Olivia Czerny BGB AT – Anfängerfälle Licensed under CC-BY-4.0

Zusatzinhalte zu: Eine günstige Vase

Wiederholung: Video zum Gutachtenstil

Wiederholung: Rechtsfolgenorientiertes Arbeiten

Prüfung von § 985 BGB nötig, wenn im Sachverhalt steht

„S bezahlt mit einem 100€-Schein, den A separat verwahrt.“

  • In diesem Fall wäre die Sache, der 100€-Schein, noch da und man müsste im Rahmen des § 985 BGB „Anspruchsteller ist Eigentümer“ prüfen, ob S noch Eigentümer ist.

Gutachtenstil

Im ausführlichen Vier-Schritt-Gutachtenstil ist sowohl für jedes Tatbestandsmerkmal zunächst eine Hypothese/Obersatz zu bilden. Dann folgen Definition, Subsumtion und Ergebnissatz. Außerdem sind eingangs alle Voraussetzungen für die Norm aufzuzählen. Wenn man aber beides macht, entstehen viele Doppelungen ohne dass mehr Inhalt produziert und die Falllösung weitergebracht wird.

Beispiel, was nicht nötig ist:

„Voraussetzung für einen Anspruch aus § 812 I 1 Var. ist, dass B etwas durch Leistung des S erlangt hat.

I. Etwas erlangt. 

B muss etwas erlangt haben.“

  • Hier wird zweimal gesagt, dass B etwas erlangt haben muss. Auch im Gutachtenstil reicht aber einmal.

  • Wenn Sie also oben, wie hier, einen großen Obersatz bilden und alle Voraussetzungen der Norm aufzählen, können Sie den Einleitungssatz zum Merkmal weglassen und gleich definieren oder im Wege der Kurzsubsumtion vorgehen.

  • Es ist auch der andere Weg denkbar: kein großer Obersatz, dafür Einleitungssatz beim Merkmal.

Verständnis: „etwas erlangt“

Grundsätzlich müssen Sie bei etwas erlangt immer rechtlich spezifizieren, was erlangt wurde, z.B. Besitz und / oder Eigentum.

Bei Geld können Sie darauf verzichten. Sie könnten auch bei (1) also sagen, B hat 100 € erlangt.

Anders bei (2). Hier müssen Sie prüfen, ob B Eigentum oder nur Besitz erlangt hat. Bei (2) hätten Sie vorab aber bereits § 985 BGB prüfen müssen und dort bereits die Eigentumsprüfung vorgenommen.

Vertiefung: Person des Leistungsempfängers

Wenn man ganz genau hinschaut, müsste man bei der Subsumtion der Leistung auch die Stellung des A mit betrachten, da S nicht an B selbst, sondern an A gezahlt hat. Im Ergebnis liegt aber recht unproblematisch eine Leistung an B vor, weil mit B auch der Vertrag geschlossen werden soll und S eben diesen Vertrag erfüllen möchte. Da der Leistungsbegriff erst später im Studium vertieft Thema ist, wird darauf hier nicht weiter eingegangen.

 

Gutachtenstil: Kurzsubsumtion

Es liegt eine Kurzsubsumtion vor. Definition und Subsumtion werden verwoben. Es wird mit dem Subsumtionsteil begonnen, dann kommt die Definition und am Ende steht das Ergebnis. Da Definition und Subsumtion enthalten sind und das Ergebnis am Ende steht, entspricht dieses Vorgehen dennoch dem Gutachtenstil.

Rechtsbindungswillen in Selbstbedienungsläden

Ob die Präsentation von Waren in einem Supermarkt einen bindenden Antrag oder eine bloße invitatio ad offerendum darstellt, ist umstritten.

  • Für ersteres spricht, dass der Händler nicht Gefahr läuft, mehr Verträge zu schließen, als er erfüllen kann.

  • Dagegen spricht, dass der Kunde durch die Rücklagemöglichkeit die Auslage typischerweise so auffasst, dass er die Ware auch zurücklegen kann. Dann kann er auch keinen verbindlichen Antrag erwarten. 

  • Auch kann angeführt werden, dass sich der Geschäftsinhaber erst an der Kasse über die Zahlungsfähigkeit des Kunden vergewissern oder Hamsterkäufe verhindern möchte.

Zur Botenschaft abgrenzen sollte man z.B. in folgendem Fall:

X bittet V, in seinem Namen ein bestimmtes Gemälde in der Galerie der A zu erwerben. Den Preis solle er verhandeln. V geht entsprechend vor.

  • In diesem Fall trifft der Vertretene X überhaupt eine Aussage zum Geschehen und sucht den Gegenstand schon aus. Gleichwohl hat V Entscheidungsspielraum bzgl. des Preises. Daher liegt Stellvertretung vor.

  • In einem solchen Fall könnte man zunächst prüfen, ob X eine Willenserklärung abgegeben hat, die V als Bote überbracht hat. In diesem Rahmen ist zur Stellvertretung und eigenen Willenserklärung des V abzugrenzen.

  • Entscheidet man sich im Ergebnis aber für eine Stellvertretung, was bei Ausformulierung des Gutachtens bereits feststeht, ist es auch vertretbar dennoch direkt mit Stellvertretung zu beginnen und dort im Rahmen „eigene Willenserklärung“ abzugrenzen. 

  • Letztlich ist der hier zuerst dargestellte Aufbau dogmatisch überzeugender. Dennoch ist der zweite mindestens genauso üblich.

Gutachtenstil: Redundante Obersätze

Wie oben bereits erläutert, ist es redundant, einen großen Obersatz zur Norm zu machen, also alle Voraussetzungen von § 164 I BGB aufzuzählen und dann dennoch bei den einzelnen Voraussetzungen zu wiederholen, dass diese Voraussetzung vorliegen muss.

Hier wurde wieder ein großer Obersatz zu § 164 I BGB gebildet und dann auf die einleitenden Obersätze zu den einzelnen Voraussetzungen verzichtet.

Gutachtenstil: Infos aus dem Sachverhalt

Es steht ausdrücklich im Sachverhalt, dass A Vertretungsmacht hat. Dann können Sie das auch so annehmen. Sie müssen auch nicht „laut Sachverhalt“ schreiben. 

Vertiefung: passive Stellvertretung

Voraussetzungen der passiven Stellvertretung, § 164 III BGB:

  • Willenserklärung des potentiellen Vertragspartners des Vertretenen (B) ist an den Vertreter (A) gerichtet

  • Rechtsfolgen sollen den Vertretenen treffen (B)

  • Vertreter hat Vertretungsmacht

→  Hier (+)

Die Prüfung der passiven Stellvertretung wird hier aus Gründen der Schwerpunktsetzung ganz knapp und etwas oberflächlich vorgenommen.

Werden die Voraussetzungen aktiver Stellvertretung bejaht, ist kaum denkbar, dass die Voraussetzungen passiver Stellvertretung nicht vorliegen. Das wäre im umgekehrten Fall eher möglich, also Vorliegen der Voraussetzungen von passiver Stellvertretung, aber nicht der der aktiven Stellvertretung. Aber auch das ist sehr unwahrscheinlich. 

Liegen für einen solchen Sonderfall keine Anhaltspunkte vor, empfiehlt es sich aus Zeitgründen und im Sinne sinnvoller Schwerpunktsetzung, die passive Stellvertretung eher knapp abzuhandeln, wenn die aktive ohnehin geprüft wurde oder beim Vertragsschluss noch geprüft werden muss.

Vertiefung: passive Stellvertretung bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen

Ganz zwingend sind die Voraussetzungen passiver Stellvertretung dagegen zu prüfen, wenn aktive Stellvertretung nicht geprüft wird, z.B. wenn der Vertreter der Empfänger eines einseitigen empfangsbedürftigen Rechtsgeschäfts ist, z.B. einer Kündigung oder Anfechtungserklärung. In einem solchen Fall wird aktive Stellvertretung nicht geprüft, weil der Vertreter selbst nichts erklärt.

Auch müssen Sie die passive Stellvertretung prüfen, wenn z.B. Vertreter 1 den Antrag macht, die Annahme aber gegenüber dem potentiellen Vertreter 2 erklärt wird. In Bezug auf diese Person haben Sie die Voraussetzungen der Stellvertretung noch gar nicht geprüft.

Prüfungsreihenfolge bei der Anfechtung

Die Reihenfolge Grund vor Erklärung ist nicht zwingend. Man könnte zuerst die Erklärung und dann den Grund prüfen.

Dennoch ist sie sinnvoll: Es muss sich aus der Anfechtungserklärung ergeben, warum angefochten wird. Das spricht dafür, den Grund zuerst zu prüfen.

Die Erklärung ist nötig, um die fristgerechte Ausübung zu prüfen. Daher muss die Erklärung zwingend vor der Frist geprüft werden.

Aufbau: Prüfungsstandort der Anfechtung

Hier gibt es zwei vertretbare Aufbaumöglichkeiten.

Vorliegend wird zunächst der „Abschluss“ des Kaufvertrags als 1. geprüft. Auf derselben Gliederungsebene folgt unter 2. „Keine Nichtigkeit, § 142 I BGB“. Dieser Aufbau impliziert, dass das Rechtsgeschäft, das nach § 142 I BGB als nichtig anzusehen ist, der Vertrag ist.

Vertretbar ist es aber auch anzunehmen, Rechtsgeschäft i.S.d. § 142 I BGB meint die Willenserklärung. Auf das Ergebnis hat das keinen Einfluss, aber auf den Aufbau. Die Anfechtung wäre dann direkt nach der Annahme des S zu prüfen, also auf Ebene der Willenserklärung und innerhalb der Prüfung des Abschlusses des Kaufvertrags.

    Kaufvertrag

  1. Antrag

    Durch Auslage

  2. Antrag

    Durch Preisanfrage

  3. Antrag

    Durch „für 100 € kannst du's haben“

  4. Annahme

    1. Erklärung der Annahme

      „OK“

    2. Keine Nichtigkeit der Annahme

Vertiefung und Wiederholung: Video Themenschwerpunkte im Anspruchsaufbau

Gutachtenstil: Schnelle Notfalllösung

Wenn es schnell gehen muss, könnte man diesen Teil kürzer fassen:

  1. Anfechtungsgrund

    1. § 119 II BGB

      S dachte, die Vase sei preisreduziert. Damit könnte er über den Wert geirrt haben. Der Wert selbst ist aber kein wertbildender Faktor, also keine Eigenschaft. Eine Anfechtung nach § 119 II BGB scheidet aus.

In der Kurzfassung wird auf den einleitenden Teil des Obersatzes („Könnte“) verzichtet und statt zu definieren und dann zu subsumieren, beides im Rahmen einer Kurzsubsumtion zusammengezogen.

An welcher Stelle dieses Vorgehen des verkürzten Gutachtenstils zulässig ist, hängt v.a. davon ab, wie problematisch und „spannend“ der Teil ist. Das ist natürlich auch eine Wertungsfrage. Aber: so wichtig der Gutachtenstil auch ist, gibt es die Big Points in der Klausur auf die Inhalte. Und die Inhalte können auch durchaus knapp dargestellt werden. Das gilt v.a. für Studierende mit Zeitproblemen.

Ganz wichtig ist aber: auch beim verkürzten Gutachtenstil müssen Sie Normen nennen und subsumieren, also die Sachverhaltsangabe mit dem Tatbestandmerkmal zusammenbringen. Und auch das Ergebnis sollte am Ende stehen. Sonst ist es Urteilsstil.

Gutachtenstil: Anfechtungserklärung 

Bei der Prüfung der Anfechtungserklärungen passieren regelmäßig zwei „Fehler“:

  1. Es wird zu viel geschrieben: Oft liest man die Lehrbuchformulierung, „das Wort Anfechtung muss nicht genannt werden“. Das ist aber letztlich selbstverständlich, weil die Anfechtungserklärung eine Willenserklärung ist, die ausgelegt wird. Auf diese Floskel können Sie also verzichten.

  2. Es wird nicht subsumiert: Da die Anfechtungserklärung eine Willenserklärung ist, müssen Sie feststellen, was tatsächlich gesagt wurde, um dann daraus abzuleiten, dass diese Erklärung als Anfechtung auszulegen ist.

Vertiefung: Nichtigkeitsgrund bei Preisunterschieden

Wird eine Sache deutlich über Wert verkauft, sollte immer an § 138 BGB gedacht werden.

Das heißt nicht, dass die Norm auch immer geprüft werden muss. Hier ist eine Prüfung im Gutachten aus folgenden Gründen nicht angezeigt.

  1. Es ist hier nicht klar, ob die Leistung Vase in einem Missverhältnis zum Preis von 100 € steht. Darüber hinaus verlangt § 138 II BGB noch weitere Voraussetzungen für die hier keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. 

  2. Auch die Prüfung von § 138 I BGB ist nicht naheliegend. Alleine das Vorliegen einer Täuschung ist nicht ausreichend für § 138 I BGB. Sonst wäre § 123 BGB überflüssig. Es müssten also auch hier weitere Umstände hinzukommen. Dass A seine Chefin beeindrucken und die Vase verkaufen will, ist nicht ausreichend.

Weil diese Punkte letztlich recht offensichtlich sind, werden Sie hier nicht angesprochen. Denkbar ist auch, die Norm kurz anzusprechen. Um sinnvoll Schwerpunkte zu setzen, sollte hier aber keinesfalls zu viel geschrieben werden.