Rechtsgut und Deliktsstruktur
§ 186 StGB schützt die Ehre, ebenso wie der Tatbestand der Beleidigung. § 186 StGB erfasst dabei – wie die Verleumdung (§ 187 StGB) – ausschließlich Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten (näher → § 43 Rn. 1 ff.). Der zentrale Unterschied zwischen diesen Delikten besteht darin, dass die Unwahrheit der Tatsache bei § 187 StGB objektives Tatbestandsmerkmal und nicht objektive Bedingung der Strafbarkeit ist und der Täter positive Kenntnis von dieser haben muss.
Im Hinblick auf den Ehrangriff besteht zwischen § 185 StGB und den §§ 186, 187 StGB ein struktureller Unterschied. Während der Täter bei § 185 StGB die Ehre des Verletzten durch die Entäußerung von Missachtung direkt angreift, entfaltet sich die Diffamierung bei §§ 186, 187 StGB mittelbar: Denn erst die negative Vorstellung, die sich der Dritte auf Grundlage der behaupteten Tatsache – infolge eigener Bewertung – vom Ehrträger zu bilden vermag, gefährdet seine Ehre.
Die üble Nachrede ist wie auch § 185 StGB ein Erfolgsdelikt, da die Äußerung von einem Dritten wahrgenommen werden muss, was einen feststellbaren Erfolg in der Außenwelt darstellt. Auch ist sie nach hM ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
Weiterführendes Wissen: Im Unterschied zu § 185 StGB handelt es sich nach zutreffender Ansicht um ein Eignungsdelikt als Sonderform des abstrakten Gefährdungsdelikts.
Objektiver Tatbestand
Im objektiven Tatbestand muss der Täter eine ehrenrührige Tatsache (dazu → Rn. 6 ff.) in Beziehung auf einen anderen behaupten oder verbreiten (dazu → Rn. 10 ff.).
Ehrenrührige Tatsache
Tatsache
Die Äußerung muss eine Tatsache zum Gegenstand haben, also ein vergangenes Ereignis, einen Vorgang oder Zustand, der dem Beweis zugänglich ist. Enthält eine einheitliche Äußerung auch wertende Elemente, bedarf es der Abgrenzung zum Werturteil, wobei es darauf ankommt, welche Anteile überwiegen und die Äußerung prägen (im Einzelnen → § 42 Rn. 56 ff.).
Ehrenrührigkeit
Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Tatsache den betroffenen Ehrträger „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet“ sein – verkürzt als Ehrenrührigkeit bezeichnet.
Klausurtaktik: Da kein praktisch relevanter Unterschied zwischen den Tatbestandsalternativen besteht, eine Abgrenzung kaum möglich ist und die Subsumtion regelmäßig gleichläuft, sollte von der Abgrenzung abgesehen werden.
Die auf den Ehrträger bezogene Tatsache muss zumindest von einem größeren Teil der Bevölkerung
Beispiele: Abgelehnt wurde Ehrenrührigkeit bei der Behauptung, dass ein Frauenarzt rechtswidrige, jedoch gesetzlich zulässige
Behaupten oder Verbreiten in Beziehung auf einen anderen
Das Gesetz unterscheidet zwei Formen der Kundgabe: Behaupten und Verbreiten.
Der Täter behauptet eine Tatsache, wenn er sie nach eigener Überzeugung als wahr hinstellt.
Der Täter verbreitet eine Tatsache, wenn er sie als Gegenstand fremden Wissens oder fremder Überzeugung mitteilt.
Weiterführendes Wissen: Behauptungen finden sich etwa typischerweise in Strafanzeigen, da diese insbesondere Schilderungen enthalten, die der Äußernde als zutreffend darstellt. Typische Fälle des Verbreitens sind etwa das Teilen von Zeitungsartikeln in sozialen Netzwerken.
Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Kundgabe der Tatsache ferner in Beziehung auf einen anderen erfolgen, d. h. Empfänger und Ehrträger dürfen nicht personengleich sein; in diesem Fall ist vielmehr § 185 StGB einschlägig. Für den Drittbezug genügt es jedoch, wenn die Tatsachenbehauptung sowohl gegenüber dem Ehrträger als auch der dritten Person erfolgt; überzeugenderweise stehen § 185 und § 186 StGB dann in Tateinheit (→ Rn. 28). Im Übrigen bedarf es, wie bei der Kundgabe iRd § 185 StGB, der tatsächlichen Kenntnisnahme (Kundgabeerfolg → § 42 Rn. 76).
Beleidigungsfreie Sphäre
Straffrei sind Äußerungen in beleidigungsfreier Sphäre. Die allgemeinen Grundsätze gelten in Bezug auf § 186 StGB entsprechend (→ § 42 Rn. 79 ff.).
Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss (bedingten) Vorsatz bezogen auf die ehrenrührige Tatsache sowie dessen drittbezogene Behauptung bzw. Verbreitung haben; dies umfasst auch die Kenntniserlangung des Dritten. Anders als bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen der §§ 185, 187 StGB muss sich der Vorsatz jedoch nicht auf die Unwahrheit der Tatsache erstrecken. Selbst die feste Überzeugung von der Wahrheit steht dem Vorsatz nicht entgegen.
Klausurtaktik: Bei gutem Glauben an die Wahrheit und sorgfältiger Prüfung der Richtigkeit wird die Strafbarkeit zwar weithin abgelehnt – teilweise aufgrund eines restriktiven Verständnisses der „nicht erweislichen Wahrheit“, teilweise infolge von Rechtfertigung. Dies ist jedoch nicht im subjektiven Tatbestand zu behandeln.
Wahrheit der Tatsache nicht erweislich
I. Die ehrenrührige Tatsache muss zudem nicht erweislich wahr sein. Die Strafbarkeit scheitert unstreitig, wenn die Wahrheit im Strafverfahren festgestellt wird. Dabei stehen geringfügige Übertreibungen und (nebensächliche) Abweichungen vom Tatsachenkern der Wahrheitsfeststellung nicht entgegen.
II. Die Rechtsnatur und Anforderungen an die nichterweisliche Wahrheit sind indes umstritten. Rspr. und wohl überwiegende Literaturansicht verstehen die Voraussetzung nicht als objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal, sondern als objektive Bedingung der Strafbarkeit.
Beispiel: A teilt – im Glauben an die Richtigkeit – in einem sozialen Netzwerk den Artikel einer überregionalen Tageszeitung, der die Veruntreuung von Parteispenden durch die Politikerin B beschreibt. Zuvor hat er umfangreich im Internet recherchiert und konnte dadurch ausmachen, dass eine Vielzahl weiterer Medien dieselbe Information verbreiten ohne hieran Zweifel zu äußern. Wie sich jedoch im Nachhinein offenbart, sind die Behauptungen unzutreffend. Der Ex-Ehemann C hatte einer Zeitung gefälschte Unterlagen zugespielt, um sich an B zu rächen.
Nach wohl hM scheitert die Strafbarkeit auf Rechtfertigungsebene (→ Rn. 23 ff.).
1. Für die Qualifikation als objektive Strafbarkeitsbedingung spricht der Wortlaut,
2. Die uneingeschränkte Strafbarkeit von Tatsachenbehauptungen (im privaten Umfeld), die sich im Strafverfahren nicht nachweislich bewahrheiten, ist jedoch insbesondere nicht mit Schuldprinzip, APR (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG), Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und allgemeiner Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) vereinbar,
Klausurtaktik: Beim Erfordernis der nichterweislichen Wahrheit handelt es sich nach hM weder um ein objektives noch um ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Es bietet sich daher eine gesonderte Prüfung – vor Rechtswidrigkeit und Schuld – an. Folgt man der hM, so erscheint es gut vertretbar, den Prüfungspunkt als „Objektive Bedingung der Strafbarkeit“ zu bezeichnen, sofern man in der Klausur eine Überschrift verwenden will. Folgt man indes der vordringenden Ansicht, die dies ablehnt, oder lässt man die Qualifikation des Merkmals mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, dann sollte eine neutrale Bezeichnung, wie „Nichterweisliche Wahrheit der Tatsache“, verwendet werden.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Auch bei § 186 StGB kommt insbesondere der spezielle Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht. Danach müssen Rechtfertigungslage (berechtigtes Interesse), Rechtfertigungshandlung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) und subjektives Rechtfertigungselement vorliegen (§ 193 StGB; im Einzelnen → § 42 Rn. 100 ff.).
Typische berechtigte Interessen iRd § 187 StGB sind etwa die Berichterstattung in öffentlichen Angelegenheiten oder (Tatsachen-)Ausführungen im „Kampf ums Recht“, etwa im Rahmen von Strafanzeigen oder Schriftsätzen in gerichtlichen Verfahren.
Stellen sich Tatsachenäußerungen als zutreffend heraus, sind sie – da „erweislich wahr“ – ohnehin bereits straflos. § 193 StGB kommt insofern einerseits für Fälle in Betracht, in denen die Wahrheit nicht aufgeklärt werden kann („non-liquet“). Andererseits, wenn sich die Unwahrheit im Nachhinein herausstellt, die äußernde Person dies jedoch nicht wusste: Denn Bösgläubigkeit führt zur Strafbarkeit nach § 187 StGB, bei der eine Rechtfertigung in der Regel ausgeschlossen ist (näher → § 44 Rn. 7). Beim guten Glauben an die Wahrheit kommt es bei der Abwägung im Rahmen der Angemessenheit entscheidend darauf an, ob die äußernde Person den Wahrheitsgehalt sorgfältig geprüft hat (lässt man nicht bereits den Straftatbestand daran scheitern → D. II. 2.), wobei die Anforderungen nach den Umständen variieren (zB Presse oder Privatperson). Leichtfertige Behauptungen und haltlose Vermutungen sind in jedem Fall unangemessen.
Klausurtaktik: Es ist vertretbar, es bei einer trotz Sorgfalt verkannt unwahren Tatsachenäußerung (wie im Beispielsfall in → Rn. 19) dahinstehen zu lassen, ob die Strafbarkeit bereits an der restriktiven Auslegung des Tatbestands (→ Rn. 21) oder erst an der Rechtfertigung gem. § 193 StGB scheitert. Dies würde jedoch eine Inzidentprüfung von § 193 StGB bereits auf Tatbestandsebene erfordern, was zur Unübersichtlichkeit der Klausurlösung führen kann.
Qualifikation
Die Üble Nachrede ist – entsprechend § 185 StGB – qualifiziert strafbar, wenn sie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen wird, vgl. § 186 StGB. Entsprechendes gilt für Ehrverletzungen gegen Personen des politischen Lebens, § 188 Abs. 2 iVm Abs. 1 StGB (→ § 42 Rn. 134 ff.).
Konkurrenzen
Verschiedene Tatsachenäußerungen in einem Äußerungszusammenhang bilden eine Handlungseinheit.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Ehrenrührige Tatsache
Behaupten oder Verbreiten in Beziehung auf einen anderen
ggf. keine beleidigungsfreie Sphäre
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Nichterweisliche Wahrheit der Tatsache
→ wohl hM: objektive Bedingung der Strafbarkeit; aA: zumindest sorgfaltswidriges Verhalten
Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungslage / berechtigtes Interesse
Rechtfertigungshandlung (geeignet, erforderlich, angemessen)
→ Angemessenheit: Abwägung (Faktoren: sorgfältige Prüfung des Wahrheitsgehalts (hM); Distanzierung von Tatsache oder Entgegentreten; „Kampf ums Recht“)
Subjektives Rechtfertigungselement
Schuld
ggf. Qualifikationen, §§ 186 Var. 2, 188 Abs. 1 StGB
Strafantrag (§ 194 StGB)
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Parallel zu § 185 StGB gilt es ferner zu beachten, dass es sich bei der Üblen Nachrede um ein absolutes oder relatives Antragsdelikt handelt (§ 194 Abs. 1 S. 1 bzw. S. 3 StGB), der Antrag bei Behörden und Amtsträger:innen gegebenenfalls auch durch Vorgesetze gestellt werden kann (§ 194 Abs. 3 StGB) und es sich nach § 374 Abs. 1 Nr. 2, 376 StPO um ein Privatklagedelikt handelt (zum Ganzen → § 42 Rn. 141 ff.).
Studienliteratur und Übungsfälle
Hinsichtlich allgemein die Ehrdelikte betreffender Literatur wird auf die Literangaben in → § 42 verwiesen.
Materialien speziell zu §§ 186, 187 StGB:
Kett-Straub, Fallbearbeitung „Zerplatzte Träume“ (§§ 185 – 187 StGB), JA 2012, 831
Piper, Fallbearbeitung „Der Richter und der Volksgerichtshof“ (§§ 186 u. 193 StGB), JA 2012, 436
Bohnert, Übungsfall – „Der beamtete Sozialarbeiter“, JURA 2004, 640 (§ 185 u. § 186 StGB)
Kuhlen/Roth, Der praktische Fall – „Ein Experiment in der U-Bahn“, JuS 1995, 711 (§§ 186, 187 StGB)