Kilian Wegner Strafrecht AT 2: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 2: Lösungshinweise

Lösungshinweise zu Fall 1

S könnte sich nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie keine Hilfe für A herbeirief.

Tatbestand

S müsste den objektiven und subjektiven Tatbestand erfüllt haben.

Objektiver Tatbestand

a) Mit dem Tod der A ist der Erfolg des § 212 Abs. 1 StGB eingetreten.

b) S hätte zur Rettung ihrer Schwester einen Notarzt informieren können, tat dies jedoch nicht. Somit unterließ sie eine ihr physisch mögliche Rettungshandlung.

c) Hätte die S spätestens am Nachmittag einen Notarzt alarmiert, hätte A mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt. Das Unterlassen der S war mithin „quasikausal“ für den Tod der A.

d) Durch ihr Unterlassen schuf S das Risiko, dass die A ohne ärztliche Versorgung sterben könnte. Dieses Risiko realisierte sich im Tod der A, sodass der Erfolg S objektiv zurechenbar ist.

e) Zudem müsste die S eine Garantenstellung innehaben, aufgrund derer sie verpflichtet ist, den Tod von A abzuwenden, vgl. § 13 Abs. 1 StGB.

Hinweis: Heute werden Garantenstellungen meist „funktional“ eingeteilt in Beschützer- und Überwachergarantenstellungen. Beschützergaranten sind für den Schutz eines bestimmten Rechtsgutsträgers verantwortlich, Überwachergaranten für die Aufsicht über eine bestimmte Gefahrenquelle. Manchmal treffen beide Komponenten zusammen, z. B. müssen Eltern ihre minderjährigen Kinder sowohl „beschützen“ als auch „überwachen“. Neben dieser funktionalen Einteilung bleibt es weiterhin bedeutsam, einen Grund oder eine Quelle für die jeweilige Garantenstellung anzugeben. Diese kann sich insbesondere aus Gesetzen, einer vertraglichen Verpflichtung, der tatsächlichen Übernahme oder aus gefahrbegründendem Vorverhalten (sog. Ingerenz) ergeben.

Eine Beschützergarantenstellung der S gegenüber A könnte sich aus dem familiären Verhältnis der beiden zueinander ergeben. Anders als für das Verhältnis der Eltern M und V zu ihrer Tochter A (vgl. §§ 1626 ff. BGB) sind für das Verhältnis unter Geschwistern Beistands- und Fürsorgepflichten jedoch nicht gesetzlich geregelt. Aus dem rein formalen Verwandtschaftsverhältnis ergibt sich noch keine Garantenstellung der S zugunsten ihrer Schwester A. Aus der tatsächlichen, über die rein formale Verwandtschaft hinausgehenden Beziehung könnte sich für S jedoch eine Garantenstellung ergeben. Für ein Verhältnis unter Geschwistern sind dabei laut BGH folgende Kriterien zu berücksichtigen:

„Dies [Anm. C.B.: eine Garantenstellung unter Geschwistern] kommt etwa in Betracht, wenn sie [hier: die S] ausdrücklich oder konkludent die Übernahme von Verantwortung erklärt, diese zusätzlich neben den in erster Linie verantwortlichen Eltern übernommen und sich insoweit auch ihr Vorsatz auf das Bestehen einer Rechtspflicht zum Handeln erstreckt hätte. Nicht in jedem Handeln von [S], das ihrer Schwester im Vorfeld oder während der akuten gesundheitlichen Krise zugutegekommen ist, kann eine im Sinne von § 13 I StGB relevante Übernahme von Verantwortung gesehen werden. Allein daraus, dass jemand einem Hilfsbedürftigen beisteht, folgt noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung. Eine mit Rechtswirkung versehene Übernahme von Verantwortung durch [S ist] auch abzugrenzen von einer bloßen Unterstützung der Mutter und von einfacher Zuwendung gegenüber der Schwester.“ (BGH BeckRS 2021, 15625, Rn. 26)

Beide Schwestern sind bereits volljährig, leben aber gemeinsam im Haus der Eltern zusammen. Die häusliche Gemeinschaft deutet grds. darauf hin, dass die Familienmitglieder auch bereit sind, füreinander einzustehen. Der Sachverhalt enthält jedoch keine Hinweise darauf, dass S auch nur konkludent zu erkennen gegeben hätte, dass sie neben ihren Eltern eine gesteigerte Verantwortung für ihre Schwester übernehmen wollte. Selbst wenn die S vor Eintritt der Stoffwechselentgleisung der M bei der Pflege der A im Alltag half, lässt sich daraus noch keine Garantenstellung der S ableiten. Anzeichen dafür, dass S der A schon früher in besonderem Maße Obhut gewährte und Beistand leistet, existieren nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung ist daher in dubio pro reo anzunehmen, dass A und S trotz des formalen Verwandtschaftsverhältnisses und des Zusammenlebens in tatsächlicher Hinsicht keine so enge Beziehung zueinander pflegten, dass daraus ein Obhutsverhältnis abzuleiten wäre. S ist keine Garantin für das Leben ihrer Schwester.

f) Der objektive Tatbestand ist wegen der fehlenden Garantenstellung der S nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

Da schon der objektive Tatbestand nicht erfüllt ist, handelte S nicht tatbestandsmäßig.

Ergebnis

S machte sich durch das Unterlassen, einen Notarzt zu verständigen, nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar.

Lösungshinweise zu Fall 2

Hinweis: In Fällen wie diesem bietet es sich normalerweise an, das (aktive) Anfahren einerseits und das anschließende Unterlassen von Hilfsmaßnahmen andererseits getrennt als Anknüpfungspunkt möglicher Straftaten zu prüfen. Da jedoch explizit nach einer Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen gefragt ist, kommt das Anfahren als Tatverhalten hier nicht in Betracht. Überdies hat sich A insofern nach den eindeutigen Angaben des Sachverhalts nicht einmal fahrlässig verhalten.

A könnte sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er dem verletzten B nicht half, insbesondere keinen Notarzt rief.

Tatbestand

Hinweis: Auf die Abgrenzung von Tun und Unterlassen muss hier nicht näher eingegangen werden.

Objektiver Tatbestand

Erfolgseintritt / Unterlassen einer physisch möglichen Rettungshandlung

Mit dem Tod des B ist der Erfolg eingetreten. A hätte den B suchen und ihm dann Erste Hilfe leisten können. Alternativ wäre es ihm möglich gewesen, einen Notruf abzusetzen, um ärztliche Hilfe für B herbeizuholen. Beide ihm physisch möglichen Rettungshandlungen unterließ er.

„Quasikausalität“ / objektive Zurechnung

Hätte A dem B zeitnah Hilfe geleistet oder ärztliche Hilfe herbeigerufen, hätte B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt. Sein Unterlassen war daher „quasikausal“ für den Tod des B. Im Tod des B realisierte sich ferner das Risiko, dass A schuf, indem er dem B keine Hilfe leistete. Der Erfolg ist ihm objektiv zurechenbar.

Garantenstellung

Zudem müsste A als Garant gegenüber B für das Ausbleiben von dessen Tod rechtlich einzustehen haben, § 13 Abs. 1 StGB. In Betracht kommt eine Garantenstellung aus gefährlichem Vorverhalten, der sog. Ingerenz. Als A mit dem B kollidierte, schuf er für diesen die Gefahr, an den verursachten Verletzungen zu sterben. In der Herbeiführung des Unfalls ist also grundsätzlich ein dem Unterlassen vorangegangenes gefährliches Tun zu sehen.

Fraglich ist jedoch, welche weiteren Anforderungen an das die Garantepflicht aus Ingerenz begründende Vorverhalten zu stellen sind. Während seiner Fahrt bis zur Kollision hielt A die zugelassene Höchstgeschwindigkeit ein und verhielt sich auch sonst verkehrsordnungsgemäß. B stolperte so unvorhergesehen auf die Straße, dass es dem A nicht mehr möglich war, eine Kollision zu vermeiden. Dem A ist daher im Hinblick auf die Kollision kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen. Ob jedoch auch ein zwar gefährliches, aber dennoch in jeder Hinsicht pflichtgemäßes Vorverhalten eine Garantenstellung aus Ingerenz begründen kann, ist umstritten.

In der Literatur wird teilweise vertreten, dass jedes gefährliche Vorverhalten für die Begründung einer Ingerenz-Garantenstellung genügt, wenn es für die Entstehung der Gefahr kausal geworden ist. Denkt man sich die Kollision zwischen A und B hinweg, wäre B nicht in Lebensgefahr geraten, sodass das Vorverhalten des A dafür kausal wurde. A wäre daher Garant aus Ingerenz für das Leben des B.

Die inzwischen weitgehend h.M. geht hingegen davon aus, dass es eines pflichtwidrigen (aber nicht unbedingt schuldhaften) Vorverhaltens bedarf, um eine Garantenstellung aus Ingerenz auszulösen. Zu gefährlichem Vorverhalten im Verkehr führt der BGH aus:

„Zu den allgemein als sozial üblich gebilligten Verhaltensweisen gehört die Benutzung des öffentlichen Verkehrsraums mit einem Kraftfahrzeug jedenfalls so lange, wie Fahrzeug und Fahrzeugführer nicht mit Mängeln behaftet sind, die andere Verkehrsteilnehmer über die ohnehin von einem in Bewegung befindlichen Kfz ausgehenden Gefahren hinaus gefährden, und solange das Fahrzeug in jeder Hinsicht verkehrsgerecht gehandhabt wird. Ein sich auf solche Weise rechtmäßig verhaltender Kraftfahrer kann billigerweise nicht zum Hüter eines Verkehrsteilnehmers bestellt werden, der […] durch sein verkehrswidriges Verhalten allein schuldhaft die Ursache für den Verkehrsunfall und damit für die eigentliche Gefahr […] gesetzt hat.“ (BGH NJW 1973, 1706)

Da sich A hier in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhielt, bewegte sich sein Verhalten im Rahmen des sozial Üblichen. Da dem A bis zum Unfall kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, hat er nach dieser Ansicht keine Ingerenz-Garantenstellung inne.

Mit der erstgenannten Ansicht allein auf die Kausalität abzustellen, überzeugt nicht. Dass ein Verhalten des Täters kausal für den Erfolgseintritt geworden ist, begründet auch sonst für sich genommen noch keine rechtliche Verantwortlichkeit. Vielmehr bedarf es darüber hinaus stets der objektiven Zurechenbarkeit, bei fahrlässiger Begehungsweise auch eines sorgfaltswidrigen Verhaltens. Dann aber kann es auch für die Begründung einer Garantenstellung, die eine rechtliche Verantwortung für die Rechtsgutserhaltung nach sich zieht, nicht ausschließlich auf die Kausalität zwischen dem Vorverhalten und der Gefahrenlage ankommen. Ist ein Verhalten sozial üblich und gewünscht, wie es für die Teilnahme am Straßenverkehr gilt, so werden auch die daraus resultierenden Gefahren von der Allgemeinheit gebilligt. Folglich kann sich aus der Schaffung solcher allgemeineren Lebensrisiken keine besondere Verpflichtung in Form einer Garantenstellung ergeben.

Im Ergebnis ist daher mit der h.M. ein pflichtwidriges Vorverhalten als Voraussetzung der Garantenstellung aus Ingerenz zu fordern. Da A sich bis zur Kollision mit B pflichtgemäß verhielt, trifft ihn keine Garantenstellung aus Ingerenz.

Zwischenergebnis

Da es an einer Garantenstellung fehlt, ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

Der Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB liegt nicht vor.

Ergebnis

A machte sich nicht nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB wegen eines Totschlags durch Unterlassen strafbar.

Hinweis: In Betracht kommt eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c Abs. 1 StGB. Nach dieser Norm ist jedermann, also auch derjenige, der keine Garantenstellung innehat, verpflichtet, bei einem Unglücksfall Hilfe zu leisten. Die Prüfung dieser Vorschrift war hier entsprechend der Fallfrage jedoch nicht aufgegeben.

Lösungshinweise zu Fall 3

Strafbarkeit durch das Zustechen, § 212 Abs. 1 StGB

A könnte sich durch das Zustechen wegen eines Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Tatbestand

A stach dem B in den Unterleib und bewirkte so auf kausale und ihm objektiv zurechenbare Weise den Tod des B. Dabei handelte A mit Tötungsvorsatz (vgl. die ausdrückliche Angabe im Sachverhalt). Er handelte folglich tatbestandsmäßig.

Rechtswidrigkeit

Hinweis: In einer Klausur müssen Sie auf die Schwerpunktsetzung achten. Die Notwehr ist im vorliegenden Sachverhalt erkennbar nicht problematisch, sondern bereitet letztlich das eigentliche Problem (die mögliche Garantenstellung des in Notwehr Handelnden nach der erfolgreichen Abwehr des Angriffs) gewissermaßen vor. Daher ist es legitim, die Prüfung insofern knapp zu halten.

Dabei könnte A jedoch durch Notwehr, § 32 StGB, gerechtfertigt gewesen sein. A wurde von B mit Faustschlägen angegriffen. Dieser Angriff des B fand gerade statt, war also gegenwärtig. Der Angriff war zudem rechtswidrig, da insbesondere im vorausgegangenen Streitgespräch keine Beleidigungen geäußert wurden. Eine Notwehrlage bestand somit. Da A keine andere (mildere) Möglichkeit zur Verteidigung hatte, um den Angriff abzuwehren, handelte er erforderlich. Die Notwehrhandlung war ferner geboten; insbesondere ist eine schuldhafte Herbeiführung der Notwehrlage durch A nicht ersichtlich. Schließlich handelte A in Kenntnis der Notwehrlage und mit dem Willen, sich zu verteidigen.

Der Stich in den Unterleib des B war durch Notwehr gerechtfertigt, sodass A nicht rechtswidrig handelte.

Ergebnis

A machte sich durch das Zustechen nicht nach § 212 Abs. 1 StGB strafbar.

Strafbarkeit durch das Zurücklassen des B, §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB

A könnte sich stattdessen jedoch wegen eines Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er B ohne ärztliche Hilfe zurückließ.

Tatbestand

Objektiver Tatbestand

Erfolgseintritt/Unterlassen einer physisch möglichen Rettungshandlung

B ist verstorben, sodass der Erfolg eingetreten ist. A hätte die Möglichkeit gehabt, einen Notruf abzusetzen, um so die nötige ärztliche Hilfe herbeizurufen. Da er dies nicht tat, unterließ er eine ihm physisch mögliche Rettungshandlung.

„Quasikausalität“/objektive Zurechnung

Hätte A einen Notarzt herbeigerufen, wäre der Tod des B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten. Indem A keine Hilfe leistete, schuf er das Todesrisiko für B, welches sich im konkret eingetretenen Erfolg realisierte. „Quasikausalität“ und objektive Zurechenbarkeit liegen mithin vor.

Garantenstellung

Darüber hinaus bedarf es einer Garantenstellung des A. A könnte hier Garant für das Leben des B aus Ingerenz sein.

Das gefährliche Vorverhalten liegt in dem Stich, den A dem B in den Unterleib versetzte. Anknüpfend an das in Fall 2 Gesagte, kommt eine Ingerenz-Garantenstellung mit der h.M. jedoch grundsätzlich nur bei pflichtwidrigem gefährlichen Vorverhalten in Betracht. Das Zustechen des A geschah in Notwehr und erfolgte somit nicht rechts- und infolgedessen auch nicht pflichtwidrig, sodass eine Garantenstellung des A abzulehnen ist.

Nur mit der Ansicht, die eine Kausalität des vorangegangenen Verhaltens für die Entstehung der Gefahrenlage genügen lässt, käme man zu einer Garantenstellung des A aus Ingerenz.

Das schon im Fall 2 gefundene Ergebnis lässt sich am Fall des durch Notwehr gerechtfertigten Vorverhaltens noch bekräftigen. Würde man dem sich Verteidigenden eine Garantenstellung zusprechen und ihm damit in besonderer Weise die Pflicht auferlegen, für die Rechtsgüter des nun verletzten Angreifers einzustehen, so wäre der Angreifer stärker geschützt als eine Person, die unverschuldet in Not geraten ist und der „nur“ nach § 323c Abs. 1 StGB Hilfe geleistet zu werden braucht. Der Angegriffene würde wiederum in größerem Umfang haften als eine unbeteiligte Person – und dies allein deshalb, weil er von einem anderen rechtswidrig angegriffen wurde. Dieses Ergebnis wäre mit dem Sinn und Zweck des Notwehrrechts nur schwer zu vereinbaren. Die Notwehr soll dem Angegriffenen gerade die Möglichkeit geben, Angriffe abzuwehren. Würde man daraus eine Garantenstellung erwachsen lassen, würde aus dem eigentlichen Abwehrrecht eine gesteigerte Handlungspflicht werden.

Auch in Fällen, in denen das gefährliche Vorverhalten durch Notwehr gerechtfertigt ist, fehlt es daher an einer Garantenstellung aus Ingerenz. A war kein Garant für das Leben des B.

Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand ist mangels Garantenstellung des A nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

Folglich handelte A nicht tatbestandsmäßig.

Ergebnis

A machte sich durch das Zurücklassen des B ohne ärztliche Hilfe nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen strafbar.

Gesamtergebnis

A ist nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts strafbar.

Lösungshinweise zu Fall 4

A könnte sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er B trotz erkannter Lebensgefahr nicht half.

Hinweis: Eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch das (aktive) Hinstellen des Gefäßes ist schon deshalb nicht zu prüfen, da die Fallfrage auf ein Unterlassen abstellt.

Tatbestand

A müsste den objektiven und subjektiven Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB erfüllt haben.

Objektiver Tatbestand

Erfolgseintritt/Unterlassen einer physisch möglichen Rettungshandlung

Der Erfolg ist mit dem Tod des B eingetreten. A unterließ es, einen Notarzt herbeizurufen, obwohl ihm diese Rettungshandlung physisch möglich gewesen wäre.

„Quasikausalität“

Hätte A rechtzeitig einen Krankenwagen verständigt, wäre B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu retten gewesen, weshalb das Unterlassen des A „quasikausal“ für den Tod des B war.

Garantenstellung und Objektive Zurechnung

Hinweis: Die für den vorliegenden Fall entscheidende Frage, wie sich die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des B auf die Unterlassungsverantwortlichkeit des A auswirkt, kann sowohl im Rahmen der Garantenstellung als auch bei der objektiven Zurechnung thematisiert werden. Daher werden diese beiden Merkmale hier zusammen geprüft.

A müsste Garant für das Leben des B gewesen und dessen Tod müsste ihm objektiv zurechenbar sein.

Eine Garantenstellung kann sich hier aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben. Die stark wirkende Droge birgt bei unverdünnter Nutzung Gefahren für Leib und Leben anderer. A weiß um diese Wirkung und hat die Möglichkeit, das Gefäß bei sich zu behalten oder jedenfalls nicht unbeobachtet zu lassen. Er beherrscht diese Gefahrenquelle und ist daher Überwachergarant.

Hinweis: Vertretbar dürfte auch die Annahme einer Garantenpflicht aus Ingerenz sein, da es angesichts des betäubungsmittelrechtlichen Verbots des Umgangs mit der Droge pflichtwidrig war, diese auf dem Tisch stehenzulassen.

Die Garantenstellung könnte jedoch durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des B wieder entfallen sein. B trank die Flüssigkeit unverdünnt, obwohl er zuvor von A darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass die Droge wegen ihrer starken Wirkung keinesfalls ohne Verdünnung zu sich genommen werden darf. Dadurch gefährdete der B sich beim Trinken selbst. Da er durch den Hinweis des A um die Gefährlichkeit der unverdünnten Einnahme der Droge wusste, geschah die Gefährdung auch eigenverantwortlich.

Dennoch verneint der BGH im hier zu Grunde liegenden Originalfall eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs mit der Begründung, dass zwar die Herbeiführung des Risikos (hier: das Abstellen des Gefäßes) wegen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung straflos ist, diese Selbstgefährdung aber dann entfalle, wenn aus dem allgemeinen Risiko eine konkrete Gefahrenlage wird (hier: ab Eintritt der Bewusstlosigkeit bei B), sodass den Täter (hier: A) ab diesem Moment die Pflicht zur Erfolgsabwendung aus seiner Stellung als Garant treffe. Der sich selbst Gefährdende (hier: B) habe nur das Risiko, d.h. die Gefährdung seines Rechtsguts bewusst in Kauf genommen, nicht aber die Realisierung des Risikos, also den Verlust des Rechtsguts. Der BGH formuliert:

„Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts.“

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der B sich durch das Trinken der Droge zwar eigenverantwortlich selbst gefährdete, damit aber ausschließlich das Risiko einer Lebensgefahr eingehen wollte, nicht hingegen in Kauf nahm, dass der Drogenkonsum tatsächlich tödlich endet. Durch das Trinken der Droge wollte B gerade nicht darauf verzichten, dass ihm A zur Hilfe kommt, wenn sein Tod tatsächlich einzutreten drohen sollte. Ab dem Moment, in dem B bewusstlos wurde, wäre A daher aufgrund seiner Stellung als Überwachergarant verpflichtet gewesen, den Todeserfolg von B abzuwenden. Die ursprüngliche Selbstgefährdung des B kann die objektive Zurechnung zu A dann nicht mehr unterbrechen und lässt auch die Garantenstellung nicht entfallen.

Diese Lösung des BGH ist jedoch nicht frei von Bedenken. Im Tod des B realisiert sich ungeachtet der vorher eintretenden Bewusstlosigkeit das Risiko, welches B durch das eigenverantwortliche Trinken der unverdünnten Flüssigkeit bewusst selbst gesetzt hat. Zudem entsteht auf diese Weise ein Widerspruch, weil die aktive Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anerkanntermaßen straflos ist, gleichzeitig aber das bloß passive Unterlassen von Hilfsmaßnahmen für einen sich eigenverantwortlich selbst Gefährdenden die besonderen Pflichten aus § 13 Abs. 1 StGB und damit eine gegenüber § 323c Abs. 1 StGB verschärfte Strafbarkeit begründen würde. Überzeugender ist daher die Annahme, dass die zurechnungsausschließende Wirkung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sich auch auf die Pflicht zur Vornahme von Hilfsmaßnahmen erstreckt.

Daher trifft den A auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des B keine gesteigerte Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs. Eine Garantenstellung des A ist aufgrund der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ausgeschlossen.

Hinweis: Natürlich ist das gegenteilige Ergebnis (u.a. mit dem BGH) ebenfalls gut vertretbar.

Zwischenergebnis

Mangels einer Garantenstellung des A ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

Folglich fehlt es auch an der Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens.

Ergebnis

A hat sich nicht nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er es unterließ, ärztliche Hilfe zu holen.