Skizze 1
Vertiefung und Verständnis
Wie werden Willenserklärungen gegenüber Anwesenden grds. wirksam? Warum wurde dazu hier nichts ausgeführt?
§ 130 BGB regelt das Wirksamwerden von Willenserklärungen gegenüber Abwesenden.
Eine Erklärung wird mit Zugang wirksam, also wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt und unter gewöhnlichen Umstanden mit Kenntnisnahme zu rechnen ist
Zweck der Norm ist aber eine Risikoverteilung: wer soll das Risiko von Übermittlungsfehlern tragen. Das ist bei Erklärungen unter Anwesenden genauso relevant.
Daher ist § 130 BGB gegenüber Anwesenden analog anzuwenden.
Bei nicht verkörperten Erklärungen kommt es auf die Vernehmung an. Dabei kann grds, auch zwischen Machtbereich und Erwartbarkeit der Kenntnisnahme getrennt werden, zB bei einer codierten Erklärung, die zunächst vernommen und dann noch entschlüsselt werden muss.
Aber: wenn es keinerlei Übermittlungsprobleme gibt und das Gesagte richtig verstanden wurde, ist es nicht zielführend, dazu viel zu schreiben. Es ist gut vertretbar, die Vernehmung und Erwartbarkeit der Kenntnisnahme dann wegzulassen und nur auf die tatsächliche Kenntnisnahme abzustellen.
Normanalyse § 110 BGB
Skizze 2
Darstellung (Formulierung): Redundanz vermeiden
Wie ausführlich würden Sie „Etwas erlangt und „durch Leistung“ im Gutachten darstellen? Warum?
Im 4-Schritt-Gutachtenstil wird wie folgt vorgegangen
Obersatz/Hypothese
Definition
Subsumtion
Ergebnis
Würde man an jeder Stelle der Klausur, egal wie (un)problematisch ein Merkmal ist, diesen 4-Schritt anwenden, würde man in Zeitnot kommen und viel redundanten Text produzieren.
So auch hier:
I. Etwas erlangt
M könnte etwas erlangt haben. Dazu zählt jeder vermögenswerte Vorteil. M hat Besitz und Eigentum erhalten und damit einen vermögenswerten Vorteil, also Etwas, erlangt.
II. durch Leistung
M könnte Besitz und Eigentum durch Leistung der B erlangt haben. Leistung ist jede bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. B wollte mit Besitzübertragung und Übereignung ihre vermeintliche Verbindlichkeit aus KV erfüllen, § 433 I 1, also bewusst und zweckgerichtet das Vermögen der B mehren. Sie hat geleistet.“
Das ist sehr viel Text für sehr wenig Inhalt. Beide Merkmale sind letztlich nicht problematisch und müssen schneller abgehandelt werden.
BESSER ist es, an dieser Stelle eine Art „Kurzsubsumtion“ zu benutzen.
„B. B gegen M, § 812 I 1 Var. 1 BGB
B könnte gegen M einen Anspruch auf Rückgabe und Rückübereignung des Rennrads aus § 812 I 1 Var. 1 BGB haben. Voraussetzung ist, dass M durch Leistung der B ohne Rechtsgrund etwas erlangt hat.
I. Etwas erlangt
M hat Besitz und Eigentum am Rad, also einen vermögenswerten Vorteil erlangt.
II. Durch Leistung
Mit Besitzübertragung und Übereignung wollte B ihre vermeintliche Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag (§ 433 I 1 BGB) erfüllen. Damit hat sie das Vermögen der B bewusst und zweckgerichtet gemehrt, also geleistet.“
Wiederholung: Gutachtenstil (Video)
Vertiefung und Verständnis: §§ 107 ff. BGB
Was müssten Sie prüfen, wenn es Frage 1 nicht gebe?
Gäbe es Frage 1 nicht, hätten Sie den Kaufvertrag noch nicht geprüft und müssten hier detailliert auf Antrag und Annahme und die Besonderheiten mit §§ 107 ff. BGB eingehen.
Hinweis zu Verweisen
Verschwenden Sie keine Zeit, indem Sie etwas doppelt prüfen, was Sie genau so, schon einmal geprüft haben. Oben haben wir in Frage 1 ausführlich den Kaufvertrag geprüft. Hier geht es jetzt um den exakt gleichen Kaufvertrag. Dann können Sie hoch verweisen.
Dabei ist zu beachten:
Wurde tatsächlich genau diese Sache schon geprüft? Das kann z.B. anders sein, wenn in eine Fallabwandlung ein Detail beim Zustandekommen des Vertrags anders ist. Dann müssten Sie mehr schreiben und je nach Sachverhalt auf die Abweichung eingehen oder umfassend nochmal prüfen.
Das gilt gerade im BGB AT! Sie müssen aufpassen, dass Sie bei der Wirksamkeit von Verträgen nicht zu schnell auf bereits geprüft Verträge verweisen, da es sich um verschiedene Verträge handeln kann.
Wiederholung: gemeinsame Prüfung
Warum spalten wir hier nicht in Antrag und Annahme auf?
Die Einigung ist noch immer ein Vertrag.
Nimmt man aber an, dass die Einigung konkludent bei der Übergabe erfolgt, ist nicht klar, wer Antrag und wer Annahme macht. So schon oben zur Einigung bzgl. Eigentumsübergang am Rennrad.
Man könnte auch annehmen, dass der Veräußerer mit Hinüberreichen der Sache den Antrag macht und der Erwerber mit Entgegennahme die Annahme erklärt.
Das ist nicht falsch, aber eher künstlich.
Man könnte auch annehmen, dass juristische Laien bereits beim Antrag auf Abschluss des Kaufvertrags gleichzeitig den Antrag auf Eigentumsübertragung machen und der Annehmende sowohl eine Willenserklärung bzgl. des Kaufvertrags als auch der dinglichen Einigung abgibt. Aber gerade weil es das Trennungs- und Abstraktionsprinzip gibt, ist es wohl überzeugender anzunehmen, dass erst der Kaufvertrag geschlossen wird und auf dessen Basis, also um die entsprechenden Verpflichtungen zu erfüllen, dann übereignet wird.
Vertiefung und Verständnis: § 110 BGB
Warum haben wir nicht § 110 BGB geprüft?
§ 110 lässt einen Vertrag wirksam werden, wenn die Leistung bewirkt ist. „Bewirkt“ wird durch das Verfügungsgeschäft. Das Verfügungsgeschäft selbst kann daher nicht bewirkt werden.
Wer sich nun fragt, wie im Falle der Leistungsbewirkung mit zur Verfügung gestellten Mitteln dann das Verfügungsgeschäft überhaupt wirksam werden kann:
Auslegung des Zurverfügungstellens der Mittel als Einwilligung iSd § 107, diese Mittel auch (zweckentsprechend) einzusetzen.
Übung: Reihenfolge §§ 812 und 985 BGB
An welcher Stelle haben wir den Kaufvertrag in § 812 und § 985 BGB geprüft und was steht inhaltlich dahinter?
In § 985 BGB wird der Kaufvertrag beim Merkmal „Ohne Recht zum Besitz“ geprüft. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Käufer, der einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen hat, die Sache aufgrund dieses Vertrages „haben soll“.
Auch andere Verträge, zB ein Mietvertrag könnte so ein Recht zum Besitz darstellen.
In § 812 BGB wird der Kaufvertrag beim Merkmal „Ohne Rechtsgrund“ geprüft“. Mit wirksamen Rechtsgrund, also zB einem wirksamen Vertrag, hat der Anspruchsgegner ein Recht „zum Behalten dürfen“.
Keine Rückübereignung!
M hat ihr Eigentum an den Geldscheinen nicht verloren. Das haben wir gerade im Rahmen des § 985 BGB geprüft. Sie ist noch Eigentümerin und möchte nur den Besitz zurück.
Verzicht auf Redundanz
„Etwas erlangt“ und „durch Leistung“ wurde oben bereits definiert. Sie müssen in ein und derselben Fallbearbeitung Begriffe, die sie bereits an anderer Stelle definiert haben, nicht nochmal definieren.
Zusammenfassung (Un-)Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte
Kaufvertrag unwirksam: M zur Zahlung verpflichtet, § 433 II = rechtlich lediglich vorteilhaft (-)
Übereinung Rennrad wirksam: M erwirbt Eigentum = rechtlich lediglich vorteilhaft (+)
Übereinung Geld unwirksam: M verliert Eigentum = rechtlich lediglich vorteilhaft (-)
Welche Ansprüche bestehen daher zwischen M und B?
B kann nicht Kaufpreiszahlung verlangen
M kann Geld nach § 985 und § 812 I 1 Var. 1 BGB zurückverlangen
B kann Rad nur nach § 812 I 1 Var. 1 BGB zurückverlangen, nicht aus § 985 BGB, weil M Eigentümerin geworden ist