LG München II 1. Strafkammer 1 Ks 21 Js 5718/18

ECLI:DE:LGMUEN2:2020:0220.1KS21JS5718.18.00

Guiding Principles

1. Löst der Täter bei seinem Opfer eine so genannte „rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung“ aus, also einen Irrtum über die Folgen, Bedeutung und Tragweite seines Tuns (hier: die Zufügung eines – möglicherweise lebensgefährlichen – Stromschlags mit Haushaltsstrom), indem er ihm vorspiegelt, dass durch sein Tun keine gesundheitliche Gefährdung oder gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten sei, lässt dies die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung nach § 228 StGB entfallen.(Rn.365)

2. Bringt der Täter sein Opfer während eines Videochats dazu, sich lebensgefährliche Stromschläge zuzufügen, indem er vortäuscht, als Arzt oder zumindest eine medizinisch geschulte Person bzw. entsprechend kompetenter Wissenschaftlicher wissenschaftliche Studie durchzuführen, und vorgibt, dass durch eine Versuchsteilnahme keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten sei, nimmt er nicht – straflos – an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung teil, sondern übt die Tatherrschaft aus und ist somit mittelbarer Täter eines Tötungs- und Körperverletzungsdelikts kraft überlegenen Sachwissens.(Rn.371)

3. Fordert der Täter das Opfer dazu auf, – mittels abisolierter Drähte direkt oder an Metalllöffel/Münzen als Elektroden angebracht – einen Stromkreislauf über die Schläfen herzustellen, handelt er im Hinblick auf die Herbeiführung eines tödlichen Erfolges zumindest mit bedingten Vorsatz.(Rn.375)

4. Auch wenn der Täter nicht unmittelbar – während des Videochats – in der Tötung des Opfers sexuelle Befriedigung sucht, sondern erst erhebliche Zeit später in der Betrachtung von Videoaufnahmen des Tötungsaktes, liegt eine Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs vor. Hierfür reicht es bereits aus, dass der Täter die Videosequenzen der Stromschläge abspeichert, um sie später immer wieder betrachten zu können, und sexuelle Befriedigung zu diesen Zeitpunkten anstrebt.(Rn.381)

5. Ein Stromkabel als solches ist nach der Art seiner Benutzung nicht geeignet, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen und kann daher nicht als ein „anderes gefährliches Werkzeug“ i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen werden. Seine Gefährlichkeit beruht vielmehr auf der anliegenden Stromspannung und dem – bei Anlegen beider Pole am Körper – folgenden Stromfluss. Der fließende Strom wiederum kann nicht unter den Begriff „Werkzeug“ subsumiert werden.(Rn.402)