Guiding Principles
1a. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordert als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB idR eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl BVerfG, 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266 <293>; stRspr). (Rn.14)
1b. Eine Verurteilung kann ausnahmsweise auch ohne eine solche Abwägung gerechtfertigt sein, wenn es sich um Äußerungen handelt, die sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen (vgl BVerfG, 10.11.1998, 1 BvR 1531/96, BVerfGE 99, 185 <196>; stRspr; zu den insoweit anzulegenden strengen Kriterien siehe auch BVerfG, 19.05.2020, 1 BvR 2397/19 und BVerfG, 19.05.2020, 1 BvR 1094/19 <Rn 18ff>). (Rn.14)
2a. Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl BVerfGE 93, 266 <293>). Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (vgl BVerfG, 12.05.2009, 1 BvR 2272/04 <Rn 38>). (Rn.18)
2b. Allerdings bleibt auch der Gesichtspunkt der Machtkritik in eine Abwägung eingebunden und erlaubt nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (vgl bereits BVerfG, 19.05.2020, 1 BvR 1094/19 <Rn 25> mit Verweis auf BVerfG, 11.05.1976, 1 BvR 671/70, BVerfGE 42, 143 <153>; wird ausgeführt). Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (vgl BVerfG, 06.11.2019, 1 BvR 16/13, BVerfGE 152, 152 <199 Rn 108>). (Rn.19)
3. Hier:
3a. Der Gesichtspunkt der Formalbeleidigung rechtfertigt die angegriffenen Entscheidungen nicht. Die Beschreibung der Verhaltensweise des Familienrichters mit den Worten, dieser habe dem Beschwerdeführer "mit einem dämlichen Grinsen" den Ratschlag erteilt, Beschwerde einzulegen, gehört ganz offensichtlich nicht zum kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen. (Rn.24)
3b. Die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers kann sich ebensowenig auf den Gesichtspunkt der Schmähkritik stützen. Das LG nimmt die Umstände des vorliegenden Falles nur unzureichend in den Blick, wenn es die Äußerung des Beschwerdeführers nicht mehr als Kritik an der Verfahrensführung des Richters ansieht (wird ausgeführt). (Rn.26)
3c. Die angegriffenen Entscheidungen sind schließlich auch nicht von einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden - hilfsweisen - Abwägung getragen. Sie lassen keine hinreichende Auseinandersetzung mit der konkreten Situation, in der die Äußerung gefallen ist, erkennen und zeigen nicht auf, weshalb das Interesse an einem Schutz des Persönlichkeitsrechts des in seiner Amtsausübung angegriffenen Familienrichters die für die Zulässigkeit der Äußerung sprechenden Gesichtspunkte überwiegt. Sie gehen auf Inhalt, Anlass, Motivation sowie die konkrete Wirkung der Äußerung unter den Umständen des Falles nicht sachhaltig ein. (Rn.28)
4. Festsetzung des Gegenstandswertes auf 25.000 Euro.