Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 10 – Lösungshinweise

Lösungshinweise zu Fall 1

Strafbarkeit des P gem. § 212 Abs. 1 StGB durch Messerstiche

P könnte sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er O in den Hals, das Gesicht und den Körper mit dem Fahrtenmesser stach.

Tatbestandsmäßigkeit

P hat vorsätzlich und in objektiv zurechenbare Weise den Tod der O verursacht. Der objektive und subjektive Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB sind demnach erfüllt.

Rechtswidrigkeit

Fraglich ist, ob das Verhalten des P gerechtfertigt war.

Notwehr gem. § 32 StGB

Mangels eines tatsächlichen, gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs des Katzenkönigs scheidet die Rechtfertigung nach § 32 StGB aus.

Aggressivnotstand gem. § 34 StGB

Mangels einer tatsächlichen Gefahr kann sich B auch nicht auf § 34 StGB berufen.

Zwischenergebnis

Andere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. P handelte somit rechtswidrig.

Erlaubnistatbestandsirrtum

Fraglich ist, ob ein Erlaubnistatbestandsirrtum vorliegt. Dazu müsste sich P irrig das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes vorgestellt haben. Vorliegend kommt in Betracht, dass P sich die tatsächlichen Voraussetzungen des Aggressivnotstandes gemäß § 34 StGB vorgestellt hat.

P hat sich eine Gefahr für die Menschheit oder Millionen von Menschen vorgestellt. Eine Gefahr i.S. von § 34 StGB ist nach Vorstellung des P gegeben.

Hinweis: Während der BGH und Teile der Literatur ohne Weiteres davon ausgegangen sind, dass sich P vorliegend eine solche Gefahr vorgestellt hat, wird teilweise auch vertreten, dass P nicht vom Vorliegen einer ,,Gefahr im Rechtssinne“ ausgegangen sei. Dies wird damit argumentiert, dass die rein abergläubisch bedingte Angst um Menschenleben etwas völlig anderes sei als die – nach § 34 StGB vorausgesetzte - rationale, für jedermann schlüssige Gefahrannahme.

Die Notstandshandlung des P müsste außerdem erforderlich und verhältnismäßig gewesen sein. Im Hinblick darauf, dass keine Abwägung „Leben gegen Leben“ gestattet ist, ist die Verhältnismäßigkeit der Notstandshandlung des P jedenfalls zu verneinen. Die Voraussetzungen des Erlaubnistatbestandsirrtums sind demnach nicht gegeben.

Schuld

Problematisch ist, ob P schuldhaft gehandelt hat. P war uneingeschränkt schuldfähig. Zu prüfen ist aber, ob vorliegend Entschuldigungs- Schuldausschließungsgründe eingreifen.

Entschuldigender Notstand gem. § 35 StGB

Zu denken ist zunächst an den entschuldigenden Notstand gem. § 35 Abs. 1 StGB. Vorliegend fehlt es aber – wie bereits oben festgestellt – an einer tatsächlichen, gegenwärtigen und nicht anders anwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit. Die Entschuldigung des P gem. § 35 Abs. 1 StGB scheidet somit aus.

Angesichts dessen, dass P (wenigstens) nicht mit dem Willen gehandelt hat, die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, befand sich er auch nicht in einem Irrtum nach § 35 Abs. 2 StGB.

Übergesetzlicher entschuldigender Notstand (§ 35 StGB analog)

Es bestand keine tatsächliche Gefahr für die Menschheit, sodass P sich nicht auf einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB analog) berufen kann.

Verbotsirrtum gem. § 17 StGB

P könnte sich jedoch in einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB) befunden haben. Dies wäre dann der Fall, wenn P bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Vorliegend ging P irrig davon aus, er sei ein Retter der Menschheit, wenn er ein Menschenopfer erbringe. Er glaubte, er darf O töten, um schweres Übel – den Tod von Millionen Menschen - zu verhindern. P ging also irrtümlich davon aus, sich im Rahmen eines geltenden Rechtfertigungsgrundes zu bewegen. Er überdehnte die rechtlichen Grenzen des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB, da diese Vorschrift tatsächlich eine Abwägung ,,Leben gegen Leben“ – wie bereits oben festgestellt – nicht gestattet. Ferner nahm P laut Sachverhalt an, das Tötungsverbot gelte für ihn nicht und hatte von der Verletzung der staatlichen Rechtsordnung durch die Tötung der O kein Bewusstsein. Demnach befand sich P in einem teilweise sog. „Doppelirrtum“, der grundsätzlich unter § 17 StGB fällt.

Somit stellt sich die Frage, ob der Irrtum des P vermeidbar oder unvermeidbar war. Nur bei einem unvermeidbaren Verbotsirrtum handelt der Täter ohne Schuld. Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter nach seiner sozialen Stellung und seinen individuellen Fähigkeiten bei Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte das Unrecht hätte einsehen können. Bei Bedenken muss er eine Rechtsauskunft einholen. Dem Sachverhalt lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die darauf hinweisen könnten, dass P keine Möglichkeit hätte, das Unrecht einsehen zu können. Ihm als Polizeibeamter hätte gehörige Gewissensanspannung zur richtigen Einsicht verhelfen müssen. P hätte jedenfalls auch eine Rechtsauskunft einholen können. Er handelte somit in einem vermeidbaren Verbotsirrtum.

P ist demnach nicht entschuldigt.

Ergebnis

P hat sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht. Seine Strafe kann jedoch gem. §§ 17 Satz 2, 49 StGB gemildert werden.

Strafbarkeit der A gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft

A könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben, indem sie den P dazu brachte, an die Existenz des “Katzenkönigs” zu glauben.

Hinweis: Der Tatmittler handelte vorliegend zwar volldeliktisch, eine Strafbarkeit der A wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft kommt aber in Betracht, da eine Fallgruppe des sog. ,,Täters hinter dem Täter“ einschlägig sein könnte. Vorliegend käme auch eine Anstiftung in Betracht, weil eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat des P gegeben ist. Die Täterschaft ist aber – abgesehen von der Fallfrage – immer vor der Teilnahme zu prüfen, weil sie eine gewichtigere Begehungsform ist.

Tatbestandsmäßigkeit

Dazu müsste P tatbestandsmäßig gehandelt haben.

Objektiver Tatbestand

O ist tot, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB ist mithin eingetreten.

Keine eigenhändige Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale

Jedoch fehlt es an der eigenhändigen Verursachung des Tötungserfolges durch die A.

Zurechnung der Handlungen des Tatmittlers gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB

Fraglich ist also, ob die Handlung des P der A im Wege der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden kann. Dies wäre dann der Fall, wenn A die Tat durch einen anderen, hier den P, begangen hätte.

Indem A dem P dazu brachte, an die Existenz des “Katzenkönigs”, der ,,seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe“ zu glauben, hat sie einen kausalen Beitrag geleistet. Problematisch ist vorliegend jedoch, dass P seinerseits volldeliktisch gehandelt hat. Seine Werkzeugeigenschaft erscheint deswegen zweifelhaft. Er befand sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum, der nicht zum Ausschluss seiner Strafbarkeit führt. Ob ein mittelbarer Täter hinter dem strafbaren Täter (,,Der Täter hinter dem Täter“) in Betracht kommen kann, ist streitig.

Nach der strengen Verantwortungstheorie ist neben einem volldeliktisch handelnden Tatmittler kein mittelbarer Täter anzuerkennen. Die Verantwortlichkeit des einen (des Hintermannes) ende dort, wo die des anderen (des Tatmittlers) beginne. Dem Verantwortungsprinzip solle nicht nur eine allenfalls begrenzende, sondern vielmehr eine konstitutive Funktion bei der Beurteilung der Tatherrschaftsfrage zukommen. Solche Fallkonstellationen würden nicht über die mittelbare Täterschaft, sondern über die Anstiftung gelöst. Nach dieser Auffassung wäre die Tatherrschaft der A zu verneinen.

Nach der herrschenden eingeschränkten Verantwortungstheorie hingegen kann auch die Ausnutzung eines vermeidbaren Verbotsirrtums tatherrschaftsbegründend wirken. In solchen Fällen sei nach den allgemein für die Abgrenzung zwischen einer (mittelbaren) Täterschaft und Teilnahme geltenden Kriterien zu entscheiden. Nach der Tatherrschaftslehre müsste also A die Tatherrschaft, also das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehens, innehaben. Für den mittelbaren Täter ergibt sie sich aus seiner Wissen- oder Willensüberlegenheit gegenüber dem Ausführenden (Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens oder Wollens). In Betracht kommt vorliegend eine Irrtumsherrschaft, also Herrschaft kraft überlegenen Wissens. Diese setzt einen unrechtsrelevanten Wissensvorsprung des Hintermannes gegenüber dem Tatmittler voraus. In den Fällen eines vermeidbaren Verbotsirrtums ergibt sich eine solche Irrtumsherrschaft aus der Unrechtskenntnis des Hintermannes. Im Unterschied zum Hintermann hat der Tatmittler eine solche Unrechtskenntnis nicht. Der Umstand, dass die mangelnde Unrechtskenntnis beim Tatmittler vermeidbar war, soll daran nichts ändern. Die tatsächliche Beherrschbarkeit des Vordermannes liege in dem Fall des vermeidbaren und des unvermeidbaren Verbotsirrtums gleichermaßen vor. In beiden Fällen weise der Tatmittler eine Fehlvorstellung auf.

Vorliegend hatte P, wie bereits oben festgestellt, keine Kenntnis vom Unrechtsgehalt seines Tuns. Die Fehlvorstellung bei P wurde durch A hervorgerufen, die in Kenntnis aller Umstände handelte, die den Irrtum bei P begründeten. A hatte demnach eine Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens. Nach der eingeschränkten Verantwortungstheorie wäre also die Tatherrschaft der A zu bejahen.

Die Rechtsprechung übernimmt auf der Grundlage ihrer wertenden Gesamtbetrachtung die Argumentation der Tatherrschaftslehre. In der Fallgruppe des vermeidbaren Verbotsirrtums sollte auf variable Tatherrschaftskriterien abgestellt werden, insbesondere auf das ,,Kriterium der vom Täterwillen getragenen objektiven Tatherrschaft“. Die wird je nach konkreter Fallgestaltung im Einzelfall wertend ermittelt. Von Bedeutung ist dabei insbesondere eine bestimmte Art und Tragweite des Irrtums und beim Hintermann eine besondere Intensität der Einwirkung auf sein Werkzeug. Die Tatherrschaft der A nach den objektiven Kriterien ist, wie bereits bei der eingeschränkten Verantwortungstheorie festgestellt, vorliegend zu bejahen. A hat die Wahnideen bei P hervorgerufen und diese später – laut Begründung des BGH - ,,bewusst ausgenutzt, um seine rechtlichen Bedenken wie seine Gewissensbisse auszuschalten und ihn zu veranlassen, die von ihnen beabsichtigte Tat ihren Plänen und Vorstellungen entsprechend auszuführen. Auf diese psychologische Weise steuerte sie die Tatplanung“. Sie hat den P manipuliert, um den Totschlag durch ihn begehen zu lassen. Damit hatte A auch nach der Ansicht der Rechtsprechung die Tatherrschaft inne.

Lediglich die erste Ansicht verneint die Tatherrschaft der A. Sie überzeugt allerdings nicht. Allein die Frage, welche Kenntnisse der unmittelbar Handelnde tatsächlich gehabt hat, nicht aber, welche er hätte haben können, führt zur gerechten Abgrenzung der Verantwortungsbereiche. Maßstab dafür muss allein die tatsächliche Herrschaftsposition über das Geschehen sein und nicht die normativ bedingte Abgrenzung zwischen einem schuldhaft handelnden Werkzeug, das einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterliegt und einem schuldlos handelnden Werkzeug, das in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum handelt. Bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum hat der Tatmittler auch keine Unrechtskenntnis. Außerdem schließt der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB ein volldeliktisch handelndes Werkzeug nicht zwingend aus. Die Tatherrschaft der A kraft überlegenen Wissens und die Werkzeugeigenschaft des P sind somit zu bejahen. (a.A. vertretbar)

Damit ist A als Täterin hinter dem Täter zu klassifizieren. Die Handlung des P kann ihr gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden.

Subjektiver Tatbestand

Es liegt hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz der A sowie das Wissen und Wollen um das Handeln des Vordermannes vor. Ein vermeidbarer Verbotsirrtum des Tatmittlers rechtfertigt keine andere Bewertung, denn dieser Umstand war vom Vorsatz der A gerade umfasst. Dementsprechend handelte A vorsätzlich.

Die Tatbestandsmäßigkeit ist mithin zu bejahen.

Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

Schuld

A handelte auch schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

Lösungshinweise zu Fall 2

Strafbarkeit des M gem. § 212 Abs. 1 StGB durch das Füttern des A mit vergifteter Milch

M könnte sich gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er A mit vergifteter Milch fütterte.

Tatbestandsmäßigkeit

Den Tod des A hat M in objektiv zurechenbare Weise verursacht. Der objektive Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB ist mithin erfüllt.

M müsste auch vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt haben. M wusste jedoch nicht, dass F heimlich das Gift in die Milch mischte. Der Vorsatz des M ist mithin zu verneinen.

Demnach hat M nicht tatbestandsmäßig gehandelt.

Hinweis: Der Umstand, dass M die Zwillinge verwechselt hat (error in persona), spielt an dieser Stelle in der vorliegenden Fallkonstellation (noch) keine Rolle, da M gar keine Kenntnis von der tödlichen Wirkung der Giftmischung hatte und folglich unvorsätzlich gehandelt hat. Auf die Frage des error in persona wird erst bei der Prüfung der Strafbarkeit der F näher eingegangen. Dort muss gefragt werden, wie sich ein error in persona des Vordermannes auf den Hintermann auswirkt. Wenn Sie dagegen in einer Fallbearbeitung beispielsweise mit einem schuldlos handelnden Werkzeug zu tun haben, das die gleichwertigen Tatobjekte verwechselt, müssten Sie schon an dieser Stelle die Unbeachtlichkeit eines error in persona ansprechen.

Ergebnis

M hat sich nicht gem. § 212 Abs. 1 StGB wegen Totschlags strafbar gemacht.

Strafbarkeit der F gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft

F könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben, indem sie heimlich das Gift in die Milch mischte und M bat, den B zu füttern.

Tatbestandsmäßigkeit

Dazu müsste F tatbestandsmäßig gehandelt haben.

Objektiver Tatbestand

A ist tot, der Taterfolg des § 212 Abs. 1 StGB ist mithin eingetreten.

Keine eigenhändige Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale

Die zum Taterfolg führende Handlung hat F nicht in eigener Person vorgenommen.

Zurechnung der Handlungen des Tatmittlers gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB

Fraglich ist also, ob die Handlung des M der F im Wege der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden kann. Dazu müsste F die Tat durch einen anderen, hier den M, begangen haben.

Der kausale Beitrag der F ist darin zu sehen, dass sie heimlich das Gift in die Milch mischte und den ahnungslosen M bat, den B zu füttern.

Ferner müsste F gegenüber dem M nach Auffassung der Literatur die Tatherrschaft innegehabt haben, die nach Ansicht der Rechtsprechung ein starkes Indiz für den animus auctoris wäre. Im Hinblick auf unvorsätzliches Handeln des M kommt die Tatherrschaft der F über ein tatbestandlos handelndes Werkzeug in Betracht. Vorliegend hatte M – im Unterschied zu F – gar keine Kenntnis von der tödlichen Wirkung der Milchmischung. Dadurch hat F das ganze tatbestandsmäßige Geschehen in den Händen gehalten. Ihre Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens ist mithin zu bejahen.

Hinweis: Die Tatherrschaft der F ist vorliegend unproblematisch und kann deswegen kurz behandelt werden.

Die Handlung des M kann der F somit gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB zugerechnet werden. Der objektive Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB ist mithin erfüllt.

Subjektiver Tatbestand

Fraglich ist aber, ob F im Hinblick auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB vorsätzlich gehandelt hat.

M hat vorliegend die Zwillinge verwechselt und statt des Zwillingsbruders B ist der Zwillingsbruder A ums Leben gekommen. Fraglich ist, ob dies den Vorsatz der F entfallen lässt. Es ist umstritten, wie sich der error in persona des Vordermannes im Rahmen des subjektiven Tatbestandes des Hintermannes auswirkt.

Nach einer Ansicht liegt in einem solchen Fall immer eine aberratio ictus vor. Es solle keinen Unterschied machen, ob der Täter sich eines mechanischen oder eines menschlichen Werkzeugs bediene. Solche Fallkonstellationen seien mit denjenigen vergleichbar, in denen der Täter statt des menschlichen Werkzeugs eine Pistolenkugel auf den Weg schickt und diese nicht das anvisierte, sondern ein danebenstehendes Opfer trifft. Nach dieser Ansicht käme also für F eine Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des B und eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Bezug auf A in Betracht.

Eine andere Auffassung differenziert nach dem subjektiven Tatbestand beim Vordermann. Handelt dieser unvorsätzlich, so liegt eine aberratio ictus beim Hintermann vor. Handelt der Vordermann dagegen vorsätzlich, so sei auch für den Hintermann von der Unbeachtlichkeit des Irrtums auszugehen. Vorliegend handelte M unvorsätzlich (s.o.), es läge also bei F eine aberratio ictus vor. Diese Auffassung kommt also zum gleichen Ergebnis. Nach dieser Ansicht käme für F eine Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des B und eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Bezug auf A in Betracht.

Die dritte Ansicht (h.M.) stellt darauf ab, ob der Hintermann dem Tatmittler die Individualisierung des Tatopfers bzw. des Tatobjekts überlassen hat. Dahinter steckt folgender Gedanke: Denjenigen, der dem Vordermann einen weiten Spielraum bei der Individualisierung des Opfers überlässt, kann eine Identitätsverwechslung durch den Vordermann im Rahmen des ihm zugestandenen Individualisierungsspielraumes auch nicht entlasten. Hat also der Hintermann dem Vordermann die Individualisierung des Tatopfers überlassen, muss er sich den Auswahlfehler des Tatmittlers wie einen eigenen error in persona zurechnen lassen, wenn die Verwechslung sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hält. Wird die Individualisierung dagegen nicht dem Vordermann überlassen, so stellt sich sein error in persona als eine aberratio ictus für den Hintermann dar. Vorliegend hatte M keine Möglichkeit, das Tatopfer selbst zu individualisieren. Ihm wurde genau vorgegeben, welcher Zwillingsbruder zu füttern ist. Nach dieser Ansicht läge also aus der Sicht der F eine aberratio ictus vor. Für F käme demnach eine Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des B und eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Bezug auf A in Betracht.

Alle Ansichten kommen zum gleichen Ergebnis. Der Streitentscheid kann also unterbleiben.

Der subjektive Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wurde nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

F hat nicht tatbestandsmäßig gehandelt.

Ergebnis

F hat sich nicht gem. §§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht. Es kommt allerdings eine Versuchsstrafbarkeit hinsichtlich des B (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) und eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Bezug auf A (§ 222 StGB) in Betracht.

Hinweis: Es ist keine Begehung eines Fahrlässigkeitsdelikts in mittelbarer Täterschaft möglich, so dass vorliegend – wenn dies die Fallfrage erlauben würde, in Bezug auf A die Strafbarkeit der F gem. § 222 StGB zu prüfen wäre. Beachten Sie außerdem, dass die vorliegende Fallkonstellation stets von dem ,,manipulierten error in persona“ zu unterscheiden ist, der über die Rechtsfigur des ,,Täters hinter dem Täter“ gelöst wird.

Lösungshinweise zu Fall 3

Strafbarkeit des A gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB wegen versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft

A könnte sich eines versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er dem B eine Plastikflasche mit tödlicher Salzsäure übergab und ihn mit dem Plan auf den Weg schickte, den Inhalt N einzuflößen.

Tatbestandsmäßigkeit

Die Tat wurde nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 StGB.

Tatentschluss

A wollte N töten, er handelte somit vorsätzlich bezüglich der Tötung eines anderen Menschen.

A wollte allerdings nicht selbst gegenüber N tätig werden, sondern schickte den B, welcher dem N die tödliche Salzsäure verabreichen sollte. Fraglich ist demnach, ob A Tatentschluss bezüglich der Merkmale eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft hatte.

Erforderlich ist zunächst Vorsatz hinsichtlich eines kausalen Beitrags, der vorliegend in dem Inaussichtstellen der Beute und in der Täuschung zu sehen ist, bei dem tödlichen Mittel handele es sich um ein Schlafmittel.

Dazu müsste ferner nach der Vorstellung des A und im Lichte der Tatherrschaftslehre eine Situation vorgelegen haben, in der er (A) den B als menschliches Werkzeug aufgrund seines überlegenen Wissens oder Wollens beherrscht und das Gesamtgeschehen kraft seines planvoll lenkenden Willens in der Hand hält, während der Vordermann auf Grund eines Strafbarkeitsmangels eine unterlegene Stellung innehat. Vorliegend täuschte A den B darüber, er sollte einen Totschlag an N begehen. B wollte zwar einen Raub und eine damit verbundene Körperverletzung (durch Verabreichung des Schlafmittels) begehen, so dass sich B nach der Vorstellung des A strafbar gemacht hätte; jedoch ändert eine etwaige vollverantwortliche Strafbarkeit des B hinsichtlich eines Raubes oder einer Körperverletzung nichts daran, dass hinsichtlich des Totschlags ein überlegenes Wissen sowie eine planvolle Lenkung durch A vorliegt. Eine Tatherrschaft des A kraft überlegenen Wissens ist somit zu bejahen.

Der Tatentschluss des A zur Begehung eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft liegt damit vor.

Hinweis: Bei der Prüfung der Strafbarkeit wegen versuchten Delikts in mittelbarer Täterschaft müssen Sie alle Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft im Rahmen des Tatentschlusses prüfen. Hier geht es um die Frage, ob die nach der Vorstellung des Täters gegeben wären.

Unmittelbares Ansetzen gem. § 22 StGB

A müsste ferner gem. 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt haben. Der Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft ist umstritten.

Nach einer Ansicht sei der Versuchsbeginn schon im Einwirken des Hintermannes auf den Tatmittler zu sehen. Vorliegend hat A dem B Zeit und Ort der Tat genannt und das Tatmittel überreicht. Seine Einwirkung auf den B war damit bereits abgeschlossen. Nach dieser Auffassung läge also ein unmittelbares Ansetzen des A vor.

Eine andere Ansicht sieht die Handlungen des Hintermannes und des Tatmittlers als Gesamttat an und stellt daher für ein unmittelbares Ansetzen auf das Verhalten des Tatmittlers ab. Der Versuch beginnt danach, wenn das Werkzeug selbst zur Tatausführung unmittelbar angesetzt hat. Anderenfalls würde der mittelbare Täter für einen Versuch strenger als ein Anstifter haften, dessen Haftung streng akzessorisch von der Haupttat abhängig ist. Vorliegend hat B nach Entdecken des wahren Inhalts der Flasche die Tatausführung aufgegeben. Dies geschah als B noch auf dem Weg zu N war. B hat demnach zur Tat noch nicht unmittelbar angesetzt. Nach dieser Auffassung wäre ein unmittelbares Ansetzen des A zu verneinen.

Die herrschende Ansicht bejaht den Versuchsbeginn, wenn der mittelbare Täter entweder mit seiner Einwirkung auf den Tatmittler das Rechtsgut unmittelbar gefährdet oder dadurch das Geschehen aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, dass er die Tat zugunsten des Tatmittlers aus der Hand gibt. Dieses ,,Aus-der-Hand-Geben“ des Geschehens durch den Hintermann fällt dabei grundsätzlich mit der Aussendung des Vordermannes zusammen. Ab diesem Zeitpunkt erscheint ein Verbleiben unter der Kontrolle des Hintermannes nur in Einzelfällen möglich. A hat B mit dem angeblichen Schlafmittel losgeschickt, um N alsbald zu überfallen und die in Wirklichkeit tödlich wirkende Säure zu verabreichen. Darin lag nach Vorstellung des A bereits ein derart unmittelbarer Angriff auf Leben des Tatopfers, dass dieses bereits gefährdet war und der Schaden sich unmittelbar anschließen konnte. Nach dieser Ansicht wäre der Versuchsbeginn zu bejahen.

Lediglich nach der zweiten Auffassung läge vorliegend kein unmittelbares Ansetzen des A vor. Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass der mittelbare Täter vielfach überhaupt nicht wissen wird, wann genau der Tatmittler zur Tat unmittelbar ansetzt. Das Rechtsgut ist oft nach Vorstellung des mittelbaren Täters schon gefährdet, bevor der Tatmittler handelt. Der vom mittelbaren Täter in Gang gesetzte Geschehensablauf kann schon nach Einwirkung auf das Werkzeug unkontrollierbar geworden sein. Dem mittelbaren Täter wird gerade die Einwirkung auf den Tatmittler vorgeworfen und selbst die Herbeiführung des Taterfolges durch das Werkzeug kann von Zufällen abhängen. Es wäre sinnwidrig und kriminalpolitisch verfehlt, die Strafbarkeit des Hintermannes davon abhängig zu machen, ob der Tatmittler mit seiner Tat beginnt oder nicht. Der Versuchsbeginn ist demnach zu bejahen.

A hat zur Tat unmittelbar angesetzt.

Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

Ergebnis

A hat sich eines versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht.

Weiterführender Hinweis: Wenn es dafür Anhaltspunkte im Sachverhalt gibt, richtet sich der Rücktritt vom Versuch des mittelbaren Täters nach § 24 Abs. 1 StGB, sofern der Tatmittler einen Strafbarkeitsmangel aufweist. Greift die Figur des ,,Täters hinter dem Täter“ ein, muss der Rücktritt nach § 24 Abs. 2 StGB geprüft werden!