«Back to Script

§ 28: Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB)

Autor: Simon Pschorr

Notwendiges Vorwissen: Aufbau und Struktur des konkreten Gefährdungsdelikt sollten bekannt sein. Es hilft außerdem, sich zunächst mit § 316 StGB zu befassen (→ § 30), da viele der dortigen Tatbestandsmerkmale auch bei § 315c StGB auftauchen. Die Norm sollte gemeinsam mit § 315b StGB erschlossen werden, da beide Tatbestände eng zusammenhängen.

§ 315c StGB ist die Zentralnorm des Verkehrsstrafrechts. Bis zur Einführung des § 315d StGB regelte die Vorschrift Fehlverhalten im Straßenverkehr abschließend und (im Verhältnis zu § 315b StGB) mit privilegierender Wirkung. Nunmehr kann durch § 315d Abs. 5 StGB auch Fehlverhalten im Straßenverkehr als Verbrechen bestraft werden, sodass das Normverhältnis zwischen § 315b StGB und § 315c StGB mittlerweile Schwierigkeiten bereitet (→ § 27 Rn. 2). In der Klausur gilt aber weiterhin die Maxime: Wird § 315c StGB bejaht, kann § 315b StGB höchstens in der Variante nach Abs. 1 Nr. 3 StGB als sogenannter „Pervertierungsfall” (→ § 27 Rn. 10) erfüllt sein.

Rechtsgut und Deliktsstruktur

Nach ganz hM schützt § 315c StGB zumindest auch die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs. Daneben tritt der Schutz von Leib und Leben sowie des Eigentums der Teilnehmer:innen am Straßenverkehr, wobei hier im Einzelnen umstritten ist, ob dies nur Reflex des Straßenverkehrsschutzes oder aber Kernfunktion der Vorschrift ist bzw. ob die Schutzgüter gleichrangig nebeneinander treten. Diese Differenzierung spielt auf Ebene der Rechtfertigung eine Rolle, wenn es um die Möglichkeit geht, in die Tat einzuwilligen.

§ 315c StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt, der Tatbestand ist mithin erst dann erfüllt, wenn das abstrakt gefährliche Verhalten des Handlungsteils zu einer konkreten Gefährdung führt.

Weiterführendes Wissen: Weil § 315c StGB ein spezifisch verhaltensgebundenes Delikt ist (bestraft wird gerade das Führen eines Fahrzeugs), kann die Tathandlung nicht durch ein „Sich-Betrinken“ ersetzt werden, so dass nach der BGH-Rechtsprechung keine actio libera in causa möglich ist. § 315c StGB ist darüber hinaus ein eigenhändiges Delikt, weshalb Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB und mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB ausscheiden.

Die Tathandlung der Gefährdung des Straßenverkehrs kann sich zwar über einen gewissen Zeitraum erstrecken, es handelt sich jedoch nicht um ein Dauerdelikt, weil es eines Gefahrerfolgs bedarf. Dadurch wird die Tatbestandsverwirklichung zeitlich auf den Gefährdungsmoment konzentriert.

Objektiver Tatbestand

Handlungsteil

Zunächst muss ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt werden. Der Begriff des „Führens“ ist wie bei § 316 StGB zu interpretieren (→ § 30 Rn. 12 f.).

Der öffentliche Straßenverkehr findet auf allen dem Verkehr gewidmeten oder faktisch eröffneten Straßen, Wegen und Plätzen statt und ist – anders als der Bahnverkehr – nicht schienengebunden. Die Tat kann mit Fahrzeugen aller Art verwirklicht werden, sofern diese nicht § 24 StVO unterfallen. Praxis- und klausurrelevant ist die Begehung mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern-

§ 315c Abs. 1 StGB ist sodann in zwei Nummern aufgegliedert: § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugführers, während § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgewählte Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung strafbar stellt, sofern dadurch eine konkrete Gefahr verursacht wird.

§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB: Fahren in fahruntüchtigem Zustand

Die Tathandlung des § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB ist mit dem objektiven Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB deckungsgleich (→ § 30 Rn. 16).

§ 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. b) StGB geht dagegen über das von § 316 StGB erfasste Verhalten hinaus. Unter diese Tathandlungsvariante fallen alle dauerhaften oder vorübergehenden körperlichen oder geistigen Mängel, die signifikante Auswirkung auf die Fahrtüchtigkeit haben. Das können etwa Krankheiten (Verletzungen an Augen, Ohren, Armen und Beinen genauso wie zB Heuschnupfen) und (psychische) Behinderungen sein (zB Epilepsie, Psychosen). Auch vorübergehende Beeinträchtigungen wie etwa Entzugserscheinungen oder dauerhafte altersbedingte Einschränkungen können den Tatbestand erfüllen. Immer wieder kommt es aufgrund schwerer Übermüdungszustände zu Unfällen. Diese unterfallen § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB erst sobald Sekundenschlaf droht. Fahrunsicherheit im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB liegt vor, wenn die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge des geistigen oder körperlichen Mangels so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, das Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB: Grobes Fehlverhalten im Straßenverkehr

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB sanktioniert sieben Verstöße gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung mit Kriminalstrafe. Die im Katalog aufgeführten Regelverstöße werden deshalb auch „sieben Todsünden des Straßenverkehrs“ genannt. Der Gesetzgeber der 1950er-Jahre identifizierte die damals häufigsten Unfallursachen und versuchte, diesen durch Strafe vorzubeugen. Heute maßgebliche Unfallursachen – deutliche Überschreitungen der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit, das zu schnelle Fahren bei schlechten Sichtverhältnissen und vor allem das Unterschreiten des nötigen Abstandes – werden dagegen regelmäßig nicht vom Tatbestand erfasst.

Einzelheiten: Ein Verstoß gegen die nach § 8 StVO geschützte Vorfahrt unterfällt § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB. Fehler bei Überholvorgängen zB entgegen § 5 StVO sind durch § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) StGB sanktioniert. Falsches Verhalten an Fußgängerüberwegen iSd § 26 StVO, nicht aber an Ampeln, unterfällt § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d) StGB. Zu schnelles Fahren entgegen § 3 Abs. 1 und Abs. 3 StVO erfüllt den Tatbestand nur an unübersichtlichen Stellen wie beispielsweise Kreuzungen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d) StGB). Gleiches gilt für die Pflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StVO, die rechte Fahrbahnseite einzuhalten (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. e) StGB). Verstöße gegen § 18 Abs. 7 StVO sind nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. f) StGB sanktioniert. Schließlich macht sich strafbar, wer haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge iSd §§ 1215 StVO nicht wie zur Verkehrssicherung erforderlich kenntlich macht (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g) StGB).

Die von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfassten Verstöße müssen grob verkehrswidrig und rücksichtslos begangen werden:

  • Grob verkehrswidrig handelt, wer objektiv besonders schwer, d. h. mit typischerweise mit besonders hohem Gefahrenpotenzial, gegen eine der aufgezählten Verkehrsvorschrift verstößt. Die Subsumtion unter dieses Merkmal erfordert eine objektive Würdigung des Fahrverhaltens unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage, ohne vom unglücklichen Ausgang auf den besonders schweren Verstoß zu schließen.

  • Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt (vorsätzliche Rücksichtslosigkeit), mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde (bewusst fahrlässige Rücksichtslosigkeit) oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflos fährt (fahrlässige Rücksichtslosigkeit). Bloße Unaufmerksamkeit oder Augenblicksversagen sollen dementgegen aus dem Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ausscheiden.

Vertiefungshinweis: Die Feststellung des Merkmals der Rücksichtslosigkeit erfordert den Nachweis, dass im konkreten Tatgeschehen eine von Leichtsinn, Eigensucht, Gleichgültigkeit oder unverständlicher Nachlässigkeit geprägte üble Verkehrsgesinnung des Täters zum Ausdruck gelangt ist. Aus dem Nachtatverhalten, aber auch aus dem äußeren Tathergang kann auf eine solche Gesinnung geschlossen werden. Dementsprechend hat sich eine umfangreiche Kasuistik rücksichtsloser Verkehrsverstöße und tatbestandsloser Fahrfehler herausgebildet. Bei der Rücksichtslosigkeit handelt es sich um ein strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs. 1 StGB.

Klausurhinweis: Schwierigkeiten bereitet die Verortung der Rücksichtslosigkeit im Klausuraufbau. Nach einer Ansicht handelt es sich um ein subjektives Merkmal, nach der Gegenauffassung um ein Schuldmerkmal.

Gefährdungsteil

Begriff der konkreten Gefahr

Durch das abstrakt gefährliche Verhalten des Handlungsteils muss eine konkrete Gefahr verursacht werden. Die Tathandlung muss also über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem unbeteiligte Beobachter zu der Einschätzung gelangen, es sei „noch einmal gut gegangen“.

Weiterführendes Wissen: Wenn es den anderen Verkehrsteilnehmern möglich ist, mit einem im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegenden Brems- und Ausweichmanöver zu reagieren und so einen Unfall abzuwenden, liegt noch keine konkrete Gefährdung vor. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, etwa weil sich die gefährdete Person in Sicherheit bringen konnte oder eine andere plötzliche Wendung den Unfall noch verhinderte.

Es genügt für einen „Beinahe-Unfall“ in der Regel nicht, dass sich Menschen oder bedeutende Sachwerte in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befunden haben. Erst recht reicht das reine Mitfahren bei Betrunkenen oder verkehrswidrig Fahrenden ohne brenzlige Situation nicht aus, um den Begriff der konkreten Gefahr zu erfüllen. Der Eintritt einer konkreten Gefahr ist anhand einer objektiv-nachträglichen Prognose aus ex-ante-Sicht zu treffen.

Eine konkrete Gefahr liegt regelmäßig vor, wenn nur eine Notbremsung einen Unfall abwenden kann. Ausweichmanöver auf den Fahrbahnrand, von der Straße oder im Einzelfall auch auf andere Fahrspuren indizieren ebenso eine konkrete Gefahr.

Erfasste Gefährdungsobjekte

Die konkrete Gefahr muss für eines der im Tatbestand benannten Gefährdungsobjekte eintreten: Für Leib und Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert.

Tatbeteiligte als Gefährdungsobjekt?

Umstritten ist, ob Tatbeteiligte, deren Leib oder Leben durch die Tat gefährdet werden, andere Menschen iSd § 315c StGB darstellen. Nach zutreffender hM sind Teilnehmer an der Haupttat iSd §§ 26, 27 StGB, mithin Gehilfen und Anstifter, keine anderen Menschen und deshalb keine geeigneten Gefährdungsobjekte. Sie stünden im Lager der Täter und seien deshalb nicht Teil des allgemeinen Straßenverkehrs. Der BGH stützt diese Argumentation ferner auf die Schutzfunktion der Straßenverkehrsdelikte: Geschützt seien die Teilnehmer des Straßenverkehrs vor straßenverkehrsimmanenten Gefahren, nicht vor den Gefahren ihrer eigenen Taten zu eigenen Lasten. Andere Stimmen kommen mit der Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zum selben Ergebnis, obwohl die gefährdete Person das Tatgeschehen gerade nicht eigenverantwortlich in der Hand hat.

Die Gegenauffassung argumentiert, eine Eingrenzung der Gefährdungsobjekte auf nicht an der Tat beteiligte Menschen missachte den Wortlaut des § 315c StGB. Auch Teilnehmer iSd §§ 26 f. StGB seien vom Haupttäter verschiedene Individuen und damit geeignete Gefährdungsobjekte. Die Lagertheorie sei systemwidrig – schließlich könnten Mittäter und Teilnehmer auch Opfer originärer Körperverletzungsdelikte sein. Die Lagertheorie würde dem Teilnehmer schließlich die Dispositionshoheit über ein Universalrechtsgut verschaffen, über das er nach allgemeinen Prinzipien gerade nicht disponieren könne.

Fremde Sache von bedeutendem Wert

Soweit es nicht um eine Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen, sondern um eine Gefahr für eine fremde Sache von bedeutendem Wert geht, bestimmt sich die Fremdheit der Sache allein anhand der Eigentumsverhältnisse. Ein tatsächlicher Schaden an der fremden Sache braucht nicht einzutreten – es genügt ein sog. Gefährdungsschaden. Demnach muss eine bedeutende Beeinträchtigung des Sachwertes drohen. Ein bedeutender Wert ist nach bisher hM bei 750 EUR anzunehmen. Eine Angleichung an den Begriff des bedeutenden Schadens iSd § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sei nicht geboten. Dem treten mehrere Oberlandesgerichte und vereinzelte Stimmen in der Literatur zu Recht entgegen und ziehen die Wertgrenze bei 1.300 EUR. Inflationsbedingt können 750 EUR nämlich heute nicht mehr als bedeutend angesehen werden.

Erfassung des Tatfahrzeugs als Gefährdungsobjekt?

Die obergerichtliche Rechtsprechung und die hL halten das Tatfahrzeug auch dann nicht für ein geeignetes Gefährdungsobjekt, wenn es nicht im Eigentum der Fahrzeugführer:in steht. Dies soll sogar dann gelten, wenn das Tatfahrzeug unbefugt verwendet wird oder gar entwendet wurde.

Vertiefungshinweis: Die Rechtsprechung zu § 315c StGB begründet den Ausschluss des Tatfahrzeugs aus dem Kreis der Gefährdungsobjekte in erster Linie mit einer von der hM abweichenden Bestimmung des Schutzzwecks der Norm. Dieser beschränke sich auf den Schutz des allgemeinen Straßenverkehrs. Fremdes Eigentum sei dagegen kein Schutzgut der Norm. Weiterhin seien die Eigentumsverhältnisse an einem Fahrzeug häufig vom Zufall abhängig.

Gefahrverwirklichungszusammenhang

Die konkrete Gefahr muss während der Fahrt gerade aus dem gefährlichen Verhalten des Handlungsteils resultieren (Wortlaut: „und dadurch“). Es muss also ein Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen Tathandlung und Gefahrerfolg bestehen. Ein solcher Zusammenhang ist bei § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB gegeben, wenn die Gefahr in nüchternem Zustand bei sonst gleichen Umständen hätte vermieden werden können. Umgekehrt ist der Zusammenhang zu verneinen, wenn nüchternen Fahrer:innen in der konkreten Tatsituation derselbe Fehler unterlaufen wäre, so zB bei Parkremplern. Gleiches gilt für § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB: Hier erfüllt zB zu schnelles Fahren an einer Kreuzung (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d) StGB) den Tatbestand nicht, wenn die Gefahrenursache nicht aus der besonderen Verkehrssituation der Kreuzung, sondern aus den allgemeinen Umständen (zB Glatteis, Nässe) resultiert.

Vertiefungshinweis: Bei der Prüfung des Gefahrverwirklichungszusammenhangs stellen sich alle Probleme der objektiven Zurechnung. So kann beispielsweise fremdes Fehlverhalten den Gefahrverwirklichungszusammenhang iSd Dazwischentretens Dritter unterbrechen. Verwirklicht sich nicht die typische Gefahr des Handlungsteils, sondern vielmehr ein durch den Täter bewusst gesetztes anderes Risiko, scheidet § 315c StGB ebenfalls aus.

Subjektiver Tatbestand

§ 315c Abs. 1 StGB ist ein Vorsatzdelikt. Der Vorsatz muss sich sowohl auf den Handlungs- als auch auf den Gefährdungsteil beziehen (sog. Vorsatz-Vorsatz-Kombination). Das bedeutet, dass der Täter nicht nur das gefährliche Handeln (einschließlich der Umstände des Rechtsverstoßes), sondern auch die konkret gefährliche Situation zumindest billigend in Kauf nehmen muss. Der Täter muss ferner die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg iSe „Beinahe-Unfalls“ als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und diese Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nehmen. Der Nachweis des Gefährdungsvorsatzes stellt die Strafverfolgungsbehörden vor besondere Voraussetzungen. Denn mit der Gefährdung anderer im Straßenverkehr gehen ganz regelmäßig hohe Gefahren für den Täter selbst einher. Nur suizidale Täter werden diese Gefahr schlicht ignorieren. Dementsprechend ist die Annahme von Gefährdungsvorsatz zwar nicht ausgeschlossen, jedoch die Ausnahme.

Klausurhinweis: Für die Erörterung von § 315c Abs. 1 StGB im Rahmen der Ersten Juristischen Prüfung bedeuten die hohen Anforderungen an den Gefährdungsvorsatz, dass im Sachverhalt deutliche Anhaltspunkte zu finden sein müssen, die die voluntative Komponente des Eventualvorsatzes stützen. In der Zweiten Juristischen Prüfung wird im objektiven Tathergang nach Indizien für den Vorsatz gesucht werden müssen. Für einen Vorsatz spricht beispielsweise, dass die Täter durch riskante Fahrweise bereits einen oder mehrere (Beinahe-) Unfälle herbeigeführt haben. Der Aspekt der Selbstgefährdung muss im Rahmen der Beweiswürdigung explizit einbezogen werden.

Wurde die Rücksichtslosigkeit im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (s. oben → Rn. 13) nicht bereits (was gut vertretbar ist) im objektiven Tatbestand geprüft, ist sie hier zu erörtern.

Fahrlässigkeit, § 315c Abs. 3 StGB

Scheitert eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 StGB am Vorsatz, so kommt eine Bestrafung nach § 315c Abs. 3 Nr. 1, 2 StGB in Betracht:

  • § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB ist erfüllt, wenn der Handlungsteil vorsätzlich erfüllt ist, der Täter hinsichtlich der Gefahr jedoch (nur) fahrlässig handelt (sog. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination).

  • § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB bestraft, wem sowohl hinsichtlich der Handlung als auch hinsichtlich der Gefahr eine fahrlässige Begehung vorzuwerfen ist (sog. Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination).

§ 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB ist gem. § 11 Abs. 2 StGB ein Vorsatzdelikt und damit teilnahmefähig, wobei nach dem Rechtsgedanken des § 18 StGB dann auch Teilnehmer hinsichtlich der Gefahr fahrlässig handeln müssen. Eine Beihilfe zu § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB scheidet mangels vorsätzlicher Haupttat aus.

Prüfungshinweis: Trotz der gleichen Strafdrohung innerhalb von § 315c Abs. 3 StGB müssen die beiden Alternativen Nr. 1 und 2 unterschieden werden. Das wirkt sich auch auf den Aufbau in der gutachterlichen Prüfung aus: Für eine klare Prüfungsstruktur empfiehlt es sich, die Prüfung mit § 315c Abs. 1 StGB zu beginnen und im subjektiven Tatbestand klar getrennt zu prüfen, inwieweit einerseits hinsichtlich des Handlungs- und andererseits hinsichtlich des Gefährdungsteils Vorsatz besteht. Wenn mindestens eines der Vorsatzelemente fehlt, ist als Zwischenergebnis eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 StGB zu verneinen.

Danach sollte die Prüfung neu angesetzt werden. Wurde der Vorsatz bei § 315c Abs. 1 StGB hinsichtlich des Handlungsteils abgelehnt, so kann in einem Satz eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB ebenfalls ausgeschieden und die Prüfung dann mit § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB fortgesetzt werden. Scheiterte § 315c Abs. 1 StGB nur am Gefährdungsvorsatz wird die Prüfung mit § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB zum Abschluss gebracht. Hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale des objektiven Tatbestandes kann – mit Ausnahme der objektiven Sorgfaltswidrigkeit hinsichtlich des Handlungs- und/oder Gefährdungselements – nach oben verwiesen werden.

Rechtswidrigkeit

Umstritten ist, ob die Gefährdung des Straßenverkehrs durch Einwilligung gerechtfertigt sein kann.

Die wohl hL erachtet eine Einwilligung in den Gefährdungsteil für möglich, weil dieser (nur) Leib, Leben und Eigentum und damit Individualrechtsgüter schütze. Nach dieser Ansicht entfällt im Falle einer Einwilligung die Strafbarkeit aus § 315c StGB, wobei in Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB jedoch § 316 StGB als Auffangtatbestand greift. Andere Stimmen kommen zum selben Ergebnis, in dem sie den Gefahrverwirklichungszusammenhang mittels der Figur der eigenverantwortlichen Fremdgefährdung ausschließen.

Der BGH hält eine Einwilligung dagegen nicht für möglich, da § 315c StGB zumindest auch den öffentlichen Straßenverkehr und damit ein Allgemeingut schütze, das der Disposition Einzelner entzogen ist. Weil die Gefährdung der im Gefährdungsteil des § 315c StGB geschützten Individualrechtsgüter gerade durch eine Verhaltensweise im Straßenverkehr eintreten muss, überzeugt diese Auffassung. Der Schutz von Leib, Leben und Eigentum kann nicht ohne den Schutz des Straßenverkehrs gedacht werden – die Schutzgüter sind untrennbar miteinander verwoben. Rechtfertigt die Einwilligung nur einen Teil dieser Beeinträchtigung, überzeugt es nicht, die Strafsanktion im Ganzen entfallen zu lassen. Dass mit § 316 StGB ein Auffangtatbestand zur Verfügung steckt, führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal diese Vorschrift nur gefährliche Trunkenheitsfahrten abdeckt. Fälle des § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. b), Nr. 2 StGB blieben dementgegen straffrei und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs ungesühnt. Dies wird auch nicht durch die Bußgeldtatbestände der StVO aufgefangen.

Eine Rechtfertigung nach § 32 StGB scheidet angesichts dieser Überlegungen ebenfalls aus. In Extremfällen kann eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB in Betracht kommen. Hier gilt das zu § 316 StGB Gesagte (→ § 30 Rn. 44).

Schuld

§ 315c StGB wirft keine besonderen Probleme auf Schuldebene auf. Bei Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum kommen eine verminderte Schuldfähigkeit oder ein Ausschluss der Schuldfähigkeit gem. §§ 2021 StGB in Betracht. Die Grundsätze der actio libera in causa sind nicht anwendbar (siehe oben → Rn. 4).

Klausurhinweis: In Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 StGB ist es überzeugend, die Rücksichtslosigkeit im Rahmen der Schuld zu prüfen.

Täterschaft und Teilnahme

Täterschaft

Da es sich bei § 315c StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt, kann Täter nur sein, wer jedenfalls Teilfunktionen, die für die Bewegung des Fahrzeugs zuständig sind, selbst bedient. Eine mittelbare Täterschaft ist ausgeschlossen. Eine Mit- oder Nebentäterschaft kommt nur in Betracht, wenn jede der beteiligten Personen als Fahrzeugführer:in anzusehen ist, also eine für die zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr notwendige Tätigkeit ausübt (beispielsweise wenn eine Person lenkt, die andere die Kupplung bedient).

Teilnahme

Für eine Teilnahme muss eine vorsätzliche Haupttat, also § 315c Abs. 1 StGB oder § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB, vorliegen. Als Beihilfehandlung kommt neben der Bereitstellung des Tatmittels auch die psychische Beihilfe in Betracht – beispielsweise durch Filmen der Fahrt. Für eine Teilnahme genügt es aber nicht, stillschweigend als Beifahrer:in mitzufahren – es sei denn, es besteht eine Garantenpflicht, die zur Verhinderung der Fahrt verpflichtet. So müssen sich beispielsweise Ehepartner von Trunkenheitsfahrten abhalten. Teilnehmer sind keine geeigneten Gefährdungsobjekte (siehe oben → Rn. 20 f.).

Versuch

Der Versuch der Gefährdung des Straßenverkehrs ist nur hinsichtlich § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB sanktioniert (§ 315c Abs. 2 StGB). Der Versuch der „sieben Todsünden“ bleibt mithin straffrei.

Strafzumessung

Die Vorsatz-Vorsatz-Kombination des § 315c Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Dementgegen sind alle Tatvarianten des § 315c Abs. 3 StGB (Vorsatz-Fahrlässigkeits- und Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination) im Höchstmaß mit zwei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert.

Eine Qualifikation im Falle der Verursachung einer (schweren) Verletzung von Leib, Leben oder Eigentum wurde bis heute nicht geregelt. Entsprechende Vorstöße der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Zusammenhang mit der Einführung des § 315d StGB scheiterten.

Konkurrenzen

Verursachen ausnahmsweise mehrere gefährliche Handlungen iSd § 315c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB dieselbe Gefahr, so liegt nur eine Tat vor (iterative Tatbegehung). Werden mehrere Gefahrerfolge während einer Trunkenheitsfahrt verursacht, so stehen diese richtigerweise in Tatmehrheit. Mehrere Gefährdungen durch ein Verhalten iSv § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB stehen ebenfalls in Realkonkurrenz zueinander. Ein Vorsatzwechsel während der Fahrt führt nicht zu einer Zäsur, ein Unfall aber schon.

Tateinheit gem. § 52 StGB ist insb. mit §§ 222, 229 StGB denkbar. Daneben kann § 315d StGB in Idealkonkurrenz verwirklicht sein. In Polizeifluchtfällen kommen auch §§ 113, 114 StGB in Tateinheit in Betracht. Gleiches gilt für § 248a StGB und § 21 StVG. Zu § 142 StGB steht die Tat regelmäßig in Tatmehrheit. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB (gefälschtes Kennzeichen) kann verklammernde Wirkung haben.

§ 315b StGB und § 315c StGB schließen sich grds. gegenseitig aus. Ausnahmsweise können sie in „Pervertierungsfällen“ gleichzeitig verwirklicht sein. Konkurrenzrechtlich verdrängt § 315b StGB in diesen Fällen nach hM § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Überzeugender ist es jedoch, Tateinheit aus Klarstellungsgründen anzunehmen (→ § 27 Rn. 40). § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StGB ist ggü. § 316 StGB lex specialis.

Wissen für die Zweite Juristische Prüfung

§ 315c StGB ist ein Regelfall der Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dementsprechend kann die Fahrerlaubnis durch richterlichen Beschluss gem. § 111a StPO auch vorläufig entzogen werden. Liegt kein richterlicher Beschluss vor, kann der Führerschein zunächst aufgrund von Gefahr im Verzug beschlagnahmt werden (§ 94 Abs. 3 StPO). Dann ist § 111a Abs. 5 StPO zu beachten. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt gem. § 111a Abs. 4 StPO die richterliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 StPO. Die Verhängung eines Fahrverbots nach § 44 StGB ist gegenüber § 69 StGB subsidiär.

Ein Kraftfahrzeug, das für Taten iSv § 315c StGB genutzt wurde, kann nicht gem. § 74 Abs. 1 Alt. 2 StGB eingezogen werden, da es sich nicht um ein Tatwerkzeug, sondern um ein Tatobjekt handelt und die für eine Tatobjektseinziehung nach § 74 Abs. 2 StGB erforderliche gesetzliche Anordnung fehlt. Es ist aber eine Sicherungseinziehung gem. § 74b StGB möglich.

Aufbauschema

  1. Tatbestand

    1. Objektiver Tatbestand

      1. Handlungsteil

        1. Führen eines Fahrzeugs

        2. Im Verkehr

        3. Tatmodus

          1. Nr. 1 lit. a): Im Zustand der rauschbedingten Fahruntüchtigkeit

          2. Nr. 1 lit. b): Eingeschränkt durch geistige oder körperliche Mängel

          3. Nr. 2: „sieben Todsünden“ des Straßenverkehrs

        4. In Fällen der Nr. 2: grob verkehrswidriges Verhalten

      2. Gefährdungsteil

        1. Geeignetes Gefährdungsobjekt

        2. Konkrete Gefahr

        3. Gefahrverwirklichungszusammenhang

  2. Subjektiver Tatbestand

    1. Vorsatz hinsichtlich des Handlungs- und Gefährdungsteils (§ 315c Abs. 1 StGB)

    2. Vorsatz hinsichtlich des Handlungsteils, Sorgfaltswidrigkeit hinsichtlich des Gefährdungsteils (§ 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB)

    3. Sorgfaltswidrigkeit hinsichtlich des Handlungs- und Gefährdungsteil (§ 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB)

    4. In Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB: Rücksichtslosigkeit (außer in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 StGB)

  3. Rechtswidrigkeit

  4. Schuld (hier ist in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 StGB die Rücksichtslosigkeit zu prüfen)

Studienliteratur und Übungsfälle

Studienliteratur

Eisele, Der Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB), JA 2007, 168

Zimmermann, Die Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB), JuS 2010, 22

Dallmayer/Tischer, Ist er nun betrunken gefahren? – Das Prüfungsgespräch im Zweiten Juristischen Staatsexamen am Beispiel einer strafrechtlichen Prüfung, JA 2015, 862

Übungsfälle

Schach, Heimweg nach dem Stammtisch, JA 2024, 113

Pschorr, Fortgeschrittenenhausarbeit – Strafrecht: Tücken der Straße, JuS 2024, 663

Fahrner, Freund im Leid, JA 2023, 288

Mennemann/Großmann, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Verkehrsstrafrecht – Die Tuner vom Königsplatz, JuS 2018, 779

Klesczewski/Hawickhorst, Original-Examensklausur: „Rotwein und Rechtschaffenheit“, JA 2013, 589

Radtke/Mayer, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Die Polizeikontrolle, JuS 2011, 521

Steinberg/Stam, Schwerpunktbereichsklausur – Strafrecht: Verkehrsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht – Die Silvesterparty, JuS 2010, 896

Goeckenjan, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: Probleme im Straßenverkehr und vor Gericht – Der misslungene Kinoabend, JuS 2008, 702

Seier/Wember, Schwerpunktbereichsklausur – Verkehrsstrafrecht: Eine Trunkenheitsfahrt ohne Folgen?, JuS 2007, 361

Bischoff/Braam, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Urteilsklausur – Das Ende einer Partynacht, JuS 2017, 1203

Helmrich, Assessorexamensklausur – Strafrecht: Entschließung der Staatsanwaltschaft – Kein Fahrlehrer zum Verlieben, JuS 2011, 1114

Gremmer, (Original-)Assessorexamensklausur – Strafrecht: Verkehrsstrafrecht und Strafzumessung, JuS 2009, 251