Rechtsgut und Deliktsstruktur
§ 231 StGB stellt die Beteiligung an einer Schlägerei unter Strafe. Geschützte Rechtsgüter sind das Leben und die Gesundheit. Einen Körperverletzungs- oder sonstigen Verletzungserfolg setzt der Tatbestand zu seiner Verwirklichung aber nicht voraus und unterscheidet sich damit von den übrigen Delikten des 17. Abschnitts des StGB (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit). Es genügt eine abstrakte Gefährdung dieser Rechtsgüter durch die Beteiligung an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff (abstraktes Gefährdungsdelikt). Die schuldhafte Beteiligung genügt zur Bejahung einer Strafbarkeit nach § 231 StGB allerdings nicht. Es muss eine weitere Voraussetzung erfüllt sein: Nach § 231 StGB wird schon – aber eben auch nur dann – wegen der Beteiligung bestraft, wenn die Schlägerei oder der Angriff eine schwere Folge (Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung nach § 226 StGB) verursacht. Bei der schweren Folge handelt es sich nach überwiegender Ansicht um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit.
Hintergrund dieser gesetzlichen Konzeption ist folgender: Bei einer unüberschaubaren Gemengelage wie einer Schlägerei zwischen mehreren Personen ist es im Nachhinein häufig schwierig bis unmöglich, festzustellen, welche beteiligte Person die schwere Folge verursacht hat. Diese Beweisschwierigkeit versucht der § 231 StGB zu umgehen, indem bereits die Beteiligung an einer Schlägerei an sich unter Strafe gestellt wird. Der Gesetzgeber hielt es dabei aber für angezeigt, eine Strafbarkeit auch bei einer Beteiligung nur für den Fall vorzusehen, dass eine schwere Folge eintritt.
In Prüfungsarbeiten ist vor allem die Frage, ob eine Strafbarkeit auch dann bejaht werden kann, wenn sich der Täter erst nach Eintritt der schweren Folge an der Schlägerei oder einem Angriff beteiligt, ein „Klassiker“ (→ Rn. 7 ff.). Sofern § 231 StGB in einer Prüfungsarbeit relevant wird, ist wichtig, dass der besondere Aufbau berücksichtigt wird und die objektive Bedingung der Strafbarkeit als solche erkannt und als eigenständiger Prüfungspunkt nach dem objektiven und subjektiven Tatbestand geprüft wird.
Objektiver Tatbestand
Schlägerei oder ein von mehreren verübter Angriff
Eine Schlägerei ist ein mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundener Streit, an dem mindestens drei Personen physisch mitwirken. Entfernt sich ein Beteiligter und bleiben lediglich zwei Personen übrig, so liegt keine Schlägerei mehr vor. Zur Ermittlung, ob eine Schlägerei vorliegt, ist nicht relevant, ob die Beteiligten aus eigener Schuld in den Streit verwickelt sind. Insbesondere liegt auch eine Schlägerei vor, wenn eine:r der Beteiligten in Notwehr handelt.
Ein von mehreren verübter Angriff ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung durch mindestens zwei Personen. Da der Angriff nach dieser Definition „nur“ auf den Körper des Angegriffenen zielen muss, ist es nicht erforderlich, dass es bereits zu Gewalttätigkeiten gekommen ist. Das bloße Bevorstehen des Angriffs reicht aus.
Beteiligung des Täters
Grundsätzliches
Der Täter muss sich an der Schlägerei oder am Angriff beteiligen. Beteiligt ist, wer am Tatort anwesend ist und in feindseliger Weise durch einen aktiven Beitrag an der tätlichen Auseinandersetzung mitwirkt. Mit der „Beteiligung“ wird nicht an Täterschaft und Teilnahme im Sinne von § 28 StGB angeknüpft. Es wird untechnisch als örtlich-zeitliche Mitwirkung verstanden, wobei jedwede physische oder psychische Teilnahme erfasst und ein mittäterschaftliches Handeln gerade nicht vorausgesetzt wird. In Prüfungsarbeiten muss hier präzise definiert und subsumiert werden: Für das Vorliegen einer Schlägerei ist die physische Mitwirkung von drei Personen erforderlich. Für eine Beteiligung an einer solchen Schlägerei reicht aber eine psychische Mitwirkung, wie zB das Anfeuern von außen, aus. Ein Unterlassen, die bloße Anwesenheit am Tatort oder lediglich das „Über-Sich-Ergehen-Lassen“ des Angriffs genügt jedoch nicht. Auch diejenigen, die nur aus Neugier oder mit der Absicht einer Erste-Hilfe-Leistung für die Verletzten am Tatort anwesend sind, beteiligen sich nicht. Werden Nothelfer:innen oder die Polizei vom Einschreiten in die Schlägerei oder den Angriff abgehalten, so kommt es für die Frage der Beteiligung maßgeblich darauf an, ob die abhaltende Person in dem Streit Partei bezogen hat oder aber das Geschehen an sich und beide Parteien unterstützen möchte. Im letzteren Fall liegt keine Beteiligung vor.
Zeitpunkt der Beteiligung
Umstritten ist, ob die Strafbarkeit eines Beteiligten davon abhängt, dass die schwere Folge vor oder nach seiner Beteiligung an der Schlägerei eingetreten ist.
Beispiel 1: A, B, C und D sind in einer Schlägerei auf einem Fußballfeld verwickelt, in deren Verlauf der D tödlich verletzt wird. Bevor die tödliche Verletzung eintritt, hatte A den ganzen Streit satt und das Fußballfeld bereits verlassen. Strafbarkeit des A gemäß § 231 Abs. 1 StGB?
Beispiel 2: A, B, C und D sind erneut in einer Schlägerei auf einem Fußballfeld verwickelt, in deren Verlauf der D tödlich verletzt wird. Während D aufgrund seiner tödlichen Verletzung bereits röchelnd am Boden liegt, stößt E zum Geschehen dazu und beteiligt sich an der weiter stattfindenden Schlägerei. Strafbarkeit der E gemäß § 231 Abs. 1 StGB?
Die Rechtsprechung verweist auf die angesprochenen Beweisschwierigkeiten (→ Rn. 2) und vertritt demnach die Ansicht, dass eine strafbare Beteiligung sowohl vor Eintritt der schweren Folge als auch danach möglich ist. Es komme lediglich auf die Kausalität des Angriffs oder der Schlägerei als „Gesamtgeschehen“ an.
Vetreter:innen der Literatur hingegen berufen sich auf den Schuldgrundsatz und lehnen eine strafbare Beteiligung jedenfalls nach Eintritt der schweren Folge ab. Zur Begründung wird angeführt, dass die Beteiligung in einem ursächlichen Zusammenhang mit der schweren Folge stehen muss, woran es bei einer nachträglichen Beteiligung fehlt.
Von den beiden Beispielfällen zu unterscheiden ist die Konstellation, in der zunächst drei Personen an einer Schlägerei beteiligt sind, die schwere Folge aber erst nach Verlassen einer Person durch das Handeln der beiden verbliebenen Personen verursacht wird.
Beispiel 3: A, B und C prügeln sich auf der Straße. C hat genug von der Schlägerei, verlässt die Straße und geht nach Hause. A und B schlagen weiter aufeinander ein, bis A derart heftig zuschlägt, dass B sich tödlich verletzt. C liegt längst zu Hause auf dem Sofa.
In einem solchen Fall vertritt auch die Rechtsprechung die Ansicht, dass eine strafbare Beteiligung nach § 231 Abs. 1 StGB für den sich Entfernenden ausscheidet.
Nichtvorwerfbarkeit der Beteiligung
§ 231 Abs. 2 StGB normiert, dass nicht strafbar ist, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist. Die dogmatische Einordnung der fehlenden Vorwerfbarkeit ist umstritten. Während die wohl überwiegende Ansicht bei Vorliegen einer fehlenden Vorwerfbarkeit bereits den Tatbestand ausschließt,
Subjektiver Tatbestand
Der subjektive Tatbestand setzt vorsätzliches Handeln hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale voraus. Der Täter muss in Kenntnis über die Umstände handeln, die die Annahme einer Schlägerei oder eines von mehreren verübten Angriffs rechtfertigen. Er muss zudem Kenntnis über seine Beteiligung daran haben.
Erneut (s. schon → Rn. 1) sei darauf hingewiesen, dass sich der Vorsatz nicht auf die schwere Folge beziehen muss.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit (Verursachung der schweren Folge)
Eintritt der schweren Folge
§ 231 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Tod oder eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) eines anderen Menschen verursacht worden ist. Es handelt sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die durch das Wort „wenn“ im § 231 Abs. 1 StGB eingeleitet wird. Als objektive Bedingung der Strafbarkeit braucht dieses Tatbestandsmerkmal nicht vom Vorsatz oder von der Fahrlässigkeit einer der Beteiligten umfasst zu sein. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach dem objektiven und subjektiven Tatbestand zu prüfen.
Die schwere Folge muss im Übrigen auch nicht rechtswidrig herbeigeführt worden sein, sondern kann auch auf einer durch Notwehr gerechtfertigten Handlung beruhen. Irrelevant ist zudem, bei wem der Erfolg eingetreten ist. Es kann sich um das angegriffene Opfer, die Angreifer:in selbst, eine Schlichter:in oder eine zuschauende Person handeln.
Kausalität der Schlägerei oder des Angriffs für die schwere Folge
Zwischen der Schlägerei bzw. dem Angriff mehrerer und der schweren Folge muss ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Äquivalenztheorie vorliegen. Für den Kausalzusammenhang kommt es nicht auf die einzelnen (isolierten) Aggressionsakte der einzelnen Personen an, sondern nur auf den von „mehreren gemachten Angriff“ oder die Schlägerei als solche, auf den oder die sich der Eintritt der schweren Folge zurückführen lassen muss.
Gefahrspezifischer Zusammenhang
Zusätzlich zum ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Äquivalenztheorie und der objektiven Zurechnung muss im Eintritt der schweren Folge die Gefährlichkeit der Schlägerei zum Ausdruck kommen, also gerade darauf zurückzuführen sein (gefahrspezifischer Zusammenhang). Der gefahrspezifische Zusammenhang ist beispielsweise nicht erfasst, wenn eine zuschauende Person vor Aufregung einen Herzinfarkt erleidet und verstirbt, mag die Schlägerei dann auch ursächlich gewesen sein. Als typische Gefahr einer Schlägerei ist aber die waghalsige Flucht oder das Eingreifen von Polizeibeamt:innen oder Nothelfer:innen zu nennen.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Grundsätzlich indiziert das Vorliegen des Tatbestandes die Rechtswidrigkeit. Eine rechtfertigende Einwilligung ist im Fall des § 231 StGB regelmäßig ausgeschlossen, da § 231 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur das Leben und die Gesundheit der durch die Schlägerei oder den Angriff tatsächlich Verletzten/Getöteten schützt, sondern auch das Leben und die Gesundheit aller Personen, die durch die Schlägerei oder den Angriff abstrakt gefährdet werden. Dieses über den einzelnen Verletzten/Getöteten hinausgehende Schutzgut ist nicht disponibel.
Täterschaft und Teilnahme
Täter ist jede Person, die sich an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt; die „Beteiligung“ ist insofern als eigenständige Voraussetzung des § 231 StGB zu verstehen und nicht im Sinne der §§ 25-27, 28 StGB. Da beteiligt schon ist, wer am Tatort anwesend ist und in feindseliger Weise durch einen aktiven Beitrag an der tätlichen Auseinandersetzung mitwirkt, bleibt wenig Raum für eine Teilnahme im Sinne von §§ 26, 27 StGB. Möglich ist die Teilnahme an § 231 StGB nur, wenn es an einer unmittelbaren Beteiligungshandlung fehlt. Dies ist der Fall bei zeitlich oder räumlich tatfernen Beiträgen wie zB bei der Aufforderung einer tatortfremden Person gegenüber einer Person vor Ort, sich der Schlägerei anzuschließen, oder beim Abschirmen der tatortfernen Polizei, damit das Geschehen weitergehen kann.
Konkurrenzen
Da § 231 StGB Leben und körperliche Unversehrtheit vor den abstrakten Gefährdungen einer Schlägerei und von mehreren verübten Angriffen schützt und damit eine gegenüber den Körperverletzungs- und Tötungsdelikten spezielle Schutzrichtung aufweist, steht § 231 Abs. 1 StGB nach hM grundsätzlich in Tateinheit (Idealkonkurrenz) mit den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten der §§ 211 ff., 223 ff. StGB.
Aufbauschema
Tatbestand
Objektiver Tatbestand
Schlägerei/von mehreren verübter Angriff
Beteiligung
Subjektiver Tatbestand
Objektive Bedingung der Strafbarkeit
Eintritt der schweren Folge
Kausalität
Gefahrspezifischer Zusammenhang
Rechtswidrigkeit
Schuld
Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
Bei der Strafzumessung kommt es auf den konkreten Grad der Gefährlichkeit der Schlägerei/des Angriffs von mehreren an. Der Eintritt der schweren Folge an sich darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden.
Weiterführende Studienliteratur und Übungsfälle
Oğlakcıoğlu, Übungsfall: The Hangover Part I, ZJS 2013, 482 (Open Access)
Wagner/Drachsler, Übungsfall: Die Party bei den Jacks, ZJS 2011, 530 (Open Access)