BVerfG 1. Senat 1. Kammer 1 BvR 2883/11

ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20120229.1bvr288311

Guiding Principles

1. Für Meinungen, nicht jedoch auch für Tatsachenbehauptungen gilt eine Vermutung zugunsten der freien Rede (vgl BVerfG, 13.04.1994, 1 BvR 23/94, BVerfGE 90, 241 <248>). Die bewusste Behauptung unwahrer Tatsachen verbleibt bereits von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des Art 5 Abs 1 S 1 GG. Auch sonstige unrichtige Tatsachenbehauptungen sind Einschränkungen auf Grund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als das Äußern einer Meinung (vgl BVerfG, 22.06.1982, 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 <8>). (Rn.14)

2. Wird zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie eingeschränkt werden kann, andererseits abgewogen, so muss den Umständen des Einzelfalls gebührende Bedeutung beigemessen werden. Relevant kann etwa sein, dass die für strafwürdig erachteten Äußerungen im sogenannten "Kampf ums Recht" getätigt wurden (vgl BVerfG, 16.03.1999, 1 BvR 734/98, NJW 2000, 199<200>), oder dass die Äußerungen ausschließlich an die zuständige Behörde gerichtet wurden, ohne dass sie Unbeteiligten zur Kenntnis gelangen konnten (vgl BVerfG, 10.03.2009, 1 BvR 2650/05, NJW-RR 2010, 204 <206 f>). (Rn.15)

3. Hier:

3a. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafrechtliche Verurteilung wegen übler Nachrede. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Äußerungen des Beschwerdeführer waren im Rahmen eines gegen ihn geführten Ordnungswidrigkeitenverfahrens erfolgt.

3b. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art 5 Abs 1 S 1 GG.

aa. Die Fachgerichte verkennen bei der Beurteilung der Äußerungen des Beschwerdeführers, dass diese keine Tatsachenbehauptungen iSd § 186 StGB darstellen, sondern Werturteile und damit Meinungen ieS (vgl BVerfG, 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266). (Rn.13)

bb. Zudem berücksichtigen die Fachgerichte Einzelfallumstände, die zugunsten des Beschwerdeführers sprechen, nicht hinreichend. Die Äußerungen fielen im sog "Kampf ums Recht" und waren lediglich an die Bußgeldbehörde gerichtet. Zudem standen sie noch im Zusammenhang mit dem Begehren, dass der Beschwerdeführer im Verfahren verfolgte. (Rn.15)

3c. Festsetzung des Gegenstandswertes auf 8.000 Euro.