Staatsgerichtshof des Landes Hessen P.St. 2361

ECLI:DE:STGHHE:2013:0521.P.ST.2361.0A

Guiding Principles

1. Die Gemeinden haben einen aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht abgeleiteten Anspruch gegen das Land Hessen auf angemessene Finanzausstattung (Art 137 Abs 1, Abs 3 Satz 1, Abs 5 der Verfassung des Landes Hessen - HV -).

2. Die Garantie einer angemessenen Finanzausstattung verlangt jedenfalls, dass die Kommunen in der Lage sind, neben Pflichtaufgaben auch ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Über diese Mindestausstattung hinaus haben die Kommunen einen von der Finanzkraft des Landes abhängigen weitergehenden Anspruch auf Finanzausstattung.

3. Die Aufgaben der Kommunen bilden den verfassungsrechtlichen Maßstab, der den Umfang der angemessenen Finanzausstattung bestimmt. Der Landesgesetzgeber kann seiner Verpflichtung zu einem aufgabengerechten Finanzausgleich nur nachkommen, wenn er die Höhe der zur kommunalen Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel kennt. Dies setzt eine Ermittlung des durch Aufgabenbelastung und Finanzkraft vorgezeichneten Bedarfs der Kommunen voraus. Die Bedarfsermittlungspflicht erstreckt sich auch auf den horizontalen Ausgleich, der unterschiedliche Bedarfslagen der kommunalen Gebietskörperschaften zu berücksichtigen hat.

4. Der Landesgesetzgeber hat bei der von Verfassungs wegen erforderlichen Bedarfsanalyse Gestaltungs- und Einschätzungsspielräume. Er darf daher bei der Kostenermittlung pauschalieren und die ermittelten Ausgaben auf ihre Angemessenheit prüfen.

5. Das Land Hessen hat den Finanzbedarf der Kommunen nicht ermittelt und ist damit den verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen an eine Finanzausgleichsentscheidung nicht gerecht geworden. Dies hat die Verfassungswidrigkeit der Veränderung der Steuerverbundmasse und die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Antragstellerin zur Folge.

6. Der Landesgesetzgeber ist prinzipiell nicht gehindert, eine Kompensationsumlage einzuführen. Belastet er allerdings die Kommunen mit einer neuen Umlage, die ihre finanzielle Handlungsfähigkeit spürbar beeinträchtigt, muss er den kommunalen Finanzbedarf ermitteln, wobei er nach den kommunalen Gruppen der kreisangehörigen Gemeinden, kreisfreien Städte und Landkreise zu differenzieren hat.

7. Die angegriffenen Vorschriften über die Einführung der Kompensationsumlage sind ebenfalls wegen des Fehlens einer Finanzbedarfsermittlung verfassungswidrig und verletzen das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin.

8. Der kommunale Finanzausgleich ist spätestens für das Ausgleichsjahr 2016 neu zu regeln. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung bleibt das bisherige Recht anwendbar.