Kilian Wegner Strafrecht AT I: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 11: Fahrlässigkeit (Sachverhalt)

Fall 1

(angelehnt an OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2011, 205)

A führt seine beiden Boxerhunde in einem Waldgebiet, in dem kein Leinenzwang besteht, unangeleint aus. Zur selben Zeit geht R in dem besagten Waldstück spazieren, wobei sie ihren Hund angeleint bei sich führt. A lässt die beiden Hunde weiter frei laufen, obwohl er sich einer Wegekreuzung nähert, die er nicht einsehen kann. Ihm ist bekannt, dass in dem Waldstück häufig Hunde ausgeführt werden. Aufgrund des langjährigen Umgangs mit Hunden weiß er auch, dass eine Hundebegegnung zwischen einem angeleinten und gleich zwei freilaufenden Hunden häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist und es dann zu einer Beißerei zwischen den Hunden kommen kann und die Gefahr der Verletzung eines anderen Hundehalters besteht, wenn er in dieser Situation aus Sorge um seinen Hund versuchen könnte, die kämpfenden Hunde zu trennen.

An der Wegekreuzung nehmen die in einiger Entfernung vor A laufenden Boxerhunde die R bereits vor dem A wahr und laufen nach rechts auf den angeleinten Hund der R zu, woraufhin sich sofort eine Beißerei entwickelt. Bei dem Versuch die Hunde zu trennen, wird R von einem der Boxerhunde in die Hand gebissen, wodurch sie eine ca. 1 cm große Bissverletzung in Höhe des dritten Mittelhandknochens erleidet.

Prüfen Sie die Strafbarkeit des A gem. § 229 StGB.

Fall 2

(angelehnt an BGHSt 11, 1)

A lenkt einen 18 m langen Lastzug auf einer Bundesstraße. Auf dem Seitenstreifen rechts fährt R auf seinem Fahrrad in der gleichen Richtung. A setzt mit einer Geschwindigkeit von circa 30 km/h zum Überholen des R an. Dabei beträgt der Seitenabstand vom Kastenaufbau des Anhängers zum linken Ellbogen des R circa 75 cm. Vorgeschrieben ist beim Überholen ein Abstand von 2 m. Während des Überholvorgangs gerät R mit dem Kopf unter die rechten Hinterreifen des Anhängers und verstirbt unmittelbar am Unfallort. Eine später der Leiche entnommene Blutprobe ergibt bei R für den Zeitpunkt des Unfalles einen Blutalkoholgehalt von 1,96‰. Angesichts einer alkoholbedingt stark schwankenden Fahrweise des R sowie mit Blick auf dessen eingeschränkten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich der Unfall auch bei Einhaltung des vorgeschriebenen Seitenabstands ereignet hätte.

Prüfen Sie die Strafbarkeit des A gem. § 222 StGB.

Fall 3

(angelehnt an OLG Hamm, Beschl. v. 20.08.2015 - 5 RVs 102/15)

A fährt innerorts mit einer Geschwindigkeit von 65-70 km/h, obwohl eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h vorgeschrieben ist. Auf einer Kreuzung kollidiert A mit X, der seinerseits unter Missachtung der Vorfahrt in die Kreuzung eingefahren war. X verstirbt bei dem Unfall. Selbst wenn A mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 50 km/h in die Kreuzung eingefahren wäre, hätte er vor dem Ort der Kollision nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Jedoch wäre er 0,7 Sekunden später am Kollisionsort angekommen und X wäre in diesem Fall bereits 6 m weiter über die Kreuzung gefahren gewesen, so dass es zu keiner Berührung der Wagen gekommen wäre.

Hat sich A gem. § 222 StGB strafbar gemacht?