Einleitung
Privatisierungsrecht ist das Recht, das sich mit Privatisierung beschäftigt. Um uns dem Privatisierungsrecht nähern zu können, müssen wir uns also zunächst darüber verständigen, was wir überhaupt mit „Privatisierung“ meinen. Das ist insofern nicht so einfach, als Privatisierung ein Begriff ist, der im Gesetz kaum vorkommt (ein Fall ist aber § 7 Abs. 1 S. 2 BHO, dazu später) und als solcher auch kaum Gegenstand gerichtlicher Streitigkeiten ist. Privatisierung ist daher vor allem eine Erscheinung, die von der Rechtswissenschaft konturiert und untersucht wird. Allerdings hat sich – angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen – bislang kein einheitliches Verständnis des Begriffs gebildet. Gearbeitet wird häufig mit Typologien, die sich wiederum danach unterscheiden, welchen rechtlichen Fragestellungen sich die jeweilige Autorin oder der jeweilige Autor widmen möchte.
Wir möchten uns in diesem Abschnitt dem Begriff (B.) und der vorherrschenden Typologie annähern (C.), um ein grundsätzliches Verständnis von dem Gegenstand zu bekommen, mit dem wir uns in den nächsten beiden Abschnitten rechtlich beschäftigen. Zur Veranschaulichung betrachten wir ein paar bedeutende Privatisierungsvorgänge in der Bundesrepublik Deutschland (D.).
Annäherung an den Rechtsbegriff Privatisierung
Vorgang, der einen Gegenstand hin zu etwas Privatem verändert
Nähern wir uns dem Begriff der Privatisierung an, lässt sich dem Begriffsteil „-ierung“ zwanglos der Wortsinn entnehmen, dass es um einen Vorgang geht, der eine Veränderung mit sich bringt. Daraus wird deutlich, dass sich der wissenschaftliche Blick auf Privatisierung dreiteilen lässt: Auf den Zustand davor, auf den Vorgang selbst und auf den Zustand danach.
Mit Blick auf den Zustand davor können wir uns insbesondere fragen, welche rechtlichen und politischen Gründe es dafür geben mag, den Zustand zu verändern, und wo die rechtlichen Grenzen liegen, das heißt unter Umständen Pflichten bestehen, den Zustand zu erhalten.
Hinsichtlich des Vorgangs selbst können wir uns fragen, wie sich Privatisierung rechtlich vollzieht und welche rechtlichen Probleme entstehen können.
Den Zustand danach betrachten wir, wenn wir überlegen, inwiefern sich die Rechtslage durch den Vorgang geändert hat, ob neue Rechte oder Pflichten entstanden sind oder ob sich bestehende Rechte und Pflichten inhaltlich verändert haben.
Aus dem Begriffsteil „Privat-“ lässt sich der Inhalt der Veränderung entnehmen: Etwas ist nach dem Vorgang privat, das vorher nicht privat war. Im rechtlichen Kontext ist „privat“ ein Gegenstück zu „staatlich“. Das Begriffspaar grenzt zwei Sphären voneinander ab, die staatliche Sphäre von der Sphäre der Gesellschaft. Vereinfacht lassen sich die beiden Sphären folgendermaßen charakterisieren:
Die gesellschaftliche oder private Sphäre zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Subjekte frei sind und Grundrechte in Anspruch nehmen. Die Gründe des Handelns von Privaten sind vielfältig, im Kern geht es aber in der Regel um Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung. Im beruflichen Kontext tritt das Motiv der Einnahmen- oder Gewinnerzielung dazu. Private begegnen einander auf einer Ebene der rechtlichen Gleichordnung. Ihr Rechtsregime ist das Privatrecht.
Der Staat handelt demgegenüber, weil ihm Aufgaben auferlegt und Kompetenzen eingeräumt sind. Motiv staatlichen Handelns ist das öffentliche Wohl. Er kann sich nicht auf Grundrechte berufen. Die Grundrechte richten sich vielmehr gegen ihn (Art. 1 Abs. 3 GG) und begründen staatliche Handlungs- und Unterlassungspflichten. Im demokratischen Verfassungsstaat muss jedes staatliche Verhalten demokratisch legitimiert sein, das heißt, sich zumindest mittelbar auf den Willen des Volkes zurückführen lassen (Art. 20 Abs. 2 GG). Das geschieht über Wahlen und Abstimmungen und eine in ununterbrochener Kette erfolgende Weitergabe von Entscheidungsbefugnissen. Der Staat kann Privaten auf der Ebene der Gleichordnung begegnen. Er übt jedoch, vermittelt durch das Volk, auch „Staatsgewalt“ aus (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Dafür steht ihm eine Reihe öffentlich-rechtlicher Instrumente zur Verfügung, deren Einsatz ein Über-/Unterordnungsverhältnis zu den Privaten ausdrückt und Privaten selbst verwehrt ist. Das Recht, das den Staat als solchen, das heißt als Hoheitsträger adressiert, gerade ihn und nicht die Privaten berechtigt und verpflichtet, nennen wir Öffentliches Recht.
Bei Privatisierung geht es also jedenfalls darum, dass sich ein Gegenstand vom Staatlichen hin zum Privaten verändert. Insoweit besteht in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Erscheinung Privatisierung Einigkeit.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Der Staat handelt aus Gründen des öffentlichen Wohls.
- Private können sich bei ihrem Handeln auf Grundrechte berufen.
- Private begegnen einander auf der Ebene der rechtlichen Gleich- oder der Über-/Unterordnung.
Gegenstand der Veränderung
Weniger klar ist der Gegenstand dieser Veränderung hin zum Privaten – was ist vorher staatlich und nachher privat? Hier scheiden sich die Geister. Sicher ist, dass Vermögen Gegenstand von Privatisierung sein kann. Vermögensprivatisierung bedeutet also den Übergang von Vermögen vom Staat auf Private, beispielsweise durch Veräußerung staatlicher Grundstücke. Es ist aber nicht die Vermögensprivatisierung, die im Zentrum rechtswissenschaftlicher Aufmerksamkeit steht. Stattdessen geht es um Privatisierung, die mit Aufgaben zusammenhängt. Eine solche, aufgabenbezogene Privatisierung spricht auch der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 S. 2 BHO an, einer der wenigen Vorschriften, die den Begriff der Privatisierung enthält (allerdings ohne Privatisierung zur Voraussetzung bestimmter Rechtsfolgen zu machen). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich „staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch […] Privatisierung“ erfüllen lassen.
Inwieweit Aufgaben Gegenstand der Privatisierung sein können, hängt davon ab, was wir unter Aufgaben (des Staates) verstehen. Zu unterscheiden sind öffentliche Aufgaben von staatlichen Aufgaben.
Öffentliche Aufgaben zeichnen sie dadurch aus, dass ihre Erledigung zumindest auch im öffentlichen Interesse, nicht nur im privaten Interesse liegt. Da der Staat nur im öffentlichen Interesse handeln darf, sind all seine Aufgaben öffentliche Aufgaben. Allerdings kann nicht nur der Staat, sondern können auch Private öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Die Eigenschaft einer Aufgabe als öffentlich ist also unabhängig davon, wer tätig wird.
Der Begriff der staatlichen Aufgabe oder Staatsaufgabe ist dagegen formal zu verstehen. Gemeint sind mit dem Bundesverfassungsgericht
BVerfGE 12, 205 (243) diejenigen Aufgaben, die der Staat wahrnimmt, und zwar entweder selbst oder durch eine Organisationseinheit, die ihm zuzurechnen ist. Eine Aufgabe wird also dadurch zur staatlichen Aufgabe, dass der Staat sie wahrnimmt. Dazu können das Grundgesetz oder das Gesetz und untergesetzliches Recht den Staat zwingen. Kraft seiner Kompetenzen kann der Staat aber auch Aufgaben wahrnehmen kann, zu deren Erledigung er rechtlich nicht verpflichtet ist.
Welche der folgenden Aussagen ist richtig?
- Was staatliche Aufgabe ist, ergibt sich abschließend aus dem Grundgesetz.
- Nur der Staat nimmt öffentliche Aufgaben wahr.
- Jede staatliche Aufgabe muss eine öffentliche Aufgabe sein, nicht jede öffentliche Aufgabe ist aber eine staatliche Aufgabe.
Auf Grundlage dieser Begriffsverständnisse ergibt sich folgendes: Der Staat kann eine öffentliche Aufgabe auf einen Privaten übertragen, indem er den Privaten dazu verpflichtet, die Aufgabe an seiner Statt wahrzunehmen. Liegt es zugleich im privaten Interesse, die betreffende Tätigkeit auszuüben, kann der Staat unter Umständen darauf vertrauen, dass der Private auch ohne Verpflichtung tätig wird. In diesem Fall kann der Staat seine eigene Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe einstellen und muss dem Privaten – in Fällen eines bisherigen staatlichen Monopols oder Sonderrechts – nur das Recht (wieder) einräumen, die Aufgabe wahrzunehmen. Vor der Privatisierung ist die Aufgabe begrifflich Staatsaufgabe. Diesen Charakter verliert die Aufgabe in dem Moment, in dem sie nicht mehr der Staat (selbst oder durch eine ihm zuzurechnende Organisationseinheit) wahrnimmt. Privatisiert im Sinne von auf einen Privaten übertragen werden kann begrifflich also zwar eine öffentliche Aufgabe, nicht aber eine Staatsaufgabe. Eine mögliche Definition der Privatisierung entspricht nach alledem derjenigen der Entstaatlichung bei Hans Heinrich Rupp, verstanden als Abgabe, Verlust oder Herausgleiten von Aufgaben aus dem herkömmlicherweise vom Staat wahrgenommenen Fundus öffentlicher Aufgaben, wobei zu ergänzen ist, dass die Tätigkeit nachher in irgendeiner Form durch Private ausgeübt wird.
Wie sich sogleich bei den Typologien zeigen wird, kann Gegenstand der Privatisierung nach herkömmlichem Verständnis nicht nur die Aufgabe selbst sein, sondern auch die Organisation bei ihrer Wahrnehmung, namentlich das gewählte Rechtsregime. Privatisierung kann demnach auch denjenigen Vorgang bezeichnen, der die staatliche Aufgabenwahrnehmung in privatrechtliche Formen überführt. Etwas weiter gefasst ist daher die Definition von Privatisierung bei Martin Burgi: Privatisierung ist hier jeder Vorgang, der die Aufgabenträgerschaft oder die Organisation bei der Wahrnehmung von Staatsaufgaben betrifft.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Aufgaben, die der Staat zunächst als staatliche Aufgabe wahrnimmt und dann auf einen Privaten überträgt, bestehen in der Trägerschaft des Privaten als öffentliche Aufgaben fort.
- Gegenstände bei der aufgabenbezogenen Privatisierung können die Aufgabe selbst und die Organisation bei ihrer Wahrnehmung sein.
- Damit nunmehr ein Privater eine vormals staatliche Aufgabe wahrnimmt, muss der Staat den Privaten zwingend zur Wahrnehmung der Aufgabe verpflichten.
Typologien
Wie viele verschiedene Typologien von Privatisierung vorgeschlagen werden, ist nicht zu überschauen. Häufig findet sich die Unterscheidung von materieller und formeller oder gleichbedeutend von Aufgaben- und Organisationsprivatisierung. Diese Unterscheidung macht die eben gewonnenen Erkenntnisse deutlich, dass sich einerseits die Trägerschaft der Aufgabe weg vom Staat hin zum Privaten verändern kann, andererseits aber auch der Staat weiterhin Träger einer Aufgabe sein kann, die er fortan aber in den Formen des Privatrechts wahrnimmt. Noch gängiger ist hingegen eine dreiteilige Typologie, die zwischen Organisationsprivatisierung, funktionaler Privatisierung und Aufgabenprivatisierung unterscheidet.
Organisationsprivatisierung
Die Organisationsprivatisierung kennzeichnet, dass infolge des Privatisierungsvorgangs ein vom Bund oder Land rechtlich unabhängiges Rechtssubjekt des Privatrechts Träger der Aufgabe ist und diese Aufgabe selbstständig und eigenverantwortlich erledigt. Soweit es dabei um Verwaltungsaufgaben geht, spricht man auch von mittelbarer Staatsverwaltung. Das Privatrechtssubjekt kann eine natürliche oder eine juristische Person sein.
Gründung einer Eigengesellschaft
In einer ersten Spielart der Organisationsprivatisierung gründet der Staat eine juristische Person des Privatrechts (zum Beispiel eine GmbH) oder wandelt eine bestehende öffentlich-rechtliche Organisationsform in eine juristische Person des Privatrechts um. Der Staat bleibt alleiniger Anteilseigner der juristischen Person. Man spricht von einer Eigengesellschaft des Staates. Durch diese Eigengesellschaft nimmt der Staat die Aufgabe wahr. Die Eigengesellschaft ist dem Staat angesichts der staatlichen Beherrschung zuzurechnen, die Aufgabe bleibt damit eine staatliche.
Der Staat kann sich durch den Regimewechsel hin zum Privatrecht nicht seiner Grundrechtsbindung entledigen und damit auch durch die Eigengesellschaft nicht wie ein typisch privates Wirtschaftssubjekt handeln: Die Eigengesellschaft ist, obwohl sie formell dem Privatrecht entspringt, an die Grundrechte gebunden. Sie ist damit Privatrechtssubjekt in einem formellen, nicht aber inhaltlichen Sinne. Da sich der Staat an das von ihm gewählte (private) Rechtsregime halten muss, gehen bei dieser Form der Privatisierung die öffentlich-rechtlichen Handlungsinstrumente und damit auch die Möglichkeit verloren, Privaten in einem Über-/Unterordnungsverhältnis zu begegnen. Insbesondere kann die Eigengesellschaft gegenüber Privaten keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG erlassen. Daher ist diese Form der Organisationsprivatisierung für den Bereich der Eingriffsverwaltung ungeeignet, die auf öffentlich-rechtliche Handlungsinstrumente angewiesen ist.
Häufig wird diese Form der Organisationsprivatisierung so beschrieben, dass nur die Organisation der Aufgabenwahrnehmung in privatrechtliche Formen überführt wird. Außer in den Fällen der Umwandlung einer schon bestehenden öffentlich-rechtlichen Organisationsform in eine privatrechtliche juristische Person muss tatsächlich aber eine Aufgabe privatisiert werden: Dem Privatrechtssubjekt wird staatlicherseits eine neue Aufgabe zugewiesen, entweder indem der Staat sie von sich auf das Privatrechtssubjekt überträgt oder indem er sie neu definiert.
Beleihung
Eine zweite Spielart ist die Beleihung. Auch bei der Beleihung wird einem Privatrechtssubjekt eine Aufgabe zugewiesen. Zugleich überträgt der Staat dem Privatrechtssubjekt aber Hoheitsrechte, beleiht es also damit. Dadurch stehen dem Privatrechtssubjekt auch die öffentlich-rechtlichen Handlungsinstrumente (insbesondere der Verwaltungsakt) zur Verfügung. Es kann anderen Privaten im Gleichordnungs-, aber auch im Über-/Unterordnungsverhältnis begegnen. Damit eignet sich die Beleihung auch für Aufgaben der Eingriffsverwaltung.
Jedenfalls im Umfang der übertragenen Hoheitsrechte ist das Privatrechtssubjekt an die Grundrechte gebunden und dem Staat damit institutionell zuzurechnen. Die wahrgenommene Aufgabe ist damit eine staatliche. Ob die Grundrechtsbindung auch etwaige andere Tätigkeiten des Privatrechtssubjekts erfasst, hängt davon ab, ob es sich bei dem Privaten wie in der ersten Spielart der Organisationsprivatisierung um eine Eigengesellschaft handelt (dann volle Grundrechtsbindung) oder um eine auch im inhaltlichen Sinne natürliche oder juristische Person des Privatrechts, die also der Staat nicht beherrscht (dann insoweit keine Grundrechtsbindung).
Zu dieser zweiten Kategorie gehören beispielsweise der TÜV, der im Sinne von § 29 Abs. 2 S. 2 StVZO dazu berechtigt ist, für den Staat Hauptuntersuchungen an Kraftfahrzeugen durchzuführen und Prüfplaketten zuzuteilen, der Bezirksschornsteinfeger, bestimmte Sachverständige im Bau- und Umweltrecht und nach § 1 Abs. 3 UZwGBw privates Sicherheitspersonal, das mit militärischen Wachaufgaben der Bundeswehr beauftragt ist.
Institutionalisierte Public-Private-Partnership
Teilweise wird eine dritte Spielart der Organisationsprivatisierung vorgeschlagen: Die Aufgabenzuweisung an eine sogenannte institutionalisierte Public-Private-Partnership bzw. ein sogenanntes gemischt-wirtschaftliches Unternehmen. Gemeint sind Fälle der ersten oder zweiten Spielart, in denen aber das mit der Aufgabe betraute Privatrechtssubjekt eine juristische Person des Privatrechts ist, an der neben dem Staat auch im inhaltlichen Sinne private Personen beteiligt sind. Im Gegensatz zum bloßen Übergang zu einer privatrechtlichen Organisationsform nach der ersten Spielart kommt es hier also auf Ebene der Anteilseigner zu einem arbeitsteiligen Zusammenwirken von Staat und Privaten mit unterschiedlichen Handlungsmotiven. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen so lange grundrechtsgebunden, wie es vom Staat beherrscht wird.
Welche der folgenden Aussagen ist richtig?
- Bei der Organisationsprivatisierung überträgt der Staat immer eine Aufgabe auf eine juristische Person des Privatrechts.
- Eigengesellschaften des Staates sind wie staatlich beherrschte gemischt-wirtschaftliche Unternehmen an die Grundrechte gebunden.
- Mit der Organisationsprivatisierung gehen immer die öffentlich-rechtlichen Handlungsinstrumente verloren.
Funktionale Privatisierung
Die funktionale Privatisierung zeichnet sich dadurch aus, dass die staatliche Aufgabe als staatliche Aufgabe fortbesteht, der Staat aber Teilbeiträge vorbereitenden oder durchführenden Charakters auf einen im inhaltlichen Sinne Privaten überträgt, der weder Teil der Verwaltungsorganisation wird noch Hoheitsrechte erhält und damit auch nicht an die Grundrechte gebunden ist. Das Tätigwerden des Privaten ist begrifflich nicht Staatsaufgabe, aber funktional auf eine Staatsaufgabe bezogen.
Beauftragung eines Verwaltungshelfers
Eine erste Spielart ist die Beauftragung eines Verwaltungshelfers. Der Verwaltungshelfer unterhält hinsichtlich der Tätigkeit nur mit dem Staat, nicht mit anderen Privaten eine rechtliche Beziehung. Er ist also dem Staat gegenüber verpflichtet. Häufig erfolgt die Verpflichtung im Wege eines Vertrags, der auch eine Gegenleistung des Staates vorsieht.
Für den Verwaltungshelfer gibt es zahlreiche Beispiele. Zu nennen sind Abschleppunternehmer, sachverständige Berater, Planer (die etwa planerische Entwürfe im Bauplanungs- oder Fachplanungsrecht fertigen), Verfahrenshelfer (die Schritte des Verwaltungsverfahrens managen), Betreiber und Betriebsführer bestimmter Infrastruktureinrichtungen und häufig das EDV-/Gebäudemanagement bei staatlichen Einrichtungen. Auch Arbeitergeber, die für den Staat die Lohnsteuer einziehen, lassen sich als Verwaltungshelfer einordnen, werden aber nicht aufgrund vertraglicher, sondern aufgrund gesetzlicher Verpflichtung ohne Gegenleistung tätig.
Einräumung einer Konzession
Als zweite Spielart der funktionalen Privatisierung ist die Einräumung einer Konzession zu nennen. Den Konzessionär unterscheidet vom Verwaltungshelfer, dass er vom Staat das Recht erhält, die zu erbringende Leistung zu verwerten (§ 105 Abs. 1 GWB), also in rechtliche Beziehungen mit den privaten Dienstleistungsempfängern einzutreten und über diese Beziehungen Gewinne zu erzielen.
Ein Beispiel ist der Betrieb einer schulischen Mensa nicht durch den Schulträger selbst, sondern durch einen Privaten, der die Speisen und Getränke an die Schülerinnen und Schüler verkauft.
Welche der folgenden Aussagen ist richtig?
- Ein Unterschied zwischen dem Verwaltungshelfer und dem Beliehenen ist, dass der Beliehene im Umfang der eingeräumten Hoheitsrechte an die Grundrechte gebunden ist.
- Der Konzessionär unterhält – typischerweise anders als der Verwaltungshelfer – eigenständige rechtliche Beziehungen zu den privaten Dienstleistungsempfängern.
- Funktionale Privatisierung erfordert stets die Verpflichtung eines Privaten durch Gesetz.
Aufgabenprivatisierung
Die Aufgabenprivatisierung umfasst Fälle, in denen eine Aufgabe aus der vormals staatlichen Trägerschaft entlassen wird und die Tätigkeit fortan in den Händen eines Privaten liegt. Von der Organisationsprivatisierung unterscheidet sich die Aufgabenprivatisierung insofern, als es sich weder um einen Fall der Beleihung noch einer Eigengesellschaft oder vom Staat beherrschten Public-Privat-Partnership handelt. Der Private ist also im inhaltlichen Sinne Privater und dem Staat nicht institutionell zuzurechnen. Die Privatisierung der Aufgabe macht aus einer Staatsaufgabe eine bloße öffentliche Aufgabe. In der Rechtswissenschaft ist die Aufgabenprivatisierung deutlich weniger ausgeformt und strukturiert als die Organisations- und die funktionale Privatisierung. Trotzdem lassen sich, aufbauend auf unseren Überlegungen zum Gegenstand der Veränderung oben, Spielarten beschreiben.
Veräußerung von Unternehmensanteilen
Eine erste Spielart ist die staatliche Veräußerung von Anteilen an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen. Hierbei handelt es sich zwar an sich um eine Vermögensprivatisierung. Graduell geht damit aber eine Aufgabenprivatisierung einher, weil die Tätigkeit des Unternehmens mittelbar auf jeden Anteilseigner im Umfang seiner Anteile zurückgeht. Die Aufgabenprivatisierung ist als abgeschlossen anzusehen, wenn der Staat das Unternehmen nicht mehr beherrscht, das Unternehmen daher dem Staat nicht mehr institutionell zuzurechnen und aus der Staatsaufgabe damit eine Aufgabe in privater Trägerschaft geworden ist.
Marktöffnung
Eine zweite Spielart geht mit der Liberalisierung bzw. Marktöffnung einher. Wenn der Staat eine Aufgabe zunächst als Staatsaufgabe wahrnimmt und sich dabei eine Monopolstellung oder sonstige Sonderrechte einräumt, kann der Abbau dieser Sonderrechte dazu führen, dass Private aus eigenem Interesse an einer möglichen Gewinnerzielung anfangen, die Tätigkeit auszuüben und damit die Aufgabe im (auch) öffentlichen Interesse wahrzunehmen. Im Umfang seines Verlusts an Marktanteilen entledigt sich der Staat seiner Staatsaufgabe, potenziell vollständig.
Verfahrensprivatisierung
Eine dritte Spielart lässt sich mit dem Begriff Verfahrensprivatisierung beschreiben. Hier verzichtet der Staat auf bestimmte prüfende oder überwachende Verfahrensschritte und überlässt die Vereinbarkeit eines bestimmten Vorhabens oder Verhaltens des Privaten dessen Verantwortung. Aus der Fremdüberwachung wird eine Eigenüberwachung innerhalb eines staatlich gesetzten Rahmens.
Als Beispiel dient der Verzicht auf das Erfordernis einer Baugenehmigung bei bestimmten, typischerweise einfach gestalteten baulichen Anlagen (§ 62 BauO NRW). Die Bauherrin oder der Bauherr muss hier selbst beurteilen, ob ihr oder sein Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, und trägt das Risiko, Adressat von repressiven bauaufsichtlichen Maßnahmen zu werden (§§ 81 f. BauO NRW). Zum Vergleich: Soweit der Staat die Aufgabe der präventiven Bauaufsicht im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens als staatliche Aufgabe wahrnimmt, stellt die erteilte, bestandskräftige Baugenehmigung die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften verbindlich und rechtssicher fest.
Welche der folgenden Aussagen ist nicht richtig?
- Bei der Aufgabenprivatisierung wird eine vormals staatliche Aufgabe in die Hände eines privaten Trägers gelegt.
- Marktöffnung kann dazu führen, dass Aufgaben faktisch privatisiert werden.
- Die Verfahrensprivatisierung ist für den Privaten ausschließlich vorteilhaft.
Bedeutende Privatisierungsvorgänge in der Bundesrepublik Deutschland
Privatisierung im dargestellten, recht weitgreifenden Sinne ist ein allgegenwärtiger Vorgang. Kommunen organisieren Stadtwerke, Krankenhäuser und kommunale Einrichtungen regelmäßig in Gesellschaften des Privatrechts (Organisationsprivatisierung). Daneben finden sich in der mehr oder weniger jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einige markante Beispiele der Privatisierung, auf die wir teilweise in den folgenden beiden Abschnitten zurückkommen werden.
Das erste Beispiel betrifft den Bereich Postwesen und Kommunikation. Der Bund nahm die Aufgaben der Bereitstellung eines funktionsfähigen Post- und Fernmeldewesens zunächst als staatliche Aufgabe in Form des Sondervermögens Deutsche Bundespost wahr und räumte sich ein weitreichendes Leistungsmonopol ein. Diese Aufgaben wurden im Zuge einer dreistufigen Reform schrittweise privatisiert. 1989 wurde das Sondervermögen Deutsche Bundespost in drei Teilsondervermögen aufgeteilt und unternehmerisch verselbstständigt (Deutsche Bundespost POSTDIENST, Deutsche Bundespost TELEKOM und Deutsche Bundespost POSTBANK). Auf Grundlage des neu in das Grundgesetz aufgenommenen Art. 143b Abs. 1 S. 1 GG erfolgte ab 1994 eine Organisationsprivatisierung: Die Sondervermögen wurden in drei Unternehmen privater Rechtsform umgewandelt (Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG). Später kam es zu einer Aufgabenprivatisierung: Die staatlichen Anteile an den Unternehmen wurden an Private veräußert (Vermögensprivatisierung) und so aus den staatlichen Aufgaben solche in privater Trägerschaft. Zudem wurden nach Maßgabe des neu in das Grundgesetz aufgenommenen Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG die Sonderrechte der Unternehmen abgeschafft und damit die Märkte auch für „andere private Anbieter“ (Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG) geöffnet.
Im Schienenverkehr wurden 1994 die Bahnsondervermögen des Bundes (Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn) zunächst in das Bundeseisenbahnvermögen überführt und dieses dann auf Grundlage des neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG in die Deutsche Bahn AG ausgegliedert (Organisationsprivatisierung). Der für 2008 geplante Börsengang, der nach Art. 87e Abs. 3 S. 2 und 3 GG zulässig gewesen wäre, weil er nicht die Verwaltung des Schienennetzes umfasst hätte, und der zu einer Veräußerung von 49,9 % der Aktien hätte führen sollen, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Ein rechtliches Monopol hat die Deutsche Bundesbahn und in der Nachfolge die Deutsche Bahn AG mit Blick auf Transportdienstleistungen nie besessen. Der Markt ist aber faktisch wettbewerbsfeindlich.
Im Bereich der Bundesautobahnen hat der Bund im Jahr 2018 auf Grundlage des neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 90 Abs. 2 S. 2 GG die Autobahn GmbH des Bundes gegründet und ihr zum Jahr 2021 Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen in Deutschland übertragen (Organisationsprivatisierung). Anteile an der GmbH darf der Bund nicht veräußern (Art. 90 Abs. 2 S. 3 GG).
Ein letztes bedeutsames Beispiel ist die Privatisierung der ehemals Volkseigenen Betriebe (VEB), die von der Treuhandanstalt bzw. ab 1995 von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben durchgeführt wurde. Die Aufgabe umfasste gegenständlich das von der DDR hinterlassene volkseigene Vermögen mit fast allen Industriebetrieben Ostdeutschlands und inhaltlich Vorgänge der Organisations- wie Aufgabenprivatisierung gleichermaßen. Die Treuhandanstalt bzw. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben war die weltweit größte Holding.
Literaturhinweise
Burgi, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 4, 3. Auflage 2006, § 75 Privatisierung, Rn. 1–15
Burgi, in: Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2016, § 10 Entwicklungslinien, Rn. 7 ff.
Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, 4. Auflage 2019, § 13 Privatisierung, Rn. 1–34, 87–94
Rupp, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 2, 3. Auflage 2004, § 31 Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Rn. 29 ff.