BVerfG 1. Senat 1. Kammer 1 BvR 724/98

ECLI:DE:BVerfG:2002:rk20020404.1bvr072498

Guiding Principles

1. Zum Begriff des Werturteils und zum Schutz auch polemischer und verletzender Formulierungen durch GG Art 5 Abs 1 S 1 vgl BVerfG, 1995-10-10, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266 <289>; st Rspr.

2. Bei einer Verurteilung nach StGB § 185 als Schrankenbestimmung iSv GG Art 5 Abs 2 ist das BVerfG auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht das Grundrecht der Meinungsfreiheit (GG Art 5 Abs 1) sowie das Persönlichkeitsrecht (GG Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1) und damit die wertsetzende Bedeutung der Freiheitsrechte verkannt hat (vgl BVerfGE 93, 266 <292>; st Rspr).

3. Da die Verhängung einer Strafe für eine Meinungsäußerung im Hinblick auf GG Art 5 Abs 1 S 1 nur in Betracht kommt, wenn die Äußerung dem Äußernden in der vom Fachgericht vorgenommenen Deutung zugerechnet werden darf, haben die Gerichte bei mehrdeutigen Äußerungen, wollen sie eine bestimmte Deutung einer Bestrafung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren Gründen auszuschließen (vgl BVerfG, 1990-04-19, 1 BvR 40/86, BVerfGE 82, 43 <52>; st Rspr).

4. Hier: Von Verfassungs wegen ist es nicht zu beanstanden, dass das AG einer Äußerung des Inhalts, Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes bildeten eine "private Schlägertruppe", es handele sich um "hastig umgekleidete Skinheads" und "primitive Schlägernaturen", die in einem Einkaufszentrum "ihr Unwesen treiben", ehrverletzenden Charakter beigemessen hat.

Das Gericht hat jedoch nicht ausreichend dargelegt, dass der Beschwerdeführer dieses Unwerturteil unmittelbar - objektiv - auf die Mitglieder des Sicherungsdienstes bezogen hat und die von ihm vorgetragene Deutungsalternative auszuschließen ist, er habe nur seinen subjektiven Eindruck von einem beobachteten Vorfall mit Gewaltanwendung und dem äußeren Erscheinungsbild des Sicherheitsdienstes wiedergegeben.