Lösungshinweise zu Fall 1
Strafbarkeit des A gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB wegen Totschlags in Mittäterschaft
A könnte sich eines Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er F wegzog, um den B zu ermöglichen, den O zu verprügeln.
Tatbestandsmäßigkeit
O ist tot, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB ist mithin eingetreten. Die Tötungshandlung hat allerdings A nicht in eigener Person begangen. Zu prüfen ist also, ob die Handlung des B dem A gem. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Dies wäre dann der Fall, wenn A und B einen gemeinsamen Tatplan gehabt und die Tat gemeinsam ausgeführt hätten.
Das Vorliegen eines gemeinsamen Tatplans erscheint hier jedoch fraglich. Ein gemeinsamer Tatplan setzt voraus, dass mindestens zwei Personen verabreden, eine bestimmte Tat gemeinsam zu begehen. Der Tatplan von A und B umfasste zwar mögliche Körperverletzungen, nicht aber die Tötung des O. Der gemeinsam gefasste Tatplan wurde also von B überschritten. Es handelt sich vorliegend somit um einen Mittäterexzess. Dieser verhindert eine Zurechnung der Tathandlung gem. § 25 Abs. 2 StGB, wenn die Abweichung vom Tatplan wesentlich ist. Bloß unwesentlich in diesem Sinne sind Abweichungen, mit denen nach den Umständen des Falls für gewöhnlich zu rechnen ist und die keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen. Die Erfüllung eines ganz anderen Tatbestands sollte jedenfalls aufgrund der Erhöhung des Unrechts stets eine wesentliche Abweichung darstellen. Vorliegend tötete B den O, anstatt ihn – wie verabredet – zu verprügeln. Damit konnte A nicht rechnen. Die Abweichung vom Tatplan ist demnach wesentlich. Dem Sachverhalt lassen sich ferner keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf eine Erweiterung des Tatplans hinweisen würden.
Hinweis: Ein Tatplan kann noch während der Tatausführung gefasst und damit auch geändert werden. Überschreitet ein Mittäter den gefassten Tatplan, ist allerdings der andere Mittäter spontan während der Tatausführung damit einverstanden, dann wurde ein neuer gemeinsamer Tatplan gefasst.
Eine Zurechnung der Tötungshandlung des B gem. § 25 Abs. 2 StGB scheidet damit aus. A hat demnach nicht tatbestandsmäßig gehandelt.
Ergebnis
A hat sich nicht wegen Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Hinweis: Beachten Sie, dass vorliegend die (hier laut Bearbeitervermerk nicht zu prüfende) Strafbarkeit des A wegen mittäterschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB in Betracht kommt, weil A eine gemeinschaftliche Gesundheitsschädigung gewollt hat. Der mittäterschaftliche Tatbeitrag des A wäre in dem Wegziehen der F zu sehen, die sich vor dem O gestellt hat.
Lösungshinweise zu Fall 2
Strafbarkeit des A gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB wegen eines versuchten Totschlags durch den Schuss auf J
A könnte sich eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben, indem er auf J schoss.
Hinweis: Man braucht an dieser Stelle den § 25 Abs. 2 StGB nicht unbedingt, da A die Tathandlung vollständig selbst vorgenommen hat. Es muss also ihm nichts zugerechnet werden.
Tatbestandsmäßigkeit
Die Tat wurde nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB.
Tatentschluss
A rechnete mit einer tödlichen Wirkung seines Schusses und billigte diese Möglichkeit. Er handelte somit vorsätzlich (mit Eventualvorsatz) bezüglich der Tötung eines anderen Menschen. Vorliegend dachte A jedoch, bei J handelt es sich um einen Verfolger. Er irrte sich also über die Identität des Opfers. Es liegt demnach ein error in persona vor, der sich bei Gleichwertigkeit der Tatobjekte, wie vorliegend gegeben, auf den Vorsatz nicht auswirkt. Ein Tatentschluss ist damit gegeben.
Unmittelbares Ansetzen
Durch die Abgabe des Schusses hat A unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt, womit auch der objektive Tatbestand zu bejahen ist.
Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis
A hat sich eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
Strafbarkeit des B gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft (zum Nachteil von J)
B könnte sich eines versuchten Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er sich mit A absprach, es solle auf Menschen gefeuert werden, wenn die Gefahr der Festnahme für einen der beiden drohe.
Tatbestandsmäßigkeit
Die Tat wurde nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB.
Tatentschluss
B müsste Tatentschluss zur mittäterschaftlichen Verwirklichung eines Totschlags gehabt haben. Dafür müssten die Voraussetzungen der Mittäterschaft vorliegen. Zu prüfen ist also, ob B im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans einen für die Deliktsbegehung förderlichen Tatbeitrag erbracht hat.
Ausweislich des Sachverhalts trafen A und B den Entschluss, es solle auf Menschen gefeuert werden, wenn die Gefahr der Festnahme für einen der beiden drohe. Ein gemeinsamer Tatentschluss ist damit gegeben.
Hinweis: Sie könnten schon an dieser Stelle das hier vorliegende Problem diskutieren, wie sich der error in persona eines Mittäters auf den anderen Beteiligten auswirkt. Im Folgenden wird dies beim Vorsatz des B bezüglich der Tötung eines Menschen diskutiert, um – im Unterschied zum Fall 1 – einen alternativen Prüfungsaufbau darzustellen. Beides ist vertretbar.
Fraglich ist aber, ob B einen mittäterschaftlichen Tatbeitrag geleistet hat.
Nach der Tatherrschaftslehre ist derjenige als Mittäter anzusehen, der als Zentralgestalt bzw. als Schlüsselfigur des Geschehens die planvoll-lenkende oder mitgestaltende Tatherrschaft besitzt und daher die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen ablaufen lassen oder hemmen kann. B hätte bei der räumlichen Nähe des A sein Tun jederzeit steuern und ihn auffordern können, dieses Mal entgegen der Abrede nicht auf Verfolger zu schießen. Er hat dies bis zur Abgabe des Schusses nicht getan. Er hatte damit Einflussmöglichkeit auf das ganze Geschehen. Außerdem war jedem der Beteiligten nach dem Tatplan die Aufgabe zugewiesen, die Flucht abzusichern und eine Festnahme durch Schusswaffengebrauch zu verhindern. B hatte demnach Tatherrschaft inne. Nach der Tatherrschaftslehre ist B als Mittäter anzusehen.
Nach der modifizierten subjektiven Theorie kommt es für die Beurteilung der Mittäterschaft auf die innere Willensrichtung der Beteiligten an. Objektive Tatumstände sollten dabei aber auch berücksichtigt werden. Die Tatherrschaft des B liegt – wie bereits festgestellt – vor. Diese Ansicht lässt Tatherrschaft als ein Kriterium ebenfalls genügen. Der BGH hat im vorliegenden Fall die Mittäterschaft des B bejaht. Für eine Bestrafung wegen eines in Mittäterschaft begangenen Delikts ist eine eigenhändige Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale durch einen Beteiligten nicht erforderlich. Es genüge ,,eine geistige Mitwirkung, auch eine Vorbereitungshandlung in der Weise, dass der Mittäter dem ausführenden Tatgenossen durch einen vor der Ausführung gegebenen Rat zur Seite steht oder in irgendeinem Zeitpunkt in sonstiger Weise dessen Tötungswillen stärkt“. Dies ist vorliegend gegeben. Nach dieser Ansicht wäre also B auch als Mittäter anzusehen.
Der Tatentschluss des B bezog sich mithin auf eine mittäterschaftliche Begehung.
Darüber hinaus müsste B Vorsatz im Hinblick auf die Tötung des J gehabt haben. Dieser Vorsatz scheint fraglich zu sein. A wollte einen Verfolger und nicht den Jogger J töten, so dass er einem unbeachtlichen error in persona unterlag (s.o.). Die Frage, wie sich der error in persona eines Mittäters für den anderen Mittäter auswirkt, ist umstritten.
Nach einer Ansicht ist ein error in persona eines Mittäters für den anderen Mittäter unbeachtlich, solange die zwischen den Beteiligten bestehenden Abmachungen nicht überschritten werden und die Verwechslung wegen tatbestandlicher Gleichwertigkeit der Objekte den Vorsatz unberührt lässt. Dabei wird argumentiert, der irrende Täter habe sich an den Tatplan gehalten, in dem schon das Risiko des Irrtums angelegt war. Nach dieser Auffassung läge kein Mittäterexzess des A vor und der Vorsatz des B wäre nicht nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ausgeschlossen.
Eine andere Ansicht nimmt in solchen Fallkonstellationen einen (fahrlässigen) Mittäterexzess an. Der Tatplan sei nicht darauf gerichtet, allgemein einen Menschen zu töten, sondern nur einen tatsächlichen Verfolger. Das Fehlgehen der Tat würde vorliegend für B eine aberratio ictus bedeuten. Nach dieser Ansicht hätte B also unvorsätzlich bezüglich der Tötung des J gehandelt.
Beide Auffassungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Stellungnahme ist mithin erforderlich. Für die zweite Ansicht spricht zwar, dass das Angriffsobjekt nicht das Verletzungsobjekt ist und der Vorsatz des Mittäters sich nur auf das Angriffsobjekt bezieht. Dagegen ist jedoch Folgendes einzuwenden. Die Konkretisierung des Opfers wurde dem Irrenden, hier dem A, überlassen, sodass der unterlaufene Fehler ein Element des Tatplans war. Der Mittäter kann außerdem nicht einwenden, er habe die Tat so nicht gewollt. Dies stellt eine widersprüchliche protestatio facto contraria, also ein widersprüchliches Handeln zu seiner Aussage dar. Der gemeinsame Tatplan umfasste die Tötung von Menschen, wenn die Gefahr der Festnahme für einen der beiden Mittäter drohe. Dies ist vorliegend geschehen. Der unbeachtliche error in persona des A ist dem B mithin zuzurechnen. B hatte vorsätzlich im Hinblick auf die Tötung des J gehandelt. (a.A. vertretbar)
Unmittelbares Ansetzen
B müsste auch unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Im Hinblick auf die Zurechnung der Tathandlung gem. § 25 Abs. 2 StGB, wird B so gestellt, als habe er selber, statt A, zur Tat unmittelbar angesetzt. Der Versuch beginnt nach ganz überwiegender Auffassung für jeden Mittäter, sobald einer der Täter gem. § 22 StGB zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Durch die Abgabe des Schusses hat A unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt (s.o.), sodass auch dieses Verhalten dem B gem. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet wird. Ein unmittelbares Ansetzen des B ist vorliegend zu bejahen.
Hinweis: Umfangreicher mit dem Versuchsbeginn bei Mittäterschaft beschäftigt sich Fall 3.
Rechtswidrigkeit
B handelte rechtswidrig.
Schuld
B handelte schuldhaft.
Ergebnis
B hat sich eines versuchten Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB zum Nachteil von J schuldig gemacht.
Hinweis: Wenn Sie der Gegenansicht folgen, käme für B die Strafbarkeit gem. § 222 StGB im Hinblick auf J und eine Strafbarkeit wegen Verbrechensverabredung gem. §§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 StGB in Betracht.
Abwandlung
An der Strafbarkeit des A hat sich nichts geändert. Er hat sich eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB schuldig gemacht (Unbeachtlichkeit des error in persona).
Strafbarkeit des B gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft an sich selbst
B könnte sich eines versuchten Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er sich mit A absprach, es solle auf Menschen gefeuert werden, wenn die Gefahr der Festnahme für einen der beiden drohe.
Tatbestandsmäßigkeit
Die Tat wurde nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB.
Tatentschluss
Der Tatentschluss des B müsste auf die Tötung eines Menschen in Mittäterschaft gerichtet gewesen sein.
Ein gemeinsamer Tatentschluss ist vorliegend gegeben (s.o.).
B ist – wie bereits festgestellt – sowohl nach der Tatherrschaftslehre, als auch nach der modifizierten subjektiven Theorie als Mittäter anzusehen (s.o.).
Vorliegend hat A anstatt eines Verfolgers den Komplizen B getroffen. B wäre also Täter und gleichzeitig Opfer des Schusses. Es erscheint demnach fraglich, ob der Tatentschluss des B auch den tatsächlich eingetretenen Erfolg betraf, d.h., ob B auch Tatentschluss im Hinblick auf einen Schuss auf sich selbst hatte. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, wie sich der error in persona seitens der A, der für dessen Strafbarkeit unbeachtlich ist (s.o.), auf die Strafbarkeit des B auswirkt.
Nach einer Ansicht sei der error in persona des Mittäters für den anderen Mittäter bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit der Tatobjekte unbeachtlich. Der gemeinsame Tatplan habe die Tötung eines Menschen umfasst und diese sei auch eingetreten. Der Irrtum für den Mittäter müsse daher ebenso wie für den Alleintäter unbeachtlich sein. Nach dieser Ansicht läge also kein Exzess vor.
Nach der anderen Ansicht stellt sich der error in persona eines Mittäters für die übrigen Mittäter als aberratio ictus dar. Der Tatplan sei darauf gerichtet, nur einen tatsächlichen Verfolger zu töten. Nach dieser Ansicht läge also ein (fahrlässiger) Mittäterexzess vor.
Wie bereits oben festgestellt, ist aus den oben genannten Gründen der ersten Ansicht zu folgen. Der unbeachtliche error in persona des A wäre dem B mithin zuzurechnen. Vorliegend war aber B selbst Objekt des von A begangenen Totschlagsversuchs, also Inhaber des von seinem Komplizen angegriffenen Rechtsgutes. Es entsteht demnach nun die Frage, ob sich angesichts dessen an diesem Ergebnis für die Strafbarkeit des B etwas ändert.
Nach der herrschenden Ansicht ändert ein solcher Umstand nichts an der Strafbarkeit des Mittäters. Der Rahmen des gemeinsamen Tatplans, auf etwaige Verfolger zu schießen, sei nicht überschritten worden. Wenn man die Straflosigkeit der Selbsttötung berücksichtigt, hätte B nach dieser Auffassung bezüglich der §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB nur einen untauglichen Versuch begangen. Der Umstand, dass der Mittäter selbst getroffen wurde, spielt für diese Ansicht erst auf der Ebene der Strafzumessung eine Rolle (vgl. § 46 StGB).
Hinweis: § 212 StGB umfasst die Selbsttötung nicht, deswegen ist von einem untauglichen Versuch auszugehen. Ein untauglicher Versuch ist auch strafbar, vgl. § 23 Abs. 3 StGB.
Die Gegenansicht beruft sich auf die Straflosigkeit einer Selbsttötung und lehnt in solchen Fallkonstellationen eine Strafbarkeit des getroffenen Mittäters wegen versuchten Totschlags ab. Als Begründung wird außerdem das Argument ausgeführt, niemand dürfe gleichzeitig Täter und Opfer sein. Nach dieser Ansicht scheidet die Strafbarkeit des B wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft (an sich selbst) aus. Es käme jedoch eine Strafbarkeit des B wegen Verbrechensverabredung gem. §§ 212 Abs. 1, 30 Abs. 2 StGB in Betracht.
Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb eine Stellungnahme erforderlich ist. Das Argument der zweiten Auffassung, die strafrechtlich nicht relevante Selbsttötung hindere die Bestrafung des getroffenen Mittäters wegen versuchten Totschlag in Mittäterschaft an sich selbst, überzeugt nicht. Dies verkennt den Zurechnungscharakter des § 25 Abs. 2 StGB. Die Tat des A bezog sich auf einen ,,Menschen“ i.S.d. § 212 Abs. 1 StGB. Der Schuss des A entsprach der Abrede der beiden Beteiligten. Laut dem gefassten Tatplan sollte auf Menschen – nicht etwa nur auf Verfolger – geschossen werden, wenn die Gefahr der Festnahme für einen der beiden drohe. Dies ist vorliegend passiert. Es geht insofern lediglich um die Zurechnung der Versuchshandlung, nicht etwa um einen bei B tatsächlich eingetretenen Verletzungserfolg; für seine Selbstverletzung könnte B selbstverständlich strafrechtlich nicht verantwortlich sein, auch nicht als Mittäter. Hinsichtlich des Versuchs besteht insofern jedoch kein prinzipielles Hindernis. Der Irrtum des A kann dem B somit zugerechnet werden. (a.A. gut vertretbar)
Hinweis: An der von A ebenfalls begangenen gefährlichen Körperverletzung (die hier nicht zu prüfen war) ist B nicht als Mittäter beteiligt, da er sich nicht wegen der erfolgswirksamen Verletzung eigener Rechtsgüter strafbar machen kann.
B hatte Tatentschluss in Bezug auf die auf die Tötung eines Menschen in Mittäterschaft.
Unmittelbares Ansetzen
B hat zur Tat unmittelbar angesetzt (s.o.).
Rechtswidrigkeit
B handelte rechtswidrig.
Schuld
B handelte auch schuldhaft.
Ergebnis
B hat sich eines versuchten Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht.
Lösungshinweise zu Fall 3
Unmittelbares Ansetzen des C:
Fraglich ist, ob C zur Tat unmittelbar angesetzt hat, indem er an der Haustür geklingelt hat. Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter die Schwelle zum „Jetzt geht's los“ überschritten hat, aus seiner Sicht keine weiteren Zwischenakte mehr nötig sind und das Rechtsgut konkret gefährdet ist. Nach der Vorstellung des A hätte es keiner wesentlichen Schritte mehr bedurft, um mit der Tatbestandsverwirklichung zu beginnen (,,Jetzt geht’s los“). C wollte nach dem Öffnen der Tür sofort Gewalthandlungen gegen das Opfer durchführen und hätte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 249 StGB erfüllt. Angesichts dessen bedarf es keiner weiteren Zwischenakte mehr und es kann auch von einer konkreten Gefährdung des Eigentums und der Willensfreiheit der Eheleute ausgegangen werden. Eine räumlich-zeitliche Nähebeziehung ist auch gegeben. C hat also zur Tat unmittelbar angesetzt.
Unmittelbares Ansetzen der A und B:
Problematisch ist aber, ob A und B zur Tat unmittelbar angesetzt haben. Wären A und B Alleintäter gewesen, so hätten sie nicht zur Tat unmittelbar angesetzt. B hat lediglich im Auto gewartet. Die geschützten Rechtsgüter – das Eigentum und die Willensfreiheit – wären nach Vorstellung des B noch nicht unmittelbar gefährdet. Das Gleiche betrifft den A, der vor der Haustür wartete. Vorliegend wollten jedoch A, B und C als Mittäter handeln. Nach dem gemeinsamen Tatplan sollte der Versuch mit dem Klingeln an der Haustür durch den C beginnen. Fraglich ist also, ob dies den übrigen Mittätern zugerechnet werden kann, oder ob der Versuch der gemeinschaftlichen Tat erst dann vorliegt, wenn jeder einzelne Mittäter mit seinem Tatbeitrag auch begonnen hat. Der Versuchsbeginn bei Mittäterschaft (Anfang der Ausführungshandlung i.S.d. § 22 StGB) ist umstritten.
Nach der ,,Einzellösung“ wird der Versuchsbeginn für jeden Mittäter gesondert geprüft. Es komme darauf an, ob jeder Beteiligte bereits zu seinem eigenen Tatbeitrag angesetzt hat. Der Tatbeitrag des B sollte nach dem gemeinsamen Tatplan in der Aufforderung der Eheleute zur Herausgabe des Tresorschlüssels oder zur Angabe der Zahlenkombination für den Tresor bestehen. Hierzu müssten aber die Eheleute gefesselt und ihnen die Augen verbunden werden. Weitere Zwischenschritte waren demnach erforderlich. B hätte nach dieser Ansicht nicht zur Tat unmittelbar angesetzt. A sollte nach dem gemeinsamen Tatplan in die Wohnung stürmen, Herrn H in seine Gewalt bringen und ihn mit einem Telefonkabel oder einem ähnlichen Gegenstand fesseln. Zu diesem Tatbeitrag bedarf es aber auch weitere Zwischenschritte: A hat nur vor der Haustür gewartet, es war noch das Klingeln an der Haustür erforderlich. Dies hat A allerdings nicht in eigener Person gemacht. Zum seinem eigenen Tatbeitrag hatte demnach auch A nicht unmittelbar angesetzt.
Nach der weitgehend herrschenden ,,Gesamtlösung“ hingegen kann das unmittelbare Ansetzen eines Mittäters dem anderen Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Der Versuch beginnt demnach für jeden Mittäter, sobald nur einer von ihnen zur Tatbestandsverwirklichung gem. § 22 StGB ansetzt. Vorliegend hat C zur Tat unmittelbar angesetzt (s.o.). Dies kann demnach dem A und B zugerechnet werden. Nach dieser Ansicht hätten A und B zur Tat unmittelbar angesetzt.
Hinweis: Nach der Einzellösung handelt ,,jeder für sich“, nach der Gesamtlösung ,,alle für einen, einer für alle“.
Beide Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Stellungnahme ist demnach erforderlich. Für die erste Ansicht könnte zwar der Wortlaut des § 22 StGB sprechen, wonach es auf die Vorstellung des jeweils Einzelnen anzukommen scheint. Dies überzeugt allerdings nicht. § 22 StGB verlangt nicht zwingend ein ,,eigenes“ unmittelbares Ansetzen. Die ,,Einzellösung“ lässt die Zurechnungsnorm des § 25 Abs. 2 StGB unberücksichtigt. Die Tat wird nach dieser Zurechnungsnorm als eine einheitliche Tat angesehen. Demnach muss aber auch das unmittelbare Ansetzen einheitlich betrachtet werden. Der gemeinsame Tatplan ist die Grundlage für die Zurechnung auch im Versuchsstadium.
A und B haben zur Tat unmittelbar angesetzt.
Abwandlung
Fraglich ist, ob A und B zur Tat unmittelbar angesetzt haben. Folgt man der vorzugswürdigen Gesamtlösung, könnte das unmittelbare Ansetzen zum Versuch zu bejahen sein. Vorliegend offenbarte sich aber C der Polizei. Nach seiner Vorstellung hat also C zur Tat nicht unmittelbar angesetzt. In Wirklichkeit lag keine Mittäterschaft vor. Zum Zeitpunkt des i.S.d. § 22 StGB maßgeblichen Ansetzens existierte der gemeinsame Tatentschluss nur in der Vorstellung des A und B. Es stellt sich also die Frage, ob eine solche ,,Schein-Mittäterschaft“ genügt, um das – nur vermeintlich gegebene – unmittelbare Ansetzen des vermeintlichen Mittäters den anderen Mittätern zuzurechnen. Dies ist umstritten. Innerhalb der Gesamtlösung werden hierzu zwei Auffassungen vertreten.
Hinweis: Von ,,Schein-Mittäterschaft“ wird gesprochen, wenn der Täter irrig davon ausgeht, es bestehe noch ein gemeinsamer Tatplan zur Deliktverwirklichung, aufgrund dessen sein vermeintlicher Mittäter unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt, während er nur im Vorbereitungsstadium oder erst nach der Handlung des ,,Schein“-Mittäters tätig werden soll.
Nach einer Ansicht ist ein Ansetzen des vermeintlichen Mittäters für die Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB ausreichend. Dabei wird argumentiert, § 25 Abs. 2 StGB beziehe sich nur auf objektive Tatbeiträge. In dem Handeln des vermeintlichen Mittäters sei objektiv der Einstieg in das Versuchsstadium zu sehen. Nach dieser Auffassung hätten also A und B zur Tat unmittelbar angesetzt.
Eine andere Ansicht dagegen verneint die Zurechnung der Versuchshandlung gem. § 25 Abs. 2 StGB bei bloßer ,,Schein-Mittäterschaft“. Eine Zurechnung sei nur möglich, wenn der potenzielle Mittäter selbst tatbestandsmäßig handelt. Handelt der vermeintliche Mittäter ohne Vorsatz, setzt er gerade nicht zur Tatbestandsverwirklichung an. Nach dieser Ansicht hätten A und B zur Tat nicht unmittelbar angesetzt. Der BGH ist in dem vorliegenden Fall dieser Ansicht gefolgt und hat Folgendes ausgeführt:
,,Als Ausführungsbeginn ist es den anderen Tatbeteiligten aber nur zuzurechnen, sofern es sich für den Handelnden als mittäterschaftlicher Tatbeitrag darstellt, also von dem Willen getragen ist, gemeinschaftlich mit den anderen Beteiligten zum Zwecke der Tatausführung zusammenzuwirken. Daran fehlt es. C war zur Mitwirkung an der Tat nicht (mehr) bereit. Als er an der Haustür klingelte, gab er der Polizei damit das Zeichen zum Zugriff. Er wollte dadurch die Tat nicht fördern, sondern gerade verhindern. Wiewohl sein Handeln äußerlich der mit den Angeklagten getroffenen Abrede entsprach, lag darin kein mittäterschaftlicher Tatbeitrag, weil er damit nicht den Willen verband, die verabredete Tat zur Ausführung zu bringen und an einem Teil daran mitzuwirken. Sein Handeln, das für ihn selbst kein Versuch war, kann daher den Angeklagten nicht als Beginn der Tatauführung zugerechnet werden. Die Angeklagten haben mithin das Versuchsstadium nicht erreicht (…).“
Die beiden Auffassungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Stellungnahme ist demnach erforderlich. Gegen die erste Ansicht spricht, dass man nur zurechnen kann, was ein anderer auch tatsächlich erfüllt. Im Falle der ,,Schein-Mittäterschaft“ fehlt es an dem für die mittäterschaftliche Zurechnung erforderlichen gemeinsamen Tatplan. Eine Zurechnung der Handlung eines ,,Schein“-Mittäters ist demnach ausgeschlossen. Der bloße Glaube, Mittäter zu sein, kann die tatsächlichen Voraussetzungen nicht ersetzen. Andernfalls würde allein die böse Gesinnung bestraft. Ein strafbares Handeln eines Mittäters ist die Voraussetzung für eine mittäterschaftliche Begehung. Nur strafbares Verhalten kann im Rahmen einer Straftat zugerechnet werden. Nichttatbestandliches Verhalten kann jedenfalls nicht im Rahmen der Mittäterschaft zugerechnet werden. Aus diesen Gründen ist der zweiten Ansicht zu folgen. (a.A. gut vertretbar)
A, B und C haben demnach zur Tat nicht unmittelbar angesetzt. Für A und B kommt allerdings eine Strafbarkeit wegen Verbrechensverabredung (vgl. § 30 Abs. 2 StGB) in Betracht.