Fall 1
(vereinfachter und abgewandelter Sachverhalt nach BGH NStZ 1986, 547)
A und B fahren mit dem Auto von Słubice, wo sie gerade 20 Stangen Zigaretten günstig gekauft haben, zurück nach Frankfurt (Oder). Als B, der Beifahrer, gleich hinter der Stadtbrücke den deutschen Grenzpolizeibeamten G sieht, der das Auto von A und B wegen der Einhaltung der Einreisevorschriften in der COVID-19-Pandemie kontrollieren wollte, fordert B den Fahrer A auf, weiterzufahren. Als der A sich weigert, zieht B seine Pistole und hält diese dem fahrenden A an den Kopf, um diesen zu zwingen, den G zu überfahren. A überfährt den G, der dabei verletzt wird.
Haben sich A und B wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht? Auf §§ 26, 27 StGB ist nicht einzugehen! Die Tat wurde im Inland begangen (§ 3 StGB).
Fall 2
(leicht abgewandelter Sachverhalt nach BGH NStZ 1984, 70 - ,,Sirius-Fall“)
A lernte in einer Diskothek B kennen, die ,,damals noch eine unselbständige und komplexbeladene junge Frau” war. B entwickelte zu A eine intensive Freundschaft, in der sexuelle Kontakte unwesentlich blieben. Gegenstand der Beziehung waren hauptsächlich Diskussionen über Psychologie und Philosophie, die bei Treffen im Abstand von einigen Monaten und bei häufigeren, manchmal mehrere Stunden dauernden Telefongesprächen geführt wurden. Im Laufe der Zeit wurde A zum Lehrer und Berater der B in allen Lebensfragen. Er war immer für sie da. B vertraute und glaubte ihm blindlings. Im Verlaufe ihrer zahlreichen philosophischen Gespräche ließ A die B wissen, er sei ein Bewohner des Sterns Sirius. Die Sirianer seien eine „Rasse“, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stehen als die Menschen. Er sei mit dem Auftrag auf die Erde gesandt worden, dafür zu sorgen, dass einige wertvolle Menschen, darunter B, nach dem völligen Zerfall ihrer Körper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten oder dem Sirius weiterleben könnten. A spiegelte ihr vor, in einem roten Raum am Genfer See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne. Ihr „jetziges Leben” sollte B nach dem Plan des A dadurch beenden, dass sie sich in eine Badewanne setzt und einen eingeschalteten Fön in das Badewasser fallen lässt. Auf Verlangen und nach den Anweisungen des A versuchte B, diesen Plan in ihrer Wohnung zu realisieren, nachdem sie zuvor, einer Anregung des A folgend, einige Dinge getan hatte, die darauf hindeuten sollten, dass sie ungewollt mitten aus dem Leben gerissen worden sei. B ließ den Fön in der Hoffnung ins Wasser fallen, sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Es kam zu einem tödlichen Stromstoß. Der Gedanke an einen „Selbstmord im eigentlichen Sinn”, durch den „ihr Leben für immer beendet würde”, kam ihr dabei nicht. Sie lehnte eine Selbsttötung ab. Der Mensch habe dazu kein Recht. Dem A war bewusst, dass das Verhalten der ihm hörigen B ganz von seinen Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt wurde.
Strafbarkeit des A nach § 212 Abs. 1 StGB?
Fall 3
(angelehnt an BGH GA 1986, 508 – ,,vorgetäuschter Doppelselbstmord“)
A, die seit Monaten ein außereheliches Verhältnis unterhielt, wollte sich ihres Ehemannes (B) entledigen. Sie hatte schon vor einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, ihn durch Gift zu beseitigen. Am Vormittag des Tattages verschaffte sie sich eine Flasche E-605. Zuhause überlegte sie, wie sie den ,,Störfaktor“ – den B – beseitigen könne. Sie beschloss, ihm das Gift nicht heimlich beizubringen, sondern ihn zu bewegen, es selbst zu trinken. Das wollte sie erreichen, indem sie ihm einen gemeinsamen Selbstmord vorspiegelte. Sie war von vornherein entschlossen, von dem Gift nicht zu trinken. In Ausführung ihres Planes vermischte sie das Gift mit Likör und stellte die Mischung in einer Kornflasche bereit. Alsdann holte sie ihren Ehemann von der Arbeit ab und schlug ihm zu Hause sogleich vor, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie teilte dem B mit, sie habe die Giftmischung bereits fertiggestellt. B stimmte mit der Bemerkung zu, ,,dann bleiben wir für immer zusammen“. Auf Vorschlag der A fuhren beide an einen einsamen Ort. A fuhr den Wagen. Um ihren Ehemann weiterhin in Sicherheit zu wiegen, dass sie mit ihm sterben werde, versprach sie ihm, noch ein letztes Mal mit ihm geschlechtlich zu verkehren. Auf einem menschenleeren Großparkplatz hielt A an. Beide entkleideten sich teilweise. B nahm einen kräftigen (bereits tödlichen) Schluck der giftigen Mischung. A, nunmehr erleichtert, tauschte mit B Liebkosungen aus. Zum Geschlechtsverkehr kam es nicht mehr. Als B der A die Flasche reichte, schüttelte sie heftig mit dem Kopf. Darauf nahm B, der nun die Täuschung erkannte, einen weiteren Schluck aus der Flasche. Er brach wenige Schritte vom Auto entfernt zusammen und kam ums Leben.
Hat A sich eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB schuldig gemacht?