Notwendiges Vorwissen: Kenntnis der Prüfung abstrakter und konkreter Gefährdungsdelikte; §§ 315b f. StGB einschließlich der Systematik der Straßenverkehrsdelikte
§ 315d StGB ist eine relativ junge Vorschrift, die mit Wirkung zum 13. Oktober 2017 in das StGB eingefügt wurde und dabei den Bußgeldtatbestand in § 29 Abs. 1 StVO aF ablöste. Der Gesetzgeber reagierte mit der Einführung von § 315d StGB auf einige prominent diskutierte Kraftfahrzeugrennen auf öffentlichen Straßen, die einen tödlichen Ausgang nahmen. Das bekannteste dieser Vorkommnisse dürfte der sogenannte Ku’damm-Raserfall sein.LG Berlin NStZ 2017, 471, aufgehoben durch BGH NStZ 2018, 409 und im zweiten Rechtsgang im Wesentlichen gehalten von BGH NJW 2020, 2900 mAnm Eisele, JuS 2020, 892, Steinert, NStZ 2020, 602, bestätigt durch BVerfG NStZ 2023, 215. Beschränkte sich der ursprüngliche Gesetzesentwurf zur Einführung von § 315d StGB noch auf „echte“ Kraftfahrzeugrennen (also solche mit mehreren Teilnehmern),BT-Drs. 18/10145. wurde im GesetzgebungsverfahrenBT-Drs. 18/12964, S. 5 f. später noch der § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ergänzt, der die sog. „Einzelraserfahrt“In diesem Kapitel wird im Zusammenhang mit § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bewusst die gängige Formulierung „Einzelrennen“ vermieden. Denn in Situationen, in denen nur eine Person übermäßig schnell fährt, fehlt es typischerweise an den maßgeblichen Merkmalen eines Rennens, namentlich an einer Rennabrede zwischen zumindest zwei Fahrer:innen, die das renntypische Eskalationspotential schafft. (d. h. Fälle, in denen eine einzelne Kraftfahrzeugführer:in mit stark überhöhter Geschwindigkeit auf öffentlichen Straßen fährt) unter Strafe stellt. Diese letztere Vorschrift bestimmt heute die meisten Fälle in der Praxis.Dies entspricht jedenfalls der Wahrnehmung des Verf. nach Auswertung der veröffentlichten Rechtsprechung: Mehr als doppelt so viele Entscheidungen ergingen hier zu § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als zu § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB. Leider unterscheidet die Strafverfolgungsstatistik die unterschiedlichen Tatbestandsalternativen des § 315d StGB nicht, vgl. LT-Drs. NRW 17/12921, S. 2. In der polizeilichen Kriminalstatistik ist das Delikt nicht erfasst. In verfassungsrechtlicher und kriminalpolitischer Hinsicht ist sie allerdings äußerst bedenklich, da den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten durch die vielen offen formulierten Tatbestandsmerkmale ein sehr weiter Wertungsspielraum eröffnet wurde, der nunmehr primär zur Kriminalisierung von Polizeifluchtfahrten genutzt wird. Eine abstrakte Normenkontrolle des Amtsgerichts Villingen-SchwenningenAG Villingen-Schwenningen BeckRS 2020, 167 m. Anm. Jahn, JuS 2020, 277; Krumm, SVR 2020, 146. erachtete das BVerfG gleichwohl für unbegründet.BVerfG NJW 2022, 1160 m. Anm. Kubiciel, JZ 2022, 779; Zieschang, JR 2022, 284; Obermann, NZV 2022, 184; Steinert, SVR 2022, 191; vgl. auch BVerfG NStZ 2023, 215 m. Anm. Obermann, NZV 2023, 118; Jahn, JuS 2023, 272.
In der Praxis stellt § 315d StGB die Tatgerichte vor große Herausforderungen bei der Feststellung des Tatvorsatzes. Kommt ein Mensch zu Tode, so ist zugleich auch immer fraglich, ob §§ 212, 211 StGB verwirklicht sind.Vgl. BVerfG NStZ 2023, 215.
Rechtsgut und Deliktsstruktur
Rechtsgut
Ähnlich wie es die hM für § 315c StGB (→ § 28 Rn. 2) annimmt, weist auch § 315d StGB zwei Schutzrichtungen auf:
Zum einen schützt er die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und damit ein Allgemeinrechtsgut. Problematisch ist insofern allerdings, dass die verschiedenen Grunddelikte des Tatbestands (§ 315d Abs. 1 Nr. 1–3 StGB) nicht dieselbe abstrakte Gefahr für dieses Rechtsgut adressieren, was Widersprüche in der Binnensystematik der Norm verursacht. Während § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB die Gefahren, die durch Renngeschwindigkeit und gruppendynamische Effekte entstehen, bekämpfen will, bleibt das exakte Schutzziel des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB unklar. Der Gesetzgeber wollte sich nicht festlegen, ob der Tatbestand zur Verhütung von Risiken überhöhter Geschwindigkeiten im Straßenverkehr oder des „Nachstellens eines Kraftfahrzeugrennens“ oder aber schlicht als Auffangtatbestand des Verbots echter Kraftfahrzeugrennen dienen sollte. Diese Unklarheit des Schutzzwecks erschwert die Auslegung des unbestimmt formulierten Tatbestands, insbesondere der überschießenden Innentendenz („Willen zum Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit“), dazu näher unter → Rn. 25 ff.
Daneben schützt § 315d StGB nach einhelliger Auffassung Leib und Leben sowie das Eigentum der Verkehrsteilnehmer als Individualrechtsgüter.BT-Drs. 18/10145, S. 9; BR-Drs. 362/16, S. 6; BR-Drs. 362/16 (B), S. 7; BVerfG NJW 2022, 1160 (1163 Rn. 106); BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 19; LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 256; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 7; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 315d Rn. 1; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 2; Blanke-Roeser, JuS 2018, 18 (19); Kulhanek, JURA 2018, 561; Lindemann/Bauerkamp/Chastenier, AL 2019, 74; Schulz-Merkel, NZV 2020, 397 (398); Steinle, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 138; Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 96. Einige Stimmen in der Literatur billigen diese zusätzliche Schutzrichtung allerdings nur den Qualifikationstatbeständen in § 315d Abs. 2, 4 und 5 StGB zu, während die Grundtatbestände in § 315d Abs. 1 StGB nach dieser Auffassung allein die Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs abwenden wollen.So Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 2; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 1; Zieschang, in: Handbuch des Strafrechts, § 45 Rn. 94; Quarch, in: HK-GS, 5. Aufl. (2021) § 315d Rn. 2; Weigend, in: Barton u.a. (Hrsg.), FS Fischer, 2018, S. 580 f. Die herrschende Gegenauffassung bestimmt das Schutzgut des gesamten Tatbestands einheitlich.BVerfG NJW 2022, 1160 (1163 Rn. 106); BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 19; LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 256; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 7; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 315d Rn. 1; Krumm, in: AnwKomm-StGB, 3. Aufl. (2020) § 315d Rn. 1; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 2; Blanke-Roeser, JuS 2018, 18, 19; Kulhanek, JURA 2018, 561; Lindemann/Bauerkamp/Chastenier, AL 2019, 74; Schulz-Merkel, NZV 2020, 397 (398); Steinle, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 138. Für die Gegenauffassung spricht der Wille des Gesetzgebers. Dieser ging davon aus, die genannten Individualrechtsgüter würden bereits durch das im Grundtatbestand verankerte Verhalten gefährdet.BT-Drs. 18/10145, S. 9. Zwar sind Leib, Leben und Eigentum nur im Normwortlaut der Qualifikationstatbestände verankert. Das steht der einheitlichen Bestimmung des Schutzguts jedoch nicht entgegen, ist es doch Wesensmerkmal abstrakter Gefährdungsdelikte, dass das Schutzgut kein Tatbestandsmerkmal ist.LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 257. Dieser Streit hat Auswirkungen auf die Frage, ob man in eine Tat nach § 315d StGB einwilligen kann, dazu näher unter → Rn. 52.
Deliktsstruktur
Der Aufbau des § 315d StGB ist diffizil und unübersichtlich. Deswegen lohnt sich ein genauerer Blick in die Deliktsstruktur:
§ 315d Abs. 1 StGB regelt vier eigenständige Grunddelikte:
Das Ausrichten (§ 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB),
das Durchführen (§ 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) und
das Teilnehmen (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB) an einem Kraftfahrzeugrennen sowie
die „Einzelraserfahrt“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB).
Es handelt sich jeweils um abstrakte Gefährdungsdelikte, da weder eine Rechtsgutsverletzung noch eine konkrete Gefahr tatbestandlich vorausgesetzt werden. Vielmehr werden bereits abstrakt gefährliche Verhaltensweisen (Ausrichten und Durchführen bzw. Fahren eines Kraftfahrzeugrennens und grob verkehrswidrig schnelles Fahren) unter Strafe gestellt.
§ 315d Abs. 2, 4 und 5 StGB regeln Qualifikationen für den Fall, dass durch das Grunddelikt Leib oder Leben eines Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet (Abs. 2 und Abs. 4) oder dadurch sogar der Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht wird (Abs. 5). Es gilt genau darauf zu achten, welche der in § 315d Abs. 1 StGB enthaltenen Delikte durch welche Norm in Abs. 2, 4 und 5 qualifiziert werden können:
§ 315d Abs. 2 und 4 StGB – die konkreten Gefährdungsqualifikationen – knüpfen nur an § 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB an.
Die Tatvarianten des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB (Ausrichten und Durchführen eines Rennens) können nicht qualifiziert verwirklicht werden.
§ 315d Abs. 2 StGB verlangt die vorsätzliche Herbeiführung einer konkreten Gefahr, während die fahrlässige konkrete Gefährdung in § 315d Abs. 4 StGB qualifiziert bestraft ist.
Die Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB kann nur im Fall des § 315d Abs. 2 StGB verwirklicht werden.
Hieraus ergibt sich folgendes Aufbauschema:
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB sind verhaltensgebundene Delikte, denn bestraft wird gerade die Kraftfahrzeugführer:in. Die Tathandlung des Führens eines Fahrzeugs kann also nicht durch ein anderes Tatverhalten ersetzt werden. Dies spielt insbesondere in Fällen eine Rolle, in denen die Fahrzeugführer:in während eines Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder einer „Einzelraserfahrt“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) so stark alkoholisiert ist, dass sie mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wird (§ 20 StGB). Anders als es für nicht-verhaltensgebundene Delikte wie zB den Totschlag (kontrovers) diskutiert wird,S. dazu Paeffgen, in NK-StGB, 6. Aufl. (2023), Vor § 323a Rn. 6 f.; Salger, NStZ 1993, 561; Ambos, NJW 1997, 2296; im Überblick Rönnau, JuS 2010, 300 (301 f.). kann bei § 315d Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB wegen der klaren gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung („Führen eines Kraftfahrzeugs“) in solchen Fällen nicht unter Rückgriff auf die Rechtsfigur der actio libera in causa an ein Verhalten angeknüpft werden, das zeitlich vor dem Verlust der Schuldfähigkeit liegt (zB das Sich-Betrinken).BGH NStZ 1997, 228 (229); kritisch Jahn, NJW 2018, 1180 (1185); vgl. auch OLG Nürnberg NZV 2006, 486; OLG Celle NZV 1998, 123; Zimmermann, JuS 2010, 22 (26); aA Hirsch, NStZ 1997, 230 (231).
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGBBGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 21 ff.; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 34; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 23; Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 89; aA nur Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (330). und damit auch § 315d Abs. 2, 4 und 5 StGBBGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 21 ff.; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15; Schladitz, JR 2022, 484 (493); Zieschang, JZ 2022, 101 (103). sind darüber hinaus eigenhändige Delikte, weil die Tatbestände nach ihrem Wortlaut voraussetzen, dass die Tat gerade durch Kraftfahrzeugführer:innen begangen wird. Ganz regelmäßig kann es pro Kraftfahrzeug nur eine Kraftfahrzeugführer:in geben. Eine Zurechnung von Tatbeiträgen anderer Personen ist mithin nicht möglich, so dass Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB und mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB ausscheiden.
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB sind Dauerdelikte.LG Deggendorf BeckRS 2019, 35102, Rn. 240; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 44; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 80; Zieschang, JA 2016, 721 (726); Kulhanek, NStZ 2022, 47 (48); so iE auch LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 260 „dauerdeliktsähnlich"; aA Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (330).
Objektiver Tatbestand
Im öffentlichen Straßenverkehr
Kraftfahrzeugrennen iSd § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sowie die „Einzelraserfahrt“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB müssen im öffentlichen Straßenverkehr stattfinden. Für die Definition dieses Begriffs wird auf § 316 StGB verwiesen (→ § 30 Rn 14 f.). Umstritten ist, ob Rennen und „Raserfahrten“ an gänzlich ungefährlichen Orten (zB auf einem überschaubaren Feldweg oder im menschenleeren Wald) vom Tatbestand ausgenommen sind.So etwa Blanke-Roeser, JuS 2018, 18 (22); Gerhold/Conrad, JA 2019, 358 (363); Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321; Dahlke/Hoffmann-Holland, KriPoZ 2017, 35 (41); Lindemann/Bauerkamp/Chastenier, AL 2019, 74 (78); Mitsch, DAR 2017, 70 (72); Weigend, in: Barton u. a. (Hrsg.), FS Fischer, 2018, S. 573. Die hM lehnt dies ab,Vgl. LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 257; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 12; Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 24; generell zur Legitimität von abstrakten Gefährdungsdelikten BVerfG NJW 2020, 905 (914 Rn. 271). denn es handelt sich bei den Tatbeständen um abstrakte Gefährdungsdelikte, bei denen es gerade nicht auf eine konkrete Gefahr im Einzelfall ankommt. Ob ein Verhalten abstrakt gefährlich ist, wird abschließend durch den Gesetzgeber beantwortet. Die (auch nur mögliche) Gefährlichkeit in der Tatsituation ist dann grundsätzlich unmaßgeblich.
„Echte“ Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB)
Zur Definition des „Kraftfahrzeugrennens“
§ 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfassen Taten im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugrennen. Der BGH definiert Kraftfahrzeugrennen als
„Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten. Auf die Startmodalitäten kommt es nicht an.“BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 17 (Hervorh. durch den Verf.); so auch BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 12; BGH BeckRS 2022, 19171, Rn. 6.
Weiterführendes Wissen: Soweit der BGH als Voraussetzung für die Subsumtion unter den Begriff des Rennens verlangt, dass die Teilnehmer im Wettbewerb zueinander stehen, weicht er von der Definition des Gesetzgebers ab. Dieser wollte neben Wettbewerben auch „Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten“BT-Drs. 18/12964, S. 5. erfassen (also zB gemeinsame Ausfahrten, bei denen es den teilnehmenden Kraftfahrzeugführer:innen um ein gemeinsames Geschwindigkeitserlebnis gehtS. zB AG Obernburg BeckRS 2021, 58265.). Daher sind meiner Auffassung nach entgegen dem BGH nicht nur kompetitive, sondern auch kooperative Fahrten zur Erzielung von höchsten Geschwindigkeiten dem Kraftfahrzeugrennbegriff des Strafgesetzbuchs; ein Wettbewerbscharakter ist nicht erforderlich.LG Aachen BeckRS 2021, 2225, Rn. 43; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 13.6; Pschorr, jurisPR-StrafR 9/2022 Anm. 3; aA AG Obernburg BeckRS 2021, 58265, Rn. 56; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 8; Bartel, DAR 2022, 181 (189).
Leitet man aus der genannten Definition des BGH ein Prüfungsschema ab, so ergeben sich die folgenden Prüfungspunkte:
Ein Kraftfahrzeugrennen wird mit Kraftfahrzeugen iSd § 1 Abs. 2 StVG§ 248a Abs. 4 StGB ist nicht anwendbar, vgl. Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 15; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 6; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 3; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 6; Stam, StV 2018, 464 (465); Ternig, ZfSch 2020, 304 (305). Siehe ausführlich Pschorr, JuS 2024, 663, 664 f. auf Grundlage einer RennabredeBGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 17; OLG Oldenburg BeckRS 2022, 32495, Rn. 19. zwischen mindestens zwei Teilnehmern ausgetragen. Eine Rennabrede kann ausdrücklich oder konkludent – zB durch wechselseitiges Aufheulen der Motoren an einer roten Ampel – getroffen werden. Die vereinbarte Fahrt muss auf eine möglichst hohe Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die höchste Beschleunigung gerichtet sein. Fahrten, bei denen es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Fahrgeschick geht, unterfallen der Norm damit nicht – so zB „Donuts“Bei dieser Spielart des Driftens dreht sich das Heck des Fahrzeugs im Kreis, während die Fahrzeugfront an einem Fleck verharrt. Das Fahrzeug bewegt sich mithin nicht vorwärts, sondern beschreibt nur eine kreisförmige Bewegung mit dem Heck. und Driftrennen.KG BeckRS 2022, 1838, Rn. 28 f.; LG Koblenz BeckRS 2020, 29005, Rn. 13 ff.; AG Berlin-Tiergarten BeckRS 2020, 14536, Rn. 2; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 9; Britz, jM 2022, 304 (307); Fromm, DAR 2021, 13 (15); Fromm, NZV 2021, 222; aA Winkelmann, NZV 2020, 540.
Hinweis: Kommt eine Rennabrede nicht zustande, so ist der Tatbestand nicht erfüllt.Pschorr, JurisPR-StrafR 2/2022, Anm. 4. Der untaugliche oder gescheiterte Versuch ist straflos.Pschorr, JurisPR-StrafR 2/2022, Anm. 4; vgl. auch Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 103.
Nach Auffassung des BGH muss die Rennabrede die Vereinbarung enthalten, dass die Teilnehmern das Rennen auf einer nicht unerheblichen Wegstrecke austragen wollenObwohl die Formulierung „austragen wollen“ auf ein subjektives Merkmal hindeutet, handelt es sich um ein objektives Merkmal – die nicht unerhebliche Wegstrecke muss tatsächlich Teil der Rennabrede sein.. Ob eine Wegstrecke unerheblich ist, soll sich danach bestimmen, ob sie „unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten“ relevant ist; Fahrten, die sich auf einen überschaubaren Verkehrsvorgang kurzer Distanz beschränkten, unterfallen dem Tatbestand laut BGH nicht.BGH NStZ 2021, 540 (542); BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 18; BGH BeckRS 2021, 19204, Rn. 11; so auch LG Flensburg BeckRS 2021, 13958, Rn. 13 ff. Deshalb müssen Tatgerichte Feststellungen zur avisierten Rennstreckenlänge treffen.BGH BeckRS 2022, 19171, Rn. 7. Dass der BGH Feststellungen zur Länge der tatsächliche befahrenen Rennstrecke fordert, ist erstaunlich, weil es sich bei der Rennabrede eigentlich um ein subjektives Merkmal handelt, es mithin auf die Länge der Rennstrecke ankommen müsste, die die Beteiligten abfahren wollten (gleichgültig, ob sie es wirklich getan haben). Einen Maßstab zur Beurteilung, wann ein Verkehrsvorgang unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht überschaubar und deshalb nicht unerheblich ist, stellt der BGH nicht auf – und öffnet damit der Maßstabsbildung am Einzelfall Tür und Tor. Das Überfahren einer Kreuzung oder die kurzzeitige Beschleunigung während eines ÜberholvorgangsVgl. BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 24. kann an der einen Stelle ein überschaubares Risiko für die Verkehrssicherheit bergen, an anderer Stelle hochgefährlich sein. In Teilen der Literatur wird die Anforderung einer nicht unerheblichen Wegstrecke deshalb zutreffend abgelehnt.Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 43; Zieschang, JR 2022, 284 (287); Pschorr, JurisPR-StrafR 13/2022, Anm. 3; vgl. auch KG BeckRS 2022, 14332, Rn. 6. Sie widerspricht dem Willen des Gesetzgebers, alle Kraftfahrzeugrennen und damit auch kurze Rennen wie beispielsweise „Dragraces“In den USA beliebte Beschleunigungsrennen über die Distanz einer Viertelmeile, bei denen die Fahrzeuge aus dem Stand beschleunigt werden, vgl. Steinert, SVR 2022, 201 (203). und andere BeschleunigungsrennenKG BeckRS 2022, 14332, Rn. 6; zu den Gefahren von Beschleunigungsrennen zutreffend Zieschang, JR 2022, 284 (287). unter Strafe zu stellen.Vgl. BT-Drs. 18/10145, S. 7.
Im Zusammenhang mit „Kraftfahrzeugrennen“ erfasste Tathandlungen
§ 315d StGB stellt im Zusammenhang mit „echten“ Rennen drei Tathandlungen unter Strafe:
„Ausrichten“ und „Durchführen“ eines Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und Var. 2 StGB)
§ 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft Handlungen im Vorfeld und in Unterstützung des Rennens. Ausrichter:in eines Kraftfahrzeugrennens iSd § 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB ist, wer als geistiger und praktischer Urheber, Planer und Veranlasser die Veranstaltung vorbereitet, organisiert oder eigenverantwortlich gestaltet.Vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 5 Ausrichter:innen müssen die Organisation des Rennens tatherrschaftlich in der Hand halten.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 5; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 16; Jansen, NZV 2017, 214 (216); Zieschang, JA 2016, 721 (723). Dazu ist jedoch eine Anwesenheit am Rennort nicht erforderlich.BT-Drs. 18/12964, S. 5. Durchführer:in iSd § 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB sind nach dem Willen des Gesetzgebers alle vor Ort tätigen Unterstützer:innen des Renngeschehens.BT-Drs. 18/12964, S. 5. In der Literatur wird einschränkend auch für Durchführer:innen TatherrschaftHecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 6; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 18; ähnlich Ernemann, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 7; Kindhäuser/Schramm, BT I, 10. Aufl. (2021), § 67 Rn. 8. oder jedenfalls Eigenverantwortlichkeit (im Verhältnis zu den Ausrichter:innen)Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 17; Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 34; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 17; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 9; Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 114. gefordert. Dies entspricht allerdings nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn dieser wollte durch die Schaffung von § 315d Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB typische Beihilfehandlungen mit Täterqualität ausstatten. Beide Tatvarianten setzen den Beginn des Rennens voraus – es handelt sich um Erfolgsdelikte. Das Rennen beginnt mit dem Anrollen der Räder am Rennort.LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 259; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 21; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 7; Eisele, KriPoZ 2018, 32 (34); aA Ernemann, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 11; Zieschang, JA 2016, 721 (725); Kulhanek, JURA 2018, 561 (563)
Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB)
Nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer an einem Kraftfahrzeugrennen teilnimmt. „Teilnehmer“Der Begriff „teilnehmen“ in § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB darf nicht mit der amtlichen Überschrift der §§ 26 ff. StGB verwechselt werden. Während dort die Teilnahme an einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat gemeint ist, ist die Teilnahme hier selbst die Haupttat. Demnach ist auch eine Teilnahme an der Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen (§§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 26 bzw. 27 StGB) möglich. im Sinne der Norm sind diejenigen Kraftfahrzeugführer:innen, die den Geschwindigkeitswettbewerb untereinander austragen.BT-Drs. 18/12964, S. 5; BT-Drs. 18/10145, S. 9. Der Begriff des Führens entspricht dem gleichlautenden Merkmal in § 316 StGB, → § 30 Rn. 12 f. Es handelt sich um ein eigenhändiges Tätigkeitsdelikt, das mit dem Anrollen der Räder des Kraftfahrzeugs am Rennort (Beginn des Rennens → Rn. 23) verwirklicht ist.
„Einzelraserfahrt“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB)
Nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB können sich auch einzelne Kraftfahrzeugführer:innen strafbar machen, die nicht mit anderen gemeinsam schnell fahren oder in Wettbewerb treten. Auch wenn die Tatalternative unter der amtlichen (Gesamt-)Überschrift „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ steht, weist sie doch keinen Bezug zu Kraftfahrzeugrennen als tatsächlichem Phänomen auf. Systematisch ist die Norm daher fehlverortet,AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2020, 167, Rn. 78; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 31; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 1; Jansen, NZV 2019, 285 (287); Renzikowski/Berndt, JZ 2021, 794 (795); Schulz-Merkel, NZV 2020, 397 (398); Zieschang, JR 2022, 284 (285); Zieschang, NZV 2020, 489 (491). was die Auslegung erheblich erschwert.
In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand eine Fortbewegung mit grob verkehrswidrig nicht angepasster Geschwindigkeit. Nach Auffassung des BGH ist eine Geschwindigkeit immer dann schon nicht angepasst, wenn die Fahrzeugführer:in gegen § 3 StVO verstößt. Das ist der Fall, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit (§ 3 Abs. 3 StVO) oder die in der konkreten Fahrsituation unter Berücksichtigung von Straßenlage, Sicht- und Witterungsbedingungen, individueller Fahrfähigkeiten etc. höchstmögliche Geschwindigkeit überschritten wird, bei der das Kraftfahrzeug noch sicher beherrscht werden kann (§ 3 Abs. 1 StVO).BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 16; BGH NStZ 2021, 540 (541); so mittlerweile auch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14. Oktober 2022 – 1 OLG 2 Ss 27/22, Rn. 9.
Klausurtipp: In Klausuren der 1. Staatlichen Pflichtfachprüfung werden sowohl die Geschwindigkeit des Tatfahrzeugs als auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der gefahrenen Strecke in der Aufgabenstellung angegeben sein.
Die Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit muss grob verkehrswidrig sein. Das bedeutet im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, dass die durch § 3 StVO vorgegebene Geschwindigkeitsgrenze ganz erheblich überschritten sein muss.BVerfG NJW 2022, 1160 (1163 Rn. 107) mwN. Eine Überschreitung von mehr als 100 % indiziert das Tatbestandsmerkmal.OLG Karlsruhe NJW 1960, 546; BayObLGSt 1987, 37; KG BeckRS 2022, 14327, Rn. 19; LG Aachen BeckRS 2021, 1611, Rn. 63; AG Frankfurt a. M. BeckRS 2021, 40214, Rn. 39.
§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist ein Dauerdelikt. Die Tat dauert an, solange die angepasste Geschwindigkeit grob verkehrswidrig überschritten wird. Das bedeutet: Das Tatgericht muss nicht nur eine (momentane) Geschwindigkeitsüberschreitung feststellen, sondern auch, wie lange der Geschwindigkeitsverstoß andauerte. Bremst der Täter nur kurzzeitig auf die angemessene Geschwindigkeit ab und beschleunigt später wieder über dieses Maß hinaus, handelt es sich um eine einheitliche Tat.Vgl. LG Aachen BeckRS 2021, 1611, Rn. 65; LG Aachen BeckRS 2021, 2225, Rn. 65. Der zugrunde liegende Tatvorsatz bleibt einheitlich. Im fließenden Verkehr ist Abbremsen kein atypischer Geschehensablauf.
Subjektiver Tatbestand
§ 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB lassen Eventualvorsatz hinsichtlich der Merkmale des objektiven Tatbestands genügen.
§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB weist dementgegen einige Besonderheiten auf subjektiver Ebene auf. Zunächst verlangt die Norm eine rücksichtslose Tatbegehung. Die ganz hM legt dieses Tatbestandsmerkmal entsprechend § 315c StGB aus (→ § 28 Rn. 13 f.), wo sowohl ein vorsätzlich als auch ein fahrlässig rücksichtsloses Handeln dem Tatbestand unterfällt. Rücksichtslos handelt hiernach,
„wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt (vorsätzliche Rücksichtslosigkeit), mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde (bewusst fahrlässige Rücksichtslosigkeit) oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflos fährt (fahrlässige Rücksichtslosigkeit).“OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 18673, Rn. 14; OLG Stuttgart BeckRS 2017, 123173, Rn. 7 f.
Bloßes Augenblicksversagen soll dem Tatbestand nicht unterfallen. Diese Definition lässt sich bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB deshalb nicht durchhalten, weil es in Fällen dieses Tatbestands nicht zu Augenblicksversagen kommen kann: Neben der Rücksichtslosigkeit verlangt § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auf subjektiver Ebene, dass die Fortbewegung erfolgt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit (überschießende Innentendenz) zu erreichen. Damit wird ein willentliches, den Pflichten der Verkehrsteilnehmer zuwiderlaufendes Verhalten bereits (durch ein anderes Tatbestandsmerkmal) vorausgesetzt – die rein fahrlässige Rücksichtslosigkeit ist denklogisch ausgeschlossen und es ist kein Fall denkbar, in dem die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen nicht zugleich rücksichtslos ist. Die beiden Tatbestandsmerkmale können nicht klar voneinander abgegrenzt werden. In der Klausur ist darauf zu achten, dass die Tatbestandsmerkmale einheitlich bejaht werden.
Die misslungene Gesetzesformulierung der überschießenden Innentendenz birgt verschiedene Auslegungsprobleme. Zunächst stellt sich die Frage, was „eine höchstmögliche Geschwindigkeit“ ist. Bemerkenswert an diesem Merkmal ist die Kombination eines unbestimmten Artikels („eine“) mit einem Superlativ („höchstmögliche“). Denn dadurch kommt zum Ausdruck, dass es nicht nur eine, sondern mehrere Maximalgeschwindigkeiten iSd Tatbestands geben kann. Dementsprechend ist die Ansicht des LG Stade abzulehnen, wonach nur das Streben nach der bauartbedingt technisch-höchstmöglichen Geschwindigkeit eines Fahrzeugs den Tatbestand erfülle.LG Stade BeckRS 2018, 14896, Rn. 12. Weiterhin wurde teilweise vertreten, die Kraftfahrzeugführer:innen müssten nur nach einer möglichst hohen Geschwindigkeit streben.LG Berlin BeckRS 2018, 13524, Rn. 11; LG Berlin BeckRS 2020, 42785, Rn. 7; Arians, JurisPR-StrafR 13/2020, Anm. 4; Renzikowski/Berndt, JZ 2021, 794 (795); Preuß, NZV 2018, 537 (539); Zopfs, NJW 2019, 2787 (2789). Diese Auffassung lässt sich jedoch weder mit dem Normwortlaut von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB – Superlativ „höchstmöglich“, nicht nach den Möglichkeiten der Kraftfahrzeugführer:in hochZur vom Superlativ „höchstmöglich“ leicht abweichenden Bedeutung von „möglichst hoch“ vgl. https://t1p.de/7gszi und https://t1p.de/xr3z8. – noch mit der Gesetzgebungsgeschichte vereinbaren. Eine erste ähnlich lautende Gesetzesfassung („besonders hohe Geschwindigkeit“)BT-Ausschuss-Drs. 18(6)360, S. 2. wurde wegen BestimmtheitsbedenkenVgl. BT-Ausschuss-Prot. 18/157, S. 15 und 23. im Rechtsausschuss des Bundestages zugunsten der jetzigen Formulierung verworfen. Angesichts dessen verlangt die hM, dass die situativ-höchstmögliche Geschwindigkeit angestrebt wird.BVerfG NJW 2022, 1160 (1164 Rn. 112) mwN, auch zur Literatur; BGH BeckRS 2021, 19204, Rn. 10; BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 18. Gemeint ist damit diejenige Maximalgeschwindigkeit, die in der konkreten Verkehrssituation abhängig von der Leistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugs, der Verkehrssituation, der Witterungslage und den Fähigkeiten der Fahrer:in erzielt werden kann.BT-Drs. 18/12964, S. 5 f.; BVerfG NJW 2022, 1160 (1164 Rn. 112); BGH BeckRS 2021, 19204, Rn. 10. Das hat jedoch zur Folge, dass sich die höchstmögliche Geschwindigkeit begrifflich der nicht angepassten Geschwindigkeit jedenfalls dort gefährlich annähert, wo keine Geschwindigkeitsbeschränkung gilt, zB auf (nicht mit gesonderten Geschwindigkeitsbegrenzungen versehenen Teilen) der Autobahn. Die Verschleifung zweier Tatbestandsmerkmale ist mit Art. 103 Abs. 2 GG jedoch unvereinbar.
Eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss das Ziel der Fortbewegung sein – erforderlich ist mithin dolus directus 1. Grades.BGH NStZ 2021, 540 (542 Rn. 16). Unterschiedlich beurteilt wird, ob es sich beim Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit um das einzige oder zumindest das Hauptziel der Fortbewegung handeln muss. Dies wird besonders bei Polizeifluchtfällen vertreten. In diesen Konstellationen flüchtet eine Kraftfahrzeugführer:in vor der Polizei. (End-)Ziel der Fahrt ist also, die Polizeikräfte abzuschütteln und ungeschoren davonzukommen. Einige Stimmen in der Literatur vertreten, diese Konstellationen unterfielen deshalb nicht § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, weil damit kein Kraftfahrzeugrennen nachgestellt würde und das Ziel einer höchstmöglichen Geschwindigkeit nicht (einziger) Zweck der Fortbewegung sei.Weigend, in: Barton u. a. (Hrsg.), FS Fischer, 2018, S. 577 f.; Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 182. Dem hält die hM entgegen, dass das Erreichen einer höchstmöglichen Geschwindigkeit in Fällen der Polizeiflucht notwendiges Zwischenziel der Flucht vor der Polizei sei.BVerfG NJW 2022, 1160 (1164 Rn. 114); BGH NStZ 2021, 540 (542 Rn. 17); BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 19. Zwar ist diese Wertung angesichts der allgemeinen Vorsatzdogmatik zutreffend: Anerkannt ist, dass dolus directus 1. Grades auch hinsichtlich des notwendigen Zwischenziels hat, wer ein weitergehendes (außertatbestandliches) Ziel verfolgt und außertatbestandliche Ziele der Verwirklichung von überschießenden Innentendenzen wie beispielsweise der Zueignungsabsicht (§ 242 StGB) nicht entgegenstehen. Doch folgt aus einer solchen Auslegung des hiesigen Tatbestands, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bestraft, wer sich der Strafverfolgung (mit einem Kraftfahrzeug) entzieht. Damit verletzt § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB den nemo-tenetur-Grundsatz.
Nach der Rechtsprechung des BGH muss sich die überschießende Innentendenz der Absicht zur Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit auf eine nicht unerhebliche Wegstrecke beziehen,BGH NStZ 2021, 540 (542); BGH BeckRS 2021, 11344, Rn. 18; vgl. ähnlich BVerfG NJW 2022, 1160 (1165 Rn. 116). dazu schon → Rn. 21. Die herrschende Strömung in der Literatur teilt diese Auffassung zutreffenderweise nicht und will § 315d StGB auch bei kurzen Strecken zur Anwendung bringen.Jansen, HRRS 2021, 412 (415); Obermann, NZV 2022, 184 (190); Müller, NZV 2021, 368 (370); Stam, NStZ 2021, 540 (544); Steinert, SVR 2022, 201 (202). Die Auslegung des BGH findet einen Anker weder im Wortlaut noch in der Gesetzesgeschichte des § 315d StGB. Darüber hinaus verschärft sie die Unbestimmtheit der bereits unbestimmten überschießenden Innentendenz noch zusätzlich, denn wie bereits zu den „echten“ Kraftfahrzeugrennen ausgeführt (→ Rn. 21), ist unklar, wann eine Wegstrecke (unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten) „unerheblich“ ist.
Qualifikationen
Schweres Kraftfahrzeugrennen (§ 315d Abs. 2 und 4 StGB)
§ 315d Abs. 2 und 4 StGB sehen als Qualifikation eine höhere Strafe vor, wenn durch eine Tat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB eine konkrete Gefahr für Leib und Leben eines Anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert verursacht wird.
Sowohl der Begriff der konkreten Gefahr als auch die Gefährdungsobjekte werden nach hM entsprechend § 315c StGB (→ § 28 Rn. 16 ff.) ausgelegt. Anders als es die hM bei § 315c StGB annimmt, wird bei § 315d Abs. 2 und Abs. 4 StGB jedoch auch ein fremdes Tatfahrzeug als Gefährdungsobjekt in Betracht kommen: Bei Kraftfahrzeugrennen kommen häufig teure, geleaste oder gemietete Fahrzeuge zum Einsatz – auf die die Täter gerade deshalb zurückgreifen, weil sie sich ein eigenes renntaugliches Kraftfahrzeug nicht leisten können oder es nicht in Gefahr bringen wollen. Es gehört also zum typischen, von den anderen Straßenverkehrsdelikten abweichenden Tatrisiko des § 315d StGB, dass fremde Fahrzeuge Tatobjekte sind und dabei in Gefahr gebracht werden.
Bedeutsam ist, dass § 315d Abs. 2 und 4 StGB eigenhändige Delikte sind.BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 21 ff.; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15; Schladitz, JR 2022, 484 (493); Zieschang, JZ 2022, 101 (103). Deshalb genügt es nicht, dass einer der Rennteilnehmer eine konkrete Gefahr verursacht, um alle Rennteilnehmer qualifiziert zu bestrafen. Die Gefahrverursachung kann nicht gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB oder § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 26; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15; Zieschang, JZ 2022, 101 (103); Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 195. Vielmehr muss für jedem Täter ein eigener Verursachungsbeitrag zur Entstehung der Gefahr nachgewiesen werden.BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 26; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 17 f.; Schladitz, JR 2022, 484 (494); Zieschang, JZ 2022, 101 (104); so iE auch LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 293 f. Für einen eigenen Verursachungsbeitrag verlangt der BGH, dass sich die Rennteilnehmer bei Eintritt der Gefährdung in derselben Rennsituation befunden haben und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang bestanden hat.BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 28; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15. Verursachen Mehrere die Gefahr, so stehen sie als Nebentäter zueinander.
Beispiel: Überholt ein Rennteilnehmer einen anderen Rennteilnehmer auf der Gegenfahrbahn, so leisten regelmäßig beide einen Verursachungsbeitrag zur Gefährdung eines entgegenkommenden Fahrzeugs. Weitere zurückhängende Rennteilnehmer sind für diese Gefahr dementgegen nicht verantwortlich.
Die konkrete Gefahr muss durch die Tathandlung des Grundtatbestandes verursacht werden (Gefahrverwirklichungszusammenhang).BGH BeckRS 2021, 37353, Rn. 26; BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 15; BGH NStZ 2021, 540 (542 Rn. 20); Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 10; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 36; Kulhanek, JURA 2018, 561 (565); Schladitz, JR 2022, 484 (494); Zehetgruber, NJ 2018, 360 (365). Im Fall des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB muss sich also das typische Tatrisiko der Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen verwirklichen, während im Fall des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB die grob verkehrswidrig nicht angemessene Geschwindigkeit die Gefahr kausal und zurechenbar verursacht haben muss. Dieser Zurechnungszusammenhang kann durch das Dazwischentreten Dritter, beispielsweise durch grobe Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer:innen, unterbrochen werden. Allerdings ist es dem Tatrisiko eines Kraftfahrzeugrennens und der Einzelraserfahrt gerade immanent, dass andere Verkehrsteilnehmer:innen ausweichen und sich so in Gefahr bringen, weshalb nicht jede erwartbare Ausweichbewegung die Zurechnung unterbricht.Anschaulich bei LG Deggendorf BeckRS 2019, 35102, Rn. 108.
Vertiefung: Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sind Gefahren aufgrund einer Tat nach § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB unbeachtlich. Das kann auch nicht damit umgangen werden, dass durch jedes Ausrichten bzw. Durchführen eines Rennens zugleich die Anstiftung oder Beihilfe zur Teilnahme an selbigem Rennen gem. §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 26, 27 StGB verwirklicht wird.
Nach § 315d Abs. 2 StGB wird bestraft, wer die konkrete Gefahr vorsätzlich verursacht (Vorsatz-Vorsatz-Kombination).
Wird die Tathandlung zwar vorsätzlich, die Gefahr aber nur fahrlässig verursacht, ist § 315d Abs. 4 StGB anwendbar (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination).
Wer willentlich an einem Rennen gem. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnimmt, jedoch der festen Überzeugung ist, das Fahrzeug in jeder Verkehrssituation unter Kontrolle halten zu können, macht sich nur nach § 315d Abs. 4 StGB strafbar, wenn eine konkrete Gefahr eintritt. In diesem Fall handelt der Teilnehmer zwar hinsichtlich der Rennteilnahme mit dolus directus 1. Grades. Allerdings meint er, dass nie eine Situation entstehen könnte, in der der Eintritt eines Schadens nur vom Zufall abhängt – vielmehr glaubt er, selbst jederzeit über den weiteren Fortgang von Verkehrssituationen entscheiden zu können. Hinsichtlich der konkreten Gefahr liegt mithin (nur) bewusste Fahrlässigkeit vor.
Eine Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination sieht § 315d StGB nicht vor.
Kraftfahrzeugrennen mit besonders schweren FolgenDer BGH wählt regelmäßig die Formulierung „Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge“, doch umfasst der Tatbestand weitere schwere Folgen, die so nicht abgebildet würden. (§ 315d Abs. 5 StGB)
Verursacht die Tat nach § 315d Abs. 2 StGBEs genügt nicht, wenn nur konkrete Gefahren für Sachen bedeutenden Werts vorsätzlich verursacht werden, vgl. BGH BeckRS 2021, 44032, Rn. 19. den Tod oder die schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder die (einfache) Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist § 315d Abs. 5 StGB einschlägig.
In subjektiver Hinsicht genügt es gem. § 18 StGB, wenn der Täter mit Bezug auf den Eintritt dieses Erfolgs fahrlässig handelt.
Taten nach § 315d Abs. 1 StGB oder § 315d Abs. 4 StGB können nicht nach § 315d Abs. 5 StGB qualifiziert werden. Es handelt sich mithin um eine Vorsatz-Vorsatz-Fahrlässigkeits-KombinationJansen, HRRS 2021, 412 (416); Rengier, in: Böse u. a. (Hrsg.), FS Kindhäuser, 2019, S. 786. (Vorsatz hinsichtlich Grundtatbestand und konkreter Gefahr, Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge).
Eine schwere Gesundheitsschädigung liegt nicht erst bei Erfolgen entsprechend § 226 StGB vor, vielmehr genügen auch langwierige ernsthafte ErkrankungenLG Deggendorf BeckRS 2019, 35102, Rn. 197 ff.; LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 70 ff. sowie der Verlust oder eine erhebliche Einschränkung im Gebrauch der Sinne, des Körpers und der Arbeitsfähigkeit (für eine Dauer von mindestens drei Wochen).BT-Drs. 18/12964, S. 7; LG Deggendorf BeckRS 2019, 35102, Rn. 196. Dass intensivmedizinische oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen notwendig werden, ist ebenfalls ausreichend.BGH NStZ-RR 2007, 304 (306); LG Arnsberg BeckRS 2020, 11984, Rn. 89.
Umstritten ist, ab wie vielen Geschädigten eine große Zahl von Menschen iSv § 315d Abs. 5 Var. 3 StGB zu bejahen ist. Als Untergrenze werden zehn Personen angenommen.König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 39. Weiterhin werden mindestens 14,Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 81; wohl auch Eisele, KriPoZ 2018, 32 (37); Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 202 15Lindemann/Bauerkamp/Chastenier, AL 2019, 74 (80). und 20Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 58; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315d Rn. 41; Kulhanek, JURA 2018, 561 (566). Personen für eine große Zahl gehalten. Der Gesetzgeber hat diese Frage nicht entschieden, sondern stattdessen auf § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB verwiesenBT-Drs. 18/12964, S. 7. – doch auch hier ist die Auslegung des Begriffs umstritten (→ § 27 Rn. 32). Die Formulierung der Tatvariante verstößt daher gegen Art. 103 Abs. 2 GG.So Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315 Rn. 95; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315 Rn. 67; wohl auch Zehetgruber, NJ 2018, 360 (365).
Der Taterfolg muss aufgrund der Gefahr des Grunddelikts – hier § 315d Abs. 2 StGB – eintreten. Das bedeutet, dass der Taterfolg des § 315d Abs. 5 StGB Resultat der konkreten Gefahr iSd § 315d Abs. 2 StGB sein muss (Gefahrverwirklichungszusammenhang).Rengier, in: Böse u. a. (Hrsg.), FS Kindhäuser, 2019, S. 788 f.; vgl. auch Rengier, BT II, 24. Aufl. (2023), § 44a Rn. 16; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315 Rn. 38; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 24. Für Näheres siehe → Rn. 36 ff.
Weiterführendes Wissen zum Zusammenhang von § 315d StGB und den Tötungsdelikten
Stirbt ein Mensch aufgrund eines Kraftfahrzeugrennens oder einer „Einzelraserfahrt“ ist neben § 315d Abs. 5 StGB auch ein vorsätzlichesEin fahrlässiges Tötungsdelikt (§ 222 StGB) tritt hinter einer durch dieselbe Handlung begangenen Tat nach § 315d Abs. 5 StGB konkurrenzrechtlich zurück. § 315d Abs. 5 StGB ist das speziellere Delikt. Tötungsdelikt (§§ 212, 211 StGB, ggf. im Versuch) zu erwägen. Weil § 315d Abs. 5 StGB nur dann einschlägig ist, wenn die konkrete Lebensgefahr vorsätzlich geschaffen wurde, kann die Abgrenzung zwischen Tötungs- und Gefährdungsvorsatz schwierig sein. Der BGH geht davon aus, dass ein (Eventual-)Vorsatz, einen anderen Menschen zu gefährden, nicht zugleich bedeutet, dass man auch dessen Tod billigend in Kauf nimmt.BGH BeckRS 2019, 1667, Rn. 13; BGH NJW 1975, 1934 (1936). Diese Auffassung wird von der herrschenden Literatur geteilt.Grundlegend Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 298. Dem halten die Vertreter normativer (das heißt: anhand von Wertungen des Tatbestands zu bestimmender) Vorsatztheorien entgegen, dass ein Vertrauen auf einen guten Ausgang nicht schutzwürdig sei, wenn man ein Rechtsgut so stark in Gefahr gebracht hat, dass der Eintritt der Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhängt.Schladitz, ZStW 134 (2022), 97 (146); s. auch Puppe, ZIS 2017, 439 (441) und Wachter, JR 2021, 146 (152). Nach dieser Position führt also nicht jedes (blinde, irrationale) Vertrauen auf einen guten Ausgang zu bewusster Fahrlässigkeit, sondern nur ein Vertrauen mit einem wertungsmäßig „vernünftigen“ Anknüpfungspunkt in der Realität.
Der BGH hat wiederholt Urteile aufgehoben, in denen die Tatgerichte einerseits Tötungsvorsatz verneinten und andererseits dennoch konkreten Gefährdungsvorsatz bejahten. Der 4. BGH-Strafsenat kritisierte in mehreren Entscheidungen, dass die Tatgerichte keine Feststellungen trafen, die es zuließen, das voluntative Element des Gefährdungsvorsatzes zu bejahen, und zugleich den Eventualtötungsvorsatz zu verneinen.BGH BeckRS 2022, 24049, Rn. 13; BGH BeckRS 2023, 8083, Rn. 21 ff.; BGH, Beschl. v. 13. April 2023 – 4 StR 429/22, juris Rn. 28. Der Senat impliziert damit, es gäbe einen Unterschied zwischen diesen beiden Vorsatztypen auf tatsächlicher Ebene. Aber stimmt das? Der Unterschied zwischen den Lebensgefährdungsvorsatz und Eventualtötungsvorsatz liegt nach hMBGH NStZ-RR 2008, 309 (310); vgl. auch BGH NJW 1968, 1244 (1245); OLG Zweibrücken NStZ-RR 2022, 111 (112); LG Deggendorf BeckRS 2019, 35102, Rn. 164; Heger, ZStW 119 (2007), 593, 621; Momsen, KriPoZ 2018, 76 (85); Steins, NStZ 2023, 546 (549); aA Puppe, JR 2018, 323 (325); Puppe, ZIS 2017, 439 (441); Wachter, JR 2021, 146 (152). auf Ebene des voluntativen Vorsatzkriteriums. Bei tödlichen Unfällen im Straßenverkehr nach Kraftfahrzeugrennen oder „Einzelraserfahrten“ gibt es jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte zur Differenzierung der beiden Vorsatzformen. Denn vertraut die Kraftfahrzeugführer:in auf die eigenen vermeintlich überlegenen Fahrfähigkeiten, fehlt es schon am kognitiven Vorsatzelement hinsichtlich einer konkreten Gefahr. Dann sind Gefährdungs- und Tötungsvorsatz beide ausgeschlossen. Auch die Angst vor Gefahren für sich selbst schließt bereits den Eventualvorsatz dahingehend aus, sich (und andere) in eine Situation zu bringen, bei der eine Rechtsgutsverletzung nur vom Zufall abhängt. Damit sind Gefährdungsvorsatz und Tötungsvorsatz ebenfalls gleichzeitig ausgeschlossen. Der Wille zum Rennsieg kann sowohl dafür sprechen, jedes Risiko – einschließlich eines Todeserfolges – („wer bremst, verliert“) oder aber erst gar keine gefährlichen Situationen („wer bremsen muss, verliert“) in Kauf zu nehmen. Schließlich tritt anders als bei der Aussetzung mit Todesfolge oder Brandstiftung mit Todesfolge der Todeserfolg bei den hohen Geschwindigkeiten eines Kraftfahrzeugrennens meist unmittelbar (am Unfallort) ein, nachdem es zu einer konkreten Gefahr gekommen ist. Dass sich das Opfer selbst oder ein Dritter das Opfer noch rechtzeitig aus der Gefahr rettet, ist deshalb nahezu ausgeschlossen. Damit fehlt der einzige beweisbare Anknüpfungspunkt für ein vernünftigesBGH BeckRS 2023, 22700, Rn. 26. Vertrauen der Fahrer:in trotz des Eintritts einer konkret gefährlichen Situation auf einen guten Ausgang. Verzichtet man auf einen solchen und lässt jedes irrationale Vertrauen genügen, so kann nicht mehr erklärt werden, bei welchem Täter Eventualtötungsvorsatz vorliegen soll. Wer vertraut schon nicht darauf, dass es zu keinem Unfall (mit Gefahren für die Fahrer:in selbst) kommt? § 315d Abs. 5 Var. 1 StGB erfasste dann nur noch Suizident:innen, die es auf die Gefahr für sich selbst anlegen und nach §§ 212, 211 StGB bestraft werden.
Rechtswidrigkeit
Ähnlich wie für § 315c StGB ist umstritten, ob in eine Tat nach § 315d StGB eingewilligt werden kann. Die wohl herrschende Meinung in der Literatur ist der Ansicht, man könne isoliert in die Qualifikationen nach § 315d Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5 Var. 2 und 3 StGB einwilligen.Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315 Rn. 2; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 74; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 15; Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (325); Kulhanek, JURA 2018, 561 (567); Bönig, Verbotene Kraftfahrzeugrennen, 2021, S. 194 f.; Weigend, in: Barton u. a. (Hrsg.), FS Fischer, 2018, S. 580 f. Das ist konsequent, folgt man der Auffassung, die Qualifikationstatbestände schützten nur Individualrechtsgüter. Dann können die Rechtsgutsträger darüber disponieren. Die herrschende Auffassung bestimmt das Rechtsgut des § 315d StGB jedoch einheitlich (→ Rn. 3 ff.). Zumindest eines der Schutzgüter des § 315d StGB – die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs – ist ein Allgemeingut. KonsequentSelbstwidersprüchlich etwa Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 74; Kulhanek, JURA 2018, 561 (567). ist deswegen, die Einwilligungsmöglichkeit zu verneinen.Ernemann, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 21; Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 85; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 44.
Schuld
Auf Ebene der Schuld weist das Delikt keine Besonderheiten auf.
Täterschaft und Teilnahme
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 2, 4 und 5 StGB sind eigenhändige Delikte. Eine mittelbare Täterschaft oder eine Mittäterschaft scheiden somit aus. Allerdings kommen eine Anstiftung gem. § 26 StGB und eine Beihilfe gem. § 27 StGB (zB durch Bereitstellen des Fahrzeugs) in Betracht.
Die hM geht davon aus, dass die Anstiftung oder Beihilfe zur Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen (§§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 26 bzw. 27 StGB) in Tateinheit mit Taten gem. § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB (Ausrichten oder Durchführen eines Kraftfahrzeugrennens) treten kann.LG Bochum BeckRS 2020, 49824, Rn. 23; AG Bochum BeckRS 2020, 49825, Rn. 26; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 79; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315 Rn. 44; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 17; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 48; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315d Rn. 26; Wörner/Zivanic, JA 2021, 554 (563). Zu beachten ist jedoch, dass es keinen Fall gibt, in dem § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt ist, ohne dass gleichzeitig eine Beihilfe zur Teilnahme gem. §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 27 StGB vorliegt. Mit § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB hat der Gesetzgeber einen gegenüber §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 27 StGB spezielleren Tatbestand geschaffen, weshalb Ausrichten oder Durchführen eines Kraftfahrzeugrennens die Beihilfe zur Teilnahme verdrängt. Sähe man dies anders, unterliefe man die erkennbare Entscheidung des Gesetzgebers, eine Qualifikation der Taten der Ausrichter:innen und Durchführer:innen nach § 315d Abs. 2, 5 StGB auszuschließen: Verwirklicht der Täter des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB immer auch §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 27 StGB, kann sie auch wegen Beihilfe zur qualifizierten Tat (§§ 315d Abs. 2, Abs. 5, 27 StGB) bestraft werden, obwohl § 315d Abs. 2 StGB eine Qualifikation für die Tat der Ausrichter:innen und Durchführer:innen nicht vorsieht. Die gesetzliche Anordnung für die täterschaftliche Begehungsform darf nicht durch die Teilnahme unterlaufen werden, weil sonst die Tatbestandsgrenzen entgegen Art. 103 Abs. 2 GG verschwimmen.
Versuch
§ 315d Abs. 3 StGB ordnet eine Versuchsstrafbarkeit nur für § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB an. Diese ist einschlägig, wenn es trotz der Bemühungen der Ausrichter:innen (noch) nicht zu einem Rennen kommt.
Weiterführendes Wissen: Eine Versuchsstrafbarkeit für Fälle des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist nicht angeordnet. Fälle der gescheiterten Rennabrede bleiben deshalb straffrei. Teilweise wird versucht, diese Lücke durch § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu schließen,Vgl. etwa AG Frankfurt a. M. BeckRS 2021, 40214, Rn. 36 ff. doch muss man – was § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB voraussetzt – keine höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen wollen, um ein Rennen zu gewinnen. Es reicht, schneller als die Konkurrenz zu sein.Weiterführend Pschorr, JurisPR-StrafR 2/2022, Anm. 4. Daher ist nicht jedes gescheiterte Rennen gleichzeitig eine Tat gem. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB. Für eine Verurteilung nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss vielmehr zusätzlich festgestellt werden, dass auch die überschießende Innentendenz (→ Rn. 31 ff.) verwirklicht ist.
§ 315d Abs. 5 StGB ist ein Verbrechenstatbestand, so dass der Versuch hier auch ohne gesonderte Anordnung strafbewehrt (§ 23 Abs. 1 Alt. 1 StGB) ist. Fraglich ist allerdings, ob dies auch für den Versuch der Erfolgsqualifikation umfassend gilt. Unstreitig ist der Versuch des § 315d Abs. 5 StGB strafbar, sofern § 315d Abs. 2 StGB verwirklicht ist (Versuch der Erfolgsqualifikation im weiteren Sinne).Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 68; Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 14; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 42; Eisele, KriPoZ 2018, 32 (37); Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (329); Zehetgruber, NJ 2018, 360 (365). Dementgegen bleibt der Versuch des § 315d Abs. 5 StGB straflos, wenn das Grunddelikt nicht verwirklicht ist (Versuch der Erfolgsqualifikation im engeren Sinne), weil sonst § 315d Abs. 5 StGB eine Versuchsstrafbarkeit des straflosen Versuches des § 315d Abs. 2 StGB begründen würde.Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 315d Rn. 14; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315d Rn. 42; aA Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (329). Dies würde den in § 315d Abs. 3 StGB manifestierten Willen des Gesetzgebers, nur den Versuch des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB zu sanktionieren, verletzen. Aus demselben Grund bleibt auch der erfolgsqualifizierte Versuch (= der Eintritt einer schweren Folge iSd § 315d Abs. 5 StGB bei versuchtem Grunddelikt des § 315d Abs. 2 StGB) des § 315d Abs. 5 StGB straffrei.Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 68; Zehetgruber, NJ 2018, 360 (365). Eine hier nicht geteilte Gegenauffassung hält den Versuch des § 315d Abs. 5 StGB allein wegen des Verbrechenscharakters für umfassend strafbar.Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 315d Rn. 10; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315 Rn. 43; Zieschang, JA 2016, 721 (726); Mitsch, in: Barton u. a. (Hrsg.), FS Fischer, 2019, S. 254 ff.
Strafzumessung
Der Strafrahmen des § 315d Abs. 1 StGB reicht von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von zwei Jahren und übersteigt damit denjenigen des vergleichbaren abstrakten Gefährdungsdelikts § 316 StGB.
Der Strafrahmen des § 315d Abs. 2 StGB entspricht § 315c Abs. 1 StGB (Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren).
§ 315d Abs. 4 StGB sieht im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe von drei Jahren vor.
In Fällen des § 315d Abs. 5 StGB beträgt die Freiheitsstrafe mindestens ein Jahr und höchstens zehn Jahre – es handelt sich mithin um einen Verbrechenstatbestand (§ 12 Abs. 1 StGB). Die Norm sieht einen minderschweren Fall vor.
Konkurrenzen
Eine Verwirklichung von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („Einzelraserfahrt“) wird durch eine gleichzeitig verwirklichte Tat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB (Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen) konsumiert, da Kraftfahrzeugrennen ganz regelmäßig mit erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen einhergehen, häufig der Erreichung einer höchstmöglichen Geschwindigkeit dienen und der Straßenverkehr regelmäßig in gleicher Weise gefährdet ist.LG Aachen BeckRS 2021, 1611, Rn. 37; LG Aachen BeckRS 2021, 2225, Rn. 37; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 315d Rn. 5; aA Ernemann, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 24; Wörner/Zivanic, JA 2021, 554 (563): Tateinheit aus Klarstellungsgründen; wieder anders Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (329) (Spezialität).
Sind § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB (Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen) und § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB (Ausrichten bzw. Durchführen eines Kraftfahrzeugrennens) verwirklicht, stellt sich zunächst die Frage, ob die Deliktsverwirklichungen im Verhältnis der Handlungseinheit oder ‑mehrheit zueinander stehen. Eine Auffassung geht von Handlungsmehrheit aus, da die Tathandlungen des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB dem Rennen vorgelagert seien.Ernemann, in: SSW-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315d Rn. 24; Jansen, NZV 2017, 214 (217). Dies ist in der Pauschalität allerdings unzutreffend: § 315d Abs. 1 Var. 2 StGB kann nur während des Rennens verwirklicht werden, während die Variante des Ausrichtens sowohl vor als auch während des Rennens begangen werden kann. Das Ausrichten zielt immer auf das konkrete Rennen ab und steht deshalb in einem einheitlichen natürlichen Zusammenhang mit dem Renngeschehen. Schließlich besteht ein einheitlicher Tatvorsatz. Deshalb überzeugt es, mit der hM von Handlungseinheit auszugehen. § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB wird dabei nach zutreffender hM von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB konsumiert, weil der Unrechtsschwerpunkt im Fahren des Rennens selbst zu sehen ist und Ausrichter:innen ganz regelmäßig selbst am Rennen teilnehmen.Weiland, in: JurisPK-StVR, 2. Aufl. (2022), § 315d Rn. 137; Gerhold/Meglalu, ZJS 2018, 321 (329); Preuß, NZV 2017, 105 (110); Zieschang, JA 2016, 721 (723); aA LG Bochum BeckRS 2020, 49824, Rn. 23; Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315d Rn. 79 mwN: Idealkonkurrenz. Zum Verhältnis zwischen §§ 315d Abs. 1 Nr. 2, 26, 27 StGB und § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB → Rn. 55.
Tateinheit gem. § 52 StGB ist insb. mit den §§ 315c, 316 StGB denkbar. § 316 StGB ist gegenüber § 315d StGB nicht formell subsidiär. Nach Ansicht des BGH tritt § 315d StGB einschließlich seiner Qualifikationen tateinheitlich neben ein durch das Rennen bzw. die Raserfahrt begangenes vorsätzliches Tötungsdelikt.BGH BeckRS 2021, 11344. Darüber hinaus stehen sämtliche Delikte, die innerhalb der Dauerdelikt-Phase verwirklicht, also aufgrund der Fahrt oder durch die Fahrt ermöglicht werden, in Tateinheit mit § 315d Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB. Häufig sind das die §§ 113, 142, 323a StGB, § 21 StVG, Waffendelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Dementgegen verdrängt die Verwirklichung von § 315d Abs. 5 StGB eine durch dieselbe Handlung verwirklichte Tat nach § 222 StGB.
Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
In einer Urteilsklausur könnte die umfassende Würdigung eines Tötungsvorsatzes in Abgrenzung zum Gefährdungsvorsatz des § 315d Abs. 2 StGB gefordert sein. Hier wird zu beachten sein, dass neben dem kognitiven auch das voluntative Moment des Tatvorsatzes umfassend begründet werden muss. Als Anhaltspunkte gegen einen Tötungsvorsatz berücksichtigt der BGH insbesondere die Gefahr, die von Unfällen mit Kraftfahrzeugen für den Täter selbst ausgeht. Dennoch soll ein Tötungsvorsatz nicht gänzlich ausgeschlossen sein(→ Rn. 51). Besonders bei Einzelraserfahrten kann ein Tötungsvorsatz anzunehmen sein, wenn die Kraftfahrzeugführer:in mit Suizidabsicht fährt. In Polizeifluchtfällen indiziert der Wille zur Flucht die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Allerdings darf nicht allein aus diesem Willen auf die überschießende Innentendenz des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geschlossen werden.BGH NStZ 2021, 540 (542 Rn. 17); BGH BeckRS 2021, 11344 Rn. 19; BGH NStZ-RR 2021, 189; BGH NStZ 2021, 615 (616 Rn. 9); BGH BeckRS 2021, 19204, Rn. 11; BGH BeckRS 2021, 40996, Rn. 2. Dies lässt sich ausgezeichnet in einer Revisionsklausur (Grundsätze der Beweiswürdigung) abprüfen.
§ 315d StGB ist ein Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB. Dementsprechend kann die Fahrerlaubnis durch richterlichen Beschluss gem. § 111a StPO auch vorläufig entzogen werden. Liegt kein richterlicher Beschluss vor, kann der Führerschein zunächst aufgrund von Gefahr im Verzug beschlagnahmt werden (§ 94 Abs. 3 StPO). Dann ist § 111a Abs. 5 StPO zu beachten. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt gem. § 111a Abs. 4 StPO die richterliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 StPO.
Gem. § 315f StGB können Kraftfahrzeuge, die für Rennen oder Raserfahrten genutzt wurden, eingezogen werden. Als notwendige Gegenstände des Grundtatbestandes sind sie nicht Tatmittel, sondern Tatobjekt iSd § 74 Abs. 2 StGB, weshalb es einer gesonderten Anordnung der Einziehbarkeit bedarf.Vgl. weiterführend Kulhanek, in: BeckOK-StGB, 57. Ed. (2023), § 315f Rn. 3 mwN. Nach §§ 315f S. 2, 74a StGB können auch täterfremde Kraftfahrzeuge eingezogen werden. Die Einziehung muss gem. § 74f StGB verhältnismäßig sein wird.Zur Verhältnismäßigkeit der Einziehung beim tätereigenen Fahrzeug LG Berlin BeckRS 2019, 7962, Rn. 32 ff. Zu einem Firmenfahrzeug im Eigentum der GmbH, deren Geschäftsführer der Täter ist, s. LG Frankfurt a. M. BeckRS 2022, 20807, Rn. 13. Neben § 315f StGB ist auch eine Sicherungseinziehung erheblich „getuneter“ Wägen gem. § 74b StGB möglich.LG Tübingen BeckRS 2021, 20591, Rn. 12 ff.; LG Verden BeckRS 2022, 10430, Rn. 25; LG Frankfurt a. M. BeckRS 2022, 20807, Rn. 7 ff. Anstatt einer Einziehung kann Angeklagten auch auferlegt werden, das Fahrzeug zu veräußern.LG Berlin BeckRS 2020, 27568, Rn. 9.
Aufbauschemata
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB (Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen)
Tatbestand des Grunddelikts
Objektiver Tatbestand
Als Kraftfahrzeugführer
im öffentlichen Straßenverkehr
nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen
Teilnahme
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Tatbestand der konkreten Gefährdungsqualifikation
Objektiver Tatbestand
Konkrete Gefahr
Gefährdungsobjekt
Verursachungsbeitrag und Gefahrverwirklichungszusammenhang
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz § 315d Abs. 2 StGB
Fahrlässigkeit § 315d Abs. 4 StGB
Tatbestand der Erfolgsqualifikation § 315d Abs. 5 StGB
Geeignetes Grunddelikt § 315d Abs. 2 StGB
Schwere Folge
Tod
Schwere Gesundheitsschädigung
Große Zahl einfacher Gesundheitsschädigungen
Zumindest Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verursachung der schweren Folge (§ 18 StGB)
Rechtswidrigkeit
Schuld
§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („Einzelraserfahrt“)
Tatbestand des Grunddelikts
Objektiver Tatbestand
Führen eines Kraftfahrzeugs
im öffentlichen Straßenverkehr
nicht angemessene Geschwindigkeit
Verstoß gegen § 3 Abs. 3 StVO
Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO
grob verkehrswidrige Fortbewegung
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale
Rücksichtslosigkeit
Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen (dolus directus 1. Grades)
Tatbestand der konkreten Gefährdungsqualifikation
Objektiver Tatbestand
Konkrete Gefahr
Gefährdungsobjekt
Verursachungsbeitrag und Gefahrverwirklichungszusammenhang
Subjektiver Tatbestand
Vorsatz § 315d Abs. 2 StGB
Fahrlässigkeit § 315d Abs. 4 StGB
Tatbestand der Erfolgsqualifikation § 315d Abs. 5 StGB
Geeignetes Grunddelikt § 315d Abs. 2 StGB
Schwere Folge
Tod
Schwere Gesundheitsschädigung
Große Zahl einfacher Gesundheitsschädigungen
Zumindest Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verursachung der schweren Folge (§ 18 StGB)
Rechtswidrigkeit
Schuld
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Blanke-Roeser, Kraftfahrzeugrennen iSd neuen § 315d StGB, JuS 2018, 18
Bechtel, Die Raser-Fälle als Katalysator vorsatzdogmatischer Diskussion, JuS 2019, 114
Gerhold/Meglalu, Verbotene Kraftfahrzeugrennen nach § 315d StGB im Lichte des Allgemeinen Teils, ZJS 2018, 321
Übungsfälle
Preuß, Fortgeschrittenenklausur: Ein Wettstreit unter Kollegen mit Folgen, ZJS 2023, 857