbehauptung

gegenüber dem Ehrträger

§ 185 StGB

§ 185 StGBTatsachenbehauptungen gegenüber dem betroffenen Ehrträger müssen nach hM grundsätzlich unwahr sein. Diesem Grundsatz entgegen kann eine wahre Tatsache ausnahmsweise nach § 192 StGB aufgrund der „Form der Behauptung“ strafbar sein (sog. Formalbeleidigung iSd StGB). Bei Äußerungen gegenüber Ehrträgern selbst gibt es jedoch – anders als bei Äußerungen gegenüber Dritten (dazu nachfolgende Fn.) – praktisch keine Anwendungsfälle. Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 192 Rn. 2 nennt als Beispiel die Äußerung einer wahren Tatsachenbehauptung begleitet von Schimpfwörtern; allerdings sind Schimpfwörter – unabhängig von § 192 StGB – regelmäßig bereits für sich genommen strafbar, sodass es auf § 192 StGB nicht ankommt.

gegenüber Dritten

§ 185 StGB

§ 186 StGBTatsache nicht erweislich wahr

§ 187 StGBTatsache unwahr

§ 192 StGBIVm § 185 StGB. Die Strafbarkeit der Kundgabe einer wahren Tatsachenbehauptung kann sich insbesondere „aus den Umständen" ergeben; wichtigster Anwendungsfall ist die Veröffentlichung einer die Intimsphäre berührenden Tatsache in der Presse, vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 192 Rn. 2.Tatsache wahr, nur ausnahmsweise als sog. Formalbeleidigung iSd StGB strafbarZu unterscheiden ist die Formalbeleidigung iSd § 192 StGB von der Formalbeleidigung iSd Rspr. des BVerfG. Dazu näher → Rn. 113.

Folglich unterfallen einerseits Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Ehrträger selbst (1) und andererseits Werturteile sowohl gegenüber Betroffenen (2) als auch Dritten (3) dem Straftatbestand des § 185 StGB.

Klausurtaktik: Um zu ermitteln, welcher Tatbestand einschlägig ist, muss gedanklich erst einmal vorgeprüft werden, wer Adressat der Äußerung ist und ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt. Auf dieser Grundlage sollte direkt der betreffende Straftatbestand geprüft werden.

Objektiver Tatbestand

Der (Grund-)Tatbestand in § 185 Abs. 1 StGB nennt lediglich das Tatbestandsmerkmal „Beleidigung“Bedenken an der hinreichenden Bestimmtheit von § 185 Abs. 1 StGB unter dem Gesichtspunkt von Art. 103 Abs. 2 GG) hat das BVerfG mit der Begründung verworfen, dass der „Begriff der Beleidigung jedenfalls durch die über hundertjährige und im Wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt, der den Gerichten ausreichende Vorgaben für die Anwendung an die Hand gibt und den Normadressaten deutlich macht, wann sie mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen haben“ (BVerfGE 93, 266 [290])., das wortgleich mit dem Titel des Straftatbestands (§ 185 StGB) und des Abschnitts (14. Abschnitt des StGB) ist. Da es zur Tatbestandsvollendung der tatsächlichen Kenntniserlangung einer dritten Person bedarf, handelt es sich um ein Erfolgsdelikt.Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 1. Die Qualifikation als Erfolgsdelikt steht in keinem Widerspruch zu dem Umstand, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (mithin kein Verletzungsdelikt) handelt. Bezugspunkt der Kategorien Gefährdungs-/Verletzungsdelikt ist das Rechtsgut: beim Verletzungsdelikt muss der Tatbestand zwingend zur Rechtsgutsverletzung führen. Eine tatbestandliche Beleidigung führt nach diesseitiger Ansicht indes nicht zwingend zur Beschädigung der Ehre, etwa, wenn der Äußerungsempfänger um die Unrichtigkeit der Äußerung weiß oder die herabsetzende Bewertung nicht teilt. In Abgrenzung zu diesen Kategorien erfordert das Erfolgsdelikt lediglich einen (nicht zwingend rechtsgutsverletzenden) Erfolg in der Außenwelt – hier den Kundgabeerfolg durch die Wahrnehmung eines Dritten.

Die Beleidigung wird definiert als die Kundgabe (dazu → Rn. 72 ff.) eigener Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung (dazu → Rn. 55 ff.) durch ein ehrverletzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung (zur Abgrenzung → Rn. 56 ff.) gegenüber dem Ehrträger.

Der angegriffene Ehrträger muss beleidigungsfähig sein, was bei Kollektiven (zB „die Polizei“) der Erörterung bedarf (dazu → Rn. 25 ff.).

Von der Strafbarkeit ausgenommen sind Äußerungen im engsten Lebenskreis, der sog. beleidigungsfreien Sphäre (dazu → Rn. 79 ff.).

Ermittlung des Ehrträgers und Beleidigungsfähigkeit

Ermittlung des Ehrträgers

Zunächst muss feststehen, gegen welche Person(en) sich die Ehrverletzung richtet.

In Klausuren ist die adressierte Person zumeist ausdrücklich im Sachverhalt benannt. In diesen Fällen genügt allein die Erwähnung, gegen welchen Ehrträger sich die Äußerung richtet.

Weiterführendes Wissen: Die Ermittlung des Ehrträgers dient nicht nur der Strukturierung der weiteren Prüfung, sondern ist auch für Rechtspraxis und Referendarklausuren relevant: Denn § 185 StGB (sowie die übrigen Delikte des 14. Abschnitts des StGB mit Ausnahme der Fälle des § 194 Abs. 1 S. 2, 3 StGB) sind sog. absolute Antragsdelikte, vgl. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB. Das bedeutet, dass die Bestrafung des Täters einen Strafantrag des verletzten Ehrträgers voraussetzt. Die Ermittlung des angegriffenen Personenkreises kann im Übrigen für die Strafbarkeit der Beleidigung von Kollektiven und die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung entscheidend sein (→ Rn. 28 ff.).

Klausurtaktik: Die Frage, wessen Ehre verletzt wird, darf nicht mit der Frage verwechselt werden, wer der Adressat der Kundgabe (Kundgabeempfänger) ist. Verletzter Ehrträger ist diejenige Person, gegen die sich der Ehrangriff richtet. Dabei kann es sich um dieselbe Person handeln, wie zB bei der Äußerung „Du Arschloch“ (Ehrträger = Kundgabeempfänger). Bezieht sich die Äußerung hingegen gegen eine nicht anwesende Person, dann fallen diese auseinander: C äußert gegenüber B: „Der A ist ein Arschloch“ (Ehrträger ≠ Kundgabeempfänger).

Ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht, auf wen sich die Ehrverletzung bezieht, ist dies im Wege der Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich sind neben dem Inhalt der Äußerung auch die gesamten Begleitumstände.

Besonders relevant ist die Ermittlung von Ehrträgern bei Äußerungen, die sich auf mehrere Personen oder Kollektive beziehen.

Beispiele:

- Äußerung „Hurensohn“ ggü. männlicher Person: Ehrträger sind die männliche Person und die Mutter.Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 34; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 434.

- Tragen von Bekleidung mit der Aufschrift „ACAB“ (Abk.: all cops are bastards) bei einem Fußballspiel: Ehrträger könnten „die Cops“ (da Bezugspunkt „all“), also die Polizei weltweit oder deutschlandweit sein. Möglicherweise bezieht sich der Inhalt auf die Polizei beim konkreten Fußballspiel/im Stadion (aufgrund der Kenntnis, dass sie im Stadion anwesend sind/sein werden).BVerfG NJW 2016, 2643. Konkrete Polizist:innen können gemeint sein, wenn die Aufschrift auf der Bekleidung ihnen vorgehalten wird (sog. Individualisierung bei der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung → Rn. 51 ff.)

- Tragen eines Pullovers mit der Aufschrift „FCK BFEBVerfG BeckRS 2020, 38103. (Abk.: Beschwerde- und Festnahmeeinheit) bei einer Demonstration: Für die Folgefrage der passiven Beleidigungsfähigkeit des Kollektivs kommt es (nach dem BVerfG) entscheidend darauf an, ob alle BFE deutschlandweit oder das lokale BFE gemeint ist.

Beleidigungsfähigkeit

Neben natürlichen Personen sind nach hM unter bestimmten Voraussetzungen auch Kollektive beleidigungsfähig.

Natürliche Personen

Beleidigungsfähig ist jeder lebende Mensch.Dass bestimmte Personengruppen beleidigende Äußerungen möglicherweise nicht wahrnehmen können oder den ehrverletzenden Gehalt nicht verstehen (zB Kleinstkinder, Behinderte) steht der Beleidigungsfähigkeit nicht entgegen; vielmehr fehlen in einem solchen Fall lediglich Kundgabe/Kundgabeerfolg, vgl. Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 16; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 43; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 5 ff., 19. Verstorbene sind nach hM nicht beleidigungsfähig.Etwa Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 7; aA Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 189 Rn. 2 mwN. Teleologisch lässt sich dies damit begründen, dass der Schutz der Persönlichkeitsentfaltung bzw. das Wirken im sozialen Raum mit dem Tod hinfällig ist. Es kommt zudem nur Lebenden ein personaler, sozialer und ethischer Geltungswert zu.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 7. In systematischer Hinsicht spricht für ein enges Verständnis, dass mit § 189 StGB – der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener – ein spezieller Straftatbestand für Verstorbene vorgesehen ist.

Weiterführendes Wissen: Bei Äußerungen über Verstorbene ist § 189 StGB zu prüfen: Schutzgut ist nach hM in erster Linie das Pietätsempfinden.Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 189 Rn. 1 mwN. Die Tathandlung des Verunglimpfens ist eine nach Form, Inhalt, Begleitumständen oder Beweggrund erhebliche Herabsetzung.BayObLG NJW 1988, 2901 (2902). Die Kränkung muss demnach besonders schwer wiegen.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 29 Rn. 43. Strafbar sind demnach zB die Kommentare: „Keine einzige Sekunde Schweigen für diese Kreaturen“ zu einem Beitrag über eine Schweigeminute für einen ermordeten Polizisten (LG Meiningen, Beschl. v. 5. August 2022 – 6 Qs 146/22, juris) oder „Wieder ein Grüner weniger. Herrgott wir danken dir.“ in einem Online-Trauerportal zum Tod eines Mitglieds der Partei Bündnis 90/Die Grünen (LG Verden, Beschl. v. 7. Februar 2022 – 4 Qs 101/21, juris). Sie kann sowohl in einer Tatsachenäußerung als auch einem Werturteil liegenFischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 189 Rn. 3. (dazu → Rn. 56 ff.). Es bedarf ferner grundsätzlich eines Strafantrags, § 194 Abs. 2 StGB.

KollektiveInstruktiv zu diesem Komplex Geppert, JURA 2005, 244.

Die Ehrschutzdelikte schützen primär Menschen. Bezieht sich eine Äußerung hingegen auf ein Kollektiv, stellt sich die Frage, ob das Kollektiv – etwa die Polizei – selbst beleidigt werden kann und tatsächlich in der (Kollektiv-)Ehre verletzt wurde (Beleidigung von Kollektiven), oder ob hinter dem adressierten Kollektiv nicht ein Angriff auf die Ehre einzelner kollektivangehöriger Menschen steht (Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung).

Klausurtaktik: Es sollte in einem solchen Fall zunächst die Kollektivbeleidigung geprüft werden. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob stattdessen bzw. zugleich eine Beleidigung Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung vorliegt. Beide Prüfungen sind zu trennen.

Beleidigung von Kollektiven

Gewichtige Stimmen in der LiteraturKaufmann, ZStW 72 (1960), 418 ff.; Wagner, JuS 1978, 675 f.; Brackert, JA 1991, 192 f.; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 425; Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), Vor § 185 Rn. 20; Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), Vor § 185 Rn. 13 f. So im Übrigen auch noch RGSt 3, 246 (247). nehmen (mittlerweile) an, dass nur einzelne Menschen Träger von Ehre und damit beleidigungsfähig seien.Das führt derweil nicht zwingend zur Straflosigkeit, da die Äußerung gleichwohl als Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung strafbar sein kann. Gegen die Anerkennung der Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven im Allgemeinen spreche, dass die Ehre aus der Personenwürde als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG) hergeleitet wird, mithin auf der Menschenwürde fußt, und dem Schutz der Persönlichkeitsentfaltung und -entwicklung diene. Zudem werde das Rechtsgut andernfalls abgewertet und bagatellisiert. Im Übrigen seien die strafwürdigen Fälle bereits durch die Grundsätze der Beleidigung Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung erfasst.

Dem entgegen halten Rspr. und wohl hL Kollektive für beleidigungsfähig. Dem ist in der Klausur in aller Regel zu folgen.Im Referendariat ist dies dringend anzuraten, da praxisgerechte Entscheidungen zu treffen sind. Aber auch im Studium und – im Besonderen – in der ersten juristischen Prüfung ist dies geboten. Nicht nur, weil dies seit geraumer Zeit der ständigen Rspr. entspricht (und es sich bei dem überwiegenden Teil der Prüfer:innen um Praktiker handelt), sondern insbesondere auch, weil man sich andernfalls die Prüfung der Beleidigung von Kollektiven abschneiden würde. Der Schutz sei in diesen Fällen, anders als bei Menschen, kein Ausfluss der Menschenwürde; das Rechtsgut weiche insoweit ab und schütze die öffentliche Anerkennung des betreffenden Kollektivs und seiner gesellschaftlichen Funktion.So dürfte sich der Gedanke des BVerfG, der sich auf eine kommunale Gebietskörperschaft bezog, auf übrige (privatwirtschaftliche) Personenverbände übertragen lassen. Dort heißt es: „Strafrechtlicher Ehrenschutz kann hier allerdings das Ziel verfolgen, dasjenige Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung zu gewährleisten, das erforderlich ist, damit die betroffenen staatlichen Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können.“ (BVerfG NJW 2006, 3769 [3771]). Begründet wird dies insbesondere damit, dass auch Kollektive – wie Menschen – einen sozialen Geltungswert haben können, der ebenfalls geschützt sei.Vgl. nur Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 3.

Im Hinblick auf die Begründung ihrer Beleidigungsfähigkeit und die Anforderungen gilt es zwischen den in § 194 Abs. 3 und 4 StGB ausdrücklich genannten Kollektiven und anderen Kollektiven zu unterscheiden:

  • (1) Kollektive gem. § 194 Abs. 3 und 4 StGB (Behörden, sonstige Stellen mit Verwaltungsaufgaben, Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts u. a.)

    Im Hinblick auf Kollektive iSd § 194 Abs. 3 und 4 StGB ergibt sich die Beleidigungsfähigkeit nach der Rspr. und wohl hL schon implizit aus der Formulierung „Richtet sich die Tat gegen eine Behörde […]“ (§ 194 Abs. 3 S. 2, 3 und Abs. 4 StGB – lesen!); hieraus lasse sich schließen, dass jene Kollektive selbst Tat-, mithin Schutzobjekt und damit auch Ehrträger sein können.AA insbesondere Fischer, JZ 1990, 68 ff., ders., StGB, 71 Aufl. (2024), Vor § 185 Rn. 14 f. Danach lasse die Formulierung keine Rückschlüsse auf die Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven zu. Vielmehr handele es sich lediglich um eine sprachlich missglückte verfahrensrechtliche Regelung, dessen Sinngehalt sich darin erschöpft, auch Dienstvorgesetzten bzw. Behördenleiter:innen das Recht zur Stellung eines Strafantrags einzuräumen, wenn eine Amtsträger:in im dienstlichen Zusammenhang beleidigt wird.

  • (2) Übrige Kollektive

    Sieht man §§ 194 Abs. 3, 4 StGB als abschließende Sonderregelung an, könnte man übrige Kollektive im Umkehrschluss als nicht beleidigungsfähig einstufen.So auch noch die frühere Rspr. (RGSt 3, 247; RGSt 68, 123) bis 1936 (RGSt 70, 140 ff.). Materiell ließe sich der weitergehende Schutz für die in §§ 194 Abs. 3, 4 StGB genannten Kollektive damit begründen, dass öffentlichen Institutionen und Stellen aufgrund der öffentlichen Funktion erhöhtes Ansehen zukommen, das besonderen Respekts bedarf.Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 428; Fischer, JZ 1990, 68 ff.

Rspr. und hL ziehen hingegen den gegenteiligen Schluss: Die Strafantragsregelungen seien Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, dass Kollektive schlechthin beleidigungsfähig seien. Grund für die gesonderte gesetzliche Regelung in §§ 194 Abs. 3, 4 StGB sei lediglich, dass es nur in Bezug auf derartige öffentliche (und ähnliche) Verbände der näheren Ausgestaltung des Strafantragsrechts bedarf.Eine entsprechende Regelung für privatrechtliche Kollektive – etwa Kapitalgesellschaften – sei im Übrigen entbehrlich, da sich das Strafantragsrecht bei diesen bereits aus den gesetzlichen Regeln – insb. des Gesellschaftsrechts, zB GmbHG, AktG – ergebe und der Gesetzgeber insoweit keinen Grund für eine Abweichung gesehen habe. Einen Grund für die Privilegierung der im Gesetz zitierten öffentlichen Verbände im Hinblick auf den Ehrenschutz gäbe es nicht,Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 2; Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 582. ein solches „Ehrenschutzmonopol“ der öffentlichen Hand sei im Gegenteil nicht zeitgemäß.Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, 17. Aufl. (2021), § 5 Rn. 497. Vielmehr sei im Grundsatz ein jedes Kollektiv aufgrund seines sozialen Geltungswerts in gleicher Weise schutzwürdig; das Wirken von Kollektiven in der Gesellschaft sei nur möglich, wenn ihre Tätigkeit nicht diskreditiert werde.Etwa Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), Vor § 185 Rn. 3; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 11.

Voraussetzungen der Anerkennung

Der soziale Geltungswert eines Kollektivs ist nach Rspr. und hL jedoch nur dann anerkennens- und schützenswert, wennAls weitere Voraussetzung verlangt ein TdL, dass das Kollektiv nicht vom Wechsel ihrer Mitglieder abhängig ist, vgl. Tenckhoff, JuS 1988, 458 f.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 185 Rn. 5. Dem in der Lehrbuchliteratur folgend Hohmann/Sander, BT, 4. Aufl. (2021), § 14 Rn. 4. das Kollektiv

  • eine rechtlich anerkannte Funktion in der Gesellschaft erfüllt, die auch wirtschaftlich sein kann,D. h. dass es sich nicht um eine soziale oder gemeinnützige Einrichtung handeln muss, sondern etwa auch Unternehmen oder Arbeitgeberverbände erfasst sind. und es

  • einen einheitlichen Willen bilden kann.BGHSt 6, 186; 36, 83 (88); OLG Frankfurt NJW 1989, 1367 u. a.

In der Rspr. bejaht für:

  • Bundeswehr (im Ganzen)So die Rspr. in BGHSt 6, 186, 189 ff.; OLG Frankfurt a. M. NJW 1989, 1367 und dem folgend die wohl hL, zB Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), Vor § 185 ff. Rn. 3; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 25; aA Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), Vor § 185 Rn. 12a; Hirsch, Ehre und Beleidigung, 1967, S. 112 ff.; Kett-Straub, ZStW 120 (2008), 759 (776 ff.).

  • Rotes KreuzGeppert, JURA 2005, 244 (245); Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 11.

  • Banken und (ggf.) andere KapitalgesellschaftenOLG Köln NJW 1979, 1723.

  • lokale Polizeiinspektionen und -einheiten, zB

    • die „Polizei Giesing“BayObLG BeckRS 2020, 35544 Rn. 26. (Polizeiinspektion 23, München-Giesing)

    • die Staatsschutzabteilung einer PolizeidirektionLG Mannheim NStZ-RR 1996, 360 (361); AG Weinheim NJW 1994, 1543 (1544). oder die

    • Beschwerde- und Festnahmeeinheit (BFE) einer lokalen Polizei.BVerfG BeckRS 2020, 38103. Dabei wurde ein T-Shirt mit der Aufschrift „FCK BFE“ getragen, wobei das Gericht den Begleitumständen nach davon ausging, dass sich die Aufschrift auf die lokale Einheit bezog – und nicht alle BFE-Einheiten deutschlandweit.

Die erste Voraussetzung für die Beleidigungsfähigkeit eines Kollektivs, wonach das Kollektiv eine rechtlich anerkannte Funktion in der Gesellschaft ausüben muss, ergibt sich bei privatrechtlichen Verbänden (AG, GmbH, Verein etc.) regelmäßig aus ihrem Zweck (Gesellschaftsvertrag, Satzung), bei staatlichen Institutionen aus ihrer Aufgabe, die regelmäßig dem Gesetz entnommen werden kann (zB Polizei: Gefahrenabwehr und Strafverfolgung).

Eine einheitliche Willensbildung, als zweite Voraussetzung der Beleidigungsfähigkeit, setzt im Wesentlichen gleich gelagerte Interessen und einen strukturierten Willensbildungsprozess voraus. Bei privatrechtlichen Verbänden setzt dies klare Strukturen und eine gewisse Homogenität von Geschäftszweck und -gebaren voraus. Bei staatlichen Institutionen gilt dies entsprechend in Bezug auf die staatliche Aufgabe; dies dürfte regelmäßig einen einheitlichen Behördenaufbau voraussetzen.Teilweise so auch Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (271).

Weiterführendes Wissen: Bedenklich ist, dass die Kriterien wenig trennscharf sind, die Ergebnisse der Rspr. oft beliebig anmuten oder aufgrund der mangelnden Trennschärfe unangemessen weit gehen.Kritisch etwa Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), StGB, Vor § 185 Rn. 25, 27; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), Vor § 185 Rn. 54. Das Kriterium der rechtlich anerkannten gesellschaftlichen Funktion wird teilweise so extensiv verstanden, dass nur Personenverbände mit rechtlich missbilligter Zielsetzung ausgenommen werden,Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), Vor § 185 Rn. 35. sodass die begrenzende Wirkung äußerst gering ist. Auch die Anforderungen an die (potenziell) einheitliche Willensbildung wurden durch die Rspr. – trotz der jahrzehntelangen Anwendung – nicht klar konturiert.Deutlich wird die Unklarheit des Maßstabs etwa am (sehr umstrittenen) Beispiel der Familie (dazu u. Nachweise nachfolgend): Selbstverständlich „kann“ eine Familie „einen einheitlichen Willen bilden“, da regelmäßig ein besonderer Zusammenhalt und ein gemeinschaftliches Interesse an gegenseitiger Unterstützung uÄ besteht (im Übrigen haben auch große Kollektive regelmäßig in mancherlei Hinsicht eine gleichgerichtete Interessenlage, etwa auch die verschiedenen Polizeiinstitutionen und deren Einheiten). Freilich existieren in Kollektiven in aller Regel auch gegenläufige Interessen – bei Familien etwa, dass Kinder mehr Freiheit beanspruchen und Eltern dem Grenzen setzen müssen. Und auch die grundsätzliche Annahme, dass just diese Kriterien einen hinreichenden sozialen Geltungswert eines Kollektivs zu begründen vermögen, der die Schwelle zur (strafrechtlichen) Schutzwürdigkeit überschreitet, erscheint keineswegs zwingend.

Die Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven ist abzulehnen für:

  • Die deutsche Polizei oder die Polizei weltweit (daher auch undifferenzierte Äußerungen in Bezug auf „Cops“, wie sie in „ACAB“/„FCK CPS“BVerfG NJW 2015, 2022. enthalten sind) (Grund: keine einheitliche Willensbildung, da eine „Vielzahl von polizeilichen Einrichtungen in Bund und Ländern […], die sich in Aufgabenstellung, Bedeutung und Organisation erheblich voneinander unterscheiden.“ BayObLG NJW 1990, 1742. Weiter heiß es dort: „Daher gibt es für die Polizei als Gesamtheit keine übergreifende, alle Einrichtungen umfassende Organisationsstruktur mit einem einheitlichen Träger politischer oder verwaltungsmäßiger Verantwortung.“).

  • Kegelklub, Stammtischrunde (Grund: keine gesellschaftliche Funktion, sondern rein geselligWessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 426; Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 584. bzw. allenfalls sehr eingeschränkte einheitliche WillensbildungIn diese Richtung auch Hoyer/Momsen, in : Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, BT 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 20.)

  • ChristenLG Köln MDR 1982, 771. (Grund: keine einheitliche Willensbildung, u. a. da keine einheitliche Institution)

  • StudierendeRengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28, Rn. 11. (Grund: keine einheitliche Willensbildung, da heterogene Gruppe)

  • (deutsche) Richter:innenGeppert, JURA 2005, 244 (245); Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 11. (Grund: keine einheitliche Willensbildung, da unterschiedliche Anstellungskörperschaften)

  • (konkret benannte) Familien (umstr.) (Grund: keine einheitliche Willensbildung;Mit dieser Begründung Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 582 und Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (271); ebenfalls ablehnend BGHSt 6, 186, 192; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 185 Rn. 5; aA Otto, Grundkurs StrafR, 7. Aufl. (2005), § 31 Rn. 18; Arthur Kaufmann, ZStW 72 (1960), 441; Welzel, MDR 1951, 501. es dürfte jedoch stets eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung vorliegen)

Klausurtaktik: Für die Klausur ist es besonders bedeutsam, die Ansicht der hM/Rspr., insbesondere auch die Definition der zwei Kriterien, fehlerfrei zu beherrschen (und nicht mit denen der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu verwechseln; dazu nachfolgend). Zudem muss unter diese Kriterien zumindest knapp subsumiert werden (was in Klausurlösungen oft fehlt).

Wird die Beleidigungsfähigkeit eines Kollektivs abgelehnt, ist stets zu bedenken, dass trotzdem eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung (des Einzelnen) in Betracht kommt und daher zu prüfen ist.

Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung

Auch bei der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung bezieht sich die Äußerung sprachlich auf das Kollektiv. Der rechtliche Anknüpfungspunkt ist jedoch ein anderer: Es geht nicht um die (Ehr-)Verletzung des Kollektivs selbst, sondern darum, ob die (dahinterstehenden) einzelnen kollektivangehörigen Menschen beleidigt werden.

Beispiel (Grundfall): Mehrere Polizist:innen halten den Wagen des A an und verlangen Führerschein und Fahrzeugpapiere. Beim Losfahren nach der Kontrolle ruft der A „Drecksbullen“ aus dem Fahrzeugfenster.

Klausurtaktik: Um den Unterschied zwischen der Kollektivbeleidigung (wo sich die Frage nach der Beleidigungsfähigkeit des Kollektivs selbst stellt) und der Beleidigung von Einzelnen unter einer Kollektivbezeichnung deutlich zu machen, sind beide Prüfungspunkte deutlich zu trennen.

Anders als die bereits im Ansatz umstrittene Beleidigung von Kollektiven ist die Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung allgemein anerkannt.Zur Beleidigung von Kollektiven → Rn. 28 ff. Es kann nämlich keinen Unterschied machen, ob ein einzelner Mensch („Du Arschloch“), mehrere gemeinsam („Ihr Arschlöcher“ – Sammelbezeichnung) oder der Personenkreis im Verbund adressiert wird („Arschlochhaufen“ – Kollektivbezeichnung); im letztgenannten Fall ist der Einzelne lediglich aus seiner Zugehörigkeit zum Kollektiv abzuleiten. Eine Ableitung auf den Einzelnen ist indes nicht möglich, wenn sich eine Äußerung ausschließlich auf das Kollektiv bezieht.Momsen, in: Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 15. Dies kommt insbesondere bei der Verunglimpfung staatlicher Institutionen oder Wirtschaftsunternehmen in Betracht.Wenn ein Kollektiv – trotz Ableitung der Ehrverletzung auf Individuen – im Zentrum der Kritik steht, dann bezieht sich die Kritik idR im Kern auf öffentliche Angelegenheiten und/oder den Staat. Da hieraus ein besonderes Gewicht der Meinungskundgabe folgt, kann dies ggf. einen Rechtfertigungsgrund darstellen (§ 193 StGB), jedenfalls aber die Strafzumessung zu Gunsten des Täters beeinflussen. Die Rechtsprechung interpretiert jedoch auch allein an Kollektive adressierte Äußerungen – kontextbezogen implizit oder explizit – regelmäßig zugleich als Angriffe auf die Kollektivangehörigen.

Die Strafbarkeit der Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung setzt nach hM im Grundsatz die klare Umgrenzung und zahlenmäßige Überschaubarkeit des Personenkreises voraus. Die Subsumtion unter diese Kriterien erfordert es regelmäßig, die Anzahl der Kollektivangehörigen zu konkretisieren, indem zumindest die Größenordnung umrissen wird, wobei die adressierten Ehrträger zuvor ggf. zu ermitteln sind (s. bereits → Rn. 19 ff.).

Klare Umgrenzung

Die Formulierung der Rspr., dass „die Personengruppe so deutlich aus der Allgemeinheit heraustritt, dass der Kreis der Einzelpersonen klar umgrenzt istBGHSt 2, 38 (39 f.); 11, 207 (208); 36, 83 (85 f.)., hat weitgehend Anerkennung gefunden. Diese Voraussetzung soll gewährleisten, dass die Zuordnung des Einzelnen zum Kollektiv feststeht.BGHSt 2, 38. Fehlt es daran, dann führt dieser Zuordnungszweifel dazu, die ehrverletzende Wirkung zumindest erheblich zu senken.

Nach Entscheidungen in der Rspr. soll eine klare Umgrenzung etwa bei den folgenden Personenkreisen abzulehnen sein:

  • „an der Entnazifizierung Beteiligte“BGHSt 2, 38 (39).

  • „Kaufleute“Hoyer/Momsen, in: Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 15.

  • „Akademiker“BGHSt 11, 207 (209).

  • „Protestanten“BGHSt 11, 207 (209). (zweifelhaft)

  • „Katholiken“BGHSt 11, 207 (209). (zweifelhaft)

  • „Homosexuelle“/„in Partnerschaften lebende Homosexuelle“/„in lesbischen Partnerschaften aufwachsende Kinder“OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2022, 181 f. (sehr zweifelhaft)

Weiterführendes Wissen: Jedenfalls wenn – trotz Begriffsunsicherheit in den Randbereichen – im Einzelfall feststeht, dass eine Person dem ehrverletzten Personenkreis angehört, erscheint es verfehlt, dieser Person den Strafrechtsschutz mit Verweis auf das Kriterium der mangelnden Umgrenzung des Kollektivs zu versagen.Otto, Grundkurs StrafR, 7. Aufl. (2005), § 31 Rn. 11; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 7a. So dürfte etwa ein katholischer Priester unzweifelhaft „den Katholiken“ unterfallen. Insofern besteht in Bezug auf diese Person gerade keine Unsicherheit, die eine Straflosigkeit rechtfertigt. Mit dieser Begründung ist es bei Personen „im unzweifelhaften Kern“ Androulakis, Die Sammelbeleidigung, 1970, S. 46. eines Kollektivs daher – entgegen der Definition der Rspr. – gut vertretbar, auf das Kriterium der klaren Umgrenzung ausnahmsweise zu verzichten.

Zahlenmäßige Überschaubarkeit

Teile der Literatur und der Rspr. verlangen ferner eine „zahlenmäßige Überschaubarkeit“ des Kollektivs.BayObLG JZ 1990, 348; Eisele, BT 1, 6. Aufl. (2021), Rn. 587; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 7b; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 10. Auch wenn dieses Kriterium wenig trennscharf ist,Daher kritisch BGHSt 36, 83 (85 ff.). überzeugt es vor dem Hintergrund, dass die individuelle Betroffenheit des einzelnen Kollektivangehörigen umso schwächer ist, je größer der Personenkreis ist. Die Ehrverletzung des Einzelnen verliert sich mithin regelmäßig in der Masse und schlägt nicht mehr – jedenfalls mit strafrechtswürdigem Gewicht – auf die persönliche Ehre eines Individuums durch.BVerfG NJW 2015, 2022 (2023). Dies beruht auch darauf, dass es bei „Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder [geht], sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion […]“.BVerfG NJW 2015, 2022 (2023). Neben die geringere Betroffenheit der Ehre des Einzelnen tritt demnach regelmäßig auch ein größeres Gewicht der Meinungsfreiheit des Äußernden. Bei Kritik an der öffentlichen Gewalt gilt dies in besonderem Maße, da diese zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört.

Vertiefung: Das Erfordernis zahlenmäßiger Überschaubarkeit soll Konstellationen ausschließen, bei denen das Unrecht signifikant gesenkt ist, weil die grundrechtlichen Koordinaten auf Täter- und Opferseite sich verschieben: Der Ehrträger ist weniger schwer in seiner Ehre betroffen und der Meinungsfreiheit des Äußernden kommt ein größeres Gewicht zu. Tritt diese typische Verschiebung jedoch ausnahmsweise nicht ein, ist eine Rückausnahme geboten. Das ist in Umkehrung der Argumentation der Rspr. der Fall, wenn sich eine Ehrverletzung trotz größeren Personenkreises gerade nicht in der Masse verliert und jeder Einzelne gleichwohl individuell betroffen ist.In diese Richtung auch BGHSt 36, 83 (86) in Bezug auf Soldaten (wobei mE für Soldaten und bei Berufsbezug im Allgemeinen abzulehnen); ähnlich ferner Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, 17. Aufl. (2021), § 5 Rn. 474 in Bezug auf rassistisch geprägte Herabsetzungen. Dies ist mE dann der Fall, wenn sich eine Äußerung nicht lediglich auf bestimmte Verhaltensweisen bezieht oder den Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion betrifft, sondern vielmehr persönlichkeitsprägende Merkmale eines jeden Gruppenangehörigen diffamiert – wie insbesondere bei körperlichen, geschlechtlichen, ethnischen oder religiösen Merkmalen der Fall (zB Behinderte als „lebensunwerter Gendreck“; Frauen sind „nur zum Ficken da“; „Türken gehören in die Gaskammer“ etc.); dies gebietet auch die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen (Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 1 GG).

Individualisierung eines Teils des Kollektivs

Wenn der (oft in einem Schriftzug) explizit adressierte Personenkreis die Voraussetzungen nicht erfüllt, er also nicht klar umgrenzt oder zahlenmäßig nicht überschaubar ist, ist in einem zweiten Schritt zu erwägen, ob die Äußerung den Umständen nach in besonderer Weise auf – typischerweise ortsanwesende – Einzelne oder einen Teil der Gruppe bezogen wird, diese also „individualisiert“ werden.Es spielt nach allgemeinen Grundsätzen keine Rolle, ob die Individualisierung für den betroffenen Personenkreis selbst erkennbar ist oder die Individualisierung gegenüber Dritten erfolgt. Insofern ist es nicht nur tatbestandsmäßig, Polizist:innen ein ehrverletzendes Banner zu präsentieren, sondern auch, dieses (für die Polizist:innen nicht erkennbar) anderen Demonstranten zu zeigen und – etwa durch einen Fingerzeig – deutlich zu machen, dass jene Polizist:innen gemeint sind. Besonders relevant ist die Individualisierung von Polizist:innen, gerade im Kontext von Menschenansammlungen.

Beispiel: Auf einer Demonstration trägt A einen Schal mit dem Aufdruck „Fuck Cops“ um den Hals. Als ihm eine Gruppe von Polizist:innen entgegenkommt, hebt A den Schal hoch und streckt ihn der Gruppe entgegen.

Beim Skandieren von Parolen, Heben von Bannern, Tragen von Bekleidung, Taschen oder Ansteckern ehrverletzenden Inhalts ist der Äußerungsinhalt unter Auswertung des gesamten Kontextes dahin zu untersuchen, ob die äußernde Person über die Gesamtgruppe hinaus einen Teil der Gruppe in besonderer Weise adressiert. Ist das der Fall, werden die Voraussetzungen (der klaren Umgrenzung und zahlenmäßigen Überschaubarkeit) regelmäßig auf der Hand liegen.

Beispiele der Individualisierung anwesender Polizeibeamt:innen:

  • Das Rufen/Äußern von „ACAB“ bei gleichzeitigem Fingerzeig auf eine (im konkreten Fall: einen Unfall aufnehmende) Polizist:inOLG Stuttgart NStZ-RR 2009, 50 (in Bezug auf AG Waiblingen Urt. v. 11.3.2008 – 2 Ds 46 Js 114850/07 jug [unveröffentlicht]). individualisiert diese

  • Das Aufsuchen eines polizeifrequentierten Ortes mit Kleidungsstücken (zB Hose,BVerfG, Beschl. v. 17. Mai 2016 – 1 BvR 257/14, juris. T-ShirtOLG Nürnberg NStZ 2013, 593. oder PulloverBVerfG, Beschl. v. 8. Dezember 2020 – 1 BvR 842/19, juris.), Accessoires (zB Tasche/Beutel,BVerfG NJW 2017, 2607. AnsteckerBVerfG NJW 2015, 2022.) oder Tattoos allein führt zu keiner Individualisierung der ortsanwesenden Beamt:innen, auch wenn gewiss war, dass sie dort sein werden und den Schriftzug lesen könnenOLG Nürnberg NStZ 2013, 593.

    • Es sei denn, der Schriftzug wird bestimmten Beamten vorgehalten, freigelegt oder sonst in besonderer Weise sichtbar gemacht, etwa bei einem „ostentativen Paradieren“.BVerfG NJW 2017, 2607.

  • Die Verweigerung, ein Kleidungsstück zu verdecken oder Accessoire abzunehmen, individualisiert die auffordernde Beamt:in nicht

  • Das Hochhalten eines Banners (ACAB) in einem StadionBVerfG NJW 2016, 2643. individualisiert die im Stadion anwesenden Beamten jedenfalls dann nicht, wenn das Spiel im Fernsehen übertragen wird, da ein jeder – deutschlandweit/weltweit – dies im Fernsehen verfolgen kannZöller, ZJS 2013, 102. (sofern keine weiteren individualisierenden Umstände hinzutreten, zB aufgrund des Schriftzugs des Banners)

  • Ein T-Shirt des Inhalts „Fuck BFE“ (s. dazu oben → Rn. 24) kann sich insofern den Umständen nach auch auf die lokale BFE-Einheit (und nicht BFE-Einheiten deutschlandweit) beziehen, wenn sich dies etwa aus dem Kontext – zB einer vorherigen Auseinandersetzung – ergibtBVerfG BeckRS 2020, 38103.

Bei der Ehrverletzung staatlicher Akteure ist stets (im Rahmen der Rechtswidrigkeit) zu erörtern, ob die Ehrverletzung unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik von der Meinungsfreiheit gedeckt und daher nach § 193 StGB gerechtfertigt ist (näher → Rn. 100 ff.).

Prüfungsschema: Beleidigung von Polizist:innen („ACAB-Fälle“ uÄ)

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Äußerung von Missachtung, Nichtachtung und Geringschätzung

aa) ggf. Auslegung des Inhalts der Äußerung: zB ACABBVerfG NJW 2016, 2643; Bsp. Auslegung des Akronyms „ACAB“: Reinhart, ZJS 2013, 493 (498); Zöller, ZJS 2013, 102 (105).; all cats are beautifulBVerfG NJW 2017, 2607; mAnm Pest, StV 2019, 80.; FCK CPSBVerfG NJW 2015, 2022.; FCK BFEBVerfG BeckRS 2020, 38103. → insb. ACAB: allgemein bekanntes Akronym für „all cops are bastards“

bb) Ehrverletzender Inhalt:

bzgl. ACAB: „Bastard“ (unabhängig vom WortursprungUneheliches Kind eines Adligen, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bastard.) heute allgemeingültiger Ausdruck von Abwertung; andere Deutungsmöglichkeiten der Buchstabenabfolge werden kontextbezogen idR fernliegend

ggf. keine hinreichende „Schärfe“ der Äußerung (insb. bei Sachbezug): zB „You are completely crazy“OLG München, Beschl. v. 6. November 2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris. oder Bezeichnung als „Flitzpiepen“OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22. Mai 2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris. bei einer (fragwürdigen) polizeil. PersonalienfeststellungUnprobl. ehrverletzend zB: Polizei als „Dreckspack“ (BayObLG BeckRS 2020, 35544).

b) Ehrträger und passive Beleidigungsfähigkeit

aa) Betroffener Ehrträger:

(i) Polizei als Institution oder (ii) jede einzelne Polizist:in oder (iii) bestimmte – im konkreten Fall individualisierte (anwesende) – Polizist:innen

  • „all cops (are bastards)“: Formulierung zufolge (alle) individuellen Polizist:innen und nicht PersonengesamtheitZöller, ZJS 2013, 102 (105) (Anm. zu OLG Karlsruhe, Urt. v. 19. Juli 2012 – 1 (8) Ss 64_12 – AK 40/12).; bei verständiger Auslegung jedoch (zugleich) Kollektiv

  • „FCK BFE“/“Fuck the Police“ umgekehrt → Wortlaut: (nur) Kollektiv/Institution, (kontextbezogen idR) zugleich individuelle Polizist:innen

→ folglich: Beleidigung des Kollektivs kommt idR (nach Äußerungsinhalt) in Betracht

bb) Beleidigungsfähigkeit der Polizei als Kollektiv

eA nur Menschen, weil Ehre aus APR/Menschenwürde herzuleiten

hM/Rspr. nach Wortlaut § 194 Abs. 3 S. 2, 3, Abs. 4 StGB („Richtet sich die Tat gegen eine Behörde…“) auch Kollektive beleidigungsfähig, da Ausdruck allg. Rechtsgedankens, sodass Kollektive allgemein erfasst, da ihnen ein sozialer Geltungswert zukommt; dieser ist unter bestimmten Voraussetzungen schützenswert

Voraussetzungen für Schutz sozialen Geltungswerts eines Kollektivs (nach Rspr.):

(1) anerkannte gesellschaftliche Rolle: unproblematisch (+) bei Polizei

(2) einheitlichen Willen bilden können: Polizei insgesamt (-), wegen unterschiedlicher Aufgaben und organisatorischer Trennung; hingegen zB: Polizei Giesing (+); lokale BFE-Einheit (+)

cc) Beleidigung einzelner Polizist:innen unter einer Kollektivbezeichnung

→ Voraussetzungen (nach hM):

(1) klare Abgrenzung – damit Zuordnung des Einzelnen zum Kollektiv feststeht

(2) überschaubare Gruppe – je größer Personenkreis, umso schwächer Einzelner betroffen (ab Unüberschaubarkeit nach hM nicht mehr strafwürdig)

→ für Überschaubarkeit entscheidend: Welche Ehrträger im Einzelfall adressiert?

(a) Auslegung der Äußerung: ACAB grds. „alle“ Polizisten welt-/deutschlandweit – dann Überschaubarkeit (-); ggf. nach Umständen alle eingesetzten Polizist:innen (zB T-Shirt „FCK BFE“ – je nach Umständen BFE-Einheiten deutschlandweit oder lokale BFE-EinheitSo im Fall BVerfG BeckRS 2020, 38103.) → Überschaubarkeit (+/-)

Zwischenergebnis: wenn (-), weil unüberschaubarer Kreis, dann

(b) ggf. (P) „Individualisierung“, d. h. Äußerungsinhalt den Umständen nach auf einen – anwesenden – Teil der Gruppe bezogen: Fingerzeig auf Schriftzug, Vorzeigen, Freilegen, In-die-Richtung-halten, „ostentatives Paradieren“ etc. in Bezug auf bzw. ggü. Beamten

→ Individualisierung (+) → überschaubare Gruppe (+) → Beleidigung unter Kollektivbezeichnung regelmäßig (+)

4. Kundgabe

Beachte: wenn eine Äußerung erst durch die Individualisierung strafbar ist (was insb. bei ACAB-Schriftzügen der Fall ist, da diese für sich genommen einen unüberschaubaren Personenkreis betreffen), dann liegt erst in der Individualisierung die Kundgabe des (hierdurch eng geführten) ehrverletzenden Inhalts. Der Kundgabeerfolg erfordert daher, dass der „Akt“ der Individualisierung (zB das Freilegen des Schriftzugs) von einer Person – Polizist:in selbst oder einem Dritten, zB Demoteilnehmer:in – wahrgenommen wird.

2. Subjektiver Tatbestand (idR unproblematisch)

III. Rechtfertigung

§ 193 StGB (verkürzt; näher→ Rn. 100 ff.); Angemessenheit:

- grds. Abwägung: Meinungsfreiheit vs. Ehre;

- Abwägung idR nicht verzichtbar, da keine Schmähkritik und Formalbeleidigung

- Abwägung: auch unter Gesichtspunkt der „Machtkritik“ regelmäßig nicht gerechtfertigt

IV. Strafantrag

ggf. zusätzliches Antragsrecht relevant, § 194 Abs. 3 StGB

Äußerung von Missachtung, Nichtachtung und Geringschätzung

Die Ehrverletzung liegt in der Äußerung eigener Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung, indem der betreffenden Person der (ethische, personale oder soziale) Geltungswert abgesprochenBayOblG NJW 2005, 129. und dadurch ihr Achtungsanspruch verletzt wird.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 2.

Beispiele:

Ethischer Geltungswert: „asozialer Typ“, „Halsabschneider“

Personaler Geltungswert: „Vollhorst“, „hässlich wie die Nacht“

Sozialer Geltungswert: Arzt als „Pfuscher“

Form der Ehrverletzung: Werturteil oder Tatsachenbehauptung

Die Ehre kann nach § 185 StGB einerseits durch ein ehrverletzendes Werturteil (gegenüber dem Betroffenen oder Dritten) verletzt werden, andererseits durch eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung (gegenüber dem Betroffenen) (→ Rn. 12).

Die Abgrenzung der Kategorien innerhalb des § 185 StGB ist bedeutsam, weil die hM für eine Beleidigung durch eine Tatsachenbehauptung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Behauptung unwahr ist. Im Übrigen kann die Bestimmung bereits für die Identifizierung des einschlägigen Delikts entscheidend sein, da für Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten die §§ 186, 187 StGB anwendbar sind.

Klausurtaktik: Die Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung ist lediglich in Grenzfällen im Gutachtenstil vorzunehmen: In klaren Fällen genügt die kurze Feststellung (unter Wiedergabe der Definition, sog. erweiterter Feststellungsstil).

Ein Werturteil ist eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (und damit Ausdruck von Subjektivität) ist.Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 29 Rn. 3. Eine Tatsache ist ein vergangenes Ereignis, ein Vorgang oder Zustand, der dem Beweis zugänglich ist.Hoyer/Momsen, in: Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT 1, 11. Aufl. (2019), § 25 Rn. 23. Die Definition der Tatsachenbehauptung iRd Ehrdelikte kann gegenüber ihrer Entsprechung in Bezug auf § 263 StGB verkürzt werden, da die übrigen Aspekte hier keine Relevanz haben.

Zentrales Abgrenzungskriterium ist, ob die Äußerung dem Beweis zugänglich ist – bejaht man dies, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung, andernfalls um ein Werturteil. Die im Grundsatz klare Unterscheidung ist praktisch mitunter schwierig, da Äußerungen oft sowohl tatsächliche als auch wertende Elemente enthalten.

Teile einer Äußerung sind getrennt zu behandeln und zu prüfen, wenn die tatsächlichen und wertenden Elemente sich trennen lassen, ohne dass der Sinn verfälscht wird.BVerfG, Urt. v. 22. Juni 1982 – 1 BvR 1376/79; Beschl. v. 29. Juni 2016 – 1 BvR 2732/15. Stehen sie jedoch in einem inneren Zusammenhang und ergänzen sie sich, dann sind sie einheitlich zu untersuchen.Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 3.

Beispiel 1: „Dieser Kinderschänder hat letzte Woche an diesem Spielplatz ein Kind gefragt, ob es mit ihm nach Hause kommt, um es zu missbrauchen“

einheitliche Äußerung (hier: Tatsachenbehauptung), da die Bezeichnung als Kinderschänder mit den behaupteten Missbrauchsplänen zusammenhängt.

Beispiel 2: „Dieser Kinderschänder hat letztens meinen Nachbarn 200 Euro gestohlen, als er kurz sein Portemonnaie im Garten liegen ließ“

Werturteil + Tatsachenbehauptung, da die wertende Bezeichnung als Kinderschänder in keinem Zusammenhang mit dem behaupteten Diebstahl steht.

Lassen sich tatsächliche und wertende Elemente einer Äußerung nicht trennen, ist für die Zuordnung maßgeblich, welcher Teil bei der Betrachtung des Gesamtinhalts der Äußerung überwiegt und ihn prägt.OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 15374 nimmt die Abgrenzung ausführlich und wohlbegründet vor und kann daher als Lehrbeispiel dienen. Bezieht sich eine Äußerung erkennbar auf ein tatsächliches Geschehen, liegt eine Tatsachenbehauptung auch dann vor, wenn sie von (Ab-)Wertungen (oder einem wenig gewichtigen bzw. inhaltlich korrespondierendem Schimpfwort) begleitet werden.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 4. Ist der Tatsachenkern der Äußerung jedoch substanzarm,KG NStZ-RR 2013, 8 (9); OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 15374. wird nur pauschal auf ihn Bezug genommen (wie im Beispiel 2 bzgl. der Bezeichnung als Kinderschänder) oder wird ein tatsächliches Geschehen nur zum Anlass für Abwertungen genommen,BGHSt 12, 287 (292); BayObLG NStZ 1983, 126 (127). dann ist die Äußerung insgesamt als Werturteil zu qualifizieren.Durch die Qualifikation als Werturteil fällt eine Äußerung erst unter den Schutz der Meinungsfreiheit und damit des Grundgesetzes, sodass im Zweifelsfall auch der wirksame Grundrechtsschutz für jene Einordnung streitet, vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 1. Dezember 2005 – 1 BvR 2/01, Rn. 28; Beschl. v. 21. März 2007 – 1 BvR 2231/03, Rn. 21; Beschl. v. 9. Oktober 1991 – 1 BvR 1555/88, Rn. 46; Beschl. v. 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05, Rn. 21; Beschl. v. 13. April 1994 – 1 BvR 23/94, Rn. 29; BGH, Urt. v. 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, Rn. 8; Urt. v. 28. Juli 2015 – VI ZR 340/14, Rn. 24. Grundsätzlich gilt: Je konkreter die Tatsache in der (einheitlichen) Äußerung ausgedrückt wird, desto eher ist sie als Tatsachenbehauptung anzusehen – je allgemeiner sie gehalten ist, desto eher ist sie ein Werturteil.Vgl. BGHSt 12, 291. Dabei ist zwingend der Gesamtzusammenhang der Äußerung zu berücksichtigen.BVerfG BeckRS 2016, 49397; KG BeckRS 2019, 43861. Eine wortgleiche Äußerung kann in einem Kontext ein Werturteil sein, in einem anderen eine Tatsachenbehauptung. Lässt sich eine (mehrdeutige) Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung verstehen, ist sie im Zweifel als Werturteil zu behandeln.Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 5.

Beispiele:

  • Bezeichnung eines Polizeibeamten (,,Spitzel“), der als Zivilbeamter eine Demonstration in Zivil beobachtetBayObLG NStZ 2005, 215.Werturteil

    • Grund: wertendes Element überwiegt ggü. tatsächlichem Gehalt

  • Vorwurf der „Rechtsbeugungggü. RichterFischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 186 Rn. 3a; s. auch BayObLG, Beschl. v. 4. Juli 2022 – 202 StRR 61/22, juris. Werturteil

    • Grund: pauschale Äußerung (anders, wenn zugleich tatsächliches Geschehen benannt wird, aus dem ein konkreter Vorwurf abgeleitet werden kann)Gaede, Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), Vor §§ 185 ff. Rn. 5.

  • Im Zusammenhang mit dem Vorwurf eines Prozessbetruges getätigte Äußerung, dass der Prozessgegner ,,kriminell“ seiBayObLG NJW 2001, 1511; zur Bezeichnung eines Staatsanwalts als „Krimineller“ auch KG BeckRS 2019, 43861 (ebenfalls als Werturteil qualifiziert).Werturteil

    • Grund: verkürzte – in tatsächlicher Hinsicht substanzarme – Wertung in Bezug auf den Vorwurf; Bezeichnung als „kriminell“ geht über die Kritik am konkreten Tatvorwurf des Prozessbetruges hinausBayObLG NJW 2001, 1511 (1512): „Hat der Angeklagte den Vorwurf des versuchten Prozeßbetrugs somit erkennbar auf einen Sachverhalt gestützt, so hat er mit dem zusammenfassend wertenden Urteil ‚kriminell‘ lediglich verkürzt einen Sachverhalt umschrieben. Damit hat er im Ergebnis ein tatsachenbezogenes negatives Werturteil aufgestellt, das in Anbetracht des zugrunde liegenden (unterstellt erweislich wahren) Sachverhalts jedoch nicht mehr angemessen bzw. adäquat ist (Wertungsexzeß […]). Ist der Grad der Unangemessenheit – wie hier – erheblich (‚kriminell‘ statt beispielsweise ‚strafbar‘), erhält das ehrverletzende Werturteil ein eigenes Gewicht, weil es sich von der Kritik des versuchten Prozessbetrugs deutlich absetzt, und ist nach dem Auffangtatbestand der Beleidigung iSd § 185 StGB zu beurteilen.“

  • Äußerung, dass ein „Arzt in seiner Praxis rechtswidrige Abtreibungen“ vornehmeOLG Karlsruhe NJW 2005, 612 (613).Tatsachenbehauptung

  • Pauschale Bezeichnung als „alter NaziOLG Düsseldorf NJW 1970, 905.Werturteil (wenn jedoch in Beschreibung konkreter Involvierung im Nationalsozialismus eingebettet → Tatsachenbehauptung)

  • Pauschale Bezeichnung als „Alkoholiker“ („Der Widerstand setzte sich hauptsächlich aus Alkoholikern, Piratenpartei-Anhängern […] und Berufsantifaschisten zusammen“KG NStZ-RR 2013, 8.) → Werturteil

    • Grund: „so substanzarm […], dass [der tatsächliche Gehalt der Äußerung], mag der Tatsachenkern auch erkennbar sein, gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt“.KG NStZ-RR 2013, 8.

  • Bezeichnung eines AfD-Politikers als „erklärten Antisemit“ u. a. in Bezug auf Äußerungen wie „Es ist heute nicht einmal mehr möglich zu fragen, ob sechs Millionen Juden in den KZ umgekommen sind oder ob es vielleicht doch nur viereinhalb Millionen waren.“OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 15374; zur Bezeichnung von Xavier Naidoo als Antisemiten OLG Nürnberg BeckRS 2019, 27333.Werturteil

    • Grund: „Ob jemand ein Antisemit ist, lässt sich nicht durch eine Beweisaufnahme klären. Allenfalls könnte man sich so der inneren Geisteshaltung der Person nähern. Am Ende stünde aber stets eine Bewertung dieser Geisteshaltung danach, ob [...] die Person als ‚Antisemit' bezeichnet werden kann.“OLG Karlsruhe GRUR-RS 2021, 15374; s. auch OLG Nürnberg BeckRS 2019, 27333.

„Eigener“ Angriff auf die Ehre

Täterschaftlich strafbar ist allein der „eigene“ Angriff auf die Ehre, nicht hingegen die Wiedergabe fremder Äußerungen.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 1; Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 42; Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 185 Rn. 4.

Beispiel: „Der A hat mir gesagt, dass Du ein Arschloch seist.“ (nicht strafbar)

Als strafbare eigene Äußerung von Missachtung, Nichtachtung und Geringschätzung ist es hingegen zu werten, wenn sich der Äußernde die fremde Aussage „zu eigen macht“. Relevant und umstritten ist dies beim Liken und Teilen in sozialen Netzwerken.Umfassend mit umfangreichen Nachweisen Eckel/Rottmeier, NStZ 2021, 1 (3 ff.).

Weiterführendes Wissen: Ein ZueigenmachenNach der Rspr. ist hierzu erforderlich, dass die Person „sich erkennbar mit dem Äußerungsinhalt identifiziert und ihn derart in den eigenen Gedankengang einfügt, dass jener insgesamt als eigener erscheint“ (BGH NJW 2014, 2029, 2031 mwN). – und damit die Strafbarkeit – wird beim Liken von beleidigenden Inhalten teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass es sich nicht um eigenständige Gedankengänge handele,Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 1; König/Stang, in: MAH UrhR, 2. Aufl. (2017), § 31 Rn. 66; Krischker, JA 2013, 488 (490); Schulte/Kanz, ZJS 2013, 24 (26 f.). teilweise damit, dass der Like lediglich ein Hinweis auf einen Beitrag sei.Burr, NZA-Beilage 2015, 114 (116). In einem Like ist jedoch regelmäßig ein Zueigenmachen zu erblicken, da es als ausreichend anzusehen ist, sich mit dem Inhalt zu identifizieren und diesen (gegenüber den eigenen Abonnent:innen, Follower:innen etc.) weiterzuverbreiten,Es kommt jedoch, wie stets, auf den Einzelfall an. So dürfte etwa der Disclaimer in Twitter-Profilen „retweet ≠ endorsement“ einem Zueigenmachen entgegenstehen. was bei einem Like in aller Regel anzunehmen ist. Die digitale Weiterverbreitung dürfte der wörtlichen affirmativen Wiederholung des Inhalts gleichstehen. Folgt man dem, stellt sich die (umstrittene) Folgefrage, ob es sich um Täterschaft oder Beihilfe handelt. Da der Aussageinhalt durch einen Like nicht verändert werden kann, dürfte es sich um die Unterstützung einer fremden Aussage, mithin Beihilfe, handeln.Dies ist umstritten; näher Eckel/Rottmeier, NStZ 2021, 1 (3 ff.) mwN.

Ehrverletzender Inhalt eines Werturteils

Ob eine Äußerung ehrverletzend ist, richtet sich nach ihrem objektiven Sinngehalt aus der Sicht eines verständigen Dritten unter Beachtung der Begleitumstände. Bei der Sinnermittlung haben alle Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung zu finden, wie der Anlass (zB Kritik), der sprachliche Zusammenhang, der situative Kontext (zB „ad hoc in hitziger Situation“ oder „mit Vorbedacht“ [zB schriftlich];BVerfG NJW 2020, 2622 (2626); BVerfG NStZ 2022, 734 (735). auf dem „Bau“), die Beziehung der Personen zueinander (zB enge Freunde oder Verhältnis Angestellte:r/Chef:in), deren üblicher Umgangston, die soziale Schicht, das Ausdrucksvermögen und das Alter der Beteiligten (zB Jugendsprache). Gegebenenfalls bedarf es auch der Entschlüsselung von Codes/Abkürzungen (zB ACAB). Die Frage der Ehrverletzung hängt auch von der „Schärfe“BVerfG NJW 2009, 3016 (3018). der Begriffswahl ab. Diese richtet sich auch danach, ob lediglich bestimmte Tätigkeiten oder Verhaltensweisen adressiert werden (Bezeichnung eines Richters als „eklig parteiischem Amtsrichter“BayObLG, Beschl. v. 4. Juli 2022 – 202 StRR 61/22 – wobei auch in diesem Fall eine Ehrverletzung angenommen wurde.) oder die Person selbstBVerfG NJW 2009, 3016 (3018). (Bezeichnung eines Richters als „menschlichem Abschaum“BayObLG BeckRS 2022, 10408.).

Insofern kann die gleichlautende Aussage in einem Fall ehrverletzend sein, im anderen nicht. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen nicht-beleidigende Deutungsvarianten nachvollziehbar ausgeschlossen werden.St. Rspr. etwa BVerfG NStZ 2001, 640; BVerfG NJW 2002, 3315. Nicht ausreichend sind in jedem Fall Unhöflichkeit, Takt- und DistanzlosigkeitOLG Düsseldorf NJW 2001, 3562 f.; BayObLG NJW 1980, 1969; Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 10; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 26/26.1 (m. Bsp.). Kritisch im Hinblick auf die (in der Tat) geringe Aussagekraft dieses Topos Rahmlow, in: AnwK-StGB, 3. Aufl. (2020), § 185 Rn. 23; der Wert des Topos dürfte sich tatsächlich in dem Hinweis erschöpfen, dass Ehrverletzungen eine gewisse Erheblichkeit erreichen müssen, um (kriminal-)strafwürdig zu sein. oder unpassende Scherze, Foppereien oder Auslachen.Dies gilt sofern nicht besondere Umstände vorliegen, vgl. Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 2. Und auch nicht jede Äußerung, über die sich der Betroffene ärgert, ist eine Beleidigung.König/Schork, in: NK-Medienstrafrecht, 2023, § 185 Rn. 36. Vielmehr muss die Ehre in erheblicher Weise verletzt werden.

Klausurtaktik: Von der Frage, ob eine Ehrverletzung vorliegt, abzugrenzen ist die Frage der Rechtfertigung nach § 193 StGB. So ist die Abwägung der Grundrechte – insb. der Ehre mit Meinungs- und Kunstfreiheit – herrschend erst dort zu verorten.Hinsichtlich der Meinungsfreiheit ausdrücklich so BVerfG NJW 2003, 3760. Die Meinungsfreiheit ist im Übrigen aber auch bereits bei der Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung relevant, vgl. BVerfGE 93, 266 (295 f.); BVerfG BeckRS 2016, 49397; BVerfG NJW 2020, 2622 Rn. 15. Das betrifft thematisch insbesondere Äußerungen im Meinungskampf, Machtkritik, „Kampf ums Recht“ sowie Kunst und Satire – die folglich erst an jener Stelle zu erörtern sind. Nach neuerer ständiger Rspr. des BVerfG bedarf es dabei grundsätzlich umfassender Abwägung.

Beispiele aus der Rechtsprechung:

Beleidigungen:

  • Pauschale Beschimpfungen wie „Arschloch“, „Dummkopf“

  • Bezeichnung eines StA als „durchgeknallt“, dessen Verhalten als skandalös angesehen wird (aber: Rechtfertigung § 193 StGB – je nach Umständen – wg. Machkritik u. Sachbezug möglich)BVerfG NJW 2009, 3016.

  • Du bist so 1 Pimmel“ als Reaktion auf einen Tweet, in dem der Innensenator trotz Corona feiernde Menschen als ignorant bezeichnete, obwohl er zuvor selbst seine Berufung zum Innensenator unter Missachtung der Corona-Regeln in einer Kneipe feierteLG Hamburg BeckRS 2022, 35057 (iRe Beschwerdeentscheidung gegen die Durchsuchung); mangels öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wurde das Ermittlungsverfahren von der StA gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und der Verletzte auf den Privatklageweg verwiesen (§ 376 StPO). (überzeugenderweise jedenfalls Rechtfertigung gem. § 193 StGB im Hinblick auf den Anlass/berechtigte Kritik, Machtkritik/öffentliche Person, geringe Schärfe)

  • Bezeichnung einer Sozialarbeiterin als „Trulla“ in einer JVA durch einen Sicherungsverwahrten im Rahmen eines aufgeregten WortschwallsBVerfG NJW 2021, 148 (150). (§ 193 StGB [+/-]: da Aufregung/Ohnmachtssituation, geringe Schärfe)

  • Bezeichnung eines Richters als „eklig parteiischen Amtsrichter“ der sich „an einem Guthaben von [ihm] vergriffen (§ 266 StGB/Untreue)“ habe (u. a.) im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde, aufgrund subjektiv als falsch empfundener Kostenentscheidung im Zivilverfahren durch einen Mediziner (kein § 193 StGB, trotz Aspekts der Machtkritik/Kampf ums Recht und Kenntnisnahme nur durch einen kleinen Personenkreis)BayObLG, Beschl. v. 4. Juli 2022 – 202 StRR 61/22, juris. Das Gericht stellt gleichwohl – zu Recht – klar, dass es der umfassenden Abwägung iRd § 193 StGB bedarf, da keine Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Menschenwürdeverletzung vorliegt.

Keine Beleidigungen:

  • Bezeichnungen von Polizist:innen als Bullen (heutzutage allgemeiner Sprachgebrauch und nicht zwingend negativ konnotiertAG Bremen StV 2018, 452. Das KG (JR 1984, 165) hat die Strafbarkeit mit der Begründung abgelehnt, dass Bullen auch als Sinnbild für Stärke, Kraft und Ausdauer in Betracht kommen und die Äußerung damit nicht zwingend abwertend sei. Zur Veränderung des Sprachgebrauchs Küpper, JA 1985, 453 (457). [anders hingegen: „ScheissbulleOLG Oldenburg JR 1990, 127.])

  • „You are completely crazy“ während Personalienfeststellung ggü. Polizist:in bei unzutreffender BezichtigungOLG München, Beschl. v. 6. November 2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris. (geringe Schärfe; hitzige Situation; nachvollziehbare Äußerung v. Kritik an der Maßnahme)

  • DuzenOLG Düsseldorf JR 1990, 345. (insb. Fremder) idR nur Taktlosigkeit (anders aber: Duzen nach Aufforderung zu Siezen)

  • „Flitzpiepe“ ggü. Polizist:in im Zusammenhang mit Kritik an polizeilicher MaßnahmeOLG Karlsruhe, Beschl. v. 22. Mai 2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris mAnm Bertlings, jurisPR-StrafR 14/2018 Anm. 3. (zwar negativ konnotiert, Abwertung nach allg. Anschauung aber nicht hinreichend gewichtig u. Sachbezug)

  • „Sie sind mir ein komischer Vogel“ gegenüber einem Polizeibeamten in einer vernehmungsähnlichen Situation, bei der der Äußernde – aus seiner Sicht zu Unrecht – zu einer Beschuldigtenvernehmung geladen wirdOLG Bamberg BeckRS 2009, 9270. (lt. OLG Bamberg keine [hinreichend gewichtige] Abwertung: „wird seit jeher nicht mehr und nicht weniger als ein sonderbarer, (ver-)wunderlicher, eigentümlicher, merkwürdiger, befremdlicher oder mitunter auch ‚kauziger’ Mensch bezeichnet [begründbar auch mit: hitziger (Druck-)Situation u. geringer Schärfe der Formulierung])

Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung können nicht nur durch Wort und Schrift ausgedrückt werden, sondern auch durch Gesten (Zeigen des Mittelfingers), bildliche Darstellungen (zB Karikaturen) sowie Handlungen/Tätlichkeiten (Anpusten mit Zigarettenqualm, Anspucken, Anschnipsen mit einer Zigarette, Ohrfeige [tätliche Beleidigung gem. § 185 Hs. 2 Var. 4 StGB]).

Ehrverletzungen durch neutrale Begriffe

Teilweise wird vertreten, dass neutrale Begriffe wie „schwul“, „Jude“ oder „behindert“ objektiv nicht abwertend seien und daher keine Ehrverletzungen darstellen.LG Tübingen NStZ-RR 2013, 10 (zur Bezeichnung als „homosexuell“); wohl auch Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn 8c. Begründet wird dies auch damit, dass sich der Staat andernfalls in einen Widerspruch zu seinen Werten (Art. 3 Abs. 1, 2 GG) bzw. „dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde“.LG Tübingen NStZ-RR 2013, 10. Nach zutreffender aA kommt es auf den Kontext an.Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 20; Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2022), § 3 Rn. 181; OLG Köln, Beschl. v. 26. April 2022 – 15 W 15/22, juris (unter Verweis auf die diskriminierende Verwendung in der Jugendsprache). Lässt sich aus diesem schließen, dass ein im Grundsatz neutraler Begriff im konkreten Fall (umgangs- oder jugendsprachlich) als Schimpfwort verwendet wird, insbesondere indem negativ konnotierte Eigenschaften auf den Ehrträger übertragen werden sollen (zB behindert = dumm; Jude = geizig, schwul = schwach), stellt dies durchaus eine Ehrverletzung dar. Entscheidend ist, dass die konkreten Kundgabeempfänger die verächtlichmachende Intention erkennen – auch wenn sie die Bewertung nicht teilen. Die Strafbewehrung begründet dabei keinen Widerspruch mit Verfassungswerten, da die Abwertung lediglich konstatiert, nicht hingegen affirmiert wird.Ähnlich Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 13. Im Gegenteil würde eine mit der Straffreiheit verbundene tatsächliche Hinnahme zu einer Verfestigung des entsprechenden Sprachge- bzw. missbrauchs führen und verfassungswidrigen Diskriminierungen somit Vorschub leisten.

Sexualbezogene Beleidigungen

Missbräuchlich als Ehrverletzungen wurden nach Tendenzen der älteren RechtsprechungS. Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 10 ff. mwN auch zu den einzelnen Erscheinungsformen; s. auch Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 4. Formen sexueller Belästigungen und Übergriffe wie „Grabschen“  – sofern diese nach vormaligem Sexualstrafrecht (bis 2016) nicht erfasst warenIm Jahr 2016 wurde durch das 50. StRÄG der Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt (§ 184i StGB) und der Straftatbestand der sexuellen Nötigung ausgeweitet, der nunmehr auch sexuelle Übergriffe erfasst (§ 177 StGB). –, ferner „Spannen“, Ehebruch (Ehrverletzung ggü. betrogenem Partner), Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen (gegenüber Eltern) oder das anlasslose Äußern von sexuellen Ansinnen angesehen. Der Beleidigung kam damit teilweise Auffangcharakter für Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung zu,Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 10. teilweise war die Strafbarkeit Ausfluss stereotyper GeschlechterzuweisungenS. Policy Paper „Catcalling“ des djb v. 14. April 2021. und überkommener Moralvorstellungen – etwa einer diffusen „Geschlechtsehre“. Triebhafte, oft klandestine, Handlungen, wie „Spannen“ und „Grabschen“, sind (primär) auf sexuelle Befriedigung gerichtet und in der Regel nicht als (nach außen kommunizierte) Herabwürdigungen zu verstehen. Nach allgemeinen Grundsätzen strafbar sind hingegen sexualbezogene Schimpfworte und Erniedrigungen, die auch in der Reduzierung zu einem Sexobjekt liegen können (zB „Schlampe“, „Er/sie ist nur zum ficken gut“). Konkludent kann dies etwa in der Äußerung eines Angebots von Geld gegen Sex oder dem Hinterherrufen von – nach den Gesamtumständen hinreichend gewichtigen – Obszönitäten im öffentlichen Raum geschehen; dies ist für das Phänomen des „Catcalling“ typisch.Vertiefend Policy Paper „Catcalling“ des djb v. 14. April 2021; Pörner, NStZ 2021, 336; Windsberger, NK 2022, 342. Allerdings kann bei ernst gemeinten Ansinnen („Willst du ficken?“) nicht ohne weiteres die Intention einer Abwertung/Ehrverletzung angenommen werden,So tendenziell auch BGH NStZ-RR 2006, 338 (339) und Oğlakcıoğlu, ZStW 135 (2023), 165 (174 f.); demgegenüber kritisch Pörner, NStZ 2021, 336 (339). da Äußernde idR subjektiv davon ausgehen dürften, dass eine herabwürdigende Interpretation der angesprochenen Person die Erfolgschancen des Ansinnens schmälert.

Kundgabe

Als Äußerungsdelikt erfordert die Beleidigung die Kundgabe der Ehrverletzung gegenüber und in Richtung eines anderen (dem Ehrträger oder Dritten),So auch Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 3 mwN. Im Übrigen sind nach der überzeugenden hM Beleidigungen auch durch Unterlassen möglich (Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. [2017], Vor § 185 Rn. 17 mit umfangreichen Nachw.). Es gibt jedoch kaum relevante Anwendungsfälle (denkbar: eine zunächst interne Erklärung wird auf dem Tisch liegen gelassen, nachdem sich Besuch angekündigt hat). Nach überzeugender Ansicht kommt bei mangelnder Urheberschaft des Äußerungsinhalts nur Teilnahme in Betracht (OLG Köln NJW 1996, 2878 [2879]; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. [2019], § 185 Rn. 12; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. [01.05.2024], § 185 Rn. 17). die diesem tatsächlich zur Kenntnis gelangen muss.

1. Da sich eine Kundgabe an einen anderen richten muss, sind Selbstgespräche, persönliche Aufzeichnungen und Tagebuchaufzeichnungen – bereits objektiv – nicht erfasst.Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 185 Rn 8. Es fehlt bereits die Kundgabe und – entgegen teilweise vertretener AnsichtRGSt 71, 159, 160; BayObLG JZ 1951, 786; Geppert, JURA 1983, 530 (533); Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 21. – nicht erst der Kundgabevorsatz.

Vertiefung

Selbstgespräche, Tagebuchaufzeichnungen etc. erst am Kundgabevorsatz und nicht bereits an der Kundgabe scheitern zu lassen, verbietet sich aus systematischen Gründen. Denn dies hätte zur Konsequenz, dass die Kundgabe im objektiven Tatbestand nicht auf die Kenntnisnahme in Richtung einer anderen Person gerichtet sein müsste – andernfalls würde die Strafbarkeit bereits hieran scheitern –, sie hingegen auf subjektiver Ebene weitergehend voraussetzen würde, dass der Äußernde den Vorsatz hat, dass ein anderer von der Äußerung Kenntnis nimmt. Damit läge Inkongruenz zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand vor, da subjektiv mehr (nämlich: Drittkenntnisnahme) als objektiv (keine Äußerung zwecks Drittkenntnisnahme) vorausgesetzt wäre. Konsequent wäre der „Kundgabevorsatz“ als besonderes subjektives Merkmal zu qualifizieren, die Beleidigung mithin Delikt mit überschießender Innentendenz. Hierfür bestehen jedoch weder Anhaltspunkte im Tatbestand, noch vertritt dies auch nur eine Stimme in Lit. oder Rspr. Somit muss im logischen Rückschluss für die Kundgabe bereits objektiv die Äußerung in Richtung eines anderen verlangt werden, sodass die Strafbarkeit von Selbstgesprächen bereits auf dieser Ebene ausscheidet.

2. Korrespondierend mit den verschiedenen Möglichkeiten Miss- oder Nichtachtung auszudrücken (Wort/Schrift/Geste etc.), variiert auch die Form der Kundgabe. So sind Kundgaben etwa durch Zu- oder Hinterherrufen, das Zeigen von Gesten in Anwesenheit anderer (zB Mittelfinger), den Versand von Text-, Sprachnachrichten oder Briefen, den Post einer Karikatur in sozialen Netzwerken oder durch Tätlichkeiten (zB Anpusten, Anspucken, Zuschlagen) möglich. Insofern können sich ehrverletzende Ausdrucksform und Kundgabe decken – insb. bei unmittelbarer Wahrnehmung durch einen Zuhörer (Rufen) oder Zuschauer (Geste). Die Kundgabe kann jedoch auch erst in einem zweiten Schritt erfolgen – zB durch einen späteren Versand (Brief/Nachricht).

3. Die Kundgabe erfordert es ferner, dass ein Dritter von der Äußerung tatsächlich Kenntnis erlangt (auch als Kundgabeerfolg bezeichnetSo etwa Bock, BT 1, 2018, S. 251; Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 28 Rn. 20; Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (269). Der Kundgabeerfolg wird von der Kundgabehandlung abgegrenzt, für die – als Vor-Schritt – bereits die Bestimmung zur Kenntnisnahme genügt.). Erst durch die Kenntniserlangung ist die Beleidigung vollendet (Erfolgsdelikt), was vor dem Hintergrund der Straflosigkeit des Versuchs besonders bedeutsam ist. Die Kundgabe bzw. Vollendung setzt über die sinnliche Wahrnehmung des Äußerungsempfängers hinaus voraus, dass dieser den ehrverletzenden Sinn auch versteht,So BGHSt 9, 17, 19; zudem die hM, s. nur Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 14 mwN. Dem vormals noch entgegen BGH NJW 1951, 368. was etwa bei Sprachunkundigen (ggf. auch Kindern) nicht der Fall ist. Korrespondierend muss der Täter auch auf subjektiver Ebene einen entsprechenden (bedingten) Vorsatz haben, dass der Äußerungsempfänger von der Äußerung tatsächlich Kenntnis erlangt und dessen ehrverletzenden Inhalt versteht.

Klausurtipp: Arbeiten Sie Kundgabe(-erfolg) bzw. Vollendungszeitpunkt genau heraus. Versendet eine Chefin etwa einen ehrverletzenden Brief, den sie zuvor ihrem Mitarbeiter diktiert hatte, an einen Konkurrenten, dann ist die Beleidigung regelmäßig bereits mit dem Diktieren vollendet, da die (Erst-)Kundgabe gegenüber Dritten (die nicht Ehrträger sind) genügt.

4. Der angegriffene Ehrträger muss zudem aus der Äußerung erkennbar sein. Hierfür genügt die eindeutige Identifizierbarkeit, auch wenn der Ehrträger dem Täter nicht näher bekannt ist. Insofern genügt das Zeigen eines Mittelfingers in Richtung einer Radaranlage,BayObLG NZV 2000, 337 m. Anm. Wrage, NZV 2001, 68; s. auch Jendrusch, NZV 2007, 559. wenn die Anlage zwar nicht mit Messbeamten besetzt ist, sich die Äußerung aber gegen den „zuständigen Sachbearbeiter“ richtet. Eine Kundgabe liegt dagegen nicht vor, wenn der Äußernde davon ausgeht, dass keine Aufnahme und Beobachtung erfolgt.AG Melsungen NZV 2007, 585. Es besteht in diesem Fall kein qualitativer Unterschied zu einem Selbstgespräch, auch wenn die Unmutsäußerung dem äußeren Anschein nach auf die Wahrnehmung durch Dritte gerichtet ist. Ganz in diesem Sinne scheidet auch die Äußerung eines Untersuchungshäftlings in einem Strafverfahren, dass „hier massiv Recht gebeugt wird“, nach dem OLG Düsseldorf aus, sofern unklar bleibt, ob die Strafverfolger:innen, das erkennende Gericht oder JVA-Beamt:innen gemeint sein sollen.OLG Düsseldorf NJW 1989, 3030 m. Anm. Laubenthal, JR 1990, 127.

Beleidigungsfreie Sphäre

Auch wenn der objektive Tatbestand dem Grunde nach erfüllt ist, indem der Äußernde eine Ehrverletzung kundgetan hat, kann die Strafbarkeit ausscheiden, wenn eine Äußerung über einen DrittenDie Straffreiheit gilt nur bei Äußerungen über dritte Personen. Beleidigt man hingegen seine Gesprächspartner:in, so spielt es keine Rolle, ob es ein Familienangehöriger ist oder die Person dem engsten Kreis angehört. im engsten Kreis – insbesondere der Familie – fällt. Auch wenn dies im Grundsatz allgemein anerkannt ist, sind die Einzelheiten streitig, insbesondere die dogmatische Herleitung und der erfasste Personenkreis.

Klausurtaktik: Im Hinblick darauf, dass die Rechtsfigur der beleidigungsfreien Sphäre herrschend mit der Ablehnung des objektiven Tatbestands – aufgrund teleologischer Reduktion oder Ablehnung des Tatbestandsmerkmals der Kundgabe (dazu sogleich) – begründet wird, empfiehlt es sich, zunächst die objektiven Tatbestandsmerkmale zu prüfen und die Frage der Straffreiheit im Anschluss als letzten Prüfungspunkt des objektiven Tatbestands zu untersuchen.Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (269). Gut vertretbar ist jedoch eine andere Verortung, etwa nach dem objektiven Tatbestand als eigenen Prüfungspunkt oder nach dem gesamten (auch subjektiven) Tatbestand.

Grund der Straffreiheit für Äußerungen in der beleidigungsfreien Sphäre

Die Straffreiheit von Äußerungen in der beleidigungsfreien Sphäre schützt die Privatsphäre und dient der Selbstentfaltung des Äußernden, sie ist mithin zum Schutz des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG) erforderlich. Das BVerfG hat insofern zutreffend ausgeführt, dass der Einzelne eine „Rückzugsmöglichkeit“, „einen Raum […], in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann“ benötigt.BVerfGE 90, 255, Rn. 21; BVerfG, Beschl. v. 17. März 2021 – 2 BvR 194/20, Rn. 32, juris. Er soll seinem Ärger Luft machen können, ohne jedes Wort auf die Goldwaage legen zu müssen.Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), § 10, Rn. 442; Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (269). Zugleich sind die tatsächlichen Auswirkungen auf die – ebenfalls nach Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG geschützte – Ehre des Betroffenen regelmäßig erheblich herabgesetzt, da die Wahrscheinlichkeit von Weitergabe und Verbreitung durch eine Vertrauensperson aufgrund der Nähebeziehung typischerweise deutlich geringer ist.

Dogmatische Herleitung der Straffreiheit

Auch wenn die Herleitung der Straffreiheit für Äußerungen in der beleidigungsfreien Sphäre sehr umstritten ist, kann der Streitstand in der Klausur regelmäßig dahinstehen, da er selten ergebnisrelevant ist.Das BVerfG hat die dogmatische Verortung der Rechtsfigur in BVerfGE 90, 255 (261) offen gelassen, da es nur über das Verfassungsrecht entscheidet und dogmatische Fragen – des einfachen Rechts – dabei in der Regel ohne Belang sind.

a) Nach einer Ansicht fehlt es bei beleidigenden Äußerungen im privaten Kreis an einer Kundgabe,OLG Oldenburg GA 1954, 284; Hansen, JuS 1974, 104 (106); Tenckhoff, JuS 1988, 787 (788). da die Äußerung den geschützten Bereich (regelmäßig) nicht verlasse und der Anerkennungsanspruch des Beleidigten nicht in sozial erheblicher Weise berührt werde.Kindhäuser/Schramm, BT I, 11. Aufl. (2023), § 22 Rn. 17. Mit ähnlicher Stoßrichtung wird der Kundgabevorsatz abgelehnt, wenn der Äußernde auf den vertraulichen Umgang vertraut hat.Leppin, JW 1937, 2886. Nach anderer Ansicht handele es sich bei der Rechtsfigur der beleidigungsfreien Sphäre um einen persönlichen Strafausschließungsgrund. Begründet wird dies damit, dass das Beleidigungsunrecht zwar dem Grunde nach vorliege, die Straffreiheit jedoch auf außerstrafrechtlichen Erwägungen beruhe, die eine individuelle Frage des Vertrauensverhältnisses im Einzelfall sei.So insb. Lencker in: Schönke/Schröder bis zur 27. Aufl. (2006), zuletzt: Vor § 185 Rn. 9; zudem Grosse, Die beleidigungsfreie Sphäre, 1998, S. 66 ff. Nach einer weiteren Ansicht greift der Rechtfertigungsgrund der berechtigten Interessen gem. § 193 StGB,Insb. Hilgendorf, LK-StGB, Bd. 6, 12. Aufl. (2009), § 185 Rn. 14; tendenziell so auch RGSt 71, 159 (164). Nach wiederum aA sei § 34 StGB einschlägig, vgl. Otto, Grundkurs StrafR, 7. Aufl. (2005), § 32 Rn. 52. da die Straffreiheit Ergebnis einer Güterabwägung sei, bei der das Interesse des „Beleidigers“ seine Gefühle auszudrücken, den Ehrschutz überlagere.Teils wurden die Straffreiheit auch auf andere Rechtfertigungsgründe gestützt, überblicksartig Hillenkamp, in: Weigend u. a. (Hrsg.), FS Hirsch, 1999, S. 555 (567 f.).

b) Gegen die Ablehnung der Kundgabe (bzw. den diesbezüglichen Vorsatz) von beleidigenden Äußerungen im privaten Kreis spricht, dass dieses Tatbestandsmerkmal als (schwerpunktmäßig) deskriptiv anzusehen ist und die Ehrverletzung tatsächlich entäußert wurde.Wolff-Reske, JURA 1996, 184. Zudem ist der Achtungsanspruch des Ehrträgers – wenn auch in geringerer Intensität – verletzt.Ähnlich Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), § 10 Rn. 440. Dass sich eine Ehrverletzung in der Allgemeinheit vollziehen muss und nicht im Privaten, wird zudem auch sonst nicht verlangt, da die Kenntnisnahme einer einzelnen Person genügt.

Gegen die Qualifikation der Rechtsfigur der beleidigungsfreien Sphäre als Strafausschließungsgrund spricht, dass dieser Ansatz Strafrechtswidrigkeit implizit voraussetzt (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld) und dies zur Folge hätte, dass zivilrechtliche Ansprüche (insb. Schadensersatz) möglich wären. Dies lässt sich jedoch mit der Prämisse des BVerfG, wonach Einzelnen ein Raum für Äußerungen ohne die Gefahr nachteiliger Konsequenzen verbleiben muss, nicht vereinbaren.

Auch die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes überzeugt nicht. Denn der Raum für Persönlichkeitsentfaltung ist nach dem verfassungsrechtlichen Verständnis der Grundsatz und damit schon im Ansatz nichts Verbotenes und Strafwürdiges, was der Rechtfertigung bedürfte.Hillenkamp, in: Weigend u. a. (Hrsg.), FS Hirsch, 1999, S. 555 (567). Zudem würde die Rechtfertigung u. a. die Prüfung der Erforderlichkeit der Äußerung – also die Anwendung des mildesten Mittels – voraussetzen, was bei einer ehrverletzenden Äußerung kaum einmal der Fall sein wird, da man seinem Unmut regelmäßig auch auf andere (die Ehre anderer nicht verletzende) Weise Luft machen kann. Auch die mit dem Rechtfertigungsgrund verbundene einzelfallbezogene umfassende Abwägung passt strukturell nicht, da die beleidigungsfreie Sphäre losgelöst von anderen Wertungsgesichtspunkten, insb. der Schwere der Ehrverletzung, einen Freiraum schaffen soll.

Auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Wertungen überzeugt daher allein die heute hM, die eine teleologische ReduktionHeger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 185 Rn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, BT 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 32; bzw. verfassungskonform restriktive Auslegung des (Gesamt‑)Tatbestands annimmt.In Abgrenzung zur teleologischen Reduktion so ausdrücklich Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), Vor § 185 Rn. 47; Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (269). Die Form der generalisierten Bereichsausnahme aus dem Bereich des Strafwürdigen, die das Unrecht bereits nicht entstehen lässt, fügt sich dogmatisch mit der Annahme eines verfassungsrechtlich gebotenen Freiraums.

Erfasster Personenkreis

Das zugrundliegende verfassungsrechtliche Verständnis der Rechtsfigur der beleidigungsfreien Sphäre führt dazu, die Straffreiheit über den engen Familienkreis hinausSo jedoch noch BGH MDR 1954, 335; OLG Stuttgart NJW 1963, 119; BayObLG MDR 1976, 1036 (1037). auch auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse – wie enge Freundschaften – zu erstrecken.BVerfGE 90, 255. Denn die die Privilegierung auslösenden verfassungsrechtlichen Wertungen beruhen nicht auf den abstrakten familiären Verhältnissen, sondern vielmehr auf den tatsächlichen Gegebenheiten, insbesondere der Nähe und dem Vertrauen der Kommunizierenden.Auch wenn dieser Umstand den Schutzgehalt (nach Art. 6 GG) verstärkt.

Fraglich ist die Straffreiheit im Rahmen von verschwiegenheitsgeschützten beruflichen Beziehungen gem. § 203 StGB. Praktische Bedeutsamkeit hat dies insbesondere im Verhältnis von Strafverteidiger:innen zu ihren Mandanten erlangt. Äußert sich eine Mandant:in (im Rahmen eines Verteidigungsverhältnisses) gegenüber ihrer Verteidiger:in, ist dieses Gespräch mit der überzeugenden wohl hM als beleidigungsfrei anzusehen. Denn dies führt zu einem Wertungsgleichlauf mit der anwaltlichen Vertraulichkeitspflicht des § 43a BRAO, die bei Mandant:innen ein besonderes Vertrauen schafft. Insofern können Verteidiger:innen als institutionalisierte Vertrauenspersonen angesehenen werden. Ihnen kommt zudem praktisch oft eine gewisse „Seelsorgerfunktion“ zu.Wolff-Reske, JURA 1996, 184 (189). Die Verschwiegenheitspflicht (und das damit korrespondierende Zeugnisverweigerungsrecht: § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO) verringert insbesondere die Wahrscheinlichkeit des Weitertragens an Dritte, mithin die Gefahren für die Ehre des Betroffenen. Auch besteht mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht der Äußernden im Rahmen von Verteidigungsverhältnissen regelmäßig ein vergleichbares Interesse Ärger Luft zu machen,Wolff-Reske, JURA 1996, 184 (189). zumal die Person sich typischerweise in existentieller Lage befindet.

Äußerungen von Strafverteidiger:innen gegenüber Mandant:innen sind nach hM hingegen nicht grundsätzlich als geschützt anzuerkennen. Zunächst sind Mandant:innen ihrerseits nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet,BVerfG NJW 2010, 2937 (2939); BGHSt 53, 257 (263 f.); aA Norouzi, StV 2010, 667 (672). sodass die Gefahr der Weitergabe nicht herabgesetzt ist. Auch ist die ausgehende Kommunikation eines Berufsträgers im Regelfall nicht (besonders) persönlichkeitssensibel.Auch bei Berücksichtigung der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG ist insofern zumindest keine kategorische Straffreistellung geboten, ggf. aber im Einzelfall (im Rahmen von § 193 StGB) möglich.

Grenzen der beleidigungsfreien Sphäre

Die Beleidigungsfreiheit entfällt einerseits, wenn der verletzte Ehrträger selbst dem engsten Kreis angehört (Bruder äußert sich ehrverletzend über Schwester ggü. der Mutter), andererseits, wenn nicht gewährleistet erscheint, dass die Äußerung vertraulich behandelt wird (zB Person ist bekannt dafür, „zu tratschen“).Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 14; BayObLGSt 1955, 204; BGH MDR 1954, 335.

Anderes gilt – nach der überzeugenden Ansicht des BVerfG – für Strafgefangene, deren Schriftverkehr mit engen Vertrauenspersonen aufgrund strafvollzugsrechtlicher ÜberwachungZB § 37 StVollzG Bln, Art. 32 BayStVollzG. von Vollzugsbeamten mitgelesen wird.Zuletzt BVerfG NStZ 2021, 439. Aufgrund der strukturellen Zwangslage und des Umstands, dass die möglicherweise einzige vertrauensvolle Kommunikationsmöglichkeit von Dritten zur Kenntnis genommen werden kann, erfordert das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die Straffreiheit, da der inhaftierten Person andernfalls eine Kommunikation mit Vertrauenspersonen – und damit dem Ärger Luft zu machen – abgeschnitten wäre.

Herrschend wird zudem angenommen, dass unwahre Tatsachenbehauptungen nach § 187 StGB per se nicht schützenswert seien und aus der Privilegierung auszunehmen sind, da die Unwahrheit täterseits bekannt ist und wider besseren Wissens erfolge.So etwa RG GA 60, 440; Hellmer, GA 1963, 129 (138); Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), § 10, Rn. 443. Zur überzeugenden Gegenansicht Hillenkamp, in: Weigend u. a. (Hrsg.), FS Hirsch, 1999, S. 555 (572 f.); Zöller, Ad Legendum 2019, 268 (269). Dies läuft jedoch dem generalisiertem Schutz der Lebenssphäre zuwider und führt zudem dazu, dass Fälle falschen Vertrauens auf die Richtigkeit von Tatsachen bzw. Fälle der Unerweislichkeit (§ 186 StGB) gleichfalls zumindest Ermittlungen auslösen können und so in die engste persönliche Sphäre eingedrungen wird, womit der präventive Schutz der Lebenssphäre signifikant eingeschränkt würde.

Eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson, die ausschließlich für diese Person bestimmt war, jedoch versehentlich von einem Drittenmitgehört“ wurde, ist nach hM nicht beleidigungsfrei. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die Kommunikation „nicht abgeschirmt“ war.KG BeckRS 2020, 18245. Grund sei, dass es dann an der hinreichenden Gewähr für die Vertraulichkeit fehle. Dies wurde etwa bei einer Äußerung gegenüber einem engen Freund im Treppenhaus einer Polizeiakademie angenommen, bei der eine dritte, im Treppenhaus befindliche Person die Ehrverletzung aus Unvorsicht des Äußernden mithören konnte.KG BeckRS 2020, 18245. Diese Position ist jedoch schwerlich damit vereinbar, dass die Ehrdelikte reine Vorsatzdelikte sind. Denn somit wird eine im Grundsatz straffreie Äußerung dadurch strafbar, dass eine dritte Person diese – ohne Vorsatz des Äußernden – mitgehört hat. Hatte der Äußernde hingegen dolus eventualis, dass die dritte Person mithören könnte, dann ist die Frage der beleidigungsfreien Sphäre im Verhältnis zur Vertrauensperson nicht entscheidend, da jedenfalls eine strafbare – weil bedingt vorsätzliche – Beleidigung gegenüber dieser dritten Person vorliegt.

Bei Tatsachenbehauptungen: Unwahrheit der Behauptung

Nach § 185 StGB sind ehrenrührige Tatsachenbehauptungen lediglich dann strafbar, wenn sie (allein) gegenüber dem Ehrträger geäußert werden (zB „Du hast mich bestohlen“) – andernfalls greifen die §§ 186, 187 StGB. Nach überzeugender hM ist die Unwahrheit in diesem Fall ein ungeschriebenes objektives Tatbestandsmerkmal.Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 569 f.; Rengier, BT 2, 25. Aufl. (2024), § 29 Rn. 31; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 426 jew. m. weiteren Nachw.; OLG Köln NJW 1964, 2121 (2122); OLG Koblenz MDR 1977, 864. Es muss also auch Vorsatz bezüglich der Unwahrheit vorliegen.

Insofern besteht ein Unterschied zum entsprechenden Tatbestandsmerkmal bei § 186 StGB: Die Unwahrheit ist dort nach hM objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich der Vorsatz nicht beziehen muss. Der hierdurch verkürzte Ehrschutz bei Äußerungen gegenüber Ehrträgern iRd § 185 StGB beruht darauf, dass für den Ehrträger keine Gefahr der – nicht selbstbestimmten – Verbreitung besteht Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 29 Rn. 31. und die Intensität der Ehrverletzung dadurch herabgesetzt ist.Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 185 Rn. 25.

Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand des § 185 StGB erfordert zumindest Eventualvorsatz. Der Vorsatz des Täters muss sich sowohl darauf beziehen, dass seine Äußerung von einer anderen Person wahrgenommen und verstanden wird (Kundgabevorsatz) als auch darauf, dass sie als ehrverletzend empfunden wird bzw. werden könnte (Ehrverletzungsvorsatz). Die Kränkung muss aber nicht das Ziel der Äußerung, im Sinne einer „Kränkungsabsicht“, sein.BGH NStZ 1992, 34.

Liegt die Ehrverletzung in einer (unwahren) Tatsachenbehauptung gegenüber dem Ehrträger, dann muss der Vorsatz auch die Unwahrheit der Behauptung umfassen.

Rechtswidrigkeit

Grundsätzlich kommen alle allgemeinen Rechtfertigungsgründe für die Rechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Beleidigung in Betracht. Insbesondere Notwehr und EinwilligungNach hier vertretener Ansicht sind Fälle der Zustimmung zu einer Beleidigung auf der Ebene des Tatbestands zu lösen (tatbestandsausschließendes Einverständnis, dazu unter → Rn. 133). können in der Klausur relevant sein. Hinzu kommt – zentral in Praxis wie Klausur – der spezielle Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB).

Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB

Der in § 193 StGB enthaltene Rechtfertigungsgrund beruht auf dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung.Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), § 11, Rn. 475. Teilweise wird § 193 StGB auf den Gesichtspunkt des erlaubten Risikos gestützt, Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 193 Rn 1; Hirsch, ZStW 74 (1962), 100; dem entgegen überzeugend Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 193 Rn. 2 mwN. Dabei setzt er wie jeder andere Rechtfertigungsgrund dreierlei voraus, und zwar:

  • Rechtfertigungslage (berechtigtes Interesse),

  • legitime Rechtfertigungshandlung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) und

  • subjektives Rechtfertigungselement.

Klausurtaktik: Da es nicht möglich ist, die ausschweifende Kasuistik zu § 193 StGB auswendig zu kennen, reicht es in unbekannten Fällen aus, den potentiell rechtfertigenden Aspekt zu identifizieren, ihn § 193 StGB zuzuordnen und die relevanten Gesichtspunkte einer strukturierten und gut begründeten Lösung zuzuführen. Anders als bei den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, auf die man in der Klausur gestoßen wird und die Ausnahmefälle darstellen, ist § 193 StGB im Ehrbereich stets im Blick zu behalten, da der Interessenwiderstreit der Regelfall ist.Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. (2021), § 7, Rn. 21.

Im Rahmen der Prüfung des § 193 StGB gilt es zu beachten, dass Wertungsfragen im Zusammenhang mit potentiell beleidigenden Äußerungen bereits auf der Ebene des Tatbestands relevant sein können; namentlich im Rahmen der – durch Auslegung zu ermittelnden – Frage, ob eine Äußerung ehrverletzend ist. Insbesondere bei sachlicher Kritik scheidet bereits der Tatbestand aus, wenn die Schwelle einer (erheblichen) Ehrverletzung nicht überschritten ist.S. auch Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), § 11, Rn. 476: Danach ist die Rechtfertigungsebene betroffen, wenn der Geltungsanspruch verletzt ist. Strafbarkeitsbegründende Erheblichkeit liegt im Fallspektrum der meisten gesetzlich normierten Fallgruppen des § 193 StGB (zB tadelnde Urteile über wissenschaftliche Leistungen; Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen) indes kaum einmal vor. Die in § 193 StGB normierten Fallgruppen haben daher kaum Relevanz. In Praxis und Klausur bedeutsam – da nicht regelmäßig bereits tatbestandslos – sind lediglich die Fallgruppen der „Äußerungen zur Ausführung und Verteidigung von Rechten“ nebst der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“Rahmlow, in: AnwK-StGB, 3. Aufl. (2020), § 193 Rn. 3. – wobei letztere als Oberbegriff aller Fallgruppen anzusehen ist.

Berechtigtes Interesse (Rechtfertigungslage)

Da die in § 193 StGB normierten Fallgruppen als Konkretisierungen des berechtigten Interesses anzusehen sind, die Zuordnung mitunter schwierig ist und keinen Mehrwert bietet,Gaede, in: Matt/Renzikowski, 2. Aufl. (2020), § 193 Rn. 5. ist eine nähere Auseinandersetzung im Rahmen der Prüfung entbehrlich; das berechtigte Interesse ist insofern subsumtionsfähiger Oberbegriff und mit der Rechtfertigungslage gleichzusetzen.Bechtel, ZJS 2023, 1339 (1363) hält die Zuordnung zu einer Fallgruppe ebenfalls für entbehrlich.

Erfasst werden alle rechtlich anerkannten Interessen, auch wenn sie der Allgemeinheit dienen.Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 193 Rn. 13 mwN. Interessen, die gegen das Recht verstoßen (zB bewusst unwahre Äußerungen), scheiden damit aus.

Vertiefung: Bei der (älteren) Rspr. gilt es zu beachten, dass diese teils auf überkommenen Moralvorstellungen beruht – möglicherweise gar mit der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG oder EGMR konfligiert – und daher in Klausur und Hausarbeit nicht strikt zu befolgen ist, sondern vielmehr eine andere Bewertung oftmals besser vertretbar sein wird.

Besonders relevante berechtige Interessen iRd § 193 StGB:

  • Meinungsäußerungen in Öffentlichkeit und Presse (durch Individuen oder Presseorgane), Machtkritik (zB Äußerungen bei staatlichen Zwangsmaßnahmen oder staatskritische Äußerungen in der Presse)

  • Kampf ums Recht“: Ehrverletzender Vortrag und Ausführungen (durch Prozessparteien, Angeklagte, Rechtsbeistände, Verteidiger:innen) im Rahmen und im Zusammenhang mit Klagen, Strafanzeigen, Befangenheitsanträgen, Dienstaufsichtsbeschwerden, Äußerungen in Gerichtsverhandlungen (zB beleidigende Kritik an Richter:innen und Staatsanwält:innen)

  • Satire („Schmähgedicht“ des Satirikers BöhmermannDas Ermittlungsverfahren wurde eingestellt (StA Mainz, Vfg. v. 4. Oktober 2016 – Az. 3113 Js 10220/16). Die Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde – mangels Vorsatzes – zurückgewiesen (GStA Koblenz, Vfg. v. 13. Oktober 2016 – Az. 4 Zs 831/16, vgl. dazu KriPoZ 2019, 199).) und Karikaturen (zB Darstellung des bayerischen Ministerpräsidenten als Schwein in einer ZeitungOLG Hamburg JR 1985, 429 m. Anm. Geppert.)

Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Äußerung zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses

Geeignetheit und Erforderlichkeit

Wie auch die Notwehrhandlung bei § 32 StGB oder die Notstandshandlung bei § 34 StGB muss eine Äußerung im Rahmen von § 193 StGB geeignet (= für die Interessenwahrnehmung ex ante förderlich) und erforderlich (= unter gleich wirksamen Mitteln zur Interessenverfolgung das für die Ehre schonendste) sein.Etwa Gaede, in: Matt/Renzikowski, 2. Aufl. (2020), § 193 Rn. 12 mwN.

Im Falle einer Äußerung zur Aufklärung einer Straftat ist die Geeignetheit etwa abzulehnen, wenn der Straftatverdacht Privaten oder der Öffentlichkeit – statt den Strafverfolgungsbehörden – mitgeteilt wird, obwohl die Aufklärung durch diese nicht zu erwarten ist.RGSt 59, 172, 173; s. nur Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 193 Rn. 30; Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 644. Es muss zudem Erforderlichkeit vorliegen, es darf also (ex-ante) kein gleich geeignetes milderes Mittel zur Interessenwahrnehmung gegeben sein.Die Voraussetzung ist großzügig zu handhaben – Erforderlichkeit also im Regelfall zu bejahen – wobei der konkrete Gehalt und die gebotene Handhabung umstritten sind, vgl. etwa Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 193 Rn. 31.

Angemessenheit

Im Rahmen der Angemessenheit ist das mit der Ehrverletzung einhergehende Interesse – insbesondere Meinungs-, Presse und/oder Kunstfreiheit (Art. 5 GG) – im Einzelfall mit dem Recht der persönlichen Ehre des Beleidigten – konkret nach Form, Ausmaß und Umständen – umfassend abzuwägen.Es ist dabei umstr., ob ein gleichgeordnetes Interesse des Beleidigers für eine Rechtfertigung genügt (so etwa Rengier, BT 2, 25. Aufl. (2024), § 29, Rn. 43; OLG Frankfurt NJW 1989, 1367 [1368]; 1991, 2032 [2034]) oder ob das Interesse des Beleidigers überwiegen muss (so zB Eisele, BT I, 6. Aufl. [2021], Rn. 645). Dies ist regelmäßig Schwerpunkt der Prüfung.

Da bestimmte Fälle (Schmähkritik etc., dazu sogleich näher) nach ständiger Rspr. stets als unangemessen anzusehen sind und die umfassende Abwägung damit im Grundsatz überflüssig ist, bedarf es der Vorabprüfung, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt:

Ausnahmsweise keine Abwägung: Schmähkritik, Formalbeleidigung und Menschenwürdeverletzung

Das BVerfG sieht bei Schmähkritik, Formalbeleidigungen (im verfassungsrechtlichen SinneAbzugrenzen vom gleichlautenden Begriff der Formalbeleidigung in § 192 StGB.) und Verletzungen der Menschenwürde absolute Grenzen der Meinungsfreiheit,Zu bemängeln ist, dass die verwendeten Definitionen im Detail variieren und die Grenzziehung – trotz umfangreicher Rspr. – noch immer keine klaren Konturen hat (so etwa zu Menschenwürdeverletzungen Vasel, NJW 2022, 740 [743]). sodass es in solchen Fällen ausnahmsweise keiner Abwägung bedarf.BVerfGE 82, 43 (51); 90, 241 (248); 93, 266 (294); BVerfG NJW 2019, 2600.

Eine Äußerung ist als Schmähkritik zu qualifizieren, wenn sie (nach Anlass und Kontext) „keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat“So eine junge (nachgeschärfte) – der im Detail variierenden – Formulierungen des BVerfG: NJW 2022, 680 (682). Ähnlich BVerfGE 93, 266 (303); BVerfG NJW 2005, 3274; BVerfG NJW 2019, 2600. Wo die Grenze zur Schmähkritik zu ziehen ist, ist nach dem BVerfG noch immer nicht hinreichend klar, s. Albrecht, ZUM 2023, 8 (14). oder „das Anliegen durch die persönliche Kränkung völlig in den Hintergrund [gedrängt wird]“.BVerfG ZUM 2014, 965.

Eine Formalbeleidigung liegt bei „kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligten und tabuisierten Begrifflichkeiten“BVerfG NJW 2020, 2622 (2224). vor,Auch bzgl. des Begriffs der Formalbeleidigung sind indes noch Fragen offen, vgl. Gafus, ZIS 2021, 265 (268); Albrecht, ZUM 2023, 8 (14 f.). insbesondere bei „besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern – etwa der Fäkalsprache“.BVerfG NJW 2020, 2622 (2624). Felix Zimmermann nimmt eine Formalbeleidigung etwa bei der Bezeichnung des türkischen Präsidenten Erdogan als „kleine Kanalratte“ (im politischen Kontext) an, vgl. https://t1p.de/q3mhd. Die StA Hildesheim hat demgegenüber keinen Anfangsverdacht für eine Straftat gesehen (und damit weder eine Formalbeleidigung noch ein Überwiegen im Rahmen der Grundrechtsabwägung angenommen), vgl. https://t1p.de/mz3mj. Die Menschenwürde ist verletzt, wenn man „einer konkreten Person der ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit abspricht“.BVerfG NJW 2020, 2622 (2625). Die – teils wenig konturscharfen – Definitionen sind restriktiv zu handhaben;BVerfG NJW 2019, 2600. überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik genügt nicht.BVerfG NJW 2022, 1523.

Vertiefung

Der Abwägung nicht entzogen sind nach hM: Die Bezeichnung der Abtreibungspraxis einer Klink als „Babycaust“EGMR NJW 2011, 3353 (3354); BVerfG NJW 2011, 47 (48)., verschiedene Äußerungen (im Justizkontext) über Richter:innen und Staatsanwält:innen („durchgeknallter Staatsanwalt“BVerfG NJW 2009, 3016.; „selten dämlicher Staatsanwalt“BVerfG NStZ 2022, 734.; „dämliches Grinsen“ eines RichtersBVerfG NJW 2021, 301.; Verhandlungsführung der Richterin erinnere „eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren“ und an „Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“BVerfG NJW 2019, 2600.).

Als Schmähkritik ohne Abwägung unzulässig sind hingegen die Bezeichnung als „Zigeunerjude“ (im politischen Meinungskampf),So tendenziell BayObLG NStZ-RR 2002, 210 und ausdrücklich Hohmann/Sander, BT, 4. Aufl. (2021), § 14, Rn. 22. ebenso wie die (in politisch-kontroversem Kontext geäußerte) Kommentierung „Dämliches Stück Hirn-Vakuum“OLG Stuttgart, Urt. v. 29. November 2023 – 4 U 58/23. in sozialen Netzwerken. Der Beitrag in einer satirisch-politischen Zeitschrift in Bezug auf eine Politikerin, die sich politisch verändern wollte, dass „[b]efreundete Journalistinnen […] bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen [haben] können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer“ verletzt ferner die Menschenwürde.LG Berlin GRUR-RS 2021, 42791.

Abwägung

In der Klausur (wie auch Praxis) sollte in aller Regel – ggf. hilfsweise – eine Abwägung vorgenommen werden,Dies legt das BVerfG den Gerichten selbst nahe, s. BVerfG NJW 2020, 2622 (2625). Das BVerfG hat in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Entscheidungen allein wegen des Fehlens einer Abwägung aufgehoben, etwa im Fall Künast, vgl. BVerfG NJW 2022, 680 (681). es sei denn, es handelt sich um schwerste Schimpfworte ohne jeden inhaltlichen Bezug zum übrigen Sachverhalt; eine solche (praxisnahe, weil rechtmittelsichere) Handhabung offenbart dem Korrektor zugleich Kenntnisse der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung.

Das verfolgte Interesse in seiner konkreten Bedeutung im Einzelfall auf der einen Seite, ist mit der konkreten Ehrbeeinträchtigung in Form, Ausmaß und in ihren Umständen auf der anderen abzuwägen.Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 193 Rn. 12. Dabei sind zum einen dieselben Kriterien maßgeblich wie bereits für die Ermittlung einer Ehrverletzung – wie Anlass, soziale Schicht, Umgangston, Alter, Ausdrucksvermögen, Beziehungsverhältnis, situativer Kontext, Schärfe der Begriffswahl (näher → Rn. 66 ff.). Hinzukommen insbesondere die folgenden Kriterien: konkrete Verbreitung und Wirkung der Äußerung;Explizit BVerfG NJW 2020, 2622; ähnl. KG StV 1997, 485 (486); OLG Köln NJW 1979, 1723; LG München ZMR 2011, 833 (835). ob die Herabwürdigung den Umständen nach primärer (Selbst-)Zweck zu sein scheint;Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 193 Rn. 12. ob durch den Beleidigenden nur Eigeninteressen verfolgt werden oder (auch) ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet werden soll;BVerfGE 7, 198, 208 (212); BVerfGE 93, 266 (294 f.). ob eine einzelne Person konkret adressiert ist oder ein – mit schwächerer Betroffenheit verbundener – Sammelbegriff verwendet wurdeBVerfGE 93, 266 (300 f.); BVerfG NVwZ 2014, 1156. oder der Ehrträger eine kritische Äußerung zuvor selbst herausgefordert hat (Recht zum Gegenschlag).BVerfGE 12, 113 (132); BayObLG NStZ-RR 2002, 210 (212); BayObLG NStZ 2005, 215 (216).

Klausurtaktik: Wenn ein entsprechender Ausnahmefall, in dem keine Abwägung nötig ist (insb. bei Schmähkritik), nahe liegt, eine andere Auffassung jedoch – wie oft – gleichfalls vertretbar erscheint, sollten die entsprechenden Gründe (für die Qualifikation zB als Schmähkritik) benannt werden; die Qualifikation sollte man klausurtaktisch jedoch letztlich dahinstehen lassen, sofern auch im Falle der Abwägung – wie regelmäßig – der Ehrschutz überwiegt und man auf diesem Wege ebenso zur Strafbarkeit gelangen würde. Dies könnte wie folgt formuliert werden: „Die Ehrverletzung könnte im vorliegenden Fall auch ohne Abwägung als per se nicht angemessen eingestuft werden. Denn bei der Äußerung könnte es sich um eine sog. Schmähkritik handeln, bei der eine Abwägung nach der Rechtsprechung des BVerfG entbehrlich ist. Eine Schmähkritik liegt vor, wenn… Hierfür spricht vorliegend… Die Qualifikation als Schmähkritik kann letztlich dahinstehen, da der Ehrschutz angesichts der schwersten Ehrverletzungen gegenüber der Meinungsfreiheit in jedem Fall überwiegt. Denn… [Abwägung anhand allg. Abwägungskriterien]“.

Klausurrelevante Konstellationen des § 193 StGB
„Kampf ums Recht“ und Machtkritik

Besonders bedeutsame berechtigte Interessen sind der „Kampf ums Recht“ – bereits mit Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. § 19 Abs. 4 GG – als auch die Kritik staatlicher Akteure.

Der „Kampf ums Recht“ umfasst sowohl Auseinandersetzungen zwischen streitenden Personen als auch Parteien eines (gerichtlichen oder behördlichen) Verfahrens, ihren Prozessbevollmächtigten oder Verteidiger:innen, gegebenenfalls auch mit Bezug auf Dritte – wie Zeugen.BGH NStZ 1995, 78; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 173 (174).

In (zivil-)gerichtlichen Verfahren ermöglicht die Rechtfertigung von Äußerungen im „Kampf um Rechts“ ein prozessadäquates Agieren; andernfalls könnten §§ 186, 187 StGB mitunter einschlägig sein, wenn Parteien eines zivilrechtlichen Rechtstreits sich auf Darlegungs- oder Beweislastregeln berufen.Etwa Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 582 mwN. In Strafverfahren spielen (naturgemäß scharf zu formulierende) Befangenheitsanträge und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Richter:innen und Staatsanwält:innen, aber auch Äußerungen über Zeugen (Bezeichnung als „Lügner“) oder Nebenkläger (zB Beweisantrag über „abnorme Persönlichkeit“LG Düsseldorf JA 2003, 452 ff. mit Bspr. Fahl.) eine Rolle. Im „Kampf ums Recht“ ist es „zur plastischen Darstellung [der] Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen.“BVerfG NJW-RR 2012, 1002 (1003). Die effektive Verteidigung, ebenso wie die – vom „Kampf ums Recht“ separat zu betrachtendeBVerfG, Beschl. v. 9. Februar 2022 – 1 BvR 2588/20, juris. – Möglichkeit, die Staatsmacht ohne Furcht vor weiteren Strafverfahren zu kritisieren, ist rechtsstaatliche Notwendigkeit. Die Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen.BVerfG NStZ 2022, 734. Entsprechendes gilt insbesondere bei ehrverletzenden Äußerungen gegenüber oder über Polizist:innen sowie anderen Beamt:innen, insbesondere im Zusammenhang konkreter staatlicher (Zwangs-)Maßnahmen. Für die Abwägung kommt es auch darauf an, inwieweit die Kritik für die Rechtsdurchsetzung bedeutsam ist, ob dem Grunde nach ein nachvollziehbarer Anlass für Kritik bestand und ob es sich um eine „ins Persönliche gehende BeschimpfungBVerfG NStZ 2022, 734 (735). handelt. Völlig ausfälligen und zusammenhanglosen Diffamierungen bleibt die Rechtfertigung insofern versagt.

Beispiel: „Das ist doch Korinthenkackerei“ ggü. einem „Knöllchen“ verteilendem Gemeindevollzugsbeamten ist insofern gerechtfertigtAG Emmendingen JuS 2015, 81 mAnm Hecker. (wenn nicht bereits keine Ehrverletzung); nicht hingegen die Bezeichnung von Richter:innen und anderen Personen als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremder“ auf einem Blog.BVerfG NJW 2020, 2622 (2227) f. mAnm Gostomzyk.

Öffentlicher Meinungskampf und Presse

Auch der öffentliche und politische Meinungskampf (zB bei Äußerungen über Politiker:innen) drängt die Grenzen strafbarer Beleidigungen hinaus. Massivere Attacken sind insofern hinzunehmen. Nach der Rspr. des BVerfG besteht bei Äußerungen, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, eine Vermutung für den Vorrang der Meinungsfreiheit.BVerfGE 93, 266 (294). Dies gilt jedoch nicht bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, vgl. BVerfG GRUR 2022, 335 (337). Politiker:innen haben vor dem Hintergrund ihrer Rolle, aber auch wegen der rechtsstaatlichen Notwendigkeit der Zulässigkeit von Machtkritik, mehr hinzunehmen als Privatpersonen.So nachdrücklich insb. der EGMR: EGMR, Urt. v. 8. Juli 1986 – 9815/82 Rn. 42 (Lingens v. Austria); EGMR, Urt. v. 23. Mai 1991 – 11662/85 Rn. 59 (Oberschlick v. Austria I); EGMR, Urt. v. 1. Juli 1997 – 20834/92 Rn. 29 (Oberschlick v. Austria II); EGMR, Urt. v. 14. März 2013 – 26118/10, BeckRS 2013, 201340 Rn. 59 (EON v. France); s. auch BVerfG GRUR 2022, 335 (338). Doch auch dies hat Grenzen, insbesondere bei „ins Persönliche gehende[n] Beschimpfung[en]“.BVerfG GRUR 2022, 335 (338). Nach dem sog. „Recht auf Gegenschlag“ hat ferner derjenige, der durch sein Verhalten begründeten Anlass zur Kritik gegeben hat, weitergehende Einschränkungen des Ehrschutzes hinzunehmen, wobei diese über den konkreten Anlass hinaus gehen können.BGHSt 12, 287 (294); BayObLG NStZ-RR 2002, 210. Die Grenze markieren jedenfalls Schmähkritik, Formalbeleidigungen und Menschenwürdeverletzungen, sodass insbesondere diffamierende Äußerungen, die in keinem Sachzusammenhang mehr stehen, ausscheiden.BVerfG NJW 1991, 1529. Leichtfertige Tatsachenbehauptungen und haltlose Vermutungen – insbesondere im Rahmen von Presseberichterstattung – können nicht gerechtfertigt werden;BGH NJW 1952, 194; OLG Celle NJW 1988, 353 (354). im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten und in den Grenzen der Zumutbarkeit besteht insofern die Pflicht, Tatsachen vor ihrer Veröffentlichung zu prüfen.Die Anforderungen hängen auch von der Schwere des Vorwurfs ab, vgl. Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 582 mwN.

Satire und Kunst

Bei Satire, Karikaturen oder anderen die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Var. 1 GG) betreffenden Werken bedarf es stets der Abwägung von Ehre und Kunst. Bei politischen Inhalten wird die Kunstfreiheit ferner durch den weitergehenden Schutz der Äußerungsfreiheit im Rahmen des politischen Meinungskampfes gestützt.Auch wenn das BVerfG dies bisher nicht bestätigt hat; in BVerfG NJW 1985, 261 (262) werden vielmehr lediglich Kunst und Persönlichkeitsrecht abgewogen. Dies setzt jedoch zunächst voraus, dass der Schutzbereich der Kunstfreiheit betroffen ist. Was Kunst in diesem Sinne ist, richtet sich nach den Kunstbegriffen des Verfassungsrechts.S. etwa Kohal, in: Grundrechte, Hahn/Petras/Valentiner/Wienfort (Hrsg.), 2022, S. 501 ff. Unproblematisch ist die Betroffenheit jedenfalls, wenn das ehrverletzende Werk bereits einem bestimmten Werkstypus unterfälltS. dazu und zu Ausnahmen (wenn Ehrverletzung nur „Rahmen oder Beiwerk“ von Satire) Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 193 Rn. 38 ff. (formaler KunstbegriffDazu in Bezug auf das Beleidigungsstrafrecht BVerfG NJW 1985, 261 (262) mwN.) – was in der Klausur häufig der Fall ist.

Ferner gilt es, insbesondere im Bereich der Satire, zu beachten, dass Übertreibung, Verzerrung, Überspitzung, Polemik gerade Stilmittel von Satire sind und dies Rezipient:innen bekannt ist, was den Ehrangriff relativiert. Insofern ist neben dem inhaltlichen Aussagekern zu überprüfen, ob sich die – separat zu beurteilende – Ehrverletzung aus der satirischen Einkleidung ergibt. Dabei ist auch der Grad der Verfremdung und die vermittelte Realitätsnähe zu berücksichtigen, freilich nebst den allgemeinen Abwägungskriterien.

Subjektives Rechtfertigungselement

Es bedarf – wie sonst – eines subjektiven Rechtfertigungselements. Die Anforderungen sind jedoch umstritten. Ein Teil der LehreHeger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 193 Rn 9; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 193 Rn. 72; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 193 Rn. 23 meint, dass – wie bei anderen Rechtfertigungsgründen und aus den identischen GründenVgl. nur Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 14, Rn. 97 (zu § 32 StGB): Wer Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage hat, hat den Vorsatz, etwas objektiv Rechtmäßiges zu tun. Schon dieses Bewusstsein, beseitigt den Handlungsunwert und damit das Unrecht. – die Kenntnis von der rechtfertigenden Sachlage genüge. Nach hM und Rspr. verlangt der Wortlaut, wonach die Äußerung „zur“ Interessenwahrnehmung vorzunehmen ist, Absicht (dolus directus 1. Grades), wobei die Verfolgung weiterer Ziele – wie Rache oder Hass – unschädlich sein sollen.RGSt 50, 321; BGHSt 18, 182 (186); Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), StGB § 193 Rn. 30; Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 193 Rn. 32. Sofern in der Klausur – wie regelmäßig – die Absicht der Interessenwahrnehmung (als engere Ansicht) besteht, bedarf es keiner Stellungnahme zu diesem Streit.

Notwehr

In engen Grenzen können Beleidigungen durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein (sog. EhrennotwehrWobei der Begriff der „Ehrennotwehr“ teils nur für die Verteidigung durch Beleidigungen – eng – verwandt wird (so etwa Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 39), teils jedoch auch weiter verstanden wird und insb. auch bei der Verteidigung durch Gegenangriffe auf Leib und Leben Verwendung findet (so etwa Momsen/Savic, in BeckOK-StGB, 61. Ed. [Stand: 01.05.2024], § 32 Rn. 27.2).). Für Klausurersteller:innen bieten sich solche Fälle an, da zwar im Grundsatz die allgemeinen Grundsätze gelten, eine sachgerechte Lösung jedoch regelmäßig akkurater Subsumtion und vertiefter Begründung bedarf.

Dabei gibt es zwei typische Konstellationen: Zum einen den Fall, dass ein Ehrträger sich bei Beleidigungen gegen ihn seinerseits mit Beleidigungen „wehrt“ (Bsp. 1), zum anderen die Konstellation, in der der Beleidigte den Beleidiger angreift und körperlich verletzt (§§ 223 ff. StGB) oder gar tötet (§ 211 f. StGB). Zur zweiten Konstellation lesenswert, weil klausurrelevant: BGH, Urt. v. 17. Mai 2018 – 3 StR 622/17 mit der ebenso lesenswerten Anm. Linoh, jurisPR-StrafR 18/2018 Anm. 3. In der Fallbearbeitung: Hoffmann/Koenen, JuS 2021, 941. In letzteren Fällen stellen sich die Fragen der Rechtfertigung im Rahmen der Prüfung der entsprechenden Körperverletzungs- und Tötungsdelikte.

Beispiel 1: Auf unentwegte schwerste Beschimpfungen des A gegenüber B entgegnet dieser: „Halt die Fresse du Arschloch, sonst hau ich dir auf’s Maul.“ Hierauf schweigt A.

Beispiel 2: In einem Club streiten sich A und B. A baut sich dabei vor B auf, nimmt einen großen Zug aus seiner Zigarette und pustet ihm aus nächster Nähe Qualm in das Gesicht. Während des Anpustens schlägt B dem A sein Glas in das Gesicht.Der Sachverhalt ist angelehnt an AG Erfurt NStZ 2014, 160.

Notwehrlage bei der Verteidigung gegen Ehrangriffe

Ein Angriff wird regelmäßig vorliegen. Denn Ehre ist ein rechtlich geschütztes Interesse,BGH, Urt. v. 14. Februar 1952 – 5 StR 1/52, BGHSt 3, 217 (218); BGH, Urt. v. 17. Mai 2018 – 3 StR 622/17, Rn. 8; BayObLG NJW 1991, 2031. wie die Existenz der Ehrdelikte belegt, die im Falle von tatbestandsmäßigen (tätlichen) Beleidigungen angegriffen wird.Unabhängig von der teils vertretenen Ansicht, die unbedeutende Beeinträchtigungen des Rechtsguts oder sozial übliche Belästigungen nicht als Angriff anerkennen will (Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. [2020], § 15 Rn. 85; Kühl, Strafrecht AT, 8. Aufl. [2017], § 7 Rn. 25) ist im Falle der Erfüllung des Tatbestands der Beleidigung stets ein Angriff iSd Notwehrrechts anzunehmen, da die Annahme einer Ehrverletzung ein rechtlich geschütztes Ehrinteresse begründet, vgl. Linoh, jurisPR-StrafR 18/2018 Anm. 3.

Hinsichtlich der Gegenwärtigkeit bedarf es der Betrachtung des Einzelfalls: Sie ist gegeben, wenn der Angriff während des Aussprechens (einer oder mehrerer) Beleidigungen oder einer anhaltenden Ehrtätlichkeit (Beispiel 2: Anpusten) erfolgt. Da Gegenwärtigkeit auch ein unmittelbares Bevorstehen des Angriffs erfasst, genügt es zudem, wenn weitere Beleidigungen unmittelbar drohen,Nach dem BGH kommt es dabei nicht auf die subjektive Befürchtung des Angegriffenen an, sondern auf die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer erneuten Rechtsgutsverletzung oder deren Fortsetzung (BGH NStZ-RR 2017, 38 [39]; BGH NStZ 2002, 203). mögen sie im konkreten Verteidigungszeitpunkt auch unterbrochen sein. Ist eine Beleidigung im Übrigen bereits ausgesprochen worden und ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, dass sie sich fortsetzen wird, dann ist sie beendet und damit nicht mehr gegenwärtig;So bereits RGSt 29, 240 f. eine nachträgliche „Wiederherstellung“ der Ehre kommt nicht in Betracht.

Bei nicht mehr gegenwärtigen erwidernden Beleidigungen ist (nach der Rechtswidrigkeit) stets § 199 StGB („wechselseitige Beleidigung“) zu prüfen (dazu → Rn. 147 ff.).

Geeignete, erforderliche und angemessene Notwehrhandlung

Da es für die Geeignetheit genügt, wenn ex ante eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Abschwächung oder Beendigung des (hier: Ehr-)Angriffs besteht,Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 32 Rn. 10. wird sie meist vorliegen. Denn es dürfte regelmäßig zumindest nicht fernliegen, dass eine fortgesetzt beleidigende Person durch eine gegenläufige Beleidigung bzw. einen körperlichen Angriff „aufgerüttelt“ wird und von weiteren Beleidigungen ablässt.

Auch gleich effiziente mildere Mittel gegen den Ehrangriff werden zumeist nicht zur Verfügung stehen. Ein taugliches Alternativmittel zu einer gegenläufigen Beleidigung wäre in sozialen Medien zB die andere Person zu blockieren.So das AG Cottbus hins. der Beleidigung eines AfD-Stadtabgeordneten ggü. einer Schülerin, die ihn zuvor ehrverletzend provoziert hatte, so zitiert: Lausitzer Rundschau v. 16. Februar 2023. Bei körperlicher Anwesenheit könnte man dem Beleidigenden etwa den Mund zuhalten. Es ist dabei jedoch bereits fraglich, ob ein solche handgreifliche, mit gewisser Gewaltausübung verbundene, Handlung milder ist. Der sich Verteidigende muss sich jedenfalls – wenn nach den Umständen überhaupt möglich – nicht auf ein Mundzuhalten verweisen lassen, da es mit dem Risiko behaftet ist, vom Angegriffenen gebissen zu werden, und insofern nicht als gleich effizient anzusehen ist.So auch LG Bonn BeckRS 2012, 3545 jedoch für den speziellen Fall des Anpustens mit Rauch. Liegt die Verteidigungshandlung in einem körperlichen Angriff (§§ 223 ff. StGB) kommen als alternative Mittel – je nach Sachverhalt – verbale Attacken oder geringfügigere körperliche Einwirkungen (zB Schubsen) in Betracht. Je massiver die Einwirkung zur Ehrverteidigung jedoch ist, desto effizienter – sicherer – wird sie regelmäßig den Angriff abwehren, sodass jene alternativen Mittel regelmäßig keine gleiche Effizienz aufweisen werden, womit kein gleich geeignetes milderes Mittel vorläge.

Hinsichtlich der Gebotenheit, die das Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen begrenzt, kommt es auf das gewählte Verteidigungsmittel an: Keine Bedenken bestehen, wenn ein Ehrangriff seinerseits durch einen gegenläufigen Ehrangriff abgewehrt wird. Bei Ehrverteidigungen durch Angriffe auf Leib/Leben kann die Gebotenheit – je nach Intensität – aber wegen „krassen Missverhältnissesabzulehnen sein. Dies ist insbesondere bei lebensgefährlichen Angriffen der Fall. „Auf der Hand liegend“ nicht geboten ist, wie vom BGH zu Recht angenommen,BGH, Urt. v. 17. Mai 2018 – 3 StR 622/17. daher eine Messerattacke durch Zustechen in die Brust. Ohrfeigen sind mE (aufgrund der Schneidigkeit der Notwehr) bei schweren Beleidigungen demgegenüber regelmäßig von § 32 StGB gedeckt.So etwa Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, Bd. 3, 13. Aufl. (2019), § 32 Rn. 233 (jedoch mit der Einschränkung „im Einzelfall“). Bei einem Anpusten mit („feuchtem“) Zigarettenqualm hat das AG ErfurtAG Erfurt NStZ 2014, 160 (161); kritisch Jäger, JA 2014, 472 und Jahn, JuS 2014, 176. einen Glaswurf an die Augenbraue (Folge: Prellung und Beule für zwei Tage) ebenfalls als geboten angesehen und das LG Bonn einen „heftigen und schmerzhaften Schlag“ mit der flachen HandLG Bonn BeckRS 2012, 3545. nicht beanstandet.Wobei die Gebotenheit in dem Fall nicht einmal Erwähnung gefunden hat. Im Grenzfall ist die Entscheidung über ein etwaiges krasses Missverhältnis (oder sein Fehlen) anhand der Schwere von Angriff und Gegenangriff ausführlich zu begründen.

Einwilligung

Beispiel: A erstellt einen Steckbrief über seinen Freund B gespickt mit missfälligem Inhalt (etwa: Beruf: Mutterf***; Stärke: asozial sein; Lieblingsbuch: Mein Kampf). A fragt den B im Spaß, ob er diesen in einem sozialen Netzwerk hochladen soll. Da der B seine, aus seiner Sicht spießigen, Eltern vor den Kopf stoßen will, stimmt er zu.

Entgegen überkommener BGH-RechtsprechungInsb. BGHSt 11, 67 (72); 23, 1 (3). Die betreffenden Fälle haben einen Sexualbezug, sind von anachronistischen Moralvorstellungen geprägt („Preisgabe der Geschlechtsehre“) und fallen – soweit strafbar – heutzutage unter die Sexualdelikte (BGHSt 23, 1: Beleidigung durch einvernehmliche „unzüchtige Handlungen“; BGHSt 11, 67: Zusendung von Werbung mit dem Titel „Stimmt in unserer Ehe alles?“). Im Übrigen sind denkbare Fälle weitgehend theoretischer Natur und konstruiert. kommt eine rechtfertigende Einwilligung bei der Beleidigung nicht in Betracht.Soweit ersichtlich wird der BGH-Rechtsprechung, die eine rechtfertigende Einwilligung annimmt, in der Lehrbuchliteratur nicht widersprochen; vgl. etwa Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 600. Die wirksame vorherige Zustimmung des Ehrträgers lässt vielmehr bereits die Ehrverletzung und damit den Tatbestand entfallen (tatbestandsausschließendes Einverständnis).So insb. auch Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 21; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, B 1, 11. Aufl. (2019), § 24 Rn. 21; tendenziell auch Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 15; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 185 Rn. 12. Denn der Ehrschutz – als Abwehrrecht des Persönlichkeitsrechts – wird durch das Recht auf Selbstdarstellung und (informationelle) Selbstbestimmung – als primär positive Ausprägungen – überlagert; durch die Zustimmung wird die Drittäußerung Gegenstand der eigenen Selbstdarstellung des Ehrträgers, mithin positiver Ausdruck des eigenen Persönlichkeitsrechts. Die Rechtsgutsverletzung entfällt insofern.

Qualifikationen

Nach § 185 Hs. 2 Var. 1–3 StGB sind Beleidigungen, die öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen werden, qualifiziert strafbar. Das größere Unrecht beruht auf der gesteigerten Gefahr einer weiten und unkontrollierten Verbreitung, die insbesondere bei der Hineingabe in den digitalen Raum – zuvörderst in sozialen Netzwerken – besteht (aufgrund einfacher Verbreitungsmöglichkeiten, Anonymität, eingeschränkter Löschungsmöglichkeit [„Das Internet vergisst nie“] usw.).Dazu Doerbeck, JR 2021, 54 (58 f.); Nussbaum, KriPoZ 2021, 215; Oğlakcıoğlu, ZStW 132 (2020), 521; Steinl/Schemmel GA 2021, 97 ff; Sahl/Bielzer ZRP 2020, 2 (4).

Eine Qualifikation stellt nach § 185 Hs. 2 Var. 4Es handelt sich seit der Reform 2021 (G. v. 30. März 2021, in Kraft seit 3. April 2021, BGBl. I S. 441) – entgegen dem OLG Zweibrücken NStZ-RR 2022, 111 – nicht um die Variante 3 des § 185 StGB, sondern um Halbsatz 2, Variante 4. Denn nach der Gesetzesgenese müssen die neu eingefügten qualifizierenden Merkmale (öffentlich, in einer Versammlung und durch Verbreiten eines Inhalts) nicht kumulativ vorliegen, vielmehr kommt ihnen jeweils eigenständige Bedeutung zu (vgl. BT-Drs. 19/17741, S. 35) – auch wenn sie sich praktisch regelmäßig überlappen dürften. StGB zudem die tätliche Beleidigung dar. Die Tätlichkeit erfordert die unmittelbare körperliche Einwirkung,BGH NStZ-RR 2009, 172. die die Herabwürdigung des Opfers zum Ausdruck bringt. (Vorsätzliche) Körperverletzungen sind grundsätzlich nicht zugleich tätliche Beleidigungen;Auch wenn dies teils (ohne nähere Begründung) etwa für Ohrfeigen angenommen wird, zB Kindhäuser/Schramm, BT 1, 11. Aufl. (2023), § 25 Rn. 12. dies ist nur ausnahmsweise bei Hinzutreten (weitererÜber den einer Körperverletzungshandlung typischerweise immanenten Ausdruck der Missachtung hinaus.) ehrverletzender Umstände der Fall (wie begleitender Äußerungen, Gesten und Verhaltensweisen, zB der Äußerung „Wage es bloß einen Laut von dir zu geben“ an einem belebten Platz oder dem sog. „happy slapping“ Darunter versteht man einen meist überraschenden körperlichen Angriff – typischerweise eine Ohrfeige – auf meist unbekannte Passanten, der über die Veröffentlichung des gefilmten Materials der Belustigung und Erniedrigung der Opfer dienen soll. Zur Strafbarkeit des happy slappings Bleckat, ZRP 2022, 243 (der den Straftatbestand der [tätlichen] Beleidigung jedoch übergeht).). Erfasst sind (wenn subjektiv und qualitativ hinreichend ehrverletzend): AnspuckenOLG Zweibrücken NJW 1991, 240 (241)., Anschnipsen mit einer Zigarette,OLG Zweibrücken NStZ-RR 2022, 111 mAnm K. Ziegler. Anpusten mit Zigarettenqualm,Vgl. LG Bonn, Urt. v. 9. Dezember 2011 – 25 Ns 555 Js 131/09 – 148/11; dazu auch AG Erfurt, NStZ 2014, 160. Herumschubsen, Abschneiden von Haaren,Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 15. absichtliches Übergießen mit einem Getränk.OLG Frankfurt NJW 1987, 389. Der ehrverletzende Gehalt ist in der Klausur stets zu begründen.

Die Tätlichkeit erfordert zudem nach überzeugender hM die erfolgreiche Einwirkung,In der Rspr. so OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263 (1264); aA Geppert, JURA 1983, 588. also einen Körperkontakt auf der Opferseite (zB durch das Auftreffen gespuckten Speichels oder der geschnipsten Zigarette). Dieses restriktive Verständnis folgt einerseits aus dem Wortlaut der „Tätlichkeit“, der einen „Erfolg“ der „Tätlichkeit“ miteinzuschließen nahelegt, andererseits aus der Systematik mit Blick auf den Grundtatbestand, dessen Höchststrafandrohung nur halb so hoch wie der der Qualifikation ist.Ähnl. OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263 (1264); Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 20. Der danach nicht qualifiziert strafbare „Versuch“ einer tätlichen BeleidigungDie Strafbarkeit des Versuchs von (tätlichen) Beleidigungen sieht das Gesetz im Übrigen nicht vor. bringt gleichwohl regelmäßig konkludent bereits Missachtung und Geringschätzung zum Ausdruck, sodass der Grundtatbestand der Beleidigung in einem solchen Fall erfüllt sein wird,Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 20. was bei der Begutachtung nicht vergessen werden sollte.

Nach § 188 StGB sind ferner Ehrverletzungen gegen Personen des politischen Lebens qualifiziert strafbar, da sie zu einer Vergiftung des politischen Diskurses führen.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 188 Rn. 1.

Täterschaft und Teilnahme

Die Beleidigung kann als Täter nur durch diejenige Person begangen werden, die sich selbst ehrverletzend äußertGaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 22. und eigene Missachtung zum Ausdruck bringt.S. nur Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 185 Rn. 49 f. mwN. Das Erfordernis des Ausdrucks eigener Missachtung – ersatzweise des Zueigenmachens von fremder Missachtung – dürfte insofern die Grenzlinie von Täterschaft zu Teilnahme markieren.So wohl tendenziell auch Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 22; Nussbaum, MMR 2022, 1089 (1091 f.) (Anm. zu LG Meiningen MMR 2022, 1089).

Mittelbare Täterschaft ist nach der überzeugenden hM möglich, da es sich um kein eigenhändiges Delikt handelt, namentlich im Falle der Übermittlung einer Äußerung über eine dritte Person, die den Sinn nicht versteht.Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 13; zustimmend Gaede, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 185 Rn. 22; eigenhändiges Delikt jedoch nach Zaczyk, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 185 Rn. 19.

Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich.

Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung

Strafantrag und Privatklage

Bei den Ehrdelikten handelt es sich nach dem Grundsatz des § 194 Abs. 1 S. 1 StGB um absolute Antragsdelikte, ein Strafantrag ist also zwingend erforderlich.

Neben das Antragsrecht des Verletzten/Beleidigten (§ 77 Abs. 1 StGB) tritt bei der Beleidigung von Amtsträgern/Behörden – klausurrelevant: Polizist:innen – im Falle eines Dienstbezugs das Antragsrecht des Dienstvorgesetzten oder der Behördenleiter:in (§ 194 Abs. 3 StGB).

Ehrverletzungen gegen Personen des politischen Lebens (iSd § 188 StGB) oder verhetzende Beleidigungen (§ 192a StGB) sind indes gem. § 194 Abs. 1 S. 3 StGB relative Antragsdelikte, ein fehlender Strafantrag kann danach bei Bejahung eines besonderes öffentlichen Strafverfolgungsinteresses durch die Staatsanwaltschaft überwunden werden.

Unter den Voraussetzungen der Sonderregelung des § 194 Abs. 1 S. 2 StGB ist ein Strafantrag bei Ehrverletzungen, die sich inhaltlich und personell gegen im Nationalsozialismus oder durch andere Gewalt- und Willkürherrschaft Verfolgte richten, ausnahmsweise vollständig entbehrlich.

Klausurtipp: Sollten – insbesondere in Klausuren in der Zweiten Juristischen Prüfung – Anhaltspunkte auf Probleme beim Strafantrag hindeuten, sind § 194 und §§ 77-77d StGB (und ggf. § 158 StPO) auf ihre Relevanz hin zu prüfen. Die Lösung ist regelmäßig mit dem Gesetzeswortlaut möglich.

Insbesondere für die Zweite Juristische Prüfung (im Rahmen des sog. B-Gutachtens) ist ferner zu beachten, dass es sich bei der Beleidigung gemäß § 374 Abs. 1 Nr. 2, 376 StPO um ein Privatklagedelikt handelt. Wird das öffentliche Interesse (im Sinne des § 376 StPO) verneint und umfasst die prozessuale Tat ausschließlich (ein oder mehrere) Privatklagedelikte, ist das (öffentliche) Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen und auf den Privatklageweg zu verweisen.

Straffreierklärung wechselseitiger Beleidigungen (§ 199 StGB)

Nach § 199 StGB kann das Gericht im Falle der Wechselseitigkeit von Beleidigungen nach seinem Ermessen einen oder beide Beleidiger für straffrei erklären.

Klausurtaktik: Da auch bei der Ehrennotwehr (→ Rn. 125 ff.) auf eine Beleidigung der einen Seite eine Beleidigung der Gegenseite – zur Verteidigung der eigenen Ehre – erfolgt, wird diese häufig zuvor im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen zu sein.

Grund der Privilegierung ist der Gedanke der Kompensation des Tatunrechts. Für den Erstbeleidiger dadurch, dass er durch die ehrverletzende Entgegnung eine Art Vergeltung erfährt.Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 199 Rn. 1.1. Das Unrecht des Zweitbeleidigers ist aufgrund der Provokation durch die vorherige (Erst-)Beleidigung stark gemindert.

Vor diesem Hintergrund ist die Voraussetzung der Erwiderung „auf der Stelle“ psychologisch-motivatorisch zu verstehen. Die Zweitbeleidigung muss folglich durch die Gemütsregung ausgelöst werden. Sie ist insofern auch zeitverzögert – wie im Briefverkehr – denkbar. Dem räumlich-zeitlichen Zusammenhang der Beleidigungen kommt nur indizielle Bedeutung zu.

§ 199 StGB steht außerhalb der dreistufigen Deliktsprüfung und ist in der Klausur nach der Schuld und auch nur dann zu prüfen, wenn eine rechtswidrige schuldhafte Tat vorliegt.

Der Urteilstenor bei § 199 StGB lautet: „Der Angeklagte ist der Beleidigung schuldig. Er wird für straffrei erklärt.“OLG Köln BeckRS 2020, 2338.

Konkurrenzen

Mehrere Beleidigungen dieselbe Person betreffend in einem einheitlichen Äußerungszusammenhang (Brief, Rede, Artikel) bilden eine natürliche Handlungseinheit.König/Schork, in: NK-Medienstrafrecht, 2023, § 185 Rn. 79. Werden mehrere Personen beleidigt, besteht nach hM Tateinheit.Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 19; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 43; näher Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 185 Rn. 45.

Umstritten ist die Behandlung von ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen, die gegenüber dem Ehrträger und Dritten gleichzeitig erfolgen.

Beispiel: C äußert gegenüber A und B, dass der A kürzlich ein Kind auf einem Spielplatz intim angefasst habe.

Nach einer Ansicht verdrängen § 186 bzw. § 187 StGB den § 185 StGB. Denn die Ehre sei ein einheitliches Rechtsgut und der Schwerpunkt des Unrechts folge aus der Äußerung gegenüber dem Dritten.Otto, Grundkurs StrafR, 7. Aufl. (2005), § 32 Rn. 56 (im Wege der Konsumtion). Nach der überzeugenden Gegenansicht ist aus Klarstellungsgründen im Hinblick auf die unterschiedlichen Angriffsrichtungen auf das Rechtsgut der Ehre Tateinheit anzunehmen.BGHSt 6, 159 (161); Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 185 Rn. 43.

Ähnlich ist das Meinungsbild bei Äußerungen, die – inhaltlich zu trennende – Tatsachen und Werturteile enthalten (s. dazu → Rn. 56 ff.). Auch hier wird vereinzelt angenommen, dass § 186 bzw. § 187 StGB den durch dieselbe Handlung begangenen § 185 StGB verdrängen.Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), Vor § 185 Rn. 53; Tenckhoff, JuS 1988, 791 f.; Otto, Grundkurs StrafR, 7. Aufl. (2005), § 32 Rn. 56. Rspr.BGHSt 12, 287 (292); BayObLG NJW 1962, 1120. und hMEisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 582; Rengier, BT 2, 24. Aufl. (2024), § 29, Rn. 49; Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 185 Rn. 20. nehmen indes – überzeugend – Tateinheit an, um dem doppelt ehrenrührigen Charakter Geltung zu verschaffen.

Studienliteratur und Übungsfälle

Studienliteratur

  • Zöller, Straftaten gegen die Ehre, Ad Legendum 2019, 268 (Teil 1), Ad Legendum 2019, 357 (Teil 2)

  • Mavany, Die Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB) in der Fallbearbeitung, JURA 2010, 594

  • Eppner/Hahn, Allgemeine Fragen der Beleidigungsdelikte, JA 2006, 702 (Teil 1), Die Tatbestände der Beleidigungsdelikte (Teil 2), JA 2006, 860

  • Geppert, Zur Systematik der Beleidigungsdelikte und zur Bedeutung des Wahrheitsbeweises im Rahmen der §§ 185 ff. StGB, JURA 2002, 820

  • Geppert, Straftaten gegen die Ehre, JURA 1983, 530 (Teil 1) und JURA 1983, 580 (Teil 2)

Übungsfälle

  • Bechtel, Examensübungsklausur – Die lieben Mitbewohner, ZJS 2023, 1339

  • Pohlreich, Strafrechtliche Grundfälle zur Meinungsfreiheit bei Ehrschutzdelikten, JA 2020, 744

  • Hilgendorf, Fälle zum Strafrecht II – Klausurenkurs für Fortgeschrittene, 3. Aufl. (2020), Fall 8 („Anwaltsschelte“), S. 108

  • Reinhardt, Übungsfall: Stadionbesuch mit Folgen, ZJS 2013, 493

  • Müller/Raschke, Übungsklausur Strafrecht – Abstiegskampf, JURA 2011, 704

  • Beck, Übungsfall – Der wütende Ex-Freund, ZJS 2010, 742

  • Kaspar, Übungsfall – Strafrecht: Ehrdelikte, JuS 2005, 526

  • Fahl, Übungsfall – Strafrecht: Nachts sind alle Katzen blau, JURA 2005, 273

  • Tenckhoff, Grundfälle zum Beleidigungsrecht, JuS 1988, 199 (Teil 1), JuS 1988, 457 (Teil 2), JuS 1988, 618 (Teil 3), JuS 1988, 787 (Teil 4), JuS 1989, 35 (Teil 5), JuS 1989, 198 (Teil 6)

Aufbauschema

  1. Tatbestand

    1. Objektiver Tatbestand

      1. ggf. Ermittlung/Feststellung des Ehrträgers

      2. ggf. Beleidigungsfähigkeit (von Kollektiven) u. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung

      3. Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung gegenüber dem Betroffenen oder ehrverletzendes Werturteil

        1. Kundgabe

        2. ggf. keine beleidigungsfreie Sphäre

        3. bei Tatsachenbehauptung: Unwahrheit (nach hM ungeschriebenes TBM)

    2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

  1. Rechtswidrigkeit

    → regelmäßig § 193 StGB zu prüfen:

    1. Rechtfertigungslage / berechtigtes Interesse

    2. Rechtfertigungshandlung (geeignet, erforderlich, angemessen)

      → Angemessenheit: Grundsätzlich Abwägung der tangierten Grundrechtspositionen; Ausnahmen vom Abwägungsgebot: Schmähkritik, Formalbeleidigung und Menschenwürdeverletzung

    3. Subjektives Rechtfertigungselement

  2. Schuld

  3. Strafantrag (§ 194 StGB)

  4. ggf. Qualifikationen, §§ 185 Hs. 2, 188 StGB

  5. ggf. Straffreierklärung gem. § 199 StGB