Jonathan Schramm Was ist Jura? – ein Skript für Studieninteressierte Licensed under CC-BY-4.0

Einführung in die Falllösung

Einige typische – wenn auch nur sehr auszugsweise – Fragestellungen des juristischen Studiums sollen im Folgenden anhand eines kleinen Beispielsfalls einmal überblicksartig aufgezeigt und ansatzweise gelöst werden.

Fall:

Jurastudent Carlo (C) hat die Nacht von Dienstag auf Mittwoch „durchgemacht“, um mit seinen neuen Kommilitonen den Beginn des neuen Trimesters zu feiern. Nun will er sich auf den Weg zur morgendlichen Vorlesung machen, welche er trotz der Nachwirkungen der Nacht auf keinen Fall verpassen will. Allerdings funktioniert das Fahrrad nicht, welches er eine Woche zuvor von seiner Nachbarin Nina (N) gekauft hat. Diese hat ihm die defekte Schaltung verschwiegen. C entscheidet sich kurzerhand dazu, das Auto seines Mitbewohners Ahmed (A) zu nehmen. Kurz bevor Carlo den Campus erreicht, wird er aufgrund seines auffälligen Fahrverhaltens von den Polizeibeamten Xaver (X) und Yannick (Y) angehalten.

Bei der anschließend durchgeführten Kontrolle wird eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 1,5 ‰ gemessen. Eine daraufhin von X angeordnete und von einem Arzt durchgeführte Blutentnahme bestätigt eine entsprechende Blutalkoholkonzentration (BAK). Die Polizeibeamten beschlagnahmen daraufhin sowohl den Führerschein des C als auch das Auto, da C diesbezüglich keine Papiere vorlegen kann. Das Auto wird daraufhin von der Polizei abgeschleppt, wobei es beim Transport einen kleinen Kratzer an der Tür erleidet.

Welche rechtlichen Fragen können sich vorliegend u.a. stellen?

Zivilrechtlich könnte fraglich sein, ob C gegenüber N wegen der defekten Schaltung des Fahrrades Mängelgewährleistungsrechte aus einem Kaufvertrag (vgl. §§ 433, 434, 437 BGB) geltend machen oder diesen sogar anfechten könnte (vgl. § 123 BGB). A könnte ebenfalls daran interessiert sein, seinerseits gegenüber C zivilrechtliche Ansprüche wegen der Nutzung und Beschädigung seines Autos geltend zu machen (vgl. z.B. § 823 Abs. 1 BGB).

Sowohl zivilrechtlich als auch öffentlich-rechtlich könnten ggf. Ansprüche des A gegenüber der Polizei bzw. dem Staat in Betracht kommen (vgl. z.B. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG). Auf jedem Fall wird A daran interessiert sein, sein abgeschlepptes Auto wieder zu bekommen. C wird sich seinerseits Fragen, mit welchen rechtlichen Konsequenzen er zu rechnen hat und ob er ggf. seinen Führerschein wiederbekommen kann oder aber, ob dieser nun für immer weg ist.

Dies macht bereits deutlich, dass ein so kleiner Lebenssachverhalt eine Vielzahl rechtlicher Fragen aufwerfen kann.

Vorliegend soll indes nur auszugsweise einer dieser zahlreichen rechtlichen Aspekte näher betrachtet werden: Die Frage, ob und wenn ja, wie, C für sein Verhalten strafrechtlich belangt werden könnte.

Gefragt ist nach der Strafbarkeit des C. Die Regelungen welches Gesetzes werden also im Schwerpunkt entscheidend sein?

  • Diejenigen des BGB, da C das Auto des A entwendet hat (vgl. § 903 BGB).
  • Diejenigen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), da Trunkenheit im Verkehr immer nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt.
  • Diejenigen des Strafgesetzbuchs (StGB), da diese für die Strafbarkeit entscheidend sind.
  • Diejenigen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO), da das Auto nicht auf C zugelassen war.

Richtigerweise wird die Frage nach der Strafbarkeit des C insbesondere anhand der Regelungen des StGB zu beantworten sein. Es ist also im StGB nach einem sog. „Straftatbestand“ zu suchen, welcher das Verhalten des C möglicherweise unter Strafe stellt

Solltest du ein Gesetz zur Hand haben, blättere doch gerne einmal darin herum und schau, welche Straftatbestände du auf den ersten Blick als einschlägig erachtest. Am einfachsten wäre dafür zunächst ein Blick in das Inhaltsverzeichnis! Doch auch hier wird schnell klar, dass in den meisten Gesetzen eine Menge geregelt ist und es nicht so leicht ist, sich hier spontan zurecht zu finden! Das StGB findest du auch im Internet.

Welche Straftatbestände könnten vorliegend einschlägig sein?

  • Derjenige des § 303 StGB, weil das Auto des A einen Kratzer erlitten hat.
  • Derjenige des § 242 StGB, weil C das Auto des A entwendet hat.
  • Derjenige des § 248b StGB, weil C das Auto des A genutzt hat.
  • Derjenige des § 316 StGB, weil C betrunken Auto gefahren ist.

Diese kurze Überlegung zeigt ein weiteres Mal, dass auch, wenn nur nach Straftatbeständen innerhalb des StGB gesucht wird, viele verschiedene Paragrafen für den kleinen Fall von Bedeutung sein können. Im Studium würdest Du u.a. lernen, wie damit umzugehen ist, wenn verschiedene Paragrafen einschlägig sein können. Auch würdest du dort lernen zu erkennen und zu begründen, warum vorliegend im Ergebnis nur die §§ 248b, 316 StGB tatsächlich relevant sein werden, nicht aber die §§ 242, 303 StGB.

Im Folgenden wollen wir uns einmal allein auf den Straftatbestand des § 316 StGB konzentrieren, die sog. „Trunkenheit im Verkehr“ als strafbares Verhalten.

Damit C auch nach § 248b StGB bestraft werden kann, wäre es nach Absatz 3 der Vorschrift zwingend erforderlich, dass der Geschädigte A diesbezüglich einen sog. Strafantrag stellt. Die vorliegende Beschränkung unser Prüfung ist mithin auch der Praxis nicht fremd. Die zuständige Staatsanwaltschaft würde dem Umstand, dass A ein fremdes Auto genutzt hat insofern nur dann nähere Beachtung schenken, wenn A einen solchen Strafantrag stellen würde.

Bei der Prüfung, ob eine Person den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt und sich dementsprechend strafbar gemacht hat, sind in Form eines Gutachtens methodisch regelmäßig verschiedene Schritte zu durchlaufen:

Obersatz

Am Anfang der meisten juristischen Probleme steht die Frage: Unterfällt ein bestimmtes Verhalten einem bestimmten Gesetz? Juristen nennen die Formulierung dieser Ausgangssituation auch Obersatz. Im Strafrecht heißt es dann z.B.

C könnte sich gem. § 316 Abs. 1 StGB (Gesetz) wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar gemacht haben, indem er mit dem Auto seines Mitbewohners A zur Vorlesung gefahren ist, obwohl er zu diesem Zeitpunkt eine BAK von 1,5 ‰ aufwies (Lebenssachverhalt).

Um dieses Problem zu lösen, gilt es zunächst zu verstehen, was überhaupt im Gesetz steht. Häufig stößt man dabei auf Begriffe, die nicht allein durch das allgemeine Sprachverständnis eine eindeutige Bedeutung haben und die auch nicht im Gesetz definiert sind. Dann muss man den Begriff durch Auslegung näher bestimmen, um zu einer Definition zu gelangen, mit der man weiterarbeiten kann. 

Welches sind die beiden zentralen (Tatbestands-)Voraussetzungen, die gem. § 316 StGB im Folgenden zu prüfen sein werden?

  • Fahren ohne Führerschein.
  • Führen eines Fahrzeugs im Verkehr.
  • Vorliegen eines fahruntüchtigen Zustandes.
  • Beschädigung einer fremden Sache.

Es muss dementsprechend geprüft werden, ob C ein Fahrzeug im Verkehr geführt hat und ob er „infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage [war], das Fahrzeug sicher zu führen“ (siehe den Wortlaut des § 316 Abs. 1 StGB).

Definition

Dabei gilt es nunmehr, die in diesen Voraussetzungen genannten Begriffe näher zu definieren. Was versteht man mithin unter einem „Fahrzeug“ oder unter „Verkehr“? Und wann befindet sich jemand in einem „fahruntüchtigen Zustand“? Die Beantwortung dieser Fragen kann dabei – je nach Lebenssachverhalt – einfacher oder schwieriger sein. Zudem ist zu beachten, dass teils ähnliche oder gleiche Begrifflichkeiten in verschiedenen Vorschriften unterschiedlich zu verstehen sein können.

Dies gilt beispielhaft bereits für den Begriff „Fahrzeug“. In unserem vorliegenden Kontext ist die Beantwortung der Frage, ob C ein Fahrzeug geführt hat, einfach. C ist mit dem Auto des A, d.h. mit einem Kraftfahrzeug, zur Vorlesung gefahren. Einer näheren Beschäftigung mit diesem Begriff bedarf es im vorliegenden Kontext also nicht.

Anders wäre es aber, wenn C nicht mit dem Auto des A, sondern doch mit seinem Fahrrad gefahren wäre, oder wenn er ein E-Bike oder einen E-Scooter genommen hätte. Dann müsste man sich durchaus Fragen, ob es sich um „Fahrzeuge“ i.S.d. § 316 StGB handelt. Wie Du siehst, kommt es immer darauf an zu erkennen, ob ein Umstand problematisch ist, oder nicht.

Ähnliches gilt für den Begriff „Verkehr“. Unter Verkehr i.S.d. § 316 StGB versteht man den öffentlichen Verkehr, der auf Wegen stattfindet, die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offenstehen. Da C vorliegend im öffentlichen Straßenverkehr gefahren ist, bedarf auch dieser Begriff keiner tiefergehenden Beschäftigung.

Ihr habt bereits eingangs erfahren, dass es weder im Studium, noch im Alltag von Juristen darum geht, Gesetze auswendig zu lernen. Um das Auswendiglernen werdet ihr aber auch im Jurastudium nicht gänzlich herumkommen. Gerade das Strafrecht ist dafür bekannt, dass viele der Begrifflichkeiten der „üblichen“ Straftatbestände in ihren wesentlichen Grundzügen gekannt werden müssen. Hier wird auch die eine oder andere „übliche“ Definition schlicht zu lernen sein!

Da C vorliegend im öffentlichen Straßenverkehr gefahren ist, bedarf auch dieser Begriff keiner tiefergehenden Beschäftigung.

Voraussetzungsvoller ist im vorliegenden Fall sodann vielmehr die Frage, wie der letztlich ebenfalls notwendige „fahruntüchtige Zustand“ zu bestimmen ist. Wann ist eine Person also, wie es das Gesetz umschreibt, „infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage [...], das Fahrzeug sicher zu führen“? Genauere Angaben macht hier weder das StGB noch ein anderes Gesetz. Die Frage, wann ein solcher Zustand vorliegt, ist daher juristisch zu klären. Dabei kann u.a. die Methode der Auslegung helfen (Text-Interpretation, die Du ja anhand anderer Textgattungen (Roman, Gedicht etc.) und in anderer Form schon in der Schule kennengelernt hast).

Auslegung

Um juristische Begriffe auszulegen, nutzen Juristinnen und Juristen typischerweise vier sogenannte Auslegungsmethoden, die letztlich Kategorien von Argumenten bilden.

  • Wortlaut des Gesetzes

  • Systematik

  • Historie

  • Telos

Siehe hierzu bei weitergehendem Interesse auch folgendes erläuterndes Video, als Beispiel für digitale Formate, wie sie in den Lehrkonzepten der Bucerius Law School eingesetzt werden.

Die Auslegungsmethoden im Einzelnen:

Wortlaut des Gesetzes

Dabei wird (soweit bekannt) der juristisch-fachliche Sprachgebrauch, im Übrigen der allgemeine Sprachgebrauch herangezogen. Der Wortlaut ist ein starkes und zugängliches Argument, kommt aber, weil Sprache oft unpräzise ist, auch immer wieder an seine Grenzen. Dann gewinnen die anderen Auslegungsmethoden noch mehr an Bedeutung.

Systematik

Mit der systematischen Auslegung wird versucht, anhand der Stellung im Gesetz und im Zusammenspiel mit anderen Normen zu einem Verständnis des Begriffes zu gelangen. Dabei kann etwa die Verwendung des Begriffes in einer anderen Norm Hinweise darauf geben, wie das Gesetz diesen Begriff versteht.

Telos

Telos ist griechisch und heißt Ziel oder Zweck. Die sog. teleologische Auslegung besteht darin, zu untersuchen, welches Regelungsziel der Gesetzgeber mit dem Gesetz erreichen wollte.

Historie

Gerade bei der Ermittlung des Zwecks kann auch die Historie der Norm Hinweise zum Verständnis des Begriffs geben. Was waren die Wertungen beim Normerlass? Wieso wurde diese Norm neu gefasst, was sollte sie verändern?

Anders als in der Rechtspraxis ist diese Art der Auslegung im Studium allerdings meist weniger relevant, weil sich historische Argumente häufig in den Materialien, die während des Gesetzgebungsverfahrens entstanden sind, befinden – zum Beispiel in Drucksachen des Deutschen Bundestages. Gerade in Klausuren stehen solche Materialien meist nicht zur Verfügung.

Anwendung der Auslegungsmethoden

Bei der Anwendung dieser Auslegungsmethoden wirst Du sodann indes merken, dass die juristische Praxis in der Regel nicht ganz so „leicht“ ist, Du also nicht immer allein anhand dieser Methodik zu einem hinreichenden Ergebnis gelangen wirst. Wenden wir die skizzierten Auslegungsmethoden an, könnten wir vorliegend etwa zu folgenden Erkenntnissen gelangen:

Dem Wortlaut des Gesetzes nach steht lediglich fest, dass sich eine Person dann in einem fahruntüchtigen Zustand befindet, wenn sie nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel sicher zu führen. Ob es hierfür eine feste Grenze gibt, und ob diese möglicherweise objektiv zu bestimmen ist oder aber nach dem subjektiven Empfinden der fahrenden Person, erschließt sich allein aus dem Wortlaut nicht.

In systematischer Hinsicht ließe sich etwa mit § 24a Abs. 1 StVG eine andere einschlägige gesetzliche Bestimmung des Straßenverkehrsrechts zur Auslegung heranziehen. Aus einem Blick in diese Vorschrift ergibt sich, dass der Gesetzgeber u.a. einen festen Grenzwert einer Atem- oder Blutalkoholkonzentration festgelegt hat, ab der eine Person ordnungswidrig handelt, wenn sie dennoch im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Da das StGB indes weder in § 316 StGB noch an einer anderen Stelle einen solchen Grenzwert für die Strafbarkeit vorsieht, könnte man hieraus aber auch den Schluss ziehen, dass es hierfür keine festen Grenzwerte gibt. Oder, dass ein solcher Grenzwert jedenfalls höher liegen muss als derjenige, der nach § 24a Abs. 1 StVG eine bloße Ordnungswidrigkeit (und gerade keine Straftat) begründet.

Betrachtet man dann den Sinn und Zweck des Gesetzes lässt sich erahnen, dass hierdurch das Rechtsgut der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs geschützt werden soll. Niemand soll an diesem teilnehmen dürfen, wenn er oder sie infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht sicher hierzu in der Lage ist. Auch dies bringt für die Auslegung indes keinen konkreteren Maßstab mit sich. Ob und wann jemand nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen, könnte auch von der jeweiligen Konstitution oder auch von subjektiven Einschätzungen abhängen. Historische Argumente schließlich sind hier nicht verfügbar.

Historische Argumente schließlich sind hier nicht verfügbar.

Die Rechtsprechung

Das unklare Ergebnis der Auslegung in diesem Beispiel macht deutlich, dass juristisches Arbeiten letztlich auch mehr bedeutet, als „nur“ allein mit den Gesetzen zu arbeiten und diese auszulegen. Du wirst vielmehr auch mit weiteren Quellen zu tun haben, wovon eine ganz zentrale diejenige der (insbesondere höchstrichterlichen) Rechtsprechung ist. Und ihre Auswertung durch die rechtswissenschaftliche Forschung („Rechtsdogmatik“), die wiederum insbesondere in Lehrbüchern und Kommentaren zusammengefasst werden.

Im Studium wirst du mithin auch lernen, Gerichtsurteile verschiedener Gerichte und Instanzen zu recherchieren, „richtig“ zu lesen und die für die Lösung eines Falles einschlägigen Erkenntnisse hieraus abzuleiten.

Kommen wir also in unserem Fall allein mit einem Blick in das Gesetz nicht weiter, wäre der nächste Schritt etwa zu schauen, was die höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Fall sagt und wie sie die Voraussetzung des fahruntüchtigen Zustandes regelmäßig bestimmt. Bei der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit unterscheidet die Rechtsprechung zwischen „absoluter“ und „relativer“ Fahruntüchtigkeit:

Absolute Fahruntüchtigkeit

Die Lehre von der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach bei bestimmten Promille(grenz)werten jeder unter allen denkbaren Umständen bestimmte Fahrzeugarten nicht mehr sicher führen kann, weil seine Leistungsfähigkeit unwiderleglich so herabgesetzt ist, dass er den Verkehr gerade auch beim plötzlichen Eintritt einer schwierigen Verkehrslage nicht mehr beherrschen kann. Kraftfahrer und Gleichgestellte sind laut Grenzwert der Rechtsprechung ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1‰ als absolut fahruntüchtig anzusehen. Bei Radfahrern gilt als Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit aufgrund der unterschiedlichen Gefährlichkeit und Voraussetzungen 1,6‰.

Relative Fahruntüchtigkeit

Eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit liegt dagegen vor beim bei einer Alkoholisierung unterhalb des absoluten Grenzwertes von 1,1‰ (bzw. 1,6‰ bei Radfahrern) und oberhalb eines Wertes von 0,3‰ und einem Nachweis konkreter Fahruntüchtigkeit durch Feststellung alkohol- bzw. drogentypischer Ausfallerscheinungen. Diese liegen regelmäßig in Form von alkoholtypischen Fahrfehlern (z.B. Schlangenlinien, etc.) vor.

Noch einmal gilt: Ohne Wissen, insbesondere Lernen von Begriffs-Definitionen wird auch das Jurastudium nicht zu schaffen sein! Die Frage nach den Grenzwerten für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist z.B. eine solche, die sich, wie die skizzierte Prüfung zeigt, nicht allein anhand der Methodik der Auslegung lösen lässt, sondern auch viel abstraktes Wissen verlangt, wie es im Jurastudium ebenfalls beigebracht wird.

Promillegrenzen bei Straßenverkehrsdelikten
Promillegrenzen bei Schuldunfähigkeit

Subsumtion

Was bedeutet Subsumtion?

Nachdem wir nun im ersten Schritt sowohl mit Hilfe eigener Überlegungen als auch gelernten Wissens geklärt haben, welche Bedeutung das Gesetz ganz genau hat, können wir zum nächsten Schritt kommen. Wir müssen untersuchen, ob sich ein bestimmtes Geschehen – der bereits vielfach angesprochene „Lebenssachverhalt“ – unter das Gesetz fassen lässt.

Das nennt man dann Subsumtion. Beim Subsumieren wird versucht festzustellen, ob das beschriebene Verhalten denn nun dem Gesetz, so wie wir es im zweiten Schritt definiert und ausgelegt haben, unterfällt oder nicht. Hier musst du mithin begründen, ob und warum der oben beschriebene Lebenssachverhalt auf Grundlage der von Dir erarbeiteten begrifflichen Definitionen vom Gesetz erfasst ist. In Studienfällen steht der Sachverhalt meist fest, während in der Rechtspraxis vor der Subsumtion regelmäßig noch Beweise erhoben und gewürdigt werden müssen.

Was ist also die Subsumtion?

  • Die Suche nach den einschlägigen Gesetzen.
  • Das abstrakte Ergebnis der Auslegung des Gesetzes.
  • Die konkrete Feststellung, ob der Lebenssachverhalt unter die gesetzlichen Begriffe fällt.
  • Die Erhebung von Beweisen zu dem unklaren Sachverhalt.

Richtig ist, dass man beim Subsumieren prüft, ob ein Lebenssachverhalt von einer speziellen Norm geregelt wird, oder nicht.

Subsumtion im vorliegenden Fall

Bei C wurde im Rahmen der Kontrolle eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 1,5 ‰ gemessen. Die daraufhin von X angeordnete und von einem Arzt durchgeführte Blutuntersuchung bestätigte eine entsprechende Blutalkoholkonzentration (BAK). C überschritt mithin den Grenzwert von 1,1 ‰ und war damit absolut fahruntüchtig.

Durfte der X als Polizist diese Untersuchung anordnen oder hätte es dafür einer richterlichen Anordnung bedurft? Auch eine solche Frage würde im Jurastudium, in der Vorlesung zum „Strafprozessrecht“, vertieft behandelt werden.

Warum wurde zusätzlich zu einer AAK noch eine BAK gemessen? Im Studium - und erst recht im anschließenden Referendariat - würdest Du dich nicht nur mit der „materiellen“ Frage nach der Strafbarkeit von C beschäftigen (dies wäre typischerweise Gegenstand einer Vorlesung zum „Strafrecht“). Du würdest auch lernen, wie C im konkreten Fall zur Verantwortung gezogen wird und wie ihm sein Vergehen in einem rechtsstaatlichen Verfahren nachgewiesen werden kann (dies wäre typischerweise Gegenstand einer Vorlesung zum „Strafprozessrecht“).

C hat mithin ein Fahrzeug im Verkehr geführt und befand sich dabei in einem fahruntüchtigen Zustand. Damit hat er alle (objektiven) Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands erfüllt.

Es ist auch davon auszugehen, dass er mit Vorsatz, also entsprechendem Wissen und Wollen gehandelt hat. Entlastungsgründe sind nicht ersichtlich. Da wir die Prüfung vorliegend einmal auf diesen kleinen Ausschnitt beschränken wollen, sei abschließend festzuhalten, dass sich C durch sein Verhalten gem. § 316 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.

Die juristische Arbeit ist, allerdings viel mehr in der Praxis als im Studium, auch durch ein starkes interdisziplinäres Arbeiten bzw. ein Heranziehen von außerrechtlichen Erkenntnissen bestimmt. Die Frage etwa, ob und wenn ja, wie viel Alkohol oder sonstige berauschende Substanzen eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt im Blut hatte, wird z.B. durch toxikologische Gutachten bestimmt. Ähnliches gilt für die Erstellung forensischer Gutachten durch einen Psychiater zum Nachweis bestehender (Un-)Zurechnungsfähigkeit oder für die Erstellung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens durch einen Sachverständigen zur Bestimmung einer bestimmten Geschwindigkeit vor einem Unfall. Die Aufgabe von Juristen in der Praxis besteht sodann u.a. auch darin, diese Gutachten auszuwerten und rechtliche Schlüsse aus ihnen für die Lösung eines Falles zu ziehen.

Damit hast Du an einer ersten kleinen juristischen Falllösung mitgewirkt, herzlichen Glückwunsch! 

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