Kilian Wegner Strafrecht Besonderer Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit Licensed under CC-BY-4.0

§ 39: Vollrausch (§ 323a StGB)

Autor: Felix Tim Fischer

Notwendiges Vorwissen: Für die Beschäftigung mit § 323a StGB sollten die Voraussetzungen eines Schuldausschlusses nach § 20 StGB bzw. der Schuldminderung nach § 21 StGB ebenso bekannt sein wie der Streit um die Rechtsfigur der actio libera in causa.

§ 323a StGB stellt das vorsätzliche oder fahrlässige Sich-Berauschen unter Strafe, wenn der Täter im Rausch eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er bei der Tatbegehung schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist. Dass eine solche unbestrafbare Rauschtat vorliegt, stellt nach wohl hM eine objektive Strafbarkeitsbedingung dar. Wegen dieser besonderen Tatbestandsstruktur und der zweifelhaften Legitimation der Vorschrift gilt sie als „eine der umstrittensten, wenn nicht die strittigste des ganzen Strafgesetzbuchs“Spendel, in: LK-StGB, Bd. 8, 11. Aufl. (2005), § 323a Rn. 1; vgl. Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 1. (→ Rn. 5 ff.).

Der Straftatbestand wurde ursprünglich als § 330a StGB aF durch das GewohnheitsverbrecherG von 1933Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung v. 24. November 1933 (RGBl. I S. 995). eingeführt, enthält jedoch kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut.Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 16. Der Gesetzgeber wollte hiermit Strafbarkeitslücken schließen, die bei Rauschtaten aufgrund der Vorschriften über die Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) und der besonderen Voraussetzungen von vorsätzlicher und fahrlässiger actio libera in causa entstehen.Vgl. BT-Drs. 7/550, S. 268 m. Verw. auf BGHSt 9, 390.

§ 122 OWiG enthält eine Parallelnorm für das Ordnungswidrigkeitenrecht.

Rechtsgut, Legitimation und Deliktsnatur

Rechtsgut

§ 323a StGB schützt nach hM diejenigen Rechtsgüter, die der jeweils im Rausch verwirklichte Tatbestand schützt, zusammengenommen also die „Gesamtheit der RechtsgüterBGHSt 1, 275 (277); Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt (1962), S. 76 ff.; krit. Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 5.. Die Rechtsgutsbestimmung hat wegen ihrer Vagheit allerdings kaum Bedeutung für die Auslegung.

Legitimation und Deliktsnatur

Von der Frage nach dem Rechtsgut zu unterscheiden ist die Frage der kriminalpolitischen und verfassungsrechtlichen Legitimation des § 323a StGB, die seit langem sehr umstritten ist. Eng damit verknüpft ist das Problem, wie die Deliktsnatur und -struktur des § 323a StGB zu verstehen sind.

Die Rspr. und die wohl hL verstehen § 323a StGB als Norm zum Schutz der Allgemeinheit vor den unberechenbaren Gefahren, die typischerweise mit einem Vollrausch einhergehen.Vgl. etwa BGH NStZ 2016, 203 (205); BGHSt (GrS) 62, 247 (263 f.). Die Norm ist danach ein abstraktes Gefährdungsdelikt, bei dem bereits das Sich-Berauschen die gefährdende Handlung darstellt und deshalb allein den objektiven Tatbestand bildet. Dass es im Rausch zu einer Straftat kommt, ist nur objektive Bedingung der Strafbarkeit, hat also keine unrechts- oder schuldbegründende, sondern nur strafbarkeitseinschränkende Funktion.

Diese Deutung soll vor allem einen Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Schuldprinzip (nulla poena sine culpa) vermeiden. Nach diesem Grundsatz, der sich aus der Garantie von Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergibt, setzt eine Strafe als Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten stets eine Schuld des Täters, also persönliche Vorwerfbarkeit, voraus.Grdl. BVerfGE 20, 232 (331); BVerfGE 109, 133 (171). Deshalb wäre es nicht möglich, nach § 323a StGB die Rauschtat selbst zu bestrafen, bei deren Begehung der Täter schuldunfähig war. Die hM hält es aber für mit dem Schuldprinzip vereinbar, dass allein das Sich-Berauschen das strafwürdige Unrecht bildet.

Ein erheblicher Teil der Literatur bestreitet jedoch, dass der Unrechtsgehalt des bloßen Sich-Berauschens die Strafandrohung des § 323a StGB legitimiere: In einem Staat, in dem es keine Prohibition und kein Alkoholwerbeverbot gebe, sondern vielmehr „organisierte Massenbesäufnisse wie das Münchner Oktoberfest unter staatlicher Schirmherrschaft“Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“ (1985), S. 69; vgl. Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 23 Rn. 8 f., sei der folgenlose Rausch sozialadäquat oder sogar rechtlich erlaubt, könne jedenfalls aber kein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe rechtfertigen. Daher dürfe die Rauschtat nicht völlig unrechtsneutral sein, sondern müsse zumindest ansatzweise als unrechtsbegründendes Tatbestandsmerkmal behandelt werden.Freund, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Hdb. StrafR, Bd. 5 (2020), § 46 Rn. 7 ff. § 323a StGB sei insofern als „konkretes Gefährlichkeitsdelikt“ zu verstehen.Grdl. der Entwurf von Kohlrausch, ZStW 32 (1911), 645 (661); weiterentwickelt von Lange, ZStW 59 (1940), 574 (581 ff., 585 ff.); heute in verschiedenen Ausprägungen etwa Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 9, 57 ff.; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 1; Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 23 Rn. 8 ff. Mit dieser (missverständlichen) Formulierung ist allerdings nicht gemeint, dass es wie bei konkreten Gefährdungsdelikten zu einer Lage kommen muss, in der die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts bloß noch vom Zufall abhängt. Vielmehr geht es darum, ob das Sich-Berauschen auch im Einzelfall wegen der Vorhersehbarkeit einer Rauschtat gefährlich ist.Vgl. Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 37. Die Anforderungen an diese Vorwerfbarkeitsbeziehung zwischen Sich-Berauschen und Rauschtat sind im Einzelnen umstritten (→ Rn. 39 ff.).

Dem Argument, dass der Rausch an sich kein hinreichendes Unrecht begründe, um die Verhängung der in § 323a StGB angedrohten Strafe zu begründen, hält die wohl hM entgegen, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen schlichter Trunkenheit und Rauschzuständen iSd § 323a StGB bestehe (s. auch → Rn. 17 ff.). Ein schuldhaft herbeigeführter, schwerer Rausch sei keine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung mehr, sondern ihm wohne als „offenkundigem Gefahrenherd“ ein Unwert inne.BGHSt (GrS) 62, 247 (268). Demnach sei es die Entscheidung des Gesetzgebers, schon den Rausch selbst für strafwürdig zu erklären, im Rahmen seines Einschätzungs- und Bewertungsspielraums vertretbar.Vgl. Frister, AT, 10. Aufl. (2023), § 21 Rn. 8; Rengier, BT II, 24. Aufl. (2023), § 41 Rn. 9; allg. Rönnau, JuS 2011, 311 (312 f.).

In systematischer und kriminalpolitischer Hinsicht beruft sich die wohl hM ferner auf Strafbarkeitslücken, die entstünden, weil eine Bestrafung der Rauschtat nach den Grundsätzen der fahrlässigen actio libera in causa ausscheide, wenn die Rauschtat im Zeitpunkt des Sich-Berauschens nicht vorhersehbar sei.Vgl. BGHSt 16, 124 (125). In Fällen mit ausreichender Vorhersehbarkeit laufe § 323a StGB wiederum neben der fahrlässigen a.l.i.c. weitgehend leer. Daher sei bei § 323a StGB auf eine solche Vorwerfbarkeitsbeziehung zu verzichten.Vgl. BGHSt (GrS) 62, 247 (268 f.). Die Gegenmeinung wendet ein, dass § 323a StGB dennoch ein eigenständiger Anwendungsbereich bleibe: Zum einen könne er bei den von der a.l.i.c. nach hM generell nicht erfassten eigenhändigen Delikte eingreifen,Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 1. zu denen auch die praktisch relevanten §§ 315c, 316 StGB gehören. Zum anderen setze die fahrlässige a.l.i.c. eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit für das im Rausch begangene Delikt voraus. Sie erfasse also etwa nicht den Fall, dass der Täter sich ohne Sachbeschädigungsvorsatz berauscht und im Rausch eine vorsätzliche Sachbeschädigung begeht. Nach § 323a StGB könne man den Täter dagegen auch dann bestrafen, wenn man eine Vorwerfbarkeitsbeziehung fordert, sofern nur die Sachbeschädigung vorhersehbar war.Vgl. Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 63 f.; Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 23 Rn. 11.

Schließlich spricht nach der Literaturmeinung auch die Systematik des § 323a StGB dagegen, die Rauschtat als eine rein objektive Strafbarkeitsbedingung zu verstehen: Wenn Unrecht und Schuld des Täters nicht von der Rauschtat abhingen, lasse sich nicht erklären, warum sich der Strafrahmen sowie das Antragserfordernis an der Rauschtat orientieren (§ 323a Abs. 2 und 3 StGB) und warum eine Ordnungswidrigkeit im Rausch nur nach § 122 OWiG geahndet, eine Straftat dagegen nach § 323a StGB bestraft werde.Statt vieler Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 9.

Vertiefung: In der Literatur gibt es neben der hier erörterten Strömung auch andere Konzeptionen zu Legitimation und Deliktsstruktur des § 323a StGB. Einige halten § 323a StGB für eine verkappte Ausnahmevorschrift zu § 20 StGB, die bei selbstverschuldeten Mängeln der Schuldfähigkeit faktisch eine Bestrafung wegen der Rauschtat erlaube.Otto, JURA 1986, 478 (479 f.); Streng, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 20 Rn. 153a. Diese Ansicht kann die Struktur der Vorschrift (§ 323a Abs. 2 und 3 StGB) erklären, nährt jedoch die Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip mehr, als dass sie diese ausräumt.

Schließlich halten manche Autoren den Tatbestand für gänzlich verfassungswidrigSo zB Frister, AT, 10. Aufl. (2023), § 21 Rn. 8 ff. oder befürworten verschiedene verfassungskonforme Auslegungen.Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 14 ff.

Zugleich gibt es, ungeachtet aller Bedenken in Schrifttum und Rechtsprechung, seit Langem politische Bestrebungen nach einer Ausweitung des Tatbestandes mit stärkerer Orientierung an der Strafdrohung der jeweiligen Rauschtat.Zusammenfassend Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 12.

Vorgehen in der Klausur und Aufbauschema

In der Klausur ist § 323a Abs. 1 StGB als Auffangvorschrift stets erst am Ende zu prüfen. Dies hat zugleich den Vorzug, dass man hinsichtlich der Rauschtat weitgehend nach oben verweisen kann und diese nicht inzident prüfen muss. Häufig bildet § 323a StGB lediglich einen „Annex“ zu einer ausführlichen Prüfung der actio libera in causa.

Innerhalb des § 323a StGB empfiehlt es sich, den Aufbau der wohl hM zugrunde zu legen und die Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit zu prüfen. Der Aufbau sollte daher widerspiegeln, dass sich insbesondere Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht auf die Rauschtat erstrecken müssen.

Dafür werden verschiedene Prüfungsstandorte vorgeschlagen: Zum Teil wird die objektive Strafbarkeitsbedingung als „Tatbestandsannex“ nach dem subjektiven Tatbestand geprüft. Überzeugender ist jedoch eine Prüfung als vierter Prüfungspunkt erst nach der Schuld. Denn neben dem Vorsatz muss sich auch die Schuld des Täters nicht auf die objektive Strafbarkeitsbedingung beziehen. Unabhängig davon sollte die Frage, ob eine Vorwerfbarkeitsbeziehung zwischen dem Sich-Berauschen und der Rauschtat zu fordern ist (→ Rn. 5 ff. und Rn. 39 ff.), nicht im objektiven oder subjektiven Tatbestand, sondern erst im Anschluss an die Prüfung der Rauschtat diskutiert werden. Der gewählte Prüfungsaufbau sollte im Gutachten ohne Erläuterung zugrunde gelegt werden.

Hier wird der folgende Prüfungsaufbau empfohlen:

  1. Vorab: Strafbarkeit der Rauschtat nach den Grundsätzen der vorsätzlichen a.l.i.c. oder der sog. „fahrlässigen a.l.i.c.“

  2. § 323a Abs. 1 StGB durch das Sich-Berauschen

    1. Tatbestandsmäßigkeit

      1. Sich-Versetzen in einen Rausch

      2. Vorsatz oder Fahrlässigkeit

    2. Rechtswidrigkeit

    3. Schuld (in der Fahrlässigkeitsvariante nach hM hier subjektive Sorgfaltswidrigkeit und subjektive Vorhersehbarkeit des Rausches prüfen)

    4. Objektive Bedingung der Strafbarkeit

      1. Begehung einer rechtswidrigen Tat im Rausch (Rauschtat)

      2. Täter kann nicht wegen der Rauschtat bestraft werden, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist („Subsidiaritätsklausel“)

      3. Vorwerfbarkeitsbeziehung zwischen Sich-Berauschen und Rauschtat (str.)

    5. ggf. Antragserfordernis gem. § 323a Abs. 3 StGB

Tatbestand

Sich-Versetzen in einen Rausch

Rausch

Rausch

Ein Rausch ist ein Zustand der Enthemmung, der sich in dem für das jeweilige Rauschmittel typischen, die psychischen Fähigkeiten durch Intoxikation beeinträchtigenden Erscheinungsbild widerspiegelt.

Es kommen alle Rauschmittel in Betracht, die in ihren Wirkungen denen des Alkohols vergleichbar sind und zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens sowie der intellektuellen und motorischen Fähigkeit führen.BayObLG NJW 1990, 2334.

Nach hM ist es notwendig, aber auch hinreichend, wenn der Täter entweder erwiesenermaßen schuldunfähig nach § 20 StGB oder zwar nur möglicherweise schuldunfähig, aber sicher zumindest erheblich vermindert schuldfähig iS des § 21 StGB ist. Bei einem Alkoholrausch ist eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 2,0 ‰ ein starkes Indiz hierfür, genügt jedoch für sich genommen nicht. Vielmehr müssen weitere Beweisanzeichen wie eine geminderte Wahrnehmungs-, Reaktions-, Konzentrations- oder Koordinationsfähigkeit (Ausfallerscheinungen) oder affektive Veränderungen (zB euphorische Überschätzung) hinzutreten.Vgl. Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt (1962), S. 3 f.; KG StV 2019, 276 (277); grdl. (zu § 21 StGB) BGHSt 43, 66 (71 ff.).

Klausurhinweis: Detailwissen zur Schuldfähigkeit, insb. die Beurteilung von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit oder die BAK-Rückrechnung, wird in der Klausur der Ersten Juristischen Prüfung nicht vorausgesetzt. Regelmäßig zeigen Formulierungen wie „volltrunken“ oder „in schuldunfähigem Zustand“, dass ein Rausch ohne nähere Begründung zu bejahen ist. Ansonsten wird ein BAK-Wert angegeben sein, der in der Klausur eindeutig zu erkennen gibt, ob ein Rausch vorliegt. Gleichwohl sind alle im Sachverhalt vorhandenen Beweisanzeichen auszuwerten, da ein direkter Schluss von der BAK auf die Schuldfähigkeit unzulässig ist.

Umstritten ist, ob ein Rausch auch dann vorliegt, wenn zwar ein rauschartiger Zustand bestand, aber eine fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit nicht eindeutig festgestellt werden kann.Zum Teil wird dieses Problem auch der Voraussetzung zugeordnet, dass der Täter wegen festgestellter oder nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit nicht wegen der Rauschtat bestraft werden kann (sog. „Subsidiaritätsklausel“). Die Frage stellt sich vor allem, wenn nach dem Grundsatz in dubio pro reo einerseits für die Bestrafung wegen der Rauschtat eine Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen, andererseits für die Bestrafung nach § 323a StGB das Maß des § 21 StGB nicht sicher überschritten ist.

Vertiefung mit Fallbeispiel (nach OLG Karlsruhe NJW 2004, 3356): A begibt sich nach dem Genuss erheblicher Mengen Alkohol mit seinem Pkw auf eine nächtliche Spritztour, deren Zeitpunkt später nicht mehr genau feststellbar ist. Kurz vor neun Uhr am nächsten Tag wird er in seinem Fahrzeug über das Lenkrad gebeugt und bei laufendem Motor fest schlafend angetroffen. Die entnommene Blutprobe ergibt eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 ‰. Strafbarkeit von A?

1. A könnte sich zunächst wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) strafbar gemacht haben. Für die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit ist in dubio anzunehmen, dass das Ende der Trunkenheitsfahrt möglichst lange zurücklag. Zudem ist für die BAK-Rückrechnung der höchste Alkoholabbauwert von 0,2 ‰ pro Stunde zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 ‰ zugrunde zu legen (sog. Maximalrechnungsmethode). Bei einer Trunkenheitsfahrt um 24 Uhr, d. h. neun Stunden vor der Blutentnahme, hätte A demnach eine BAK von etwa 3,75 ‰ gehabt, bei noch längerer Standzeit sogar eine noch höhere. Da eine solch hohe BAK eine starke Indizwirkung hat und A zudem bei laufendem Motor schlafend aufgefunden wurde, lässt sich eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht ausschließen, sodass A nicht wegen § 316 StGB verurteilt werden kann.

2. Eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der vorsätzlichen oder fahrlässigen a.l.i.c. scheidet (nach hM) jedenfalls deshalb aus, weil § 316 Abs. 1 StGB ein eigenhändiges Delikt ist.

3. Bei der Prüfung des (fahrlässigen) Vollrausches (§ 323a Abs. 1 StGB) ist nach dem Zweifelssatz der spätestmögliche Zeitpunkt für die Trunkenheitsfahrt und ein niedriger Abbauwert bei der BAK-Rückrechnung anzusetzen. Hätte A lediglich kurz vor seinem Auffinden um 9 Uhr morgens eine kurze Trunkenheitsfahrt unternommen, hätte er dabei eine BAK von nur knapp über 1,75 ‰ gehabt, sodass eine Schuldunfähigkeit sicher ausscheidet. Nun fragt sich, ob bereits die Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit für § 323a StGB ausreicht, wenn nur feststellbar ist, dass ein Rauschzustand vorlag, nicht aber, dass die Schwelle des § 21 StGB überschritten ist.So etwa Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 323a Rn. 11c; Wolters, in: SK-StGB, Bd. VI, 10. Aufl. (2023), § 323a Rn. 5.

Der Wortlaut des § 323a StGB ließe es zu, verminderte Schuldfähigkeit und Rausch als nicht gänzlich deckungsgleich anzusehen. Für eine weite Auslegung spricht dabei das Telos des § 323a StGB, eine Auffangfunktion in Fällen zu entfalten, in denen der Täter sonst wegen mangelnder Schuldfähigkeit straflos bliebe. Diese Lücke entsteht auch und gerade bei Entscheidungen aufgrund des Zweifelssatzes.

Diese Deutung würde jedoch zu erheblichen Unsicherheiten führen. Denn unstreitig ist auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB ein „Rausch“ erforderlich, um § 323a StGB anzuwenden. Wie aber das Merkmal „Rausch“ mit hinreichender Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) definiert werden soll, ohne auf die Schuldfähigkeit abzustellen, bleibt offen.Vgl. Schöch, in: S/S/W-StGB, 5. Aufl. (2021), § 323a Rn. 15. Vor allem aber steht diese Auslegung in einem Widerspruch zum Legitimationskonzept der wohl hM: Wenn allein das Sich-Berauschen eine hinreichend strafwürdige abstrakte Gefahr darstellen soll, dann muss § 323a StGB zumindest auf Sachverhalte beschränkt bleiben, in denen tatsächlich feststeht, dass sich der Rausch wenigstens in einer verminderten Schuldunfähigkeit ausdrückt.Dallmeyer, in: BeckOK-StGB, 58. Ed. (Stand: 01.08.2023), § 323a Rn. 12; iE auch OLG Karlsruhe NJW 2004, 3356 (3357).

4. Damit bleibt nur die Möglichkeit einer ungleichartigen („echten“) Wahlfeststellung zwischen der Strafbarkeit gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB und der Strafbarkeit gem. § 323a Abs. 1 StGB andererseits. Dies wird aber herrschend abgelehnt, weil § 316 StGB die Sicherheit des Straßenverkehrs schützt, § 323a StGB dagegen vor den Gefahren des Rausches, und die Delikte daher rechtsethisch und psychologisch nicht vergleichbar seien.BGHSt (GrS) 9, 390 (394 f.); krit. Heger, in: Lackner/Kühl, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 5. Viele Literaturstimmen schließen allerdings aus dem Auffangcharakters des § 323a StGB auf ein normativ-ethisches Stufenverhältnis zwischen Rauschdelikt und Vollrausch, sodass eine Bestrafung aus § 323a StGB auch ohne Wahlfeststellung möglich ist.Statt vieler Geppert, JURA 2009, 40 (49); wohl auch BGHSt 9, 390 (397 f.); 32, 48 (56 f.); aA OLG Karlsruhe NJW 2004, 3356 (3357); Ranft, JURA 1988, 133 (138).

Tathandlung: Sich-Versetzen

Ob sich der Täter in einen Rausch „versetzt“ hat, hängt nicht davon ab, auf welchem Wege (etwa durch Dritte) er das Rauschmittel zu sich nimmt oder welche Motivation hinter dem Rauschmittelkonsum steht. Auch muss sein Zustand grundsätzlich nicht allein auf dem Rauschmittelkonsum beruhen, solange weitere Ursachen nur eine untergeordnete Rolle spielen (zB eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Rauschmittel). Allerdings muss nach der Rechtsprechung der Zustand des Täters „nach seinem ganzen Erscheinungsbild“ als durch den Konsum von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen sein.St. Rspr. seit BGHSt 26, 363 (364); vgl. zum Ganzen Schöch, in: S/S/W-StGB, 5. Aufl. (2021), § 323a Rn. 10 f., 13.

Vorsatz oder Fahrlässigkeit

§ 323a StGB stellt sowohl das vorsätzliche als auch das fahrlässige Sich-Versetzen in einen Rausch unter Strafe. Für ein vorsätzliches Handeln reicht es nicht aus, wenn der Täter vorsätzlich Rauschmittel konsumiert. Vielmehr muss auch er den Eintritt eines Rausches vom Schweregrad des § 323a StGB zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.BGH NStZ-RR 2001, 15 (15); OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 287 (288).

Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtswidrigkeit und Schuld beziehen sich (nur) auf das Sich-Berauschen und nicht auf die Rauschtat. Der Täter muss zu Beginn des Rausches noch schuldfähig sein, woran es in Ausnahmefällen bei schwerer Drogenabhängigkeit fehlen kann.Rengier, BT II, 24. Aufl. (2023), § 41 Rn. 24.

Objektive Bedingung der Strafbarkeit

Allgemeine Anforderungen

§ 323a Abs. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Rausch eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

Objektive Tatbestandsmäßigkeit der Rauschtat

Die Rauschtat muss zunächst den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, da eine „rechtswidrige Tat“ nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes voraussetzt. Grundsätzlich kommt hierfür jedes Delikt in allen Begehungsmodalitäten in Betracht. Rauschtat kann also etwa auch ein Versuch oder eine Teilnahme an einer fremden Tat sein (zur Teilnahme an § 323a StGB → Rn. 45 ff.).

Vertiefung: Zum Teil wird bestritten, dass § 323c Abs. 1 StGB eine taugliche Rauschtat darstellt, weil immer eine von § 323c Abs. 1 StGB erfasste Notsituation eintreten könne und § 323a StGB damit die Pflicht aufstellen würde, sich für diesen Fall jederzeit im zurechnungsfähigen Zustand zu erhalten.Hartwig, GA 1964, 140 (150 f.); vgl. Ranft, JZ 1983, 239 (241). Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass eine solche allgemeine Pflicht zur Erhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit tatsächlich zu weit ginge. Allerdings erscheint eine Lösung über den Tatbestand des § 323c Abs. 1 StGB vorzugswürdig.Wie hier Fahl, JuS 2005, 1076 (1080); Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 63; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 46. Aufl. (2022), Rn. 1049. Dieser ist nämlich nicht erfüllt, wenn der Täter im Zeitpunkt der Notsituation handlungsunfähig ist, und zwar auch dann nicht, wenn er zuvor den Eintritt der Notsituation verhindern oder zumindest seine Handlungsfähigkeit erhalten hätte können.Gaede, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323c Rn. 3; aA Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 323c Rn. 11b. Eine solche omissio libera in causa ausreichen zu lassen, ginge über das Telos des § 323c Abs. 1 StGB, eine Mindestsolidarität zu gewährleisten, weit hinaus. Zudem würde dieses Verständnis den Wortlaut der Vorschrift strapazieren, der – anders als etwa § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – nicht die Herbeiführung einer Notsituation, sondern nur die unterlassene Hilfeleistung in einer schon bestehenden Notsituation unter Strafe stellt. Eine Entgrenzung des § 323a StGB ist bei Anerkennung der unterlassenen Hilfeleistung als Rauschtat also nicht zu befürchten, weil § 323c Abs. 1 StGB schon tatbestandlich eingeschränkt ist.

Beim unechten Unterlassungsdelikt stellt sich das skizzierte Problem nicht in gleicher Schärfe, da hier die Garantenstellung als Legitimation dafür dienen kann, den Täter zur Erhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit zu verpflichten.

An einem tatbestandsmäßigen Verhalten fehlt es insbesondere, wenn der Täter im Rausch schon gar keine Handlung im strafrechtlichen Sinne vornimmt, also etwa bei Reflex- und Zwangshandlungen (zB Erbrechen, Torkeln, Krampfanfälle).Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 32; krit. Otto, JURA 1986, 478 (483): Widerspruch zur Konzeption als abstraktes Gefährdungsdelikt. Darüber hinaus muss (bei Erfolgsdelikten) der tatbestandsmäßige Erfolg in kausaler und objektiv zurechenbarer Weise vom Täter herbeigeführt worden sein.

Subjektive Tatbestandsmäßigkeit der Rauschtat

Je nach Delikt ist Vorsatz oder Fahrlässigkeit erforderlich. Bei Vorsatzdelikten muss der Täter jedenfalls mit „natürlichem Vorsatz“ handeln, also fähig sein, seine körperliche Kraft zweckgerichtet einzusetzen.BGHSt 1, 124 (126 f.); Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 7. Umstritten ist, inwiefern der Täter daneben die Tatumstände erkannt haben muss, wie sich also Tatumstandsirrtümer auswirken:

Beispiel: Nachdem sich T in einer Kneipe bis zur Schuldunfähigkeit betrunken hat, nimmt sie einen fremden Mantel mit, den sie für ihren eigenen hält.

T unterliegt einem Tatumstandsirrtum über die Fremdheit des Mantels, was grundsätzlich den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Die fehlende Verwirklichung des subjektiven Tatbestands führt wegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB prinzipiell dazu, dass es an einem Diebstahl fehlen und eine Bestrafung nach § 323a Abs. 1 StGB ausscheiden müsste.

Teile der Literatur und die frühere Rechtsprechung wollen indes danach differenzieren, ob der Irrtum rauschbedingt ist.So BGH NJW 1953, 1442; Freund, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Hdb. StrafR, Bd. 5 (2020), § 46 Rn. 46 ff.; ebenso noch, aber in anderem Kontext (Anlasstat für eine Unterbringung) BGH NStZ-RR 2015, 273 (274). Für die Strafbarkeit der T nach § 242 Abs. 1 StGB käme es also darauf an, ob sie die Mäntel auch in nüchternem Zustand verwechselt hätte. § 323a StGB solle nach Historie und Telos das Strafbarkeitsdefizit überwinden, das durch den Rausch entsteht. Hierzu gehöre aber nicht nur die Schuldunfähigkeit. Vielmehr seien im Rahmen des § 323a StGB auch andere rauschbedingte Umstände – gewissermaßen als „materielles Strafbarkeitsdefizit“ – unbeachtlich.Vgl. RGSt 70, 159 (160); Spendel, in: LK-StGB, Bd. 8, 11. Aufl. (2005), § 323a Rn. 187 ff., 198 ff.

Heute ist jedoch zu Recht weitgehend anerkannt, dass auch rauschbedingte Tatumstandsirrtümer bei Vorsatzdelikten eine taugliche Rauschtat ausschließen.Statt vieler Geppert, JURA 2009, 40 (45); iE auch BGHSt 18, 235 (236 f.). Dass rauschbedingte Tatumstandsirrtümer den Täter nicht entlasten sollen, verstößt gegen das im Wortlaut der §§ 323a Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5, 16 Abs. 1 StGB definierte Erfordernis einer rechtswidrigen Tat. Sosehr das Telos des § 323a StGB auch für eine solche Reduktion des gesetzlichen Tatbestandes sprechen mag, sie scheitert an Art. 103 Abs. 2 GG. Hinzu kommt, dass allgemein im Rahmen des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB – in Abgrenzung zu § 17 StGB – Ursache und Vermeidbarkeit des Irrtums irrelevant sind. Der Zweck, abweichend davon die rauschbedingte Sachverhaltsverkennung zu erfassen, lässt sich § 323a StGB nicht beilegen und käme letztlich einer unzulässigen Erfolgshaftung nahe.Vgl. Schroeder, in: Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, 10. Aufl. (2012), § 96 Rn. 13; Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 66.

Im Übrigen kommt eine Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB in Betracht, wenn T die Verwechslung nach Ende des Rausches bemerkt und den Mantel behält (zu den umstrittenen Konkurrenzverhältnissen s. → Rn. 49).

Verlangt der jeweilige Tatbestand des Rauschdelikts besondere subjektive Tatbestandsmerkmale wie die Absicht rechtswidriger Bereicherung bei § 263 Abs. 1 StGB oder gesteigerte Vorsatzgrade (zB in § 226 Abs. 2 StGB), müssen diese wegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB ebenfalls vorliegen.Differenzierend Otto, JURA 1986, 478 (484). So macht sich T im vorigen Beispiel auch deshalb nicht wegen Vollrauschs strafbar, weil ihr neben dem Vorsatz bezüglich der Fremdheit des Mantels auch die Absicht rechtswidriger Zueignung fehlt.Vgl. Heinrich, in: Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, 17. Aufl. (2021), Rn. 1368.

Fahrlässig begangene Rauschtaten erfüllen die objektive Strafbarkeitsbedingung nur, wenn die fahrlässige Begehung des jeweiligen Delikts strafbar ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 iVm § 15 StGB).Statt aller Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 7. Der Sorgfaltsmaßstab orientiert sich nach hM an den durchschnittlichen Fähigkeiten eines nüchternen Täters.Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 16; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 4. Aufl. (2021), § 40 Rn. 23 f.; teilweise aA (objektivierend) Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Aufl. (2023), § 323a Rn. 15. Allgemein ist anerkannt, dass sich der Täter einerseits nicht darauf berufen kann, rauschbedingt nur eine geringere Sorgfalt anwenden zu können, denn anderenfalls hätte § 323a StGB bei fahrlässigen Rauschtaten kaum einen Anwendungsbereich (vgl. → Rn. 33 f. zum rauschbedingten Verbotsirrtum). Andererseits soll er sich demnach auch nicht wegen Vollrauschs strafbar machen, wenn er die Rauschtat selbst in nüchternem Zustand nicht durch Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt hätte vermeiden können.

Rechtswidrigkeit, Schuld und Erlaubnistatumstandsirrtum bei der Rauschtat

Die Rauschtat muss, wie der Wortlaut des § 323a Abs. 1 StGB schon selbst besagt, rechtswidrig sein.

Weiterhin entlasten den Täter zumeist auch Schuldausschluss- und Entschuldigungsgründe. Nach dem Wortlaut der §§ 323a Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB kommt es zwar nur auf die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit an, nicht dagegen auf die Schuld des Täters. Doch nach Historie und Telos ist diese Formulierung so zu verstehen, dass sie nur das Strafbarkeitsdefizit überwinden soll, das durch die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Täters entsteht. Das ergibt sich aus der in § 323a Abs. 1 StGB enthaltenen Formulierung, wonach die objektive Strafbarkeitsbedingung voraussetzt, dass der Täter wegen der Rauschtat „nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies nicht auszuschließen ist“ (zT als „Subsidiaritätsklausel“ bezeichnet). Gemeint ist, dass der Täter gerade infolge des Rausches straffrei sein muss.Vgl. zum Vorstehenden ausf. Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 72 ff. Damit lassen sonstige Schuldausschluss- und Entschuldigungsgründe – etwa § 35 StGB und prinzipiell auch § 17 S. 1 StGB – die objektive Bedingung der Strafbarkeit entfallen.

Die hM macht hiervon jedoch im Fall eines rauschbedingten Verbotsirrtums eine Ausnahme, sodass dieser das Vorliegen einer Rauschtat nicht berührt.OLG Stuttgart NStZ 1989, 430 (413 f.); krit. Ranft, JZ 1983, 239 (242); aA Heger, in: Lackner/Kühl, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 9. Dies kann man – ähnlich wie die Minderheitsmeinung zum Tatumstandsirrtum – damit begründen, dass § 323a StGB nicht allein die fehlende Schuldfähigkeit, sondern auch andere rauschbedingte Strafbarkeitseinschränkungen überwinden soll. § 20 StGB (in der Variante der fehlenden Einsichtsfähigkeit) wird insoweit als bloßer Spezialfall des § 17 StGB verstanden, bei dem die mangelnde Unrechtseinsicht aus einer seelischen Störung resultiert.BGH MDR 1968, 854 (855); Geppert, JURA 2009, 40 (46). Im Ergebnis soll der Täter das Risiko tragen, dass er im Rausch Recht nicht mehr von Unrecht zu unterscheiden vermag.Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 41. Allerdings kann ein Rausch die Wahrnehmung tatsächlicher Sachverhalte und die Unterscheidung von Recht und Unrecht gleichermaßen beeinträchtigen. Deshalb erscheint es auf Grundlage der Deutung als (abstraktes oder konkretes) Gefährdungsdelikt zweifelhaft, wenn die hM auf Tatbestandsebene neben dem „natürlichen Vorsatz“ auch Tatumstandskenntnis verlangt, auf Schuldebene dagegen rauschbedingte Verbotsirrtümer für unbeachtlich hält. Immerhin ist dieses Verständnis, anders als im Fall des Tatumstandsirrtums, mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, da zumindest der Wortlaut des § 323a StGB keine schuldhafte Rauschtat verlangt.

Vertiefung: Die Behandlung des Erlaubnistatumstandsirrtums hängt zunächst davon ab, welcher Ansicht man hierzu allgemein folgt. Verortet man den Erlaubnistatumstandsirrtum auf Rechtswidrigkeits- bzw. Unrechtsebene (so insb. die herrschende eingeschränkte Schuldtheorie, daneben auch die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen), lässt ein Erlaubnistatumstandsirrtum grundsätzlich bereits das Unrecht der vorsätzlichen Rauschtat entfallen. Es bleibt aber eine Strafbarkeit nach § 323a Abs. 1 StGB mit einer Fahrlässigkeitstat als Rauschtat, sofern die fahrlässige Begehung jeweils strafbar ist, § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog). Bei einer Lösung auf der Schuldebene (insb. mit der strengen Schuldtheorie, aber wohl auch mit der rechtsfolgenverweisenden eingeschränkten Schuldtheorie, nach der nur die „Vorsatzschuld“ entfällt) sind differenzierende Lösungen ähnlich wie beim Verbotsirrtum denkbar.

Gleichwohl finden sich bei allen Theorien Ansätze, wonach ein rauschbedingter Erlaubnistatumstandsirrtum im Rahmen des § 323a StGB ausnahmsweise doch unbeachtlich sein soll.Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 75 (konsequent auf Basis der strengen Schuldtheorie); Schroeder, in: Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, 10. Aufl. (2012), § 96 Rn. 13; vgl. auch OLG Celle NJW 1969, 1775. Hierfür lassen sich ähnliche Argumente anführen wie beim Tatumstandsirrtum, zumal rauschtypische Wahrnehmungsstörungen das Risiko erhöhen, irrig einen Rechtfertigungssachverhalt anzunehmen. Geht man aber mit den eingeschränkten Schuldtheorien davon aus, dass der Erlaubnistatumstandsirrtum einer Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt entgegensteht (ob auf Rechtswidrigkeitsebene oder hinsichtlich der Vorsatzschuld), widerspricht diese Differenzierung der Beachtlichkeit von Tatumstandsirrtümern. Zudem differenzieren die eingeschränkten Schuldtheorien auch bei nüchternen Tätern nicht danach, was die Ursache des Irrtums war und ob der Täter ihn hätte vermeiden können.Geppert, JURA 2009, 40 (45).

Sonstige Strafbarkeitsvoraussetzungen der Rauschtat

Auch Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe sind nach hM in der Regel beachtlich, sodass die objektive Strafbarkeitsbedingung insbesondere im Fall eines wirksamen Rücktritts von einer versuchten Rauschtat nicht erfüllt ist.Jedenfalls bei einem Rücktritt noch während des Rausches; vgl. Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 19 mwN.

Vertiefung: Dieses Ergebnis entspricht den kriminalpolitischen Zwecken des strafbefreienden Rücktritts. Eine dogmatische Begründung fällt mit der Deliktskonzeption der wohl hM jedoch schwer: Zumeist wird darauf abgestellt, dass die Rauschtat nicht deshalb straffrei bleibt, weil der Täter „infolge des Rausches schuldunfähig war“ (wie es in § 323a Abs. 1 StGB am Ende heißt), sondern weil er zurückgetreten ist.BGH NStZ 1994, 131 (m. abl. Anm. Kusch); ähnl. Wolters, in: SK-StGB, Bd. 6, 10. Aufl. (2023), § 323a Rn. 21. Allerdings folgt aus dem besonderen Wesen der objektiven Strafbarkeitsbedingung, dass die Bedingung schon mit der Begehung der Rauschtat eintritt. § 24 StGB, der nach hM lediglich persönlicher Strafaufhebungsgrund ist, kann an der eingetretenen Bedingung nichts mehr ändern und ist auf objektive Bedingungen der Strafbarkeit deshalb nicht direkt anwendbar.Vgl. Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 47. Die Lösung kann daher nicht im Wortlaut des § 323a StGB zu suchen sein, sondern nur in einer analogen Anwendung des § 24 StGB.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 19; Ranft, JZ 1983, 239 (243); abl. Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“ (1985), S. 92 f. Nicht überzeugend ist der Einwand, der Täter könne wegen seiner mangelnden Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht „freiwillig“ iSd § 24 StGB handeln.So Kusch, NStZ 1994, 131 (132). Diese Defekte haben nicht unbedingt Auswirkungen auf die psychologische Entschließungsfreiheit, auf die es für den Rücktritt ankommt. Wie im subjektiven Tatbestand muss insoweit „natürlicher Vorsatz“ ausreichen.BGH NStZ 2004, 324 (325) mwN.

Zusammenfassung

Zusammengefasst gilt, dass § 323a StGB lediglich die (tatsächliche oder nicht auszuschließende) Schuldunfähigkeit „überwindet“. In die Vorschrift ist also hineinzulesen, dass der Täter „nur deshalbOtto, BT, 7. Aufl. (2005), § 81 Rn. 16. nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. Im Übrigen müssen alle Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sein. Eine Ausnahme kommt lediglich für rauschbedingte Irrtümer in Betracht, wobei Begründung und Ergebnis bei den einzelnen Irrtumsarten umstritten sind.

Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat

Die oben genannten Voraussetzungen an die Rauschtat selbst sind weitgehend anerkannt. Daneben ist jedoch sehr umstritten, ob der Täter bereits beim Sich-Berauschen eine subjektive Vorwerfbarkeitsbeziehung zur Rauschtat aufweisen muss. Hier wirkt sich die Kontroverse um die Rechtfertigung des § 323a StGB vor dem Schuldprinzip (→ Rn. 5 ff.) hauptsächlich aus.

Der Teil der Literatur, der eine „rein“ objektive Strafbarkeitsbedingung bei § 323a StGB für nicht mit dem Schuldprinzip vereinbar hält, fordert, dass der Täter in gewissem Umfang schon vor Eintritt des Rauschzustandes vorhersehen können muss, dass er eine Rauschtat begehen wird. Welches Maß an Vorhersehbarkeit notwendig ist, wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass der Täter – in Abgrenzung zur fahrlässigen a.l.i.c. – nicht die konkrete Rauschtat voraussehen können muss. Zum Teil wird verlangt, der Täter müsse die „spezifische Rauschgefährlichkeit“ erkennen, d. h. Ausschreitungen „von der Art der eingetretenen“ vorhersehen können.Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl. (2020), § 23 Rn. 9; Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 57 mwN. Andere halten niedrigere Anforderungen an den Bezug zur konkreten Tat für ausreichend, sodass es darauf ankommen soll, ob der Täter wissen muss, dass er im berauschten Zustand zu kriminellen Handlungen neigt oder dass aufgrund konkreter Konstellationen die Gefahr von Rauschtaten besteht (zB bei emotional aufgeladener Gruppenatmosphäre).In diese Richtung Fischer, StGB, 71. Aufl. (2024), § 323a Rn. 19a; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 4. Aufl. (2021), § 40 Rn. 12; zust. auch Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 60; vgl. (zu § 21) StGB BGH NStZ 2008, 619 (620). Vermittelnd wird als Kriterium auch herangezogen, ob vorhersehbare und tatsächlich eingetretene Rauschtat in der Art des verletzten Rechtsguts und im Handlungsunrecht übereinstimmen.Geppert, JURA 2009, 40 (41); Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 1.

Auch die Rechtsprechung ist nach eigenen Angaben „bislang nicht zu einem durchgehend einheitlichen Verständnis dieser Vorschrift gelangt“.BGHSt 49, 239 (251); zusammenfassend zur Rechtsprechungsentwicklung Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 55 f. Trotz ihrer Konzeption eines abstrakten Gefährdungsdelikts verlangen einzelne Entscheidungen zumindest nominell eine subjektive Beziehung zur Rauschtat. Der Täter müsse vorhersehen können, im Rausch „Ausschreitungen strafbarer Art“ zu begehen, wobei sich diese Vorhersehbarkeit jedoch „in aller Regel derart von selbst versteht“, dass sie nur in Ausnahmefällen anzuzweifeln sei.So zunächst der 5. Strafsenat in BGHSt 10, 247 (251). Spätere Entscheidungen lehnen jedoch selbst eine solche marginale Einschränkung ab.So der 1. Strafsenat in BGHSt 16, 124 (125 f.). In jüngerer Zeit wird die Frage regelmäßig offengelassen.BGH StV 2019, 226 (228); BayObLG NJW 1990, 2334 (2335); OLG Hamm NStZ 2009, 40 (m. Anm. Geisler).

Klausurhinweis: Die Frage nach der subjektiven Beziehung zur Rauschtat dürfte in der typischen Klausur, in der § 323a StGB im Anschluss an die Strafbarkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa zu prüfen ist, keine große Rolle spielen. Denn bei einer vorsätzlichen a.l.i.c. ist sogar Vorsatz hinsichtlich der konkreten Rauschtat erforderlich und bei einer fahrlässigen a.l.i.c. muss das Sichberauschen sorgfaltswidrig und eine Rauschtat vorhersehbar sein. Etwaige subjektive Anforderungen im Rahmen des § 323a StGB sind dann in der Regel auch erfüllt, sodass eine Stellungnahme nicht erforderlich ist. Auch dann sollte das Problem aber knapp angedeutet werden.

Vertiefung: Die Deliktsnatur des § 323a StGB ist vor allem für die subjektiven Anforderungen relevant, kann daneben aber auch bei anderen Fragen eine Rolle spielen. So kann es vorkommen, dass der Täter Vorkehrungen getroffen hat, um die Gefahren des Rausches möglichst auszuschließen („Zurüstung“), es aber in einer unvorhersehbaren Lage doch zu einer Rauschtat kommt. Hält man die Vorschrift für ein abstraktes Gefährdungsdelikt, könnte man eine Strafbarkeit nur aufgrund einer teleologischen Reduktion verneinen, woran im Allgemeinen sehr hohe Anforderungen zu stellen wären (vgl. die entsprechende Problematik bei § 306a Abs. 1 StGB). Die Annahme eines konkreten Gefährlichkeitsdelikts ließe dagegen mehr Raum dafür, eine Gefährlichkeit im Einzelfall abzulehnen.Näher Ranft, JURA 1988, 133 (138 f.); vgl. auch BGHSt 10, 251.

Täterschaft und Teilnahme

Täterschaft

§ 323a StGB ist nach hM ein eigenhändiges Delikt. Es setzt tatbestandlich voraus, dass sich der Täter selbst im Rausch befindet; anderenfalls ist es nicht möglich, einen Vollrausch als mittelbarer Täter oder Mittäter zu begehen.Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 22; krit. Freund, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Hdb. StrafR, Bd. 5 (2020), § 46 Rn. 53; aA Schroeder, in: Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, 10. Aufl. (2012), § 96 Rn. 24. Es bleibt aber etwa denkbar, dass der Täter sich in „mittelbarer Täterschaft“ selbst berauscht, indem er zB einen gutgläubigen Arzt als Werkzeug einsetzt, um Morphin verabreicht zu bekommen.Fahl, JuS 2005, 1076 (1081).

Teilnahme

Hinsichtlich der Teilnahme ist zwischen Rauschdelikt und Vollrausch zu unterscheiden: Die Teilnahme am Rauschdelikt ist ohne weiteres möglich, da § 20 StGB lediglich die Schuld entfallen lässt und §§ 2627 Abs. 1 StGB nur eine rechtswidrige Haupttat voraussetzen.

Die hM hält aber auch eine Teilnahme am Vollrausch (in der Vorsatzvariante) für möglich.Implizit BGHSt 10, 247 (248); aA Heger, in: Lackner/Kühl, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 17.

Vertiefung mit Fallbeispiel: Gastwirt W schenkt den Gästen in seiner Kneipe reichlich Alkohol aus. Er geht dabei nicht davon aus, dass die betrunkenen Gäste Straftaten begehen könnten. Eines Abends betrinkt sich jedoch der Gast G bis zur Schuldunfähigkeit, bricht einen Streit mit dem anderen Gast O vom Zaun und schlägt diesen nieder. Strafbarkeit von W?

Eine Strafbarkeit des W gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 StGB scheidet jedenfalls deshalb aus, weil W keinen (Eventual-)Vorsatz hinsichtlich der Haupttat des G hat. Er könnte sich aber gem. §§ 323a Abs. 1, 27 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Alkohol an G ausschenkte und hierdurch dessen Vollrausch förderte.

Einige verneinen jedoch generell, dass eine Teilnahme am Vollrausch möglich sei, weil die von § 323a StGB aufgestellte Pflicht zur Selbstkontrolle höchstpersönlicher Natur sei.So zB Heger, in: Lackner/Kühl, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 17. Allerdings macht § 28 Abs. 1 StGB gerade nur die Täterschaft von einer besonderen persönlichen Pflichtenstellung abhängig, nicht jedoch die Teilnahme. Schwerer wiegt das Argument, eine Teilnahmestrafbarkeit führe, gerade für Gastwirte, zu einer erheblichen Haftungsausweitung.Popp, in: LK-StGB, Bd. 18, 13. Aufl. (2022), § 323a Rn. 139; Ranft, JZ 1983, 239 (244). Denn die Teilnahme an der Rauschtat würde Vorsatz bezüglich dieser voraussetzen, wohingegen für die Teilnahme am Vollrausch – wenn man keine subjektive Beziehung zur Rauschtat fordert – Vorsatz hinsichtlich der Herbeiführung des Rausches ausreicht. Doch zum einen ist dies nur die logische Folge der Konzeption als abstraktes Gefährdungsdelikt mit objektiver Strafbarkeitsbedingung.Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 70. Zum anderen ist das Strafbarkeitsrisiko begrenzt durch die Grundsätze der Beihilfe durch sog. „neutrales“ Verhalten sowie die allgemeinen Anforderungen an die objektive Zurechnung und die Konkretisierung des Beihilfevorsatzes.Ähnl. Rengier, BT II, 24. Aufl. (2023), § 41 Rn. 26.

Eine Teilnahme des W am Vollrausch des G ist deshalb nach heute hM möglich,Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 323a Rn. 23; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 11. Aufl. (2022), S. 481 f.; aA Heger, in: Lackner/Kühl, 30. Aufl. (2023), § 323a Rn. 17. allerdings wären die Fragen des erlaubten Risikos (vgl. § 20 Nr. 2 GastG), der Beihilfe durch „neutrales“ Verhalten sowie die Anforderungen an die subjektive Beziehung zur Rauschtat näher zu diskutieren. Außerdem setzt eine Teilnahme voraus, dass es sich um ein vorsätzliches Sich-Berauschen handelt.

Zu beachten ist schließlich, dass in dieser Konstellation noch weitere Vorschriften zu prüfen sind. Die Rechtsprechung diskutiert den Fall nicht vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme an § 323a StGB, sondern nimmt unter bestimmten Voraussetzungen eine Unterlassungsstrafbarkeit des Wirtes (zB aus §§ 229, 13 Abs. 1 StGB) an, weil diesen eine Garantenpflicht treffen soll, rechtswidrige Taten seiner betrunkenen Gäste (insb. Trunkenheitsfahrten) zu verhindern.Vgl. BGHSt 19, 152 (154 ff.); 26, 35 (38); weitergehend noch BGHSt 4, 20 (21 f.).

Versuch

Der Versuch des § 323a Abs. 1 StGB ist, unabhängig von der Strafdrohung der Rauschtat, nicht strafbar (§§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB). Hiervon zu unterscheiden ist aber der Fall, dass lediglich die Rauschtat im Versuchsstadium steckenbleibt. In diesem Fall ist der Vollrausch bereits mit dem Eintritt des Rausches vollendet und mit der versuchten Rauschtat – sofern deren Versuch strafbar ist – die objektive Bedingung der Strafbarkeit eingetreten (zum Rücktritt von der Rauschtat → Rn. 36 f.).

Konkurrenzen

Mehrere Taten in einem Rausch stellen nur ein Vollrauschdelikt dar, denn die Tathandlung ist das Sich-Versetzen in den Rausch, wohingegen die Rauschtaten nur objektive Bedingung der Strafbarkeit sind.BGHSt 13, 223 (225); Safferling, in: Matt/Renzikowski-StGB, 2. Aufl. (2020), § 323a Rn. 20. Zu Taten, die vor oder nach dem Rausch begangen werden, steht der Vollrausch in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB).Vgl. zu Sonderproblemen (insb. Dauerdelikten, § 142 StGB und Anschlusstaten nach der Ernüchterung): Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 74; Geppert, JURA 2009, 40 (48); Fahl, JuS 2005, 1076 (1080 f.).

Kann eine Rauschtat nach den Grundsätzen der a.l.i.c. zugerechnet werden, schließt dies eine Anwendung des § 323a Abs. 1 StGB grundsätzlich aus. Zum einen kann der Täter in diesem Fall wegen der Rauschtat bestraft werden, sodass die objektive Strafbarkeitsbedingung nicht erfüllt ist (Subsidiaritätsklausel).Geppert, JURA 2009, 40 (48); ähnl. Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 68. Zum anderen kommt § 323a StGB als Gefährdungsdelikt kein selbständiger Unrechtsgehalt zu, wenn man dem Täter sogar die Rauschtat als Verletzungsdelikt vorwerfen kann.

Aus diesen Begründungen ergeben sich jedoch auch zwei Ausnahmen: Erstens steht § 323a Abs. 1 StGB mit der fahrlässigen a.l.i.c. in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB), wenn diese den Unrechts- und Schuldgehalt des Vollrauschs nicht hinreichend erfasst. Damit sollen Widersprüche zwischen den Strafrahmen vermieden werden.Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 73. Das ist indes bei näherer Betrachtung zweifelhaft, da es die Subsidiaritätsklausel des § 323a Abs. 1 StGB umgeht; vgl. Paeffgen, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 323a Rn. 68a.

Beispiel: T betrinkt sich bis zur Schuldunfähigkeit und verkennt dabei fahrlässig, dass er in diesem Zustand seine Ehefrau E misshandeln wird. Im Rausch schlägt T die E.

§ 323a Abs. 1 StGB eröffnet einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Auch § 323a Abs. 2 StGB steht dem nicht entgegen, da die im Rausch begangene vorsätzliche Körperverletzung keinen geringeren Strafrahmen enthält. Dagegen führt die fahrlässige a.l.i.c. nur zu einem Strafrahmen von maximal drei Jahren (§ 229 StGB). Daher ist T strafbar wegen Vollrauschs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung.

Zweitens kann es bei mehreren Taten in einem Rausch vorkommen, dass manche dem Täter nach den Grundsätzen der a.l.i.c. zugerechnet werden können, andere dagegen nicht. Dann steht die Vollrauschtat mit den a.l.i.c.-Taten in Tateinheit.BGHSt 17, 333 (335).

Beispiel: T will ihrer Nebenbuhlerin O eine „Abreibung“ verpassen und trinkt sich bis zur Schuldunfähigkeit Mut an. Sie fährt, wie geplant, mit ihrem Auto zu O und verprügelt diese.

Hinsichtlich des § 223 Abs. 1 StGB ist T nach den Grundsätzen der vorsätzlichen a.l.i.c. strafbar. Daneben hat T § 323a Abs. 1 StGB mit der Rauschtat des § 316 Abs. 1 StGB verwirklicht, der als eigenhändiges Delikt nicht nach den Grundsätzen der a.l.i.c. bestraft werden kann. Deshalb stehen die Körperverletzung und der Vollrausch in Tateinheit.

Rechtsfolgen und Prozessuales

Ein Strafantrag ist erforderlich, soweit dies für die jeweilige Rauschtat vorgesehen ist (§ 323a Abs. 3 StGB). Auch im Übrigen wird § 323a StGB prozess- und verjährungsrechtlich weitgehend in Abhängigkeit von der Rauschtat behandelt. Auf Strafzumessungsebene führt die Differenzierung zwischen Rausch und unrechts- und schuldunabhängiger Rauschtat allerdings zu erheblichen Schwierigkeiten.Näher Geisler, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 323a Rn. 81 ff.

Wenn sich das Vorliegen eines Rausches nicht feststellen lässt, ist eine ungleichartige („echte“) Wahlfeststellung zwischen § 323a StGB und der Rauschtat ausgeschlossen; jedoch besteht nach hM ein normativ-ethisches Stufenverhältnis (Fallbeispiel unter → Rn. 21).

Studienliteratur und Übungsfälle

Studienliteratur

  • Fahl, Der strafbare Vollrausch (§ 323a StGB), JuS 2005, 1076 

  • Geppert, Die Volltrunkenheit (§ 323a StGB), JURA 2009, 40 

  • Otto, Der Vollrauschtatbestand (§ 323a StGB), JURA 1986, 478

  • Ranft, Die rauschmittelbedingte Verkehrsdelinquenz, JURA 1988, 133

  • Ranft, Grundprobleme des Vollrauschtatbestandes (§ 323a StGB), JA 1983, 193 

  • Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, JuS 2011, 697 

Übungsfälle

  • Bischoff/Kosmeier, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Urteilsklausur – Eindeutig unklar, JuS 2015, 59

  • Bosch, Übungen im Strafrecht, 9. Aufl. (2023), Fall 12 Rauschtat (S. 303 ff.)

  • Oğlakcıoğlu, Übungsfall: The Hangover Part I, ZJS 2013, 482

  • F. C. Schroeder, Übungsklausur - Strafrecht: Der Vollrausch (§ 323a StGB), JuS 2004, 312

  • Schumann/Rahimi Azar, „Ein brandgefährlicher Tag“, JA 2017, 114