Vorbemerkung
Der Tatbestand des Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs ist im Jahr 1986 in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die existierenden Vermögensdelikte nur einen unzureichenden Rechtsgüterschutz für den Fall boten, dass ein Kreditkarteninhaber die mit einer Kreditkarte einhergehenden Zahlungsmöglichkeiten zu Lasten des Kartenausstellers missbraucht (zB weil er mit der Kreditkarte einen Einkauf tätigt, ohne in der Lage zu sein, seine Schuld ggü. dem Kartenaussteller später begleichen zu können). Im Hintergrund stand dabei eine Entscheidung des BGH, der zufolge es sich nach alter Rechtslage bei dem später in § 266b StGB unter Strafe gestellten Verhalten des Scheck- und Kreditkartenmissbrauchs nicht um eine Untreue nach § 266 StGB handelte, da den Bankkunden ggü. dem kartenausstellenden Institut keine Vermögensbetreuungspflicht treffe.
„Das vorstehende Ergebnis, nach welchem der Angekl. […] weder wegen vollendeten Betruges noch wegen Untreue bestraft werden kann, mag unbefriedigend sein, weil es ein Verhalten von Strafe freistellt, das […] als ‚sozial schädlich und strafwürdig‘ angesehen werden kann. Mangels einer einschlägigen Strafnorm wird es deshalb Aufgabe des Gesetzgebers sein, zu prüfen, ob ein solches Verhalten – wie auch andere, den geltenden Strafbestimmungen nicht unterfallende Verhaltensweisen im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr – mit Strafe bedroht werden soll, und gegebenenfalls entsprechende Straftatbestände zu schaffen.“
Auf diesen deutlichen Fingerzeig reagierte der Gesetzgeber mit Schaffung des § 266b StGB im nächsten Jahr. In kriminalpolitischer Hinsicht wird die Vorschrift seit jeher mit dem Argument angezweifelt, dass es den Kartenausstellern selbst obliege, die Bonität ihrer Kunden zu prüfen und sich unter Zuhilfenahme technischer Vorkehrungen vor Vermögensschäden zu schützen.
Diese Zweifel an der Legitimität von § 266b StGB dürften vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts im Bereich der Sicherungssysteme von Kreditinstituten noch stärker geworden sein, da heute nahezu allen bargeldlosen Zahlungsvorgängen eine Online-Prüfung vorausgeht und die Institute sich daher tatsächlich effektiv selbst schützen können. Hinzu kommt, dass es den für die Scheckkarten im ursprünglichen Sinne erforderlichen zentralen, garantierten Scheckverkehr seit dem Jahr 2002 nicht mehr gibt.
Rechtsgut und Deliktsstruktur
§ 266b StGB schützt das Vermögen der kartenausstellenden Banken und Kreditinstitute. Darüber hinaus wird teilweise auch die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehr als geschütztes Rechtsgut angesehen, woraus sich für die Fallbearbeitung wohl aber keine Besonderheiten ergeben. Überzeugender dürfte es angesichts der sich aus dem Wortlaut des Tatbestands ergebenden Konzeption von § 266b StGB als Erfolgsdelikt („und diesen dadurch schädigt“) ohnehin sein, allein auf das individuelle Vermögen abzustellen. Anderenfalls müsste das Delikt im Hinblick auf das überindividuelle Rechtsgut als abstraktes Gefährdungsdelikt verstanden werden. Richtigerweise ist die Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs nur als Reflex mitgeschützt.
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter eine ihm durch Überlassung einer Scheckkarte oder einer Kreditkarte eingeräumte Möglichkeit, den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen, missbraucht und diesen dadurch schädigt.
Täterkreis
Da sich die Strafdrohung nur an denjenigen richtet, dem „durch die Überlassung einer Scheck- oder Kreditkarte“ die Möglichkeit eingeräumt wurde, „den Aussteller zu einer Zahlung zu veranlassen“, handelt es sich um ein Sonderdelikt. Dies ergibt sich auch bereits aus der Gesetzessystematik, die § 266b StGB als ergänzende Vorschrift zum Sonderdelikt der Untreue gem. § 266 StGB ausweist.
Aus dem Sonderdeliktscharakter von § 266b StGB folgt, dass die Anwendung der Vorschrift stets ausscheidet, wenn eine andere Person als der vertraglich vorgesehene Karteninhaber (also zB ein Dieb nach Entwendung einer Kreditkarte) die Karte zur Zahlung einsetzt.
Klausurtaktik: Bei den „klassischen“ EC-Karten-Fällen (besser: Girokarten-Fällen, s. o. → Rn. 3), wo eine gestohlene oder sonst rechtswidrig erlangte fremde Girokarte von einem Unbefugten zum Einkaufen oder Geldabheben benutzt wird, wird v. a. in Prüfungsarbeiten an der Universität noch eine vollständige gutachterliche Abhandlung aller in Betracht kommender Delikte erwartet. Insofern sollte auch an § 266b StGB gedacht werden. Dabei kann in der Konstellation der entwendeten Girokarte zunächst eine Untreuestrafbarkeit nach § 266 StGB kurz abgelehnt werden, da es dem Verwender der Karte an einer Vermögensbetreuungspflicht ggü. der kartenausstellenden Bank fehlt. Im Anschluss muss dann § 266b StGB abgelehnt werden, weil dem Unbefugten die Karte nicht vom kartenausstellenden Institut überlassen wurde und er daher nicht Täter des § 266b StGB sein kann.
Tatobjekte: Scheck- oder Kreditkarte
Scheckkarte
Das Tatobjekt der Scheckkarte hat heutzutage keinen Anwendungsbereich mehr, da das ursprüngliche Eurocheque-System seit dem Jahr 2002 nicht mehr existiert. Auf dieses System war die Tatbestandsalternative vom Gesetzgeber aber gerade zugeschnitten. Sich über diese Intention hinwegzusetzen und alle heutigen Girokarten, die richtigerweise nicht einmal mehr als „EC-Karten“ abgekürzt werden (s. dazu oben → Rn. 3), als erfasst anzusehen, ist mit der Historie der Vorschrift und dem Wortlaut unvereinbar.
Dies hat der BGH in der Entscheidung BGHSt 47, 160 allerdings anders gesehen und die Auffassung vertreten, dass es unter § 266b StGB fällt, wenn der Inhaber einer EC-Karte diese Karte benutzt, um am Geldautomaten eines anderen Geldinstituts Geld abzuheben, obwohl sein Guthaben die Abhebung nicht deckt. Faktisch wird es heutzutage allerdings fast nie zu dieser speziellen Konstellation kommen, da der Kartenaussteller beim Einsatz der Karte idR eine Online-Überprüfung durchführt und bei fehlender Kontodeckung die Zahlung oder Abhebung mittels Girokarte nicht genehmigt.
Kreditkarte
Bedeutung kommt damit jedenfalls in der Praxis allein dem Tatobjekt der Kreditkarte zu. Unter diesen Begriff können verschiedene Arten von Karten subsumiert werden, eine umfassende und einheitliche Definition lässt sich in Literatur und Rspr. nicht finden.
Sicher von § 266b StGB erfasst ist die sog. Universalkreditkarte, die der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift im Jahr 1986 vor Augen hatte. Sie war ursprünglich dadurch gekennzeichnet, dass ein Drei-Personen-Verhältnis aus Kreditkartenunternehmen (kartenausstellendes Institut), dem Vertragsunternehmen (Händler oder Dienstleister) und dem konsumierenden Kunden als Karteninhaber besteht. Mittlerweile ist die zivilrechtliche Situation allerdings komplexer geworden; es liegt zumeist eher ein Sechs-Personen-Verhältnis vor.
Klausurtaktik: In Prüfungsarbeiten ist daher der Sachverhalt genau zu analysieren. Häufig wird hier unter eindeutiger Nutzung des Wortes „Kreditkarte“ wohl noch das ursprüngliche „Idealbild“ des Drei-Personen-Verhältnisses gezeichnet werden und eine kurze Beschreibung der vertraglichen Verhältnisse enthalten sein. In dieser Fallkonstellation verpflichtet sich der Kartenaussteller ggü. dem Vertragsunternehmen durch einen Rahmenvertrag bei Einhaltung gewisser darin enthaltener Voraussetzungen (zB mit Karte übereinstimmende Unterschrift, richtige PIN-Eingabe, Einhaltung eines Höchstbetrags bzw. Genehmigung durch Kartenaussteller etc) dessen Forderungen ggü. dem Karteninhaber auszugleichen (Garantiefunktion). Das kartenausstellende Institut zieht idR im Wege des Lastschriftverfahrens im monatlichen Intervall die bis dahin aufsummierten Beträge als Aufwendungsersatz vom Girokonto des Karteninhabers ein.
Es existieren weiterhin auch Kreditkarten im sog. „Zwei-Partner-System“, bei dem Kartenaussteller und Vertragsunternehmen bzw. Leistungserbringer zusammenfallen, der Karteninhaber die ausgestellte Karte also nicht gegenüber einer dritten Person nutzt. Das ist bspw. bei Kundenkarten in Kaufhäusern der Fall, durch deren Ausgabe dem Kunden ein gewisser Kreditrahmen zum Einkauf in den eigenen Filialen gewährt wird. Nach überwiegender Auffassung sind solche Karten keine tauglichen Tatobjekte iSd § 266b StGB. Das trifft zu, denn die tatbestandliche Konzeption gründet auf der Überlegung, dass Mitte der 1980er-Jahre, als § 266b StGB geschaffen wurde, sowohl im Schecksystem als auch bei Kreditkarten „das rechtliche Können“ nach Außen (Verpflichtung des Kartenausstellers zur Zahlung) über „das rechtliche Dürfen“ im Innenverhältnis (Beschränkung durch Zahlungsdiensterahmenvertrag) insofern hinausgehen konnte, als der Kartenaussteller wirksam zur Begleichung einer fremden Schuld ggü. einem Dritten verpflichtet werden konnte. Gerade darin – dass der Kunde grob gesagt also mehr Geld ausgeben konnte, als ihm das kartenausstellende Institut eigentlich zugestanden hatte – lag die besondere Gefahr für das kartenausstellende Institut. Einer Kreditkarte muss daher eine solche Garantiefunktion zukommen, damit sie unter § 266b StGB gefasst werden kann. Das ist im „Zwei-Partner-System“ nicht der Fall, denn hier gewährt der Kartenaussteller und Leistungserbringer lediglich eine Stundung der Gegenleistung bis zum Zeitpunkt der nächsten Abrechnung des Kundenkontos.
Vertiefungshinweis: Dass § 266b StGB nur auf Karten anwendbar ist, die im Außenverhältnis zu Dritten eine Garantiefunktion haben, folgt auch aus dem Wortlaut der Vorschrift: Dieser verlangt, dass durch die Kartenüberlassung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Kartenaussteller „zu einer Zahlung zu veranlassen“. Das Gewähren einer Stundung fällt nicht darunter und auch die Übergabe und Übereignung einer Ware oder die Erbringung einer Dienstleistung kann unter Beachtung der strikten Wortlautgrenze (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht als „Zahlung“ begriffen werden. Soweit dagegen auf kriminalpolitische Erwägungen sowie die Entstehung gewisser Wertungswidersprüche zwischen der Strafbarkeit beim Missbrauch von Universalkreditkarten und jenen im „Zwei-Partner-System“ (§ 266b StGB mit niedrigerem Strafrahmen ggü. § 263 StGB mit höherem Strafrahmen) hingewiesen wird, mag das zwar zutreffen. Allerdings wäre hier allein der Gesetzgeber zur Reform berufen.
Auch bei einer Tankkarte handelt es sich aus den vorbenannten Gründen nicht um ein taugliches Tatobjekt des § 266b StGB.
Schließlich kann auch die Girokarte nicht unter den Begriff der Kreditkarte subsumiert werden. Dies wird jedoch unter Hinweis auf die heutige Funktionsäquivalenz zur Universalkreditkarte (Garantiefunktion) teilweise anders gesehen, um dem vorgefundenen und auch hier vertretenen Ergebnis beim Tatobjekt der Scheckkarte entgegenzuwirken und doch eine Strafbarkeit zu erreichen.
Tathandlung: Missbrauch der Möglichkeit, den Kartenaussteller zu einer Zahlung zu veranlassen
Der Missbrauch iSd § 266b StGB setzt wie bei § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB voraus, dass der Täter durch sein Handeln im Rahmen des rechtlichen Könnens (d. h. wirksam im Außenverhältnis) das rechtliche Dürfen (d. h. unwirksam im Innenverhältnis) überschreitet.
Taterfolg: Zurechenbare Schädigung
Der tatbestandliche Erfolg des § 266b StGB liegt in einer zurechenbaren
Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss vorsätzlich handeln, wobei dolus eventualis genügt. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Es gelten die allgemeinen Regeln.
Täterschaft und Teilnahme
Bei § 266b StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt, weshalb die für solche Delikte bei der Täterschaft und Teilnahme geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Übt jemand Tatherrschaft durch den Einsatz eines zB vorsatzlosen oder unter dem Eindruck einer Nötigung handelnden Karteninhaber aus, kann er mangels Überlassung der Karte durch den Kartenaussteller an sich selbst nicht zum (mittelbaren) Täter des § 266b StGB werden.
Es handelt sich bei der Tätereigenschaft des § 266b StGB um ein strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs. 1 StGB. Daher ist die Strafe von Teilnehmern der Tat (Anstifter oder Gehilfe) nach § 49 Abs. 1 StGB obligatorisch zu mildern.
Klausurtaktik: In der Klausurbearbeitung ist bis zur Ersten Juristischen Prüfung die Strafzumessung im Gutachten nicht zu thematisieren (Ausnahme: Feststellung eines Regelbeispiels), weshalb auch die Milderung nach § 28 Abs. 1 StGB iVm § 49 Abs. 1 StGB nicht unbedingt angesprochen werden muss. Erst in der Zweiten Juristischen Prüfung wird die Strafzumessung für die dort geforderte praktische Lösung der Fälle, etwa bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts und Spruchkörpers oder der Feststellung des Haftgrundes der Fluchtgefahr (Straferwartung als wichtiger Faktor), relevant.
Versuch, Vollendung, Beendigung
Der Versuch des Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB) ist mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 23 Abs. 1 StGB) nicht strafbar. Die Tat ist mit Eintritt der Schädigung vollendet, wobei auch schon eine konkrete Vermögensgefährdung als Vermögensschaden gewertet werden kann (s. → § 11 Rn. 93 ff. und § 15 Rn. 29 ff.). Eine solche schadensgleiche Vermögensgefährdung kann bereits dann vorliegen, wenn der Karteninhaber die Karte nutzt, obwohl die dadurch entstehende Schuld gegenüber dem Kartenaussteller nicht begleichen kann.
Konkurrenzen
Folgt man der auch hier vertretenen Ansicht der Rspr. und hL, stellt der Missbrauch einer Scheck- oder Kreditkarte schon tatbestandlich weder einen Betrug noch eine Untreue dar (→ Rn. 1), sodass keine Konkurrenzprobleme entstehen.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Tauglicher Täter
Tatobjekte: Scheck- oder Kreditkarte
Tathandlung: Missbrauch der Möglichkeit, den Kartenaussteller zu einer Zahlung zu veranlassen
Zurechenbare Schädigung
Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
Ggf. Strafantragserfordernis, § 266b Abs. 2 i. V. m. § 248a StGB
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Über Abs. 2 gilt das Strafantragserfordernis aus § 248a StGB (dazu näher unter → § 1 Rn. 244). Der geschädigte Kartenaussteller ist auch Verletzter iSd § 172 Abs. 1 StPO, kann also Beschwerde gegen eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO einlegen. In der Staatsanwaltschaftsklausur der Zweiten Juristischen Prüfung muss dies in der Abschlussverfügung berücksichtigt werden. Bei dem Verfügungspunkt des Einstellungsbescheids muss dem ggf. auszuformulierenden Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt werden.
Studienliteratur und Übungsfälle
Studienliteratur
Oğlakcıoğlu, Die Karten in meiner Brieftasche (Teil 1: Intro), JA 2018, 279 ff.
Oğlakcıoğlu, Die Karten in meiner Brieftasche (Teil 2: Zahlungskarten), JA 2018, 338 ff.
Übungsfälle
Brand/Hotz, Fortgeschrittenenklausur – Strafrecht: AT und Vermögensstrafrecht – Ein Lotteriegewinn mit Folgen, JuS 2014, 714 ff.
Tetzlaff, Referendarexamensklausur – Strafrecht: Eigentums- und Vermögensdelikte – Urlaub à la Carte, JuS 2013, 152.