Jens Gerlach Privatisierungs- und Vergaberecht Licensed under CC-BY-4.0

Vergaberecht Übungsfall: Abfallentsorgungsverträge in der Familie

Anwendungsbereich des Vergaberechts, Öffentlicher Auftraggeber, wesentliche Änderung eines bestehenden Auftrags, Inhouse-Geschäft

Sachverhalt

Fünf Landkreise in Nordrhein-Westfalen haben sich vor einiger Zeit zusammengeschlossen, um ihre Abfallentsorgung gemeinsam zu organisieren. Bereits im Jahr 2007 haben sie die Westfälische Müllgesellschaft gegründet, eine GmbH, deren Anteile die Landkreise zu gleichen Teilen halten und die sich seitdem um die Abfallentsorgung in den Landkreisen kümmert. Die jährlichen Aufwendungen bekommt die Westfälische Müllgesellschaft von den Landkreisen erstattet. Im Wettbewerb zu anderen Unternehmen steht die Westfälische Müllgesellschaft nicht. Seit dem Jahr 2012 lässt die Westfälische Müllgesellschaft nach Anweisung ihrer Anteilseigenerinnen die Abfallentsorgung in den Landkreisen durch die Metropolreinigung erbringen. Auch die Metropolreinigung ist als GmbH organisiert, an der dieselben Landkreise zu gleichen Teilen Anteile halten. Andere Aufgaben als die Erfüllung des Vertrags mit der Westfälischen Müllgesellschaft hat die Metropolreinigung nicht.

Der Vertrag mit der Metropolreinigung wird am 31.12.2022 auslaufen. Die Westfälische Müllgesellschaft ist mit der bestehenden Konstellation zufrieden. Sie möchte den Vertrag am liebsten zunächst um ein Jahr verlängern, um sich dann nach einer genauen Marktstudie und intensivem Austausch mit ihren Anteilseignern die Zukunft der städtischen Abfallentsorgung zu überlegen. Den Wert des Vertragsgegenstandes in diesem Zeitraum schätzt sie auf fünf Millionen Euro. Die Bezahlung soll direkt durch den Etat der Westfälischen Müllgesellschaft erfolgen. Die Geschäftsführung schlägt ihren Anteilseignern daher vor, den Vertrag der Metropolreinigung um ein Jahr zu verlängern. Die Rechtsabteilung eines der Landkreise hat jedoch Bedenken, ob dies so einfach „am Vergaberecht vorbei“ möglich ist. Die Westfälische Müllgesellschaft meint, sie sei schon nicht an das Vergaberecht gebunden. Außerdem verlängere man ja nur einen schon bestehenden Auftrag und erteile keinen neuen. Jedenfalls bleibe der Auftrag doch „in der Familie“.

Kann die Westfälische Müllgesellschaft den Vertrag mit der Metropolreinigung um ein Jahr verlängern, ohne ein Vergabeverfahren nach dem GWB durchzuführen?

Bearbeitungshinweise:

  • Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass den Landkreisen nach nordrhein-westfälischem Landesrecht die Aufgabe zukommt, die in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle zu entsorgen.

  • Die Gesellschafterversammlungen sowohl der Westfälischen Müllgesellschaft als auch der Metropolreinigung setzen sich aus je einem Vertreter jedes Landkreises zusammen. Die Geschäftsführer beider Gesellschaften müssen laut Gesellschaftsvertrag durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafterversammlung bestimmt werden.

  • Der Schwellenwert für Dienstleistungen nach Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU beträgt € 215.000.

Lösungsvorschlag

Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden nach § 97 Abs. 1 S. 1 GWB im Wettbewerb im Wege transparenter Verfahren vergeben. Die Westfälische Müllgesellschaft kann den Vertrag mit der Metropolreinigung daher nur dann verlängern, ohne ein Vergabeverfahren nach dem GWB durchzuführen, wenn der Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts nicht eröffnet ist. Nach § 106 Abs. 1 S. 1 GWB gilt der vierte Teil des GWB für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie die Ausrichtung von Wettbewerben, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Zu prüfen ist also, ob es sich bei der Verlängerung des Vertrags um die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen oder die Ausrichtung von Wettbewerben handelt (A.) und ob die maßgeblichen Schwellenwerte erreicht werden (B.). Schließlich darf nach §§ 107109 GWB keine Ausnahme vom Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB eingreifen (C.).

Klausurhinweis zur Prüfungsreihenfolge

Die Voraussetzungen müssen nicht zwingend in dieser Reihenfolge und auch nicht zwingend in dieser Gliederung geprüft werden. Entscheidend ist, dass auf alle aufgeworfenen Anwendungsfragen eingegangen wird.

Vergabe eines öffentlichen Auftrags

Öffentliche Aufträge sind nach § 103 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben.

Öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber

Zunächst ist zu prüfen, ob es sich bei der Westfälischen Müllgesellschaft um eine öffentliche Auftraggeberin oder Sektorenauftraggeberin handelt. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers ist in § 99 GWB definiert.

Keine öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 1 GWB

Nach § 99 Nr. 1 GWB sind unter anderem Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen öffentliche Auftraggeber. Gebietskörperschaften sind der Bund, die Länder, die Gemeinden und die Gemeindeverbände. Mit Sondervermögen sind vor allem Eigen- und Regiebetriebe gemeint. Die Westfälische Müllgesellschaft ist eine eigene Rechtsperson und als GmbH organisiert. Der bloße Umstand, dass all ihre Anteile von Gebietskörperschaften, nämlich den Landkreisen gehalten werden (§ 1 Abs. 2 KrO NRW), macht die Westfälische Müllgesellschaft selbst nicht zu einer Gebietskörperschaft im Sinne von § 99 Nr. 1 GWB.

Öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB

Möglicherweise ist die Westfälische Müllgesellschaft eine sogenannte funktionelle öffentliche Auftraggeberin nach Maßgabe von § 99 Nr. 2 GWB. Hiernach sind juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts öffentliche Auftraggeberinnen, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern sie nach Maßgabe der Buchst. a), b) oder c) staatsgebunden sind.

Juristische Person des öffentlichen oder des privaten Rechts

Die Westfälische Müllgesellschaft ist als GmbH eine juristische Person des privaten Rechts (vgl. § 13 Abs. 1 GmbHG).

Gründung zu dem besonderen Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen

Im Allgemeininteresse liegen Tätigkeiten, die nicht allein dem Interesse des Rechtsträgers oder der an ihm Beteiligten dienen, sondern zumindest auch der Befriedigung kollektiver Bedürfnisse. Die Westfälische Müllgesellschaft wurde gegründet, um eine gemeinsame Abfallentsorgung in den fünf Landkreisen zu organisieren. Die Abfallentsorgung obliegt dabei nach dem Sachverhalt den Landkreisen. Ihr Zweck sind unter anderem die Schonung der natürlichen Ressourcen und der Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen (vgl. § 1 Abs. 1 KrWG). Die Aufgabe der Abfallentsorgung dient damit zumindest auch der Befriedigung kollektiver Bedürfnisse und liegt somit im Allgemeininteresse.

Nichtgewerblichkeit der Aufgaben

Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit schließt Tätigkeiten vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus, die mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgen und mit bestimmtem unternehmerischem Risiko bis hin zur Gefahr einer Insolvenz ausgeübt werden. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass schon der bestehende Wettbewerbsdruck wirtschaftlich ausgerichtete Vergabeentscheidungen mit sich bringt. Da die Westfälische Müllgesellschaft nicht im Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht und ihre Aufwendungen von den Landkreisen erstattet bekommt, trägt sie kein unternehmerisches Risiko und handelt damit nicht gewerblich.

Überwiegende Finanzierung durch Stellen nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB

Der Umstand, dass der Westfälischen Müllgesellschaft ihre jährlichen Aufwendungen durch ihre Anteilseigner erstattet werden, bei denen es sich ausnahmslos um Gebietskörperschaften und damit um Stellen im Sinne von § 99 Nr. 1 GWB handelt, begründet schließlich auch die überwiegende Finanzierung im Sinne von § 99 Nr. 2 lit. a) GWB. Darauf, dass die Landkreiszudem die Aufsicht über die Geschäftsführung der Westfälischen Müllgesellschaft in der Rechtsform der GmbH ausüben und ihre Mitglieder bestimmen (vgl. §§ 45 ff. GmbHG), kommt es nicht mehr entscheidend an.

Zwischenergebnis

Im Ergebnis ist die Westfälische Müllgesellschaft somit funktionelle öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB.

Öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 3 GWB

Zu den Verbänden im Sinne von § 99 Nr. 3 GWB zählen alle rechtsfähigen Zusammenschlüsse, die mitgliedschaftlich verfasst sind. Ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind, spielt keine Rolle. Damit kann auch eine GmbH Verband sein. Da die Mitglieder der Westfälischen Müllgesellschaft allesamt Gebietskörperschaften im Sinne von § 99 Nr. 1 GWB sind, ist die Westfälische Müllgesellschaft auch nach § 99 Nr. 3 GWB öffentliche Auftraggeberin.

Vertiefungshinweis zur Auftraggebereigenschaft

Der Aufwand für die Begründung der Eigenschaft als öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 3 GWB ist deutlich geringer als nach § 99 Nr. 2 GWB. Allerdings wird teilweise vertreten, § 99 Nr. 3 GWB habe nur eine Auffangfunktion und § 99 Nr. 2 GWB sei vorrangig zu prüfen.

Zwischenergebnis

Die Westfälische Müllgesellschaft ist öffentliche Auftraggeberin.

Unternehmen

Die Metropolreinigung ist eine juristische Person des privaten Rechts, die als Wirtschaftsteilnehmerin ihre Leistungen am Markt anbietet, und damit Unternehmen im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.

Vertrag

Das Merkmal Vertrag erfordert eine rechtliche Verbindung zwischen zwei verschiedenen Rechtssubjekten. Bei der Westfälische Müllgesellschaft und der Metropolreinigung handelt es sich um zwei solche verschiedenen Rechtssubjekte. Zweifel am Vorliegen des Merkmals des Vertrags kommen nur insofern auf, als zwischen den beiden Rechtssubjekten bereits eine vertragliche Beziehung besteht, die nur verlängert werden soll – zu einem Neuabschluss soll es nicht kommen. Allerdings bestimmt § 132 Abs. 1 S. 1 GWB, dass auch wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern.

Zulässigkeit der Änderung ohne neues Vergabeverfahren nach § 132 Abs. 3 GWB?

Nach § 132 Abs. 3 S. 1 GWB ist die Auftragsänderung jedenfalls dann ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung die jeweiligen Schwellenwerte nach § 106 GWB nicht übersteigt und bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 Prozent und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt. Hier ändert sich zwar durch eine bloße Verlängerung bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen nicht der Gesamtcharakter des Auftrags. Allerdings beträgt der geschätzte Wert des Vertragsgegenstandes für den Zeitraum der Verlängerung fünf Millionen Euro. Der Schwellenwert für Dienstleistungen nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU beträgt € 215.000. Abfallentsorgung ist eine Dienstleistung im Sinne von § 103 Abs. 4 GWB. Damit wird der maßgebliche Schwellenwert überschritten, sodass die Auftragsänderung nicht nach § 132 Abs. 3 S. 1 GWB ohne neues Vergabeverfahren zulässig ist.

Vertiefungshinweis zur Systematik

Daraus folgt nicht zwingend, dass die Auftragsänderung wesentlich und damit ein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. Jedenfalls müsste ein solcher Umkehrschluss aus § 132 Abs. 3 GWB gut begründet werden.

Zulässigkeit der Änderung ohne neues Vergabeverfahren nach § 132 Abs. 2 GWB?

Auch ein Fall des § 132 Abs. 2 GWB liegt nicht vor. Insbesondere waren in den ursprünglichen Vergabeunterlagen keine klaren, genauen und eindeutig formulierten Überprüfungsklauseln oder Optionen vorgesehen, die Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthielten (§ 132 Abs. 2 S. 1 Nr.1 GWB).

Wesentlichkeit der Änderung nach § 132 Abs. 1 S. 1 GWB?

Damit kommt es auf die Wesentlichkeit der Änderung an. Wesentlich sind Änderungen nach § 132 Abs. 1 S. 2 GWB, wenn sie dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet. Nach § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 GWB liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn mit der Änderung der Umfang des öffentlichen Auftrags erheblich ausgeweitet wird. Hier besteht zwar schon seit 2012 ein Vertrag zwischen der Westfälischen Müllgesellschaft und der Metropolreinigung über die Erbringung der in Rede stehenden Dienstleistungen, der nun um nur ein weiteres Jahr verlängert werden soll. Rein zeitlich spricht das gegen eine „erhebliche“ Ausweitung des Auftragsumfangs. Bezieht man allerdings den Wert der Änderung mit ein, der die maßgeblichen Schwellenwerte um ein Vielfaches übersteigt, spricht vieles dafür, dass auch andere Unternehmen ein Interesse daran haben können, diesen Auftrag erteilt zu bekommen. Berücksichtigt man dazu den Zweck des § 132 GWB, sicherzustellen, dass diejenigen Vertragsänderungen nicht ohne neues Vergabeverfahren erfolgen, die für den Wettbewerb der Unternehmen relevante Änderungen zur Folge haben, ist eine Verlängerung um ein Jahr mit diesem Wert als wesentlich anzusehen.

Zwischenergebnis

Es handelt sich damit um eine wesentliche Auftragsänderung im Sinne von § 132 Abs. 1 S. 1 GWB und das Merkmal des Vertrags nach § 103 Abs. 1 GWB ist erfüllt.

Beschaffung von Leistungen

Indem die Metropolreinigung Dienstleistungen aufgrund des Vertrags für die Westfälische Müllgesellschaft erbringt, trägt sie dazu bei, dass die Westfälische Müllgesellschaft die ihr obliegende Aufgabe erledigt. Gegenstand des Vertrags ist demnach die Beschaffung von Leistungen im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.

Entgeltlichkeit

Der Vertrag bestimmt eine Gegenleistung der Westfälische Müllgesellschaft und ist damit entgeltlich.

Zwischenergebnis

Bei der Verlängerung des Vertrags handelt es sich somit um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags.

Erreichen des festgesetzten Schwellenwerts

Der nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU maßgebliche Schwellenwert für Dienstleistungen in Höhe von € 215.000 wird, wie oben dargestellt, überschritten.

Kein Eingreifen einer Ausnahme nach §§ 107–109 GWB

Zu prüfen ist schließlich, ob der vierte Teil des GWB wegen einer Ausnahmebestimmung in §§ 107109 GWB nicht anwendbar ist. In Betracht kommen Ausnahmen nach § 108 Abs. 1 und Abs. 4 GWB.

Ausnahme nach § 108 Abs. 1, Abs. 3 GWB

Vorliegen der Voraussetzungen von § 108 Abs. 1 GWB

Nach § 108 Abs. 1 GWB ist der vierte Teil des GWB nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die von einem öffentlichen Auftraggeber im Sinne von § 99 Nr. 1–3 GWB an eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts vergeben wird, wenn die Voraussetzungen nach Nr. 1–3 vorliegen. Die Westfälische Müllgesellschaft ist zwar öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 99 Nr. 2 und Nr. 3 GWB, die Metropolreinigung juristische Person des privaten Rechts. Die Westfälische Müllgesellschaft übt indessen ersichtlich keine ähnliche Kontrolle über die Metropolreinigung wie über ihre eigenen Dienststellen im Sinne von § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB aus. Damit fehlt es an den Voraussetzungen von § 108 Abs. 1 GWB.

Vorliegen der Voraussetzungen von § 108 Abs. 3 GWB

Allerdings gilt § 108 Abs. 1 GWB nach § 108 Abs. 3 S. 1 GWB auch für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die von einer kontrollierten juristischen Person, die zugleich öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 99 Nr. 1–3 GWB ist, an eine andere von dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber kontrollierte juristische Person – das heißt der Sache nach an eine ebenfalls kontrollierte Schwestergesellschaft – vergeben werden. Diese Vorschrift kommt hier in Betracht, da die fünf Landkreise – öffentliche Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB – sowohl an der Westfälischen Müllgesellschaft – öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 99 Nr. 2 und Nr. 3 GWB – als auch an der Metropolreinigung jeweils zu gleichen Teilen und ausschließlich die Anteile halten. Indessen verlangt § 108 Abs. 3 S. 1 GWB, dass die beiden am öffentlichen Auftrag beteiligten Einheiten jeweils von einem öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden. Diese Voraussetzung ist, da hier fünf Landkreise in gleicher Weise an den beiden Einheiten beteiligt sind, ersichtlich nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

Damit liegt keine Ausnahme nach § 108 Abs. 1, Abs. 3 GWB vor.

Klausurhinweis zur Ausführlichkeit der Prüfung

Die Anwendung von § 108 Abs. 1 und Abs. 3 GWB kann auch kürzer abgelehnt werden, indem unmittelbar und nur darauf verwiesen wird, dass nicht ein öffentlicher Auftraggeber allein die Metropolreinigung kontrolliert, egal, ob nun auf die Westfälische Müllgesellschaft oder die Landkreise abgestellt wird. Allerdings sollten die Voraussetzungen von § 108 Abs. 3 S. 1 GWB dann zumindest im Rahmen der Prüfung von § 108 Abs. 4 GWB angesprochen werden.

Ausnahme nach § 108 Abs. 4, Abs. 3 GWB

§ 108 Abs. 4 GWB enthält eine weitere Ausnahmebestimmung für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, bei denen der öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1–3 GWB über eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts zwar nicht allein die Kontrolle im Sinne des § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausübt, aber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern.

Vorliegen der Voraussetzungen einer gemeinsamen Kontrolle nach § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB

Wann eine solche gemeinsame Kontrolle besteht, bestimmt § 108 Abs. 5 GWB. Hier setzen sich die beschlussfassenden Organe der Metropolreinigung, das heißt die Gesellschafterversammlungen, aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber, der Landkreise, zusammen (§ 108 Abs. 5 Nr. 1 GWB). Der Geschäftsführer der Metropolreinigung muss laut Gesellschaftsvertrag durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafter bestimmt werden. Auf diese Weise können die Landkreise gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der Metropolreinigung ausüben (§ 108 Abs. 5 Nr. 2 GWB). Schließlich verfolgt die Metropolreinigung keine Interessen, die den Interessen der Landkreise zuwiderlaufen (§ 108 Abs. 5 Nr. 3 GWB). Die Metropolreinigung wird demnach von den fünf Landkreisen gemeinsam im Sinne von § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB kontrolliert.

Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach § 108 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 GWB

Da die Metropolreinigung keine anderen Aufgaben als die Erfüllung des Vertrags mit der Westfälischen Müllgesellschaft hat, dienen auch mehr als 80 Prozent ihrer Tätigkeiten der Ausführung von Aufgaben, mit denen sie von einer anderen juristischen Person (Westfälische Müllgesellschaft) betraut wurde, die von den öffentlichen Auftraggeber (Landkreise) kontrolliert wird (§ 108 Abs. 4 Nr. 2 GWB). Auch die letzte Voraussetzung in § 108 Abs. 4 Nr. 3 GWB, dass an der den Auftrag erhaltenden juristischen Person keine private Kapitalbeteiligung bestehen darf, ist erfüllt.

Anwendung der Schwestern-Konstellation nach § 108 Abs. 3 S. 1 GWB bei gemeinsamer Kontrolle nach § 108 Abs. 4 GWB?

Allerdings erfasst § 108 Abs. 4 GWB unmittelbar nur die Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch einen der kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber an die kontrollierte juristische Person. Die Vergabe von einer kontrollierten juristischen Person an eine ebenfalls kontrollierte Schwestergesellschaft, wie sie in § 108 Abs. 3 S. 1 GWB für den Fall der Kontrolle durch nur einen öffentlichen Auftraggeber vergaberechtsfrei gestellt ist, spricht § 108 Abs. 4 GWB nicht an. Und § 108 Abs. 3 S. 1 GWB erklärt ausdrücklich nur § 108 Abs. 1 GWB für anwendbar. Dabei lägen die Voraussetzungen von § 108 Abs. 3 S. 1 GWB, nämlich eine Kontrolle auch der den Auftrag erteilenden juristischen Person (Westfälische Müllgesellschaft), hier gemeinsam durch dieselben öffentlichen Auftraggeber (Landkreise) jedenfalls vor.

Damit ist für die Vergaberechtsfreiheit der Auftragsverlängerung entscheidend, ob die vergaberechtsfreie Schwesternbeauftragung im Wege der Analogie auf die Situation der gemeinsamen Kontrolle zu erstrecken ist. Dafür bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass sich aus der systematischen Stellung des § 108 Abs. 3 GWB eine Erstreckung der Schwestern-Konstellation auch auf die gemeinsame Kontrolle ergibt. Dass er sich dabei geirrt hat, begründet die Planwidrigkeit der Regelungslücke. Die Vergleichbarkeit der Interessenlage ist am Zweck des § 108 GWB zu messen. Einerseits soll der Staat bestimmte Tätigkeiten auch dann in der staatlichen Sphäre halten können und nicht funktional privatisieren müssen, wenn er – wie Deutschland – weitgehend dezentral organisiert ist und es damit zu Verträgen zwischen zwei staatlichen Rechtssubjekten kommt. Andererseits beteiligen sich staatliche oder staatlich beherrschte Rechtssubjekte teilweise erwerbswirtschaftlich am Markt und treten dabei in den Wettbewerb mit privaten Unternehmen. In dieser Funktion und in diesem Umfang sollen die staatlichen oder staatlich beherrschten Rechtssubjekte gegenüber ihren privaten Wettbewerbern nicht dadurch bevorzugt werden, dass sie vergaberechtsfrei von dem Erhalt eines öffentlichen Auftrags profitieren. Diese Gefahr wird maßgeblich durch die drei Voraussetzungen der Inhouse-Vergabe in § 108 Abs. 1 und Abs. 4 GWB gebannt. Dann ist aber kein Grund dafür ersichtlich, die Schwestern-Konstellation nur bei Kontrolle durch einen öffentlichen Auftraggeber und nicht im Fall gemeinsamer Kontrolle vergaberechtsfrei zu stellen. Die Interessenlage ist vergleichbar. § 108 Abs. 3 S. 1 GWB ist damit analog auf § 108 Abs. 4 GWB anzuwenden.

Klausurhinweis: Andere Auffassung vertretbar

Vertretbar ist auch die Auffassung, § 108 Abs. 3 S. 1 GWB nicht analog auf § 108 Abs. 4 GWB anzuwenden. Die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien Inhouse-Vergabe sind dann nicht erfüllt. In einem letzten Schritt wären dann die Voraussetzungen von § 108 Abs. 6 GWB prüfen. Hier wird entscheidend sein, ob man von einer „Zusammenarbeit“ im Sinne von § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB auch dann ausgehen kann, wenn sich der Beitrag eines der Vertragspartner auf die bloße Kostenerstattung beschränkt. Das ist nach dem EuGH nicht der Fall.EuGH, NZBau 2020, 457 (Rn. 29).

Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen von §§ 108 Abs. 4, Abs. 3 GWB liegen vor.

Zwischenergebnis

Der vierte Teil des GWB ist nach § 108 Abs. 4, Abs. 3 GWB auf die Vertragsverlängerung zwischen der Westfälischen Müllgesellschaft und der Metropolreinigung nicht anzuwenden.

Ergebnis

Die Westfälische Müllgesellschaft kann den Vertrag mit der Metropolreinigung um ein Jahr verlängern, ohne ein Vergabeverfahren nach dem GWB durchzuführen.