Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil II: Eigentums- und Vermögensdelikte Licensed under CC-BY-4.0

§ 10: Räuberische Erpressung (§ 255 StGB)

Autorin: Louisa Zech

Notwendiges Vorwissen: Erpressung gem. § 253 StGB; Raub gem. § 249 StGB; Raubqualifikationen gem. §§ 250 ff. StGB; Betrug gem. § 263 StGB

Allgemeines und Rechtsgut

Die räuberische Erpressung qualifiziert die einfache Erpressung gemäß § 253 StGB, indem sie die Anwendung eines qualifizierten Nötigungsmittels, nämlich der „Gewalt gegen eine Person“ oder der „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“, verlangt. Der Wortlaut der Norm „wird gleich einem Räuber bestraft“ ermöglicht zudem die Anwendung der Qualifikationstatbestände des Raubes gem. §§ 250 ff. StGB.

Klausurhinweis: Es empfiehlt sich in Fällen, in denen sowohl der Raub als auch die räuberische Erpressung in Betracht kommt, immer zunächst mit der Prüfung des Raubes zu beginnen.So jedenfalls Schladitz, JA 2022, 89; Bode, JA 2017, 110 (112); Rönnau, JuS 2012, 888 (891). Denn wird der Raub hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale bejaht, scheidet eine Bestrafung wegen räuberischer Erpressung sowohl nach Ansicht der Rechtsprechung (die die räuberische Erpressung durch den spezielleren Raub auf Konkurrenzebene als verdrängt ansieht) als auch nach Ansicht der Literatur (die meint, eine Handlung könne immer nur Raub oder räuberische Erpressung sein) aus. In systematischer Hinsicht wäre es der Ansicht der Rechtsprechung folgend, wonach der Raub lex specialis zur räuberischen Erpressung ist, fehlerhaft, die Prüfung mit dem allgemeineren Delikt (also der räuberischen Erpressung) zu beginnen. Es kann dabei auch Fallkonstellationen geben, in denen auf den Raub nicht oder nur sehr knapp eingegangen werden muss, entweder weil das Tatobjekt keine fremde bewegliche Sache darstellt oder weil lediglich eine einfache Drohung mit einem empfindlichen Übel stattfindet, also Leib oder Leben nicht bedroht sind.Schladitz, JA 2022, 89 (90).

Objektiver Tatbestand

Qualifiziertes Nötigungsmittel

Die qualifizierten Nötigungsmittel entsprechen weitgehend denen im Raubtatbestand gem. § 249 StGB, weshalb an dieser Stelle auf das entsprechende Kapitel (→ § 5 Rn. 10 ff.) verwiesen wird. Im Folgenden werden vor allem die Besonderheiten der räuberischen Erpressung hervorgehoben.

Gewalt gegen eine Person

Für den Gewaltbegriff im Rahmen der räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255 StGB gilt das bereits zur Erpressung (§ 253 StGB) und der Nötigung (§ 240 StGB) Gesagte (s. auch → § 9 Rn. 8).

Klausurhinweis: Wird an dieser Stelle des Gutachtens Gewalt in Form der vis absoluta bejaht, so ist beim darauffolgenden Prüfungspunkt des Nötigungserfolges darauf zu achten, dass nach der überwiegenden Literaturansicht keine räuberische Erpressung vorliegt. Denn diese Ansicht stuft die räuberische Erpressung als Selbstschädigungsdelikt ein und setzt daher eine Vermögensverfügung des Opfers voraus. Die willensbrechende Gewalt schließt aber eine Vermögensverfügung und somit eine Selbstschädigung durch das Opfer denklogisch aus. Dazu sogleich näher unter → Rn. 10 ff.

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

Eine Drohung ist das In-Aussicht-Stellen einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Opfers, auf die der Täter Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Besondere Bedeutung erlangt im Rahmen der räuberischen Erpressung das Erfordernis der Gegenwärtigkeit der Gefahr für Leib oder Leben des Opfers. Nicht selten ist die Gefahr für Leib oder Leben für den erfolglosen Ablauf einer Frist angekündigt, innerhalb derer das Opfer der Forderung der drohenden Person nachkommen soll. Es wird in derartigen Sachverhaltskonstellationen unterschiedlich beurteilt, bis zu welchem Zeitpunkt die Gefahr noch gegenwärtig ist.

Beispiel 1: A schüchtert den B mit einer geladenen Pistole ein und droht ihm, diese bei seinem nächsten Besuch in zwei Tagen zu benutzen, wenn der B ihm nicht bis dahin 500 EUR überwiesen hat.

Beispiel 2: In einer Kaufhauskette werden durch T mehrere Sprengsätze gezündet. T kündigt die Zündung weiterer Sprengsätze in Filialen der Kaufhauskette an, wenn ihm nicht alsbald 1 Mio. EUR gezahlt werden.

Nach weit verbreiteter Ansicht ist eine Gefahr dann gegenwärtig, wenn der Eintritt des angedrohten schädigenden Ereignisses unmittelbar bevorsteht oder wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Schadenseintritt als sicher oder zumindest wahrscheinlich zu erwarten ist, wenn nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. Eine sog. Dauergefahr, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist auch dann gegenwärtig, wenn sie zu einem ungewissen Zeitpunkt in eine Verletzung umschlagen kann.BGH NStZ 2015, 36; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT 2, 2023 (46. Aufl.), § 19 Rn. 787 mwN. Eine zeitliche Grenze kann nicht pauschal bestimmt werden, sondern muss sich an den Umständen des Einzelfalls orientieren. Um einen umfassenden Schutz durch die §§ 253, 255 StGB zu gewährleisten, sollten die Anforderungen an die Gegenwärtigkeit der Gefahr allerdings nicht allzu hoch angesetzt werden.BGH NStZ 2015, 36; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 255 Rn. 7; Wittig, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 255 Rn. 2.1.

Zur Intensität der Drohung mit einer Gefahr für die körperliche Unversehrtheit, hat der BGH jüngst betont, dass nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung ausreichend sei, sondern vielmehr der in Aussicht gestellte Angriff auf die körperliche Unversehrtheit eine gewisse Schwere erfordere.BGH NStZ-RR 2022, 182 (183) mwN. So reichte dem BGH etwa die Androhung einer Ohrfeige nicht als qualifizierte Drohung.BGH StV 2001, 679 (680) bzgl. der §§ 177, 178 aF.

Nötigungserfolg

Im Rahmen des Nötigungserfolges ist es, wie bei der einfachen Erpressung, umstritten, ob jedes beliebige dem Opfer abgepresste Verhalten tatbestandsmäßig sein kann (also zB auch die bloße Duldung der Wegnahme einer Sache) oder ob es einer Vermögensverfügung durch das Opfer bedarf. Insofern gelten alle bereits zu dieser Frage vorgebrachten Argumente (→ § 9 Rn. 19 ff.) auch an dieser Stelle. Im Rahmen der räuberischen Erpressung wird der Streit jedoch durch die Frage nach dem „richtigen“ Verhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung zusätzlich verkompliziert.

Die RechtsprechungBGH BeckRS 2021, 28048, Rn. 12; BGH NJW 2018, 245; BGH NStZ 2002, 31 (32); BGH NJW 1960, 1729; BGH NJW 1973, 2072. sowie Teile der LiteraturKudlich, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), Vor §§ 249 ff. Rn. 7; Seier, JA 1984, 441. gehen – schon bei § 253 StGB dargestellt – davon aus, dass jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen als Nötigungserfolg genügt. Dementsprechend kann auch die Duldung einer Wegnahme tatbestandsmäßig iSv §§ 253, 255 StGB sein. §§ 253, 255 StGB fungieren in dieser Logik als Auffangtatbestände, zu denen der Raub im Verhältnis der Spezialität steht. Daher wird diese Ansicht auch Spezialitätsthese genannt. Für diese Lösung werden insbesondere Strafbarkeitslücken angeführt, die in Fällen auftreten können, in denen der Täter zur Erlangung einer Sache ohne Zueignungsabsicht Gewalt gegen das Opfer in Form von vis absoluta ausführt, sowie in Fällen, in denen es für einen Raub an einem tauglichen Tatobjekt fehlt (zB Forderungserpressungen oder die Wiedererlangung einer eigenen, verpfändeten Sache).

Beispiel 1 A schlägt O bewusstlos um sich Os Buch zu nehmen, fertigt aber lediglich Kopien davon an und gibt es im Anschluss zurück.

Beispiel 2 A schlägt den Taxifahrer T mit einer Eisenstange nieder, um die Taxifahrt nicht bezahlen zu müssen.Beispiel aus Brand, JuS 2009, 899 (900).

Im ersten Beispiel hatte A keinen Vorsatz bezüglich der dauerhaften Enteignung von O und handelte somit ohne Zueignungsabsicht, weshalb ein Raub gem. § 249 StGB ausscheidet. Da die Rechtsprechung die §§ 253, 255 StGB aber als eine Art Auffangtatbestand für Fälle der gewaltsamen Vermögensschädigung versteht, liegt nach dieser Ansicht gleichwohl eine Strafbarkeit von A wegen räuberischer Erpressung vor. Forderte man dagegen einschränkend eine Vermögensverfügung, hätte A sich lediglich wegen § 223 StGB und § 240 StGB strafbar gemacht. Die Forderung nach einer Vermögensverfügung führe also – so die Vertreter:innen der Spezialitätsthese – zu dem wertungswidersprüchlichen Ergebnis, dass der Täter privilegiert werde, der besonders brutal vorgeht und vis absoluta anwendet.

Im zweiten Beispiel scheitert der Raub mangels einer fremden beweglichen Sache, da A es lediglich vereitelt, dass T den Fahrpreis von ihm eintreiben (also eine Forderung durchsetzen) kann. Auch hier käme keine Bestrafung nach §§ 253, 255 StGB in Betracht, wenn eine Verfügung gefordert wird. Zugespitzt wird der Wertungswiderspruch beim Vergleich mit der Variante, dass A den T nicht niedergeschlagen, sondern lediglich mit der Eisenstange bedroht hätte. In der „Bedrohungs“-Variante läge – auch wenn man eine Vermögensverfügung fordert – eine Strafbarkeit wegen §§ 253, 255 StGB vor, wenn wirklich zugeschlagen wird, jedoch nicht.S. dazu Brand, JuS 2009, 899 (900). Dieser plädiert sodann für eine vermittelnde Lösung (siehe → Rn. 14), in welcher die Vermögensverfügung lediglich für die sog. Sacherpressung angenommen werden soll, nicht aber für die Forderungserpressung (S. 901).

Die schon mehrfach angesprochene VerfügungstheorieHeger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 253 Rn. 2; Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 253 Rn. 8; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, BT 2, 46. Aufl. (2023), § 19 Rn. 791. folgert – wie gesagt – aus der strukturellen Parallelität zwischen Erpressung und Betrug das Erfordernis einer Vermögensverfügung durch das Opfer und lässt daher im Gegensatz zur Rechtsprechung nicht jeden beliebigen Nötigungserfolg genügen. Neben den schon im Rahmen der einfachen Erpressung dargestellten Erwägungen lehnen Vertreter:innen dieser Ansicht ein Spezialitätsverhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung ab und leiten daraus ein weiteres Gegenargument gegen den Verzicht auf das Verfügungserfordernis ab. Einem Spezialitätsverhältnis stehe schon die Gesetzessystematik im 20. Abschnitt des StGB entgegen, welcher die Überschrift „Raub und Erpressung“ trägt und damit beide Tatbestände als eigenständig klassifiziere. Zudem wäre der Tatbestand des Raubes in der Logik der Rechtsprechung überflüssig, da jeder Raub auch eine räuberische Erpressung darstelle, § 249 StGB aber denselben Strafrahmen wie § 255 StGB hat.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 253 Rn. 16. Außerdem sei es systematisch unstimmig, dass der Grundtatbestand des § 255 StGB für die Bestimmung des Strafrahmens auf die Qualifikation verweise. Argumentiert wird auch, dass beide Tatbestände unterschiedliche Rechtsgüter schützen würden, was ebenfalls gegen ein Spezialitätsverhältnis spreche. So schütze der Raub das Eigentum, während die (räuberische) Erpressung das Vermögen schütze. Nur mit der hL sei demnach eine klare Abgrenzung zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten möglich.Schladitz, JA 2022, 89 (93). Die von der Rechtsprechung befürchteten Strafbarkeitslücken seien hinzunehmen, da sie auf dem Grundsatz der Straflosigkeit der Gebrauchsanmaßung beruhten, der sich aus einem Umkehrschluss zu §§ 248b, 289, 290 StGB ergebe.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 253 Rn. 18. Innerhalb der Verfügungstheorie ist umstritten, wie genau die Vermögensverfügung definiert wird (siehe dazu ausführlicher → § 9 Rn. 22).

Eine differenzierende Ansicht verlangt nur bei der Sacherpressung eine Vermögensverfügung, nicht aber bei der Forderungserpressung.Brand, JuS 2009, 899 (901 f.) (unter Verweis auf Rengier, JuS 1981, 654 (661)). Wird die Preisgabe einer Forderung mittels vis absoluta erzwungen (wie im Beispiel 2), so liegt demnach eine räuberische Erpressung vor.Brand, JuS 2009, 899 (901 f.): iE übereinstimmend, aber mit abweichender Begründung Rengier, BT I, 26. Aufl. (2024), § 11 Rn. 46. Als Argumente für diese Auffassung wird zweierlei angeführt: Erstens sei es angesichts der Parallele, die die herrschende Lehre zwischen Betrug und Erpressung zieht, nur konsequent, bei der Forderungserpressung auf das Merkmal der Vermögensverfügung zu verzichten, da auch beim Forderungsbetrug herrschend kein Verfügungsbewusstsein des Opfers gefordert werde. Genauso wie beim Forderungsbetrug keine Abgrenzung zum Diebstahl erfolgen muss (denn Forderungen kann man mangels Sacheigenschaft nicht stehlen) falle bei §§ 253, 255 StGB mit Blick auf Forderungen das Abgrenzungsbedürfnis zum Raub weg. Zweitens passe das Erfordernis der Vermögensverfügung bei Forderungen strukturell nicht, weil Forderungen – anders als der Gewahrsam – nicht unter dem Eindruck von Gewalt oder Drohung „aufgegeben“ werden können – sie verbleiben in Konstellationen wie dem Beispielfall 2 juristisch betrachtet beim Verletzten, der lediglich Schwierigkeiten bei der Durchsetzung bekommt.Brand, JuS 2009, 899 (901 f.).

Klausurhinweis: In der Klausur muss, wenn sowohl der Raub als auch die räuberische Erpressung in Betracht kommen, darauf geachtet werden, zwei Meinungsstreitigkeiten auseinanderzuhalten:

Das erste Problem ergibt sich bei der Prüfung des Raubs für den sog. Gewahrsamsbruch im Rahmen der Wegnahme. Gewahrsamsbruch bedeutet die Verschiebung des Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Opfers. Da der Täter mitunter das Opfer zum Gewahrsamswechsel mittels qualifizierter Nötigungsmittel zwingt, kann nicht ohne Weiteres von einer Gewahrsamsverschiebung gegen bzw. ohne den Willen des Opfers gesprochen werden. Die Rechtsprechung und Literatur wenden hier unterschiedliche Maßstäbe an. Während die Rechtsprechung auf das äußere Erscheinungsbild des Gewahrsamsübergangs abstellt (Raub liegt vor, wenn der Täter die Sache „nimmt“, ansonsten räuberische Erpressung), beurteilt die Literatur den Sachverhalt anhand der „inneren Willensrichtung“ des Opfers (räuberische Erpressung, wenn das Opfer sich vorstellt, den Gewahrsamsverlust noch verhindern zu können, sonst Raub).

Das zweite Problem, das sich dann im objektiven Tatbestand der räuberischen Erpressung stellt, ist die Frage, ob es einer Vermögensverfügung durch das Opfer bedarf.Eine gute Übersicht über die beiden Problemfelder bietet Schladitz, JA 2022, 89.

Ist § 249 StGB nach allen Ansichten zu bejahen, sollte die räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB zwar stets, aber nur noch sehr kurz mit dem Hinweis angesprochen werden, dass sie nach der Verfügungstheorie schon tatbestandlich nicht gegeben ist oder aber jedenfalls (wenn man der Rechtsprechung folgt) durch den Raub als spezielleres Delikt verdrängt wird.

Gerne übersehen wird, dass nach der Auffassung der Rechtsprechung immer noch eine räuberische Erpressung in Betracht kommt, wenn nach dem äußeren Erscheinungsbild ein Nehmen vorliegt, der Raub aber aus anderen Gründen ausscheidet. Diese ist dann ausführlich zu prüfen, wobei besonderes Augenmerk darauf zu richten ist, ob eine Vermögensverfügung vorliegt bzw. (falls nicht) ob eine solche Vermögensverfügung überhaupt erforderlich ist. Die gerne gebrauchte Faustformel, wonach die Rechtsprechung nach „Geben“ und „Nehmen“ abgrenze, ist verwirrend, weil sie suggeriert, dass eine räuberische Erpressung nach Ansicht der Rechtsprechung ein „Geben“ voraussetze. Das ist aber nicht der Fall.

Die räuberische Erpressung erfordert – wie der Raub (→ § 5 Rn. 33 ff.) – einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und dem Nötigungserfolg, d. h. der Täter muss mit dem Ziel nötigen, dem Opfer das selbstschädigende Verhalten abzuringen.BGH, Beschl. v. 27. Februar 2024 – 5 StR 19/24; BGH NStZ 2017, 92. Die vorherige Anwendung von Gewalt zu einem anderen Zweck und das anschließende Ausnutzen der Sorge des Opfers vor einer erneuten Gewaltanwendung erfüllt diesen Finalzusammenhang nicht.BGH, Beschl. v. 27. Februar 2024 – 5 StR 19/24.

Vermögensnachteil

Als dritte Voraussetzung im objektiven Tatbestand muss ein Vermögensnachteil beim Opfer entstanden sein. Zu den Voraussetzungen s. bereits die Erläuterungen zur Erpressung (→ § 9 Rn. 29 ff.).

Subjektiver Tatbestand

Im Rahmen des subjektiven Tatbestandes muss zunächst Vorsatz bzgl. aller objektiven Tatumstände vorliegen. Daneben bedarf es auch der Absicht der mit dem Nachteil des Geschädigten stoffgleichen und rechtswidrigen Bereicherung. Auch hier kann auf den entsprechenden Abschnitt der Erpressung gem. § 253 StGB verwiesen werden (→ § 9 Rn. 33).

Rechtswidrigkeit und Schuld

Eine Verwerflichkeitsprüfung nach § 253 Abs. 2 StGB ist im Rahmen der räuberischen Erpressung auf Grund der Schwere des Delikts nicht mehr erforderlich, mit Vorliegen des Tatbestandes ist die Rechtswidrigkeit bereits indiziert. Es müssen daher nur die allgemeinen Rechtfertigungsgründe geprüft werden. Für die Schuld ergeben sich keine Besonderheiten. An dieser Stelle wird das Vorliegen der allgemeinen Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründe geprüft.

(Ggf.) Qualifikation nach §§ 250 ff. StGB

Der Verweis in § 255 StGB auf den Raub („gleich einem Räuber bestraft“) umfasst auch dessen Qualifikationen in § 250 StGB bzw. die Erfolgsqualifikation in § 251 StGB. Die dort (→ § 6 und § 7) behandelten Probleme müssen, falls sie einschlägig sind, hier entsprechend diskutiert werden. Vom Klausuraufbau her sind zwei Varianten möglich: Zum einen kann die Qualifikation bereits im Rahmen des objektiven Tatbestandes der §§ 253, 255 StGB umfassend geprüft werden. Zum anderen kann auch zunächst nur §§ 253, 255 StGB und im Anschluss in einer neuen Prüfung § 250 StGB und/oder § 251 StGB erörtert werden. Letzteres ist jedenfalls für die Erfolgsqualifikation aus Gründen der Übersichtlichkeit regelmäßig zu empfehlen.

Konkurrenzen

Der oben benannte Streit (→ Rn. 9 ff.) um die Abgrenzung zwischen dem Raub und der räuberischen Erpressung wirkt sich auch auf die Konkurrenzebene aus. Hier ist darauf zu achten, in der Prüfung konsequent zu bleiben. Wird sich für die Rechtsprechungsansicht entschieden, so können Raub und räuberische Erpressung nebeneinander vorliegen, wobei der Raub die räuberische Erpressung im Wege der Spezialität verdrängt. Demgegenüber stehen Raub und räuberische Erpressung in einem Exklusivitätsverhältnis, wenn der Verfügungstheorie gefolgt wird. Nach dieser Ansicht kann die räuberische Erpressung bei Vorliegen eines Raubes schon tatbestandsmäßig nicht gegeben sein.

Wissen für die Zweite Juristische Prüfung

Die räuberische Erpressung hat einen Strafrahmen von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe und stellt somit ein Verbrechen dar. Für die Zweite Juristische Prüfung ist damit im B-Gutachten anzusprechen, dass für die räuberische Erpressung die sachliche Zuständigkeit des Schöffengerichts beim Amtsgericht oder sogar der Großen Strafkammer beim Landgericht gegeben ist, letzteres insbesondere wenn die Tat gem. § 250 StGB qualifiziert ist.

Es ist ferner an die Einziehung des Erlangten bzw. des Wertes des Erlangten nach den §§ 7373c StGB zu denken.

§ 255 StGB ist zudem unter anderem eine Katalogtat für die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 2 lit. k) StPO und der Online-Durchsuchung § 100b Abs. 2 lit. k) StPO.

Im Rahmen der Prüfung eines Haftbefehls muss der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO beachtet werden.

Prüfungsschema

  1. Tatbestand

    1. Objektiver Tatbestand

      1. Qualifiziertes Nötigungsmittel: Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

        1. Gewalt gegen eine Person

        2. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

      2. Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen / Vermögensverfügung

      3. Vermögensnachteil

    2. Subjektiver Tatbestand

      1. Vorsatz

      2. Absicht rechtswidriger und mit dem Nachteil des Geschädigten stoffgleicher Bereicherung

  2. Rechtswidrigkeit

  3. Schuld

Weiterführende Studienliteratur und Übungsfälle

Weiterführende Studienliteratur

Brand, Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung am Beispiel der Forderungserpressung, JuS 2009, 899

Bode, Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung in der Fallbearbeitung, JA 2017, 110

Rönnau, Abgrenzung von Raub und räuberischer (Sach-) Erpressung, JuS 2012, 888

Schladitz, Die verschiedenen Problemdimensionen der „Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung“, JA 2022, 89

Übungsfälle

Heghmanns, Raub und Räuberische Erpressung in der gutachterlichen Prüfung, ZJS 2023, 966

Rackow/Ziegler, Der begehrte Kowalski/Nedderfeld/Brodermeyer-Kommentar und das beste Dope des Orients, JA 2018, 591

Schwarze, Examensübungsklausur: Unter Strom, ZJS 2023, 1088