Olivia Czerny BGB AT – Anfängerfälle Licensed under CC-BY-4.0

ZI zu: Grundfall Anfechtung I

Gestaltungsrechte neben der Anfechtung

  • Kündigung, z.B. des Mietvertrags nach § 573 BGB

  • Verbraucherwiderruf, § 355 I BGB

  • Rücktritt, § 323 I BGB

  • Aufrechnung, § 387 ff. BGB

Ausschlussgründe für die Anfechtung

Das BGB kennt verschiedene Ausschlussgründe für die Anfechtung. Dies sind insbesondere § 144 I BGB (Ausschluss der Anfechtung bei Bestätigung) und § 121 II BGB (Ausschluss der Anfechtung, wenn seit Abgabe der WE zehn Jahre verstrichen sind).

Wenn diese Ausschlussgründe – wie hier – offensichtlich nicht vorliegen, müssen Sie diese nicht „auf dem Papier“ prüfen. Sie sollten die Ausschlussgründe aber kennen und jedenfalls im Rahmen Ihrer „Prüfung im Kopf“ durchgehen.

Wie werden Willenserklärungen gegenüber Anwesenden grds. wirksam? Warum wurde dazu hier nichts ausgeführt?

  • § 130 BGB regelt das Wirksamwerden von Willenserklärungen gegenüber Abwesenden.

  • Eine Erklärung wird mit Zugang wirksam, also wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt und unter gewöhnlichen Umstanden mit Kenntnisnahme zu rechnen ist

  • Zweck der Norm ist aber eine Risikoverteilung: wer soll das Risiko von Übermittlungsfehlern tragen. Das ist bei Erklärungen unter Anwesenden genauso relevant.

  • Daher ist § 130 BGB gegenüber Anwesenden analog anzuwenden.

  • Bei nicht verkörperten Erklärungen kommt es auf die Vernehmung an. Dabei kann grds, auch zwischen Machtbereich und Erwartbarkeit der Kenntnisnahme getrennt werden, zB bei einer codierten Erklärung, die zunächst vernommen und dann noch entschlüsselt werden muss.

    Aber: wenn es keinerlei Übermittlungsprobleme gibt und das Gesagte richtig verstanden wurde, ist es nicht zielführend, dazu viel zu schreiben. Es ist gut vertretbar, die Vernehmung und Erwartbarkeit der Kenntnisnahme dann wegzulassen und nur auf die tatsächliche Kenntnisnahme abzustellen.

Aufbau: Prüfungsstandort der Anfechtung

Hier gibt es zwei vertretbare Aufbauten.

Vorliegend wird zunächst der „Abschluss“ des Kaufvertrags als 1. geprüft. Auf derselben Gliederungsebene folgt unter 2. „Keine Nichtigkeit, § 142 I BGB“. Dieser Aufbau impliziert, dass das Rechtsgeschäft, das nach § 142 I BGB als nichtig anzusehen ist, der Vertrag ist.

Vertretbar ist es aber auch anzunehmen, Rechtsgeschäft i.S.d. § 142 I BGB meint die Willenserklärung. Auf das Ergebnis hat das keinen Einfluss, aber auf den Aufbau. Die Anfechtung wäre dann direkt nach der Annahme des S zu prüfen, also auf Ebene der Willenserklärung und innerhalb der Prüfung des Abschlusses des Kaufvertrags.

    Kaufvertrag

  1. Antrag der A

    • Erklärung, § 133, 157 BGB

    • keine Nichtigkeit des Antrags, § 142 BGB

    je nach Ergebnis

  2. Annahme oder bereits Antrag (-)

    durch Preisanfrage

Vertiefung und Wiederholung: Video Themenschwerpunkte im Anspruchsaufbau

Kausalität und objektive Erheblichkeit im Sinne des § 119 I BGB

Die Voraussetzungen der Kausalität (subjektive Erheblichkeit) und der objektiven Erheblichkeit ergeben sich aus dem Wortlaut des § 119 I BGB.

Kausalität im Sinne von conditio sine qua non ist umschrieben mit „wenn anzunehmen ist, dass er sie [die Willenserklärung] bei Kenntnis der Sachlage […] nicht abgegeben haben würde“. Der Irrtum muss also ursächlich sein für die Abgabe der Erklärung. Andernfalls ist die Willensentschließungsfreiheit des Erklärenden nicht betroffen und er ist nicht schutzwürdig und soll nicht anfechten können.

Objektive Erheblichkeit ergibt sich aus „bei verständiger Würdigung des Falles“. Der Schutz des Anfechtenden soll nämlich nicht demjenigen zugute kommen, der auch ohne den Irrtum eine irrationale Entscheidung getroffen hätte. Eine verständige Würdigung des Falls fordert eine Würdigung „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“. Der Irrtum ist daher nicht objektiv erheblich, wenn der Erklärende auch ohne den Irrtum eine Erklärung abgegeben hätte, die eine besonnene Durchschnittsperson so nicht abgegeben hätte. An der objektiven Erheblichkeit wird es sehr selten scheitern.

Zum Beispiel wäre es nicht objektiv erheblich, wenn eine Willenserklärung hinsichtlich eines Kaufvertrags einen Preis von 1.000.001,10 € enthält, der Erklärende aber anfechten will, weil er 1.000.000,01 € erklären wollte.

Ein weiteres Beispiel wäre ein Hotelgast, der Zimmer Nr. 31 buchen möchte und aus Versehen "Nr. 13" sagt. Weil er 13 für eine Unglückszahl hält, möchte er trotz der Gleichwertigkeit der Zimmer seine Erklärung anfechten, als er seinen Fehler bemerkt. In diesem Fall ist der Irrtum zwar kausal, jedoch scheitert es an der objektiven Erheblichkeit, weil ein verständiger Mensch sich an der Nr. 13 nicht gestört hätte.