BVerfG 1. Senat 2. Kammer 1 BvR 2433/17
ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190614.1bvr243317
1a. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grds nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl BVerfG, 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, BVerfGE 93, 266 <289>; stRspr). (Rn.16)
1b. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (vgl BVerfGE 93, 266 <293>). Die Meinungsfreiheit erlaubt es insb nicht, einen Verfahrensbeteiligten auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen. (Rn.17)
1c. Im Falle von Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück. Diese einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). (Rn.18)
1d. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind schon dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, 29.06.2016, 1 BvR 2646/15 <Rn 14>). (Rn.19)
2. Hier: Unzutreffende fachgerichtliche Einordnung von Äußerungen eines Rechtsanwalts in einem Zivilverfahren als Schmähkritik und als Beleidigung iSd § 185 StGB. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen eines Ablehnungsgesuchs ua geäußert, dass "die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin (...) stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten" erinnere, die gesamte Verhandlungsführung "eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess". (Rn.19)
(Rn.20)
3. Festsetzung des Gegenstandswertes auf 25.000 Euro.
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