Guiding Principles
1a. Das Strafrecht beruht auf dem im Verfassungsrang stehenden Schuldgrundsatz (Art 1 Abs 1 GG; siehe etwa BVerfG, 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, BVerfGE 140, 317 <343 Rn 54>). Eine staatliche Reaktion in Form einer Kriminalstrafe und dem damit verbundenen Unwerturteil wäre ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. (Rn.15)
1b. Der Schuldgrundsatz ist somit zugleich ein zwingendes Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips. Für den Bereich des Strafrechts werden die rechtsstaatlichen Anliegen des Rechtsstaatsprinzips in dem Grundsatz aufgenommen, dass keine Strafe ohne Schuld verwirkt wird. Dieses Prinzip ist durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen sicherzustellen; Tat und Schuld müssen dem Täter prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden (aaO <344f Rn 55ff>). (Rn.16)
2a. Die richterrechtlichen Grundsätze zur gleichartigen Wahlfeststellung sind mit dem Schuldgrundsatz vereinbar. Denn bei der gleichartigen Wahlfeststellung beschränken sich die Zweifel auf den deliktischen Sachverhalt und betreffen - anders als bei der ungleichartigen Wahlfeststellung - nicht auch die Gesetzesanwendung. Bei der gleichartigen Wahlfeststellung steht die schuldhafte Verwirklichung eines bestimmten Straftatbestandes zur Überzeugung des Gerichts fest. Unsicher ist allein der Zeitpunkt oder welche von mehreren Handlungen den Erfolg tatsächlich herbeigeführt hat. (Rn.20)
2b. Bei solch einer Sachverhaltskonstellation wäre ein Freispruch mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Denn die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Idee materieller Gerechtigkeit verlangt die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zur Sicherung einer am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrechtspflege, wenn die Schuld des Angeklagten mit Gewissheit feststeht und sich die Zweifel allein auf Tatsachenfragen beziehen (zur ungleichartigen Wahlfeststellung vgl BVerfG, 05.07.2019, 2 BvR 167/18 <Rn 38, 43>). (Rn.21)
2c. Die Grundsätze der Wahlfeststellung berühren – mangels strafbarkeitsbegründender Wirkung – zudem nicht die in Art 103 Abs 2 GG verbürgten Garantien (BVerfG aaO <Rn 28ff>). Die Regeln greifen nicht korrigierend in die Entscheidung des Gesetzgebers über strafwürdiges Verhalten ein; sie bestimmen nicht - über den Inhalt gesetzlicher Strafnormen hinausgehend - die Voraussetzungen, unter denen ein bestimmtes Verhalten als strafbar anzusehen ist. (Rn.37)
3. Hier: Unbegründete Verfassungsbeschwerde eines Apothekers gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Betrugs sowie ua wegen Herstellens und Inverkehrbringens selbst hergestellter Arzneimitteln mit zu geringem Wirkstoffgehalt (§ 8 Abs 1 Nr 1 AMG 1976) in ca. 14.500 Fällen. Insb hinsichtlich der vom LG vorgenommenen gleichartigen Wahlfeststellung ist keine Grundrechtsverletzung (Schuldgrundsatz, Analogieverbot) ersichtlich; auch die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung sind nicht überschritten (wird jeweils ausgeführt). (Rn.18) (Rn.28) (Rn.32)