Lösungshinweise zu Fall 1
A könnte sich wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er auf F einstach und ihn anschließend zu überfahren versuchte.
Vorprüfung
F überlebte die Stichverletzungen. Die Vollendung ist nicht eingetreten. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich für den Totschlag als Verbrechen (vgl. § 12 Abs. 1 StGB) aus § 23 Abs. 1 Var. 1 StGB.
Tatbestand
A müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben. Im Rahmen des Tatentschlusses müsste A Vorsatz aufgewiesen haben. Vorsatz ist die willentliche Verwirklichung des objektiven Tatbestandes in Kenntnis aller objektiven Umstände. A handelte in Tötungsabsicht, als er auf F einstach. Auch die Verfolgung des F mit dem Wagen geschah in der Absicht, diesen zu töten. A handelte mit dolus directus 1. Grades, folglich mit Tatentschluss.
Er müsste zudem unmittelbar zur Verwirklichung des Totschlags angesetzt haben. Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschreitet und Handlungen vornimmt, die nach seiner Vorstellung bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden. A hatte mehrfach auf den F eingestochen und damit bereits die tatbestandliche Ausführungshandlung vorgenommen. Er hatte unmittelbar angesetzt.
Folglich ist der Tatbestand erfüllt.
Rechtswidrigkeit/Schuld
Zugunsten des A greifen keine Rechtfertigungsgründe ein. Insbes. ist das Öffnen der Autotür des A durch F nicht als ein Angriff auf den A zu bewerten, sodass Notwehr nach § 32 StGB nicht in Frage kommt. A handelte rechtswidrig.
Auch Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. Die Schuld des A liegt vor.
Kein Rücktritt
A könnte jedoch strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten sein, indem er von F abließ.
Kein Fehlschlag
Dazu dürfte der Totschlagsversuch nicht fehlgeschlagen sein. Ein Fehlschlag tritt ein, wenn der Täter die Vollendung mit den vorhandenen Mitteln nach seiner Vorstellung nicht mehr ohne zeitliche Zäsur herbeiführen kann.
A nahm mehrere Handlungen vor, mit denen er den Tod des F herbeiführen wollte: zunächst stach er am Auto, danach einige Meter entfernt auf den F ein. Er verfolgte den F dann mit seinem Wagen und ging schließlich erneut mit dem Messer auf F zu. Wie ein Fehlschlag bei solch mehraktigen Geschehen zu beurteilen ist, ist umstritten. Nach der Einzelaktstheorie werden alle Handlung separat betrachtet. Ein Fehlschlag liegt danach vor, wenn eine Handlung den Erfolg nicht herbeiführen konnte und der Täter sein Scheitern erkennt. Sowohl die Stiche am Auto und auf dem Parkplatz als auch das Überfahren führten nicht zum Tod des F, was der A auch erkannte. All jene Handlungen wären daher als eigenständige fehlgeschlagene Versuche zu werten. Lediglich als A aus dem Auto ausstieg und erneut mit dem Messer auf F zuging, hätte er noch die Möglichkeit gehabt, den Tod des F durch erneutes Zustechen herbeizuführen. Nach der Einzelaktstheorie wären daher nur dieses letzte Verhalten nicht als Fehlschlag zu werten und weiterhin rücktrittsfähig. Darüber hinaus würden mehrere Totschlagsversuche durch Erstechen und Überfahren vorliegen, von denen A wegen Fehlschlags nicht mehr hätte zurücktreten können.
Betrachtet man mit der Gesamtbetrachtungslehre das gesamtes Geschehen als eine Einheit, so ist für die Beurteilung aller Akte auf den Moment abzustellen, in dem A von F abließ. A handelte bei allen Messerstichen und beim Zufahren auf den F auf der Basis eines einheitlichen Tatentschlusses. Das gesamte Geschehen spielte sich auf dem Parkplatz des Betriebsgeländes ab. A begab sich jedes Mal unmittelbar auf die Verfolgung des F, wenn dieser zuvor geflohen war, und holte ihn in kurzer Zeit wieder ein. Zwischen den einzelnen Handlungen bestand daher eine enge räumliche wie zeitliche Verknüpfung, sodass alle Akte als ein Lebenssachverhalt einheitlich zu bewerten sind. Als A zum letzten Mal mit dem Messer auf den F zuging, wäre es ihm weiterhin möglich gewesen zuzustechen und so den Erfolg ohne zeitliche Zäsur noch herbeizuführen. Unter Zugrundelegung der Gesamtbetrachtungslehre ist der Versuch nicht fehlgeschlagen.
Da die Ansichten im Ergebnis voneinander abweichen, ist eine Stellungnahme erforderlich. Die Einzelaktstheorie stellt den Täter besser, dessen Versuchshandlung von Beginn an erfolgstauglich ist, da ihm die Rücktrittsmöglichkeit nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB verbleibt. Weshalb aber gerade dem Täter, der die Rechtsgüter seines Opfers nicht oder nur weniger schwerwiegend verletzt, die Rücktrittsmöglichkeit erschwert werden sollte, ist nicht nachvollziehbar. Dies wird mit der Gesamtbetrachtungslehre vermieden. Auch im Übrigen sprechen Erwägungen des Opferschutzes für die Gesamtbetrachtungslehre, die länger die Möglichkeit der Straffreiheit eröffnet und so Anreize schafft, den Erfolg doch nicht herbeizuführen oder vom Opfer abzuwenden. Sie verdient daher den Vorzug.
Der einheitlich zu bewertende Versuch, den F durch Messerstiche und Überfahren zu töten, ist nicht fehlgeschlagen.
Hinweis: Vgl. ausführlich zur Einzelaktstheorie und Gesamtbetrachtungslehre Fall 3 der Einheit 6.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Zu anschließenden Bestimmung des von A zu fordernden Rücktrittsverhaltens ist zwischen einem beendeten und einem unbeendeten Versuch zu unterscheiden. Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. „Rücktrittshorizont“) glaubt, alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche bereits getan zu haben; ein unbeendeter Versuch hingegen, wenn der Täter meint, noch weitere Handlungen vornehmen zu müssen, damit der Erfolg eintreten kann. Als A von F ablässt, ist ihm bewusst, dass er noch nicht alles getan hat, damit der Tod des F eintreten würde. Der Versuch ist daher unbeendet.
Rücktrittsverhalten
A müsste gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB die weitere Tatausführung aufgeben. Für einen Rücktritt genügt also ein schlichtes Nichtweiterhandeln. A verzichtete darauf, erneut auf den F einzustechen und gab somit die weitere Tatausführung auf.
Hinweis: Im vorliegenden Fall hatte A geplant, sowohl E als auch F zu töten und wollte, als er auf den Parkplatz des Betriebsgeländes fuhr, zumindest E umbringen. Es scheint also durchaus denkbar, dass er sich vorbehielt, den F bei anderer Gelegenheit erneut anzugreifen und dann zu töten. Für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB muss der Täter die Tatausführung endgültig aufgeben. Das bezieht sich jedoch nur auf die konkrete Tat, also den Angriff auf F auf dem Parkplatz. Ein etwaiger Vorbehalt des A, den F zu anderer Zeit zu töten, ist unerheblich, da dies eine neue Tat darstellen würde, die keinen einheitlichen Vorgang mit dem Geschehen auf dem Parkplatz mehr bilden würde.
Freiwilligkeit
A müsste freiwillig von der Tatbestandsverwirklichung Abstand genommen haben. Fraglich ist, wie die Freiwilligkeit zu bestimmen ist. Die Rspr. und Teile der Literatur wählen eine psychologisierende Betrachtungsweise. Danach handelt der Zurücktretende freiwillig, wenn seinem Verhalten autonome (selbstbestimmte) Motive zugrunde liegen und er „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt. Unfreiwillig tritt hingegen zurück, wer aus heteronomen (fremdbestimmten) Motiven handelt und sich durch eine äußere Zwangslage daran gehindert sieht oder durch seelischen Druck unfähig wurde, die Tat zu vollbringen. Es soll entscheidend darauf ankommen, ob für den Täter ein zwingender Grund bestand, von seinem Vorhaben abzusehen. Aus dieser Auslegung des Merkmals „Freiwilligkeit“ ergibt sich auch, dass es keine sittlich hochwertigen oder ethisch billigenswerten Motive zu sein brauchen, die den Täter zur selbstbestimmten Umkehr bewegen. A verzichtete darauf, erneut auf den F einzustechen, weil er befürchtete, dann die E zu verpassen, deren Tod ihm wichtiger erschien. Damit lag dem Verhalten des A zwar eine zu missbilligende Erwägung zu Grunde, zu betrachten ist jedoch allein die konkrete Tat zulasten des F. An deren Vollendung wurde er weder durch äußere Zwänge noch durch psychischen Druck gehindert. Vielmehr stellt sein Verzicht auf ein Weiterhandeln das Ergebnis einer nüchternen Abwägung dar, die A selbstbestimmt vorgenommen hatte. Auf der Basis einer psychologisierenden Betrachtung handelte A freiwillig.
Zweifeln lässt sich an diesem Ergebnis vor allem mit Blick auf den Regelungszweck des § 24 StGB. A gab durch sein Verhalten keinen Anlass für den Schluss, dass er die zuvor gebrochene Rechtsnorm, § 212 Abs. 1 StGB, nun wieder anerkennen würde. Ebenso wenig entfällt die Notwendigkeit, ihn durch Strafe von der Begehung weiterer Taten abzuschrecken. Im Gegenteil belegt das Verhalten des A eher, dass eine solche spezialpräventive Einwirkung auf ihn nötig wäre. Geleitet von diesen Überlegungen wird die Freiwilligkeit von einigen Stimmen in der Literatur normativ nach der „Lehre von der Verbrechervernunft“ bestimmt. Alle Motive, die aus der Sicht eines Risiko und Chancen abwägenden Verbrechers vernünftig erscheinen, sollen zur Unfreiwilligkeit des Rücktritts führen. Freiwillig handelt der Zurücktretende demgegenüber, wenn das Rücktrittsmotiv aus einer „Verbrechermoral“ heraus unvernünftig ist. Dem A kam es hier vorrangig darauf an, die E zu töten. Da er damit rechnen musste, E zu verpassen, wenn er sich weiterhin dem F widmen würde, erscheint es aus seiner Perspektive vernünftig, zugunsten des wichtigeren Ziels zunächst von dem für ihn nachrangigen Ziel abzusehen. Das Ablassen von F war auf der Basis einer „Verbrechermoral“ vernünftig und der Rücktritt daher nicht freiwillig.
Gegen eine Beurteilung der Freiwilligkeit nach dem normativen Kriterium der „Verbrechervernunft“ lassen sich jedoch gewichtige Gründe anführen. Die Regeln der Verbrechervernunft sind nahezu nicht bestimmbar, sodass bei einer Beurteilung anhand dieser Regeln willkürliche Entscheidungen drohen. Die „Verbrechervernunft“ als Maßstab heranzuziehen, ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nur schwer vereinbar. Aus ebenjener Norm wird auch das Gesetzlichkeitsprinzip hergeleitet, welches den Wortlaut einer Norm als äußerste Grenze der Auslegung gebietet und eine Auslegung zulasten des Täters über den Wortlaut hinaus nicht gestattet. „Freiwillig“ bedeutet seinem Wortsinn nach aber gerade „aus eigenem Willen/ ohne Zwang geschehend“, sodass der Wortlaut des § 24 StGB eine normative Auslegung nicht zulässt. Vielmehr ist dem Begriff der Freiwilligkeit eine psychologisierende Betrachtung immanent. Zieht man diese heran, so handelte A als „Herr seiner Entschlüsse“ ohne äußeren Zwang und daher freiwillig.
Zwischenergebnis
A gab die weitere Ausführung des Totschlags zulasten des F freiwillig auf und trat so strafbefreiend vom Versuch zurück.
Ergebnis
A machte sich durch die Messerstiche und das geplante Überfahren des F nicht wegen eines versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar.
Lösungshinweise zu Fall 2
§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB
A könnte sich durch das Öffnen der Gashähne wegen eines versuchten Totschlags zulasten der übrigen Hausbewohner strafbar gemacht haben. Da er, als er die Gashähne öffnete, jedoch noch nicht an eine Gefährdung der Bewohner dachte, fehlt es insoweit am Vorsatz bei Begehung der Tat (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB) und somit am Tatentschluss.
Eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags durch das (aktive) Öffnen der Gashähne scheidet aus.
§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB
Jedoch könnte eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB vorliegen, indem A die Gashähne trotz Aufforderung nicht wieder schloss.
Vorprüfung
Sämtliche Hausbewohner überlebten, sodass die Vollendung nicht eingetreten ist. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 212 Abs. 1, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB.
Tatbestand
A müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben, also einen Tatentschluss aufgewiesen und unmittelbar angesetzt haben.
Nachdem bereits einige Zeit Gas ausgeströmt war, erkannte A, dass andere Hausbewohner durch eine Explosion zu Tode kommen könnten und nahm dies billigend in Kauf. Er wusste, dass es ihm möglich war, die Explosion durch das Schließen der Hähne zu verhindern, nahm die ihm mögliche und zumutbare Rettungshandlung aber bewusst nicht vor. A erkannte ebenso, dass er die Gefahr vorab durch das Öffnen der Hähne verursacht hatte. A wies daher Vorsatz in Bezug auf das Unterlassen und seine Garantenstellung aus Ingerenz auf. Er handelte mit Tatentschluss.
Wann zu einem unechten Unterlassungsdelikt unmittelbar angesetzt wird, ist umstritten. Abgestellt wird auf das Verstreichenlassen der ersten oder der letzten Rettungsmöglichkeit oder – mit der h.M. – auf das Untätigbleiben in dem Moment, in dem die Gefahr für das Rechtsgut akut wird oder der Täter seine Herrschaft über das Geschehen aus den Händen gibt. Durch das längere Austreten des Gases war bereits eine konkrete Gefahr eingetreten. Indem A in dieser Situation gleichwohl nicht handelte, hat er demnach unmittelbar angesetzt. Selbst die strengste Ansicht käme zu keinem anderen Ergebnis, da A im Moment vor seiner Bewusstlosigkeit auch die letzte Handlungsmöglichkeit hat verstreichen lassen.
Der Tatbestand ist erfüllt.
Rechtswidrigkeit/Schuld
Rechtswidrigkeit und Schuld liegen ebenfalls vor.
Kein Rücktritt
A könnte jedoch strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein, indem er die Notrufzentrale informierte, welche die Rettung der Hausbewohner veranlasste.
Kein Fehlschlag
Dazu dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein. Bei einem versuchten Unterlassen tritt ein Fehlschlag dann ein, wenn der Täter im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung glaubt, den Erfolg durch weiteres Unterlassen oder auch nun vorzunehmendes aktives Tun nicht mehr herbeiführen zu können. Es wäre dem A ebenso möglich gewesen den Anruf in der Notrufzentrale nicht vorzunehmen. Er hätte so durch Untätigbleiben bewirken können, dass weiterhin Gas ausströmt und es zu einer Explosion kommt, die die Hausbewohner getötet hätte. A hätte den Erfolg also durch weiteres Unterlassen noch herbeiführen können. Der Versuch war nicht fehlgeschlagen.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Bei einem versuchten Begehungsdelikt richtet sich die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch danach, ob der Täter glaubt, bereits alle erforderlichen Handlungen vorgenommen zu haben, damit der Erfolg eintreten kann. Dieser Maßstab lässt sich nicht ohne Weiteres auf das versuchte Unterlassen übertragen, das gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Täter den Erfolg herbeiführen will, indem er gar nicht handelt.
Teilweise wird daher angenommen, dass eine Differenzierung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch beim Unterlassen obsolet und der Versuch immer beendet sei. Dies wird allen voran damit begründet, dass bei einem Unterlassen ein Rücktritt durch bloßes Nichtweiterhandeln (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB) nicht möglich ist, weil im Nichtstun schon das tatbestandliche Verhalten liegt. Stattdessen ist für einen Rücktritt vom versuchten Unterlassen immer ein aktives Tun erforderlich, sodass sich der Rücktritt nur nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB richten kann.
Eine Gegenauffassung will auch beim Unterlassungsversuch zwischen beendetem und unbeendetem Versuch unterscheiden. Unbeendet soll der Versuch so lange sein, wie der Täter den Erfolg aus seiner Sicht noch durch Nachholen der ursprünglich gebotenen Rettungshandlung abwenden kann. Ein beendeter Versuch liegt hingegen vor, wenn aus Tätersicht darüberhinausgehende Maßnahmen erforderlich werden, um den Erfolgseintritt noch verhindern zu können. Legt man diese Differenzierung zu Grunde, so ist im vorliegenden Fall von einem beendeten Versuch auszugehen. Allein das Abdrehen der Gaszufuhr genügte wohl auch nach der Vorstellung des A nicht mehr. Die Hausbewohner mussten zudem aus dem Gebäude evakuiert werden. Es wurden also zusätzliche Maßnahmen nötig, um den Erfolg sicher zu verhindern.
Nach beiden Ansichten liegt daher ein beendeter Unterlassungsversuch vor.
Rücktrittsverhalten
Von diesem Versuch konnte A nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB zurücktreten, indem er die Vollendung verhinderte. Welche Anforderungen dabei an den Zurücktretenden zu stellen sind, ist umstritten.
Vgl. dazu Einheit 7, Fall 3. Insoweit ergeben sich zum versuchten Begehungsdelikt keine Besonderheiten.
Die Rspr. fordert lediglich Kausalität zwischen dem Rücktrittsverhalten und der Erfolgsverhinderung, die herrschende Meinung in der Lit. darüber hinaus die objektive Zurechenbarkeit der Erfolgsverhinderung. Durch seinen Anruf in der Notrufzentrale bewirkte A, dass die Feuerwehr zum Haus geschickt wurde und durch sie die Bewohner gerettet werden konnten. Sein Verhalten war daher kausal für das Ausbleiben des Erfolges. Dass professionelle Hilfe geschickt wird, wenn ein Notruf eingeht, war ebenso vorhersehbar, wie die Tatsache, dass die Feuerwehr die notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Hausbewohner einleiten würde. A hat durch seinen Anruf eine Rettungschance eröffnet, die sich vorhersehbar im Ausbleiben des Todes der Bewohner realisierte. Die Abwendung des Erfolges ist ihm daher auch objektiv zurechenbar. Sowohl nach der Rspr. als auch nach der h.Lit. hat der A ein hinreichendes Rücktrittsverhalten vorgenommen.
Nach der sog. „Bestleistungstheorie“ muss der Zurücktretende die bestmögliche Maßnahme zur Erfolgsverhinderung ergreifen. Dazu hätte A jedenfalls auch den Gashahn schließen müssen. Da er dies nicht tat, wäre er nach dieser Ansicht allein durch den Notruf nicht vom Versuch zurückgetreten. Für die Forderung nach einer Bestleistung lassen sich im Wortlaut des § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB indes keine Anhaltspunkte finden. Im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG muss daher auf über den Wortlaut hinausgehende Anforderungen verzichtet werden. Die „Bestleistungstheorie“ ist daher abzulehnen.
Durch seinen Anruf in der Notrufzentrale verhinderte A in kausaler und ihm zurechenbarer Weise die Vollendung des Totschlags durch Unterlassen an den Hausbewohnern.
Freiwilligkeit
Den Anruf tätigte A ohne äußeren Zwang aus autonomen Motiven und blieb währenddessen „Herr seiner Entschlüsse“. Er handelte freiwillig.
Zwischenergebnis
A trat vom versuchten Totschlag durch Unterlassen nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB zurück.
Ergebnis
Er machte sich nicht nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Var. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar, indem er den Gashahn nicht schloss.
Gesamtergebnis
A machte sich weder durch das Öffnen noch durch das Nicht-Schließen des Gashahns wegen eines versuchten Totschlags strafbar.
Hinweis: Fall 1 und 2 dürften vom Umfang her für eine AG-Einheit ausreichen. Fall 3 und 4 können den Teilnehmenden daher zum freiwilligen Selbststudium überlassen werden.
Lösungshinweise zu Fall 3
Tat zulasten des W
A gab die versuchte Erpressung des W auf, indem er nicht am vereinbarten Übergabeort erschien. Fraglich ist jedoch, ob er dabei auch freiwillig handelte. Freiwilligkeit liegt mit der psychologisierenden Betrachtungsweise dann vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und aus autonomen Motiven heraus die Tatausführung aufgibt. Demgegenüber handelt unfreiwillig, wer sich durch äußere Umstände, die der Täter als „zwingende“ Hindernisse wahrnimmt, oder durch seelischen Druck unfähig sieht, die Tat weiterzuführen.
A erschien nicht am verabredeten Übergabeort, weil er es für möglich hielt, dass W die Polizei hinzugezogen hatte. Das Risiko, bei der Tatausführung entdeckt zu werden, steht der Freiwilligkeit nicht zwingend entgegen. Insbesondere wenn ein gewisses Entdeckungsrisiko von vornherein einkalkuliert war oder die Tat vor Zeugen begangen werden sollte, schließt es einen freiwilligen Rücktritt nicht aus, wenn der Täter von der weiteren Tatbegehung später doch wegen genau jenes eingeplanten Risikos absieht. Zur Unfreiwilligkeit führt es erst dann, wenn sich das Entdeckungsrisiko aus der Sicht des Täters beträchtlich erhöht hat, sodass es ihm das Weiterhandeln wie ein „zwingendes“ Hindernis unmöglich erscheinen lässt.
A ging davon aus, dass W möglicherweise die Polizei informiert hatte, wusste dies jedoch nicht sicher. Dennoch hielt er es für möglich, die Geldübergabe erfolgreich durchzuführen, ohne dabei als Täter entdeckt und verfolgt zu werden. Die Entdeckungsgefahr erschien ihm nicht derart hoch, dass er sich dadurch „gezwungen“ sah, auf die Abholung des Geldes des W zu verzichten. Dass A allein wegen des jeder Erpressung immanenten Risikos, dass das Opfer die Polizei hinzuzieht, steht einem freiwilligen Rücktritt daher nicht entgegen. A gab die versuchte Erpressung des W freiwillig auf.
Tat zulasten des T
Auch von der versuchten Erpressung zum Nachteil des T könnte A freiwillig zurückgetreten sein, indem er auf einen erneuten Übergabeversuch verzichtete. Zur Definition der Freiwilligkeit s.o. Als A beim letzten Übergabeversuch beobachtete, dass der Passant P festgenommen wurde, wusste er sicher, dass T die Polizei eingeschaltet hatte und dass die Beamten am Übergabeort anwesend waren. Er konnte daher davon ausgehen, dass auch eine neu vereinbarte Übergabe von der Polizei begleitet werden würde. Das Risiko, entdeckt zu werden, war dadurch, anders als bei dem Erpressungsversuch zulasten des W, nicht nur möglicherweise erhöht. Vielmehr musste A nun mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass er bei einem weiteren Übergabeversuch als Täter identifiziert werden würde. Die Entdeckungsgefahr war damit für den A maßgeblich gestiegen, wodurch die Weiterführung seines Vorhabens für ihn unmöglich gemacht wurde. Das deutlich erhöhte Entdeckungsrisiko stellte sich dem A als „zwingendes“ Hindernis in den Weg, sodass sein Verzicht auf eine erneute Geldübergabe nicht freiwillig geschah.
Lösungshinweise zu Fall 4
A könnte vom versuchten Raub nach § 24 StGB strafbefreiend zurückgetreten sein, indem er ohne den Schmuck das Juweliergeschäft verließ.
Kein Fehlschlag
Dies setzt voraus, dass der Versuch zum Zeitpunkt der Flucht noch nicht fehlgeschlagen war. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Täter glaubt, den Erfolg nicht mehr mit den vorhandenen Mitteln und ohne zeitliche Zäsur herbeiführen zu können. Als es dem A gelang, den Elektroschocker wegzuwerfen, lag die V bereits am Boden. Es wäre ihm daher äußerlich betrachtet ohne zeitliche Unterbrechung möglich gewesen, den offen liegenden Schmuck an sich zu nehmen, ehe er das Geschäft verließ, und so den Erfolg noch zu erzielen. Der Versuch war nicht fehlgeschlagen.
Abgrenzung: unbeendeter/beendeter Versuch
Ferner ist zwischen einem beendeten und unbeendeten Versuch zu unterscheiden. Die Abgrenzung richtet sich danach, ob der Täter aus seiner Perspektive bereits alles Erforderliche für die Herbeiführung der Vollendung getan hat. Die räuberische Erpressung nach § 255 StGB ist erfordert neben der Anwendung eines qualifizierten Nötigungsmittels (Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) auch den Eintritt eines Vermögensnachteils beim Opfer. Damit es zu einem Vermögensnachteil beim Inhaber des Juweliergeschäfts hätte kommen können, hätte A den Schmuck an sich nehmen müssen. Da er dies nicht getan hatte, waren auch aus der Sicht des A noch nicht alle erforderlichen Handlungen vorgenommen worden. Es liegt ein unbeendeter Versuch vor.
Rücktrittsverhalten
Von diesem könnte A nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB zurückgetreten sein, wenn er die weitere Ausführung der Tat aufgab. Als A das Geschäft verließ, verzichtete er darauf den Schmuck mitzunehmen. Er gab damit die räuberische Erpressung auf.
Freiwilligkeit
Die Tataufgabe müsste freiwillig erfolgt sein. Freiwillig handelt, wer von autonomen Motiven geleitet wird und dabei „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt. Unfreiwilligkeit ist hingegen dann anzunehmen, wenn der Zurücktretende sich durch äußere Umstände, die für ihn „zwingende“ Hindernisse darstellte, gehindert sieht, die Tat fortzuführen, also aus heteronomen Motiven handelt. Ebenso handelt der Täter nicht freiwillig, wenn er wegen unwiderstehlicher innerer Hemmungen, etwa infolge eines Schocks oder seelischen Drucks, unfähig ist, weiter zu handeln.
A war bereits durch den Stromschlag, den er selbst erlitt, beeinträchtigt. Zusätzlich geriet A durch die Schreie der V und weil es ihm wegen seines Krampfes nicht gelang, den Elektroschocker abzuschalten, in Panik. Infolgedessen war A nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen, er blieb also gerade nicht „Herr seiner Entschlüsse“. Die Panik löste bei ihm einen inneren Zwang aus, dem sich A nicht wiedersetzen konnte. Dass er das Geschäft ohne den Schmuck verließ, stellte kein freies, willensgesteuertes Verhalten dar. A handelte infolge seines psychischen Unvermögens, die Tat weiter auszuführen, nicht freiwillig.
Ergebnis
A gab die weitere Tatausführung zwar auf, tat dies jedoch nicht freiwillig. Somit liegen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB nicht vor. A ist nicht vom Versuch zurückgetreten.