BGH 3. Strafsenat 3 StR 479/16

ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0

Guiding Principles

1. Die dem Gericht obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (Festhaltung BGH, 29. Oktober 2009, 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222 und BGH, 24. Oktober 2013, 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57).(Rn.4)

2. Hat das Ausgangsgericht das Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB nur dahingehend geprüft, ob die Angeklagte/Kindesmutter durch ihr Unterlassen einen Säugling in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB), jedoch nicht erörtert, ob die Angeklagte den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB - durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl nach den Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift in Betracht kommt, so ist dies rechtsfehlerhaft.(Rn.5)

3. Eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) kann auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden (Festhaltung BGH, 22. November 2016, 1 StR 354/16, NJW 2017, 418).(Rn.10)

4. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 13, 222 StGB kommt - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - schon dann in Betracht, wenn die sich zum Tatzeitpunkt im Nebenzimmer aufhaltende Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass der Ehemann und Mitangeklagte im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.(Rn.12)

5. "Quälen" im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst die ständige Wiederholung mehrerer Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklichen (Festhaltung BGH, 17. Juli 2007, 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304).(Rn.15)