Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit Licensed under CC-BY-4.0

§ 43: Üble Nachrede (§ 186 StGB)

Autor: Mani Jaleesi

Rechtsgut und Deliktsstruktur

§ 186 StGB schützt die Ehre, ebenso wie der Tatbestand der Beleidigung. § 186 StGB erfasst dabei – wie die Verleumdung (§ 187 StGB) – ausschließlich Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten (näher → § 43 Rn. 1 ff.). Der zentrale Unterschied zwischen diesen Delikten besteht darin, dass die Unwahrheit der Tatsache bei § 187 StGB objektives Tatbestandsmerkmal und nicht objektive Bedingung der Strafbarkeit ist und der Täter positive Kenntnis von dieser haben muss.

Im Hinblick auf den Ehrangriff besteht zwischen § 185 StGB und den §§ 186, 187 StGB ein struktureller Unterschied. Während der Täter bei § 185 StGB die Ehre des Verletzten durch die Entäußerung von Missachtung direkt angreift, entfaltet sich die Diffamierung bei §§ 186187 StGB mittelbar: Denn erst die negative Vorstellung, die sich der Dritte auf Grundlage der behaupteten Tatsache – infolge eigener Bewertung – vom Ehrträger zu bilden vermag, gefährdet seine Ehre.

Die üble Nachrede ist wie auch § 185 StGB ein Erfolgsdelikt, da die Äußerung von einem Dritten wahrgenommen werden muss, was einen feststellbaren Erfolg in der Außenwelt darstellt. Auch ist sie nach hM ein abstraktes Gefährdungsdelikt.Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 186 Rn. 10; Gaede, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 1; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand 01.05.2024), § 186 Rn. 8; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 1; Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 186 Rn. 11; Tenckhoff, JuS 1988, 618 (622). Dies folgt einerseits daraus, dass die Behauptung nicht zwingend zu einem die Ehre verletzenden Ansehensverlust führen muss – etwa, wenn niemand ihr Glauben schenkt. Andererseits folgt dies aber auch aus der Besonderheit des § 186 StGB, dass Tatsachen lediglich „nicht erweislich wahr“ sein müssen, sodass es bei Tatvollendung möglich sein kann, dass die behauptete Tatsache der Wahrheit entspricht, womit ein Ansehensverlust seine Berechtigung hätte.

Weiterführendes Wissen: Im Unterschied zu § 185 StGB handelt es sich nach zutreffender Ansicht um ein Eignungsdelikt als Sonderform des abstrakten Gefährdungsdelikts.Gaede, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 1 Denn infolge des Erfordernisses der Ehrenrührigkeit ist die Tatsachenbehauptung stets (potentiell dazu) geeignet, das Ansehen bei Dritten herabzusetzen.

Objektiver Tatbestand

Im objektiven Tatbestand muss der Täter eine ehrenrührige Tatsache (dazu → Rn. 6 ff.) in Beziehung auf einen anderen behaupten oder verbreiten (dazu → Rn. 10 ff.).

Ehrenrührige Tatsache

Tatsache

Die Äußerung muss eine Tatsache zum Gegenstand haben, also ein vergangenes Ereignis, einen Vorgang oder Zustand, der dem Beweis zugänglich ist. Enthält eine einheitliche Äußerung auch wertende Elemente, bedarf es der Abgrenzung zum Werturteil, wobei es darauf ankommt, welche Anteile überwiegen und die Äußerung prägen (im Einzelnen → § 42 Rn. 56 ff.).

Ehrenrührigkeit

Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Tatsache den betroffenen Ehrträger „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet“ sein – verkürzt als Ehrenrührigkeit bezeichnet.

Klausurtaktik: Da kein praktisch relevanter Unterschied zwischen den Tatbestandsalternativen besteht, eine Abgrenzung kaum möglich ist und die Subsumtion regelmäßig gleichläuft, sollte von der Abgrenzung abgesehen werden.Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 14; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 5. Es empfiehlt sich vielmehr eine gemeinsame Subsumtion unter beide Begriffe.

Die auf den Ehrträger bezogene Tatsache muss zumindest von einem größeren Teil der BevölkerungRegge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 14. objektiv als negativ bewertet werden,Gaede, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 6. den Ehrträger also in nicht nur unerheblicher Weise „in ein schlechtes Licht rücken“. Wird der Ehrträger einer Straftat bezichtigt, ist dies unzweifelhaft.Hoven/Krause, JuS 2017, 1167 (1168). Aber auch negative sozialethische Bewertungen können als ehrenrührig zu qualifizieren sein (zB Behauptung der Nutzung von Steuerschlupflöchern). Die Strafbarkeit scheidet nach hM hingegen aus, wenn die negative Bewertung der Rechtsordnung zuwiderliefe,BGHSt 8, 325 (326); 11, 329 (331); OLG Hamburg, Urt. v. 6. Mai 1993 – 3 U 148/92, juris; Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 186 Rn. 6; Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 186 Rn. 10; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 5; Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 186 Rn. 11; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 14. insbesondere den Wertungen des Art. 3 Abs. 3 GG (zB Behauptung bestimmter Religion, Behinderungen etc.).

Beispiele: Abgelehnt wurde Ehrenrührigkeit bei der Behauptung, dass ein Frauenarzt rechtswidrige, jedoch gesetzlich zulässigeDies beruht darauf, dass Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 4 StGB straffrei sind, aber gleichwohl als rechtswidrig gelten. Zu Recht kritisch gegenüber dem gesetzlichen Konstrukt Feldmann/Chiofalo, RuP 2023, 73. Abtreibungen durchführe (umstr.).OLG Karlsruhe NStZ 2005, 575. Dem (tendenziell) entgegen Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 14. Ein Foto/Video kann ehrenrührig sein,Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 186 Rn. 3, Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 5 wenn der Ehrträger aufgrund von digitaler Manipulation krank erscheint.BVerfG NJW 2005, 3271 (3272 f.).

Behaupten oder Verbreiten in Beziehung auf einen anderen

Das Gesetz unterscheidet zwei Formen der Kundgabe: Behaupten und Verbreiten.

Der Täter behauptet eine Tatsache, wenn er sie nach eigener Überzeugung als wahr hinstellt.Etwa Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 29 Rn. 6. Ob die Überzeugung auf die eigene oder auf fremde Wahrnehmung gestützt wird, ist irrelevant.Gaede, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 9. Auch relativierende Zusätze, wie „ich glaube“, „meines Erachtens“ oder „wahrscheinlich“, stehen einem Behaupten nicht entgegen,Kargl, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 186 Rn. 31. da Unrecht und Ehrgefahr durch diese nicht wesentlich gemindert werden, und die Strafbarkeit andernfalls unschwer umgangen werden könnte.

Der Täter verbreitet eine Tatsache, wenn er sie als Gegenstand fremden Wissens oder fremder Überzeugung mitteilt.Gaede, in: Matt-Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 10. Dass die Tatsache dabei als „Gerücht“, „unbestätigt“, „unglaubwürdig“ oder „zweifelhaft“ dargestellt wird, steht dem nicht entgegen.Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 18 m. umfangr. Nw.

Weiterführendes Wissen: Behauptungen finden sich etwa typischerweise in Strafanzeigen, da diese insbesondere Schilderungen enthalten, die der Äußernde als zutreffend darstellt. Typische Fälle des Verbreitens sind etwa das Teilen von Zeitungsartikeln in sozialen Netzwerken.

Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Kundgabe der Tatsache ferner in Beziehung auf einen anderen erfolgen, d. h. Empfänger und Ehrträger dürfen nicht personengleich sein; in diesem Fall ist vielmehr § 185 StGB einschlägig. Für den Drittbezug genügt es jedoch, wenn die Tatsachenbehauptung sowohl gegenüber dem Ehrträger als auch der dritten Person erfolgt; überzeugenderweise stehen § 185 und § 186 StGB dann in Tateinheit (→ Rn. 28). Im Übrigen bedarf es, wie bei der Kundgabe iRd § 185 StGB, der tatsächlichen Kenntnisnahme (Kundgabeerfolg → § 42 Rn. 76).

Beleidigungsfreie Sphäre

Straffrei sind Äußerungen in beleidigungsfreier Sphäre. Die allgemeinen Grundsätze gelten in Bezug auf § 186 StGB entsprechend (→ § 42 Rn. 79 ff.).

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss (bedingten) Vorsatz bezogen auf die ehrenrührige Tatsache sowie dessen drittbezogene Behauptung bzw. Verbreitung haben; dies umfasst auch die Kenntniserlangung des Dritten. Anders als bei Tatsachenbehauptungen im Rahmen der §§ 185, 187 StGB muss sich der Vorsatz jedoch nicht auf die Unwahrheit der Tatsache erstrecken. Selbst die feste Überzeugung von der Wahrheit steht dem Vorsatz nicht entgegen.

Klausurtaktik: Bei gutem Glauben an die Wahrheit und sorgfältiger Prüfung der Richtigkeit wird die Strafbarkeit zwar weithin abgelehnt – teilweise aufgrund eines restriktiven Verständnisses der „nicht erweislichen Wahrheit“, teilweise infolge von Rechtfertigung. Dies ist jedoch nicht im subjektiven Tatbestand zu behandeln.

Wahrheit der Tatsache nicht erweislich

I. Die ehrenrührige Tatsache muss zudem nicht erweislich wahr sein. Die Strafbarkeit scheitert unstreitig, wenn die Wahrheit im Strafverfahren festgestellt wird. Dabei stehen geringfügige Übertreibungen und (nebensächliche) Abweichungen vom Tatsachenkern der Wahrheitsfeststellung nicht entgegen.BGH NJW 1963, 665; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 15; instruktiv AG Fulda StV Spezial 2023, 140.

II. Die Rechtsnatur und Anforderungen an die nichterweisliche Wahrheit sind indes umstritten. Rspr. und wohl überwiegende Literaturansicht verstehen die Voraussetzung nicht als objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal, sondern als objektive Bedingung der Strafbarkeit.BGH NJW 1958, 797 (798); BGH NStZ-RR 2019, 375 (376); OLG Brandenburg BeckRS 2020, 12254; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 10; Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 613 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 186 Rn. 7 f.; Valerius, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand 01.05.2024), § 186 Rn. 19. Der Äußernde muss demnach keinen Vorsatz in Bezug auf die Unwahrheit der Tatsache haben. Die Unaufklärbarkeit des Wahrheitsgehalts im Rahmen des Strafprozesses geht zu seinen Lasten.BGH NJW 1958, 797 (798). Dem soll auch der feste Glaube an die Richtigkeit und die Überzeugung, dies auch beweisen zu können, nicht entgegenstehen.Kargl, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 186 Rn. 4. In Betracht komme allenfalls der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB).

Beispiel: A teilt – im Glauben an die Richtigkeit – in einem sozialen Netzwerk den Artikel einer überregionalen Tageszeitung, der die Veruntreuung von Parteispenden durch die Politikerin B beschreibt. Zuvor hat er umfangreich im Internet recherchiert und konnte dadurch ausmachen, dass eine Vielzahl weiterer Medien dieselbe Information verbreiten ohne hieran Zweifel zu äußern. Wie sich jedoch im Nachhinein offenbart, sind die Behauptungen unzutreffend. Der Ex-Ehemann C hatte einer Zeitung gefälschte Unterlagen zugespielt, um sich an B zu rächen.

Nach wohl hM scheitert die Strafbarkeit auf Rechtfertigungsebene (→ Rn. 23 ff.).

1. Für die Qualifikation als objektive Strafbarkeitsbedingung spricht der Wortlaut,S. zum Wortlaut auch Kargl, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 186 Rn. 8 f. der mit der Voraussetzung fehlender „Erweislichkeit“ an einen späteren Zeitpunkt angeknüpft – den Beweis im Strafverfahren –, womit die gem. § 16 Abs. 1 StGB erforderliche zeitliche Koinzidenz von objektivem Tatbestandsmerkmal und Vorsatz aufgebrochen wird. Dies mag die systematische Betrachtung mit Blick auf den enger gefassten § 187 StGB zu stützen. Zweck ist danach der wirksame Ehrschutz wegen der „besonderen Schutzbedürftigkeit der persönlichen Ehre“.BGH NJW 1958, 797 (798). Dem Täter soll insbesondere die Schutzbehauptung abgeschnitten werden, die Tatsache für wahr gehalten zu haben.Eisele, BT I, 6. Aufl. (2021), Rn. 613.

2. Die uneingeschränkte Strafbarkeit von Tatsachenbehauptungen (im privaten Umfeld), die sich im Strafverfahren nicht nachweislich bewahrheiten, ist jedoch insbesondere nicht mit Schuldprinzip, APR (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG), Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) und allgemeiner Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) vereinbar,S. auch Gaede, in: Matt-Renzikowski-, 2. Aufl. (2020), § 186 Rn. 13. mithin verfassungswidrig. Andernfalls würde über Tatsachen betreffender (potentiell ehrenrühriger) Kommunikation weithin das Damoklesschwert der Strafbarkeit schweben, was nicht nur Abschreckungseffekte (sog. chilling effect) im Bereich der (teil-)öffentlichen Kommunikation, etwa in sozialen Netzwerken,Zu „fake news“ Hoven, ZStW 129 (2017), 718 (insb. 725 ff.). zur Folge hätte, sondern auch tief in das sozialadäquate Sozialleben und die Lebensgestaltung hineinreichen würde. In verfassungskonformer Auslegung ist daher zu verlangen, dass der Täter die Unwahrheit zumindest sorgfaltswidrig verkennt. Zwar würde es in verfassungsrechtlicher Hinsicht genügen, die Strafbarkeit erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit (§ 193 StGB) scheitern zu lassenNach dem BVerfG verbietet das Schuldprinzip lediglich eine Kriminalstrafe insgesamt (st. Rspr., zuletzt BVerfG NJW 2023, 3350 [3351]), sodass es irrelevant ist, auf welcher Stufe des Verbrechensaufbaus die Strafbarkeit scheitert (was auch aus der Formel „Keine Strafe ohne Schuld“ folgt). – wie weithin vertreten.Dazu → Rn. 23 ff. Gleichwohl ist der vordringenden Literaturansicht, die sorgfaltswidriges Verhalten bereits auf Tatbestandsebene verlangt,Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 460 ff.; Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 186 Rn. 2, 4; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 30; Rogall, in: SK-StGB, Bd. 4, 9. Aufl. (2017), § 186 Rn. 20 ff. zuzustimmen. Denn das Erfüllen eines Tatbestands erfordert strafwürdige, generell verpönte, Verhaltensweisen,Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 10 Rn. 20. es muss also typischerweise Unrecht vorliegen.Kühl, AT, 8. Aufl. (2017), § 3 Rn. 2 ff. Dies ist angesichts des weithin erfassten ubiquitären und sozialadäquaten Alltagsverhaltens jedoch nicht der Fall.

Klausurtaktik: Beim Erfordernis der nichterweislichen Wahrheit handelt es sich nach hM weder um ein objektives noch um ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Es bietet sich daher eine gesonderte Prüfung – vor Rechtswidrigkeit und Schuld – an. Folgt man der hM, so erscheint es gut vertretbar, den Prüfungspunkt als „Objektive Bedingung der Strafbarkeit“ zu bezeichnen, sofern man in der Klausur eine Überschrift verwenden will. Folgt man indes der vordringenden Ansicht, die dies ablehnt, oder lässt man die Qualifikation des Merkmals mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, dann sollte eine neutrale Bezeichnung, wie „Nichterweisliche Wahrheit der Tatsache“, verwendet werden.

Rechtswidrigkeit und Schuld

Auch bei § 186 StGB kommt insbesondere der spezielle Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen in Betracht. Danach müssen Rechtfertigungslage (berechtigtes Interesse), Rechtfertigungshandlung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) und subjektives Rechtfertigungselement vorliegen (§ 193 StGB; im Einzelnen → § 42 Rn. 100 ff.).

Typische berechtigte Interessen iRd § 187 StGB sind etwa die Berichterstattung in öffentlichen Angelegenheiten oder (Tatsachen-)Ausführungen im „Kampf ums Recht“, etwa im Rahmen von Strafanzeigen oder Schriftsätzen in gerichtlichen Verfahren.

Stellen sich Tatsachenäußerungen als zutreffend heraus, sind sie – da „erweislich wahr“ – ohnehin bereits straflos. § 193 StGB kommt insofern einerseits für Fälle in Betracht, in denen die Wahrheit nicht aufgeklärt werden kann („non-liquet“). Andererseits, wenn sich die Unwahrheit im Nachhinein herausstellt, die äußernde Person dies jedoch nicht wusste: Denn Bösgläubigkeit führt zur Strafbarkeit nach § 187 StGB, bei der eine Rechtfertigung in der Regel ausgeschlossen ist (näher → § 44 Rn. 7). Beim guten Glauben an die Wahrheit kommt es bei der Abwägung im Rahmen der Angemessenheit entscheidend darauf an, ob die äußernde Person den Wahrheitsgehalt sorgfältig geprüft hat (lässt man nicht bereits den Straftatbestand daran scheitern → D. II. 2.), wobei die Anforderungen nach den Umständen variieren (zB Presse oder Privatperson). Leichtfertige Behauptungen und haltlose Vermutungen sind in jedem Fall unangemessen.Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 47. Aufl. (2023), Rn. 478. Beim Verbreiten von Tatsachenbehauptungen, die von Dritten stammen, ist bei der Abwägung auch die Distanzierung, zB als „zweifelhaft“ oÄ (→ Rn. 11 ff.), – oder gar ein inhaltliches Entgegentreten – abwägungsrelevant.Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 8; Hilgendorf, in: LK-StGB, Bd. 10, 13. Aufl. (2023), § 186 Rn. Rn. 8. Nach aA ist bereits die Tathandlung des Verbreitens abzulehnen, vgl. Zaczyk, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 186 Rn. 10. Beim „Kampf ums Recht“, insbesondere auch Strafanzeigen, sind an die Prüfung der Richtigkeit und die Wortwahl bei gewisser Unsicherheit, im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege keine überhöhten Anforderungen zu stellen.BVerfG NJW 1987, 1929.

Klausurtaktik: Es ist vertretbar, es bei einer trotz Sorgfalt verkannt unwahren Tatsachenäußerung (wie im Beispielsfall in → Rn. 19) dahinstehen zu lassen, ob die Strafbarkeit bereits an der restriktiven Auslegung des Tatbestands (→ Rn. 21) oder erst an der Rechtfertigung gem. § 193 StGB scheitert. Dies würde jedoch eine Inzidentprüfung von § 193 StGB bereits auf Tatbestandsebene erfordern, was zur Unübersichtlichkeit der Klausurlösung führen kann.

Qualifikation

Die Üble Nachrede ist – entsprechend § 185 StGB – qualifiziert strafbar, wenn sie öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts begangen wird, vgl. § 186 StGB. Entsprechendes gilt für Ehrverletzungen gegen Personen des politischen Lebens, § 188 Abs. 2 iVm Abs. 1 StGB (→ § 42 Rn. 134 ff.).

Konkurrenzen

Verschiedene Tatsachenäußerungen in einem Äußerungszusammenhang bilden eine Handlungseinheit.Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 186 Rn. 41. Ebenso § 185 StGB, dazu → § 42 Rn. 153 ff. Äußerungen, die nicht einheitlich zu beurteilende Tatsachenbehauptungen und Werturteile enthalten (→ Rn. 56 ff.), insbesondere wenn das Werturteil nicht aus der Tatsache ableitbar ist, stehen in Tateinheit.BGHSt 12, 287 (292); BayObLG NJW 1962, 1120; Rengier, BT II, 25. Aufl. (2024), § 29, Rn. 49. Auch bei Tatsachenbehauptungen, die gegenüber Ehrträger (§ 185 StGB) und Drittem (§ 186 StGB) erfolgen, ist aus Klarstellungsgründen Tateinheit anzunehmen (näher → § 42 Rn. 153 ff.).

Aufbauschema

  1. Tatbestand

    1. Objektiver Tatbestand

      1. Ehrenrührige Tatsache

      2. Behaupten oder Verbreiten in Beziehung auf einen anderen

      3. ggf. keine beleidigungsfreie Sphäre

    2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

  2. Nichterweisliche Wahrheit der Tatsache

    → wohl hM: objektive Bedingung der Strafbarkeit; aA: zumindest sorgfaltswidriges Verhalten

  3. Rechtswidrigkeit

    1. Rechtfertigungslage / berechtigtes Interesse

    2. Rechtfertigungshandlung (geeignet, erforderlich, angemessen)

      → Angemessenheit: Abwägung (Faktoren: sorgfältige Prüfung des Wahrheitsgehalts (hM); Distanzierung von Tatsache oder Entgegentreten; „Kampf ums Recht“)

    3. Subjektives Rechtfertigungselement

  1. Schuld

  2. ggf. Qualifikationen, §§ 186 Var. 2, 188 Abs. 1 StGB

  3. Strafantrag (§ 194 StGB)

Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung

Parallel zu § 185 StGB gilt es ferner zu beachten, dass es sich bei der Üblen Nachrede um ein absolutes oder relatives Antragsdelikt handelt (§ 194 Abs. 1 S. 1 bzw. S. 3 StGB), der Antrag bei Behörden und Amtsträger:innen gegebenenfalls auch durch Vorgesetze gestellt werden kann (§ 194 Abs. 3 StGB) und es sich nach § 374 Abs. 1 Nr. 2, 376 StPO um ein Privatklagedelikt handelt (zum Ganzen → § 42 Rn. 141 ff.).

Studienliteratur und Übungsfälle

Hinsichtlich allgemein die Ehrdelikte betreffender Literatur wird auf die Literangaben in → § 42 verwiesen.

Materialien speziell zu §§ 186, 187 StGB:

Kett-Straub, Fallbearbeitung „Zerplatzte Träume“ (§§ 185187 StGB), JA 2012, 831

Piper, Fallbearbeitung „Der Richter und der Volksgerichtshof“ (§§ 186 u. 193 StGB), JA 2012, 436

Bohnert, Übungsfall – „Der beamtete Sozialarbeiter“, JURA 2004, 640 (§ 185 u. § 186 StGB)

Kuhlen/Roth, Der praktische Fall – „Ein Experiment in der U-Bahn“, JuS 1995, 711 (§§ 186, 187 StGB)