Kilian Wegner Strafrecht AT I: Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Einheit 5: Notwehr (Lösung)

Fall 1

J könnte sich einer Körperverletzung schuldig gemacht haben, indem er M mit dem Jagdmesser in den Oberschenkel stach.

Tatbestandsmäßigkeit

Dann müsste zunächst der Tatbestand des § 223 Abs.  1 StGB erfüllt sein.

Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand der Körperverletzung ist verwirklicht, wenn J den M körperlich misshandelt und/oder an der Gesundheit geschädigt hat.

Eine körperliche Misshandlung i. S. d. § 223 Abs. 1 StGB ist jede üble unangemessene Behandlung, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. Ein Messerstich in den Oberschenkel, durch den erhebliche Verletzungen verursacht werden, erfüllt ohne weiteres diese Voraussetzungen.

Weiterhin könnte M an der Gesundheit geschädigt worden sein. Das setzt voraus, dass durch das Verhalten des Täters ein vom körperlichen Normalzustand nachteilig abweichender behandlungsbedürftiger Zustand hervorgerufen wird. Auch dies ist angesichts der durch den Messerstich verursachten erheblichen Verletzungen der Fall. Bedenken hinsichtlich Kausalität und objektiver Zurechnung sind nicht ersichtlich. Der objektive Tatbestand der Körperverletzung ist mithin erfüllt.

Subjektiver Tatbestand

Weiterhin müsste J vorsätzlich gehandelt haben. Das setzt – wie sich im Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 S. 1 StGB ergibt – zumindest voraus, dass J die unter den gesetzlichen Tatbestand fallenden Umstände für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass sie vorliegen. J wusste, dass er M mit dem Messerstich verletzten würde. Er handelte somit vorsätzlich.

Zwischenergebnis

Der Tatbestand der Körperverletzung liegt vor.

Rechtswidrigkeit

Zweifelhaft ist aber, ob J auch rechtswidrig gehandelt hat. Das wäre nicht der Fall, wenn sein Handeln durch einen anerkannten Rechtfertigungsgrund gedeckt wäre.

Notwehr

Hier kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr i. S. d. § 32 StGB in Betracht.

Notwehrlage

Dann müsste sich J zunächst in einer Notwehrlage befunden haben. Das setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff voraus (vgl. § 32 Abs. 2 StGB).

Hinweis: Wiederum zur Einübung präsentieren wir Ihnen nachfolgend (anders als in der Lösung zu Fall 4) ein ausführlich untergliedertes Aufbauschema. In der Klausur – zumal in Zeitnot – könnten Sie durchaus auf die ein oder andere Zwischenüberschrift verzichten.

Angriff

Unter einem Angriff versteht man jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines notwehrfähigen Interesses. M hat J angegriffen und damit durch sein Verhalten eine Bedrohung für die körperliche Integrität des J geschaffen. Ein Angriff liegt daher vor.

Gegenwärtigkeit

Ein Angriff ist gegenwärtig i. S. d. Notwehrrechts, wenn er unmittelbar bevorsteht oder gerade (noch) stattfindet. J hat sich „im Kampfgeschehen“ verteidigt, woraus entnommen werden kann, dass der Angriff des M gerade stattfindet und damit gegenwärtig ist.

Rechtswidrigkeit

Fraglich ist, ob es sich um einen rechtswidrigen Angriff handelte. Das wäre nicht der Fall, wenn das Verhalten des M seinerseits durch Notwehr (oder einen anderen anerkannten Rechtfertigungsgrund) gedeckt gewesen wäre. Dafür müsste J den M angegriffen haben.

J hat M in dem der körperlichen Auseinandersetzung vorausgehenden Wortgefecht nicht beleidigt, so dass jedenfalls insoweit kein Angriff auf die Ehre des M gegeben ist.

Hinweis: Bei Angriffen i. S. d. § 32 StGB durch Beleidigungen ist regelmäßig die Gegenwärtigkeit problematisch, da diese stets nach dem Aussprechen einer Beschimpfung entfällt. Notwehr aufgrund von „Ehrverletzungen“ durch Beleidigung kommt daher nur selten in Betracht.

Auch die Tatsache, dass der Rauch an den Tisch des M hinüberzieht, begründet keinen rechtswidrigen Angriff auf ein rechtlich geschütztes Interesse. Insoweit anders gelagert war der Sachverhalt einer in einem ähnlichen Fall ergangenen Entscheidung des AG ErfurtAG Erfurt JuS 2014, 176 m. krit. Besprechung Jahn und Jäger, JA 2014, 472., wo ein direktes Anpusten mit Rauch in Rede stand, das vom Gericht (höchst fragwürdig) als rechtswidriger Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und auf die Ehre gewertet wurde. Demgegenüber raucht J hier lediglich seine Zigarette und pustet den Rauch gerade nicht in die Richtung des M. Das begründet unter keinen Umständen einen rechtswidrigen Angriff auf irgendein notwehrfähiges Rechtsgut.

M war daher nicht gerechtfertigt und sein Angriff folglich rechtswidrig. Eine Notwehrlage ist somit gegeben.

Notwehrhandlung

Weiterhin müsste es sich bei dem Messerstich um eine Notwehrhandlung, also um eine gegen den Angreifer gerichtete erforderliche Verteidigung handeln.

J richtet sich mit seinem Messerstich gegen M, also gegen den Angreifer. Die Verteidigung ist erforderlich, wenn sie zum einen geeignet ist, den Angriff sicher und endgültig abzuwehren, und wenn es sich zum anderen um das mildeste unter mehreren gleich geeigneten Mitteln handelt.

Nach diesen Maßstäben war der Messerstich zwar geeignet, den Angriff abzuwehren, fraglich ist aber, ob der Messerstich erforderlich, d. h. das mildeste der gleich geeigneten Mittel war. Hiergegen könnte sprechen, dass J auch die Möglichkeit hatte, zu fliehen. Hier kommt nun allerdings die viel zitierte sog. „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts zur Geltung. Da § 32 StGB nach überwiegender Auffassung nicht nur dem Individualschutz, sondern auch der Rechtsbewährung dient, wird allgemein angenommen, dass im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung eine mögliche Flucht nicht zu denjenigen „milderen“ Mitteln zählt, auf die der Angegriffene verwiesen werden kann. Knapp hierzu: Rengier, Strafrecht AT, 12. Auflage 2020, § 18 Rn. 38 f. Vielmehr könne sich das Recht nur bewähren, wenn es dem Angegriffenen gestatte, den Angriff durch sog. Trutzwehr abschließend zu beenden. Daher steht die Fluchtmöglichkeit der Erforderlichkeit des Messerstichs nicht entgegen. Sieht man von der Flucht ab, hatte J keine Möglichkeit, den Angriff des körperlich überlegenen M gleichermaßen effektiv abzuwehren, wie mit dem Messer. Sich auf eine unsichere, aber mildere Verteidigungsstrategie – und damit einen ungewissen Ausgang – einzulassen, ist im Rahmen der Notwehr nicht notwendig. Der Einsatz des Messers war daher erforderlich.

Gebotenheit

Hinweis: Unter dem Stichwort der „Gebotenheit“ werden unterschiedliche sog. „sozialethische“ Einschränkungen des Notwehrrechts diskutiert (dazu Rönnau, JuS 2012, 404 ff.). Diese sind in der Fallbearbeitung freilich nur zu erörtern, wenn eine der insoweit anerkannten Fallgruppen zumindest möglicherweise einschlägig ist. Ansonsten kann auf die Gebotenheitsprüfung regelmäßig verzichtet werden. Insbesondere darf nicht fälschlicherweise angenommen werden, dass bei der Notwehr grundsätzlich eine Form der Interessenabwägung oder Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfinde.

Hier könnte es ausnahmsweise an der Gebotenheit der erforderlichen Notwehrhandlung fehlen. Das ließe sich womöglich darauf stützen, dass J die (spätere) Notwehrsituation dadurch herbeigeführt hat, dass er eine Zigarette rauchte, obwohl ihm klar war, dass der Rauch zu M und seiner Frau hinüberziehen würde und dass diese dadurch bei ihrem Essen gestört würden. Fraglich ist, ob darin eine „Notwehrprovokation“ gesehen werden kann und – falls dies bejaht wird – ob J dann – anders als im Rahmen der Erforderlichkeit – darauf verwiesen werden kann, dem Angriff durch Flucht zu entgehen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass lediglich rechtswidriges Vorverhalten zu Einschränkungen des Notwehrrechts führen kann, rechtmäßiges dagegen nicht. Allerdings wird dies in Fällen von „sozialethisch wertwidrigem“ Verhalten (Belästigungen, Taktlosigkeiten) nicht selten anders beurteilt: Hier soll eine Einschränkung des Notwehrrechts auch dann möglich sein, wenn der Angegriffene sich rechtmäßig verhalten hat. Dafür ließe sich anführen, dass unter dem Stichwort der Gebotenheit ja gerade „sozialethische“ Einschränkungen des Notwehrrechts thematisiert werden. Es wäre aber konsequent, wenn solche jedenfalls auch aus einem Verhalten folgen können, das ebenfalls „nur“ sozialethisch zu missbilligen ist. Dabei würde allerdings übersehen, dass den Angegriffenen in der Konsequenz eben doch eine rechtliche Einschränkung träfe, und zwar eine solche von erheblichem Ausmaß, indem ihm sein fundamentales Selbstverteidigungsrecht (mindestens zum Teil) abgeschnitten wird. Das darf nicht auf einen unbestimmten Maßstab der „sozialethischen Missbilligung“ gestützt werden. Vielmehr muss eine Beschränkung des Notwehrrechts stets eine rechtliche Missbilligung zum Ausgangspunkt haben. Da sich J hier aber rechtmäßig verhalten hat (das Rauchen im Außenbereich ist laut Sachverhalt erlaubt), ist eine Einschränkung der Notwehr unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit nicht angezeigt. (a. A. gut vertretbar)

Subjektives Rechtfertigungselement

J handelte hier mit dem Willen, sich gegen den Angriff des M zu verteidigen, so dass auch nach der engsten insoweit vertretenen Ansicht, wonach erst ein zielgerichteter Wille (Verteidigungsabsicht) als ausreichendes subjektives Element anerkannt wird, die Voraussetzungen des subjektiven Rechtfertigungselementes gegeben sind.

Zwischenergebnis

J ist durch Notwehr gerechtfertigt.

Ergebnis

J hat sich keiner Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

Fall 2

G könnte sich einer gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er mit dem Messer auf die Polizeibeamt:innen einstach.

Tatbestandsmäßigkeit

G müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben. Dafür müsste er objektiv eine Gesundheitsschädigung oder körperliche Misshandlung (Definition s.o.) mittels einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs verursacht haben. Ein tiefer Schnitt in die Schultergegend ist jedenfalls eine körperliche Misshandlung. Eine Waffe i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist ein Gegenstand, der nach seiner Art dazu bestimmt ist, erhebliche Verletzungen bei Menschen zu verursachen. Messer sind dann Waffen, wenn sie nach ihrer konkreten Bauart zum Einsatz als Verletzungsmittel bestimmt sind. G verwendet ein einfaches Küchenmesser, welches bestimmungsgemäß als Schneidwerkzeug, nicht aber zu Verletzungszwecken gedacht ist. Es handelt sich also nicht um eine Waffe.

Das Messer könnte aber ein gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) sein. Darunter ist jeder beweglicher Gegenstand zu verstehen, der nach objektiver Beschaffenheit und Art der Benutzung geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Das Küchenmesser ist grundsätzlich zur Verletzung geeignet und G verwendet es auch dementsprechend; es ist mithin als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren.

Die Stiche können nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Verletzung entfällt, sie sind also kausal i. S. d. Äquivalenztheorie. Auch verwirklicht sich in der Stichwunde das von G gesetzte rechtlich missbilligte Risiko.

Subjektiv müsste G zum Zeitpunkt der Stiche mit Wissen um die und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt haben. Dies war vorliegend der Fall.

Der G handelte tatbestandsmäßig.

Rechtswidrigkeit

Fraglich ist aber, ob G rechtswidrig gehandelt hat. Dies wäre nicht der Fall, wenn er sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen könnte.

Notwehr

Möglicherweise kann G sich auf Notwehr berufen. Dafür müsste eine Notwehrlage bestanden haben und die Handlung des G müsste geeignet, erforderlich und von Verteidigungswillen getragen gewesen sein.

Notwehrlage

Eine Notwehrlage ist dann gegeben, wenn ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorliegt, vgl. § 32 Abs. 2 StGB.

Angriff

Ein Angriff ist jede durch einen Menschen drohende Verletzung eines notwehrfähigen Interesses. Die Fortbewegungsfreiheit des G ist ein solches geschütztes Rechtsgut (vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). Sie ist durch die bevorstehende Ingewahrsamnahme zum Zweck der Abschiebung auch bedroht.

Gegenwärtigkeit

Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, noch andauert oder nicht beendet ist. Die Ingewahrsamnahme ist akut für den Moment zu erwarten, in dem der G nicht mehr flieht oder sich verteidigt; sie steht damit unmittelbar bevor.

Rechtswidrigkeit

Der Angriff müsste auch rechtswidrig sein, d. h. objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen. Fraglich ist, nach welchen Maßstäben dies bei dem Handeln von Hoheitsträger:innen (wie der Polizei) zu beurteilen ist.

Nach den sog. akzessorischen Rechtmäßigkeitsbegriffen wäre dies anhand der materiellen, dem behördlichen Handeln zugrundeliegenden Rechtsvorschriften vorzunehmen. Die Grenzen der Rechtmäßigkeit sind nach dieser Ansicht schon dann erreicht, wenn die grundlegende hoheitliche Verfügung oder ihre Vollstreckung durch Beamt:innen formell oder materiell rechtswidrig ist. Zwar ist die Abschiebungsverfügung im vorliegenden Fall an sich rechtmäßig, jedoch gilt dies ebenso für die Duldungsverfügung, die dem G noch bis zum 14. April 2020 das Recht einräumt, in Deutschland zu bleiben. Damit hemmt sie die Vollstreckbarkeit der Abschiebungsverfügung und das Vorgehen der Beamt:innen am 4. Februar 2020 war verwaltungsrechtswidrig. Nach dem akzessorischen Rechtmäßigkeitsbegriff folgt daraus auch ein rechtswidriger Angriff i. S. v. § 32 StGB.

Der sog. strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff zieht die Grenzen der Rechtmäßigkeit anders. Es soll ausreichen, dass die handelnde Behörde örtlich und sachlich zuständig ist, die Beamt:innen die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhalten und ihnen bei der Beurteilung der sachlichen Voraussetzungen ihres Handelns keine wesentlichen Sorgfaltsmängel unterlaufen. In einem – wie hier zwischen Ausländerbehörde und Polizei – gegebenen Weisungsverhältnis soll sich die ausführende Behörde demnach ohne weitere Nachprüfung auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Anweisung verlassen dürfen. Die Polizist:innen, die den G abholen, verlassen sich auf die Anweisung der Ausländerbehörde, dass die Abschiebung am 4. Februar 2020 erfolgen soll. Dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff gemäß unterliegen sie keiner Pflicht, diese Anweisung nachprüfen zu müssen. Aufgrund der ihnen fehlenden Information ist ihnen nicht vorzuwerfen, dass sie den G nicht weiterführend über ihr Handeln und die dahinterstehende Abschiebungsverfügung aufklärten. Die Beamt:innen beachteten die wesentlichen Förmlichkeiten. Zudem ist die Polizeibehörde hier sachlich und örtlich zuständig. Nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff handeln die Polizist:innen also rechtmäßig.

Bei Anwendung der beiden Begriffe kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, eine Stellungnahme zu dem Streitstand ist somit erforderlich. Mit dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff soll der – unter Umständen unübersichtlichen – Situation und den an sich schon hohen Anforderungen an die Vollstreckungsbeamt:innen Rechnung getragen und so ihre Handlungsfähigkeit sichergestellt werden. Als Argument wird vorgetragen, dass die Duldung der möglicherweise vorkommenden Fehleinschätzungen weniger schwerwiegend als die Lähmung der staatlichen Entschlusskraft sei. Für die akzessorischen Rechtmäßigkeitsbegriffe spricht, dass es dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung zuwiderläuft, unterschiedliche Maßstäbe in Straf- und Verwaltungsrecht anzuwenden. Das maßgebliche Vollstreckungsrecht zugrunde zu legen, würde insofern klare rechtliche Verhältnisse schaffen. Letztlich wahrt aber der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff am ehesten die Effektivität staatlichen Verwaltungshandelns und ist damit vorzugswürdig.

Hinweis: Die Gegenauffassung ist sehr gut vertretbar. Interessierten seien hierzu die Lektüre der Argumente von Paeffgen, in: NK/StGB, 6. Aufl. 2023, § 113 Rn. 40 ff. empfohlen.

Der Angriff war folglich rechtmäßig und dagegen gerichtete Notwehrhandlungen unzulässig.

Zwischenergebnis

Es bestand keine Notwehrlage.

Zwischenergebnis

Der G ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

Hinweis: Auch auf den Notstand gem. § 34 StGB kann G sich hier nicht berufen; aus der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung ergeben sich Duldungspflichten, eine Verteidigung dagegen ist also zu unterlassen. Gleiches gilt im Rahmen des entschuldigenden Notstands gem. § 35 StGB.

Schuld

Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

Ergebnis

G hat sich der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht.

Fall 3

Die Pistolenschüsse könnten von Notwehr gem. § 32 StGB gedeckt sein, jedoch müsste eine Notwehrlage und eine geeignete, erforderliche und von Verteidigungswillen getragene Notwehrhandlung vorgelegen haben.

Notwehrlage

Die F müsste ihre Handlung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff gerichtet haben.

Angriff

Ein Angriff ist eine von einem Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Die körperliche Unversehrtheit und das Leben (geschützt durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) der F sowie ihrer Kinder (Nothilfe) sind hier schon betroffen und drohen wieder verletzt zu werden.

Rechtswidrigkeit

Rechtswidrigkeit ist gegeben, wenn die Handlung objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Die massive Gewaltausübung des M gegen die F verstößt jedenfalls gegen die §§ 223, 224 StGB.

Gegenwärtigkeit

Fraglich ist, ob auch ein gegenwärtiger Angriff vorliegt, d. h. ein Angriff unmittelbar bevorsteht oder noch andauert. Die Gewalttaten des M gegen F fanden zwar regelmäßig und häufig statt, waren auch wieder zu erwarten. Im konkreten Tatzeitpunkt schläft M aber tief und fest. Er verübte gerade keinen gegenwärtigen Angriff. Einer nicht sehr verbreiteten Meinung folgend, könnte man die Grenze der Gegenwärtigkeit hier aufweichen, um eine sog. Präventivnotwehr zu ermöglichen. Dafür spricht, dass später, wenn M wieder erwacht, die Verteidigung für F weitaus schwieriger wäre. Die Schneidigkeit des Notwehrrechts, die sich aus dem Ziel des Notwehrrechts, subjektive Rechte zu schützen, sowie dem Rechtsbewährungsprinzip ableitet, und der Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB sprechen aber doch deutlich gegen eine solche Erweiterung des zeitlichen Rahmens der Notwehr. Insbesondere in der konkreten, unausweichlichen Angriffssituation soll der Angegriffenen eine weite Eingriffsbefugnis zugestanden werden. Außerhalb dieses Zeitrahmens der Gegenwärtigkeit können aber wieder erhöhte Ansprüche an die Einschätzungs- und Abwägungsfähigkeit der Rechtsgutsinhaber:innen gestellt werden. Eine „Präventivnotwehr“ ist daher nicht unter § 32 StGB zu fassen. Ein gegenwärtiger Angriff lag folglich nicht vor.

Ergebnis

Die F ist also nicht durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt.

Hinweis: In diesem Fall kommen aber noch sowohl § 34 StGB als auch § 35 StGB zur Rechtfertigung/Entschuldigung der F in Betracht. Näheres dazu erfahren Sie in den nächsten Wochen.

Fall 4

Notwehr (§ 32 StGB)

E könnte gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein. Dafür müssten eine Notwehrlage und eine geeignete, erforderliche und von Verteidigungswillen getragene Notwehrhandlung vorliegen.

Notwehrlage

Eine Notwehrlage liegt vor, wenn aus ex-post-Perspektive ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff gegeben ist.  Die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und Ehre des E durch die physische Gewaltausübung und die Beleidigungen des F dauern im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an, zudem handelt F auch rechtswidrig. Damit besteht eine Notwehrlage.

Notwehrhandlung

Die Notwehrhandlung müsste (aus Sicht eines objektiven Beobachters ex ante) geeignet, erforderlich und von Verteidigungswillen getragen sein. Das Notwehrrecht des E dürfte auch nicht sozialethisch einzuschränken sein.

Erforderlichkeit

Eine Verteidigungshandlung müsste zuerst geeignet, des Weiteren erforderlich sein. Sie ist geeignet, wenn sie den Angriff zumindest abschwächen kann. Die einzelnen Messerstiche schwächen die Wucht des Angriffs und kumulieren schließlich zu solcher Intensität, dass sie den F vom Angreifen abbringen. Sie sind also eine geeignete Verteidigungshandlung.

Fraglich ist aber, ob die Verteidigungshandlung auch erforderlich ist. Das ist dann der Fall, wenn sie unter mehreren gleich geeigneten das mildeste zur Verfügung stehende Mittel ist. Die mögliche Flucht könnte ein milderes Mittel sein. Es würde zusätzliche Verletzungen vermeiden und die Situation deeskalieren. Diese Argumentation führt jedoch zu einer Entwertung des Notwehrrechts, das nicht ausschließlich dem Schutz des angegriffenen Rechtsguts dient, sondern auch auf der zweiten Säule des Rechtsbewährungsprinzips steht („Das Recht hat dem Unrecht nicht zu weichen.“). Demnach verpflichtet das Recht hier nicht zum Fliehen oder Ausweichen, sondern erlaubt, den Angriff durch sog. Trutzwehr niederzuschlagen, ohne vorangegangene Güterabwägung. „Schimpfliche“ Flucht zählt also von vornherein nicht zu den milderen Mitteln.

Darüber hinaus ist fraglich, wie der Messereinsatz des E zu bewerten ist.  Grundsätzlich ist auch die Verwendung (lebens-)gefährlicher Mittel im Rahmen der Notwehr nicht unzulässig, wenn diese geeignet sind, den Angriff endgültig zu beenden. Das Risiko einer unsicheren Verteidigung muss nicht eingegangen werden. Allerdings ist – insb. wenn, wie hier, unklar ist, ob die Angreifer:in selbst auch eine Waffe hat – der Gebrauch der Waffe vorher anzudrohen, dann wird erst nicht-lebensgefährlicher Einsatz verlangt, bevor der vollumfängliche Gebrauch stattfinden soll. Indem E das Messer aus seiner Hosentasche zog und F drohend entgegenhielt, gab er F die bezweckte Warnung. Dass F das Messer in seiner Wut nicht wahrnahm, sondern den Angriff unbehelligt fortsetzte, kann dem E nicht angelastet werden. Von E in dieser konkreten Kampflage zu verlangen, den Einsatz seines Verteidigungsmittels noch weiter abzustufen, etwa die Einstichstellen sorgfältig nach verminderter Gefährlichkeit auszuwählen, scheint auch nicht zumutbar. Somit war der Messereinsatz in der vorliegenden Situation auch erforderlich.

Gebotenheit

Das Notwehrrecht des E könnte aufgrund der Alkoholisierung des F eingeschränkt sein. In den klassischen Fallgruppen der Gebotenheit sind Ausdruck der sozialethischen Schranken des schneidigen Notwehrrechts (z. B. bei Angriffen von Kindern und schuldlos Handelnden sowie erkennbar Irrenden, in krassen Missverhältnissen zwischen der Schwere des Angriffs und dem Ausmaß der Verteidigungshandlung, Garant:innenbeziehungen zwischen der Angreifer:in und der notwehrübenden Person oder nach Provokation der Angreifer:in durch das spätere Opfer). Diese erste Fallgruppe ist Ausdruck der Nachsicht, die das Recht gegenüber gewissen Gruppen übt (vgl. §§ 19, 20, 21 StGB). Weder zur Rechtsbewährung noch zur Verteidigung subjektiver Rechte bedarf es ihnen gegenüber der vollen Schneidigkeit des Notwehrrechts. Daher soll eine defensive dreistufige Herangehensweise angewandt werden: Ausweichen, wenn nötig Schutzwehr, dann erst Trutzwehr. Die Alkoholisierung des F könnte zu Schuldlosigkeit aufgrund von vorübergehender Intoxikationspsychose i. S. einer sog. „krankhaften seelischen Störung“ gem. § 20 Var. 1 StGB geführt haben. Die Blutalkoholkonzentration dient dabei als Orientierung neben anderen Faktoren, wie der persönlichen Reaktion auf den Rausch, Ausfallerscheinungen etc. Ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 Promille wird eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht gezogen. Der F lag mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,09 Promille knapp über diesem Wert, jedoch wird in seinem Verhalten keine übermäßig stark von der Intoxikation geprägte Störung deutlich; er torkelte oder stolperte nicht und schien noch so planvoll agieren zu können, dass er den E auch traf, wenn er ihn schlug oder zerrte. Es scheint also nicht geboten, das Notwehrrecht des E gegen den alkoholisierten F einzuschränken.

Subjektives Rechtfertigungselement

E müsste auch ein subjektives Rechtfertigungselement verwirklicht haben. Als solcher Verteidigungswille wird das zielgerichtete Wollen, die Absicht, den Angriff abzuschwächen oder zu beenden, bezeichnet. Vorliegend wollte E sich zwar gegen den Angriff des F verteidigen, andererseits wollte er aber in seiner Wut diesem auch Schaden zufügen. Diese Ambivalenz führt aber nach der herrschenden Meinung nicht zu einem Ausschluss des Verteidigungswillens. Solange dieser nicht als ganz nebensächlich zurücktritt, schaden andere Motive wie Hass, Neid und Vergeltungsdrang nicht. Überblick zum Meinungsbild: BeckOK-StGB/Momsen/Savic, 49. Ed. 1.2.2021, § 32 Rn. 46. E handelte also mit Verteidigungswillen.

Zwischenergebnis

E ist durch Notwehr gerechtfertigt.

Ergebnis

E ist gem. § 32 StGB gerechtfertigt.

Fall 5

Die Handlung der T könnte durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sein. Es müsste eine Notwehrlage und eine aus objektiver ex-ante-Perspektive geeignete, erforderliche und von Verteidigungswillen getragene Notwehrhandlung vorgelegen haben.

Notwehrlage

Der Obstdiebstahl der Kinder im Baum müsste – aus einer ex-post-Betrachtung beurteilt als ein gegenwärtiger, rechtwidriger Angriff zu qualifizieren sein. Die Kinder sind noch mitten beim Pflücken und Abtransportieren, der Angriff auf das (z. B. in § 242 StGB) geschützte Rechtsgut Eigentum steht unmittelbar bevor. Eine Notwehrlage ist damit gegeben.

Notwehrhandlung

Die Notwehrhandlung müsste (ex ante) geeignet, erforderlich und von Verteidigungswillen getragen sein.  Zudem müsste die Verteidigung geboten sein.

Erforderlichkeit

Der Schusswaffeneinsatz ist geeignet und erforderlich, wenn er den Angriff abwehren kann und das mildeste unter den geeigneten Mitteln dafür ist. Die Geeignetheit ist hier nicht anzuzweifeln. Die T warnt die Dieb:innen lautstark verbal und hält auch das bei Schusswaffen (und anderen potentiell lebensgefährlichen Verteidigungsmitteln, s. Fall 4) einzuhaltende Drei-Stufen-Erfordernis ein – sie droht an, schießt gen Himmel und am Schluss nur in die Beine, eine weniger gefährliche Körperstelle. Die Verteidigungshandlung war also erforderlich.

Gebotenheit

Fraglich ist aber, ob die gewählte Notwehrhandlung in dieser Situation auch geboten war. Dagegen könnte sprechen, dass das Notwehrrecht aus mehreren Gründen (für weitere Fallgruppen s. Fall 1 und 6) sozialethisch einzuschränken sein könnte.

Die Obstdieb:innen sind Kinder, die gem. § 19 StGB als schuldunfähig gelten, wenn sie bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt sind. Teilweise wird argumentiert, dass in solchen Konstellationen aus sozialethischen Gründen schon der Angriff entfällt; zumindest ist aber ein deutlich vermindertes Rechtsbewährungsinteresse gegen Schuldlose anzuerkennen. Zur Vertiefung: Kühl, Strafrecht AT, 8. Auflage 2017, § 7 Rn. 192 ff. Damit ist Notwehr gegen sie nur eingeschränkt, d. h. nur im Rahmen des für den Selbstschutz Unerlässlichen zu üben. Der Schuss auf das Kind im Baum ist im Rahmen dieses Falles als ultima ratio zu betrachten, d. h. erst einzusetzen, nachdem alle schonenderen, die körperliche Unversehrtheit der Kinder wahrenden Abwehrmöglichkeiten genutzt wurden (etwa das Hinzuziehen von Aufsichtspersonen). Damit ist der Einsatz dieser Gegenwehr hier nicht geboten.

An der Gebotenheit der Verteidigungshandlung könnte es außerdem deshalb fehlen, weil die drohende Rechtsgutsverletzung und die Eingriffsintensität der Verteidigungshandlung in einem nahezu unerträglichen Missverhältnis zueinander stehen. Auf einer Seite ist die – noch dazu – geringfügige Beeinträchtigung des Eigentums der wirtschaftlich wohlsituierten T, auf der anderen Seite die körperliche Unversehrtheit eines Kindes zu betrachten. Zum Teil wird vertreten, dass potenziell tödliche Gewalt überhaupt nie zum Schutz von bloßen Sachwerten eingesetzt werden darf. Demnach wäre der Schuss auf das Kind im vorliegenden Fall nicht geboten. Andere sind der Ansicht, dass ein zumindest mittlerer wirtschaftlicher Wert der angegriffenen Sache den Einsatz tödlicher Gewalt legitimieren kann. Der Wert der hier betroffenen Kirschen ist aber so geringfügig, dass auch nach dieser Ansicht eine krasse Disproportionalität vorliegt.  Da beide Ansichten zu demselben Ergebnis gelangen, hier ein krasses Missverhältnis zwischen der drohenden Rechtsgutsverletzung und der Eingriffsintensität der Verteidigungshandlung zu sehen, kann eine Stellungnahme unterbleiben.

Die Notwehrhandlung der T ist nicht geboten.

Ergebnis

T ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt.

Fall 6

A könnte sich einer Körperverletzung gem. § 223 StGB schuldig gemacht haben, indem er B die Dachlatte auf den Kopf schlug.

Tatbestandsmäßigkeit

A müsste zunächst tatbestandsmäßig gehandelt haben. Das setzt – in objektiver Hinsicht – eine körperliche Misshandlung und/oder eine Gesundheitsschädigung voraus (für die Definitionen vgl. oben). Ein kräftiger Schlag mit einer Dachlatte stellt eine üble unangemessene Behandlung dar und führt – bei lebensnaher Betrachtung – zu einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass bei B hierdurch zumindest Hämatome oder Schrammen entstanden sind. Folglich liegt auch eine Gesundheitsschädigung vor. Da hinsichtlich Kausalität und objektiver Zurechnung keine Bedenken bestehen, liegen die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes einer Körperverletzung. A handelte auch vorsätzlich.

Rechtswidrigkeit

A könnte durch Notwehr gerechtfertigt sein. Er sah sich einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff des B ausgesetzt (zu den Definitionen siehe oben). Insbesondere war B selbst hier nicht gerechtfertigt, da die „Sticheleien“ des A jedenfalls bereits beendet waren, weshalb es nicht darauf ankommt, ob es sich überhaupt um Angriffe auf die Ehre des B (oder ggf. seine Freundin) handelte. A hatte auch keine andere Verteidigungsmöglichkeit, so dass die Erforderlichkeit seiner Verteidigung zu bejahen ist.

Jedoch könnte die Gebotenheit der Notwehr deshalb entfallen, weil A die Notwehrlage absichtlich herbeigeführt hat und es ihm darauf ankam, in diese Situation zu geraten und sich verteidigen zu können/müssen. Wie eine solche Absichtsprovokation rechtlich behandelt wird, ist umstritten.

Die wohl herrschende Auffassung geht hier davon aus, dass es rechtsmissbräuchlich ist, das Notwehrrecht auszuüben, und bestraft den Provokateur aus dem vorsätzlichen Delikt, ohne ihm die Berufung auf die Notwehr zu ermöglichen. Nach dieser Auffassung käme eine Rechtfertigung des A nicht in Betracht.

Nach einer anderen Auffassung bleibt das Notwehrrecht durch die Absichtsprovokation unberührt, da diese dem Angriff des Provozierten nicht die Rechtswidrigkeit nehme. Gegen einen solchen rechtswidrigen Angriff müsse Notwehr unabhängig von einer vorherigen Provokation erlaubt sein. Diese Auffassung würde A hier den Zugang zum Notwehrrecht eröffnen.

Ebenfalls wird vertreten, der Provokateur müsse zunächst ausweichen oder sich mit Schutzwehr begnügen und sei darüber hinaus auch zur Hinnahme leichter Beeinträchtigungen verpflichtet. Jenseits dessen stehe ihm das Notwehrrecht aber zu. Nach dieser Auffassung wäre hier Notwehr zu bejahen, da weder Ausweichen noch Schutzwehr für A möglich waren und es sich bei den drohenden Faustsschlägen des B auch nicht um eine bloß leichte Beeinträchtigung handelt.

Schließlich wird vertreten, der Provokateur habe zwar das Notwehrrecht, er sei aber gleichwohl wegen der schuldhaften Herbeiführung der Notwehrlage als Vorsatztäter hinsichtlich des Verletzungserfolges zu bestrafen (sog. actio illicita in causa). Nach dieser Auffassung wäre A zwar nicht wegen des Schlags mit der Dachlatte selbst (dieser wäre gerechtfertigt), wohl aber wegen der Herbeiführung der Notwehrsituation als Täter einer Körperverletzung strafbar.

Hinweis: Beachten Sie, dass die Erörterung der actio illicita in causa hier streng genommen nicht hingehört. Diese Rechtsfigur wäre bei stringenter Vorgehensweise nach dem Gutachtenstil erst im Rahmen einer neuen Prüfung wegen der Strafbarkeit durch das (provozierende) Vorverhalten zu erörtern (und nach überzeugender Ansicht zu verwerfen). Eine nähere Befassung mit der (strukturell vergleichbaren) actio libera in causa erfolgt in AG-Einheit 8.

Im Ergebnis überzeugt es nicht, dem Täter im Falle einer Absichtsprovokation ein – sei es auch nur eingeschränktes – Notwehrrecht zu belassen. Einer Rechtsbewährung bedarf es in diesem Fall nicht, weil das Notwehrrecht missbraucht wird. Nachdem die Situation gezielt manipuliert wurde, um einen rechtswidrigen Angriff hervorzurufen, ist es nur scheinbar eine Verteidigungshandlung. Auch unter dem Gesichtspunkt des Individualschutzes ist eine Notwehrmöglichkeit nicht angezeigt, da der Handelnde seine Rechtsgüter bewusst dem Angriff aussetzt, den er schließlich selbst herbeigeführt hat. Daher kann sich A vorliegend aufgrund seiner Absichtsprovokation nicht auf Notwehr berufen.

Schuld und Ergebnis

A handelte auch schuldhaft und hat sich somit wegen Körperverletzung gem. § 223 StGB strafbar gemacht.