Fall 1
(nach BGHSt 43, 177)
In das Haus des Apothekers A war von Unbekannten eingebrochen worden. Die Einbrecher hatten diverse Elektronikgeräte in Plastiksäcke verpackt und in das Dachgeschoss des Hauses gebracht. Während sich die Unbekannten im Haus befanden, hatten sie sich zudem in der Küche Essen zubereitet und Getränke des A getrunken. Die von A informierte Polizei ging davon aus, dass die Täter in den nächsten Tagen wiederkommen würden, um die verpackt zurückgelassene Beute abzutransportieren.
A, der sich über den Einbruch und den dabei an seinem Haus verursachten Schaden ärgerte, stellte am Nachmittag des darauffolgenden Tages eine Steingutflasche, mit der Aufschrift „Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz“ auf, in die er zuvor eine hochgiftige Flüssigkeit gefüllt hatte. Er wusste, dass schon eine geringe Menge davon zum Tode führen kann und nahm billigend in Kauf, dass die Einbrecher möglicherweise wiederkehren, aus der Flasche trinken und dabei eine tödliche Vergiftung erleiden würden.
Gegen 19.30 Uhr trafen vier Polizeibeamte im Haus des A ein. Sie wollten die kommende Nacht dort verbringen, um die möglichen Einbrecher stellen zu können. Daraufhin verließ A das Haus und ging in eine Bar. Um 20.00 Uhr fiel ihm ein, dass auch die Polizeibeamten aus der Flasche mit der vergifteten Flüssigkeit trinken könnten. Deshalb rief er diese an und warnte sie vor dem Gift. Gegen 21.00 Uhr ging A nach Hause, um sicherzugehen, dass die Beamten die Flasche nicht anrühren würden. Am nächsten Morgen wurde die Giftflasche von den Polizisten sichergestellt.
Die Einbrecher sind nie mehr zum Haus des A zurückgekehrt.
Hat sich A wegen eines versuchten Totschlags zulasten der potenziellen Einbrecher strafbar gemacht?
Fall 2
(angelehnt an BGHSt 40, 257)
Dr. T arbeitete in der Pflegeabteilung eines Krankenhauses, in der auch die betagte E lag. E hatte infolge eines Herzstillstandes und der Reanimation irreversible schwerste zerebrale Schädigungen erlitten. Seitdem war E nicht mehr ansprechbar und reagierte auch im Übrigen kaum auf ihre Umwelt. Ernährt wurde sie mittels einer Magensonde. Sie empfand keinerlei Schmerzen. Vitalfunktionen waren weiterhin vorhanden, sodass E mithilfe der künstlichen Ernährung eigenständig lebensfähig war.
Der Zustand der E ändert sich über mehrere Jahre hinweg nicht, auch zukünftig war eine Besserung nicht zu erwarten. In Anbetracht dessen beschloss Dr. T, die künstliche Ernährung der E einzustellen und ihr künftig nur noch Tee zu verabreichen. Damit bezweckte er, dass E innerhalb von zwei bis drei Wochen sterben würde, ohne leiden zu müssen.
An drei aufeinanderfolgenden Tagen führte Dr. T der E keine Nahrung mehr zu. Dies fiel einer Krankenschwester auf, die Zweifel daran hatte, ob das Verhalten des Dr. T zulässig war. Sie verständigte das Vormundschaftsgericht, das noch am gleichen Tag seine Genehmigung zur Einstellung der künstlichen Ernährung versagte. Die künstliche Ernährung wurde daraufhin wiederaufgenommen.
Hat sich Dr. T wegen eines versuchten Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht?
Fall 3
A hatte vor wenigen Tagen ein Kind geboren. Weil sie mit der Pflege des Kindes überfordert ist, entschloss sie, dass Neugeborene nicht zu füttern, in der Absicht, es verhungern zu lassen. Um das hungernde Kind nicht schreien zu hören, verlässt A die Wohnung. Als sie nach zwei Tagen zurückkehrt, findet sie das Kind nach wie vor lebend vor. Nun bekommt A Mitleid und bringt das unterernährte Kind in ein Krankenhaus, wo es gerettet werden kann.
Hat A unmittelbar zur Tötung angesetzt?
Fall 4
(nach BGH NStZ 2014, 447)
A und N, die in getrennten Wohnungen im selben Mehrfamilienhaus wohnten, führten eine Beziehung zueinander. Zwischen ihnen entbrannte ein Streit, in dem die N den A dazu drängte, sich wegen seiner anhaltenden Alkoholprobleme in Behandlung zu begeben. Als N die Wohnung des A verlassen wollte, zog sie der A an den Haaren zurück und warf sie auf die Couch. Nun entschloss er sich, die N zu quälen und anschließend zu töten. Er würgte sie mehrere Male so stark, dass N das Bewusstsein verlor, ehe er seinen Griff um ihren Hals lockerte, um sie wieder zu sich kommen zu lassen. Mit einem Kissen drückte er ihr erneut die Luft ab, rief währenddessen seinen Arbeitgeber an, um sich für die kommenden Tage krank zu melden und sagte zu N: „Nun bist du wirklich dran. Jetzt habe ich Zeit für dich. Dich wird eh fünf Tage lang keiner vermissen.“ Er kündigte N an, sie mit einem Messer zu entstellen und schließlich zu töten. Sodann holte A Paketklebeband und fesselte die N. Anschließend trank er zwei Flaschen Wein. Als A daraufhin einschlief, gelang es der N sich zu befreien und aus der Wohnung zu entkommen.
Hat sich A wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht?