Jens Gerlach Privatisierungs- und Vergaberecht Licensed under CC-BY-4.0

Vergaberecht 1: Grundsätze des Vergaberechts

Dieser Abschnitt beleuchtet die allgemeinen Grundsätze des Vergaberechts, um Sinn und Funktion des Vergaberechts zu verdeutlichen.

Einleitung

In diesem und in den nächsten Abschnitten machen wir uns mit den Grundzügen des Vergaberechts vertraut. Gemeint ist das Recht über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen, das seinen Ausgangspunkt im Vierten Teil des GWB nimmt (§§ 97 ff. GWB) und dann in zahlreiche unterschiedliche Rechtsverordnungen unterteilt ist. Wir betrachten in diesem Abschnitt nach einer kurzen Einführung (B.) die allgemeinen Grundsätze des Vergaberechts in § 97 GWB (C.), um Sinn und Funktion des Vergaberechts zu verdeutlichen.

Worum es im Vergaberecht geht

Eingangsbeispiel:Nach OLG Rostock, NZBau 2021, 750 ff. und COVuR 2022, 17 ff. Das Land Mecklenburg-Vorpommern möchte im Frühjahr 2021 den Corona-Lockdown durch einzelne Öffnungsschritte abmildern. Als zentralen Baustein wirksamen Infektionsschutzes erachtet es die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter. Die dafür erforderlichen Kontaktdaten werden bislang sehr aufwändig und ineffizient handschriftlich aufgenommen und übertragen. Nunmehr will das Land eine Software nutzen, die ihm die in den einzelnen Einrichtungen, Restaurants und Geschäften erhobenen Kontaktdaten bereitstellt und über eine Schnittstelle unmittelbar in das von den Gesundheitsämtern genutzte System überträgt. Aus den Erfahrungen anderer Bundesländer weiß das Land, dass die Luca-App des Anbieters A diese Anforderungen erfüllt. Die Unternehmen B und C erahnen die Beschaffungsabsicht des Landes und wenden sich per E-Mail eigeninitiativ an das Land, um Interesse an einem etwaigen Auftrag zu bekunden und ihre jeweilige Software kurz vorzustellen (ohne allerdings verbindliche Angebote abzugeben). B betreibt eine Software, die ebenfalls über die Schnittstelle zum System der Gesundheitsämter verfügt, die Software von C hat keine solche Schnittstelle. Weil das Land die Sache als eilbedürftig ansieht, tritt es mit A in Verhandlungen und schließt mit A kurz darauf einen bis Jahresende befristeten Vertrag über die Nutzung der Luca-App ab. B und C sind empört.

Wenn der Staat eine Aufgabe zu erledigen hat, kann ein Bedarf an einer Ware oder Leistung entstehen. Diesen Bedarf kann der Staat eigenhändig oder durch eine Beschaffung am Markt decken (funktionale Privatisierung).

Im Eingangsbeispiel stellt sich für das Land Mecklenburg-Vorpommern die Frage, ob es die für die staatliche Aufgabe des Infektionsschutzes als erforderlich erachtete Software zur Kontaktdatenerhebung und -übertragung selbst entwickelt oder eine schon bestehende oder noch zu entwickelnde Software am Markt einkauft. Eine rechtliche Grenze der funktionalen Privatisierung ist nicht ersichtlich.

Entscheidet sich der Staat für eine Beschaffung am Markt, schließt er dort mit einem Unternehmen einen Vertrag. Gelegentlich wird von „fiskalischen Hilfsgeschäften“ gesprochen, was zwar den Charakter der Beschaffung einigermaßen beschreibt, aber die enorme Bedeutung der staatlichen Auftragsvergabe verschleiert: Es geht immerhin um 15–20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union.

Der abzuschließende Vertrag ist privatrechtlicher Natur, da sein Gegenstand – Beschaffung einer Ware oder Leistung, also im Eingangsbeispiel der Einkauf einer Software – nicht auf Sonderrechten des Staates beruht. Auf die Anbahnung und den Abschluss dieses privatrechtlichen Vertrags ist die allgemeine Rechtsgeschäftslehre des BGB anwendbar. Der Vertrag kommt also zustande durch Antrag und Annahme (§§ 145 ff. BGB), das heißt zwei inhaltlich übereinstimmende und aufeinander bezogene Willenserklärungen. Diese Willenserklärungen unterliegen den §§ 116 ff. BGB. Insbesondere gelten die Regeln über die Anfechtung (§§ 119 ff. BGB), das Wirksamwerden (§ 130 BGB), die Bestimmung ihres Inhalts durch Auslegung (§ 133, § 157 BGB) und die Unwirksamkeitsgründe (§§ 134 ff. BGB). Auch das allgemeine (§§ 241 ff. BGB) und jeweilige besondere Schuldrecht (also etwa Kaufrecht oder Werkvertragsrecht) ist auf den geschlossenen Vertrag grundsätzlich anwendbar. Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen beziehungsweise die Anbahnung des Vertrags begründet nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit wechselseitigen Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB.

Die allgemeinen privatrechtlichen Regeln über die Anbahnung und den Abschluss des Vertrags werden durch das Vergaberecht ergänzt und teilweise überformt. Nötig ist das, weil sich der Staat auch beim Abschluss privatrechtlicher Verträge ganz grundsätzlich von Privaten unterscheidet: Er kann sich nicht auf eine grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit berufen, darf rechtlich nur das beschaffen, was er wirklich braucht, und ist seinerseits an Grundrechte und andere Bestimmungen des Unions- und Verfassungsrechts gebunden. Die Wahl eines bestimmten Vertragspartners darf nicht auf Bequemlichkeit beruhen oder sich gar als „Günstlingswirtschaft“ erweisen. Das Vergaberecht hat die Funktion, sicherzustellen, dass (nur) der Staat über den Gegenstand und die übrigen Bedingungen des Vertrags entscheidet und zugleich seinen Vertragspartner im Einklang mit Grundrechten und anderem höherrangigen Recht auswählt. Dazu stellt es mehr und weniger formalisierte Vergabeverfahren zur Verfügung, die zu durchlaufen sind, ehe mit einem der Unternehmen der Vertrag zustande kommt. Die allgemeinen Grundsätze des Vergaberechts verdeutlichen diese Funktion.

Das Vergaberecht beschränkt sich auf den Zeitraum der Vertragsanbahnung. Es regelt also nicht

  • die Entscheidung für die Beschaffung einer bestimmten Ware oder Leistung. Das Vergaberecht regelt zwar, wie diese Ware oder Leistung zu beschaffen ist, nicht aber die vorgelagerten Fragen, ob der Staat zur Erledigung seiner Aufgaben einen Bedarf an einer Ware oder Leistung hat, wie diese Ware oder Leistung aussehen muss und ob der Staat seinen Bedarf eigenhändig decken muss oder durch private Unternehmen decken lassen darf. Das Vergaberecht greift erst ein, wenn diese Entscheidungen getroffen sind und es an die Suche eines Vertragspartners geht.

  • die Vertragsdurchführung. Das Vergaberecht legt zwar fest, welche Bedingungen der Staat in den Vertrag mit aufnehmen darf, die dann während der Vertragsdurchführung die privatrechtlichen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Schuldrechts ergänzen oder abbedingen. Mit dem Abschluss des Vertrags und gegebenenfalls eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 155 ff. GWB), in dem die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Anforderungen überprüft werden kann, enden Aufgabe und Anwendungsbereich des Vergaberechts.

Im Eingangsbeispiel interessiert es das Vergaberecht also nicht, ob das Land Mecklenburg-Vorpommern die Software wirklich benötigt und ob eine solche Software eine Schnittstelle zum System der Gesundheitsämter aufweisen muss; es fragt auch nicht danach, ob sich das Land für eine Beschaffung am Markt entscheiden durfte.

Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?

  • Auf Verträge, die dem Vergaberecht unterliegen, ist auch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre des BGB anwendbar.
  • Das Vergaberecht steuert unter anderem die staatliche Vertragspartnerwahl.
  • Das Vergaberecht reicht zeitlich von der Bestimmung des Beschaffungsbedarfs bis zum vollständig erfüllten Vertrag.

Die Grundsätze des Vergaberechts im Einzelnen

Die Grundsätze des Vergaberechts finden sich in § 97 GWB. Sie stehen dem Vergaberecht voran, was systematisch deutlich macht, dass sie das gesamte Vergaberecht erfassen. Wie wir gleich sehen werden, lassen sich die Grundsätze des Vergaberechts überwiegend schon aus höherrangigem Recht ableiten, also dem Unionsprimärrecht, den unionsrechtlichen Vergaberichtlinien (insbesondere der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe), deren Umsetzung die §§ 97 ff. GWB dienen, und dem Verfassungsrecht. In ihnen kommen Zwecke des Vergaberechts und der Beschaffung zum Ausdruck. Ausprägungen der allgemeinen Grundsätze finden sich im gesamten Vergaberecht. Zugleich sind die allgemeinen Grundsätze selbst unmittelbar geltendes Recht und damit bei der Rechtsanwendung zu beachten. Das bedeutet zum einen, dass einzelne vergaberechtliche Vorschriften immer im Lichte der allgemeinen Grundsätze auszulegen sind. Zum anderen muss der Staat, wenn ihm Entscheidungsspielräume zustehen und er diese ausfüllen muss, die allgemeinen Grundsätze beachten und angemessen ausgleichen, soweit die Grundsätze in einem Spannungsfeld stehen.

Wirtschaftlichkeit

§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB stellt den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit auf. Wirtschaftlichkeit heißt nach allgemeinem Sprachgebrauch, mit den gegebenen Mitteln den größtmöglichen Erfolg zu erwirtschaften oder für einen bestimmten Ertrag die geringstmöglichen Mittel einzusetzen. Gemeint ist also das beste Verhältnis aus Leistung und Preis. Hinter diesen Variablen verbergen sich einzelne Teilzwecke des Vergaberechts. Zum einen geht es um „Leistung“, also darum, was der Staat mit der Beschaffung erhält. Das ist der Beitrag, den die Auftragsausführung durch ein Unternehmen dazu leistet, dass die jeweilige hinter der Beschaffung stehende staatliche Aufgabe erfolgreich erledigt werden kann (1.). Außerdem ist das der Beitrag der öffentlichen Auftragsvergabe zur Verfolgung anderer, strategischer Ziele (2.). Zum anderen geht es um den „Preis“, also die Mittel, die der Staat bei der Beschaffung aufwenden muss. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit erinnert insofern daran, dass der Staat kostensparend mit Haushaltsmitteln umzugehen hat (3.).

Erfolgreiche Erledigung von staatlichen Aufgaben

Die erfolgreiche Erledigung von staatlichen Aufgaben ist der Basiszweck der Beschaffung. Der staatliche Einkauf darf kein Selbstzweck sein. Der Staat kann bei seinem Handeln keine grundrechtlichen Freiheiten in Anspruch nehmen und sich daher auch nicht auf eine grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit berufen. Er handelt vielmehr, um das Gemeinwohl zu sichern und seine Aufgaben zu erledigen. Daher braucht der Staat eine Kompetenz dafür, Leistungen am Markt zu beschaffen. Diese Kompetenz folgt, soweit keine Privatisierungsgrenze eingreift, aus der allgemeinen Kompetenz, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Erst und gerade die Erledigung von Verwaltungsaufgaben rechtfertigt die Beschaffungstätigkeit der Verwaltung. Grundlage jeder Vergabe eines öffentlichen Auftrags ist also, dass der Staat zur Erledigung seiner Aufgaben etwas braucht, das er noch nicht hat. Was nicht gebraucht wird, darf auch nicht beschafft werden.

Im Eingangsbeispiel darf das Land eine Software zur Kontaktdatenerhebung und -übertragung beschaffen, weil es diese Software für erforderlich hält, um seiner staatlichen Aufgabe Infektionsschutz nachzukommen.

Erfolgreich erledigt der Staat die Aufgabe, wenn die Erledigung den inhaltlichen, formalen und zeitlichen Anforderungen entspricht, die sich aus dem betroffenen Sachbereich und den dafür geltenden rechtlichen Vorschriften ergeben. Das Unionsrecht, das Verfassungsrecht und auch das einfache Gesetzesrecht sind daraufhin zu befragen, welche Aufgaben dem Staat obliegen und wie der Staat diese Aufgaben zu erledigen hat. Der Staat muss erreichen, dass die Ware oder Leistung, die er durch einen Privaten erbringen lassen will, so beschaffen ist, dass sie zur erfolgreichen Aufgabenerledigung beiträgt. Die Bestimmung des Bedarfs und auch des zu beschaffenden Gegenstands überlässt das Vergaberecht aber dem Staat beziehungsweise den Vorschriften über die zu erledigende Staatsaufgabe. Das Vergaberechts soll nur eine Vergabe ermöglichen, die diesen Vorschriften gerecht wird (und dabei die anderen Grundsätze des Vergaberechts wahrt).

Daher ist im Eingangsbeispiel aus vergaberechtlicher Sicht nichts dagegen einzuwenden, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern die Schnittstelle zum System der Gesundheitsämter als erforderliche Eigenschaft der zu beschaffenden Software ansieht. Das Land muss daher das Unternehmen C, dessen Software die Schnittstelle nicht aufweist, jedenfalls mit dieser Software nicht als Vertragspartner in Betracht ziehen. Auch der Tatsache, dass die Beschaffung eilig ist, weil die Nutzung der Software sofort zum Infektionsschutz beitragen soll, trägt das Vergaberecht Rechnung. Es ermöglicht, in solchen Fällen die gesetzlich normalerweise festgelegten Fristen im Verfahren abzukürzen und sogar eine Notvergabe durchzuführen, die auf eine förmliche Ausschreibung verzichtet und aus sofortigen Verhandlungen mit einzelnen Unternehmen besteht (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV).

Der Teilzweck der erfolgreichen Erledigung von staatlichen Aufgaben schlägt sich vor allem darin nieder, dass der Staat nach § 122 Abs. 1 GWB zu beurteilen hat, ob Unternehmen fachkundig und leistungsfähig (geeignet) genug sind, um den Auftrag ordnungsgemäß auszuführen. Denn von Unternehmen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, ist nicht zu erwarten, dass sie durch ihr Tätigwerden zu einer erfolgreichen Aufgabenerledigung beitragen. Mit Blick auf die jeweils angebotene Leistung berechtigt § 121 Abs. 1 GWB den Staat dazu, den Auftragsgegenstand zu beschreiben und dadurch Mindestanforderungen festzulegen. Diese Leistungsbeschreibung ist ein erster Maßstab für die Angebote: Nur diejenigen Angebote, welche die Mindestanforderungen in der Leistungsbeschreibung erfüllen, kommen in die engere Auswahl.

Hätte das Land Mecklenburg-Vorpommern im Eingangsbeispiel den Auftrag ausgeschrieben und in der Leistungsbeschreibung die Schnittstelle zum System der Gesundheitsämter als Mindestanforderung aufgeführt, so hätte es ein etwaiges Angebot des Unternehmens C über die Nutzung von dessen Software nicht in Betracht ziehen dürfen, sondern vom weiteren Verfahren ausschließen müssen.

Unter diesen Angeboten ist nach § 127 Abs. 1 S. 1 GWB das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen. Grundlage dafür ist nach § 127 Abs. 1 S. 2 GWB eine Bewertung des Staats, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt, zu denen neben dem Preis auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte der jeweils angebotenen Ware oder Leistung zählen können (§ 127 Abs. 1 S. 4 GWB). Auch damit zielt das Vergaberecht also auf einen Vertrag ab, dessen Durchführung dazu beitragen kann, die staatliche Aufgabe erfolgreich zu erledigen.

Welche der folgenden Aussagen ist richtig?

  • Der Staat kann beschaffen, was er möchte.
  • Der Staat kann beschaffen, was er zur Erledigung seiner Aufgaben braucht.
  • Der Staat kann beschaffen, was das Vergaberecht ihm erlaubt.

Verfolgung strategischer Ziele

§ 97 Abs. 3 GWB hebt hervor, dass nach Maßgabe der Bestimmungen des GWB Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte berücksichtigt werden. Wir haben soeben gesehen, dass damit Aspekte der Wirtschaftlichkeit angesprochen sind: § 127 Abs. 1 S. 4 GWB greift genau diese Aspekte auf und erklärt sie für potenziell maßgeblich für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots.

Der Aussagegehalt von § 97 Abs. 3 GWB geht hierüber aber hinaus. Die Vorschrift legitimiert ausdrücklich, was zuvor lange Zeit umstritten war: Der Staat darf die Auftragsvergabe auch strategisch einsetzen, um damit allgemeinpolitische Ziele zu verfolgen, das heißt Ziele der Berufs-, Wirtschafts- oder Verhaltenslenkung. Er kann die Auftragsvergabe also in gewissem Maß instrumentalisieren und damit möglicherweise gesetzliche Regulierung überflüssig machen. Früher sprach man bei solchen strategischen Zielen von „vergabefremden“ oder „sekundären“ Zwecken der Beschaffung. § 97 Abs. 3 GWB lässt sich trotzdem noch als Teilaspekt des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes verstehen, weil der Staat mit der Beschaffung nicht nur hinsichtlich des Werts der jeweiligen Ware oder Leistung, sondern mittelbar auch mit dem Beitrag zur Berufs-, Wirtschafts- oder Verhaltenslenkung etwas erhält beziehungsweise erreicht.

Der Staat kann qualitative, umweltbezogene und soziale Aspekte daher nicht nur als wertbildende Faktoren des jeweiligen Angebots bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung berücksichtigen (§ 127 Abs. 1 S. 4 GWB), sondern hat darüber hinaus nach § 128 Abs. 2 S. 1 GWB die Möglichkeit, besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festzulegen. Diese Bedingungen betreffen nicht die Ware oder Leistung selbst, die durch die Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB) und das Angebot des Unternehmens schon hinreichend bestimmt ist, sondern die Art und Weise der Leistungserbringung. Beispielsweise kann der Staat Lohndumping bekämpfen, indem er Unternehmen dazu verpflichtet, sich bei der Leistungserbringung an tarifvertraglichen Löhnen zu orientieren, und er kann sich um die Belange von Menschen mit Behinderung kümmern, indem er im Auftrag vorsieht, dass bei der Leistungserbringung auch Menschen mit Behinderung eingesetzt werden sollen.

Welche der folgenden Aussagen ist richtig?

  • Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte lassen sich in einem weiteren Sinne als Aspekte der Wirtschaftlichkeit begreifen.
  • Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte darf der Staat nur dann berücksichtigen, wenn sie unmittelbar den Wert der zu beschaffenden Ware oder Leistung bestimmen.
  • Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte sind vergabefremd und dürfen daher bei der Auftragsvergabe keine Rolle spielen.

Kostensparender Umgang mit Haushaltsmitteln

Der kostensparende Umgang mit Haushaltsmitteln als weiterer Teilzweck des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes ist eine Anforderung des Haushaltsrechts, die sich in verschiedenen Vorschriften wiederfindet (vgl. Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG, § 6 HGrG und § 7 Abs. 1 S. 1 BHO). Angesichts der immerwährenden Knappheit öffentlicher Mittel ist ein solcher kostensparender Umgang Voraussetzung dafür, dass der Staat all seine Aufgaben erfolgreich erledigen kann. Die Beschaffung muss daher nicht nur erfolgreich, sondern auch möglichst kostensparend erfolgen. Kostensparende Beschaffung zielt zu einen auf den Einkauf einer möglichst günstigen Ware oder Leistung ab, zum anderen auf einen möglichst günstigen Beschaffungsvorgang (Vermeidung hoher Transaktionskosten). Der Staat soll so wenig Zeit, Personal und Sachmittel wie möglich einsetzen, um den Beschaffungsgegenstand ohne qualitative Abstriche zu erhalten.

Auch hier gilt, dass nicht das Vergaberecht darüber entscheidet, welche und wie viele Mittel der Staat bei der Beschaffung aufwenden darf. Vorgaben dazu sind im Haushaltsrecht beziehungsweise konkret in den jeweiligen Budgetvorgaben (Haushaltsplan) zu suchen. Das Vergaberecht nimmt diese Vorgaben hin und ermöglicht dem Staat, den Preis und die Kosten als Kriterium bei der Bestimmung des wirtschaftlichsten und damit auszuwählenden Angebots zu machen (§ 127 Abs. 1 S. 4 GWB).

Gleichbehandlung

§ 97 Abs. 2 GWB verpflichtet den Staat dazu, die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln, es sei denn, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund des GWB ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Grundsätzlich muss ein Teilnehmer an einem Vergabeverfahren dieselbe Behandlung erfahren, wie sie eine andere Person aus der Vergleichsgruppe erfährt. In sachlicher Hinsicht bedeutet das, dass der Staat Chancengleichheit gewährleisten muss (1.). Persönlich fallen alle potenziell an dem Auftrag interessierten Unternehmen in den Anwendungsbereich (2.).

Auch im höherrangigen Recht finden sich Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungsverbote, welche die staatliche Auftragsvergabe erfassen. Während Gleichbehandlungsgebote jede Ungleichbehandlung verbieten, wenn nicht ein sachlicher Grund die Ungleichbehandlung rechtfertigt, schließen Diskriminierungsverbote nur eine Ungleichbehandlung aus bestimmten Gründen aus. Das Unionsprimärrecht verbietet es mit den Grundfreiheiten und Art. 18 Abs. 1 AEUV, EU-Ausländer aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit schlechter zu behandeln als Inländer. Weitere Diskriminierungsverbote enthält Art. 3 Abs. 3 GG. Gleichbehandlungsgebote enthalten Art. 20 EU-GRCh und Art. 3 Abs. 1 GG. § 97 Abs. 2 GWB ist jeweils strenger, weil er zum einen grundsätzlich jeder Ungleichbehandlung und nicht nur einer solchen aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder den Gründen in Art. 3 Abs. 3 GG entgegensteht und zeine Ungleichbehandlung nicht schon bei einem sachlichen Grund erlaubt, sondern erst dann, wenn dies im GWB gesetzlich angeordnet ist.

Sachlicher Gehalt: Recht auf Chancengleichheit

In sachlicher Hinsicht verpflichtet das Gebot rechtlicher Gleichbehandlung dazu, dass der Staat Unternehmen die gleichen Chancen im Wettbewerb um den Auftrag einräumt. Er muss zwar nicht dafür sorgen, dass alle Unternehmen faktisch die gleichen Ausgangsbedingungen haben – seine natürlichen Wettbewerbsvorteile muss ein Unternehmen auch im staatlich eröffneten Vergabewettbewerb ausspielen können. Staatliches Verhalten darf aber grundsätzlich nicht dazu führen, dass sich die Chancen eines Unternehmens gegenüber den Chancen anderer Unternehmen verbessern. Unternehmen sollen also auf der einen Seite ohne staatliche Einflussnahme miteinander um den Auftrag konkurrieren können. Auf der anderen Seite muss der Staat überhaupt erst eine Konkurrenz um den Auftrag ermöglichen.

Das Recht auf Chancengleichheit hat eine hohe Bedeutung für Unternehmen, weil der Erhalt öffentlicher Aufträge einen zentralen Baustein ihres wirtschaftlichen Erfolgs bedeuten kann. Der Staat hat in einigen Wirtschaftssektoren eine besonders hohe Nachfragemacht am Markt. Als Beispiel sei nur der Straßenbau genannt. Gleichzeitig gibt es häufig mehrere Unternehmen, die am selben öffentlichen Auftrag interessiert sind. Der öffentliche Auftrag kann aber nur an ein Unternehmen vergeben werden und stellt sich damit als knappes Gut dar, das es zu verteilen gilt. Hierzu muss der Staat eine Auswahlentscheidung zwischen mehreren Unternehmen und den von ihnen angebotenen Waren oder Leistungen treffen.

Grundbedingung der Chancengleichheit ist es, dass sich diese Auswahlentscheidung des Staats an einheitlichen Auswahlkriterien orientiert. Der Staat darf also nicht mit zweierlei Maß messen. Die Auswahlkriterien müssen zudem sachlich sein. Denn unsachliche Kriterien können einzelne Unternehmen bevorzugen und damit die Chancen der Konkurrenten verschlechtern, den Auftrag zu erhalten. Die Auswahlkriterien, die das Vergaberecht zulässt, lassen sich im Wesentlichen auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB) zurückführen. Das zeigt sich, wie oben gesehen, vor allem bei der Beurteilung der Eignung der Bieter (§ 122 GWB) und der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots (§ 127 Abs. 1 GWB). Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit ist aber in jedem Einzelfall weiter zu konkretisieren, damit den oben dargestellten Teilaspekten des Wirtschaftlichkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden kann. Solche konkretisierenden Unterkriterien dürfen den unions- oder verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht widersprechen (Art. 18 Abs. 1 AEUV, Grundfreiheiten, Art. 3 Abs. 3 GG). Soweit die Auftragsvergabe einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, ist es also insbesondere verboten, die Staatsangehörigkeit zu einem Auswahlkriterium zu machen. Schließlich muss der Staat gleiche Chancen auch dadurch gewährleisten, dass er Unternehmen zu Beginn des Verfahrens über seine Beschaffungsabsicht und auch sonst während des gesamten Verfahrens gleichmäßig informiert. Er darf keinen Wissensvorsprung einzelner Unternehmen zu verantworten haben. Denn sonst könnten diese Unternehmen ihr Angebot besser als andere auf die Bedürfnisse des Staats abstimmen und sich auf diese Weise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Nicht verlangen können Unternehmen demgegenüber, dass ihnen der gleiche Erfolg im Wettbewerb zugesprochen wird. Einen Anspruch auf Erhalt des Auftrags können Unternehmen aus dem Gleichbehandlungsgebot also nicht herleiten. Das zeigen folgende Überlegungen:

  • Wenn der Staat den Auftrag an eines der Unternehmen vergibt, können die unterlegenen Unternehmen nicht auf Grundlage des Gleichbehandlungsgebots verlangen, mit dem erfolgreichen Unternehmen in der Weise gleichgestellt zu werden, dass auch sie den Auftrag erhalten. Der Staat kann sich auf Unmöglichkeit berufen: Sein Beschaffungsbedarf rechtfertigt nur die Vergabe des einen Auftrags und er kann denselben Auftrag nur ein einziges Mal vergeben.

  • Wenn der Staat den Auftrag an eines der Unternehmen vergibt, können die unterlegenen Unternehmen nicht auf Grundlage des Gleichbehandlungsgebots verlangen, den Auftrag anstelle des obsiegenden Unternehmens zu erhalten. Denn dann beanspruchen sie keine Gleichbehandlung mit einem anderen Unternehmen, sondern eine Besserbehandlung. Diesen Anspruch begründet das Gleichbehandlungsgebot nicht.

  • Wenn der Staat den Auftrag letztlich – insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen – gar nicht vergibt, kann ebenfalls kein Unternehmen auf Grundlage des Gleichbehandlungsgebots verlangen, den Auftrag zu erhalten. Auch hier beanspruchen sie keine Gleichbehandlung mit einem anderen Unternehmen, sondern eine Besserbehandlung.

In unserem Eingangsbeispiel konnten also weder Unternehmen B noch Unternehmen C beanspruchen, den Auftrag zu erhalten. Sie konnten allerdings erwarten, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht die Chancen von Unternehmen A dadurch verbessert, dass es nur mit A verhandelte und nur A über seinen Beschaffungsbedarf informierte.

Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?

  • Chancengleichheit bedeutet, dass jedes Unternehmen mal zum Zug kommen und einen Auftrag erhalten muss.
  • Chancengleichheit erfordert eine Auswahlentscheidung an einheitlichen und sachlichen Kriterien sowie gleichmäßige Information der Unternehmen.
  • Wirtschaftlichkeit ist ein sachliches Auswahlkriterium.

Persönlicher Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgebots betrifft die Frage, welche Personen gleich zu behandeln sind, wer also zur Vergleichsgruppe für mögliche staatliche Ungleichbehandlungen gehört. Erfasst sind im Ergebnis all diejenigen Unternehmen, die potenziell ein Interesse am Erhalt des Auftrags haben. Zwar spricht § 97 Abs. 2 GWB ausdrücklich nur von den „Teilnehmer[n] an einem Vergabeverfahren“. Das legt eine engere Auslegung nahe, dahingehend, dass nur Unternehmen erfasst wären, die sich aktiv an einem eingeleiteten Vergabeverfahren beteiligen. Allerdings ist nach der Konzeption des GWB auch die Direktvergabe an ein einzelnes Unternehmen ohne vorherige Ausschreibung oder Wettbewerb, also letztlich jeder Beschaffungsvorgang ein eingeleitetes Vergabeverfahren – ob dieses Verfahren rechtlich so zulässig ist, bestimmt sich dann nach den einzelnen vergaberechtlichen Vorschriften. Als „Teilnehmer an einem Vergabeverfahren“ kann dann auch ein Unternehmen verstanden werden, das von der Beschaffung nichts weiß, aber in Kenntnis von der Beschaffungsabsicht des Staats am Auftrag interessiert wäre.

Damit können sich auch die Unternehmen B und C in unserem Eingangsbeispiel persönlich auf das Gleichbehandlungsgebot in § 97 Abs. 2 GWB berufen, auch wenn sie kein konkretes Angebot abgegeben haben.

Dass § 97 Abs. 2 GWB nicht enger verstanden werden darf, zeigt sich schon an Art. 18 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe: Hiernach sind „alle Wirtschaftsteilnehmer“ gleich zu behandeln. § 97 Abs. 2 GWB soll diese Vorschrift in nationales Recht umsetzen. Und auch auf Grundlage des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots ist die Vergleichsgruppe entsprechend weit zu bilden.

Wettbewerb

Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden nach § 97 Abs. 1 S. 1 GWB im Wettbewerb vergeben. Der Wettbewerbsgrundsatz verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele, die bereits in anderen Grundsätzen des Vergaberechts zum Ausdruck kommen: Zum einen ermöglicht die Vergabe im Wettbewerb eine wirtschaftliche Beschaffung. Je mehr Angebote eingehen, desto höher sind die Chancen für den Auftraggeber, dass ein Angebot denjenigen Bedarf deckt, den die erfolgreiche Erledigung von Verwaltungsaufgaben hervorruft. Außerdem kann der (Preis-)Wettbewerb die Kosten der Beschaffung senken. Zum anderen lässt sich mit größtmöglichem Wettbewerb die Gleichbehandlung der Unternehmen gewährleisten – Gleichbehandlungsgebot und Wettbewerbsgrundsatz verbinden sich so zu einem Recht auf chancengleichen Wettbewerb.

Inhalt und Ausprägungen des Wettbewerbsgrundsatzes im Vergabeverfahren lassen sich daher zum größten Teil schon dem Recht auf Chancengleichheit zuordnen. Als eigenständige Ausprägung des Wettbewerbsgrundsatz wird häufig der Geheimwettbewerb angesehen. Unternehmen dürfen keine Kenntnis von den Angeboten anderer Unternehmen erhalten und auf dieser Grundlage ihr eigenes Angebot erstellen. in Kenntnis des Angebots oder Teilen des Angebots eines anderen Bieters sein Angebot abgibt. Außerdem darf ein und dasselbe Unternehmen nicht verschiedene Angebote abgeben. Auch bei diesen Fragen geht es letztlich aber wieder um das Recht auf Chancengleichheit der Unternehmen.

Mittelstandsförderung

§ 97 Abs. 4 S. 1 GWB normiert das Gebot, mittelständische Interessen bei der Vergabe vornehmlich zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei um einen eigenständigen Grundsatz des Vergaberechts und inhaltlich um ein Förderungsgebot. Mit ihm sollen – abweichend vom Grundgedanken in § 97 Abs. 2 GWB – die Chancen kleinerer und mittlerer Unternehmen faktisch beeinflusst, nämlich verbessert werden, damit auch sie mit großen Unternehmen ernsthaft um öffentliche Aufträge konkurrieren können. Das kann unter Umständen nur erreicht werden, wenn solche kleinen und mittleren Unternehmen rechtlich besser behandelt werden als andere. Das Förderungsgebot in § 97 Abs. 4 S. 1 GWB kann also als geschriebener Rechtfertigungsgrund für eine rechtliche Ungleichbehandlung im Sinne von § 97 Abs. 2 GWB dienen. Zudem nennt schon § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ein Mittel, um faktische Chancengleichheit zu erreichen: Der Staat soll Aufträge grundsätzlich in der Menge und nach Art oder Fachgebiet aufteilen. Dadurch werden Aufträge nicht zu groß oder zu komplex. Der Staat kann in der Folge geringere Anforderungen an die Eignung von Unternehmen, also die Fachkunde und Leistungsfähigkeit stellen, als er das müsste, wenn er alle zu beschaffenden Teilleistungen gemeinsam in einem großen Auftrag an nur ein Unternehmen vergeben würde.

Zudem nennt schon § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ein Mittel, um faktische Chancengleichheit zu erreichen: Der Staat soll Aufträge grundsätzlich in der Menge und nach Art oder Fachgebiet aufteilen. Dadurch werden Aufträge nicht zu groß oder zu komplex. Der Staat kann in der Folge geringere Anforderungen an die Eignung von Unternehmen, also die Fachkunde und Leistungsfähigkeit stellen (§ 122 Abs. 1 GWB), als er das müsste, wenn er alle zu beschaffenden Teilleistungen gemeinsam in einem großen Auftrag an nur ein Unternehmen vergeben würde.

Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?

  • Nur wer sich aktiv beim Staat meldet und in diesem Sinne Teilnehmer an einem Vergabeverfahren ist, kann rechtliche Gleichbehandlung beanspruchen.
  • Mittelstandsförderung soll faktische Chancengleichheit auch kleiner und mittlerer Unternehmen sicherstellen.
  • Je mehr Wettbewerb, desto mehr rechtliche Chancengleichheit der Unternehmen.

Transparenz

§ 97 Abs. 1 S. 1 GWB verlangt, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen im Wege transparenter Verfahren vergeben werden. Der Transparenzgrundsatz zielt auf eine Gestaltung des Vergabeverfahrens ab, die es ermöglicht, das materielle Recht der Unternehmen auf Chancengleichheit im Wettbewerb abzusichern. Aus dem allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsrecht kennen wir diese Funktion des Verfahrensrechts unter dem Stichwort „Grundrechtsschutz durch Verfahren“.Grundlegend dazu BVerfGE 53, 30 (59 ff.). Was sich der Unionsgesetzgeber unter Transparenz vorstellt, lässt sich Erwägungsgrund 45 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe entnehmen. Dort heißt es:

„Die Staaten sollten insbesondere im Voraus die Mindestanforderungen angeben, die das Wesen der Beschaffung charakterisieren und im Verlauf der Verhandlungen nicht geändert werden sollten. Die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung sollten während des gesamten Verfahrens stabil bleiben und sollten nicht verhandelbar sein, um die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer zu gewährleisten. […] Zur Sicherstellung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Verfahrens sollten alle Phasen ordnungsgemäß dokumentiert werden. Darüber hinaus sollten alle Angebote während des gesamten Verfahrens schriftlich eingereicht werden“.

Deutlich werden damit zwei Stoßrichtungen des Transparenzgrundsatzes:

  • Zum einen geht es um Vorhersehbarkeit, um „ex-ante-Transparenz“. Unternehmen sollen im Voraus absehen können, welchen Beschaffungsbedarf der Staat mit dem öffentlichen Auftrag befriedigen will, nach welchen Kriterien also die Vergabeentscheidung fallen soll. Sie können nur dann sinnvoll ein Angebot auf die Bedürfnisse des Staats abstimmen und damit im Wettbewerb ihr Bestes geben, wenn sie die Interessen und Bedürfnisse des Staats kennen. Andernfalls müssten sie ihren Wettbewerbserfolg dem Zufall überlassen.

  • Zum anderen geht es um Nachvollziehbarkeit, um „ex-post-Transparenz“. Der Transparenzgrundsatz verlangt, dass Unternehmen und Nachprüfungsinstanzen (§§ 155 ff. GWB) die Entscheidung des Staats nachvollziehen können. Grundlage und Gegenstand einer nachträglichen Überprüfung, ob die Entscheidung rechtmäßig war oder Rechte der unterlegenen Unternehmen verletzt hat, sind eine ausführliche Begründung und Dokumentation der Entscheidung. Das Verfahren der Entscheidung muss zudem übersichtlich und klar abgestuft sein. Der Transparenzgrundsatz zielt mit dieser Stoßrichtung auch auf effektiven Rechtsschutz der Unternehmen ab (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG).

Insbesondere an der ex-ante-Transparenz fehlt es im Eingangsbeispiel: Außer dem Unternehmen A wurde kein Unternehmen über die Beschaffungsabsicht und den Beschaffungsbedarf des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Kenntnis gesetzt und dazu aufgefordert, ein Angebot zu abzugeben.

Da der Transparenzgrundsatz sich auf die gesamte Gestaltung des Vergabeverfahrens bezieht, sind seine Ausprägungen im Verfahren zahlreich. Wir werden uns damit ausführlich später befassen, wenn es um das Vergabeverfahren geht. Zentraler Baustein der dienenden Funktion einer transparenten Verfahrensgestaltung ist es, dass Unternehmen nach § 97 Abs. 6 GWB Anspruch darauf haben, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Das bedeutet, dass Unternehmen einen im Raum stehenden Verfahrensfehler in einem Nachprüfungsverfahren (§§ 155 ff. GWB) geltend machen und auf diese Weise mittelbar ihr materielles Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb schützen lassen können.

Verhältnismäßigkeit

§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB verpflichtet Staat schließlich dazu, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Auch dieser Grundsatz lässt sich aus höherrangigem Recht ableiten. Im Grundgesetz lässt sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rechtsstaatsprinzip verorten (Art. 20 Abs. 3 GG) und zudem als rechtliche Anforderung der Grundrechte begreifen. Und auch das Unionsrecht kennt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie sich beispielhaft an Art. 18 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe zeigt. Im Einzelnen muss das Verhalten öffentlicher Auftraggeber damit einem legitimen Zweck dienen und zu dessen Verfolgung geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Im Eingangsbeispiel hat das Land Mecklenburg-Vorpommern die Grundsätze der Chancengleichheit im Wettbewerb und der Transparenz in unverhältnismäßiger Weise vernachlässigt. Zwar ermöglicht das Vergaberecht in Fällen von äußerster Dringlichkeit eine Notvergabe ohne Ausschreibungspflicht (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV). Allerdings räumt die Vorschrift dem Staat Ermessen ein, in dessen Rahmen er die widerstreitenden Grundsätze des Vergaberechts ausgleichen muss. Angesichts der E-Mail der Unternehmen B und C wusste das Land Mecklenburg-Vorpommern von deren Leistungsbereitschaft und dem Umstand, dass auch die Software von B die Anforderungen erfüllte. Das Land hätte Chancengleichheit und Wettbewerb zumindest insoweit herstellen können, als es mit B in erste Verhandlungen getreten wäre. Ein großer Zeitverlust wäre damit nicht verbunden gewesen.

Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?

  • Der Transparenzgrundsatz ist ein verfahrensbezogener Grundsatz, der gegenüber dem materiellen Recht auf Chancengleichheit eine dienende Funktion einnimmt.
  • Ex-post-Transparenz bedeutet Vorhersehbarkeit, ex-ante-Transparenz Nachvollziehbarkeit.
  • Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezieht sich unter anderem auf den Ausgleich der anderen Grundsätze des Vergaberechts.

Literatur

  • Pünder, in Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht Band 1, 4. Auflage 2019, § 17 Vergaberecht, Rn. 1–2, 8, 83–84, 102–111

  • Burgi, Vergaberecht, 3. Auflage 2021, §§ 6–7