Notwendiges Vorwissen: Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale des Raubes (§ 249 StGB), des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) und der räuberischen Erpressung (§ 253, 255 StGB)
§ 316a StGB sanktioniert Angriffe auf Kraftfahrer, die den Zweck haben, einen Raub, einen räuberischen Diebstahl oder eine räuberische Erpressung zu begehen. Dabei verlagert der Tatbestand die Strafbarkeit deutlich vor die tatsächliche Beeinträchtigung von Leib, Leben, Willensentschlussfreiheit, Eigentum oder Vermögen der Kraftfahrzeugführer:innen.So bereits BT-Drs. 13/8587, S. 51. Der Tatbestand wird (nicht nur wegen seiner nationalsozialistischen WurzelnZur Entstehungsgeschichte der Norm s. Niedzwicki, ZJS 2008, 371 ff. mwN. ) kritisiert: Vertreten wird, die hohe Mindeststrafandrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe sei unverhältnismäßigVgl. Duttge, in: HK-GS, 5. Aufl. (2022), § 316a Rn. 2; Jesse, JZ 2008, 1083 (1089 ff.). und das zu schützende Rechtsgut zu unklarVgl. Sowada, in: Dannecker (Hrsg.), Otto-FS, 2007, S. 808 ff. sowie der Vollendungszeitpunkt zu früh angesetzt.Vgl. Jesse, JZ 2008, 1083 ff.; Zieschang, ZRP 2024, 115 f.; Zimmermann, JuS 2024, 491 (498). Teils wird die Regelung als gänzlich entbehrlich angesehenFischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 316a Rn. 2 mwN. und eine Streichung diskutiert.Vgl. Oğlakcıoğlu/Kudlich, ZRP 2024, 47 (50); Zieschang, ZRP 2024, 115.
Die Rechtsprechung teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht, achtet jedoch ob der hohen Mindeststrafandrohung auf eine restriktive Anwendung der Norm.BGH, Urt. v. 14. Juli 1971 – 3 StR 87/71, Rn. 10, juris; BGH NJW 2004, 786.
Rechtsgut
Bereits die Bestimmung des Rechtsguts von § 316a StGB bereitet einige Schwierigkeiten, was Auswirkungen auf die Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Führer eines Kraftfahrzeuges“ und „Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ hat.
Nach teilweise vertretener Auffassung schützt der § 316a StGB das Vermögen bzw. das Eigentum.So Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Auflage (2023), § 316a Rn. 2; iE auch Steinberg, NZV 2007, 545 (551). Soweit in der amtlichen Überschrift von einem „Räuberischen Angriff“ auf Kraftfahrer die Rede ist, werde dadurch deutlich, dass der Tatbestand dieselbe Schutzrichtung wie die Raubdelikte habe und bestimmte in räuberischer Absicht verübte Angriffe auf die Willensbildung oder Willensbetätigung besonders hart bestrafe. Zudem stehe die Norm in einem „inneren Zusammenhang“ zu den §§ 249, 250, 252, 255 StGB.
Dieser Auffassung steht – neben anderen Argumenten – aber die systematische Stellung des § 316a StGB im 28. Abschnitt des StGB entgegen. Der Gesetzgeber ordnete den Tatbestand als gemeingefährliche Straftat bewusst als „Nahtstelle zwischen Vermögens- und Verkehrsdelikten“BT-Drs. 3/2150, S. 494; BT-Drs. 4/650, S. 540. in den Kontext der Straßenverkehrsdelikte ein. Darüber hinaus wird der Straßenverkehr im Tatbestand ausdrücklich erwähnt, muss die Tat doch in einer Weise verübt werden, die die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Auch die sehr hohe StrafdrohungBaur, NZV 2018, 103 ff. streitet für eine vom Raub unabhängige Bestimmung des Schutzguts.
Nach der hMBGH NZV 2008, 256; BGH NStZ 2004, 207 (208); Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 1; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 2; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 11; Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 2; Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 7; Geppert, DAR 2014, 128 (129); Jäger, JA 2012, 790 (792); Hecker, JuS 2016, 850 (851); Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (320); iE auch Bosch, JURA 2013, 1234 (1235). schützt das Delikt deshalb nicht nur die Individualrechtsgüter Eigentum, Vermögen und Willensentschließungsfreiheit, sondern auch die Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese Auffassung stützt sich auf das Argument, der Gesetzgeber habe Fahrzeugführer:innen umfassend vor Raubtaten schützen wollen, weil sie am Steuer eines Fahrzeugs in besonderem Maße schutzlos seien. Mit der Gegenauffassung kann man diese Bewertung des Gesetzgebers angesichts anderer raubgefährdeter Lebensbereiche – zB im Bereich der Prostitution – anzweifeln, sind Opfer doch nicht nur am Steuer, sondern auch in anderen Situationen (etwa unbekleidet, an einsamen Orten oder gegenüber einer Vielzahl von Tätern) besonders schutzlos.Baur, NZV 2018, 103 (107); Duttge/Nolden, JuS 2005, 193 (194). Außerhalb der verfassungsrechtlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers liegt die Bewertung jedoch nicht.
Die systematische Stellung des § 316a StGB verlangt nicht, dass die Tat (beispielsweise indem Unfallgefahren geschaffen würden) die Sicherheit des Straßenverkehrs im Ganzen (und nicht nur einer Gruppe konkret angegriffener Verkehrsteilnehmer:innen) beeinträchtigt.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 1; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 43; Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (321); Kulhanek, NStZ 2016, 607 (609 f.); aA Duttge, in: HK-GS, 5. Aufl. (2022), § 316a Rn. 2; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193 (195); Krüger, NZV 2004, 161 (166 f.); Baur, NZV 2018, 103 (108); Sowada, in: Dannecker (Hrsg.), Otto-FS, 2007, S. 813 ff.
Deliktsstruktur
§ 316a StGB ist ein Tätigkeitsdelikt.Zieschang, ZRP 2024, 115 (117). Sanktioniert wird nicht die Herbeiführung eines spezifischen Erfolges, sondern bereits die Tathandlung „einen Angriff verüben“. Der Angriff muss zur Begehung eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer räuberischen Erpressung dienen, ohne dass ein solches Delikt im Anschluss tatsächlich verübt werden muss. Das heißt: Es kommt nur auf den subjektiven Entschluss des Täters an, weshalb § 316a StGB ein Delikt mit überschießender Innentendenz ist.
Weiterführendes Wissen: Ob der Tatbestand wegen der Verknüpfung von Tätigkeit und Handlungsziel in Gestalt der überschießenden Innentendenz ein sog. unechtes Unternehmensdelikt ist,Dies ablehnend: Hollering, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 316a Rn. 7. spielt für die Klausur keine Rolle. Nach richtiger hM erfasst § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB unechte Unternehmensdelikte nicht,Saliger, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 11 Rn. 61; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 11 Rn. 51; Radtke, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 11 Rn. 143. weshalb nicht bereits jedes unmittelbare Ansetzen zu einem Angriff § 316a StGB vollendet. Wäre § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB anwendbar, wäre die Tat mit dem unmittelbaren Ansetzen vollendet; die eigenständige Relevanz der Versuchsstrafbarkeit entfiele. Von der Einstufung als unechtes Unternehmensdelikt unabhängig ist die Frage, wie die Tathandlung „Angriff“ auszulegen und wann die Tat vollendet ist (→ Rn. 9 ff.).
§ 316a Abs. 3 StGB regelt eine Erfolgsqualifikation, sodass §§ 11 Abs. 2, 18 StGB Anwendung finden.
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung ist es sinnvoll, § 316a StGB erst nach den §§ 249, 252, 253, 255 StGB (ggf. im Versuch) zu prüfen, um schwierige Inzidenzprüfungen im Rahmen des subjektiven Tatbestandes zu vermeiden, auch wenn § 316a StGB das zeitlich vorgelagerte Delikt darstellt.
Objektiver Tatbestand
Angriff verüben
Ein Angriff ist jede feindselige Handlung, die sich gegen eines der in der Norm genannten Rechtsgüter (Leib, Leben oder Entschlussfreiheit) der Fahrer:in oder Mitfahrer:in des Kfz richtet. Eines Verletzungserfolges bedarf es nicht. Ein Angriff auf Leib und Leben setzt eine unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung voraus. Der Angriff kann sich auch gegen die Entschlussfreiheit richten. Das Schutzgut der Entschlussfreiheit entspricht dem Rechtsgut von § 240 Abs. 1 StGB (→ § 15 Rn. 2 ff.). Damit im Einklang sieht die Rechtsprechung Angriffe gegen die Entschlussfreiheit nur in Verhaltensweisen mit objektivem Nötigungscharakter,Zuletzt BGH NStZ 2023, 111 (112). wie zB Drohungen (mit einer Waffe bzw. einem gefährlichen Werkzeug) oder das Errichten von Barrikaden. Bloße List oder Täuschungen können nicht als Angriff gewertet werden, weil sie den Willen nicht beugen, sondern nur beeinflussen.BGH NStZ 2015, 653 (654); BGH BeckRS 2014, 17294, Rn. 8; BGH NStZ 2004, 207 (208); Sander, NStZ 2004, 501 (502); ausführlich Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 11 f.
Die Abgrenzung zwischen objektiv nötigendem Angriff und reiner Täuschung ist im Einzelfall komplex. Der BGH hat eine nötigende Wirkung immer dann angenommen, wenn das Tatopfer meint, zu dem vom Täter erstrebten Verhalten rechtlich (sanktionsbewehrt) verpflichtet zu sein.BGH NStZ 2023, 111 (112); aA Duttge/Nolden, JuS 2005, 193 (198).
Beispiel 1 (nach BGH NStZ 2023, 111): A und B fahren auf das Fahrzeug des O auf, um es in einen Unfall iSd § 142 StGB zu verwickeln und diesen so als Unfallbeteiligten (§ 142 Abs. 5 StGB) zum Anhalten zu zwingen.
Beispiel 2 (nach BGH NStZ 2015, 653): A und B geben sich als Polizisten aus, die eine Straßenkontrolle durchführen. Damit wollen sie O zwingen anzuhalten, weil das Weiterfahren bußgeldbewehrt ist.
In den Beispielen 1 und 2 verüben die Täter nach Ansicht des BGH einen Angriff auf die Willensentschließungsfreiheit. In beiden Fällen ging O davon aus, dass ihn eine rechtliche Verpflichtung zum Anhalten treffe.
Dementgegen genügt das Simulieren eines Unfalls am Straßenrand, um hilfsbereite Passant:innen anzulocken, nicht für einen Angriff iSd Tatbestands,BGH BeckRS 2014, 17294, Rn. 8. es sei denn, der Unfall stellt sich für das Tatopfer als Unglücksfall iSd § 323c Abs. 1 StGB dar, weil dann die allgemeine Solidarpflicht zur Hilfeleistung ausgelöst wird.Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 9; Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 11; Rengier, BT I, 26. Aufl. (2024), § 12 Rn. 11; aA Bosch, JURA 2013, 1234 (1238). Weiterhin wurde es in der Rechtsprechung nicht als Angriff gewertet, wenn jemand (seine räuberische Absicht verbergend) eine Taxifahrerin zu veranlasst, etwas entfernt von dem ursprünglich angegebenen Fahrtziel anzuhalten.BGH NStZ 2004, 207. Ob der Angriff mit der Nötigungshandlung des Raubes, räuberischen Diebstahls oder der räuberischen Erpressung zusammenfällt, ist (anders als bei § 239a StGB, → § 14 Rn. 21 ff.) unbeachtlich.BGH NStZ 2004, 269; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 8; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 14.
Fraglich ist, wann ein Angriff im Sinne der Norm verübt ist. Das ist entscheidend dafür, wann § 316a StGB vollendet ist. Während der Versuch des § 316a StGB in der Rechtsprechung bisher keine Rolle spielt, problematisiert die Literatur die Schwelle zwischen Versuch und Vollendung des Tatbestands. Ausgangspunkt der Problematik ist der Normwortlaut „Angriff [...] verübt“, der nur eine Tätigkeit zu beschreiben scheint. Wäre der Tatbestand aber bereits mit der Tätigkeit des Angreifens vollendet, könnte die Strafbarkeit des Versuches leer laufen.
Weiterführendes Wissen: Mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz wurde der Wortlaut des Tatbestands, der bis dahin lautete „Angriff [...] unternimmt“, an die heutige Fassung angepasst, weshalb § 316a StGB kein echtes Unternehmensdelikt (→ Rn. 6) mehr ist. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB findet deshalb keine Anwendung mehr. Eine Auslegung, die zur Folge hat, dass Versuch und Vollendung immer zusammenfallen, ist folglich nicht mit dem GesetzgeberwillenBT-Drs. 13/8587, S. 51. vereinbar.
Um dem (tauglichen) Versuch des § 316a StGB einen eigenständigen Anwendungsbereich zu verschaffen und der Notwendigkeit der restriktiven Tatbestandsauslegung Rechnung zu tragen, verlangt die hM, dass der Angriff nicht nur beendet sein, sondern die Opfersphäre zumindest nach der Vorstellung des Täters auch tatsächlich erreicht haben muss.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 3; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 23; Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 6; Geppert, DAR 2014, 128 (130); Mitsch, JuS 2020, 149 (152); Ingelfinger, JR 2000, 225 (232); kritisch hinsichtlich des Erfordernisses der Beendigung Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 16. Die Tat ist nach dieser Ansicht erst dann vollendet, wenn der Angriff so weit gediehen ist, dass Rechtgüter beeinträchtigt werden können. Ähnlich fordert die Rechtsprechung, für einen Angriff auf die Willensfreiheit müsse das Tatopfer den objektiven Nötigungscharakter (nicht aber zusätzlich die feindliche Willensrichtung des Angriffs) wahrnehmen.So zuletzt BGH NStZ 2023, 111 (112). Die Feststellung der Beendigung des Versuchs setzt jedoch einen angestrebten Erfolg voraus: Nach dem maßgeblichen Rücktrittshorizont ist ein Versuch dann beendet, wenn der Täter glaubt, alles zur Erfolgserreichung getan zu haben. Nach dieser Auslegung würde der Tatbestand damit zu einem Erfolgsdelikt; für den Versuch müsste ein „Angriffserfolg“ konstruiert werden. Das Erfordernis eines Angriffserfolgs näherte den Tatbestand einem konkreten Gefährdungsdelikt an. Eine solche Auslegung ist mit dem Wortlaut nicht vereinbar, der das „Verüben“ des Angriffs genügen lässt. Einen darüber hinaus erfolgreichen (oder verübten) Angriff bzw. ein Einwirken zu verlangen, überschreitet die Wortlautgrenze der Norm.So auch Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Auflage (2023), § 316a Rn. 8; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 26; iE auch Bosch, JURA 2013, 1234 (1244 f.); aA Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 17. Dem tauglichen Versuch einen eigenständigen Anwendungsbereich zu verschaffen, ist deshalb zum Scheitern verurteilt.
Untaugliche Angriffe erfüllen den objektiven Tatbestand nicht,Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 11; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 27; Krüger, NZV 2004, 161 (166); aA Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 3; Sowada, in: LK-StGB, Bd. 11, 13. Aufl. (2020), § 316a Rn. 13; Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Auflage (2023), § 316a Rn. 14 (mit der Folge, dass für den Versuch kein Anwendungsbereich verbleibt). weil er sonst eine nicht mehr dem Schuldgrundsatz entsprechende Strafe anordnen würde. Richtet sich der Angriff gegen ein untaugliches Tatopfer (→ Rn. 17 ff.), so bleibt nur die Versuchsstrafbarkeit. Angriffe auf die Schutzgüter Leib, Leben und Willensentschlussfreiheit, die objektiv zum Scheitern verurteilt sind, können ebenfalls als Versuch eingestuft werden, sodass dem Gesetzgeberwillen jedenfalls im untauglichen Versuch Rechnung getragen werden kann.
Taugliches Tatopfer: Führer:in oder Mitfahrer:in eines Kfz
Taugliches Tatopfer ist, wer zum Zeitpunkt des Verübens des Angriffs (siehe → Rn. 13 ff.) Führer:in oder Mitfahrer:in eines Kfz ist. Für § 316a StGB sind nach hM die Kraftfahrzeugdefinitionen des § 248b Abs. 4 StGB und des § 1 Abs. 2 StVG maßgeblich.BGH NJW 1993, 2629; von Danwitz, NZV 2002, 551 (553). Dementsprechend sind Kraftfahrzeuge iSd § 316a StGB alle nicht schienengebundenen Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden.
Weiterführendes Wissen: Offen ist bisher, ob Pedelecs iSd § 1 Abs. 3 StVG Kraftfahrzeuge iSd § 316a StGB darstellen. Der BGH hat im Jahr 1993 – noch vor Einführung des § 1 Abs. 3 StVG – Fahrräder mit Hilfsmotoren von maximal 25 km/h Höchstgeschwindigkeit (Mofas) unter den Tatbestand des § 316a StGB subsumiert.BGH NJW 1993, 2629; aA Bosch, JURA 2013, 1234 (1240). Dabei hat er tragend auf die Erlaubnispflicht nach § 4 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 StVZO aF abgestellt, die für Pedelecs angesichts § 1 Abs. 3 StVG aber nicht gilt. Der Gesetzgeber hat Pedelecs mit § 1 Abs. 3 StVG vielmehr ausdrücklich aus dem Kraftfahrzeugbegriff des Straßenverkehrsrechts ausgeschieden.BT-Drs. 17/12856, S. 11; vgl. zum europarechtlichen Hintergrund auch EuGH NZV 2024, 184 (189). Die Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit entspricht beim Pedelec der eines muskelbetriebenen Fahrrads. Beide kann man wegen der relativ niedrigen Geschwindigkeiten kurzfristig abbremsen und absteigen. Muskelbetriebene Fahrräder werden eindeutig nicht von § 316a StGB erfasst. Es überzeugt deshalb, auch Pedelecs aus dem Anwendungsbereich des § 316a StGB auszunehmen.Pschorr, JuS 2024, 663 (670 f.); aA Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 16; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 25. E-Scooter, Segways etc. unterfallen mangels einer § 1 Abs. 3 StVG entsprechenden Ausnahmevorschrift § 316a StGB.OLG Hamburg NJOZ 2018, 249; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 16; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 25; Krenberger, NZV 2022, 444; Peters, ZJS 2021, 206 (208); wohl aA LG Leipzig BeckRS 2022, 22219, Rn. 17.
Führer:in eines Kraftfahrzeugs ist in Abweichung von §§ 315c, 315d, 316 StGB, wer es in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, auch wenn die betroffene Person sich dabei eines Fahrassistenzsystems bedient.
Wenn das Fahrzeug fährt, stellen sich hinsichtlich der Fahrzeugführer:inneneigenschaft in der Klausur keine Probleme. Problematisch ist, ob auch ein haltendes Fahrzeug geführt wird. Zu bejahen ist dies, wenn das Fahrzeug verkehrsbedingt zum Halten kommt. Auch wenn das Fahrzeug an einer roten Ampel, einer Kreuzung oder im Stau hält, ist die Konzentration von Fahrer:innen auf den Verkehr gerichtet – sie müssen Acht geben, wann sie wieder losfahren können.BGHSt 38, 196 (198); Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 7 mwN; aA Duttge/Nolden, JuS 2005, 193 (196); Jesse, JR 2008, 448 (450 f.). Reißt in diesem Moment der Täter die Fahrertür auf, um sich des Fahrzeugs zu bemächtigen, ist die Führer:in schutzlos. Gerade solche Konstellationen soll § 316a StGB erfassen.
Zu differenzieren ist bei nicht verkehrsbedingten Halten (zB um eine Taxikund:in abzukassieren): Wird die Handbremse gezogen und ausgekuppelt (oder ein Automatikgetriebe in Parkposition gestellt), wird das Fahrzeug nicht mehr geführt, da es nicht mehr fahrbereit ist. Etwas anderes gilt, wenn bei laufendem Motor und eingelegtem Gang (Fahrposition des Automatikgetriebes) kurz angehalten wird.BGH NStZ 2018, 469 (470) mwN.
Wird das Fahrzeug geparkt iSv § 12 Abs. 2 StVO bzw. länger als drei Minuten abgestellt und der Motor abgeschaltet, ist die Kontrolle über das Fahrzeug beendet.Vgl. BGH NStZ-RR 2014, 342. Eine Person, die sich (noch oder schon) außerhalb des Fahrzeuges befindet, kann damit erst recht nicht Fahrer:in sein und ist somit kein taugliches Tatopfer,BGH NStZ 2004, 207 (208); BGH NStZ-RR 2002, 108; Geppert, DAR 2014, 128 (131). es sei denn, sie schiebt das Fahrzeug.Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 28.
Beispiel: Als taugliches Angriffsobjekt scheidet somit zB aus, wer im Begriff ist einzusteigen, seinen Wagen zur Reparatur einer Autopanne verlassen hat, Bereifung oder Ladung prüft, den Kofferraum öffnet, mit einem Tankvorgang beschäftigt ist oder ein Warndreieck aufstellt.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 9.
Weiterführendes Wissen: Die Anknüpfung an die physische Fahrzeugkontrolle wird in der Literatur zT kritisiert. Führer:in eines Kfz sei nämlich nicht nur die Person, die im Moment des Angriffs mit der Bewältigung von Betriebs- und Verkehrsvorgängen beschäftigt sei, denn das Straßenverkehrsrecht stellt zB in § 23 Abs. 1 StVO durchaus Verhaltenspflichten auch an die bereits im Fahrzeuginneren befindliche, losfahrbereite und -willige Person. Es wird daher vertreten, dass der BGH Probleme in der Fahrzeugführer:inneneigenschaft verortet, die eigentlich unter das Ausnutzungsmerkmal (Dazu näher → Rn. 26 ff.) zu subsumieren wären.Vgl. Baur, NZV 2018, 103 (106); Bosch, JURA 2013, 1234 (1240); Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (322 f); Duttge/Nolden, JuS 2005, 193 (196). Tatsächlich entsteht eine Überschneidung der Tatbestandsmerkmale, jedoch liegt noch keine verfassungswidrige Verschleifung vor, weil beiden Tatbestandselementen eigenständige Bedeutung zukommt.Wohl aA Eisele, JuS 2017, 793 (794). Die Wortlautgrenze verhindert, Personen als geeignete Tatopfer iSd § 316a StGB zu qualifizieren, die mit fahrzeugbezogenen Tätigkeiten befasst sind, es aber nicht (mehr) führen iSv fahren.BGH NJW 1989, 723 (724); Roßmüller/Rohrer, NZV 1995, 253 (254).
Als Mitfahrer:in gilt jede Person, die tatsächlich im oder auf dem Fahrzeug mitfährt, freiwillig oder unfreiwillig. Mitfahren setzt voraus, dass das Fahrzeug gerade von einer anderen Person geführt wird.Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 8; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 32; Geppert, DAR 2014, 128 (133); aA Bosch, JURA 2013, 1234 (1241).
Beispiel: Wer schon im Auto sitzt und wartet, dass die Fahrt gleich beginnt, ist also keine Mitfahrer:in iSd Tatbestands.
Der tatbestandliche Angriff muss zu einem Zeitpunkt verübt werden, in dem die Fahrzeugführer:innen- oder Mitfahrer:inneneigenschaft bereits oder noch vorliegt.BGH NStZ 2004, 626; Geppert, DAR 2014, 128 (131). Bei länger andauernden Angriffen genügt es, wenn die Eigenschaft eintritt, solange der Angriff andauert (→ Rn. 26 ff.).
Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs
Der Täter muss bei Verübung des Angriffs nach § 316a StGB die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzen. Hier manifestiert sich das Schutzgut der Sicherheit des Straßenverkehrs (→ Rn. 3 ff.) im Tatbestand. Herausgearbeitet wurde bereits, dass der Tatbestand die Sicherheit der Fahrzeugführer:innen im Blick hat und diese vor besonderen Risiken schützen möchte, die aus der Situation am Steuer resultieren. Diese Risiken treten zutage, wenn Führer:innen eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung des Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt sind, dass sie gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden können.BGH NStZ 2024, 495 (496); BGH NStZ 2018, 469 (470); BGH NStZ 2016, 607 (608); BGH BeckRS 2004, 4277; kritisch wegen einer vermeintlichen Verschleifung mit der Kraftfahrzeugführer:inneneigenschaft Eisele, JuS 2017, 793 (794).
In Abgrenzung zur Prüfung des Merkmals „taugliches Tatopfer“ muss in der Klausur an dieser Stelle herausgearbeitet werden, warum das Tatopfer durch die Situation im Kraftfahrzeug besonders schutzlos ist. Folgende Argumente hat die Rechtsprechung dafür entwickelt:
Konzentration: Wenn sich Fahrer:innen mit dem Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr befinden, müssen sie sich regelmäßig auf den Verkehr und das Lenken konzentrieren.BGH NStZ 2023, 111 (113); BGH NStZ 2018, 469 (470); BGH NStZ 2016, 607 (608); BGH NStZ 2015, 653 (654). Der BGH hat dafür ein noch rollendes Fahrzeug ausreichen lassen.BGH NStZ 2016, 607 (608). Stopps im fließenden Verkehr (zB an einer roten Ampel) zwingen genauso zur Konzentration auf das Verkehrsgeschehen wie die Fahrt selbst.BGH NJW 2005, 2564; LG Dortmund BeckRS 2020, 53026, Rn. 23.
Verkehrsfluss: Mitfahrer:innen können sich, sollten sie wegen der Einwirkung durch den Täter zur Flucht entschlossen sein, dem Angriff in einem fahrenden Fahrzeug regelmäßig nicht ohne Eigen- oder Fremdgefährdung entziehen.BGH NStZ 2013, 43. Wenn sie die Tür öffnen oder die Handbremse ziehen, riskieren sie einen Unfall auch zu eigenen Lasten.
Kurzfristiges, nicht verkehrsbedingtes Anhalten (zB zum Abkassieren einer Taxikund:in) unterbricht eine einheitliche Fahrt nicht.BGH NStZ 2003, 35; wohl anders BGH NStZ 2000, 144. Solange das Fahrzeug bei angelassenem Motor und Automatikgetriebe in Fahrstellung weiter abfahrbereit gehalten wird,BGH NStZ 2018, 469 (470) mwN. ist die Verteidigungsfähigkeit von Kraftfahrzeugführer:innen und Mitfahrer:innen weiter eingeschränkt.
Abgestelltes Fahrzeug: Geschehnisse in einem abgestellten Fahrzeug unterfallen dem Tatbestand nicht, auch wenn der Innenraum eines Kfz physische Verteidigung durch seine Beschaffenheit erschweren kann. Dass es in einem Kfz eng ist, sieht die aktuelle Rechtsprechung nicht mehr als Besonderheit des Straßenverkehrs an.BGH BeckRS 2004, 4277; BGH NStZ 2000, 144; aA BGH NStZ 1994, 340 (341); Bosch, JURA 2013, 1234 (1242); Kraemer, JA 2011, 193 (194).
Schwierigkeiten bereiten Fälle der folgenden Art:
Beispiel: O sitzt in seinem Auto, hat den Motor aber noch nicht gestartet. Plötzlich setzt sich T mit einer Keule auf den Rücksitz und bedeutet dem O, loszufahren, da T ihn ansonsten schlagen werde.
In dem Zeitpunkt, in dem T im Beispielfall beginnt, den O zu bedrohen, nutzt er noch nicht die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs aus. Gleichwohl wendet der BGH in solchen Konstellationen den § 316a StGB unter der Bedingung an, dass der Angriff (hier also die Bedrohung mit der Keule) noch so lange andauert bis das Opfer durch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist und dass diese eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit zumindest auch durch den fortdauernden Angriff verursacht wird. Der BGH hat insofern genügen lassen, dass das Opfer durch das erzwungene Losfahren der letzten verbliebenen Verteidigungsmöglichkeiten beraubt wurde.BGH NZV 2008, 256 (257); so auch Krüger, NZV 2008, 234 (237); aA Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (323). Hätte O im Beispielfall also bei stehendem Fahrzeug zB noch aussteigen und fliehen können und ist ihm diese Handlungsoption nach dem Anfahren entzogen, ist der Tatbestand erfüllt, wenn der Angriff bis dahin andauert. Demgegenüber fehlt es an einem Kausalitätsverhältnis zwischen dem fortdauernden Angriff und dem Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs, wenn der Täter das Opfer bereits vor der Fahrt unter seine uneingeschränkte Kontrolle gebracht hat (zB mit einer Schusswaffe, die jeden Fluchtversuch von vornherein unmöglich macht) und die dadurch geschaffene Nötigungslage während der nachfolgenden Fahrt lediglich unverändert aufrechterhalten wird.
Für das zusätzliche, vom BGH postulierte Erfordernis der Kausalität zwischen Angriff und „Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ gibt es keinen Anhalt im Wortlaut von § 316a StGB. Vielmehr ist nur von einer zeitlichen Koinzidenz von Angriff und der Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs die Rede („Angriff verübt [...] und dabei [...] ausnutzt“).AA Jesse, JR 2008, 448 (451 f.). Diesem Koinzidenzerfordernis ist genügt, wenn die Tatbestandsmerkmale „Taugliches Tatopfer“ und „Ausnutzung der Verhältnisse des Straßenverkehrs“ erfüllt werden, während der Angriff noch andauert.
In Literatur wird § 316a StGB zT noch restriktiver als durch den BGH ausgelegt und gefordert, dass bereits der erste Akt des Angriffs sich die Besonderheiten des Straßenverkehrs zunutze machen müsse.Kraemer, JA 2011, 193 (196); Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (322); Bosch, JA 2008, 313 (314). Nach dem Wortlaut von § 316a StGB („dabei“) seien der Angriff und die Besonderheiten des Straßenverkehrs eng miteinander verknüpft. Dieser Verknüpfung würde nur Rechnung getragen, wenn schon der erstmalige Bemächtigungsakt – also der Angriff – die erhöhte kriminelle Energie in sich trage, die mit der Ausnutzung der Besonderheiten des Straßenverkehrs einherginge. Tatsächlich erzwingt der Wortlaut eine solche Interpretation aber nicht. Sie würde zudem dem Charakter des § 316a StGB als Tätigkeitsdelikt widersprechen, bei dem sich das Verhaltensmerkmal „Angriff verüben“ über einen längeren Zeitraum erstrecken kann.Vgl. in diese Richtung Dehne-Niemann, NStZ 2008, 319 (322); ähnlich auch Bosch, JURA 2013, 1234 (1242 f.). Wenn die Tatbestandsmerkmale „taugliches Tatopfer“ und „Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ erfüllt sind, während der Angriff iSv § 316a StGB noch andauert, kann der Tatbestand nach den allgemeinen Regeln (Koinzidenzprinzip) angewendet werden.
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz
Auf subjektiver Ebene muss der Täter mit (Eventual-)Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatumstände handeln. Er muss sich der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs insoweit bewusst sein, dass diese zumindest den Angriff erleichtern und zur beabsichtigten Tat in einem funktional-zeitlichen Zusammenhang stehen, ohne die Erleichterung des Angriffs zur ursächlichen Bedingung des Handelns machen zu müssen.BGH NStZ 2018, 469 (470); BGH NStZ 2016, 607 (608); Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 16 mwN. Das ist auch dann der Fall, wenn der Täter darüber hinaus auch andere für die Tatbegehung günstige Umstände ausnutzen will (sog. Motivbündel). Das notwendige Bewusstsein fehlt jedoch, wenn die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs nicht erkannt werden, sondern nur eine günstige Gelegenheit ergriffen wird.
Beispiel: § 316a StGB erfüllt mangels Vorsatzes nicht, wer meint, die Taxifahrerin eines abgestellten Fahrzeugs anzugreifen, das aber tatsächlich noch fahrbereit gehalten wird.
Absicht
Weiterhin muss der Täter (als Teil eines Motivbündels) die Absicht (dolus directus 1. Grades) haben, den Angriff zur Begehung eines Raubes, räuberischen Diebstahls oder räuberischer Erpressung zu nutzen (Wortlaut: „Wer zur Begehung…“).Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 16; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 47. Die Absicht (im Folgenden als Raubabsicht bezeichnet) muss zu irgendeinem Zeitpunkt während – spätestens bei Abschluss – des Angriffs gegeben sein, unabhängig davon, ob dieser zunächst zu anderen Zwecken begonnen wurde oder ob bei Beginn noch nicht alle Vorsatzelemente erfüllt waren.BGH NStZ 2024, 495 (496) m. lehrreicher Anm. Ruppert; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 16; Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Auf. (2023), § 316a Rn. 13. Die geplante Raubtat muss hinsichtlich des Ortes und der Umstände der Begehung in der Vorstellung des Täters hinreichend konkretisiert sein. Nach der VorstellungBGH NStZ 1989, 119; BGH NJW 1986, 1623 (1624); BGH NStZ 1997, 236 (237). des Täters muss dabei die geplante Raubtat in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Angriff im StraßenverkehrSander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 45; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 16 f.; aA Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 18 mwN. stehen. Nur so wird der Funktion des Tatbestands als Nahtstelle zwischen Verkehrs- und Vermögensdelikten Rechnung getragen. Dass die Raubtat im Fahrzeug vollendet werden soll, ist dementgegen nicht erforderlich.BGH NStZ 2004, 626. Sie muss noch nicht einmal vollständig geplant sein. Der Tatentschluss muss sich aber auf alle objektiven Merkmale des Raubes, räuberischen Diebstahls oder der räuberischen Erpressung beziehen und darüber hinaus muss Zueignungs-, Besitzerhaltungs- bzw. Bereicherungsabsicht vorliegen.BGH NStZ 2024, 495 (496); BGH BeckRS 2011, 19845, Rn. 4; BGH NJW 1972, 694 (695). Die Angreifer:in muss schließlich beabsichtigen, die geplante Tat (mit-)täterschaftlich zu begehen, eine bloße geplante Beihilfe ist nicht ausreichend.BGH NJW 1972, 694 (695). Da der Tatbestand lediglich die Absicht der Durchführung der Taten fordert (überschießende Innentendenz), kommt es nicht auf einen Taterfolg an.
Beispiel: Wer plant, einer Taxifahrerin (am Steuer eines fahrenden Kraftfahrzeugs) einen Schlag ins Gesicht zu versetzen, um sie dazu zu bewegen, alle Wertgegenstände herauszugeben und für sich zu behalten, beabsichtigt, den Angriff zu einer räuberischen Erpressung auszunutzen, auch wenn die konkrete Tatbeute noch nicht feststeht.
Den Tatbestand erfüllt dagegen nicht, wer eine Kraftfahrzeugführerin totschlägt und dann spontan beschließt, ihr alle Wertgegenstände abzunehmen, denn der Angriff ist mit dem Tod des Opfers abgeschlossen und die später gebildete Wegnahmeabsicht ein wegen des Koinzidenzprinzips unbeachtlicher dolus subsequens.
Der räuberische Angriff auf Kraftfahrer:innen erfährt in § 316a Abs. 3 StGB eine Qualifikation: Wenn der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig (d. h. aufgrund eines schwerwiegenden Sorgfaltspflichtverstoßes) den Tod eines anderen Menschen verursacht, sollen lebenslange Freiheitsstrafe oder mindestens zehn Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. Die Struktur entspricht der Prüfung des § 251 StGB, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann (→ BT II § 7 Rn. 3 ff.).
Erforderlich ist somit der Eintritt des Todes eines anderen Menschen als schwere Folge. Diese Folge muss kausal durch die Tathandlung (Verüben eines Angriffs) verursacht und dem Täter objektiv zurechenbar sein. Des Weiteren bedarf es eines tatbestandsspezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhangs zwischen dem Angriff und dem Tod eines anderen Menschen.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 47.
Da der Wortlaut des § 316a Abs. 3 StGB den Tod eines anderen Menschen (nicht anderer Fahrzeugführer:innen) fordert, muss der getötete Mensch nicht auch Tatopfer des § 316a Abs. 1 StGB sein. Mittäter sind keine anderen Menschen iSd Norm, da sie die Tat tatherrschaftlich begehen. Teilnehmer:innen an der Tat sind jedoch geeignete Todesopfer iSv § 316a Abs. 3 StGB.Hollering, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 316a, Rn. 24.
Im Tod muss sich die typische Gefährlichkeit eines Angriffs unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs verwirklichen. Das ist nicht nur gegeben, wenn der Angriff unmittelbar eine tödliche Verletzung verursacht. Vielmehr werden auch Erfolge erfasst, die auf den Angriff im Verkehr und dessen spezifische Gefahren zurückzuführen sind.
Beispiel: Wenn die (Mit-)Fahrer:in durch den Angriff in Panik gerät, das Lenkrad verreißt oder aus dem fahrenden Fahrzeug springt und dadurch einen tödlichen Unfall verursacht, ist der Gefahrverwirklichungszusammenhang gegeben. Wenn andere Verkehrsteilnehmer:innen durch den Unfall zu Schaden kommen, ist diese Folge ebenfalls dem Täter zuzurechnen. Der Gefahrverwirklichungszusammenhang soll hingegen nicht vorliegen, wenn die Todesfolge im Rahmen einer Nacheile durch Verfolger:innen eintritt.Vgl. Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 20.
Schwere Folgen, die durch die Tathandlung des Raubes etc. eintreten, werden allein nach §§ 250 Abs. 2, 251 StGB sanktioniert,BGH BeckRS 1993, 8259, Rn. 2. sofern Tathandlung und Angriff nicht (wie regelmäßig) zusammenfallen.
Weiterführendes Wissen: § 316a Abs. 3 StGB ist gem. § 11 Abs. 2 StGB teilnahmefähige Vorsatztat. Teilnehmer:innen muss eigene Leichtfertigkeit hinsichtlich der schweren Folge vorzuwerfen sein.Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 55. Die Qualifikation kann (auch isoliert) versucht werden.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 53; Ibold, JA 2016, 505 (509).
Rechtswidrigkeit und Schuld
Hinsichtlich Rechtswidrigkeit und Schuld ergeben sich keine Besonderheiten. Trotz des Schutzes auch des Straßenverkehrs als Rechtsgut kommt eine Rechtfertigung nach § 32 StGB sowie durch Einwilligung in Betracht.Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 48. Das zeigt deutlich, dass sich der Schutz nicht auf den allgemeinen Straßenverkehr als Ganzes, sondern nur auf die konkreten Fahrzeugführer:innen bzw. Mitfahrer:innen bezieht. Erteilt das Opfer (aus Sicht des Täters) zugleich ein tatbestandsausschließendes Einverständnis hinsichtlich des Raubes, entfällt bereits die Absicht, den Angriff zur Begehung eines Raubes, einer räuberischen Erpressung oder eines räuberischen Diebstahls zu verüben, sodass der Tatbestand nicht verwirklicht ist.Vgl. Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 48.
Täterschaft und Teilnahme
Täterschaft und Teilnahme richten sich nach den allgemeinen Regeln. Da § 316a StGB kein eigenhändiges Delikt ist, können (bei entsprechendem Gewicht) auch Vorbereitungshandlungen als mittäterschaftlicher Tatbeitrag (§ 25 Abs. 2 StGB) im Vorfeld der auszuführenden Tat ausreichend sein, eine physische Anwesenheit oder eigene Angriffshandlung sind nicht nötig.
Der Mittäter muss mit der Raubabsicht sowie der jeweiligen überschießenden Innentendenz des zu verwirklichenden räuberischen Delikts handeln (s. o.→ Rn. 31 ff.). Für Teilnehmer genügt hingegen Eventualvorsatz hinsichtlich der Haupttat und bezüglich der Absicht des Täters, den Angriff zur Begehung eines Raubes, einer räuberischen Erpressung oder eines räuberischen Diebstahls zu verüben.
Weiterführendes Wissen: Deshalb macht sich nach Auffassung der Rechtsprechung der Beihilfe zu § 316a StGB strafbar, wer ein Fahrzeug (weiter-)führt, nachdem er einen Angriff im Kfz wahrgenommen hat.BGH BeckRS 1981, 30395024. Der BGH ist der Auffassung, das Fahrzeug weiter in Bewegung zu halten, sei aktives Tun, weil immer wieder Kraft auf die Pedale und die Lenkung ausgeübt werden muss.BGH BeckRS 1981, 30395024; dem folgend Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 49. Beschleunigt der Täter, um dem Opfer (vermeintlich) noch bestehende Verteidigungsmöglichkeiten zu nehmen, BGH NJW 1959, 1140 (1141). überzeugt es, den Schwerpunkt der Tat im aktiven Tun zu erkennen, weil dann dem Akt des Beschleunigens eine im Verhältnis zum status quo eigenständige Bedeutung zukommt. Wird jedoch nur weiter das Gaspedal bedient, also die Fahrt unverändert fortgesetzt, liegt der Schwerpunkt in der Fortsetzung eines bereits begonnenen Verhaltens (Fahren mit allen dafür notwendigen Akten) und also im Unterlassen, dieses Verhalten abzubrechen. Die Rechtsprechungsansicht zwingt eine im Ausgangspunkt unbeteiligte Person zu einer Verhaltensänderung, um nicht gleichsam ‚mitgehangen, mitgefangen‘ als Beteiligte:r eingestuft zu werden. Das ist mit der Wertung des § 13 Abs. 1 StGB – im Lichte der allgemeinen Handlungsfreiheit betrachtet – nur vereinbar, wenn der Person eine Garant:innenstellung zukommt.
Eine sukzessive Mittäterschaft oder BeihilfeBGH NStZ 2016, 607 (609). ist auch noch nach Vollendung bis zum Abschluss des Angriffs (→ Rn. 47) möglich. Entscheidend ist allerdings, dass (noch immer) die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt werden.Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 19; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 48; Hollering, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 316a Rn. 33, 28; aA Kulhanek, NStZ 2016, 607 (610). Die Beteiligung am Raub, räuberischen Diebstahl oder der räuberischen Erpressung erfüllt demnach nicht zugleich §§ 316a, 27 StGB, wenn die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bei der Teilnahmehandlung nicht mehr zum Tragen kommen.
Die Raubabsicht ist als überschießende Innentendenz kein besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs. 1 StGB.
Versuch und Beendigung
Versuch
Angesichts der Weite des Angriffsbegriffs (→ Rn. 9 ff.) bleibt für die gem. § 23 Abs. 1 StGB gegebene Versuchsstrafbarkeit neben dem ohne wesentliche Zwischenakte unmittelbar bevorstehenden AngriffSander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 51 f.; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 20. nur der untaugliche Versuch (zB Angriffe gegen vermeintliche Führer:innen bereits abgestellter Fahrzeuge). Die hM setzt zusätzlich das Eindringen des Angriffs in die Opfersphäre voraus, wodurch sich ein enges Fenster des tauglichen Versuchs (zwischen bevorstehender Angriffshandlung und Auswirkung auf das Opfer) ergibt,Duttge, in: HK-Gs, 5. Aufl. (2022), § 316a Rn. 17. welches dann teils durch verschärfte Anforderungen an das unmittelbare Ansetzen noch weiter verengt wird.Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 50. Für den Rücktritt bleibt wegen der früh einsetzenden Vollendungsstrafbarkeit nur ein geringer Anwendungsbereich.
Weiterführendes Wissen: Eine alte Fassung des Tatbestandes sah die Möglichkeit der tätigen Reue vor. Die Literatur kritisiert, dass mit der Streichung im Zuge des 6. Strafrechtsreformgesetzes Täter deutlich schlechter gestellt sind, weil zwar jetzt im Versuchsstadium ein Rücktritt möglich ist, dieser aber angesichts der schnellen Vollendung kaum Bedeutung erlangt. Einige Stimmen gehen von einer analogen Anwendbarkeit der Vorschriften über die tätige Reue aus, obwohl der Gesetzgeber sich aktiv dagegen entschieden hat und eine planwidrige Regelungslücke somit nicht besteht.Vgl. Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 18 mwN auch zur Gegenansicht.
Beendigung
Nach einer Ansicht ist der Angriff gem. § 316a Abs. 1 StGB erst beendet, wenn die beabsichtigten Raubtaten vollendet sind.König, in: Hentschel/König/Dauer, 47. Aufl. (2023), § 316a Rn. 15; implizit auch BGH NStZ 2016, 607 (609). Dies verkennt allerdings, dass die Raubabsicht nicht in die Tat umgesetzt werden muss, um § 316a StGB zu erfüllen, sodass auch dessen Beendigung nicht von der Vollendung einer Raubtat abhängen kann. Richtigerweise kommt es für die Tatbeendigung maßgeblich auf den Abschluss des Angriffs an.Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 19; detailliert und hinsichtlich der Rechtsprechung kritisch Krell, ZJS 2017, 115 (118 ff.). Der Abschluss von Raubtat und Angriff fallen nur zusammen, wenn auch Angriff und Nötigungshandlung zusammenfallen. Ist der Angriff der Nötigungshandlung vorgelagert, so zeigt bereits die Notwendigkeit einer weiteren Handlung, dass der Angriff von der Raubtat getrennt ist und also auch der Abschlusszeitpunkt gesondert festgestellt werden muss. Der räuberische Angriff auf Kraftfahrer:innen ist somit dann abgeschlossen, wenn entweder die überschießende Innentendenz verwirklicht wurde (dann dient der Angriff der Raubabsicht nicht mehr), die Fortwirkung des ursprünglichen (Dauer-)Angriffs sicher aufgehoben oder ein längerer zeitlicher und räumlicher Abstand seit Vollendung des (Dauer-)Angriffs eingetreten ist, der die Fortwirkung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs im andauernden Angriff aufhebt.Ähnlich Kulhanek, NStZ 2016, 607 (610); aA Duttge, in: HK-Gs, 5. Aufl. (2022), § 316a Rn. 19.
Beispiel: So hielt der BGH einen Angriff in einem Fall für abgeschlossen, in dem das Tatopfer zwar noch gefesselt, jedoch aus dem Kfz in ein anderes Fahrzeug geschafft worden war, um in Ruhe die Tatbeute (Ladung eines Lkws) sichern zu können, weil ein längerer zeitlicher und räumlicher Abstand zu dem Angriff auf das Opfer bestanden habe.BGH NStZ 2007, 35 (36).
Minder schwerer Fall, § 316a Abs. 2 StGB
In minder schweren Fällen ist die Strafe nach § 316a Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Der Gefährlichkeit des Angriffs kommt maßgebliche Bedeutung zu. Wird der Angriff mit Raubabsicht durchgeführt, diese dann aber nicht in die Tat umgesetzt, so kann das mildernd berücksichtigt werden.BGH BeckRS 2001, 30192808; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 23; Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 58. Richtet sich die Raubabsicht auf geringwertige Beute, spricht das ebenfalls für einen minder schweren Fall. Das Ausbleiben einer Gemeingefahr stellt jedoch keinen Milderungsgrund dar.
Beispiel: Der BGH hat einen minder schweren Fall bei einem Angriff infolge alkoholischer Enthemmung angenommen, der lediglich die Erlangung einiger Brathähnchen zum sofortigen Verzehr bezweckte und die dabei angewendete Gewalt nicht übermäßig war.BGH NStZ-RR 1996, 133.
Konkurrenzen
Zwischen § 316a StGB und den vollendeten Raubdelikten liegt regelmäßig Tateinheit nach § 52 StGB vor, wenn Angriff und Nötigungshandlung (wie häufig) zusammenfallen.BGH NJW 1963, 1413 (1414); BGH NStZ 1999, 350 (351). Eine Gesetzeskonkurrenz liegt nicht vor, da ansonsten im Schuldspruch nicht zum klar Ausdruck kommen würde, ob die räuberische Tat auch ausgeführt wurde.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316a Rn. 21; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 57. Das nur versuchte räuberische Delikt tritt nach hM als typische Begleittat hinter § 316a StGB zurück, nicht aber der Versuch der Raubqualifikationen nach §§ 250, 251 StGB.BGH NJW 1974, 2098; Hollering, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 316a Rn. 34; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 24; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 316a Rn. 8; Duttge, in: HK-Gs, 5. Aufl. (2022), § 316a Rn. 21; Ernemann/Höltkemeier/Lafleur, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2024), § 316a Rn. 23. Die Gegenansicht geht in allen Fällen von Tateinheit aus.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 55; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 316a Rn. 57.
Ist eine schwere Folge des § 316a Abs. 3 StGB eingetreten, verdrängt sie den zugleich verwirklichten Raub mit Todesfolge nach § 251 StGB.Hollering, in: BeckOK-StGB, 61. Ed. (Stand: 01.05.2024), § 316a Rn. 34. § 316a Abs. 3 StGB kann dann in Tateinheit mit einem (versuchten) vorsätzlichen Tötungsdelikt stehen.BGH NStZ 2003, 371 (372).
Wenn § 316a mit sonstigen Delikten zusammentrifft, liegt aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen ebenfalls in der Regel Tateinheit vor (so zB mit §§ 239, 239a, 239b StGB, §§ 315, 315b, 315c, 316 StGB oder auch §§ 223 ff., 177 StGB).
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Das überschießende subjektive Merkmal des § 316a StGB verlangt konkrete Feststellungen zum Tatplan des Täters. Insbesondere muss das Tatgericht nachweisen, dass ein räumlich-zeitlicher Bezug zwischen Angriff und geplanter Raubtat bestehen sollte.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 45.
Die Verjährungsfrist beträgt 20 Jahre, vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB, in den Fällen des § 316a Abs. 3 StGB sogar 30 Jahre nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 StGB.
§ 316a StGB ist nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. u) StPO Katalogtat für die Anordnung von Telekommunikationsüberwachung und nach § 100g Abs. 2 Nr. 1 lit. i) StPO für die Erhebung von Verkehrsdaten.
Der dringende Tatverdacht der wiederholten oder fortgesetzten Begehung des § 316a begründet nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr.
Weiterhin kann sich, wer durch eine rechtswidrige Tat nach § 316a StGB verletzt ist, unter den Voraussetzungen von § 395 Abs. 3 StPO der Nebenklage anschließen und hat gem. § 397a Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 StPO unter den dort genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Beiordnung eines anwaltlichen Beistands auf Kosten der Staatskasse.
Aufgrund einer Tat nach § 316a StGB kann die Fahrerlaubnis entzogen werden, auch wenn es sich nicht um eine Katalogtat nach § 69 Abs. 2 StGB handelt.Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 316a Rn. 61; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 316a Rn. 28. Der BGH hat dies für den Angriff auf eine:n Mitfahrer:in bejaht.BGH NJW 2005, 1957 (1959).
Auch das Fahrzeug selbst kann als Tatmittel nach § 74 StGB eingezogen werden.König, in: Hentschel/König/Dauer, 47. Aufl. (2023), § 316a Rn. 15.
Prüfungsschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Tatobjekt: Kraftfahrzeugführer oder Mitfahrer
Tathandlung: Angriff auf Leib, Leben oder Entschließungsfreiheit
Tatmodalität: unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz
Absicht, einen Raub, räuberischen Diebstahl oder eine räuberische Erpressung zu begehen
Rechtswidrigkeit
Schuld
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Bosch, Der Räuberische Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB) – Anmerkungen zu einer ungeeigneten Norm, JURA 2013, 1234
Kraemer, Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer – Ein Dauerbrenner im Examen, JA 2011, 193
Übungsfälle
Ibold, „Freundschaftsbande“, JA 2016, 505
Kett-Straub/Stief, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: All inclusive – Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer und Schlägerei, JuS 2008, 236.
Mitsch, Referendarexamensklausur – Strafrecht: Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Notwehr, Versuch – Die Autofallen, JuS 2020, 149
Peters, Fortgeschrittenenklausur: Auf dem E-Scooter durch die Nacht, ZJS 2021, 206