Einführung
Bei den Brandstiftungsdelikten (also § 306 StGB und seinen „Buchstabenabwandlungen“, §§ 306a bis 306f StGB) handelt es sich um besondere Sachbeschädigungsdelikte, die in unterschiedlicher Ausprägung an das Inbrandsetzen bzw. Zerstören von Gegenständen bzw. Gebäuden anknüpfen. Ihre Legitimation wird angesichts der drohenden Gemeingefahren und regelmäßig hohen Sachschäden nicht ernsthaft infrage gestellt. Sie weisen gegenüber § 303 Abs. 1 StGB nicht nur einen erhöhten, sondern wegen der mit einem Brand verbundenen Gemeingefahr eigenständigen Unrechtsgehalt auf.
Klausurhinweis: Abgesehen von den §§ 306 ff. StGB, den §§ 315 ff. StGB (Straßenverkehrsdelikte), § 323a StGB (Vollrausch) sowie § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung), spielen die gemeingefährlichen Delikte des 28. Abschnitts (Herbeiführen einer Überschwemmung, Freisetzen ionisierender Strahlen, gemeingefährliche Vergiftung etc) sowohl in der Praxis als auch in der Klausurbearbeitung keine Rolle. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Delikt wie die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion gem. § 308 StGB nicht in einen Klausursachverhalt eingebaut oder im Rahmen einer mündlichen Prüfung abgefragt werden könnte. Doch wird man dann kein Detailwissen hinsichtlich dieser Tatbestände erwarten, sondern lediglich, dass die Kandidat:innen ihr Wissen zu den bereits bekannten gemeingefährlichen Delikten (Struktur, wiederkehrende Tatbestandsmerkmale) auf derartige „Exoten“ übertragen.
Überblick und Systematik
Die Brandstiftungsdelikte umfassen sieben Vorschriften:
§ 306 StGB: Brandstiftung
§ 306a StGB: Schwere Brandstiftung
§ 306b StGB: Besonders schwere Brandstiftung
§ 306c StGB: Brandstiftung mit Todesfolge
§ 306d StGB: Fahrlässige Brandstiftung
§ 306e StGB: Tätige Reue
§ 306f StGB: Herbeiführen einer Brandgefahr
Die gesetzliche Bezeichnung der Delikte ist – aus systematischer Perspektive – etwas missglückt (und anfällig für Missverständnisse).
Klausurhinweis: Die rechtliche Einordnung der Vorschriften vereinfacht nicht nur die Gliederung des Falles (bei dem meist fast alle unterschiedlichen Brandstiftungsdelikte in Betracht zu ziehen sind), sondern vermeidet auch Fehler bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale (vor allem hinsichtlich des subjektiven Tatbestands).
Grundtatbestände
Alle drei Grundtatbestände haben die Tathandlung, nämlich das Inbrandsetzen oder die Zerstörung des Brandobjekts durch Brandlegung (die zugleich einen Erfolg darstellen), gemein.
Wichtig ist zunächst die Abgrenzung der (einfachen) Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB von der schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 StGB. Der elementare Unterschied liegt darin, dass § 306 Abs. 1 StGB die Fremdheit der unterschiedlichen (enumerativ und abschließend aufgezählten) Schutzobjekte voraussetzt und somit vorrangig das Substanzerhaltungsinteresse des Eigentümers schützt (wenn auch die Gemeingefahren das Unrecht der Brandstiftung prägen, → Rn. 1).
Für § 306a Abs. 1 StGB reicht es hingegen aus, dass der Täter ein Gebäude mit einer der im Gesetz genannten Widmungen in Brand setzt und um diese Widmung weiß. Auf die Eigentumslage kommt es nicht an, sodass sich grundsätzlich auch der Eigentümer strafbar macht, wenn zum Zeitpunkt der Tathandlung die Wohnwidmung eines (ggf. personenverschiedenen) Bewohners fortbesteht. Ebenso wenig kommt es auf eine tatsächliche Gefährdung von Menschen oder auf einen irgendwie gearteten Vorsatz, Menschen gefährden oder gar verletzen zu wollen an.
Klausurhinweis: Im Gesetzestext ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „fremd“, dass es sich bei § 306 Abs. 1 StGB um ein Eigentums- bzw. spezielles Sachbeschädigungsdelikt handelt. Umgekehrt wird bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB aus der Wendung „die der Wohnung von Menschen dient“ deutlich, dass sowohl objektiv als auch subjektiv allein die Zweckwidmung und nicht der tatsächliche Aufenthalt von Menschen für die Verwirklichung des Verbrechenstatbestands maßgeblich ist (entsprechend gilt dies für den Passus „dienendes Gebäude“ gem. § 306 Abs. 1 Nr. 2 StGB und die in § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB enthaltene Wendung „zu einer Zeit, in der sich Menschen dort aufzuhalten pflegen“).
Deliktssystematisch „dazwischen“ liegt § 306a Abs. 2 StGB, der ebenso wenig verlangt, dass es sich beim Brandstiftungsobjekt um eine fremde Sache handelt.
Klausurhinweis: Bei § 306a Abs. 2 StGB sollte man den (eingeschränkten) Verweis auf § 306 Abs. 1 StGB nicht aus den Augen verlieren („in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 StGB bezeichnete Sache“) und sich vergegenwärtigen, dass es auch hier nicht auf die Eigentumslage, sondern auf den konkreten Gefährdungserfolg ankommt. Es wird also gerade nicht auf die „Fremdheit“ der Sache verwiesen. Zudem sollte man sich der Wendung „und dadurch“ bewusst werden, aus der die Zweistufigkeit des Delikts hervorgeht (auf den Handlungsteil „Inbrandsetzen“ folgt ein „Gefährdungserfolg“).
Bei allen drei Tatbeständen handelt es sich um Verbrechen gem. § 12 Abs. 1 StGB, da die Mindeststrafe ein Jahr Freiheitsstrafe beträgt. Daher ist deren versuchte Begehung gem. § 23 Abs. 1 Alt. 1 StGB strafbar. Bei allen drei Tatbeständen besteht die Möglichkeit der Annahme eines minder schweren Falles (§§ 306 Abs. 2, 306a Abs. 2 StGB).
Qualifikationen
Insgesamt finden sich drei Qualifikationen, namentlich § 306b Abs. 1 StGB, § 306b Abs. 2 StGB sowie § 306c StGB. Bei § 306b Abs. 1 StGB und § 306c StGB handelt es sich um Erfolgsqualifikationen (vgl. jeweils den Wortlaut der Vorschriften: „Verursacht“).
Klausurhinweis: Die Deliktsstruktur entspricht derjenigen der Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB, → § 10.
§ 306b Abs. 2 StGB enthält dagegen „klassische Qualifikationen“, bei denen der Täter hinsichtlich des qualifizierenden Begehungsmerkmals vorsätzlich handeln muss (etwa hinsichtlich der Erschwerung der Löschung des Brandes oder der Todesgefahr), oder im Falle der Nr. 2 ein besonderes subjektives Merkmal verwirklichen muss. Außerdem bezieht sich § 306b Abs. 2 StGB – anders als § 306b Abs. 1 StGB und § 306c StGB – ausschließlich auf § 306a StGB.
Klausurhinweis: Hier dürfte es hilfreich sein, sich an den Rand der Erfolgsqualifikationen des § 306b Abs. 1 StGB und § 306c StGB die passende Vorschrift, nämlich § 18 StGB zu notieren (sofern die Prüfungsordnung dies zulässt). Zudem sollte man die Bezugnahme auf § 306a StGB unterstreichen. Es wäre grob fehlerhaft, § 306b Abs. 2 StGB als Qualifikation des § 306 StGB und somit im Anschluss an diesen zu prüfen.
Fahrlässigkeitstatbestände
In § 306d StGB ist die ausnahmsweise Fahrlässigkeitsstrafbarkeit angeordnet, so wie es § 15 StGB normiert. Dabei differenziert § 306d StGB in zwei Absätzen zwischen unterschiedlichen Bezugspunkten der Fahrlässigkeit. Dabei ist eine „zweistufige“ Fahrlässigkeit ohnehin nur bei § 306a Abs. 2 StGB (siehe oben: konkretes Gefährdungsdelikt, Vorsatz bzgl. Brandstiftung, Vorsatz bzgl. Gefährdung) vorstellbar; daher bezieht sich § 306d Abs. 1 StGB und damit der Fahrlässigkeitsvorwurf in den ersten beiden Alternativen nur auf den vom Vorsatz umfassten „Handlungsteil“ von § 306 StGB und § 306a Abs. 1 StGB („fahrlässig handelt“). Bei § 306a Abs. 2 StGB wird hingegen Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge verlangt („Gefahr fahrlässig verursacht“), sodass sich die Vorsatz-Vorsatz-Kombination in eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination umwandelt. § 306d Abs. 2 StGB regelt die übrig gebliebene Konstellation der „Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination“ in Bezug auf § 306a Abs. 2 StGB.
Klausurhinweis: Zur Prüfung der Fahrlässigkeit gelangt man regelmäßig dann, wenn der Täter aus Unachtsamkeit eine Sache bzw. ein Gebäude in Brand setzt. Denkbar ist (vor allem in der Klausur) allerdings auch, dass er im Hinblick auf bestimmte Tatbestandsmerkmale, insbesondere bezüglich der Fremdheit oder der Widmung eines Gebäudes, einem tatsächlichen Irrtum unterliegt. Ein solcher Irrtum führt zum Vorsatzausschluss gem. § 16 Abs. 1 StGB, lässt eine potenzielle Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aber unberührt.
Tätige Reue
Keinen Straftatbestand, sondern eine spezielle Strafzumessungsvorschrift und einen Strafaufhebungsgrund
Vertiefungswissen: Vorschriften zur tätigen Reue sind über den gesamten Besonderen Teil des StGB verstreut. Sie kompensieren den meist frühen Vollendungszeitpunkt derjenigen Delikte, auf die sie sich beziehen. Insofern sollen sie die Möglichkeit eröffnen, eine nur geringfügige Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts trotz formaler Tatbestandsvollendung zu berücksichtigen.
Zusammenfassung
Die sieben Vorschriften enthalten – auch wenn die gesetzgeberische Ausgestaltung zunächst anderes vermuten lässt – drei Grundtatbestände (§§ 306 Abs. 1, 306a Abs. 1, 306a Abs. 2 StGB) sowie drei Qualifikationstatbestände (§§ 306b Abs. 1, 306b Abs. 2, 306c StGB), von denen nur § 306b Abs. 1 StGB und § 306c StGB auf alle drei Grundtatbestände Bezug nehmen. Zudem finden sich in § 306d Abs. 1 StGB und § 306d Abs. 2 StGB zwei Fahrlässigkeitstatbestände. Die Herbeiführung einer Brandgefahr gem. § 306f StGB als praktisch totes Recht spielt auch in der Klausurbearbeitung keine Rolle.
Klausurhinweis: Es empfiehlt sich, bei den §§ 306 ff. StGB alle Delikte isoliert zu prüfen, um nicht den Überblick zu verlieren und eine Überfrachtung der Prüfung zu vermeiden.
Prüfungsrelevanz
Bei den Brandstiftungsdelikten handelt es sich um eine beliebte Prüfungsmaterie. Die §§ 306 ff. StGB bieten sowohl die Möglichkeit, Prüfungskandidat:innen mit konkreten Auslegungsproblemen bzgl. bestimmter Tatbestandsmerkmale als auch mit Fragen des Allgemeinen Teils, zB zum Versuch und Rücktritt, in einem „ungewohnten Kontext“ zu konfrontieren. Insbesondere der Umstand, dass die Brandstiftungsdelikte fast die gesamte Palette an denkbaren Deliktstypen abbilden, macht die §§ 306 ff. StGB interessant, da man die mit einem bestimmten Deliktstyp verbundenen Konsequenzen und somit systematisches Verständnis prüfen kann. Dementsprechend zeichnet sich eine gelungene Brandstiftungsklausur meist dadurch aus, dass die Systematik der §§ 306 ff. StGB beherrscht wird und man dies den Korrigierenden durch einen strukturierten Aufbau seiner Lösung auch beweisen kann.
Meist werden die Brandstiftungsdelikte in Kombination mit Delikten gegen das Leben (§§ 212, 211, 221 StGB) und die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) abgefragt. Oftmals schließt sich an den Akt der Inbrandsetzung ein Versicherungsbetrug (als besonders schwerer Fall eines einfachen Betrugs gem. § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 StGB) an, den man dann zum Versicherungsmissbrauch gem. § 265 StGB abzugrenzen hat.
Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Regelmäßig werden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Brandexpert:innen hinzugezogen, sodass die gem. §§ 72 ff. StPO geltenden Vorgaben zur Hinzuziehung eines Sachverständigen zu berücksichtigen sind.
Studienliteratur
Oğlakcıoğlu, Die imaginäre Übung: Brandstiftungsdelikte, JA 2017, 745
Seitz/Nussbaum, Brandstiftungsdelikte, JuS 2019, 1060
Übungsfälle
Burghardt/Brockhaus, StR Examensklausur zu Mord und Brandstiftung – Übungsklausur für das erste Staatsexamen: „Brandanschlag nach Trennung“, JURA 2022, 1203
Dzatkowski/Wolter, »Heiße Ware«: AT, Vermögensdelikte, Brandstiftung, Anschlussdelikte, JA 2017, 190
Harrendorf/Lagler, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Verkehrsdelikte und Brandstiftung – Ein Obdachloser in Not, JuS 2018, 1066
Otte, Original-Examenskurzvortrag: »Gefährlicher Unfug«: Brandstiftung, Teilnahme an der Brandstiftung, Einwilligung, JA 2017, 510
Schumann/Rahimi, »Ein brandgefährlicher Tag«: Brandstiftungsdelikte, Straßenverkehrsdelikte, JA 2017, 114