Notwendiges Vorwissen: Für die Beschäftigung mit § 323a StGB sollten die Voraussetzungen eines Schuldausschlusses nach § 20 StGB bzw. der Schuldminderung nach § 21 StGB ebenso bekannt sein wie der Streit um die Rechtsfigur der actio libera in causa.
§ 323a StGB stellt das vorsätzliche oder fahrlässige Sich-Berauschen unter Strafe, wenn der Täter im Rausch eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er bei der Tatbegehung schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist. Dass eine solche unbestrafbare Rauschtat vorliegt, stellt nach wohl hM eine objektive Strafbarkeitsbedingung dar. Wegen dieser besonderen Tatbestandsstruktur und der zweifelhaften Legitimation der Vorschrift gilt sie als „eine der umstrittensten, wenn nicht die strittigste des ganzen Strafgesetzbuchs“
Der Straftatbestand wurde ursprünglich als § 330a StGB aF durch das GewohnheitsverbrecherG von 1933
§ 122 OWiG enthält eine Parallelnorm für das Ordnungswidrigkeitenrecht.
Rechtsgut, Legitimation und Deliktsnatur
Rechtsgut
§ 323a StGB schützt nach hM diejenigen Rechtsgüter, die der jeweils im Rausch verwirklichte Tatbestand schützt, zusammengenommen also die „Gesamtheit der Rechtsgüter“
Legitimation und Deliktsnatur
Von der Frage nach dem Rechtsgut zu unterscheiden ist die Frage der kriminalpolitischen und verfassungsrechtlichen Legitimation des § 323a StGB, die seit langem sehr umstritten ist. Eng damit verknüpft ist das Problem, wie die Deliktsnatur und -struktur des § 323a StGB zu verstehen sind.
Die Rspr. und die wohl hL verstehen § 323a StGB als Norm zum Schutz der Allgemeinheit vor den unberechenbaren Gefahren, die typischerweise mit einem Vollrausch einhergehen.
Diese Deutung soll vor allem einen Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Schuldprinzip (nulla poena sine culpa) vermeiden. Nach diesem Grundsatz, der sich aus der Garantie von Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt, setzt eine Strafe als Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten stets eine Schuld des Täters, also persönliche Vorwerfbarkeit, voraus.
Ein erheblicher Teil der Literatur bestreitet jedoch, dass der Unrechtsgehalt des bloßen Sich-Berauschens die Strafandrohung des § 323a StGB legitimiere: In einem Staat, in dem es keine Prohibition und kein Alkoholwerbeverbot gebe, sondern vielmehr „organisierte Massenbesäufnisse wie das Münchner Oktoberfest unter staatlicher Schirmherrschaft“
Dem Argument, dass der Rausch an sich kein hinreichendes Unrecht begründe, um die Verhängung der in § 323a StGB angedrohten Strafe zu begründen, hält die wohl hM entgegen, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen schlichter Trunkenheit und Rauschzuständen iSd § 323a StGB bestehe (s. auch → Rn. 17 ff.). Ein schuldhaft herbeigeführter, schwerer Rausch sei keine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung mehr, sondern ihm wohne als „offenkundigem Gefahrenherd“ ein Unwert inne.
In systematischer und kriminalpolitischer Hinsicht beruft sich die wohl hM ferner auf Strafbarkeitslücken, die entstünden, weil eine Bestrafung der Rauschtat nach den Grundsätzen der fahrlässigen actio libera in causa ausscheide, wenn die Rauschtat im Zeitpunkt des Sich-Berauschens nicht vorhersehbar sei.
Schließlich spricht nach der Literaturmeinung auch die Systematik des § 323a StGB dagegen, die Rauschtat als eine rein objektive Strafbarkeitsbedingung zu verstehen: Wenn Unrecht und Schuld des Täters nicht von der Rauschtat abhingen, lasse sich nicht erklären, warum sich der Strafrahmen sowie das Antragserfordernis an der Rauschtat orientieren (§ 323a Abs. 2 und 3 StGB) und warum eine Ordnungswidrigkeit im Rausch nur nach § 122 OWiG geahndet, eine Straftat dagegen nach § 323a StGB bestraft werde.
Vertiefung: In der Literatur gibt es neben der hier erörterten Strömung auch andere Konzeptionen zu Legitimation und Deliktsstruktur des § 323a StGB. Einige halten § 323a StGB für eine verkappte Ausnahmevorschrift zu § 20 StGB, die bei selbstverschuldeten Mängeln der Schuldfähigkeit faktisch eine Bestrafung wegen der Rauschtat erlaube.
Schließlich halten manche Autoren den Tatbestand für gänzlich verfassungswidrig
Zugleich gibt es, ungeachtet aller Bedenken in Schrifttum und Rechtsprechung, seit Langem politische Bestrebungen nach einer Ausweitung des Tatbestandes mit stärkerer Orientierung an der Strafdrohung der jeweiligen Rauschtat.
Vorgehen in der Klausur und Aufbauschema
In der Klausur ist § 323a Abs. 1 StGB als Auffangvorschrift stets erst am Ende zu prüfen. Dies hat zugleich den Vorzug, dass man hinsichtlich der Rauschtat weitgehend nach oben verweisen kann und diese nicht inzident prüfen muss. Häufig bildet § 323a StGB lediglich einen „Annex“ zu einer ausführlichen Prüfung der actio libera in causa.
Innerhalb des § 323a StGB empfiehlt es sich, den Aufbau der wohl hM zugrunde zu legen und die Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit zu prüfen. Der Aufbau sollte daher widerspiegeln, dass sich insbesondere Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht auf die Rauschtat erstrecken müssen.
Dafür werden verschiedene Prüfungsstandorte vorgeschlagen: Zum Teil wird die objektive Strafbarkeitsbedingung als „Tatbestandsannex“ nach dem subjektiven Tatbestand geprüft. Überzeugender ist jedoch eine Prüfung als vierter Prüfungspunkt erst nach der Schuld. Denn neben dem Vorsatz muss sich auch die Schuld des Täters nicht auf die objektive Strafbarkeitsbedingung beziehen. Unabhängig davon sollte die Frage, ob eine Vorwerfbarkeitsbeziehung zwischen dem Sich-Berauschen und der Rauschtat zu fordern ist (→ Rn. 5 ff. und Rn. 39 ff.), nicht im objektiven oder subjektiven Tatbestand, sondern erst im Anschluss an die Prüfung der Rauschtat diskutiert werden. Der gewählte Prüfungsaufbau sollte im Gutachten ohne Erläuterung zugrunde gelegt werden.
Hier wird der folgende Prüfungsaufbau empfohlen:
Vorab: Strafbarkeit der Rauschtat nach den Grundsätzen der vorsätzlichen a.l.i.c. oder der sog. „fahrlässigen a.l.i.c.“
§ 323a Abs. 1 StGB durch das Sich-Berauschen
Tatbestandsmäßigkeit
Sich-Versetzen in einen Rausch
Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Rechtswidrigkeit
Schuld (in der Fahrlässigkeitsvariante nach hM hier subjektive Sorgfaltswidrigkeit und subjektive Vorhersehbarkeit des Rausches prüfen)
Objektive Bedingung der Strafbarkeit
Begehung einer rechtswidrigen Tat im Rausch (Rauschtat)
Täter kann nicht wegen der Rauschtat bestraft werden, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist („Subsidiaritätsklausel“)
Vorwerfbarkeitsbeziehung zwischen Sich-Berauschen und Rauschtat (str.)
ggf. Antragserfordernis gem. § 323a Abs. 3 StGB
Tatbestand
Sich-Versetzen in einen Rausch
Rausch
Ein Rausch ist ein Zustand der Enthemmung, der sich in dem für das jeweilige Rauschmittel typischen, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigenden Erscheinungsbild widerspiegelt.
Es kommen alle Rauschmittel in Betracht, die in ihren Wirkungen denen des Alkohols vergleichbar sind und zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens sowie der intellektuellen und motorischen Fähigkeit führen.
Nach hM ist es notwendig, aber auch hinreichend, wenn der Täter entweder erwiesenermaßen schuldunfähig nach § 20 StGB oder zwar nur möglicherweise schuldunfähig, aber sicher zumindest erheblich vermindert schuldfähig iS des § 21 StGB ist. Bei einem Alkoholrausch ist eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 2,0 ‰ ein starkes Indiz hierfür, genügt jedoch für sich genommen nicht. Vielmehr müssen weitere Beweisanzeichen wie eine geminderte Wahrnehmungs-, Reaktions-, Konzentrations- oder Koordinationsfähigkeit (Ausfallerscheinungen) oder affektive Veränderungen (zB euphorische Überschätzung) hinzutreten.
Klausurhinweis: Detailwissen zur Schuldfähigkeit, insb. die Beurteilung von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit oder die BAK-Rückrechnung, wird in der Klausur der Ersten Juristischen Prüfung nicht vorausgesetzt. Regelmäßig zeigen Formulierungen wie „volltrunken“ oder „in schuldunfähigem Zustand“, dass ein Rausch ohne nähere Begründung zu bejahen ist. Ansonsten wird ein BAK-Wert angegeben sein, der in der Klausur eindeutig zu erkennen gibt, ob ein Rausch vorliegt. Gleichwohl sind alle im Sachverhalt vorhandenen Beweisanzeichen auszuwerten, da ein direkter Schluss von der BAK auf die Schuldfähigkeit unzulässig ist.
Umstritten ist, ob ein Rausch auch dann vorliegt, wenn zwar ein rauschartiger Zustand bestand, aber eine fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit nicht eindeutig festgestellt werden kann.
Vertiefung mit Fallbeispiel (nach OLG Karlsruhe NJW 2004, 3356): A begibt sich nach dem Genuss erheblicher Mengen Alkohol mit seinem Pkw auf eine nächtliche Spritztour, deren Zeitpunkt später nicht mehr genau feststellbar ist. Kurz vor neun Uhr am nächsten Tag wird er in seinem Fahrzeug über das Lenkrad gebeugt und bei laufendem Motor fest schlafend angetroffen. Die entnommene Blutprobe ergibt eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 ‰. Strafbarkeit von A?
1. A könnte sich zunächst wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) strafbar gemacht haben. Für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit ist in dubio anzunehmen, dass das Ende der Trunkenheitsfahrt möglichst lange zurücklag. Zudem ist für die BAK-Rückrechnung der höchste Alkoholabbauwert von 0,2 ‰ pro Stunde zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 ‰ zugrunde zu legen (sog. Maximalrechnungsmethode). Bei einer Trunkenheitsfahrt um 24 Uhr, d. h. neun Stunden vor der Blutentnahme, hätte A demnach eine BAK von etwa 3,75 ‰ gehabt, bei noch längerer Standzeit sogar eine noch höhere. Da eine solch hohe BAK eine starke Indizwirkung hat und A zudem bei laufendem Motor schlafend aufgefunden wurde, lässt sich eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht ausschließen, sodass A nicht wegen § 316 StGB verurteilt werden kann.
2. Eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der vorsätzlichen oder fahrlässigen a.l.i.c. scheidet (nach hM) jedenfalls deshalb aus, weil § 316 Abs. 1 StGB ein eigenhändiges Delikt ist.
3. Bei der Prüfung des (fahrlässigen) Vollrausches (§ 323a Abs. 1 StGB) ist nach dem Zweifelssatz der spätestmögliche Zeitpunkt für die Trunkenheitsfahrt und ein niedriger Abbauwert bei der BAK-Rückrechnung anzusetzen. Hätte A lediglich kurz vor seinem Auffinden um 9 Uhr morgens eine kurze Trunkenheitsfahrt unternommen, hätte er dabei eine BAK von nur knapp über 1,75 ‰ gehabt, sodass eine Schuldunfähigkeit sicher ausscheidet. Nun fragt sich, ob bereits die Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit für § 323a StGB ausreicht, wenn nur feststellbar ist, dass ein Rauschzustand vorlag, nicht aber, dass die Schwelle des § 21 StGB überschritten ist.
Der Wortlaut des § 323a StGB ließe es zu, verminderte Schuldfähigkeit und Rausch als nicht gänzlich deckungsgleich anzusehen. Für eine weite Auslegung spricht dabei das Telos des § 323a StGB, eine Auffangfunktion in Fällen zu entfalten, in denen der Täter sonst wegen mangelnder Schuldfähigkeit straflos bliebe. Diese Lücke entsteht auch und gerade bei Entscheidungen aufgrund des Zweifelssatzes.
Diese Deutung würde jedoch zu erheblichen Unsicherheiten führen. Denn unstreitig ist auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB ein „Rausch“ erforderlich, um § 323a StGB anzuwenden. Wie aber das Merkmal „Rausch“ mit hinreichender Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) definiert werden soll, ohne auf die Schuldfähigkeit abzustellen, bleibt offen.
4. Damit bleibt nur die Möglichkeit einer ungleichartigen („echten“) Wahlfeststellung zwischen der Strafbarkeit gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB und der Strafbarkeit gem. § 323a Abs. 1 StGB andererseits. Dies wird aber herrschend abgelehnt, weil § 316 StGB die Sicherheit des Straßenverkehrs schützt, § 323a StGB dagegen vor den Gefahren des Rausches, und die Delikte daher rechtsethisch und psychologisch nicht vergleichbar seien.
Tathandlung: Sich-Versetzen
Ob sich der Täter in einen Rausch „versetzt“ hat, hängt nicht davon ab, auf welchem Wege (etwa durch Dritte) er das Rauschmittel zu sich nimmt oder welche Motivation hinter dem Rauschmittelkonsum steht. Auch muss sein Zustand grundsätzlich nicht allein auf dem Rauschmittelkonsum beruhen, solange weitere Ursachen nur eine untergeordnete Rolle spielen (zB eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Rauschmittel). Allerdings muss nach der Rechtsprechung der Zustand des Täters „nach seinem ganzen Erscheinungsbild“ als durch den Konsum von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen sein.
Vorsatz oder Fahrlässigkeit
§ 323a StGB stellt sowohl das vorsätzliche als auch das fahrlässige Sich-Versetzen in einen Rausch unter Strafe. Für ein vorsätzliches Handeln reicht es nicht aus, wenn der Täter vorsätzlich Rauschmittel konsumiert. Vielmehr muss auch er den Eintritt eines Rausches vom Schweregrad des § 323a StGB zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtswidrigkeit und Schuld beziehen sich (nur) auf das Sich-Berauschen und nicht auf die Rauschtat. Der Täter muss zu Beginn des Rausches noch schuldfähig sein, woran es in Ausnahmefällen bei schwerer Drogenabhängigkeit fehlen kann.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit
Allgemeine Anforderungen
§ 323a Abs. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Rausch eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.
Objektive Tatbestandsmäßigkeit der Rauschtat
Die Rauschtat muss zunächst den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, da eine „rechtswidrige Tat“ nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes voraussetzt. Grundsätzlich kommt hierfür jedes Delikt in allen Begehungsmodalitäten in Betracht. Rauschtat kann also etwa auch ein Versuch oder eine Teilnahme an einer fremden Tat sein (zur Teilnahme an § 323a StGB → Rn. 45 ff.).
Vertiefung: Zum Teil wird bestritten, dass § 323c Abs. 1 StGB eine taugliche Rauschtat darstellt, weil immer eine von § 323c Abs. 1 StGB erfasste Notsituation eintreten könne und § 323a StGB damit die Pflicht aufstellen würde, sich für diesen Fall jederzeit im zurechnungsfähigen Zustand zu erhalten.
Beim unechten Unterlassungsdelikt stellt sich das skizzierte Problem nicht in gleicher Schärfe, da hier die Garantenstellung als Legitimation dafür dienen kann, den Täter zur Erhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit zu verpflichten.
An einem tatbestandsmäßigen Verhalten fehlt es insbesondere, wenn der Täter im Rausch schon gar keine Handlung im strafrechtlichen Sinne vornimmt, also etwa bei Reflex- und Zwangshandlungen (zB Erbrechen, Torkeln, Krampfanfälle).
Subjektive Tatbestandsmäßigkeit der Rauschtat
Je nach Delikt ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich. Bei Vorsatzdelikten muss der Täter jedenfalls mit „natürlichem Vorsatz“ handeln, also fähig sein, seine körperliche Kraft zweckgerichtet einzusetzen.
Beispiel: Nachdem sich T in einer Kneipe bis zur Schuldunfähigkeit betrunken hat, nimmt sie einen fremden Mantel mit, den sie für ihren eigenen hält.
T unterliegt einem Tatumstandsirrtum über die Fremdheit des Mantels, was grundsätzlich den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Die fehlende Verwirklichung des subjektiven Tatbestands führt wegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB prinzipiell dazu, dass es an einem Diebstahl fehlen und eine Bestrafung nach § 323a Abs. 1 StGB ausscheiden müsste.
Teile der Literatur und die frühere Rechtsprechung wollen indes danach differenzieren, ob der Irrtum rauschbedingt ist.
Heute ist jedoch zu Recht weitgehend anerkannt, dass auch rauschbedingte Tatumstandsirrtümer bei Vorsatzdelikten eine taugliche Rauschtat ausschließen.
Im Übrigen kommt eine Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB in Betracht, wenn T die Verwechslung nach Ende des Rausches bemerkt und den Mantel behält (zu den umstrittenen Konkurrenzverhältnissen s. → Rn. 49).
Verlangt der jeweilige Tatbestand des Rauschdelikts besondere subjektive Tatbestandsmerkmale wie die Absicht rechtswidriger Bereicherung bei § 263 Abs. 1 StGB oder gesteigerte Vorsatzgrade (zB in § 226 Abs. 2 StGB), müssen diese wegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB ebenfalls vorliegen.
Fahrlässig begangene Rauschtaten erfüllen die objektive Strafbarkeitsbedingung nur, wenn die fahrlässige Begehung des jeweiligen Delikts strafbar ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 iVm § 15 StGB).
Rechtswidrigkeit, Schuld und Erlaubnistatumstandsirrtum bei der Rauschtat
Die Rauschtat muss, wie der Wortlaut des § 323a Abs. 1 StGB schon selbst besagt, rechtswidrig sein.
Weiterhin entlasten den Täter zumeist auch Schuldausschluss- und Entschuldigungsgründe. Nach dem Wortlaut der §§ 323a Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB kommt es zwar nur auf die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit an, nicht dagegen auf die Schuld des Täters. Doch nach Historie und Telos ist diese Formulierung so zu verstehen, dass sie nur das Strafbarkeitsdefizit überwinden soll, das durch die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Täters entsteht. Das ergibt sich aus der in § 323a Abs. 1 StGB enthaltenen Formulierung, wonach die objektive Strafbarkeitsbedingung voraussetzt, dass der Täter wegen der Rauschtat „nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist“ (zT als „Subsidiaritätsklausel“ bezeichnet). Gemeint ist, dass der Täter gerade infolge des Rausches straffrei sein muss.
Die hM macht hiervon jedoch im Fall eines rauschbedingten Verbotsirrtums eine Ausnahme, sodass dieser das Vorliegen einer Rauschtat nicht berührt.
Vertiefung: Die Behandlung des Erlaubnistatumstandsirrtums hängt zunächst davon ab, welcher Ansicht man hierzu allgemein folgt. Verortet man den Erlaubnistatumstandsirrtum auf Rechtswidrigkeits- bzw. Unrechtsebene (so insb. die herrschende eingeschränkte Schuldtheorie, daneben auch die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen), lässt ein Erlaubnistatumstandsirrtum grundsätzlich bereits das Unrecht der vorsätzlichen Rauschtat entfallen. Es bleibt aber eine Strafbarkeit nach § 323a Abs. 1 StGB mit einer Fahrlässigkeitstat als Rauschtat, sofern die fahrlässige Begehung jeweils strafbar ist, § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog). Bei einer Lösung auf der Schuldebene (insb. mit der strengen Schuldtheorie, aber wohl auch mit der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie, nach der nur die „Vorsatzschuld“ entfällt) sind differenzierende Lösungen ähnlich wie beim Verbotsirrtum denkbar.
Gleichwohl finden sich bei allen Theorien Ansätze, wonach ein rauschbedingter Erlaubnistatumstandsirrtum im Rahmen des § 323a StGB ausnahmsweise doch unbeachtlich sein soll.
Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen der Rauschtat
Auch Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe sind nach hM in der Regel beachtlich, sodass die objektive Strafbarkeitsbedingung insbesondere im Fall eines wirksamen Rücktritts von einer versuchten Rauschtat nicht erfüllt ist.
Vertiefung: Dieses Ergebnis entspricht den kriminalpolitischen Zwecken des strafbefreienden Rücktritts. Eine dogmatische Begründung fällt mit der Deliktskonzeption der wohl hM jedoch schwer: Zumeist wird darauf abgestellt, dass die Rauschtat nicht deshalb straffrei bleibt, weil der Täter „infolge des Rausches schuldunfähig war“ (wie es in § 323a Abs. 1 StGB am Ende heißt), sondern weil er zurückgetreten ist.
Zusammenfassung
Zusammengefasst gilt, dass § 323a StGB lediglich die (tatsächliche oder nicht auszuschließende) Schuldunfähigkeit „überwindet“. In die Vorschrift ist also hineinzulesen, dass der Täter „nur deshalb“
Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat
Die oben genannten Voraussetzungen an die Rauschtat selbst sind weitgehend anerkannt. Daneben ist jedoch sehr umstritten, ob der Täter bereits beim Sich-Berauschen eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat aufweisen muss. Hier wirkt sich die Kontroverse um die Rechtfertigung des § 323a StGB vor dem Schuldprinzip (→ Rn. 5 ff.) hauptsächlich aus.
Der Teil der Literatur, der eine „rein“ objektive Strafbarkeitsbedingung bei § 323a StGB für nicht mit dem Schuldprinzip vereinbar hält, fordert, dass der Täter in gewissem Umfang schon vor Eintritt des Rauschzustandes vorhersehen können muss, dass er eine Rauschtat begehen wird. Welches Maß an Vorhersehbarkeit notwendig ist, wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass der Täter – in Abgrenzung zur fahrlässigen a.l.i.c. – nicht die konkrete Rauschtat voraussehen können muss. Zum Teil wird verlangt, der Täter müsse die „spezifische Rauschgefährlichkeit“ erkennen, d. h. Ausschreitungen „von der Art der eingetretenen“ vorhersehen können.
Auch die Rechtsprechung ist nach eigenen Angaben „bislang nicht zu einem durchgehend einheitlichen Verständnis dieser Vorschrift gelangt“.
Klausurhinweis: Die Frage nach der subjektiven Beziehung zur Rauschtat dürfte in der typischen Klausur, in der § 323a StGB im Anschluss an die Strafbarkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa zu prüfen ist, keine große Rolle spielen. Denn bei einer vorsätzlichen a.l.i.c. ist sogar Vorsatz hinsichtlich der konkreten Rauschtat erforderlich und bei einer fahrlässigen a.l.i.c. muss das Sichberauschen sorgfaltswidrig und eine Rauschtat vorhersehbar sein. Etwaige subjektive Anforderungen im Rahmen des § 323a StGB sind dann in der Regel auch erfüllt, sodass eine Stellungnahme nicht erforderlich ist. Auch dann sollte das Problem aber knapp angedeutet werden.
Vertiefung: Die Deliktsnatur des § 323a StGB ist vor allem für die subjektiven Anforderungen relevant, kann daneben aber auch bei anderen Fragen eine Rolle spielen. So kann es vorkommen, dass der Täter Vorkehrungen getroffen hat, um die Gefahren des Rausches möglichst auszuschließen („Zurüstung“), es aber in einer unvorhersehbaren Lage doch zu einer Rauschtat kommt. Hält man die Vorschrift für ein abstraktes Gefährdungsdelikt, könnte man eine Strafbarkeit nur aufgrund einer teleologischen Reduktion verneinen, woran im Allgemeinen sehr hohe Anforderungen zu stellen wären (vgl. die entsprechende Problematik bei § 306a Abs. 1 StGB). Die Annahme eines konkreten Gefährlichkeitsdelikts ließe dagegen mehr Raum dafür, eine Gefährlichkeit im Einzelfall abzulehnen.
Täterschaft und Teilnahme
Täterschaft
§ 323a StGB ist nach hM ein eigenhändiges Delikt. Es setzt tatbestandlich voraus, dass sich der Täter selbst im Rausch befindet; anderenfalls ist es nicht möglich, einen Vollrausch als mittelbarer Täter oder Mittäter zu begehen.
Teilnahme
Hinsichtlich der Teilnahme ist zwischen Rauschdelikt und Vollrausch zu unterscheiden: Die Teilnahme am Rauschdelikt ist ohne weiteres möglich, da § 20 StGB lediglich die Schuld entfallen lässt und §§ 26, 27 Abs. 1 StGB nur eine rechtswidrige Haupttat voraussetzen.
Die hM hält aber auch eine Teilnahme am Vollrausch (in der Vorsatzvariante) für möglich.
Vertiefung mit Fallbeispiel: Gastwirt W schenkt den Gästen in seiner Kneipe reichlich Alkohol aus. Er geht dabei nicht davon aus, dass die betrunkenen Gäste Straftaten begehen könnten. Eines Abends betrinkt sich jedoch der Gast G bis zur Schuldunfähigkeit, bricht einen Streit mit dem anderen Gast O vom Zaun und schlägt diesen nieder. Strafbarkeit von W?
Eine Strafbarkeit des W gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 StGB scheidet jedenfalls deshalb aus, weil W keinen (Eventual-)Vorsatz hinsichtlich der Haupttat des G hat. Er könnte sich aber gem. §§ 323a Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Alkohol an G ausschenkte und hierdurch dessen Vollrausch förderte.
Einige verneinen jedoch generell, dass eine Teilnahme am Vollrausch möglich sei, weil die von § 323a StGB aufgestellte Pflicht zur Selbstkontrolle höchstpersönlicher Natur sei.
Eine Teilnahme des W am Vollrausch des G ist deshalb nach heute hM möglich,
Zu beachten ist schließlich, dass in dieser Konstellation noch weitere Vorschriften zu prüfen sind. Die Rechtsprechung diskutiert den Fall nicht vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme an § 323a StGB, sondern nimmt unter bestimmten Voraussetzungen eine Unterlassungsstrafbarkeit des Wirtes (zB aus §§ 229, 13 Abs. 1 StGB) an, weil diesen eine Garantenpflicht treffen soll, rechtswidrige Taten seiner betrunkenen Gäste (insb. Trunkenheitsfahrten) zu verhindern.
Versuch
Der Versuch des § 323a Abs. 1 StGB ist, unabhängig von der Strafdrohung der Rauschtat, nicht strafbar (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB). Hiervon zu unterscheiden ist aber der Fall, dass lediglich die Rauschtat im Versuchsstadium steckenbleibt. In diesem Fall ist der Vollrausch bereits mit dem Eintritt des Rausches vollendet und mit der versuchten Rauschtat – sofern deren Versuch strafbar ist – die objektive Bedingung der Strafbarkeit eingetreten (zum Rücktritt von der Rauschtat → Rn. 36 f.).
Konkurrenzen
Mehrere Taten in einem Rausch stellen nur ein Vollrauschdelikt dar, denn die Tathandlung ist das Sich-Versetzen in den Rausch, wohingegen die Rauschtaten nur objektive Bedingung der Strafbarkeit sind.
Kann eine Rauschtat nach den Grundsätzen der a.l.i.c. zugerechnet werden, schließt dies eine Anwendung des § 323a Abs. 1 StGB grundsätzlich aus. Zum einen kann der Täter in diesem Fall wegen der Rauschtat bestraft werden, sodass die objektive Strafbarkeitsbedingung nicht erfüllt ist (Subsidiaritätsklausel).
Aus diesen Begründungen ergeben sich jedoch auch zwei Ausnahmen: Erstens steht § 323a Abs. 1 StGB mit der fahrlässigen a.l.i.c. in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB), wenn diese den Unrechts- und Schuldgehalt des Vollrauschs nicht hinreichend erfasst. Damit sollen Widersprüche zwischen den Strafrahmen vermieden werden.
Beispiel: T betrinkt sich bis zur Schuldunfähigkeit und verkennt dabei fahrlässig, dass er in diesem Zustand seine Ehefrau E misshandeln wird. Im Rausch schlägt T die E.
§ 323a Abs. 1 StGB eröffnet einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Auch § 323a Abs. 2 StGB steht dem nicht entgegen, da die im Rausch begangene vorsätzliche Körperverletzung keinen geringeren Strafrahmen enthält. Dagegen führt die fahrlässige a.l.i.c. nur zu einem Strafrahmen von maximal drei Jahren (§ 229 StGB). Daher ist T strafbar wegen Vollrauschs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung.
Zweitens kann es bei mehreren Taten in einem Rausch vorkommen, dass manche dem Täter nach den Grundsätzen der a.l.i.c. zugerechnet werden können, andere dagegen nicht. Dann steht die Vollrauschtat mit den a.l.i.c.-Taten in Tateinheit.
Beispiel: T will ihrer Nebenbuhlerin O eine „Abreibung“ verpassen und trinkt sich bis zur Schuldunfähigkeit Mut an. Sie fährt, wie geplant, mit ihrem Auto zu O und verprügelt diese.
Hinsichtlich des § 223 Abs. 1 StGB ist T nach den Grundsätzen der vorsätzlichen a.l.i.c. strafbar. Daneben hat T § 323a Abs. 1 StGB mit der Rauschtat des § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht, der als eigenhändiges Delikt nicht nach den Grundsätzen der a.l.i.c. bestraft werden kann. Deshalb stehen die Körperverletzung und der Vollrausch in Tateinheit.
Rechtsfolgen und Prozessuales
Ein Strafantrag ist erforderlich, soweit dies für die jeweilige Rauschtat vorgesehen ist (§ 323a Abs. 3 StGB). Auch im Übrigen wird § 323a StGB prozess- und verjährungsrechtlich weitgehend in Abhängigkeit von der Rauschtat behandelt. Auf Strafzumessungsebene führt die Differenzierung zwischen Rausch und unrechts- und schuldunabhängiger Rauschtat allerdings zu erheblichen Schwierigkeiten.
Wenn sich das Vorliegen eines Rausches nicht feststellen lässt, ist eine ungleichartige („echte“) Wahlfeststellung zwischen § 323a StGB und der Rauschtat ausgeschlossen; jedoch besteht nach hM ein normativ-ethisches Stufenverhältnis (Fallbeispiel unter → Rn. 21).
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Fahl, Der strafbare Vollrausch (§ 323a StGB), JuS 2005, 1076
Geppert, Die Volltrunkenheit (§ 323a StGB), JURA 2009, 40
Otto, Der Vollrauschtatbestand (§ 323a StGB), JURA 1986, 478
Ranft, Die rauschmittelbedingte Verkehrsdelinquenz, JURA 1988, 133
Ranft, Grundprobleme des Vollrauschtatbestandes (§ 323a StGB), JA 1983, 193
Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, JuS 2011, 697
Übungsfälle
Bischoff/Kosmeier, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Urteilsklausur – Eindeutig unklar, JuS 2015, 59
Bosch, Übungen im Strafrecht, 9. Aufl. (2023), Fall 12 Rauschtat (S. 303 ff.)
Oğlakcıoğlu, Übungsfall: The Hangover Part I, ZJS 2013, 482
F. C. Schroeder, Übungsklausur - Strafrecht: Der Vollrausch (§ 323a StGB), JuS 2004, 312
Schumann/Rahimi Azar, „Ein brandgefährlicher Tag“, JA 2017, 114