Guiding Principles
1. Die "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des BGH zur Strafbarkeit von Sitzblockaden als Nötigung (BGH, 20.07.1995, 1 StR 126/95, BGHSt 41, 182) verletzt nicht das Analogieverbot des Art 103 Abs 2 GG. (Rn.26)
1a. Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite gilt: Vom Wortlaut des § 240 Abs 1 StGB ist es nicht mehr gedeckt, das Tatbestandsmerkmal der Gewalt zu bejahen, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (vgl BVerfG, 10.01.1995, 1 BvR 718/89, BVerfGE 92, 1 <17>). (Rn.23)
1b. Es sprengt jedoch nicht die Wortsinngrenze des Analogieverbots, dem Demonstranten die physische Zwangswirkung des ersten Fahrzeugführers gegenüber nachfolgenden Fahrzeugführern im Sinne mittelbarer Täterschaft zuzurechnen (§ 25 Abs 1 Alt 2 StGB). (Rn.28)
In dieser Konstellation liegt die im Beschluss vom 20.07.1995 (aaO) für eine Strafbarkeit geforderte physische Zwangswirkung vor (wird ausgeführt). (Rn.29)
2. Bei der Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs 2 StGB sind im Falle einer Versammlung iSd Art 8 GG insb Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Das Gewicht der demonstrationsspezifischen Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt (vgl BVerfGE 104, 92 <109 ff>). (Rn.39)
3a. Auch Sitzblockaden unterfallen dem Versammlungsbegriff des Art 8 Abs 1 GG (vgl BVerfG, 11.11.1986, 1 BvR 713/83, BVerfGE 73, 206 <248>). (Rn.32)
3b. Den Schutz des Art 8 Abs 1 GG verliert eine Versammlung bei kollektiver Unfriedlichkeit. Eine Versammlung ist nicht schon dann unfriedlich, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (BVerfGE 73, 206 <aaO>). (Rn.33)
4. Hier:
4a. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verwerfung von Rechtsmitteln gegen eine strafrechtliche Verurteilung. Er hatte an einer Sitzblockade auf einer Zufahrtsstraße zu einer Wohnsiedlung der amerikanischen Streitkräfte nahe der Rhein Main Military Air Base teilgenommen.
4b. Die angegriffene Entscheidung begegnet nach den dargelegten Maßstäben keinen Bedenken im Hinblick auf das Analogieverbot des Art 103 Abs 2 GG.
4c. Jedoch verletzt die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art 8 Abs 1 GG).
aa. Das LG verneint den Versammlungscharakter der Zusammenkunft ohne tragfähige Begründung. Sollte das LG dahin zu verstehen sein, dass es den Versammlungscharakter deswegen verneinte, weil die Sitzblockade der Erregung von Aufmerksamkeit gedient habe, so verkennt es, dass der intendierte Beitrag zum öffentlichen Meinungsbild die Zusammenkunft gerade erst zu einer Versammlung iSd Art 8 Abs 1 GG macht. (Rn.35)
bb. Zudem wird die Verwerflichkeit der Tathandlung iSd § 240 Abs 2 StGB nicht hinreichend begründet. Die Abwägung des LG ist unvollständig; überdies werden relevante Aspekte fehlgewichtet. So hat das LG den Zweck der Sitzblockade als Gesichtspunkt gewertet, der für die Verwerflichkeit spreche. Es hat zudem Aspekte zur Schwere des Eingriffs in Grundrechte Dritter gänzlich außer Betracht gelassen.
Auch der Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und den durch die Sitzblockade beeinträchtigten Rechtsgütern wurde ohne tragfähige Begründung verneint. Dass die betroffenen US-amerikanischen Staatsbürger die Irak-Politik der US-Regierung nicht beeinflussen können, stellt den Sachbezug nicht in Frage. Es würde die Versammlungsfreiheit sowie insb das örtliche Selbstbestimmungsrecht der Demonstrationsveranstalter unzumutbar einschränken, wollte man Versammlungen auf den Aufenthaltsort oder institutionellen Sitz von Entscheidungsträgern und Repräsentanten beschränken. (Rn.43)