Notwendiges Vorwissen: Erforderlich ist die sichere Beherrschung der Diebstahlsdelikte (§§ 242 ff. StGB) sowie der Nötigung (§ 240 StGB).
Die Raubdelikte gehören zu den praxisrelevantesten Tatbeständen des Besonderen Teils. Entsprechend hoch ist ihre Prüfungsrelevanz. Dies gilt sowohl für Prüfungsarbeiten im Studium als auch in der Ersten und Zweiten Juristischen Prüfung. Gleichzeitig handelt es sich beim Raub um ein dogmatisch komplexes Delikt, mit dessen Struktur sich jede:r Studierende vertieft befassen sollte, da Unsicherheiten schnell zu Fallstricken werden.
Systematik und Rechtsgut
Die Systematik der Raubdelikte
Der Raub enthält Elemente des Diebstahls (§ 242 StGB) und der Nötigung (§ 240 StGB). Es handelt sich jedoch um ein selbstständiges Delikt.
Klausurtaktik: § 249 StGB verdrängt die Nötigung und die Diebstahlsdelikte, sofern sie durch dieselbe Handlung begangen wurden (zu den Konkurrenzen näher → Rn. 59 ff.). Daher sollte in der Klausur immer mit der Prüfung des § 249 StGB begonnen werden.
Der Raub in § 249 StGB
bildet den Grundtatbestand zu den Qualifikationen in § 250 Abs. 1 StGB (schwerer Raub) und § 250 Abs. 2 StGB (besonders schwerer Raub),
bildet den Grundtatbestand zu der Erfolgsqualifikation in § 251 StGB (Raub mit Todesfolge) und
steht nach einer vor allem im Schrifttum vertretenen Ansicht (Exklusivitätsthese) als eigenständiges Delikt neben den §§ 253, 255 StGB (räuberische Erpressung). Nach einer vorwiegend durch die Rechtsprechung vertretenen Ansicht stellt der Raub hingegen einen Spezialfall (lex specialis) zur Erpressung dar (Spezialitätsthese). S. zu dem Streit näher → § 10 Rn. 9 ff.
Rechtsgut
Schutzgüter des Raubes sind nach übereinstimmender Auffassung das Eigentum und die freie Willensbetätigung und -entschließung (zu der umstrittenen Frage, ob auch der Gewahrsam geschützt wird, → § 1 Rn. 13 ff.).
Daneben treten die Schutzgüter Leib und Leben. Dies wird schon auf Ebene des Wortlauts deutlich, da der Raub nur solche Nötigungsmittel erfasst, die Leib und Leben gefährden: Erforderlich ist der Einsatz von Gewalt „gegen eine Person“ oder Drohung „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“.
Der Unrechtsgehalt des Raubes speist sich zu einem erheblichen Teil aus der Sorge, dass die Gewalt eskaliert beziehungsweise die Drohung wahr gemacht wird. In der Folge käme es nicht bloß zu einer Schädigung des Eigentums, sondern auch von Leib und Leben der Nötigungsopfer. Beim Raub handelt es sich daher nicht lediglich um ein Verletzungs-, sondern auch um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
Erst diese Ausrichtung des Tatbestands auf den Schutz von Leib und Leben erklärt die hohe Strafandrohung. Diese ist gegenüber Diebstahl und Nötigung erheblich erhöht und lässt sich durch die bloße Kumulation des Unrechtsgehalts dieser beiden Delikte nicht erklären.
Objektiver Tatbestand
Bei dem Raub handelt es sich um ein zweiaktiges Delikt
Da § 249 StGB Elemente des Diebstahls (§ 242 StGB) und der Nötigung (§ 240 StGB) beinhaltet, können insoweit dieselben Probleme auftauchen. Dies betrifft im objektiven Tatbestand den Einsatz der Nötigungsmittel (zu den Problemen im Rahmen von § 240 StGB → BT I § 15 Rn. 6 ff.) und die Wegnahme (zu den Problemen im Rahmen von § 242 StGB → § 1 Rn. 32 ff.).
Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel
§ 249 Abs. 1 StGB setzt zunächst den Einsatz von Nötigungsmitteln voraus, wobei diese gegenüber § 240 StGB qualifiziert sind: Erfasst sind nicht jede Gewalt und jede Drohung, sondern allein „Gewalt gegen eine Person“ und „Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“.
Gewalt gegen eine Person
Definition: Gewalt ist körperlich wirkender Zwang durch eine mittelbare oder unmittelbare Einwirkung auf einen anderen, wobei der Zwang dazu bestimmt und geeignet ist, einen tatsächlich geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden (zur Definition der Gewalt im Rahmen des § 240 StGB → BT I § 15 Rn. 8 ff.).
Vertiefungshinweis: Inwieweit die „Gewalt gegen eine Person“ im Rahmen des Raubes mehr fordert als die „normale“ Gewalt im Sinne des § 240 StGB, ist nicht abschließend geklärt. Immerhin ist bereits die Gewaltdefinition im Rahmen des § 240 StGB personenbezogen („körperlich wirkender Zwang“).
Übereinstimmend wird verlangt, dass der körperlich wirkende Zwang im Rahmen des Raubes mittelbar oder unmittelbar auf den Körper des Opfers wirken muss.
Beispiel: Festhalten, Fesseln, Beibringen von Rausch- und Betäubungsmitteln. Ebenfalls erfasst ist selbstverständlich die Tötung des Opfers. Umstritten sind etwa das Versperren des Weges mittels eines Pkw oder das Sprühen eines Deo-Sprays in das Gesicht des Opfers.
Die Einwirkung auf den Körper des Opfers kann auch mittelbarer Natur sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine unmittelbare Einwirkung auf eine Sache – die als solche für § 249 StGB nicht ausreicht – mittelbar auf den Körper des Opfers wirkt.
Beispiel: Einschließen des Opfers. Nicht erfasst ist hingegen das bloße Aussperren des Opfers.
Das Vorliegen von Gewalt darf allerdings nicht vorschnell bejaht werden. Insbesondere wenn lediglich List und Schnelligkeit genutzt werden, um einem Widerstand des Opfers zuvorzukommen, liegt keine Gewalt vor. In diesen Fällen wird lediglich der Überraschungseffekt ausgenutzt.
Beispiel: Überraschendes Ergreifen einer Handtasche.
Die Gewalt kann sich auch gegen Dritte richten, wenn diese davon abgehalten werden sollen, die Wegnahme zu vereiteln. In Betracht kommen Personen, die zwar nicht selbst Gewahrsam innehaben und damit Opfer der anvisierten Wegnahme sind, aber – und sei es zufällig – anwesend sind. Diese Personen sind genau genommen gar keine „Dritten“, sondern als Nötigungsopfer ebenfalls Opfer des Raubtatbestands.
Beispiel: A überfällt B und C, weil sie C sein wertvolles Smartphone entwenden möchte. Sie schlägt B und C jeweils mit der Faust ins Gesicht, damit diese keinen Widerstand leisten, und entnimmt der Jackentasche des C das Telefon.
Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Wird lediglich Gewalt gegen einen Dritten ausgeübt, um die Person, die die zu raubende Sache in ihrem Gewahrsam hat, in Schach zu halten, liegt im Ergebnis nur eine Drohung vor.
Beispiel: A überfällt B und C, weil sie C sein wertvolles Smartphone entwenden möchte. Sie schlägt B mit der Faust ins Gesicht, damit C keinen Widerstand leistet, und entnimmt der Jackentasche des C das Telefon.
Hier setzt A nicht den Faustschlag selbst, sondern lediglich die psychischen Zwangswirkungen, die der Faustschlag gegen B bei C auslöst, zur Überwindung eines erwarteten oder geleisteten Widerstands ein. Es fehlt das subjektive Element des Gewaltbegriffes („um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden“). Daher liegt keine Gewalt, sondern eine Drohung vor.
Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben
Eine Drohung ist wie im Rahmen des § 240 StGB das – gegebenenfalls konkludente – In-Aussicht-Stellen eines Übels, auf das die drohende Person vorgibt, Einfluss zu haben. Zu den Einzelheiten und Problemen → BT I § 15 Rn. 22 ff.
Diese Drohung muss qualifiziert sein: Das Übel muss in einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben bestehen. Nicht erfasst ist nach übereinstimmender Auffassung die Drohung mit einer bloß unerheblichen Körperverletzung wie etwa einer Ohrfeige, da die Formulierung „Leib oder Leben“ auf einen Schweregrad hindeutet, der bei völlig unerheblichen Körperverletzungen noch nicht erreicht wird.
Auch Drohungen können sich unproblematisch neben der Person, die den Gewahrsam innehat, an weitere anwesende Personen richten.
Beispiel: A überfällt eine Bankfiliale. Mit vorgehaltener Waffe hält er die anwesenden Kund:innen in Schach und entreißt gleichzeitig einer Angestellten ein Bündel Geldscheine.
Auch hier gilt es, die Situation genau zu untersuchen:
Beispiel: Im Beispielsfall liegt jedenfalls Gewalt gegenüber der Angestellten und Drohung gegenüber den Kund:innen vor: A will die Kund:innen „in Schach“ halten. Er hält diese mithin für schutzbereit, sodass sich die (konkludente) Drohung, diese zu erschießen, unmittelbar an die Kund:innen richtet. Ob A darüber hinaus auch der Angestellten mit der Verletzung der Kund:innen droht, hängt davon ab, ob er diese durch die Drohung dazu bringen will, keinen Widerstand gegen das Entreißen der Geldscheine zu leisten.
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
Die Wegnahme wird im Grundsatz genauso verstanden wie im Rahmen des Diebstahls, weshalb insoweit dieselben Probleme entstehen können (dazu → § 1 Rn. 39 ff.). Sie ist der Bruch fremden Gewahrsams unter Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam meint dabei die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über einen Gegenstand; die Reichweite wird durch die Verkehrsanschauung bestimmt.
Vertiefungshinweis: Abweichend vom Diebstahl (§ 242 StGB) wird innerhalb eines fremden Machtbereichs schon dann neuer Gewahrsam begründet, wenn die Sache ergriffen wird. Auf die Verbringung in den persönlichen Tabubereich (zB Jackentasche) kommt es beim Raub nicht an, weil infolge des Einsatzes der Nötigungsmittel die mit dem Machtbereich verbundene fremde Herrschaftsmacht durchbrochen wird.
Ein Bruch des Gewahrsams liegt vor, wenn sich der Gewahrsamswechsel ohne oder gegen den Willen der Person, die ursprünglich Gewahrsam innehatte, vollzieht. Wenn das Opfer an dem Gewahrsamswechsel unter dem Eindruck der Nötigung mitwirkt (zB dem Täter Geld aus einem Tresor reicht), ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen trotzdem ein „Bruch“ und damit eine Wegnahme vorliegt. Nach einer in der Literatur stark vertretenen Ansicht, wonach Raub und räuberische Erpressung sich gegenseitig ausschließen, ist an dieser Stelle die Abgrenzung des Raubs zur räuberischen Erpressung vorzunehmen, s. dazu eingehend → § 10 Rn. 9 ff.
Klausurtaktik: Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung ist sehr klausurrelevant. Allerdings kommen die Ansichten oft zum gleichen Ergebnis und es ist ein häufiger Fehler, dass dieser Streit argumentativ entschieden wird, obwohl das für den Fall nicht erforderlich ist. Eine klassische Konstellation, in der der Streit entschieden werden muss, ist der Fall, dass für eine Strafbarkeit wg. § 249 StGB die Zueignungsabsicht fehlt und im Anschluss iRd §§ 253, 255 StGB diskutiert werden muss, ob trotz Wegnahme eine (räuberische) Erpressung vorliegen kann. S. ergänzend → § 10 Rn. 15.
Objektiver Zusammenhang zwischen qualifizierten Nötigungsmitteln (I.) und Wegnahme (II.)
Im Gesetzeswortlaut des § 249 Abs. 1 StGB heißt es, die Sache müsse „mit“ Gewalt bzw. „unter“ Anwendung von Drohungen weggenommen werden. Offenkundig ist also ein gewisser objektiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme erforderlich: Diese dürfen nicht lediglich zufällig zusammentreffen.
Klausurtaktik: Neben dem objektiven Zusammenhang ist auch ein subjektiver Zusammenhang zwischen den Nötigungsmitteln und der Wegnahme erforderlich: Der sog. Finalzusammenhang. Es empfiehlt sich, bei der Prüfung den erforderlichen objektiven Zusammenhang stets von dem subjektiven Zusammenhang zu trennen. Dogmatisch gehört der Finalzusammenhang als subjektives Merkmal in den subjektiven Tatbestand. Erfahrungsgemäß fällt es den meisten Studierenden auch leichter, ihn dort zu prüfen und sich im objektiven Tatbestand ganz auf den objektiven Zusammenhang zu konzentrieren. Selbst wenn man jedoch – was hier nicht empfohlen wird, aber zulässig ist – den Finalzusammenhang bereits im objektiven Tatbestand prüfen möchte, müssen die Frage nach dem objektiven und dem subjektiven Zusammenhang von Nötigungsmittel und Wegnahme gedanklich wie formulierungstechnisch deutlich voneinander unterschieden werden. Es stellt einen häufigen Fehler in Klausuren dar, dass in den Ausführungen nicht ausreichend deutlich wird, ob gerade objektiv oder subjektiv geprüft wird. Im Folgenden geht es allein um den objektiven Zusammenhang zwischen Nötigungsmitteln und Wegnahme. Der Finalzusammenhang wird im subjektiven Tatbestand thematisiert.
Kein Kausalzusammenhang erforderlich
Es ist umstritten, wie dieser objektive Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme beschaffen sein muss. Eine Minderheitenansicht verlangt hier einen kausalen Zusammenhang.
Beispiel: A stiehlt aus der Wohnung des B Wertgegenstände. Bevor sie diese in ihre Tasche packt, verschließt sie die Schlafzimmertür des B, hinter der dieser schläft. B bemerkt hiervon nichts und schläft selig weiter. Hier hat das Einschließen des B (Gewalt) keinen Einfluss auf die Wegnahme.
Die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hält einen solchen kausalen Zusammenhang jedoch für entbehrlich. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gefährlichkeit der Situation nicht von einem kausalen Zusammenhang abhängt:
Raubspezifische Einheit von Nötigungsmittel und Wegnahme
Die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur setzt daher keinen kausalen Zusammenhang voraus. Allerdings dürfen der Einsatz des Nötigungsmittels und die Wegnahme auch nicht völlig unverbunden nebeneinanderstehen. Häufig liest man insoweit, dass in objektiver Hinsicht ein „örtlicher und zeitlicher Zusammenhang“ zwischen Nötigung und Wegnahme erforderlich sei.
Beispiel (nach BGH NJW 2016, 2900): F besucht seine Mutter C morgens in deren Wohnung. Nach dem gemeinsamen Kaffeetrinken fasst er gegen 8.40 Uhr den Entschluss, ihr Bargeld, Schmuck und das Auto zu entwenden. Einen Widerstand seiner Mutter hiergegen will er von vornherein verhindern. Er bittet sie unter einem Vorwand, die Augen zu schließen. Als sie der Aufforderung nachkommt, versetzt er ihr mit einem Stuhl einen wuchtigen Schlag gegen den Kopf in der Erwartung, dass sie hierdurch bewusstlos werde. Seine Mutter erleidet massive Verletzungen, verliert allerdings nicht das Bewusstsein, sondern ist lediglich benommen. F bemerkt, dass seine Mutter zwar eine blutende Wunde an ihrem Kopf wahrgenommen, aber nicht realisiert hat, dass er die Verletzung durch seinen Schlag verursacht hat. Er erkennt die Möglichkeit, seinen Tatplan doch noch zu verwirklichen, und verständigt den Rettungsdienst. Er will nunmehr den Krankenhausaufenthalt seiner Mutter für seine Tat nutzen. Die Rettungskräfte transportieren seine von ihm begleitete Mutter gegen 9.40 Uhr ins Krankenhaus. Nachdem seine Mutter gegen 10 Uhr zur stationären Behandlung aufgenommen wird, begibt sich F in Fortführung seines Vorhabens alsbald zurück in die Wohnung. Dort entwendet er Bargeld sowie Goldschmuck. Außerdem nimmt er den Schlüssel zum Auto seiner Mutter an sich, mit dem er wegfährt.
Der BGH bejahte in dem geschilderten Beispielfall einen ausreichenden Zusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme. Er führte hierzu aus, ein pauschales Abstellen auf ein bestimmtes zeitliches Höchstmaß oder örtliche Gegebenheiten verbiete sich. Maßgeblich sei vielmehr, ob es zu einer nötigungsbedingten Schwächung der Person, die den Gewahrsam innehat, in ihrer Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen sei. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein ausreichender Zusammenhang zwischen dem Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel und der Wegnahme vorliegt, ist also nicht ein pauschales Abstellen auf zeitliche oder örtliche Umstände, sondern vielmehr eine wertende Betrachtung des Einzelfalls.
In dem in → Rn. 30 genannten Beispielsfall sind insoweit die folgenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen: C war aufgrund ihrer schweren Verletzungen nach der deswegen erforderlichen Verbringung ins Krankenhaus ähnlich wie bei einer Bewusstlosigkeit schon nicht mehr in der Lage, einen gegen den Gewahrsamsbruch des F gerichteten Abwehrwillen zu bilden. Diesen von ihm im Wege der Modifizierung des Tatplans nachvollzogenen Umstand nutzte F auch alsbald nach Aufnahme der C ins Krankenhaus aus. Mit der Einlieferung ins Krankenhaus erlangte er nach seiner Vorstellung erst den ungehinderten Zugriff auf die Wertsachen in der Wohnung seiner Mutter. Dabei betrug die zeitliche Differenz zwischen der Gewaltanwendung und den Wegnahmehandlungen jedenfalls nicht mehr als zwei Stunden. Deshalb bilden beide Tatbestandselemente – Nötigung und Wegnahme – hier noch die das typische Tatbild eines Raubs begründende Einheit.
Erforderlich ist also nicht eine bestimmte örtliche oder zeitliche Nähe zwischen Nötigung und Wegnahme, sondern vielmehr die Frage, ob diese bei wertender Betrachtung eine raubspezifische Einheit bilden. Die Antwort auf diese Frage hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die wie im Beispielsfall konkret auszuwerten und zu diskutieren sind. Ein ausreichender Zusammenhang kann selbst dann gegeben sein, wenn der Täter oder die Täterin nach der Nötigungshandlung erst noch an einen anderen Ort fahren muss, an dem dann die Wegnahme erfolgt.
Klausurtaktik: Im Beispielsfall kann eine andere Ansicht bei guter Begründung durchaus vertreten werden, sollte sich aber nicht pauschal auf den zeitlichen Abstand oder den bzw. die Ortswechsel stützen. Wer § 249 StGB verneint, müsste stattdessen §§ 242 f. StGB und § 240 StGB prüfen.
Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht beinhaltet § 249 StGB eine Besonderheit: Es handelt sich um ein Delikt mit überschießender Innentendenz. Das bedeutet, dass subjektiv mehr als nur Vorsatz hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands (→ I.) vorausgesetzt wird. Erforderlich ist darüber hinaus ein subjektiver Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme (→ II.) sowie die vom Diebstahl (§ 242 StGB) bekannte Zueignungsabsicht (→ III.).
Vorsatz
Zunächst ist wie üblich Vorsatz hinsichtlich aller Merkmale des objektiven Tatbestands erforderlich. Es muss also mindestens Eventualvorsatz (dolus eventualis) hinsichtlich des Einsatzes qualifizierter Nötigungsmittel, der Wegnahme und des objektiven Zusammenhangs zwischen beiden (s. o. → Rn. 26 ff.) vorliegen.
Subjektiver Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme
Der Finalzusammenhang
Zwar verlangt die herrschende Meinung, wie zuvor erwähnt, nicht, dass der Einsatz der Nötigungsmittel in objektiver Hinsicht kausal für die Wegnahme wird (zur Minderheitenansicht s. o. → Rn. 28). Erforderlich ist jedoch in subjektiver Hinsicht eine Vorstellung von dem Geschehen, die auf einen solchen kausalen Zusammenhang gerichtet ist: Die handelnde Person muss in der Absicht nötigen, dadurch die Wegnahme zu ermöglichen. Dies ist der sogenannte subjektive Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme.
Aufbauhinweis: Oftmals wird der Finalzusammenhang – obwohl es sich um ein subjektives Kriterium handelt – im objektiven Tatbestand nach der Prüfung des qualifizierten Nötigungsmittels und Wegnahme angesprochen. Zur Begründung des hiesigen Prüfungsaufbaus s. bereits → Rn. 27.
Problemfälle
Nachträglicher Wegnahmevorsatz
Der subjektive Finalzusammenhang fehlt, wenn der Wegnahmevorsatz erst gefasst wird, nachdem Nötigungsmittel eingesetzt wurden. Denn hier werden lediglich die Wirkungen einer Zwangslage nachträglich ausgenutzt. Es fehlt an dem Erfordernis, dass die Nötigungslage zu Raubzwecken geschaffen wurde.
Beispiel (nach BGH NStZ 2006, 508): A verpasst B „zur Abreibung“ einen Faustschlag. B geht zu Boden und bleibt völlig verängstigt liegen. Daraufhin beschließt A spontan, die Situation dazu zu nutzen, um Bs Smartphone an sich zu nehmen. Hier liegt kein Raub, sondern „nur“ eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und ein Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB, ggf. auch § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB) vor. Ein Raub ist mangels subjektiven Finalzusammenhangs zu verneinen.
Daran ändert sich auch nichts, wenn A die Angst von B erkennt und zielgerichtet ausnutzt.
Beispiel: A verpasst B „zur Abreibung“ einen Faustschlag. B geht zu Boden und bleibt völlig verängstigt liegen. Daraufhin beschließt A spontan, die Situation dazu zu nutzen, um Bs Smartphone an sich zu nehmen. Hierbei erkennt sie, dass B dies dulden würde, da er weitere Schläge befürchtet. Diese Angst zielgerichtet ausnutzend nimmt A das Smartphone an sich. Auch hier liegt kein Raub vor.
Ebenfalls irrelevant ist, ob die Wirkungen der Gewalt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Wegnahmevorsatz gefasst wird, noch anhalten. Ist das Opfer etwa infolge des Schlags bewusstlos geworden und wird während der Bewusstlosigkeit der Wegnahmevorsatz gefasst und die Bewusstlosigkeit zur Wegnahme ausgenutzt, stellt dies ebenfalls keinen Raub dar.
In solchen Konstellationen eines Motivwechsels – wenn also ein sonstiges Motiv (etwa eine „Abreibung zu verpassen“) durch einen Wegnahmevorsatz abgelöst wird – ist jedoch stets genau zu prüfen, ob ein Raub in Betracht kommt.
So kann es sein, dass die zunächst ohne Wegnahmevorsatz vorgenommene Gewaltanwendung noch anhält, wenn der Wegnahmevorsatz gefasst wird. Hier wird die Gewaltanwendung aktiv fortgesetzt und gewissermaßen „umfunktioniert“. In diesen Fällen liegt ein Raub vor, weil die Gewalt im Zeitpunkt ihres Fortsetzens subjektiv final auf die Wegnahme ausgerichtet ist.
Beispiel (nach BGH NJW 1965, 115): A würgt B, um ihm eine „Abreibung“ zu verpassen. Während A die Hand fest um den Hals von B geschlossen hat und B langsam blau anläuft, beschließt sie spontan, die Situation dazu zu nutzen, um das Smartphone des B an sich zu nehmen.
Umstritten ist, was gilt, wenn die Gewalt nicht – wie im Beispiel des Würgens – aktiv aufrechterhalten wird, sondern unabhängig davon andauert. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Opfer zunächst ohne Wegnahmevorsatz gefesselt oder eingesperrt wird. Die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums argumentieren, dass hier Gewalt durch Unterlassen final eingesetzt werde. Aus der vorangegangenen Handlung folge eine Garantenpflicht aus vorangegangenem Tun, die Gewalt zu beseitigen (Ingerenz). Das Aufrechterhalten dieses Zustands stehe der aktiven Gewaltanwendung gleich.
Die Gegenansicht führt jedoch aus, dass hier ein Wertungswiderspruch zu den übrigen Fällen des Raubes entstehe: Das bloße Ausnutzen einer bereits bestehenden Nötigungssituation genüge in anderen Konstellationen gerade nicht. Außerdem würde diese Ansicht ein besonders brutales Vorgehen privilegieren: Werde das Opfer zunächst ohne Wegnahmevorsatz bewusstlos geschlagen, könne die Gewalt gar nicht aufgehoben werden, sodass eine Unterlassungskonstruktion und damit ein Raub ausscheide. Die Ausnutzung der Zwangslage könne daher nicht im Sinne der Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 StGB der aktiven Gewalt gleichgesetzt werden.
Schließlich kommt ein Raub auch dann in Betracht, wenn die zunächst ohne Wegnahmevorsatz geschaffene Zwangslage genutzt wird, um dem Opfer – ausdrücklich oder konkludent – mit der Wiederholung der Gewalt zu drohen.
Beispiel: A verpasst B „zur Abreibung“ einen Faustschlag. B geht zu Boden und bleibt völlig verängstigt liegen. Daraufhin beschließt A spontan, die Situation dazu zu nutzen, um das Smartphone des B an sich zu nehmen. Sie macht eine ruckartige Bewegung mit der Fast in Richtung des Gesichts des B, die dieser – wie von A beabsichtigt – als Drohung versteht, weitere Faustschläge auszuführen. Während B verängstigt stillhält, nimmt A dessen Smartphone an sich.
In diesen Fällen liegt ein ausreichender subjektiver Finalzusammenhang vor – jedoch nicht in Bezug auf die erste Handlung (hier die Gewalt in Gestalt des Faustschlags), sondern hinsichtlich der zweiten Handlung, der Drohung.
Wegnahme einer anderen Sache
Der subjektive Finalzusammenhang fehlt in Fällen, in denen das Nötigungsmittel zwar mit Wegnahmevorsatz eingesetzt wird, dieser aber auf eine konkrete Sache gerichtet ist und später eine andere Sache weggenommen wird. Auch dann fehlt der erforderliche Finalzusammenhang, weil lediglich die Wirkungen der Nötigung nachträglich ausgenutzt werden.
Beispiel (nach BGH NStZ-RR 1997, 298): A verpasst B einen Faustschlag, um ihr deren Smartphone wegnehmen zu können. Sie muss jedoch feststellen, dass B dieses gar nicht dabeihat. Stattdessen findet sie bei B Geld und nimmt dieses mit.
Absicht rechtswidriger Zueignung
Der Raub setzt zudem ebenso wie der Diebstahl die Absicht rechtswidriger Zueignung voraus. Diese setzt sich zusammen aus 1. Aneignungsabsicht, 2. Enteignungsvorsatz und 3. der Rechtswidrigkeit der Zueignung.
Zu den entsprechenden Problemen → § 1 Rn. 81 ff.
Rechtswidrigkeit
Auch hier gelten die Ausführungen zum Diebstahl entsprechend, → § 1 Rn. 191 ff.
Täterschaft und Teilnahme
Da es sich bei dem Raub um einen zweiaktigen Tatbestand handelt, können sich Besonderheiten hinsichtlich der Prüfung einer Mittäterschaft ergeben. Üblicherweise wird eine Mittäterschaft im Falle der gemeinsamen Verwirklichung des Tatbestands für alle Beteiligten gemeinsam geprüft. Demgegenüber bietet sich eine getrennte Prüfung an, wenn eine Person den Tatbestand allein verwirklicht und dies einer anderen Person zugerechnet werden soll.
Weil der Raub als zweiaktiges Delikt zwei Tathandlungen voraussetzt, kann es hier jedoch zu der Konstellation kommen, dass jeweils eine Person nur eine der Tathandlungen vornimmt. Dann ist keine der beteiligten Personen strafbar, wenn ihr nicht der Tatbeitrag der anderen Person zugerechnet werden kann. Eine wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB ist dann zwingende Bedingung der Strafbarkeit beider beteiligter Personen.
Beispiel: A und B beschließen, gemeinsam die C „auszunehmen“ und die Beute anschließend unter sich aufzuteilen. Nachdem A die C an einen Stuhl gefesselt hat, nimmt B dieser ihr Smartphone ab.
Hier muss die Strafbarkeit von A und B gemeinsam geprüft werden: Bei dem Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel wird allein auf die Handlungen der A, bei der Wegnahme allein auf die Handlungen des B abgestellt. Im Anschluss wird dann die wechselseitige Zurechnung gemäß § 25 Abs. 2 StGB geprüft: Fraglich ist, ob A die Wegnahme durch B und B der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels durch A zugerechnet werden kann.
Klausurtaktik: Hierbei handelt es sich um eine sehr häufige Klausurkonstellation. Im Beispielsfall würde man eine wechselseitige Zurechnung gemäß § 25 Abs. 2 StGB wohl bejahen, da das Gelingen der Tat gleichermaßen von den Beiträgen sowohl der A als auch des B abhing (Tatherrschaft) und aufgrund der anvisierten Aufteilung der Beute beide ein eigenes Interesse an der Tat hatten.
Ebenso wie im Rahmen des Diebstahls ist umstritten, inwieweit eine sukzessive Mittäterschaft oder Beihilfe bei einer Beteiligung zwischen Vollendung und Beendigung des Delikts möglich ist, → § 1 Rn. 201.
Versuch
Die Strafbarkeit des Versuchs setzt gemäß § 22 StGB voraus, dass zur Verwirklichung des Raubtatbestands unmittelbar angesetzt wird. Da der Raubtatbestand zwei Tathandlungen beinhaltet – den Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel und die Wegnahme – muss zu beiden Tathandlungen unmittelbar angesetzt werden.
Ein Versuch liegt vor, wenn unmittelbar zur Anwendung von Gewalt oder zur Drohung angesetzt wird und sich nach der Vorstellung der handelnden Person die Wegnahme unmittelbar an den Einsatz dieser Nötigungsmittel anschließen soll.
Beispiel: A klingelt an der Haustür der B und stellt sich dabei vor, dass diese öffnen, er sie sofort angreifen und ihr Wertgegenstände entwenden wird (BGH NJW 1976, 58).
Demgegenüber liegt kein unmittelbares Ansetzen vor, wenn die Wegnahme sich nicht unmittelbar an den Einsatz der Nötigungsmittel anschließen soll. In diesen Fällen ist ein Raubversuch weder mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Nötigung noch mit deren Verwirklichung gegeben, sondern erst dann, wenn unmittelbar zur Wegnahme angesetzt wird.
Konkurrenzen
Der Raub verdrängt im Fall von Handlungseinheit
die Nötigung (§ 240 StGB),
Fischer StGB, 69. Aufl. (2022), § 249 Rn. 23. die Bedrohung (§ 241 StGB),
Rengier, BT I, 23. Aufl. (2021), § 7 Rn. 52. die Diebstahlsdelikte §§ 242, 243, 244 StGB sowie § 244a StGB.
Fischer StGB, 69. Aufl. (2022), § 249 Rn. 23. Umstritten ist dies jedoch hinsichtlich des Wohnungseinbruchsdiebstahls in § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB. Nach Auffassung des BGH soll § 249 Abs. 1 StGB auch insoweit vorrangig sein.
BGH NStZ-RR 2005, 202 (203). Da die Raubqualifikationen (§ 250 StGB) jedoch keinen Bezug auf Wohnungseinbrüche nehmen, erscheint es überzeugender, im Anschluss an § 249 Abs. 1 StGB knapp auch einen Wohnungseinbruchsdiebstahl und aus Klarstellungsgründen Tateinheit zu bejahen.So auch mwN Rengier, BT I, 23. Aufl. (2021), § 7 Rn. 5 f.; Bosch in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 249 Rn. 13.
eine Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), die „nur“ Nötigungsmittel im Rahmen des Raubes ist,
Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 249 Rn. 23.
Klausurhinweis: Diese Delikte müssen im Anschluss an einen bejahten Raub nicht mehr geprüft werden; es genügt ein Hinweis in den Konkurrenzen. Aus diesem Grund sollte die Prüfung immer mit dem Raub begonnen werden.
im Falle eines vollendeten Raubes die nur versuchte räuberische Erpressung, die auf denselben Gegenstand gerichtet ist (mitbestrafte Vortat).
Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 249 Rn. 23.
Tateinheit ist möglich
mit (versuchten oder vollendeten) Raubtaten gegen andere Personen, die im Rahmen eines einheitlichen Geschehens erfolgen,
BGH NStZ 2012, 389; Rengier, BT I, 23. Aufl. (2021), § 7 Rn. 52 mit einer Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), wenn diese über das zur Nötigung im Rahmen des Raubes erforderliche Maß hinausgeht,
Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 249 Rn. 23; Rengier, BT I, 23. Aufl. (2021), § 7 Rn. 52. wenn ein Diebstahl (§ 242 StGB) vollendet, der Raub jedoch nur versucht wird,
Zu den Konkurrenzen iÜ statt vieler Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 249 Rn. 24. mit Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB),
mit einer Körperverletzung (§ 223 StGB),
mit fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB),
mit einem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB).
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel
Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
Objektiver Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz
Subjektiver Finalzusammenhang
Absicht rechtswidriger Zueignung
Rechtswidrigkeit
Schuld
Hinweis: Der subjektive Finalzusammenhang kann auch schon im objektiven Tatbestand unter 3. geprüft werden.
Übungsfälle und weiterführende Studienliteratur
Übungsfälle
Peters, Anfängerklausur – Strafrecht: Der gut betuchte Professor, JuS 2020, 328
Weiterführende Studienliteratur
Peters/Bildner, Die Mittäterschaft gem. § 25 II StGB und ihre Herausforderungen in der Fallbearbeitung, JuS 2020, 731
Schladitz, Die verschiedenen Problemdimensionen der „Abgrenzung von Raub und (räuberischer) Erpressung“, JA 2022, 89
Brand, Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung am Beispiel der Forderungserpressung, JuS 2009, 899