Dimitrios Linardatos Grundzüge des Kapitalgesellschaftsrecht Licensed under CC-BY-4.0

§ 1 - Einführung

Als Gesellschaft werden vertragliche Zusammenschlüsse mehrererDies ist die Regel, allerdings sind auch Einpersonen-Gesellschaften möglich, vgl. § 1 GmbHG, § 2 AktG. Personen zu einer gemeinschaftlichen Zweckverfolgung bezeichnet.Bitter/Heim, § 1 Rn. 4. Das Gesellschaftsrecht ist dementsprechend das Recht der privatrechtlichen Zweckverbände und kooperativen Vertragsverhältnisse.Bitter/Heim, § 1 Rn. 1; näher Karsten Schmidt, § 1 I 1. Fehlt es an einem Vertrag, so scheidet eine Gesellschaft aus (so etwa bei der Erbengemeinschaft).

Die Anforderungen an den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages sind zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften unterschiedlich. Von Rechtsprechung und Literatur werden bei Personengesellschaften die Anforderungen an das Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages nicht allzu hoch gehangen. So kann der Vertrag einer Personengesellschaft durchaus konkludent zustande kommen – vor allem bei einer Innengesellschaft. Beispiele: BGH NZG 2016, 547 (Ehegatten-Innengesellschaft); OLG Brandenburg BeckRS 2016, 07579 (Ehegatten-Innengesellschaft); OLG München BeckRS 2012, 03817 (Verpächtergesellschaft); LG Detmold NJW 2015, 3176 (Abiturjahrgang). Das Verhalten der Parteien muss freilich gemäß §§ 145 ff. BGB Zur Anwendbarkeit der §§ 145 ff. BGB s. nur: BeckOK BGB/Schöne, Stand 1.1.2024, § 705 Rn. 33; MüKoBGB/C. Schäfer, § 705 Rn. 26. – insbesondere bei einer Außengesellschaft – nach objektivem Empfängerhorizont klar den Schluss auf einen Rechtsbindungswillen BeckOGK/Geibel, 1.1.2019, § 705 Rn. 18. dahingehend erlauben, sich den Regeln eines Organisations-, also nicht bloß eines SchuldvertragesSoergel/Hadding/Kießling, § 705 Rn. 43; Wiedemann ZGR 1996, 286, 288 ff. zu unterwerfen.Vgl. schon Linardatos, Autonome und vernetzte Aktanten, S. 425. Denn das dadurch anwendbare Gesellschaftsrecht regelt, wie die Gesellschafter untereinander organisiert sind (Kompetenzen, Befugnisse, Pflichten, [Vermögens-]Rechte etc.). Die dabei bestehenden organisationsrechtlichen Förderungs- und Interessenwahrungspflichten haben in ihrer Schutzrichtung nicht nur die anderen Gesellschaftsvertragsparteien im Blick, sondern begünstigen auch den Verband als solchenWeller, Die Vertragstreue, S. 200 mwN. – sie gehen mithin deutlich über die (Summe der) partizipierenden Individualinteressen hinaus.

Der ab dem 1.1.2024 geltende § 705 Abs. 2 BGB macht nun deutlicher als zuvor, dass eine rechtsfähige Außengesellschaft nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter auf die Teilnahme am Rechtsverkehr gerichtet sein muss, während die nicht rechtsfähige Innengesellschaft auch der Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Gesellschaftern untereinander dienen kann. Inwieweit das Entstehen einer Personengesellschaften durch schlüssiges Verhalten von der Entscheidungspraxis akzeptiert wird, muss sich zeigen. § 705 Abs. 3 BGB knüpft die Vermutung einer rechtsfähigen Außen-GbR immerhin erst an die Verwendung eines Unternehmensnamens im Rechtsverkehr an. In diesen Fällen dürfte ein Rechtsbindungswille der Parteien iSd § 705 Abs. 2 BGB in der Tat außer Frage stehen bzw. vermutet werden dürfen.

Anders ist die Sachlage bei den Kapitalgesellschaften. Diese können nie bloß durch schlüssiges Verhalten entstehen, schon deswegen nicht, weil für die Gesellschaftserrichtung der Gesellschaftsvertrag (§ 2 Abs. 1 GmbHG) bzw. die Satzung (§ 23 Abs. 1 S. 1 AktG) notariell beurkundet werden muss. Darüber hinaus existiert in der Regel ein feststehendes Gründungsverfahren, bei dem gewisse Formalitäten einzuhalten sind und das in eine Eintragung ins Handelsregister mündet (§ 11 Abs. 1 GmbHG, §§ 38, 41 AktG).

Grundlagen und Begriffe

Der Begriff der Kapitalgesellschaften wird im Gesetz nur ausnahmsweise verwendet, etwa in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG. Neben den dort genannten „deutschen“ Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, KGaA) zählt die durch Art. 10 SE-VO der nationalen AG gleichgestellt Europäische AG (SE) zu den verschmelzungsfähigen Kapitalgesellschaften. Auch eine „Mischform“ wie etwa die GmbH & Co. KGaA ist eine Kapitalgesellschaft. Die mit dem MoMiG in § 5a GmbHG eingeführte Unternehmergesellschaft – UG (haftungsbeschränkt) ist lediglich eine Variante der GmbH und somit ebenfalls Kapitalgesellschaft.

Kapitalgesellschaften sind Körperschaften und juristische Personen. Bei der Körperschaft handelt sich um eine Verbandsform, bei der nicht die individuellen Gesellschafter im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stehen, sondern die Mitglieder gegenüber der Verbandsperson „verabsolutiert“ sind.Koch, GesR, Vor § 26. Kennzeichnend ist die sog. körperschaftliche Verfassung, die bedeutet, dass eine auf eine Satzung beruhende Ordnung mit besonderen Organen besteht. Weitere charakteristische Merkmale einer Körperschaft sind das Prinzip der Fremdorganschaft, das Mehrheitsprinzip sowie der Ausschluss der persönlichen Haftung.

Das Kriterium Kapitalgesellschaft erklärt sich daraus, dass diese Gesellschaften mit einem Mindestmaß an Kapital ausgestattet werden müssen, das bei der GmbH als „Stammkapital“ und bei AG, KGaA und SE als „Grundkapital“ bekannt ist und besonderen Aufbringungs- und Erhaltungsregeln unterliegt. Hintergrund dessen ist, dass es die juristische Person selbst ist, die Rechte und Pflichten trägt, mithin im Rechtsverkehr für Verbindlichkeiten haftet. Die Anteilseigner (Gesellschafter) hingegen haften ebenso wenig wie die Geschäftsleiter. Folglich dient das Kapital dem Gläubigerschutz.BGHZ 51, 157, 162 = NJW 1969, 840, 841. Es fungiert darüber hinaus für die Gesellschafter als „Seriositätsschwelle“,Vgl. Begr. RegE BT-Drs. 16/6140, S. 31; BGH NZG 2012, 989, 991; Guntermann, Zusammenspiel von Mindestkapital und Haftungsbeschränkung, S. 249–266. die mittels der Gesellschaft einer wirtschaftlichen Unternehmung nachgehen können, für die sie ansonsten keine persönliche Haftung übernehmen müssen (überzeichnend kann man hinsichtlich einer unausgeglichenen Haftungsbeschränkung sagen: „Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste“).Drygala/Staake/Szalai, § 1 Rn. 12.

Nach Gesagtem ist die Kapitalgesellschaft stets mit der Haftungsbeschränkung zugunsten der Gesellschafter zu denken. Mit dieser Haftungsbeschränkung verbunden ist die Ausschaltung der Risikoaversion von Investoren, wodurch die Bereitstellung von Kapital und die Zusammenführung von Geld- und Humankapital gefördert wird. Vgl. bereits Linardatos, Autonome und vernetzte Aktanten, S. 21, u.a. mit Bezug auf Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, S. 159 f.; Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89 (1985), 89, 93 ff.; Guntermann, Zusammenspiel von Mindestkapital und Haftungsbeschränkung, S. 38 ff., 61. Das Ziel ist also, Unternehmertum zu fördern, indem die Möglichkeit zur persönlichen Inanspruchnahme weitestgehend ausgeschaltet wird. Damit der redliche Rechtsverkehr vor missbräuchlichem „Pseudounternehmertum“ und vor etwaigen Forderungsausfällen in einem vernünftigen Maße geschützt ist, muss die Haftungsbeschränkung durch die Aufbringung des Mindestkapitals „erkauft“ werden. Freilich kennt das Kapitalgesellschaftsrecht keinen Schutz vor unsachgemäßes und unkluges Wirtschaften, und ein Stammkapital von 25.000 EUR gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG oder 50.000 EUR gemäß § 7 AktG ist heutzutage im Unternehmensverkehr eine ziemlich bescheidene Kaufkraft und letztlich auch als Haftungsmasse recht schnell aufgebraucht.Um ein entsprechendes Seriositätssignal zu entsenden, starten deswegen Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter ein großes Vertrauen in den Erfolg des Unternehmens haben, mit einem weitaus höheren Risikobeitrag. Deswegen kennt das Recht noch weitere Schutzinstrumentarien: etwa die Pflicht, einen Eröffnungsantrag gemäß § 15a InsO zu stellen; das Verbot, Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung vorzunehmen (§ 15b InsO); oder besondere Eigenmittelanforderungen bei liquiditätssensiblen Geschäftsaktivitäten wie etwa im Finanzsektor (vgl. Art. 26 ff. CRR) etc.

Bei dem Mindestkapital einer Kapitalgesellschaft handelt es sich zunächst einmal um das Eigenkapital in Form des „gezeichneten Kapitals“ (vgl. §§ 266 Abs. 3, 272 HGB), also um jenes Kapital, das in Form einer Einlagenleistung entsteht. Wie im Übrigen die Kapitalausstattung beschaffen ist, ist den Gesellschaftern freigestellt. Über das gezeichnete Kapital hinaus werden idR Kapital- und Gewinnrücklagen gebildet, die ebenfalls als Passivseite der Handelsbilanz das Eigenkapital bilden. Auch etwaige Aufschläge auf die nominelle Einlage (sog. Agio) werden in die Kapitalrücklage gestellt. Das Eigenkapital ist eine variable Größe, die sich durch etwaige Gewinne und Jahresfehlbeträge (Verluste) stetig verändert. Vom Eigenkapital zu trennen ist das Fremdkapital, bei dem es sich um ein durch Schuldaufnahme finanziertes Kapital der Gesellschaft handelt, das lediglich auf Zeit zur Verfügung steht. Klassischer Fall ist das Bankdarlehen, in der Praxis bedeutsam sind aber auch Finanzinstrumente wie Inhaberschuldverschreibung. Das Fremdkapital ist Teil der Passivseite einer Bilanz, weil es sich hierbei um Gläubigeransprüche handelt.

Stammkapital (GmbH) und Grundkapital (AG) haben auch eine rechtstechnische Funktion:Drygala/Staake/Szalai, § 1 Rn. 24. Es wird in Geschäftsanteile (GmbH) und Aktien (AG) zerlegt und nach dem so bestimmten Verhältnis der einem Gesellschafter zustehenden Anteile am Stamm- bzw. Grundkapital wird das Stimmgewicht bei Beschlussfassungen,Vgl. § 47 Abs. 2 GmbHG oder § 134 Abs. 1 S. 1 AktG. der Anteil am GewinnSiehe § 29 Abs. 3 S. 1 GmbHG oder § 60 Abs. 1 AktG. sowie bei der Beendigung der Gesellschaft der Anteil am LiquiditätserlösSo gemäß § 72 GmbHG oder § 271 Abs. 2 AktG. festgestellt.

Das Recht, für die eigene Unternehmung eine Gesellschaft zu gründen, fußt auf der aus Art. 9 Abs. 1 GG folgenden Gründungsfreiheit. Diese Freiheit ist nicht schrankenlos gewährt. Im Gesellschaftsrecht gilt der numerus clausus der Gesellschaftsformen,C. Schäfer, § 3 Rn. 1. auch Typenzwang genannt. Danach sind die zur Verfügung stehenden Gesellschaftstypen kraft Gesetzes abschließend bestimmt. Folglich können die Gründungsgesellschafter keine neuen Gesellschaftsformen privatrechtlich „erfinden“; sie müssen sich also für ihre Zwecke der gesetzlich vorgesehenen Typen bedienen. Zwischen diesen verfügbaren Gesellschaftsformen können sie allerdings – grundsätzlichVgl. zu den Einschränkungen bei den Personengesellschaften C. Schäfer, § 3 Rn. 2; Bitter/Heim, § 1 Rn. 7.  – frei wählen. Möglich sind auch Mischformen (s. oben schon die GmbH & Co. KGaA, vgl. aber auch die GmbH & Co. KG).

Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften

Zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften bestehen erhebliche Unterschiede. Traditionell bestand ein Unterschied darin, dass Personengesellschaften – mit der GbR als Grundform – nicht unmittelbar selbst als Trägerinnen von Rechten und Pflichten angesehen wurden. Während die Körperschaft selbst Inhaberin des Gesellschaftsvermögens ist und selbst berechtigt und verpflichtet werde, bestehe bei Personengesellschaften ein Sondervermögen der Gesellschafter, das ihnen „zur gesamten Hand“ (Gesamthandsvermögen) zustehen, wodurch die Personengesellschaft schon mangels eigener Vermögensmasse nicht vollkommen verselbständigt sei. Nur eine sog. Teilrechtsfähigkeit war anerkannt, so etwa mit Blick auf § 124 HGB (seit 1.1.2024: § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB, § 105 Abs. 3 HGB) für Handelsgesellschaften. Ein Paradigmenwechsel im Personengesellschaftsrecht setzte erst durch das BGH-Urteil „ARGE Weißes Ross“ vom 29.1.2001 ein.BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. Dort erkannte der II. Zivilsenat an, dass die (Außen-)GbR eine eigene Rechtsfähigkeit hat, sie soweit unmittelbar selbst durch die Teilnahme am Rechtsverkehr Rechte und Pflichten begründet. Ab dem 1.1.2024 wird die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR explizit im Gesetz festgeschrieben sein. Seitdem sind die wesentlichen Unterschiede zwischen Körperschaften und Personengesellschaften die Folgenden:

– Bei den Körperschaften ist die Haftung gegenüber Dritten grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt (vgl. § 13 Abs. 2 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 AktG). Es kann also lediglich die Gesellschaft berechtigt und verpflichtet werden. Bei den Personengesellschaften haften hingegen neben der Gesellschaft auch die Gesellschafter persönlich mit ihrem Privatvermögen und unbeschränktMit Ausnahme des Kommanditisten in der KG, vgl. § 171 HGB. für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Diese persönliche Haftung folgt direkt oder analog aus § 128 HGB (seit 1.1.2024: § 126 HGB).

– Weiterhin gilt bei Personengesellschaften der Grundsatz der Selbstorganschaft: Die Gesellschafter sind automatisch kraft ihrer Gesellschafterstellung die Organwalter der Gesellschaft; ein besonderer Bestellungsakt ist nicht erforderlich. Gleichzeitig bedeutet dies, dass allein Gesellschafter die Geschäftsführer sein können.C. Schäfer, § 7 Rn. 1. Überdies können sie ihre Organstellung nicht einseitig aufgeben, sofern kein wichtiger Grund vorliegt (vgl. seit 1.1.2024: § 116 Abs. 6 HGB). Hingegen gilt bei Körperschaften der Grundsatz der Fremdorganschaft, der schon aus der Trennung der juristischen Person von ihren Mitgliedern folgt. Geschäftsführung und Vertretung werden dementsprechend durch besondere Organe (insbesondere Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführer) wahrgenommen; die Gesellschafter sind also gerade nicht automatisch mit Geschäftsführungsaufgaben betraut. Freilich können Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden (vgl. zB § 6 Abs. 3 S. 1 GmbHG).

– Von der Grundidee her weisen Körperschaften und Personengesellschaften eine unterschiedliche Struktur auf. Während die Körperschaft in ihrem Grundtypus auf eine Vielzahl von Gesellschaftern ausgerichtet ist, ist die Personengesellschaft personalistisch strukturiert, indem dort von wenigen Gesellschaftern ausgegangen wird, die sich persönlich kennen. Diese Grundtypen sind heutzutage aber aufgebrochen: So kennen wir bei Körperschaften die Einpersonen-Gesellschaft (s.o.) und seit geraumer Zeit sind PublikumspersonengesellschaftenBGHZ 64, 238 = NJW 1975, 1318; BGHZ 102, 172 = DNotZ 1988, 509; OLG München BeckRS 2011, 13733. etabliert.

– Grundsätzlich genügt bei Körperschaften ein Mehrheitsbeschluss (vgl. § 32 Abs. 1 S. 3 BGB zum Verein), während bei Personengesellschaften nach dispositiver Regel die Beschlüsse einstimmig zu fassend sind (s. § 709 BGB, ab 1.1.2024: § 714 BGB).