Jens Gerlach Kommunalrecht (Hessen): Übungsfälle Licensed under CC-BY-4.0

Übungsfall 2: Weihnachtsmarkt

Fortsetzungsfeststellungsklage in der Verpflichtungssituation, Zugang zu öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde, Kapazitätserschöpfung, ermessensfehlerfreie Auswahl, Verteilungskriterium “bekannt und bewährt”

Sachverhalt

Die Stadt Gießen veranstaltet jährlich einen Weihnachtsmarkt auf dem P-Platz. Der Weihnachtsmarkt ist nicht im Sinne von § 69 GewO festgesetzt. Die Stadtverordnetenversammlung hat aber vor einigen Jahren eine Satzung erlassen, in der sie nähere Bestimmungen über den Weihnachtsmarkt getroffen hat. Hieraus ergibt sich unter anderem, dass der Weihnachtsmarkt in der Adventszeit auf dem P-Platz unter vollständiger Ausnutzung des dort verfügbaren Platzes stattfindet. Die Satzung bestimmt auch, welche Arten von Waren auf dem Weihnachtsmarkt angeboten werden dürfen, wie die Stände örtlich gelegen und zugeschnitten sein müssen und wie viele Stände mit welchen Arten von Waren auf dem Weihnachtsmarkt vertreten sein sollen. Schließlich ergibt sich aus der Satzung, dass im Fall der Kapazitätserschöpfung eine Auswahl im ersten Jahr nach zeitlicher Priorität der Antragseingänge und in den Folgejahren nach dem Kriterium „bekannt und bewährt“ erfolgen soll. Diese Regelung gründet in der Überlegung der Stadtverordnetenversammlung, den Besucherinnen und Besuchern jedes Jahr ein möglichst gleiches, vertrautes Bild des Weihnachtsmarktes zu bieten, und auf diejenigen Bewerber zu setzen, die sich in der Vergangenheit als geeignet erwiesen haben. Nachrangig soll auch in diesen Folgejahren das Prioritätsprinzip greifen. Über die Zulassung entscheidet laut der Satzung der Magistrat mittels Verwaltungsakts.

S wohnt zwar nicht in Gießen, betreibt in Gießen aber eine Gaststätte. Er möchte im Jahr 2022 erstmals einen Glühweinstand auf dem Gießener Weihnachtsmarkt betreiben. Er stellt im Sommer 2022 vor Ablauf der dafür vorgesehenen Frist einen Antrag beim Magistrat der Stadt Gießen darauf, auf Grundlage von § 20 HGO mit seinem Glühweinstand zum Weihnachtsmarkt zugelassen zu werden. Der Magistrat lehnt diesen Antrag unter Verweis auf eine Analogie zu § 70 Abs. 3 GewO mit der Begründung ab, alle fünf in der Satzung vorgesehenen Standplätze für Glühweinstände seien bereits an Bewerber vergeben worden, die in den Vorjahren identische Stände betrieben und sich als geeignet erwiesen hätten. S könne es aber gerne im nächsten Jahr wieder probieren; vielleicht springe einer der gegenwärtigen Standbetreiber dann mal ab. Das will S nicht hinnehmen. Er erhebt rechtzeitig Widerspruch beim Magistrat gegen die ablehnende Entscheidung, der aber erfolglos bleibt. Der Widerspruchsbescheid wird S am 5. Oktober 2022 zugestellt.

Am Montag, den 7. November 2022, erhebt S Klage gegen die Stadt Gießen auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt 2022 vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Er ist der Meinung, es sei willkürlich, die Zahl der Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt auf fünf zu begrenzen. Im Übrigen schließe sich an den P-Platz die S-Straße an, auf der weitere Kapazitäten für Standplätze geschaffen werden könnten. Jedenfalls aber könne es nicht sein, dass immer nur die gleichen Standbetreiber am Weihnachtsmarkt teilnehmen dürften.

Die Zeit vergeht und der Weihnachtsmarkt findet ohne einen Glühweinstand des S statt. Ende Januar 2023 erklärt S gegenüber dem Verwaltungsgericht, dass er dennoch an seiner Klage festhalte und eine gerichtliche Klärung wünsche, weil er sich für den Weihnachtsmarkt im Jahr 2023 erneut bewerben wolle und – was zutrifft – die Satzung bislang nicht rechtswirksam geändert worden sei.

Hat die Klage des S Aussicht auf Erfolg?

Lösungsvorschlag

Zulässigkeit

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Diese Vorschrift setzt zunächst eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit voraus. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht angehören, also einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen berechtigen und verpflichten (Sonderrechtslehre bzw. modifizierte Subjektstheorie). Die Beteiligten streiten vorliegend um die Zulassung des S als Standbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt. Da die Stadt Gießen den Weihnachtsmarkt nicht nach § 69 GewO festgesetzt hat, richtet sich der Streit nicht nach § 70 Abs. 1 GewO. Maßgeblich ist stattdessen § 20 HGO, der Einwohnern der Gemeinde und Gewerbetreibenden in der Gemeinde einen Anspruch auf Benutzung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde einräumt. § 20 HGO verpflichtet die Gemeinde und damit einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen. Die Vorschrift ist damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen.

Dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, bestätigt auch die Anwendung der Zwei-Stufen-Lehre. Stellt eine Gemeinde eine öffentliche Einrichtung bereit, leitet sich ein zumindest bedingtes Teilnahme- bzw. Benutzungsrecht aller oder bestimmter Privatrechtssubjekte an dieser öffentlichen Einrichtung schon aus dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (und für Gewerbetreibende aus der Berufsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG) ab. Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass die Entscheidung eines Trägers öffentlicher Gewalt über das Bestehen des Teilnahmerechts bzw. die Zulassung zur öffentlichen Einrichtung („Ob“ der Benutzung) stets dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Dass der Träger öffentlicher Gewalt bei der Entscheidung, ob er die Modalitäten („Wie“) der Benutzung, also das Benutzungsverhältnis öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet, einen Spielraum hat, betrifft erst eine nachgelagerte zweite Stufe, die auf die erste Stufe nicht zurückstrahlt.BVerwG, NJW 1990, 134 f.; VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 650 (651); Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 523, 526; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 121. Die Streitigkeit um die Zulassung des S als Standbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt ist nach alledem öffentlich-rechtlich.

Vertiefungshinweis zur Zwei-Stufen-Lehre

Die vorstehenden Ausführungen sollen verdeutlichen, dass es der Anwendung der Zwei-Stufen-Lehre in Fällen wie hier eigentlich nicht bedarf. Denn § 20 HGO verpflichtet ausschließlich die Gemeinde als solche und ist damit zweifelsfrei eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Der Verweis auf die Zwei-Stufen-Lehre ist somit nur eine Ergänzung der Begründung, die sich in der Klausur nur dann empfiehlt, wenn die Schwerpunktsetzung im Übrigen nicht darunter leidet.

Eher erforderlich ist eine ergänzende Begründung mit der Zwei-Stufen-Lehre, wenn die Gemeinde das Benutzungsverhältnis selbst (zweite Stufe) privatrechtlich ausgestaltet, also etwas selbst privatrechtliche Verträge über die Modalitäten der Standbenutzung abschließt oder gar ein rechtlich selbstständiges Privatrechtssubjekt wie eine GmbH mit der Durchführung dieser Verhältnisse beauftragt.Siehe dazu Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 120. Auch in diesen Fällen richtet sich der Zulassungsanspruch (erste Stufe) nach § 20 HGO, der ausschließlich die Gemeinde als solche verpflichtet. Es empfiehlt sich aber der Hinweis, dass sich am öffentlich-rechtlichen Charakter der Streitigkeit über die Zulassung (erste Stufe) nicht dadurch etwas ändert, dass das Benutzungsverhältnis (zweiten Stufe) privatrechtlich ausgestaltet ist.

Den höchsten Begründungsaufwand verursacht schließlich die Anwendung von § 70 Abs. 1 GewO für diejenigen Fällen, in denen die Stadt den Weihnachtsmarkt nach § 69 GewO festgesetzt hat. Denn § 70 Abs. 1 GewO verpflichtet öffentliche und private Veranstalter gleichermaßen und ist damit nicht ohne weitere Begründung dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Gerade hier kann die Zwei-Stufen-Lehre verdeutlichen, dass § 70 Abs. 1 GewO jedenfalls insoweit Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit ist, als er einen Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet und in diesem Umfang grundrechtliche Teilhaberechte einfachgesetzlich konkretisiert.

Da nicht Verfassungsorgane um Verfassungsrecht streiten, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Statthafte Rechtsschutzform

Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). S begehrte mit seiner Klage ursprünglich, dass das Verwaltungsgericht die Stadt Gießen dazu verpflichtet, ihn mit seinem Stand zum Weihnachtsmarkt auf dem P-Platz zuzulassen. Die Zulassung ergeht nach der Satzung über den Weihnachtsmarkt im Wege eines Verwaltungsakts im Sinne von § 35 S. 1 HVwVfG. Statthaft war daher eine Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO.

Die Zulassung sollte den Weihnachtsmarkt im Jahr 2022 betreffen. Nach dem Ende des Weihnachtsmarkts kann die Zulassung nicht mehr für die Vergangenheit erteilt werden. Damit hat sich zu diesem Zeitpunkt ein etwaiger Anspruch des S nach dem Gedanken des § 43 Abs. 2 HVwVfG durch Zeitablauf erledigt; eine Verpflichtung der Stadt Gießen war nicht mehr möglich (§ 275 Abs. 1 BGB). § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erfasst unmittelbar nur den Fall der Erledigung eines belastenden Verwaltungsakts nach Erhebung einer Anfechtungsklage. Da der Fall der Erledigung des Verpflichtungsbegehrens im Gesetz planwidrig nicht erfasst und die Interessenlage angesichts des von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG geschützten Rechtsschutzbedürfnisses vergleichbar ist, ist § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf die Verpflichtungssituation analog anzuwenden.Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 31 Rn. 38 f. Mit der Fortsetzungsfeststellungsklage kann der Rechtsschutzsuchende die Feststellung begehren, dass er im Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses den mit der Klage geltend gemachten Anspruch hatte.Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 31 Rn. 40. Einen hierauf gerichteten Antrag analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO hat S gegenüber dem Verwaltungsgericht Ende Januar 2023 bei verständiger Auslegung formuliert, wonach S an seiner Klage festhalte und eine gerichtliche Klärung wünsche. Statthaft ist somit die Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.

Vertiefungshinweis: Statthafte Rechtsschutzformen in anderen Konstellationen

In der Praxis wird S in aller Regel seinen Anspruch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgen, weil er sichergehen möchte, dass die Zulassungsentscheidung noch vor dem Beginn des Weihnachtsmarkts 2022 ergeht und über seine Verpflichtungsklage wohl frühestens nach einem Jahr entschieden wird. Statthaft im einstweiligen Rechtsschutz wäre ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO), weil S nicht um die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt streiten will und damit Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO keinen Vorrang (§ 123 Abs. 5 VwGO) entfalten können.

In bestimmten Fällen kann im Hauptsacheverfahren auch eine allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart sein. Die Gemeinde muss nämlich die öffentliche Einrichtung nicht zwingend selbst bereitstellen (als Regiebetrieb oder als Eigenbetrieb), sondern kann mit der Bereitstellung auch ein anderes, selbstständiges Rechtssubjekt beauftragen. Aus dem öffentlichen Recht kommen dazu in erster Linie ein Zweckverband oder eine Anstalt in Betracht, aus dem Privatrecht eine GmbH oder AG.Siehe zu den Möglichkeiten organisatorischer Ausgestaltung Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 507. Solange es sich bei der Einrichtung nach Maßgabe der Widmung immer noch um eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde im Sinne von § 19 HGO handelt,Dazu VGH Kassel, VerwRspr 1976, 64 (65 f.). richtet sich der Zulassungsanspruch der Einwohner, Grundbesitzer und Gewerbetreibenden nach § 20 HGO weiterhin gegen die Gemeinde (nur die Gemeinde ist anspruchsverpflichtet, nur gegen sie kann eine Klage begründet sein). Über die Zulassung entscheidet dann aber möglicherweise unmittelbar das selbstständige Rechtssubjekt. Daher richtet sich der Anspruch gegen die Gemeinde in solchen Fällen nicht auf Zulassung mittels eines Verwaltungsakts, sondern darauf, dass die Gemeinde auf das selbstständige Rechtssubjekt dahingehend einwirkt, dass dieses Rechtssubjekt den Kläger zulässt.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 527; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 121. Der Zulassungsanspruch wandelt sich in solchen Fällen also in einen Verschaffungs- bzw. Einwirkungsanspruch um, der mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen ist, da S keinen Verwaltungsakt der Gemeinde ihm gegenüber begehrt.

Zulässigkeit der ursprünglich erhobenen Verpflichtungsklage

Da es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage um eine fortgesetzte Verpflichtungsklage handelt und aus einer vormals unzulässigen Verpflichtungsklage allein wegen der Erledigung des Verwaltungsakts keine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage werden kann, sind die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der ursprünglich erhobenen Verpflichtungsklage zu prüfen.

Klagebefugnis

Da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, muss S muss geltend gemacht haben, durch die Unterlassung der Zulassung zum Weihnachtsmarkt in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Es muss also möglich, das heißt nicht offenkundig ausgeschlossen gewesen sein, dass B einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt hatte. Aus § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO ergibt sich, dass Gewerbetreibende, die nicht in der Gemeinde wohnen, in gleicher Weise berechtigt sind, die öffentlichen Einrichtungen zu benutzen, die in der Gemeinde für Gewerbetreibende bestehen. Es war nicht offenkundig ausgeschlossen und damit möglich, dass dieser Anspruch begründet war. Eine Verletzung des S in eigenen Rechten war daher möglich. S war klagebefugt.

Ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführtes Vorverfahren

Da keine Ausnahme nach § 16a Abs. 1 HessAGVwGO i.V.m. der Anlage einschlägig ist, war vor Erhebung der Verpflichtungsklage nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO die Ablehnung des Antrags auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dieses Vorverfahren muss ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt worden sein. S hatte im Sinne von § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO den Widerspruch innerhalb eines Monats schriftlich beim Magistrat der Stadt Gießen und damit bei derjenigen Behörde erhoben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Magistrat hatte den Widerspruch zurückgewiesen. Das Vorverfahren wurde damit ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt.

Klagefrist

Die Klage war gemäß § 74 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids zu erheben. Der Widerspruchsbescheid wurde S am 5. Oktober 2022 zugestellt. Damit wurde die Widerspruchsfrist ausgelöst, die nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB an sich mit dem Ablauf des 5. November 2022 endete. Da es sich beim 5. November aber um einen Sonnabend und beim 6. November um einen Sonntag handelte, endete die Frist nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO erst am nächsten Werktag und damit am Montag, den 7. November 2022. S hat seine Klage am 7. November 2022 damit fristgerecht erhoben.

Richtiger Klagegegner

S hat die Klage nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zurecht gegen die Stadt Gießen als Rechtsträgerin des Magistrats gerichtet, der den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.

Beteiligungs- und Prozessfähigkeit

Der Kläger S ist als natürliche und nach dem bürgerlichen Recht geschäftsfähige Person (§§ 2, 104 ff. BGB) nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO beteiligungsfähig und nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Klagegegnerin, die Stadt Gießen, ist als juristische Person (§ 1 Abs. 2 HGO) nach § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO beteiligungsfähig und lässt sich im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 71 Abs. 1 S. 1 HGO durch den Magistrat vertreten.

Zuständigkeit des Gerichts

Das Verwaltungsgericht Gießen ist gemäß §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 HessAGVwGO zuständig.

Rechtsschutzbedürfnis

Dem S fehlte es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine stattgebende Entscheidung des Gerichts seine rechtliche Stellung nicht hätte verbessern können oder er auf andere Weise einfacher und schneller zu seinem Ziel gekommen wäre. Die Klage konnte jedenfalls dann keine rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile bringen, wenn die Zulassung zum Weihnachtsmarkt aus materiell-rechtlichen oder prozessualen Gründen unmöglich war (§ 275 Abs. 1 BGB). Das ist hier denkbar, weil S die Zulassung zu einem Markt begehrt hat, dessen Kapazitäten bereits ausgeschöpft waren. Damit stellt sich die Frage, ob der Kläger in Fällen wie hier, in denen nur ein begrenztes und bereits verteiltes Kontingent an Gütern zur Verfügung steht, neben der Verpflichtungsklage zusätzlich eine Anfechtungsklage gegen die Begünstigung des Konkurrenten erheben muss, um den Konkurrenten aus seiner Rechtsposition zu verdrängen und so einen freien Platz zu schaffen. Diese Frage ist differenziert zu beantworten.

Vertiefungshinweis zu Konkurrentenklagen

Zu unterscheiden sind drei verschiedene Formen von Konkurrentenklagen:

  • die defensive Konkurrentenklage, mit der nur die Begünstigung des Konkurrenten beseitigt werden soll (Beispiel: Anfechtung einer Subvention für den Konkurrenten)

  • die offensive Konkurrentenklage, mit der eine Begünstigung begehrt wird, ohne dass es der Verdrängung eines bereits begünstigten Konkurrenten bedarf

  • die Konkurrentenverdrängungsklage, mit der eine Begünstigung begehrt wird und dafür ein Konkurrent aus seiner Rechtsposition verdrängt werden muss

Jedenfalls dann, wenn die konkurrierenden Begünstigungen gegenüber dem abgelehnten Bewerber im Sinne von § 41 HVwVfG bekanntgegeben worden sind, können die Zulassungsbescheide auch gegenüber dem abgelehnten Bewerber in Bestandskraft erwachsen und ihn binden (vgl. § 43 Abs. 2 HVwVfG). Da das Institut der Bestandskraft Rechtssicherheit gewährleisten soll, kommt in solchen Fällen nicht mehr in Betracht, die Begünstigung des Konkurrenten infrage zu stellen, selbst wenn die Verteilung materiell rechtswidrig sein sollte. Um diese Bindungswirkung zu verhindern, muss der Kläger in dieser Situation daher zusätzlich die Begünstigung des oder der Konkurrenten anfechten. Hier sind S gegenüber keine positiven Zulassungsentscheidungen für die Konkurrenten bekannt gegeben worden, sodass sich aus diesem Gesichtspunkt keine Obliegenheit des S ableiten ließ, zusätzlich eine Anfechtungsklage zu erheben.

Entbehrlich ist eine zusätzliche Anfechtungsklage mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG jedenfalls dann, wenn ihre Erhebung dem Kläger im Einzelfall nicht zumutbar ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Betroffene eine Vielzahl an Zulassungen von Konkurrenten anfechten müsste oder die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklagen nicht hinreichend abschätzen kann, also „ins Blaue hinein“ anfechten und ein ihm nicht einschätzbares Prozessrisiko eingehen müsste.VGH München, NVwZ-RR 2016, 39 (40 f.). Insbesondere ist der abgelehnte Bewerber häufig nicht in der Lage, denjenigen begünstigten Konkurrenten auszumachen, der ihm gegenüber ermessensfehlerhaft den Vorzug erhalten hat. Hier kennt S die Zahl und Namen der begünstigten fünf Konkurrenten. Da er auch das Auswahlkriterium kennt, anhand dessen die Auswahl dieser Konkurrenten erfolgt ist, kann er auch die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage hinreichend abschätzen. Die konkurrierenden Zulassungen anzufechten, erscheint daher nicht von vornherein unzumutbar.

Jenseits dieser Extremfälle ist allerdings systematisch zu berücksichtigen, dass der Träger öffentlicher Gewalt Begünstigungen in Form eines Verwaltungsakts selbst im Fall der Bestandskraft nach §§ 48, 49 HVwVfG noch aufheben und in Form eines Vertrags kündigen oder die Erfüllung verweigern und Schadensersatz leisten kann. Daher steht einer Begünstigung des erfolgreichen Verpflichtungskläger in aller Regel keine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB entgegen.So BVerfG (K), NJW 2002, 3691 (3692); VGH Kassel, BeckRS 2019, 13372 (Rn. 37). Im Übrigen leuchtet nicht ein, warum die isolierte Verpflichtungsklage nur dann genügen sollte, wenn die Anfechtung von konkurrierenden Zulassungsbescheiden unzumutbar erscheint. Denn ein Platz für den Kläger ist in beiden Fällen gleichermaßen zunächst einmal nicht frei. Insgesamt erscheint es daher sachgerecht, grundsätzlich eine isolierte Verpflichtungsklage genügen zu lassen.VGH Kassel, BeckRS 2019, 13372 (Rn. 37); Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 78; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 15 Rn. 7; a.A. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2010, 208; Ehlers, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht I, 4. Aufl. 2019, § 18 Rn. 89.

Dem S fehlte damit nicht das Rechtsschutzbedürfnis aus dem Grund, dass er nicht zusätzlich eine Anfechtungsklage gegen die konkurrierenden Zulassungen erhoben hatte.

Zwischenergebnis

Die von S ursprünglich erhobene Verpflichtungsklage war zulässig.

Berechtigtes Interesse an der Feststellung

Analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO muss S für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass das erledigte Verpflichtungsbegehren begründet war. Grundsätzlich genügt hierfür jedes nach vernünftigen Erwägungen nach Lage des Falles anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlich oder auch ideeller Art. Die gerichtliche Entscheidung muss geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern.Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 31 Rn. 69. Fallgruppen, in denen diese Voraussetzungen erfüllt sind, sind insbesondere ein Präjudizinteresse, eine Wiederholungsgefahr, ein Rehabilitationsinteresse und sich typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakte.Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 31 Rn. 73 ff.

Eine Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die angestrebte Klärung als Richtschnur für künftiges Verhalten von Bedeutung ist. S will sich auch für den Weihnachtsmarkt im Jahr 2023 bewerben. Angesichts der Bestimmungen über die Vergabekriterien in der Satzung für den Weihnachtsmarkt, die bislang nicht rechtswirksam geändert worden sind, erscheint es sehr wahrscheinlich, dass das Begehren des S mit denselben Gründen abgelehnt werden wird wie im Jahr 2022. Die hier angestrebte Feststellung dürfte damit als Richtschnur für das zukünftige Verhalten dienen. Das berechtigte Interesse an der Feststellung liegt damit in der Wiederholungsgefahr.

Zwischenergebnis

Die Klage des S ist zulässig.

Begründetheit

Analog § 113 Abs. 1 S. 4 i.V.m. Abs. 5 S. 1 VwGO ist die Fortsetzungsfeststellungsklage begründet, soweit die Ablehnung des Antrags auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt rechtswidrig, S dadurch in seinen Rechten verletzt und die Sache spruchreif war. Das ist der Fall, soweit S einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt hatte. Teilweise ist die Klage analog § 113 Abs. 1 S. 4 i.V.m. Abs. 5 S. 2 VwGO begründet, soweit zwar die Sache nicht spruchreif („andernfalls“), die Ablehnung der Zulassung zum Weihnachtsmarkt aber rechtswidrig und S dadurch in seinen Rechten verletzt war. Das ist der Fall, soweit S einen fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung hatte.

Klausurhinweis: Obersatz und Aufbau der Begründetheit

Der Obersatz der Fortsetzungsfeststellungsklage unterscheidet sich vom Obersatz der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nur dadurch, dass die Voraussetzungen in der Vergangenheitsform stehen. Anders, als § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO suggeriert, genügt es in der Anfechtungssituation nicht, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war. Das Erfordernis der Rechtsverletzung ist auch hier zu prüfen.

Es empfiehlt sich, den Obersatz der Verpflichtungsklage stets vollständig aus beiden Sätzen des § 113 Abs. 5 VwGO abzuleiten und sodann im Anspruchsaufbau zweistufig zu prüfen (I. und II.). Dieser Aufbau ist einfacher und weniger fehleranfällig. Mit Blick auf den Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts, der die Klage nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO vollständig begründet, spielen nämlich formelle Rechtsfehler und Ermessensfehler bei der Ablehnung keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und ein etwaiges Ermessen auf Null reduziert ist (prozessual: Spruchreife). Erst, wenn festgestellt ist, dass das Ermessen nicht auf Null reduziert ist, ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts damit nicht besteht und die Klage insofern nicht vollständig begründet ist, ist dann unter II. auf den fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung einzugehen. Dieser setzt dann voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und der Klagegegner den Anspruch rechtswidrig nicht erfüllt hat, also formell rechtswidrig oder ermessensfehlerhaft gehandelt hat. Die Klage ist dann teilweise begründet.Siehe zum Aufbau der Begründetheit der Verpflichtungsklage näher Ehlers, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 28 Rn. 53 ff.

Nicht falsch, aber im Gutachtenaufbau doch unschön ist es, wenn der zweite Teil des Obersatzes der Begründetheit, der sich aus § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO ableitet, erst zwischen I. und II. genannt wird. Stattdessen sollte der vollständige Obersatz am Beginn der Begründetheit stehen, auch wenn zu einem Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung später keine Stellung mehr genommen werden muss, weil der Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts die Klage schon vollständig begründet.

Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt

Zu prüfen ist damit zunächst, ob S einen Anspruch gegen die Stadt Gießen auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt hatte.

Anspruchsgrundlage

Grundlage eines Anspruchs des S war möglicherweise § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO.

Anspruchsvoraussetzungen

Nach § 20 Abs. 1 HGO sind die Einwohner der Gemeinden im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. § 20 Abs. 2 HGO erstreckt diesen Anspruch auf Grundbesitzer und Gewerbetreibende, die nicht in der Gemeinde wohnen, hinsichtlich solcher öffentlichen Einrichtungen, die in der Gemeinde für Grundbesitzer und Gewerbetreibende bestehen.

Klausurhinweis zu den Anspruchsvoraussetzungen

Die formelle Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt ist keine Voraussetzung für den Anspruch auf Zulassung und muss daher nachfolgend nicht geprüft werden. Das zeigt die Kontrollüberlegung, dass S auch dann einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt haben könnte, wenn der Magistrat der Stadt Gießen auf seinen Antrag einfach gar nicht reagiert hätte. Auch dann wäre eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Die formelle Rechtmäßigkeit der Ablehnung wird später, bei der Prüfung des fortbestehenden Anspruchs auf rechtsfehlerfreie Entscheidung unter II. relevant, nachdem festgestellt worden ist, dass S keinen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt hat. Dort kommt es tatsächlich auf das bisherige Verhalten des Magistrats an (siehe dazu oben den Vertiefungshinweis unter dem Obersatz zur Begründetheit).

Öffentliche Einrichtung

§ 20 Abs. 1 HGO setzt eine öffentliche Einrichtung voraus. Öffentliche Einrichtungen sind Personen- und Sachgesamtheiten, welche die Gemeinde der Öffentlichkeit gewidmet, das heißt der gesamten Einwohnerschaft oder doch einem dafür in Betracht kommenden Teil derart zur Verfügung gestellt hat, dass dem Einzelnen ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf die Zulassung zur Benutzung zusteht.

Vertiefungshinweis zur Widmung

Die Widmung ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung mit dem Erklärungsgehalt, eine Personen- oder Sachgesamtheit einer Personengruppe (z.B. Einwohner) zu einer bestimmten Nutzung zur Verfügung zu stellen. Fehlt es an einem ausdrücklichen Widmungsakt, ist das gemeindliche Verhalten analog §§ 133, 157 BGB daraufhin auszulegen, ob es eine solche Willenserklärung begründet.Vgl. Ruffert, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2022, § 21 Rn. 15. Eine bestimmte Handlungsform ist für die Widmung nicht vorgeschrieben. Möglich sind damit ein Verwaltungsakt (als Allgemeinverfügung i.S.v. § 35 S. 2 HVwVfG, der nach § 37 Abs. 2 S. 1 HVwVfG auch formlos möglich ist), eine Satzung wie im vorliegenden Fall, ein einfacher Ratsbeschluss oder auch eine sog. schlichte Bereitstellung, das heißt ein tatsächliches Verhalten mit Blick auf die zu widmende Sache, dem ein Erklärungswert mit dem Inhalt der Zurverfügungstellung entnommen werden kann.

Bei einem Weihnachtsmarkt handelt es sich um eine solche Personen- und Sachgesamtheit. Der Weihnachtsmarkt der Stadt Gießen ist mit der Satzung für den Weihnachtsmarkt auch in der Weise der Öffentlichkeit gewidmet, dass er jedenfalls der Einwohnerschaft zum Besuch zur Verfügung gestellt ist. Bei dem Weihnachtsmarkt handelt es sich damit um eine öffentliche Einrichtung im Sinne von § 20 HGO. Grundlage für einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt war daher § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO.

Vertiefungshinweis: Weitere Beispiele öffentlicher Einrichtungen

§ 19 Abs. 1 HGO spricht von öffentlichen Einrichtungen wirtschaftlicher, sozialer, sportlicher und kultureller Art. Typische Beispiele für öffentliche Einrichtungen sind Schulen, Kindergärten, Museen, Ausstellungen, Bibliotheken, Theater, Sportplätze, Schwimmbäder, Stadthallen, Parks, Parkplätze, Friedhöfe, Anschlagtafeln, Werbeflächen, die Müllabfuhr, die Feuerwehr, Krankenhäuser und Verkehrs- und Versorgungsbetriebe.

Anspruchsberechtigung des S

Anspruchsberechtigt ist nach § 20 Abs. 1 HGO jeder Einwohner der Gemeinde, nach § 20 Abs. 2 HGO zusätzlich auch jeder Grundbesitzer und Gewerbetreibender, die ihren Grundbesitz oder ihr Gewerbe in der Gemeinde haben,Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 121. hinsichtlich solcher öffentlichen Einrichtungen, die in der Gemeinde für Grundbesitzer und Gewerbetreibende bestehen.

Einwohner ist nach § 8 Abs. 1 HGO, wer in der Gemeinde seinen Wohnsitz hat. Das ist bei S nicht der Fall. S betreibt aber in Gießen eine Gaststätte und ist damit dort Gewerbetreibender. Die Widmung sieht verschiedene zu betreibende Stände auf dem Weihnachtsmarkt vor. Die öffentliche Einrichtung Weihnachtsmarkt soll damit unter anderem für Gaststättengewerbetreibende wie S offenstehen. S war daher anspruchsberechtigt.

Anspruchsverpflichtung der Stadt Gießen

Der Weihnachtsmarkt ist eine öffentliche Einrichtung der Stadt Gießen. Damit wurde die Stadt Gießen aus einem etwaigen Anspruch des S auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt nach § 20 HGO verpflichtet (sie war passiv legitimiert).

Klausurhinweis zur Prüfung der Anspruchsverpflichtung

Wie oben bei der statthaften Rechtsschutzform dargelegt, wäre die Stadt Gießen auch dann aus dem Zulassungsanspruch aus § 20 HGO verpflichtet, wenn es sich zwar nach Maßgabe der Widmung noch um ihre öffentliche Einrichtung handelt, sie mit der Bereitstellung der öffentlichen Einrichtung aber ein selbstständiges Rechtssubjekt beauftragt hat. Der Anspruch gegen die Gemeinde wäre dann allerdings nicht auf Zulassung, sondern auf Verschaffung der Zulassung bzw. auf Einwirkung auf das selbstständige Rechtssubjekt gerichtet. Eine Klage auf Zulassung unmittelbar gegen das selbstständige Rechtssubjekt wäre jedenfalls dann mangels Anspruchsgrundlage unbegründet, wenn das selbstständige Rechtssubjekt dem Privatrecht angehört und nicht grundrechtsgebunden ist; dann scheidet ein Teilhabeanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG aus.

Benutzung im Rahmen der bestehenden Vorschriften

Das Benutzungsrecht gilt inhaltlich nur „im Rahmen der bestehenden Vorschriften“. Dazu gehören insbesondere die Vorgaben der Widmung, hier also der Satzung für den Weihnachtsmarkt. Diese Satzung legt die zuzulassenden Anbietergruppen genau fest, um den Charakter als Weihnachtsmarkt zu gewährleisten. S gehört als Anbieter von Glühwein jedenfalls zu denjenigen Anbietergruppen, denen die Stadt Gießen in der Satzung für den Weihnachtsmarkt das Teilnahmerecht grundsätzlich zuspricht. Damit lag die von S begehrten Benutzung des Weihnachtsmarkts im Rahmen der bestehenden Vorschriften.

Vertiefungshinweis: Ansprüche auf Zulassung von Sonderbenutzungen

Liegt entweder keine Anspruchsberechtigung vor oder überschreitet die begehrte Benutzung der öffentlichen Einrichtung den Rahmen der bestehenden Vorschriften, insbesondere den Widmungsrahmen, steht eine sog. Sonderbenutzung im Raum. Ein Beispiel ist die Veranstaltung einer Unternehmensfeier in einem Theatersaal, wenn die Widmung eine solche Veranstaltung eigentlich nicht vorsieht. Die Voraussetzungen von § 20 HGO sind in diesen Fällen nicht erfüllt, sodass es einer anderen Anspruchsgrundlage bedarf.

In Betracht kommt Art. 3 Abs. 1 GG, der als Teilhaberecht (immerhin und nur) einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Benutzung begründet. Dieser Anspruch kann sich zu einem Anspruch auf Zulassung verdichten, wenn das Ermessen durch die Verwaltungspraxis auf Null reduziert ist, wenn also die Widmung einen erweiterten Kreis von Anspruchsberechtigten vorsieht oder die Einrichtung sachlich tatsächlich über den ausdrücklich gezogenen Widmungsrahmen hinaus benutzt wird.Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 16 Rn. 40 ff.

Parteien können ihren Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen – namentlich vor allem Veranstaltungsräumen in Stadthallen – auf § 5 Abs. 1 ParteienG i.V.m Art. 21 Abs. 1 GG stützen. Auch dieser Anspruch ist nur auf Gleichbehandlung gerichtet. Das bedeutet: Verlangt ist eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, wobei das Ermessen wegen des Gleichbehandlungsgebots auf Null reduziert sein kann, wenn die Gemeinde die Stadthalle anderen Parteien für vergleichbare Veranstaltungen zur Verfügung stellt und damit eine Verwaltungspraxis pflegt.Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 122; Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 16 Rn. 47.

Spezieller Benutzungsansprüche ergeben sich darüber hinaus aus § 22 PBefG, §§ 18, 36 Abs. 1 EnWG, §§ 7 f. FStrG und §§ 14, 16 HStrG.

Kein Ausschluss des Zulassungsanspruchs analog § 70 Abs. 3 GewO

Möglicherweise war der Anspruch des S auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt aber analog § 70 Abs. 3 GewO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann der der Veranstalter aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller, Anbieter oder Besucher von der Teilnahme ausschließen.

Begründung der analogen Anwendung von § 70 Abs. 3 GewO

§ 70 Abs. 3 GewO ist unmittelbar nur auf Veranstaltungen anwendbar, die nach § 69 GewO gewerberechtlich festgesetzt sind. Das ist beim Weihnachtsmarkt der Stadt Gießen nicht der Fall. Denkbar ist aber eine analoge Anwendung, die eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraussetzt.

§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO gewährt an sich einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt. Die Vorschrift eröffnet dem Wortlaut nach kein Ermessen und enthält auch keinen Ausschlussgrund. Allerdings ist die Zulassung aller Bewerber mit den vorhandenen Kapazitäten tatsächlich unmöglich, wenn die vorhandene Kapazität nicht für alle Bewerber ausreicht. Dieser Gedanke folgt aber verallgemeinerungsfähig aus § 275 Abs. 1 BGB. Dass § 20 HGO keinen entsprechenden Anspruchsausschluss vorsieht, obwohl die Gemeinde nicht zu etwas Unmöglichem verpflichtet werden kann, erscheint als planwidrige Regelungslücke. Die Interessenlage ist beim festgesetzten und nicht festgesetzten Markt insoweit identisch und damit vergleichbar. § 70 Abs. 3 GewO ist daher analog anzuwenden.VG Darmstadt, BeckRS 2016, 48655. Dass die Überlegungen zu § 70 Abs. 3 GewO auf den kommunalrechtlichen Zulassungsanspruch zu übertragen sind, ist soweit ersichtlich nicht zweifelhaft (s. etwa auch Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 515; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 124). Kaum jemand verhält sich aber dazu, wie sich dieses Ergebnis methodisch umsetzen lässt. Die Lösung des VG Darmstadt mit einer Analogie zu § 70 Abs. 3 GewO erscheint plausibel.

Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes

Voraussetzung für einen Ausschluss des S von der Teilnahme war also jedenfalls ein sachlich gerechtfertigter Grund. In Betracht kommt vorliegend nur das Regelbeispiel des § 70 Abs. 3 GewO, wonach der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht. Legt man zugrunde, dass fünf Glühweinstände betrieben werden sollten und schon fünf Bewerber zugelassen waren, war die Voraussetzung einer solchen Kapazitätserschöpfung vorliegend erfüllt.

Vertiefungshinweis zum Zeitpunkt für die Feststellung der Kapazitätserschöpfung

Die Kapazität muss nicht schon im Zeitpunkt der ablehnenden Behördenentscheidung tatsächlich erschöpft sein. Es genügt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung damit zu rechnen ist, dass sich eine die Kapazität der Einrichtung übersteigende Zahl an Kandidaten bewerben wird.

Denkbar wäre allein, die Kapazität mit den Argumenten des S nicht für erschöpft zu halten, es sei willkürlich, die Zahl der Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt auf fünf zu begrenzen, und auf der angrenzenden S-Straße könnten weitere Kapazitäten für Standplätze geschaffen werden. Allerdings trägt der Veranstalter das wirtschaftliche Risiko der Veranstaltung und darf daher grundsätzlich selbst entscheiden, welche Kapazität er schafft. § 19 Abs. 1 HGO deutet das dadurch an, dass er die Aufgabe der Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen unter den Vorbehalt der Leistungsfähigkeit der Gemeinde stellt. Anspruchsberechtigte können daher zwar verlangen, dass die vorhandene Kapazität ausgeschöpft wird, nicht aber, dass bestehende Kapazitäten erweitert oder überhaupt öffentliche Einrichtung geschaffen werden.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 503. Auch die Frage, wie der vorhandene Platz verteilt wird, wie also die Stände der Größe und der angebotenen Waren nach aufgeteilt wird, liegt im Gestaltungsspielraum des Veranstalters.VG Darmstadt, BeckRS 2016, 48655. Mit Blick auf gewerberechtlich festgesetzte Veranstaltungen s. VGH Kassel, NVwZ-RR 1993, 548; VGH München, NVwZ-RR 2003, 837; Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 38. Ob aus Sicht der Teilnehmer eine andere Platzkonzeption effizienter wäre, spielt daher keine Rolle. Die Argumente des S waren daher nicht geeignet, die Kapazitätserschöpfung und damit das Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes infrage zu stellen.

Damit lag ein sachlich gerechtfertigter Grund für einen Ausschluss des S von der Teilnahme vor.

Keine Ermessensreduzierung zugunsten des S auf Null

Ist der Anspruch auf Zulassung allerdings gerade wegen Kapazitätserschöpfung an sich ausgeschlossen, war wegen der Bindung der Stadt Gießen an den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz eine Auswahlentscheidung anhand rechtlich zulässiger Kriterien erforderlich. Der Zulassungsanspruch fällt daher nicht ersatzlos weg, sondern wandelt sich um in einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung.Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 515, 519; Lange/Schöndorf-Haubold, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 10. Aufl. 2022, § 4 Rn. 124. Zu § 70 Abs. 3 GewO BVerwG, BeckRS 2011, 52577 (Rn. 5).

Vertiefungshinweis zum Anspruch auf rechtfehlerfreie Auswahlentscheidung

Diese Umwandlung des Anspruchs kommt weder in § 20 HGO noch in § 70 Abs. 3 GewO unmittelbar zum Ausdruck, lässt sich aber mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG begründen. Ausdrücklich findet sich eine entsprechende Regelung in § 16a Abs. 4 HStrG, wo es um die Verteilung von Sondernutzungserlaubnissen für stationsbasiertes Carsharing auf begrenztem öffentlichen Raum geht.

Auf dieser Grundlage kommt ein Anspruch auf Zulassung immerhin in denjenigen Ausnahmefällen in Betracht, in denen das Ermessen zugunsten des Anspruchsstellers auf Null reduziert ist.VG Darmstadt, BeckRS 2016, 48655; Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 76. S musste hier also verlangen können, dass jedenfalls er – und dafür ein anderer Bewerber nicht – zugelassen wird.

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Gießen hat in der Satzung für den Weihnachtsmarkt festgelegt, dass im Fall der Kapazitätserschöpfung im ersten Jahr eine Auswahl nach zeitlicher Priorität der Antragseingänge und in den Folgejahren nach dem Kriterium „bekannt und bewährt“ erfolgen soll.

Unterstellt man die Rechtmäßigkeit dieser Auswahlkriterien, konnte S als Neuling weder als bekannt noch als bewährt bewertet werden. Das Ermessen des Magistrats war bei einem Vergleich mit den anderen fünf, schon zugelassenen Bewerbern auf dieser Grundlage nicht zugunsten des S auf Null reduziert.

Unterstellt man indessen die Rechtswidrigkeit der angewandten Auswahlkriterien, ist offen, nach welchen Kriterien die Auswahl sonst zu vollziehen gewesen wäre. Das nachrangig festgelegte Kriterium der zeitlichen Priorität der Antragseingänge betrifft Fälle, in denen die Anwendung der Kriterien „bekannt und bewährt“ nicht zu einer Vergabe aller zu vergebenden Standplätze führt, weil sich etwa ein Standbetreiber aus dem Vorjahr nicht bewährt hat oder in diesem Jahr nicht teilnehmen möchte. Die Stadtverordnetenversammlung hat sich demgegenüber nicht dahingehend festgelegt, dass zeitliche Priorität dasjenige Auswahlkriterium sein soll, das greift, wenn sich ihre übrige Vergabepraxis rechtswidrig erweisen sollte. Neben dem Kriterium der zeitlichen Priorität kamen namentlich Kriterien wie die besondere Anziehungskraft des von einem Bewerber betriebenen Standes, das Kriterium „neu vor alt“, das Zufallsprinzip (Losverfahren), eine Versteigerung, oder ein Rotationsprinzip in Betracht.Ehlers, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht I, 4. Aufl. 2019, § 18 Rn. 86 und Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 40 ff., jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Nach keinem dieser Kriterien, erst nicht nach allen in Betracht kommenden Kriterien erschien das Ermessen hier zugunsten des S auf Null reduziert.

Damit war das Ermessen – ungeachtet einer möglichen Rechtswidrigkeit der tatsächlich angewandten Auswahlkriterien – nicht zugunsten des S auf Null reduziert.

Zwischenergebnis

Der Anspruch des S auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO war analog § 70 Abs. 3 GewO wegen Kapazitätserschöpfung ausgeschlossen.

Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt waren nicht erfüllt.

Zwischenergebnis

S hatte keinen Anspruch auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt.

Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung

Möglicherweise hatte S aber einen fortbestehenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung über seinen Antrag auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt. Anspruchsgrundlage war auch dafür § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO, dessen Voraussetzungen erfüllt waren bis auf das Fehlen eines Ausschlussgrundes analog § 70 Abs. 3 GewO, der den Anspruch von einem Zulassungsanspruch in einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung umwandelt. Der Anspruch war aber nur dann noch begründet, wenn der Magistrat nicht schon mit dem Ablehnungsbescheid rechtsfehlerfrei entschieden und den Anspruch damit erfüllt hatte (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Rechtswidrig war der Ablehnungsbescheid, wenn der Magistrat der Stadt Gießen formell rechtswidrig entschieden oder bei der Entscheidung Ermessensfehler begangen hatte (§ 114 S. 1 VwGO).

Formelle Rechtswidrigkeit der Ablehnung

Mit Blick auf die formellen Anforderungen an die Ablehnung ist nur die Organkompetenz des Magistrats zweifelhaft, wobei rechtlich schon unklar ist, welche Rechtsfolge eine fehlende Organkompetenz des Magistrats mit Blick auf die Rechtmäßigkeit des ablehnenden Verwaltungsakts hätte. Da der Magistrat die Stadt Gießen nach § 71 Abs. 1 HGO unabhängig von der Art der Angelegenheit vertritt, spricht einiges dafür, dem Magistrat für den Erlass eines Verwaltungsakts bei fehlendem, aber erforderlichem vorhergehenden Beschluss der Gemeindevertretung nicht die sachliche Zuständigkeit abzusprechen, sondern entsprechend § 45 Abs. 1 Nr. 4 HVwVfG den vorherigen Beschluss eines „Ausschusses“ für erforderlich und unterblieben zu halten.Dazu näher Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 13 Rn. 29. Die Frage nach der Einordnung kann aber offenbleiben, wenn der Magistrat ohnehin die Organkompetenz für die Entscheidung innehatte.

Nach § 50 Abs. 1 HGO beschließt die Gemeindevertretung über die Angelegenheit der Stadt, soweit sich aus der HGO nichts anderes ergibt. Etwas anderes ergibt sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 HGO, wonach der Gemeindevorstand die öffentlichen Einrichtungen zu verwalten hat. Vorliegend handelt es sich bei dem Weihnachtsmarkt um eine zu verwaltende öffentliche Einrichtung im Sinne von § 66 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 HGO. Die Satzung für den Weihnachtsmarkt sieht zudem vor, dass der Magistrat über die Zulassung zum Weihnachtsmarkt der Magistrat entscheiden soll. Die Organkompetenz des Magistrats ergibt sich damit aus § 66 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 3 und Nr. 4 HGO. Die Ablehnung war somit nicht formell rechtswidrig.

Vertiefungshinweis zum Begriff der laufenden Verwaltung

Wäre die Organkompetenz des Magistrats hier nicht ohnehin mittels Satzung zugewiesen, ließe sich auch die Frage aufwerfen, ob es sich bei der Entscheidung über die Zulassung einzelner Bewerber im Sinne von § 66 Abs. 1 S. 2 HGO um eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung handelt. Geschäfte der laufenden Verwaltung sind solche, die in mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren und die zugleich nach Größe und Umfang der Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich geringer Bedeutung sind.VGH Kassel, NVwZ 1983, 556; Gornig, in: Gornig/Horn/Will (Hrsg.), Öffentliches Recht in Hessen, 2. Aufl. 2022, 1. Teil Kommunalrecht § 8 Rn. 319. Ob eine Angelegenheit zur laufenden Verwaltung gehört oder eine wichtige Gemeindeangelegenheit ist, lässt sich mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Verhältnisse nicht für alle Gemeinden einheitlich bestimmen. Was für eine kleine Gemeinde eine wichtige Angelegenheit sein kann, kann in einer größeren Stadt ein Geschäft der laufenden Verwaltung sein.VG Gießen, BeckRS 2007, 23153. Der Weihnachtsmarkt findet immerhin jährlich statt. Der Zeitraum zwischen den Vergabeentscheidungen beträgt aber dennoch jeweils ein Jahr, sodass nicht mehr von kürzeren Abständen und Routinemäßigkeit auszugehen ist. Hinsichtlich der Wichtigkeit ist die gemeindepolitische Bedeutung der Veranstaltung des Weihnachtsmarkts in den Blick zu nehmen: Die jährliche Veranstaltung zeigt, dass der Weihnachtsmarkt eine gewisse Tradition hat. Das Veranstalten solcher Feste und Märkte ist eine zentrale Aufgabe der Daseinsvorsorge (§ 19 Abs. 1 HGO), die Anziehungskraft ist unabdingbare dafür, dass die Veranstaltung (auch wirtschaftlich) gelingt. Wohlüberlegte Entscheidungen zur Vergabe der Standplätze sind daher sehr bedeutsam. Das spricht dafür, die Entscheidung über Zulassung und Ablehnung nur dann als Geschäft der laufenden Verwaltung anzusehen, wenn – wie hier – die Gemeindevertretung Vergabekriterien für den Weihnachtsmarkt festgelegt hat, aufgrund deren der Gemeindevorstand die Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung ohne weitreichende Entscheidungsspielräume vollziehen kann.VGH München, NVwZ-RR 2003, 771; VGH Mannheim, BeckRS 2009, 41414.

Ermessensfehler bei der Ablehnung (§ 114 S. 1 VwGO)

§ 40 HVwVfG bestimmt, dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der einschlägigen gesetzlichen Regelung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat. § 114 S. 1 VwGO verpflichtet das Gericht dazu, zu überprüfen, ob die Behörde diesen Anforderungen gerecht geworden ist. Der Magistrat hat vorliegend bei der Entscheidung über die Ablehnung des Antrags des S keine eigenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern die Entscheidung entsprechend der innergemeindlichen Kompetenzverteilung auf Grundlage der von der Stadtverordnetenversammlung in der Satzung für den Weihnachtsmarkt festgelegten Kriterien getroffen. Die Entscheidung über die Ablehnung war somit nur dann ermessensfehlerhaft, wenn die Festlegung der Vergabekriterien in der Satzung ihrerseits ermessensfehlerhaft und damit unwirksam. In Betracht kommt vorliegend, dass die Stadtverordnetenversammlung bei der Festlegung der Vergabekriterien die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat (Ermessensüberschreitung).

Anforderungen an die Auswahlkriterien und das Auswahlverfahren

Zu diesen gesetzlichen Grenzen des Ermessens gehört auch die Wertung des § 70 Abs. 3 GewO, der nicht nur den Ausschluss eines Bewerbers unter die Voraussetzung stellt, dass dieser Ausschluss sachlich gerechtfertigt ist, sondern zugleich vorgibt, dass im Fall der Kapazitätserschöpfung der zwischen den Bewerbern angelegte Verteilungsmaßstab sachlich gerechtfertigt ist.BVerwG, NVwZ 1984, 585 (586). Die Auswahlkriterien müssen sachlich gerechtfertigt, transparent und hinreichend bestimmt sein und auch die Auswahlentscheidung anhand einmal erarbeiteter Kriterien gleichmäßig und nachvollziehbar durchgeführt werden.VGH München, NVwZ-RR 2013, 933 (Rn. 31); OVG Lüneburg, NordÖR 2016, 431 (432); Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 43.

Was sachlich gerechtfertigt ist, bestimmt sich nach dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung des Lebenssachverhaltes, in dessen Rahmen das Ermessen ausgeübt wird. Ermessensfehlerfrei ist danach jedenfalls ein Auswahlverfahren, das jedem Bewerber die gleiche Zulassungschance einräumt, wie etwa im durch Anwendung des Zufallsprinzips, des Prioritätsprinzips oder eines Rotationsprinzips.

Die Gemeinde kann sich stattdessen aber auch an Merkmalen orientieren, die nicht zwingend bei jedem Bewerber gleichermaßen vorliegen, wie zum Beispiel (sachbezogen) die Attraktivität des Stands oder (personenbezogen) die Bekannt- und Bewährtheit eines Standes und seines Betreibers. Insbesondere bei personenbezogenen Merkmalen muss sich die sachliche Vertretbarkeit des Kriteriums aus der Eigenart des Marktgeschehens ableiten lassen.BVerwG, BeckRS 2011, 52577 (Rn. 5). Außerdem darf die Wahl eines solchen Kriteriums nicht dazu führen, dass Neubewerbern oder Wiederholungsbewerbern praktisch keine Zulassungschance verbleibt, wenn sie nicht kontinuierlich auf dem Markt vertreten waren. Eine Auswahlentscheidung, der ein System zugrunde liegt, dass solchen Bewerbern weder im Jahre der Antragstellung noch in einem erkennbaren zeitlichen Turnus eine Zulassungschance einräumt, überschreitet die gesetzlichen Grenzen des Ermessens.BVerwG, BeckRS 2011, 52577 (Rn. 5).

Verfehlung der Anforderungen durch die Stadtverordnetenversammlung

Die Stadtverordnetenversammlung hat hier festgelegt, dass die Auswahl im ersten Jahr nach zeitlicher Priorität der Antragseingänge und in den Folgejahren nach dem Kriterium „bekannt und bewährt“ erfolgen soll. Nachrangig soll auch in diesen Folgejahren das Prioritätsprinzip greifen.

Die vorrangige Wahl des Kriteriums „bekannt und bewährt“ lässt sich mit der Überlegung der Stadtverordnetenversammlung aus der Eigenart des Marktgeschehens ableiten, den Besucherinnen und Besuchern jedes Jahr ein möglichst gleiches, vertrautes Bild des Weihnachtsmarktes zu bieten, und auf diejenigen Bewerber zu setzen, die sich in der Vergangenheit als geeignet erwiesen haben.

Allerdings eröffnet die alleinige Wahl dieses Kriteriums Neubewerbern wie S keine echte Zulassungschance.OVG Münster, NVwZ-RR 1991, 297; Ehlers, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht I, 4. Aufl. 2019, § 18 Rn. 86; Ennuschat, in: Ennuschat/Wank/Winkler (Hrsg.), GewO, 9. Aufl. 2020, § 70 Rn. 45a; Pielow, in: BeckOK GewO, 57. Edition, 1.3.2020, § 70 Rn. 41. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nachrangig das Kriterium der zeitlichen Priorität der Antragseingänge greift, wenn einer der bisherigen Standbetreiber sich im Folgejahr nicht mehr als bewährt erweist oder den Stand nicht mehr betreiben möchte, da diese Umstände weder absehbar sind noch in der Hand des Neubewerbers liegen.

Vertiefungshinweis zum Kriterium „bekannt und bewährt“

Mit Blick auf die Zulassungschance von Neubewerbern würde es schon genügen, einen kleinen Anteil der Standplätze nach einem anderen, Chancengleichheit gewährleistenden Kriterium wie Priorität oder Zufall zu vergeben. Weitere Zweifel an der Zulässigkeit des Kriteriums „bekannt und bewährt“ kommen auf, wenn der Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, ein Bewerber also in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und in Deutschland an einem Markt teilnehmen möchte. Solche Fälle unterliegen nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/123/EG dem Anwendungsbereich der Dienstleistungs-Richtlinie. In deren Art. 12 Abs. 2 heißt es, dass bei einer erforderlichen Auswahl zwischen mehreren Bewerbern für eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit die Genehmigung für einen angemessen befristeten Zeitraum gewährt wird und weder automatisch verlängert werden noch dem Dienstleistungserbringer, dessen Genehmigung gerade abgelaufen ist, oder Personen, die in besonderer Beziehung zu diesem Dienstleistungserbringer stehen, irgendeine andere Begünstigung gewähren darf. Bekannt sein und sich bewähren kann aber nur ein Bewerber, der schon in der Vergangenheit einen Stand betrieben hat.Pielow, in: BeckOK GewO, 57. Edition, 1.3.2020, § 70 Rn. 38.

Zwischenergebnis

Die Stadtverordnetenversammlung hat damit gegen die von § 70 Abs. 3 GewO und Art. 3 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen überschritten und somit Ermessensfehler begangen.

Zwischenergebnis

Der Anspruch des S auf rechtsfehlerfreie Bescheidung über seinen Antrag auf Zulassung zum Weihnachtsmarkt war folglich noch nicht erfüllt. S hatte weiterhin einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung auf Grundlage von § 20 Abs. 1 und Abs. 2 HGO.

Zwischenergebnis

Die Klage ist mit Blick auf den Anspruch auf rechtsfehlerfreie Bescheidung teilweise begründet.

Ergebnis

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Sie hat in diesem Umfang Aussicht auf Erfolg.